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Also die Geschichte jener fatalen Wette soll ich Euch erzählen? sprach er und zwirbelte nachdenklich am Schnurrbart, als spänn' er aus seinem rothen Haar sich die Erinnerung lieb und lang und hielte sie fest wie an einem Faden. Und kopfschüttelnd fuhr er fort:
Der böse Bube! Von jenem Tag an nannte ihn Niemand mehr mit seinem Unnamen. Mit Schabernack war's vorüber. Nun hieß er nur mehr der Herr von Schr . . . . . ., Gordian von Schr . . . . . .
Nun, den Namen konnte ihm Niemand nehmen. Er gehörte ihm von Rechts wegen; sein Vater, Groß- und Ururgroßvater hatten ihn in Ehren getragen. Das waren tüchtige Leute gewesen. An ihrem Sohn und Enkel war der Name das Beste. Und blieb's auch. Aber einen Scherznamen gab ihm Niemand mehr; es behagte Niemand mehr, mit diesem Manne zu scherzen.
Vordem freilich, da fand sich bald Jeder dazu bereit, 138 denn er zahlte nicht nur die Kosten der Späße, die man mit ihm anrichtete, sondern auch die Strafen, wenn es auf solche hinauslief. Er war mit allerhand Leuten vertraut und bekannt in der Stadt wie schlechtes Geld.
Ich erinnere mich seiner aus der Zeit, da ich anfing, in die lateinische Schule zu gehen. Da war er in der obersten Gymnasialklasse und hieß nicht anders als der lange Schabernack. Seine Eltern waren damals schon gestorben, und man erzählte sich keine Kleinigkeiten von dem Vermögen, dessen Gebieter er in Kurzem werden würde.
Ich guckte zu ihm hinauf wie zu einem Riesen des Heldenliedes. Er trug einen feineren Rock als die Anderen, hatte das Haar mit Pomade beschmiert und einen Scheitelstrich bis in die Halscravate hinein, und, wenn er einen ansah, da lachte er, ein bischen stolz, ein bischen gutmüthig, als wollte er sagen: wenn Du, Kerl, wüßtest, was wir zu heute Nachmittag für einen Streich vorhaben, so zögest Du die Mütze tief vor mir; aber lieber nichts dergleichen thun!
Als er von der Schule gegangen war, minderte sich meine kindische Bewunderung vor seiner Leibeshöhe und seinem feinen Tuch alsbald in demselben Verhältniß, als ich selber hochschoß und menschenwürdigere Kleider bekam. Auf der Universität spielte Gordian von Schr . . . . . . keine hervorragende Rolle. Auch im Jahre 48 nicht, wo doch so Mancher sich in den Vordergrund drängte, der um andere Zeit nicht wäre bemerkt worden.
Der lange Schabernack sah damals den Dingen so zu wie Einer, der nicht recht weiß, was er damit machen soll. Etwas Kravall und Scandal hätten ihm schon in den Kram gepaßt; aber er stutzte hier, weil er nicht gewiß war, ob 139 derartiges Aufsehen sich für ihn schickte. Er war von Familie. Sein Vater war in hohem Staatsamte gestorben, und der Bruder seiner Mutter war annoch bei lebendigem Leibe Hofmarschall des Herzogs in . . . . . . Der hatte den übermüthigen Neffen wohl rechtzeitig am Aermel gefaßt und ihm die Weisung zugeflüstert: »Mache, was Du für Dummheiten machen willst, nur von aller Politik lasse die Hände. Compromittire Dich, so viel Dir's Vergnügen macht, aber niemals die Familie! Verstanden?«
Gordian verstand das sehr wohl, und die Weisung war ganz nach seinem Geschmack. Er war's zufrieden, wenn gute Kameraden über seine Streiche lachten und er sich dabei nicht langweilte. Die Politik langweilte ihn, die Familie langweilte ihn auch. So kümmerte er sich um jene gar nicht und um diese nicht mehr, als er mußte, lebte standesgemäß, stahl unserem Herrgott den Tag ab und verzehrte die Zinsen seines Vermögens in gemischter Gesellschaft.
Ich verlor ihn ganz aus dem Gesichte, da ich in's Cadettencorps kam. Wie ich dann nach Jahren als Fähndrich in die große Welt eintrat, war Schabernack freilich eine der ersten Gestalten, die sich mir aufdrängten, – beinahe hätte ich gesagt, die meine Interesse gefangen nahmen.
Ich will mich nicht besser machen, als ich bin, geschweige gar, als ich damals war. Wie die meisten, die eines schönen Tages aus strenger Zucht frei in die Welt entlassen werden, so platzte auch ich hinaus, gierig nach allem Genuß, kaum zu halten, die Kräfte, die sich strotzend in mir regten, auf allerhand gewagte Proben zu stellen, neugierig nach Mustern, die einem ein Beispiel geben mochten, 140 wie man es anfängt, seines bislang gequälten frischen Lebens endlich und empfindlich froh zu werden. Nun denn, an Gordian von Schr . . . . . meinte ich bald solch einen exemplarischen Lebensvirtuosen gefunden zu haben.
Er stand damals im Mittelpunkt unserer jeunesse dorée. Hier muß ich nun freilich bemerken, daß, was man in unserer Residenzstadt »goldene Jugend« zu nennen pflegte, nicht immer auch jung an Jahren genannt zu werden verdiente. Und was die Vergoldung anbelangt, na, die hätte wohl auch nicht an Jedem vor dem rechten Probestein sich bewährt. Nicht zum geringsten Theile waren es ältere Lebemänner, die entweder aus der Fremde gekommen waren oder sich doch lang im Auslande umgetrieben hatten und in unseren kleinstädtischen Verhältnissen nicht ohne Mühe ihre importirten Gewohnheiten, dazu einen französischen Garkoch, eine englische Reitschule, große Cigarren und kleine Soupers aufrecht erhielten. Um diese feinen Kenner, die mit den Mienen vornehmer Verbannter unser damals noch nichtswürdiges Pflaster traten, schaarten sich als Chorus einige jüngere Leute, meist Offiziere. Sie konnten sich nicht immer lange neben dem alten Stamm halten.
Gordian war damals, wie gesagt, unter den feinen Lebemännern oben auf und führte seinen Trab gar sichtbar und stolz vor der Welt. Es schien auch, als ob er mit Einem und Anderem recht befreundet geworden sei. Kaum aber daß ich selber unter den Leuten, an denen mir grünem Gesellen gar Manches fremd erschien, heimisch zu werden begann, da mußte ich auch schon merken, daß es Gordian nie werden würde. 141
Der lange Schabernack hatte dessen auch kein Hehl. Wenn wir mit einander spazieren fuhren, schimpfte er bald über Diesen bald über Jenen und hatte doch gegen Keinen was vorzubringen, was man ihm selber nicht doppelt hätte heimgeben müssen. Grund war, daß er sich meist mit den Leuten langweilte.
