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Nicht ausschließlich vor der Geburt, in den verhängnisvollen Gesetzen der Blutmischung, des Ineinanderschießens der Temperamente sind die Wurzeln eines Lebens zu suchen, empfindliche Naturen schreiben ihre Schicksale leichter den Ereignissen der frühen Jugendjahre zu. Baudelaire beweinte Zeit seines Lebens die Freudlosigkeit seiner Kindheit, in deren Trauer viele schlimmen Keime die besonderen Säfte fanden, um in die Halme zu schießen. Der Vater, eine noble Figur des 18. Jahrhunderts, in den Abenteuern der Revolution abgenutzt, im Verkehr mit Geistern wie Condorcet, Mme. Helvetius verfeinert, vermählte sich im Alter zum zweitenmal, und die Frau, die jung und anmutsvoll Mutter des Dichters wurde, spricht von ihm nach einem halben Jahrhundert noch als von einem Greis, dessen weltmännische Formen und blendender Witz sie bestrickt haben mochten. Im Heim, darin vermutlich nicht sehr viel Liebe wohnte, vergingen dem Knaben die einzigen, spärlichen Jahre des Glückes. Schöngeformte Möbel zierten die Zimmer, vom Goldbraun des Boule hoben sich gute Abgüsse nach antiken Statuen ab, Apollo, Venus, der Hermaphrodit des Louvre; ein Hauch des Wohlbefindens über alldiesem, Atmosphäre zum Genuß des Schönen beruhigter Sinnlichkeit, gute Gespräche mit erlesenen Menschen, Töne eines Clavecins und das Walten einer graziösen Frau. Vater und Kind verlebten die wenigen Jahre wie zwei Menschen, die wissen: es kann nicht dauern, es heißt bald: Abschied nehmen, und die Jahre sind getönt von einem leisen Schmerz, der der Liebe Dauer gibt und dem Andenken Kraft nachzuwirken. Durch die fremdartige Welt der Museen, die Statuenreihen des Luxemburgparkes durfte der Knabe oft an des Vaters Hand gehen, und wenn der alte Herr stehen blieb um dem Kinde eines der merkwürdigen Dinge zu zeigen, dran sein Auge mit Bewunderung hing, dann preßte sich die große Hand wohl enger um die kleinen Finger zusammen. Nach vierzig Jahren, als ein vom Leben zermalmter Mensch, gedenkt Baudelaire noch kindlich dieses Vaters, erlegt es sich in einer sonderbaren Zeile seines Tagebuchs, einer der letzten, als Verpflichtung auf: täglich im Gebet fortan die Seele des Vaters anzurufen! und gewiß haben seine heißen Augen öfter als einmal sich auf die müdgewordenen Hände geneigt, als könnten sie dort den Druck jener treuen, warmen Hand durch Tränen zurückrufen.
Charles war sechs Jahre alt, als sein Vater starb. Ein Jahr später verlor er seine Mutter. Kaum war das Trauerjahr um, ging sie mit dem Hauptmann Aupick eine neue Ehe ein, in der sie äußerst glücklich wurde, die Segnungen eines ungetrübten Familienlebens, die Ehren einer bis zu den Höhen sich steigernden sozialen Position auskostete, Wohlstand, Glanz, Zufriedenheit – alles, dessen Mangel das Herz ihres Kindes zu Tode marterte. »Quand on a un fils comme moi, on ne se remarie pas!« Diesen Ausspruch hörten Baudelaires Freunde oft und es war mehr Schmerz als Überhebung in der Stimme, die ihn rief. Der Verlust des Vaters, der Mutter, wurde der Stachel der Trauer, die ihn sein lebenlang nicht verließ, wach blieb, selten einschlummerte. Aus ihren Briefen an den biederen und liebevollen, nur ach so prüden Biografen Baudelaires, Asselineau, lernt man Mme. Aupick als eine kluge, wenn auch bigotte Frau von unstreitiger Gutmütigkeit kennen, deren innerstes Wesen sich freilich vor der außerbürgerlichen Tätigkeit und Lebensweise ihres Sohnes voll Abscheu verschloß. Bezeichnender Weise führte sie noch nach Charles Tode, der ihm schon fast die Glorie brachte, einen erbitterten Kampf um die Unterdrückung eines Gedichtes in der Neuauflage der »Fleurs du mal«, des »Reniement de St. Pierre«, während ähnliche Bedenken aus Glaubensgründen bezüglich der »Litanies de Satan«:
»O Satan, prends pitié de ma longue misère!« durch ihre ästhetische Bewunderung übertönt wurden! Verstanden hat sie Charles nie, sah in ihm, fast so lange er lebte, nicht viel mehr als einen Taugenichts, der aus einer Lotterexistenz sich seiner Angehörigen erst entsann, wenn er nicht mehr wußte, woher Geld schaffen. Der Hauptmann Aupick, der es in glänzender Carrière bis zum Feldmarschall, dann zum Botschafter in Madrid und Konstantinopel brachte, erscheint als eine tüchtige, rigide Soldatenseele, ders gleich gilt, ob sie Napoleon, Karl dem X., Louis Philippe oder der Republik dient, der Dienen das Wesentliche ist, die voll ist bis an den Rand vom Dünkel gewissenhafter Knechte. Nach mannigfachen Versuchen, einen Diplomaten, gar einen Handelsbeflissenen aus Charles zu machen, zog er die Hand von ihm, war fortan mit allen Mitteln nur bestrebt, sich, seine Frau, ihr Behagen vor dem Entarteten zu schützen.
