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Unter manchen anderen Verpflichtungen, die die Berliner Volksbühne in den letzten Jahren unerfüllt gelassen hat, ist diese: eine Volksfilmbühne zu schaffen und ein Volksfilmbühnenpublikum zu organisieren. Da aber die Berliner Volksbühne abseits von den Wegen ihrer eigenen ruhmvollen Tradition, man weiß ja, mit welcher Konsequenz, marschiert, scheint das, was das Volk so allgemein in den Berliner und den Kinos des Reichs zu sehen bekommt, dem Volksbühnenpublikum gerade gut genug. In den Kinos des Ostens und Nordens kann dieses Publikum zudem recht wohlfeile Plätze finden, somit fällt also die Notwendigkeit, daß die Volksbühne selbst sich der Kinoproduktion oder der Organisation der Kinodarbietungen fürs Volk widme, augenscheinlich fort! Immerhin gab es vor Jahren innerhalb des künstlerischen Ausschusses der Volksbühne, sogar innerhalb ihrer Verwaltung, Besprechungen, die darauf abzielten, dem Machtbereich der Volksbühne auch die Sorge um ein volkstümliches Kino, das eine Kulturaufgabe erfüllt hätte, anzugliedern; ja es kam sogar gelegentlich zu gemeinsamen Beratungen mit den Vertretern der Gewerkschaften und der Bildungsausschüsse der SPD.
Bald aber versank alles in dem bewußten lethargischen Schlaf, an dem dieser einst so lebendige und Leben verheißende Organismus seit geraumer Zeit erkrankt ist.
Da die Volksbühne in drei Häusern Stücke serienweise spielt, daher ein großes ständiges Personal ohne Mühe für Filmaufnahmen verwenden kann, da sie außerdem über ausgezeichnete Werkstätten und einen Fundus von ungewöhnlicher Reichhaltigkeit verfügt, wären ja die wesentlichsten Hindernisse überwunden gewesen, die sich der Einbeziehung des Films in das Aktionsbereich der Volksbühne entgegengestellt hätten. Bei der Unwilligkeit der Leitung, neue Dinge zu wagen, ist es aber mehr als verständlich, daß die Aussicht, ein Kinounternehmen könnte, zumal in der ersten Zeit seines Bestehens, Mühe und sogar Verluste verursachen, herrliche Ausreden liefert. Damit scheidet also vorläufig die nächste Chance aus, eine Volksfilmbühne mit der Hilfe und aus dem Wesen der dazu zunächst geeigneten Organisation zu schaffen. Doch könnte ja diese Chance eines Tages, wenn sich die Verhältnisse und Machtproportionen der Volksbühne verschöben oder veränderten, wieder an Aktualität gewinnen.
Vorerst wird man indes gut tun, diese Möglichkeiten auszuschalten und zuzusehen, wie dem Übel der augenblicklichen deutschen Filmproduktion und der damit besonders in letzter Zeit verbundenen offensichtlichen Korruption Einhalt geboten werden könnte.
Wir haben erkennen gelernt, daß die herrschende Klasse die größte Möglichkeit hat und ausnutzt, Propaganda für ihre Tendenzen durch den Film zu treiben. Die verschiedenen, in jüngster Zeit aufgedeckten Geldadern, die die Mühle der reaktionären Filmproduktion treiben, sind Beweis. Der Potemkin-Film hingegen schien, an dem entgegengesetzten Flügel des politischen Horizontes, Beweis für ähnliche Absichten zu liefern. Dieser Beweis aber ist lange nicht mehr stichhaltig. Um nur ein Beispiel zu nennen: der unter einem elend irreführenden »verführerischen«, Pornographie verheißenden Titel (»Bett und Sopha«) aufgeführte, wunderbar tragische und menschlich reine Russenfilm behilft sich ohne Odessa und die Rote Flotte mit einer einzigen, mit primitivsten Mitteln hergestellten Stube. Die unnachahmliche Gesinnung und der Takt der Regisseure und Spieler hat, in der Atmosphäre der Befreiung, die alles in Rußland berührt, ein Werk geschaffen, wie das heutige Kino deren nur wenige besitzt. Fast in allen Fragen des geistigen und sozialen Gebietes können wozu den Russen in die Lehre gehen. Wie enge der Film aber mit dem Leben zusammenhängt, das wir führen und das das Volk angeht, wird erst durch die Russen ganz offenbar.
Zu einem Volksfilm gehören unverdorbene, unkorrumpierbare, unabhängige Menschen, von den ökonomischen Faktoren an, die das Atelier bauen, über die Autoren, Regisseure und Schauspieler, die sich der Sache und nicht ihrer persönlichen Eitelkeit oder Geldgier widmen, bis zu den Beurteilern der fertigen Produktion. Schwer wird es sein, das in seinen Ansprüchen schwankende, verbildete, in seinen Anschauungen irrende Publikum in eine Filmbesserungsanstalt zu führen.
Da es sich nicht um die dreimal raffinierten Snobs handelt, die Nuancen wahrzunehmen verstehen, sondern um das Volk, dessen Instinkt auf den Kern der es angehenden, sein eigenstes Dasein, seine persönlichste Angelegenheit betreffenden Darbietungen gelenkt werden soll – müßte ein Fabelwesen von einem Filmproduzenten gefunden werden, das alle Qualitäten der Gesinnung, der Technik und des Erfolges mit sozialem Verantwortungsgefühl und Kulturwillen in sich vereinte. Diesem Fabelwesen wäre dann Vollmacht über die Volksfilmproduktion zu erteilen, und zugleich müßte dieses Fabelwesen aber auch tüchtig kontrolliert werden!