Und diese sich mit ihm. An wem die Schuld lag? Wahrscheinlich an Beiden. Eine Zeitlang lud man sich schandenhalber noch zu bestimmten Gelegenheiten ein. Gordian, der reicher war als irgend Einer und jedenfalls unerschrockener mit seinem väterlichen Erbtheil umging, als man in seinem eigenen Interesse wünschen konnte, that es bei jeder Gelegenheit, wo es auf runde Summen ankam, Anderen zuvor. Auch das verstimmte die Leute, welche im Geld nur ein Umsatzmittel, sich Vergnügen zu kaufen, sahen, nicht ein Ding, das allein loszuwerden schon Freude gewährte. Die Verachtung, welche Gordian seinem Mammon bezeigte, nahm sich allzuauffällig, wie sie war, mehr wie eine Huldigung vor demselben aus. Und wie es oft die Junker und die Lieutenants wegen unzureichender Einkünfte nicht so lange, als sie gern gewünscht hätten, neben jenen gewiegten Lebenskünstlern aushielten, so machte sich Gordian unter denselben unmöglich, weil er zu viel hatte und mit seinem Ueberfluß prahlte, und in Formen wie ein Großknecht auf der Kirchweih.
Und dies Prahlen mit dem Gelde war's nicht allein. Seine ganze Natur und Weise paßte nicht zu jenen Leuten, die theilweise sehr ernsthafte Mienen und sammt und sonders gute Manieren an sich hatten; der Eine und Andere hatte ein Schicksal hinter sich, und Jeder wußte 142 doch ungefähr, was er im Leben sollte und wollte. Gordian tummelte sich mit nicht viel mehr Ueberlegung im Leben herum, als der Stier auf der Weide. Er tollte hierhin und dorthin; was er dabei über den Haufen rannte, war ihm vollkommen gleichgiltig und nicht des Umsehens werth. Er schlug um sich und brüllte, – das Brüllen war durchaus nicht Nebensache, – und wer ihm unbegreiflicher Weise zumuthete vor- oder nachher auch etwas zu überlegen, zu bedenken, der verdarb ihm den ganzen Spaß.
Er war in der Nähe betrachtet, garnicht bösartig von Natur, aber gedankenlos und ungezügelt, und allerdings richtete er in seiner Gedankenlosigkeit Anderen und sich selbst schlimmere Dinge an, als es Einer mit ruchloser Ueberlegung leicht gewagt hätte.
In jeder Gesellschaft, wo es nur halbwegs nach bestimmten Ehr- und Anstandsbegriffen regelmäßig herging, hielt es Gordian von Schr . . . . auf die Dauer nicht aus.
So hatte sich allgemach ein wunderlicher Troß halbverdorbener Kumpane um ihn gefunden, die durch ihren unzweideutigen Ruf vollkommen zu Grunde richteten, was an dem seinigen durch eigene Führung noch haltbar geblieben war. Ein kleiner Schauspieler, ein paar Weinreisende, ein ausrangirter Hauptmann, ein Advokat ohne Clienten und noch dunklere Existenzen bildeten seinen Anhang. Mit diesem war ihm wohl. Mit diesem zog er in Schenken und Spelunken herum, lärmte, tobte, stänkerte und machte die dümmsten Streiche und bildete sich was Rechtes ein, und daß er der König dieser Garde sei, wenn er für Alle bezahlte. 143
Von seinen jetzigen Gesellen nahm ihm das freilich keiner übel.
Gordian und seine Bande genossen eine Anerkennung in der Stadt, um die sie Niemand zu beneiden brauchte. Besonders unter den braven Bürgersleuten waren sie übel angeschrieben. Unter den »oberen Eintausend« war nur bei außerordentlichen Gelegenheiten von ihnen die Rede, wenn sie etwas Besonderes angerichtet hatten; sonst pflegte man sich um derlei, als etwas, das »außerhalb der guten Gesellschaft« vorging, so wenig wie möglich zu kümmern. Gordian gehörte freilich noch zur »Gesellschaft«. Er erinnerte sich dessen auch zuweilen. Und immer, wenn er wußte, daß eine recht abscheuliche oder ungeschlachte Aufführung von ihm ruchbar geworden war, machte es ihm ein besonderes Vergnügen, seinen schwarzen oder blauen Frack anzuziehen, sich einen frischen Scheitel bis in's Genick und eine tadellose weiße Binde um den Hals legen zu lassen und sich in verschiedenen Salons die verblüfften oder verdrossenen Gesichter verschiedener Mütter zu betrachten, wenn er ihren Töchtern guten Abend zu wünschen antrat.
Mein Gott, was wollte man machen? Im Salon war Gordian der Sohn seines seligen Herrn Vaters und, was noch mehr bedeutete, der Neffe des wirklichen Hofmarschalls des Herzogs in . . . . . . Man konnte ihm nicht nachsagen, daß er falsche Wechsel unterschrieben oder (es wäre denn zum Spaß einmal) silberne Löffel gestohlen, daß er seine Spielschulden nicht pünktlich binnen vierundzwanzig Stunden bezahlt oder eine Herausforderung abgelehnt hätte. Er pflegte schlechte Gewohnheiten und schlechte 144 Gesellschaft . . . schon gut, aber die ließ er mit Pelz und Ueberschuhen vor der Thüre. Im Salon trug Gordian einen tadellosen Frack und hinten auf dem linken Frackschoß über der Hüfte die zwei goldenen Knöpfchen, welche der staunenden Welt die Würde eines Kammerjunkers leuchtend verkündigten. Er machte von den Rechten dieser Würde lange schon keinen Gebrauch mehr, aber er hatte sie doch. Die Knöpfchen trennte ihm Keiner von den Schößen, und so lange er den Frack am Leibe und diese Knöpfchen über der Hüfte hatte, gehörte er unbestritten noch zur guten Gesellschaft. Er hatte dieser Duldung gegenüber die Rücksicht, sie so selten wie möglich auf die Probe zu stellen. Seit Jahr und Tag war er garnicht mehr »unter anständigen Leuten« erschienen. Die Schadenfreude, langweilige Mütter verblüffte Gesichter schneiden zu sehen, war abgenutzt. Mit den zimperlichen Backfischen zu plaudern, war ihm ohnehin immer gemäßigte Erholung gewesen und freute ihn nun längst gar nicht mehr. Er wußte nicht, was so einem Ding in weißem Tüll und Mousselin zu sagen sei. Mit ihnen sich nach der Musik im Kreise drehen? Oho! Gordian tanzte längst nicht mehr, – als etwa auf Kirmessen und in Schenken und draußen auf der Praterinsel, wo es nach Mitternacht zum regelmäßigen Hinauswerfen kam, man wußte nicht wie.