Schon als Kind fand Charles sich verlassen, isoliert, ohne Wärme, ohne eine streichelnde Hand. Vom Tode des Vaters an, der ihn wohl geliebt, erkannt, gefördert hätte, ist sein Leben beschattet, freudlos. Es ist erklärlich, daß sich aus solchen Kindesjahren bei glücklichster Veranlagung eine zage, krankhafte, eine Poesie bei künstlicher Beleuchtung ergeben kann. Was eine von solch hartem Schicksal getroffene junge Seele auch schaffen wird, es wird ein morbider Glanz darum sein; denn es ist nicht wahr, daß Schmerz nötig sei, damit ein Talent sich entwickele: Harmonie von Lust und Schmerz ist nötig; und meist beteuern es jene am lautesten, ein Talent müsse sich Bahn brechen, trotz allem, die dem Talente die ärgsten Knüppel vor die Füße schleudern. In dem wundervollen Gedicht: »Bénediction«, das wie ein Orgelpunkt die auseinanderstrebende Fuge seines Lebens zusammenhält, ruft die Mutter des Dichters Gott in einem gewaltigen Schrei an:
»Je ferai rejaillir ta haine qui m'accable
Sur l'instrument maudit de tes méchancetés,
Et je tordrai si bien cet arbre misérable,
Qu'il ne pourra pousser ses boutons empestés!«
Hier ist die Formel gefunden für das tiefe Grauen, den instinktiven Haß der Familie des Dichters für ihren ersten natürlichen Feind, der ja das Beste aus ihrem Mark sog, wodurch er groß wurde. Wieder trifft bei keinem menschlichen Wesen die perspektivische Lehre: daß die Nächststehenden am größten erscheinen, das Größte des Horizontes fortnehmen, härter zu, als bei dem Dichter, denn wem täte es bitterer not, als dem aus seinen Höhen Niederfliehenden, sich zu Zeiten klein und bedürftig zu zeigen, den einzigen Menschen, vor denen dies ohne Schaden möglich ist, den Eltern?
Ein ergreifendes Bild des kleinen Charles in der Uniform des französischen Collégien zeigt ein ernstes Kind mit traurigem Mund und den erschrockenen Augen der erlauchten, eben erwachenden Seele, der sich der Schein eines großen Schicksals schon zu enthüllen angefangen hat. An M. Maeterlinck's »avertis« muß man denken, die halb bewußt schon die Last einer nahen Agonie durch ihre jungen Tage schleppen. In den großen, trostlosen Erziehungskasernen, aus deren Tor man in Paris die kleinen blassen Jungen mit vorzeitig geweckten, ungeduldigen Augen in langen Kolonnen herausziehen sieht, in den kahlen Sälen dieser Gefängnisse entwickelte sich das Gefühl der Vereinsamung in ihm, der Wünsche, die nicht befriedigt werden, der Bestimmung, einsam bleiben zu müssen unter den Menschen, wie er's zwischen seinen Kameraden war, trotz sehr nagender Sehnsucht nach Zuneigung, Gemeinschaft! »Tout enfant, j'ai senti dans mon coeur deux sentiments contradictoires: l'horreur de la vie et l'extase de la vie. C'est bien le fait d'un paresseux nerveux!«
Noch eins kam zu Schaden in diesen kalten Jahren: die schüchtern aus der Kindesseele hervorlugende Pflanze Sinnlichkeit. In der reizvoll preziösen Weise, in der Baudelaire mitunter seine intimsten Bekenntnisse für sich selbst zu formulieren liebt, heißt es (in den Tagebuchnotizen »Fusées«): »Le goût précoce des femmes. Je confondais l'odeur de la fourrure avec l'odeur de la femme. Je me souviens ... Enfin, j'aimais ma mère pour son élégance. J'étais donc un dandy précoce.