Er tanzte nur mehr zum Schabernack. Er war über die grünen Jahre hinaus. Auf seiner Stirn lichteten sich schon die Haare. Er meinte wunderweise und nicht ohne gebietende Ehrfurcht zu sein, da er seinen Kumpanen mittheilte, daß er nun in den Dreißigern wäre. Wenn er in's Leben zurücksah, fand er nichts als ein bischen Lärm 145 und Unsinn, nicht der Rede werth, womit er seine Zeit verbracht, nichts Besseres, als daß er darum sich hätte schämen sollen; allein er sah nicht zurück. Nicht zurück und nicht voraus, er glotzte, sozusagen, in Dunkel und armseliger Zufriedenheit vor sich hin, ohne überhaupt etwas zu sehen, und bildete sich viel ein – auf seinen Vater, auf seinen Oheim, auf sein vieles Geld, auf seine dummen Streiche . . . kein Mensch begriff eigentlich recht, worauf; aber er war's von Klein auf gewöhnt, sich was einzubilden. Und blieb dabei.
So war er nach und nach mitten in seinem Lotterleben verschollen. Um Aufsehen zu machen, war er zu alt und zu träge geworden. Die sonst so beliebten Späße waren abgenutzt. Seine Spießgesellen hatten um ihn gewechselt, aber waren nicht besser geworden. Man hörte nicht viel mehr von dem langen Schabernack. Man wußte wohl noch, daß er zur Winterszeit in der Stadt seinen Umtrieb habe; aber es kümmerte sich Niemand mehr um ihn, und sah man ihn zufällig einmal irgendwo, so sagte man: »Ach Herrje, der Herr von Schr . . . . .!« nickte und ging vorüber. Das war Alles.
Ich dachte längst nicht mehr daran, daß der Mann aus der Welt wäre, an den ich mich in tolldreister Unerfahrenheit des ersten Ausflugs etliche Wochen lang angeschlossen hatte. Die Erinnerung an jene Wochen war wüst und undeutlich; ich hatte von jenen Freuden, von jener Bekanntschaft keinen gesunden Gedanken heimgebracht, ich hatte an der ganzen Erscheinung Gordians kein dauerndes Interesse nehmen können. Wie ich schon neulich einmal Euch gesagt, ich habe mich immer nur in anständiger Gesellschaft behaglich gefunden. 146
Und gar in jenem Winter, von welchem ich jetzt erzählen will. Damals hing der Himmel voller Geigen. Ich war eben Lieutenant geworden, und der Glanz, der von meiner silbernen Borte und von meinen funkelnagelneuen Epauletten ausging, gab allen Dingen und Menschen in meiner Umgebung einen zauberischen Schein und verblendete mich ein klein wenig. Aber zu Niemandes Schaden!
Die große Angelegenheit jenes Jahres waren die neu aufgekommenen Offiziersbälle. Man hatte mich in's Comité gewählt, und ich war mit dem ganzen Zündstoff, den ein junger Lieutenant in sich trägt, Feuer und Flamme für die Sache.
Und fiel auch Alles prachtvoll aus. In der ganzen Stadt war etliche Wochen von nichts Anderem die Rede, wie von unseren Bällen. Ich hätte mich wenigstens in diesem Glauben köpfen lassen. Und in der That, jene Zeit war sehr harmlos, und ein schönes Vergnügen fand allgemeinen Anklang.
Wie viel Françaisen habe ich damals commandirt, wie viel Cotillons angeführt, wie viel Ballschleifen und papierne Orden erhalten! Ihre Zahl ist Legion.
Ihr unterbrecht mich . . . . Ihr wollt von den Damen jener Zeit hören . . . . Ich wäre auch ohne Eure Interpellation auf die Damen gekommen.
Der Stern jener Epoche, der Alles überstrahlte, was in seine Nähe kam, ein Muster von Schönheit und Liebreiz, ein Wesen, dessengleichen ich selten im Leben wiedergefunden habe, war eine Miß Howard. Vielleicht daß der Glanz der Jugendzeit dieser holdseligen Erscheinung an 147 Zauber noch mehr beilegt, als sie in der That besessen hat . . . wir Männer sehen ja ohnehin weibliche Schönheit selten mit ganz unverschleiertem Auge . . . aber sicher ist und bleibt bestehen, die Amerikanerin war eines jener Wunder der Erscheinung, die auf den ersten Blick überraschen, und deren Reiz sich auf die Dauer Niemand entziehen kann, auch Menschen von gröberen Sinnen und schläfrigen Herzen nicht. Geschweige gar ein junger Fant, wie ich, der über seinem unruhigen Brustkasten eine neue Lieutenantsuniform zuknöpft.
Ich war durchaus nicht in die schöne Miß verliebt! Nein, wirklich nicht! Darin irrt Ihr Euch! Ihr könnt mir's auf mein Wort glauben. Meine Bewunderung war unparteiisch und unbestochen. Alle Welt theilte sie. Wie soll ich Euch nur Ophelia Howard beschreiben! Aber hat nicht Jeder von Euch irgendwann und irgendwo in seinem Leben eine schlanke holdselige Amerikanerin oder Engländerin an sich vorübergehen lassen, an die er durch Erwähnung meiner Miß bereits erinnert worden ist? Nun denn, so denkt Euch das Lieblichste, was Ihr je gesehen habt, ein schlankes wohlgebautes Mädchen, gewachsen wie eine Blume, mit schwebendem Gang und sinniger Kopfhaltung, ein Profil, so rein geschnitten wie eine Kamee, Augen wie ein junges Reh, das aus dem Walde gegen den anbrechenden Morgen lauscht, und über sanft abfallenden Schultern dichte, hellbraune, in wenige große Locken sich rollende Haare . . . Wie viele Herzen hingen, ach, in diesen Haaren! . . .
Ihr seid unartig Volk mit Euren ewigen Unterbrechungen! Wohl habt Ihr Recht, wenn Ihr sagt, die Töchter Albions 148 hätten bei aller Schönheit meist zu große Füße und zu lange Hände; ihre schlanken Gestalten bewegten sich steif dahin und ihre tadellosen Profile nähmen von der Nasenwurzel eine Farbe an, die röther sei als selbst erröthende Wangen.
Laßt doch das! Hier war von alledem nicht die Rede. Ophelia Howard war auch nicht Albions Tochter, sondern Erins. Seid Ihr damit geschlagen? Ich denke.
Aus Irland waren ihre Großeltern nach Amerika gewandert . . . wann? daß weiß ich nicht mehr. Erzählt hat sie mir's oft, aber ich überhörte Manches, wenn ich ihr dabei in die Augen sah oder die schmiegsame Taille walzend im Arm hielt. Im vorigen Jahrhundert wahrscheinlich. Was thut's zur Sache!
Wer ihre Eltern eigentlich waren? . . . Was weiß ich! Amerikaner! das sagt Alles. Wenigstens genug für unsere Verhältnisse. Sie kamen eines schönen Tages an: ein stattlicher Papa, eine wohlbeleibte Mama und zwei wunderbare Töchter, von denen aller Ordnung zum Trotz die älteste Cordelia und die jüngste Ophelia hieß, eine schöner als die andere und eine so lieb und gut wie die andere. Sie stiegen im ersten Gasthof ab, sie wohnten in den besten Zimmern desselben, lebten breit und bequem, vornehm aber still, ohne Prunksucht und Verschwendung. Der Gesandte der Vereinigten Staaten führte sie in die Gesellschaft ein, derselbe Gesandte präsentirte sie bei Hofe. Der Hof lud sie zu seinen großen Festen. Und damit war Alles gesagt.
Man kann die Sitte tadeln und bespötteln, daß ein Eingeborner, mancher und großer Verdienste zum Trotz, 149 nicht zu den Festen seines Monarchen gezogen wird, wenn er nicht so und so viele Vorgänger aufweisen kann, die dieser Bevorzugung auch schon gewürdigt worden sind, während der erste beste Fremde, der unsere Muttersprache nicht einmal versteht, ohne Mühe sich jene wohlbehüteten Flügelthüren öffnen lassen kann, welche zu den Tanz- und Speisesälen unserer Landesväter führen, gleichviel ob derselbe für unser Land je einen nützlichen oder auch nur wohlwollenden Gedanken empfunden hat, gleichviel ob er Ahnen oder nur Vorfahren hat, gleichviel, ob er selber vordem jenseits des Oceans seines Lebens Unterhalt und die Balltoiletten seiner Frau durch Bügeln geschwärzter Hasenbälge oder durch Prügeln schwarzgeborner Menschenbrüder erworben hat. Das ist nun einmal so. Und wer zu Hofe geht, gehört zur auserlesenen Gesellschaft der Residenz. Und weil Howards zu Hofe gingen, gehörten auch sie unbestritten und ohne weitere Legitimation zu dieser Gesellschaft und wurden überall geladen, wo die feine Gesellschaft gesehen wurde, und dieselben Leute sahen sich auch bei Howards, und Alle waren mit einander sehr zufrieden.
Ich will mit der Erklärung ihres Erscheinens bei Hofe durchaus nicht gesagt haben, daß im Wesen oder Gebaren der Familie irgend Etwas gefunden worden wäre, was auf schlechte Gewohnheiten oder niedere Herkunft derselben hätte schließen lassen. Ganz im Gegentheil! Sie machten so recht den Eindruck altangesessener Landedelleute. Schlicht, aber zuverlässig, prunklos, aber von solider, massiver Wohlhabenheit, fremd in unseren Sitten, aber von geradem Sinn und ehrwürdigen Grundsätzen.
Wir sahen nun freilich Alles an ihnen in 150 rosenfarbenem Lichte, denn der Glanz, der von der Schönheit ausging war zu mächtig, um unserer Beobachtung zur Untersuchung gleichgiltiger Nebensachen Zeit und Ruhe zu lassen. Ich bin überzeugt, wenn Einer von uns es verbrieft und besiegelt gefunden hätte, daß Cordelia und Ophelia die directen Nachkommen von gerichtsbekannten Metzgern oder Straßenfegern wären, er hätte sich wohl gehütet, dies Geheimniß verlauten zu lassen, aus Furcht, diese herrlichen Ballköniginnen zu entthronen und die schönsten Zierden dieses Winters aus unserer eigenen Freude zu verbannen. Indessen nahmen wir's in gutem Glauben hin, daß ihr Urgroßvater der jüngere Sohn eines irischen Lords gewesen sei, der daheim für seinen Ehrgeiz zu wenig Raum und für seine Bedürfnisse nicht genug Vermögen behalten und darum in Amerika Beides gesucht und gefunden habe.
Ihre Lebensweise, sowie gelegentliche Fragen an den Hofbanquier der Residenz, bei welchem die Familie breit und sicher accreditirt war, genügten, um über die Vermögensverhältnisse der Howards auch Zweifelhafte zu beruhigen. Und wenn sie nicht von altem Adel waren, so hatten diese in der Wolle gefärbten Republikaner – wie gewöhnlich – eine so ausgesprochene Passion, nur mit Vornehmen und Betitelten zu verkehren, daß sie mit Bürgerlichen in der Stadt so gut wie gar keine Beziehungen angeknüpft hatten und die Töchter auch auf öffentlichen Bällen fast nur mit Cavalieren tanzten, die ihnen bei Hofe vorgestellt worden waren.
Wer wie ich zu diesen Auserwählten gehörte, dem war das gerade recht; die Mädchen selbst verstanden es vortrefflich, den Nimbus vornehmer Abgeschlossenheit, in dem sich die Eingeweihten so behaglich fühlen, um sich 151 festzuhalten. Das wurde respectirt. Die feinste Blüthe alter Aristokratie behandelte sie wie ihres Gleichen. Die Fürstin E., die Prinzessin R. bedachten sich keinen Augenblick, eine Miß Howard als vis-à-vis in einer Quadrille zu begrüßen.
Jeder Tänzer, den die Howards auszeichneten, fühlte sich wie von einer Königin beglückt . . . Freilich gehörte ich zu den Ausgezeichneten. Ich war ein guter Tänzer. Aber, wie schon gesagt, ich war in keine der beiden Schönheiten verliebt und machte auch selbstverständlich keiner der Beiden den Hof. Ich hätte das, wenn ich gemocht, nicht gewagt. Ich war damals noch jung und ein einfacher Unterlieutenant, ich hatte noch unnahbare Ideale, Sterne, die man vergötterte, aber nicht begehrte, und wagte keinen Augenblick zu zweifeln, daß solche Göttinnen einen bedeutenderen und hochmögenderen Sterblichen als mich unbärtigen Gardisten zu beglücken, diese niedere Erde beschritten hätten.
Es dachten nicht alle meine Kameraden so bescheiden oder so vorsichtig wie meine Wenigkeit. Da war z. B. der damalige Oberlieutenant in meiner Compagnie, unser guter Baron Pfetten. Der war nach und nach von der Hochachtung in die Bewunderung und aus der Bewunderung in die Anbetung und aus der immer wachsenden Anbetung in eine still wüthende leidenschaftliche Liebe gediehen, in der er den Namen Ophelia Howard zwar nicht mehr über die Zähne brachte, aber was in dem streng verschlossenen braven Kerl vorging, war doch für mich so deutlich, daß ich oft fürchtete, die verhaltene Gluth und Liebe müßte ihm die Knöpfe am Koller sprengen und das hausse-col unter dem Kragen schmelzen. Ich kannte den Wackeren gut und in seinem »haarigen Herzen« mußte es toll brennen.152
Wie dem nun sei, Guido von Pfetten war bei aller Minnenoth und Wuth nicht der Bursche dazu, sich leichtfertig eine Blöße zu geben oder vorzeitig einen Korb zu holen.
Ich hätte zwar damals nicht geglaubt, daß mein Oberlieutenant sich bei Ophelia einen Korb geholt hätte. Denn wenn unser guter Pfetten auch nicht mit Worten sprach und sich im ganzen Gehaben so gemessen und zurückhaltend wie Einer zu führen wähnte, ich blieb nicht der Einzige, der ihm seine Neigung für die schöne Fremde abmerkte, und diese selber war gewiß eben so klug wie wir.
»Sei rauh und hart, und zeig' dich kalt wie Eis,
Verbirg dein Herz in Worten und in Thaten,
Eins machst du einem Weibe niemals weiß –
Daß du sie liebst, wird dennoch sie errathen!«
So lautet ein schöner Spruch Friedrich Halm's; er bewährte sich auch hier. Und ich will mich heute noch hängen lassen, wenn Miß Howard nur um Guido's Liebe wußte und sie nicht auch theilte.