« Dies ist so wahr paradox, als ein Paradoxon eine Wahrheit ist, die sich mit einer Lüge bekleidet hat, ein Dandy unter den Wahrheiten. Schält man die Hülle von den Worten, dann steht ein Kind da, das sich gern an die Röcke der Mutter klammern, gern von einer weißen beringten Hand geliebkost, gern in die Höhe genommen und mitten auf den Mund geküßt werden möchte. Traurig das Los dessen, in dem diese erste Form des Geschlechtstriebes: Kindesliebe unterdrückt, zurückgedämmt, gefälscht ist; die frühgeweckte Einbildungskraft wird sich von seinem Kindersinn, diesem Zehrpfennig fürs ganze Leben, nähren, und er wird, statt in den Frauen die eigene Mutter, in der eigenen Mutter bald die Frau erblicken. Aber es war doch wohl die heimliche, keusche Erinnerung an die Mutter (die wohl jetzt Mme. Aupick hieß), die ihn »en ces temps d'adolescences pâles« davor bewahrte, was junge Schüler Venus nennen, und das trübe Schwelen der Pubertätszeit in der weitaus reineren Flamme einer Knabenliebschaft aufflackern ließ (wegen welcher er von der Schule gejagt wurde.)
»... maintenant que nous sommes
Fatigués et flétris comme les autres hommes ...«
Diese naivpathetischen Verse schrieb der kaum Achtzehnjährige als Abschied von seiner Kindheit. Auch später, in Jahren der Reife, des Entsagens, fand er niemals ein Wort des Bedauerns, dieser Kindheit nachzuweinen, sondern sie weckte in ihm nur düstere Bilder der Qual. Von allen verlassen, Zielscheibe der Bosheit und Grausamkeit der Menschen, wendet das enterbte Kind sein Antlitz der Sonne zu. Aus ihr soll Wärme in seine Wangen strömen, sie soll seine Wimpern trocknen; die Wolken des Himmels sind die einzigen Kameraden, mit denen es Zwiesprache führen darf ohne beleidigt, geschmäht zu werden, der Wind, der vorüberstreicht, liebkost es allein, sein Haar, seine Hände. Und singend schreitet es, vom Schluchzen seines Schutzengels begleitet, den Weg des Leidens hinan. –
Eine kleine, helle Episode leuchtet aus diesen Jahren hervor, Baudelaire erzählt sie in dem köstlichen kleinen Aufsatz von der Moral des Spielzeugs, sie dient ihm als Ausgangspunkt für tiefe Betrachtungen über die Kindesseele. Liest man sie, will's scheinen, als bedeute sie mehr, als sei in ihr, wie im Brennspiegel des Gerichts, das Symbol dieses Lebens eingefangen, gesammelt. Als kleiner Junge wurde Baudelaire von seiner Mutter einst zu einer Dame mitgenommen, welche Mme. Panckoucke hieß und in einer sehr stillen Straße, in einem wunderlichen, alten Hause für sich hinlebte. Eine Weile saß die schöne, ganz in Samt und Pelzwerk gekleidete Dame dem Besuch gegenüber, aber mit einem Male stand sie auf, faßte den Kleinen bei der Hand, führte ihn durch eine Flucht von Zimmern vor eine verschlossene Tür, sprach: »Voici Je trésor des enfants. J'ai un petit budget, qui leur est consacré et quand un gentil petit garçon vient me voir, je J'amène içi, afin qu'il emporte un souvenir de moi. Choisissez.«
Das Zimmer, dessen Tür sich nun auftat, war mit Puppen, künstlichen Tieren, Theatern, Spielzeug aller Art angefüllt bis an den Plafond. Aber auch den bedeckten sie, hingen an Fäden von ihm herab, verhüllten die Wände mit ihrer Menge, standen dicht auf dem Fußboden, man konnte keinen Schritt tun. Ohne sich zu bedenken, stürzte das Kind auf das prächtigste, kostbarste von allem Spielzeug zu, das die Stube enthielt. »Aber Charles!« rief die Mutter. »Lassen Sie ihn doch gewähren!« sprach die Dame. Schließlich setzte es die Mutter durch, daß Charles mit einem weit bescheideneren Geschenk vorliebnahm.
Nie sah er das Feenreich wieder, nie wieder das wunderliche, alte Häuschen, nie wieder die gute Dame Panckoucke, ganz mit Samt und Pelz bekleidet. –