Freilich, sie war wohl aus fremdem und kälterem Stoff als unser Freund. Wer wenig empfindet, hat es leicht, sich zu beherrschen. Aber sie gab sich gar keine Mühe, ihm sonderlich zu verhehlen, daß er ihr lieber sei als alle Anderen. Sie zeichnete ihn mit artiger Naivetät vor Jedem aus. Daß Niemand anders als Guido von Pfetten sie um den Cotillon ansprach, verstand sich unter uns mit der schweigsamen Freimaurerei der guten Gesellschaft bereits von selbst, und wo man die Beiden just einmal beobachtete, wenn sie sich in die Augen schauten 153 und ihre Blicke, aller Selbstbeherrschung und Naivetät zum Trotz, nur mühsam auseinander konnten, so zweifelte man nicht, daß hier ein süßes Geheimniß im Werden begriffen sei, von dem der Zuschauer schon jetzt mehr zu wissen meinte, als annoch die beiden zunächst Betheiligten.
Sie war ihm gut, das sah Jeder, der Augen hatte. Warum er selber es nicht sah, oder wenn er es sah, warum er sich nicht mit deutlichem Worte herauswagte, . . . Je nun, er war von der stillen, überlegten Art. Er meinte es ernsthaft; kein Zweifel! Zu ernsthaft vielleicht. Er wollte sich und die Geliebte noch eine Weile prüfen, ehe er daran ging, sich in seiner biederen Weise für's lange Leben zu binden, und sich selber gewiß auf's Strengste prüfen.
Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß Pfetten vor etlichen und zwanzig Jahren trotz seiner gestrengen Sitten und stolzen Haltung ein flotter und strammer Offizier war, ein guter Kamerad und ein hübscher Kerl, der den Weibsleuten in die Augen stach.
Wir Zwei hielten rechtschaffen Freundschaft mit einander; aber es kam mir als dem jüngeren Menschen und niedrigeren in der Charge nicht zu, den verschlossenen Kameraden aufzuknöpfen und sein Herz, das sich im Schweigen übte, zum Reden zu verführen. Jeder von uns achtete auf Bällen und Routs, im Verkehr mit den Howards Pfetten's stillschweigend anerkannte bessere Rechte; eine spöttische Anspielung habe ich nie gehört; Guido wäre nicht der Mann gewesen, eine solche zu dulden, und das Offiziercorps unseres Leibregiments hielt auf seine Sitten.
Die Meisten von uns betrachteten Guido als den Verlobten der schönen Miß. War er's heute noch nicht, so 154 würde er's morgen oder übermorgen werden. Daran zweifelte Niemand, und Jeder fand es ganz in der Ordnung.
Ich weiß es noch wie heute. Es war auf dem dritten Offiziersball der Saison. Wenn ich jemals an der Liebe meines wackeren Oberlieutenants gezweifelt hätte, in jener Nacht wäre auch ein weniger aufmerksamer Beobachter, als ich, aus diesem stummen Spiel und so beredten Blicken klug genug geworden.
Wir hatten viel neben einander zu schaffen. Und wenn ich so, um nur Etwas zu sagen, ein Wort fallen ließ, wie etwa: »bist Du mit meinem Arrangement zufrieden?« oder »ein schönes Fest? ein gelegener Abend? was?« so sprach er zwar heute so wenig wie sonst, aber er drückte mir die Hand wie ein Schraubstock oder er faßte mich unter den Arm, daß ich für den andern Tag fünf blaue Flecken erwarten durfte, wo sich die Finger seiner Rechten mir zu vertraulicher Berührung genähert hatten.
Es hat so Jeder seine Art, sich mitzutheilen, und ich gestehe, mich rührte diese mehr, als es ein Schwall verhimmelnder Worte und schwärmerischer Seufzer gethan hätte.
Ophelia mußte sehr lieb und herzlich gewesen sein gegen den stillen Anbeter. Sie war gegen uns Tänzer alle von einer erhöhten Liebenswürdigkeit. Auch in ihr schien endlich fühlbar das wohlthätige Geheimniß aufzublühen und all ihr Thun und Lassen mit gesteigertem Liebreiz zu erfüllen. Hatte ich sie bislang wie eine tadellose Marmorstatue bewundert, so erschien mir heute die Statue wie von rosigem Leben durchglüht und durch den Zauber der Liebe zu holder Bewegung begeistert. 155
Mir selber ward von all dem Zauber etwas wirblicht in Haupt und Herzen, und es fehlte nicht viel, so hätt' ich in der erhöhten Stimmung des gelungenen Festes, aller Zurückhaltung und Subordination zum Trotz, dem lieben Freunde biederen Glückwunsch zugeraunt.
Es war spät nach Mitternacht. Der Ball war zu Ende, die Musik verstummt, der Saal fast leer, unsere Tänzerinnen nach Hause gefahren. Alle Welt zufrieden, bis auf die Durstigen, – und wer ist in unserem lieben Lande nicht durstig, – die wollten noch ein klein üblich Nachspiel haben und fanden es wie billig und wie immer.
Wer Lungen und Beine unerschrocken und unermüdlich angestrengt hatte wie wir, der hatte sich ein gutes Recht verdient auf einen erquickenden Schlaftrunk und ein nachkostendes Geplauder mit guten Freunden.
In den unteren Räumen des palastartigen Gebäudes war für all das auf's Reichlichste gesorgt.
Je mehr droben sich der Schwarm verlief, desto dichter sammelten sich hier unten in der weiten Halle die Tänzer an langen Tischen, bis endlich droben keine Menschenseele mehr im dunklen Saale zu finden, dagegen unten kein Stuhl und kein Becher mehr frei war. Da saßen sie in langen Reihen, die Unverwüstlichen, und letzten ihre ausgedörrten Gaumen. Scherz und Behagen walteten im tiefen Raume, und wer eintrat, der hörte von all den redenden Stimmen ein Brausen wie im Gang einer Mühle. Er verstand vorab kein Wort aus dem Durcheinander, aber daß sie sich meist nur Freundliches zu erzählen hatten, daran kam auch kein Zweifel auf. Die Hände winkten, die Häupter nickten, hier ward ein Glas gehoben, dort ein 156 Stuhl gerückt, da ein Freund gewiesen, Zuruf und artige Neckerei erscholl von hüben und drüben und über all den erhitzten, jugendlichen Häuptern zog in sanftverschwebenden Wölkchen reichlicher Tabacksqualm um die trüber blinkenden Lampen.
Da saß man selber endlich und that Bescheid, und ließ sich ein Stücklein vom heutigen Ball aufmuzen und gab's mit gleicher Münze zurück, und Alles lachte. Hier ein Trinkspruch, dort eine Anekdote; man hält einen immer wieder zurück, der zu früh nach Hause will; man begrüßt einen Nachtschwärmer, der in der Stadt »überall die Laden zu« gefunden und, obschon er auf dem Tanzboden kein Bein geschwungen, doch hier unten der Gelegenheit froh wird, noch immer Eins vor dem Schlafengehn zu trinken.
Neben mir saß Guido von Pfetten. Er war nicht gern geblieben und, wie er sagte, nur meinethalben, weil wir Nachbarn waren. Nachdem noch vor Kurzem sich Lust und Liebe so deutlich in all seinen Bewegungen ausgedrückt hatten, saß er jetzt still und in sich gekehrt und regte sich kaum und sprach nicht und sah nur ab und zu den Plaudernden auf den Mund, so daß man nicht zweifeln konnte, er sei wach und vielleicht aufmerksam. Er streckte die Beine lang von sich und zog ab und zu den Mantel, der ihm entgleiten wollte, fester über die Epauletten herauf, obwohl es in der Halle, wo die vielen Menschen zechten, eher zu heiß als zu kühl war. Aber Niemand beredete Guido; man ließ ihm gern seine Weise und heute lieber denn je. Jeder nahm unwillkürlich Rücksicht auf ihn; er erschien uns Freunden wie Einer, den das Glück heute mit segnender Hand berührt und also geheiligt hatte. 157
Wir saßen in guter Gesellschaft, Offiziere und Civilisten, aber lauter bekannte und wackere Leute. Aufgeregt im besten Sinne, wie wir waren, fanden wir's lieblich, trotz der Morgenstunde am Orte zu verweilen.
Guido mahnte mehr als einmal zum Aufbruch. Ich weigerte mich hartnäckig und, ob es ihm schon wider Gewohnheit und Laune ging, heute gab er mir nach, ich glaube, weil er wirklich lieber mit mir, dem feinfühligen Freunde, als mit irgend einem Anderen nach Hause wandeln wollte, der, weniger zurückhaltend, leicht eine harmlose Frage gewagt hätte, auf die es keine Antwort gab.
Uns Beiden gegenüber saß ein Vetter Guido's, ein zwanzigjähriger Student der Rechte, dem Lebenslust und Uebermuth aus beiden Augen strahlten. Er hatte in seinen Charaktereigenschaften viel Aehnlichkeit mit dem Oberlieutenant, nur war in der Mischung seines leichten Blutes ein anderes Ganzes daraus geworden. Sie ähnelten sich wie die Dur- der Molltonart. Es waren dieselben Züge, nur bei dem einen Bilde hell und froh, beim anderen dunkel und streng bemalt. Ich habe nie einen Menschen gesehen, dessen Antlitz sich beim Sprechen so bewegte und veränderte. Er sprach gern und gut. Heute Nacht am lustigen Tisch hielt er sein Licht schon gar nicht unter den Scheffel. Wir hörten ihm zu und lachten.
Auf einmal ward er still, nahm keinen Theil mehr am Gespräch, das er bislang geführt, und während es den Anderen wohl nicht auffiel, sah ich ihn sein Taschenbüchlein ziehen. Er schob's aber gleich wieder in die Brustfalte seines Bratenrockes zurück, sah seinen Vetter an und griff nach seinem Glase. Der hatte deß keine Acht; des 158 Studenten Hand brachte das Glas nicht zum Mund und das Täschchen wieder aus dem Frack. Er nahm eine Visitenkarte und schrieb mit raschem Stift etliche Zeilen darauf, die er sich vorher zurecht gedacht haben mußte. Dann drehte er ein Röllchen aus seiner Karte und warf es lächelnd dem Oberlieutenant über den Tisch zu.
Ich dachte mir nichts Arges, als ich, Schulter an Schulter neben Guido dasitzend, ihm auf die Hand sah, die das Kärtchen entrollte, und also, ohne es zu wollen, die improvisirten Verse las.
»Ich möcht' mit Dir trinken und weiß wohl auf was;
Nur lagern um's Wie sich bedenkliche Schranken.
So heb' ich denn schweigend mein randvoll Glas
Und grüße – Deinen Gedanken!
Thu' Du nur Bescheid mir im nämlichen Sinn;
Du weißt ja, wem ich zu eigen bin.«
Was Guido Jedem in Prosa zu sagen verargt hätte, that's ihm also gegeben herzlich an. Die Vettern sahen sich Aug' in Auge, und jeder faßte nach seinem Glase. Mein braver Pfetten war dabei purpurroth im Gesichte.
Ich meinte gut zu thun, wenn ich die plötzliche Erregung des Freundes irgendwie bemäntelte oder ihr irgend einen offenbaren Grund zu geben mich anschickte. Wovon das Herz voll ist, geht der Mund über. Ich sprang in die Höhe und rief: »Meine Herren, noch einen guten Trunk zu guter letzt: Unsere Tänzerinnen sollen leben! meine Herren, evviva die Damen!«
Ich weiß nicht, von wem jetzt, während es sich brausend an allen Tischen regte, der laute Gegenruf erscholl: »Was da, nennt doch das Ding beim rechten Namen! 159 Die Damen hoch, doch vor Allem die Königin des Festes, Ophelia Howard, das schönste Mädchen in der Stadt, Ophelia Howard lebe hoch!«
Ich glaube schon gesagt zu haben, daß wir uns dem Sonnenaufgang näher als dem Sonnenuntergang befanden, in einer Stunde, in einer Stimmung, wo gewagte Worte leichter passiren und Unerhörtes plausibel gefunden wird.
Immerhin ward ich beim Hören des gefeierten Namens, um des Freundes willen, so betroffen, daß ich schon damals nicht zu sagen gewußt hätte, ob der Ruf von unserer Tafelrunde oder von einer anderen ausgebracht worden. Ich schob eiligst meine Hand unter den Arm des Kameraden, weil ich fürchtete, er könnte aufbrausen und dem Vorlauten eine Zurechtweisung ertheilen. Doch das war mehr nach meiner als nach seiner Natur gedacht. Er beherrschte sich jetzt wie immer, er schien sogar eine stille Freude daran zu haben, den allwärts erklingenden Gläsern Bescheid zu thun. Und also ward auch ich aller Sorge los und reckte mein Glas mit Armeslänge hoch und rief mit der bekannten Stimme, die in der echellonirten Bataillonslinie der äußerste Flügelmann so gut wie der nächste Adjutant versteht: »Vivat Ophelia Howard!«
Hei, Zuruf und Gläserklang! Der Boden erschütterte, wie Alles sich von den Sitzen erhob, Stühle fielen um, Sporen klirrten, Säbelscheiden rasselten, Scherben splitterten, und dröhnend klang der begeisterte Ruf in der Bogenwölbung auf und nieder: Ophelia Howard lebe hoch!
»Meinethalben! Sie lebe!« sagte lustig eine starke, halbheisere Stimme, den Tumult von obenher überschreiend. Oben an der Thüre, über den Stufen, stand eine hohe 160 Gestalt in einem breit ausgeschlagenen Biberpelze, die Zipfel eines weißseidenen Halstuches, das lose unter'm Kinn hing, klebten an dem naßgeschneiten Kragen, ein Claquehut saß schief auf dem Haupte.
»Ach Herr Je, der Herr von Schr . . . . . .!« sagten ihrer Etliche, die des Mannes auf der Treppe ansichtig wurden. Wer anders mochte um diese Morgenstunde noch ein Trinkgelage suchen.
Gordian schritt langsam, fast gravitätisch, die etlichen Stufen herab. Ihm folgte taumelnd wie ein von Wein oder Schlaf Trunkener der junge Schauspieler, der den langen Schabernack alleweile begleitete, und hinter diesem kamen noch ein paar grasgrüne Kumpane herein, deren Bekanntschaft ich noch nicht gemacht hatte. Sie sahen wie wohlhabender Eltern liederliche Kinder aus.
Einem derselben warf Gordian seinen Pelz zu, nicht viel anders, als hätte er einen Lakaien hinter sich. Das weiße Halstuch behielt er um die Schultern und, den Hut auf dem Kopfe, trat er geradewegs auf unsern Tisch zu, gewiß in keiner bestimmten Absicht, sondern weil er hier eben die meisten Bekannten sah. Keine genauen Bekannten, Bekannte aus früherer Zeit wohl, aber bei ihm war nicht viel Federlesens und, um die Nacht zum Tage zu machen, gab's weder Bedenken noch Umstände.
Es war still geworden in der Halle, und Viele sahen sich nach dem langen Schabernack um, der jetzt das Haupt lüftete und uns begrüßte. Man mag sagen, was man will, wer einmal Lebensart gelernt hat, der wird sie niemals ganz los. Wer Gordian nie zuvor gekannt hätte, mußte in diesem, gewiß nicht günstigen Augenblicke doch sagen: 161 der Mann ist guter Leute Kind gewesen, seine Geberden, seine Erscheinung haben den unzerstörbaren Charakter seiner Erziehung. Wer dann näher zuhörte, freilich . . . .!
»Nun also, meine Herren: sie lebe!« sprach er dreist und froh. »Wenn Sie mir aber nicht zu trinken eingießen, kann ich in den allgemeinen Jubel nicht einstimmen . . . à la bonneheure! Danke! . . . .«
Er hob den vollen Becher, zwinkerte das rechte Auge zu, während das linke das runde Gläschen fallen ließ, und trank.
Dann klemmte er sich das Glas wieder in die Augenhöhle und sprach: »Apropos! Auf wessen Wohl haben wir denn eigentlich so herzhaft getrunken?«
Der Chorus, den er sich mitgebracht, fand diese Aeußerung ungemein witzig, von anderer Seite fehlte es nicht an Antwort und Belehrung. Einer überschrie den Andern. Guido zog seinen Mantel über die Epauletten herauf und gab mir mit den Augen einen Wink, daß er's nun genug hätte und heim zu gehen Willens wäre.
Ich aber, den die dummdreiste Behaglichkeit Gordians in Harnisch brachte, jung, aufgeregt und streitsüchtig, wie ich damals war, ich war nun fest entschlossen, dem Menschen die Stirn zu bieten und ihm eine Lehre zu geben, daß er nicht jeder Dame Namen in sein ungewaschen Maul zu nehmen habe.
Die Gelegenheit dazu ließ nicht auf sich warten. Aber es wäre besser gewesen, ich hätte sie niemals aufgehoben.
»Laßt mich mit Euren Dithyramben ungeschoren!« rief Gordian und hob die Hände über sein Haupt, auf das von allen Seiten her das Lob der schönen Amerikanerin 162 gepredigt wurde. »Laßt mich zufrieden! Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht eben soviel von den Weibern verstände und Besseres gesehen hätte dieser Art, als Ihr!«
Ein allgemeines Gelächter war die Antwort, die höhnend auf dies Berühmen erscholl.
Aber das paßte ihm gerade. Er wollte reizen und ließ sich darum gern selber aufstacheln.
»Ach, ach!« rief er, »dünkt Euch was Großes, weil Ihr Euch die Zunge aus dem Halse getanzt habt, wie die Jagdhunde – und mit nicht mehr Gewinn als Jene. Ihr hetzt das Wild, daß es müde und mürbe wird. Wer den Braten speist, ist ein Anderer allemal!«
Nun brüllten wieder Gordians Kumpane. Guido erhob sich, allein er kam nicht von der Stelle, denn sein Stuhl stand zwischen dem Tisch und der Wand, und zu beiden Seiten rückte Keiner vom Fleck, wir waren jetzt auf Wort und Antwort zu sehr erpicht. Und ich erst recht. Guido mußte sich immer wieder niedersetzen, wenn er nicht in den Verdacht kommen wollte, eine Rede zu halten.
»Sie haben wohl nie getanzt, Herr von Schr . . . . .?« rief ich.
»Wer wüßte das Gegentheil besser als Sie, Herr Lieutenant,« gab er zur Antwort.
Und der Student rief daraufhin: »Wenn Sie jetzt nicht mehr mit unseren Damen tanzen, so liegt die Schuld vielleicht weniger an Ihrem Belieben, Herr von Schr . . . . .«
»He?« sagte der lange Schabernack und fixirte den Vetter Guido's mit seinem Monocle. »Wie meinen das Euer Gnaden?« 163
»Hugo!« war das erste Wort, welches der Oberlieutenant jetzt in diesem Streit aussprach. Es war in seiner Kürze recht wohl verständlich, und Jeder, auch der lange Schabernack, verstand aus dem Tone, daß der einfache Vorname Mahnung und Warnung enthielt: es sei hier nicht am Platze, Händel zu suchen und bei diesem Widerpart gerade keine Ehre zu holen.
Aber der Angerufene war nicht mehr in der Stunde, solchem Wort Gehör zu geben. Unverfroren fuhr er fort: »Ich meine, daß es Ihnen, Herr von Schr . . . . ., nicht zu Gesichte steht, sich über die Damen auf unseren Bällen geringschätzig zu äußern. Ich will für Niemand, den ich persönlich nennen könnte, eine Lanze brechen. Ich spreche für die Gesammtheit, wenn ich sage, Sie belieben nicht mehr auf Bällen zu erscheinen, Herr von Schr . . . . ., weil Sie in anständiger Gesellschaft nicht gern gesehen sind . . .«
»Oho!« rief Gordian dazwischen.
Der Andere fuhr in gleicher Wärme fort: »Sie verachten ehrbaren Tanz und schätzen unsere Tänzerinnen gering, weil Sie wissen, daß Sie alle Tanzkarten besetzt finden würden, auch die derjenigen Frauen oder Mädchen, welche die Wände zieren . . .«
Gordian prustete vor Lachen. »Alle! alle!« rief er kläglich dazwischen.
»Nun meinetwegen nicht ›alle‹, es mag ja noch arglose Leute geben! Jedenfalls alle diejenigen, an denen Ihnen und uns gelegen sein könnte. Und nehmen Sie mir's nicht übel, – ein Freimuth fordert ja den anderen heraus, – aber wenn ich eine Schwester 164 hätte, ich würde derselben tout bonnement verbieten, mit Ihnen zu tanzen!«
»Aber, meine Herren, keinen Zank! . . . Ruhe! Nicht die Gemüthlichkeit stören! . . . Hugo ruhig!« scholl es von allen Seiten zur Begütigung. Es war Niemand, als etwa dem ungeberdigen Studenten darum zu thun, den schönen Festtag durch einen Scandal – und gar mit wem? mit dem langen Schabernack! zu beschließen, wenn wir ihn auch Alle lieber vor die Thür gesetzt hätten. Hugo konnte indessen in guten Formen auch nicht viel mehr sagen, um seine Werthschätzung bekannt zu geben, als er bereits gesagt hatte. War es Gordian um Händel zu thun, er brauchte sich nicht tief zu bücken, um sie aufzuheben. Allein er war davon weit entfernt und dem jungen Menschen an Lebenserfahrung und kaltem Blut überlegen genug, um dem Gespräch eine Wendung zu seinem Vortheil zu geben.
»Ihre hypothetische Schwester in allen Ehren,« sprach er, »aber was Sie einer Dame, welche durchaus nicht existirt, verbieten oder erlauben möchten, geht mich gar nichts an und kann mich darum weder kränken noch beleidigen noch – überzeugen . . .«
»Gewiß nicht!« riefen Etliche, die von anderen Tischen herangetreten waren, da sie den Ausbruch eines Scandals erwarteten und nun Gordian weiter hören wollten, von dem sie sich wenigstens Spaß versprachen. Andere benutzten die Gelegenheit und verließen das Local. Was noch dablieb, ein Dutzend etwa, umstand unseren Tisch.
»Halten wir uns also an's Wirkliche, an's Vorhandene!« sagte Schabernack.
»Ach was!« rief lallend der junge Schauspieler, 165 »halten wir uns an's Vergnügliche! Laßt doch die Weiber und all das dumme Zeug! Pasch!« Er hatte aus seiner Rocktasche einen ledernen Würfelbecher hervorgebracht. Die sauberen Gesellen schienen derlei Geräthschaften immer bei sich zu tragen. Wie um den Kumpan zu verführen, ließ er ihm die Würfel auf den Tisch just gegen die Hand zurollen.
Hugo schwieg. Guido war aufgestanden und machte sich zum Fortgehen fertig. Nur auf das nächste Wort hin stutzte er und hörte stehend, hinter meinem Stuhl verweilend, dem Folgenden zu. Gordian hatte, ohne den Mimen eines Wortes oder Blickes zu würdigen, die Würfel in den Lederbecher zurückgeworfen und drückte nun beim Sprechen Würfel und Becher in einen Knäuel zusammen, mit dem seine Finger spielten.
»Was die Herren da theils sagten, theils andeuteten, geht mir gegen den Strich. Ich bin kein sentimentaler Schwärmer, kein krasser Renommist, ich kann gegnerische Meinung vertragen und habe meine bestimmten Meinungen vom Werthe der Menschen, der Männer und der Frauen. Was Sie über meine Lebensart denken, ist mir gleichgiltig; ich bin mein eigener Herr, der Vormundschaft leider längst entwachsen und Niemand Rechenschaft schuldig. Aber ich bin nicht gewillt, mir von irgend Jemand vorschreiben zu lassen, was ich thun darf, was ich lassen soll, – auch nicht von so werthen Herren, wie die hier anwesenden.«
»Bravo!« rief der Schauspieler dazwischen.
»Halt's Maul!« sagte Gordian leise, »von Dir war jetzt eben nicht die Rede!« 166
Der fromme Jünger gab keine Antwort weiter, er begnügte sich, die Augenbrauen hochzuziehen, um anzudeuten, wie sehr ihn dieses Intermezzo seiner Freuden langweilte. Derweilen fuhr Gordian, zunächst zu dem Studenten gerichtet, fort:
»Wollen Sie die Güte haben, Herr von Pfetten, mir eine oder mehrere Damen zu bezeichnen, keine erfundenen, bitte, sondern solche, die man mit Namen nennen und in deren Tanzkarten man seinen eigenen ehrlichen Namen setzen kann; dann werde ich Sie bei jeder Gelegenheit, die Sie bestimmen mögen, überzeugen, daß der Sohn meines Vaters tanzen wird, mit wem es ihm beliebt, und daß ich dabei auch meinem Tanzmeister keine Schande machen werde.«
Hugo schnalzte mit der Zunge, wie Einer, der solchen Vorschlag nicht ernst aufzunehmen denkt.
»Ich bitte, Herr Baron,« fuhr Gordian fort, »ich setze voraus, daß es sich um eine wirkliche Mannesmeinung, nicht um eitel Stänkerei gedreht hat, in diesem Fall –« damit pflanzte er seinen Würfelbecher mitten in den Tisch, »in diesem Fall würde ich es in der That vorziehen, mit meinem elenden Roscius zu knobeln.«
»Würfeln oder wetten kann Ihnen ja einerlei sein!« antwortete der Student, allerdings im Bewußtsein, den Kürzeren zu ziehen, – wenn auch aus Anstandsgefühl.
»Mir ist es gleichgiltig, fast ebenso gleichgiltig wie das, was Sie fortan reden werden. Ihnen fehlt, auf Ihr Wort zu wetten, jedenfalls die Courage.«
Es wurden beifällige Stimmen laut, die ich von Herzen unter den Erdboden wünschte. Dadurch erbittert, nahm 167 ich rasch das Wort und sagte: »Herrn Studiosus von Pfetten, den ich genau zu kennen die Ehre habe, fehlt durchaus der Muth seiner Meinung nicht. Er hat, wenn auch in etwas barscheren Worten, als ich billige, doch im Wesentlichen nichts Anderes gesagt, als ihrer Mehrere, auch meine Wenigkeit darunter, sich denken. Ich glaube fest daran, daß Sie die Schwierigkeiten finden würden, wenn Sie sie erst da, wo Herr Hugo von Pfetten sie angedeutet, suchen wollten. Daß er Ihnen, Herr Baron, Ihrer bequemen Aufforderung zum Trotz, keine Namen nennt, ist nicht mehr als Courtoisie. Mit welchem Rechte soll er Damen, die er schätzt, einer Begegnung aussetzen, die er für keine Annehmlichkeit achtet?«
Ich fand nicht recht weiter, ohne zu beleidigen, was ich nicht wollte, und war froh, daß hier auch mich einiges Beifallsmurren unterbrach.
»Ah, meine Herren! Sie wollen keine Namen nennen!« sprach Gordian, stand vom Stuhle auf und setzte sich auf den Tisch, gleichsam, um so besser die Situation zu beherrschen. Si ce n'est que ça! Dann werde ich mir selber helfen . . .«
Er besann sich, lächelte und sprach: »Allerdings, mir fallen nur Ballköniginnen früherer Jahrzehnte ein; mit denen wäre Ihnen nicht gedient . . . und mir auch nicht. Aber à propos! da ich eintrat, scholl ja ein Name von allen Tischen. Vivat hoch . . . wie hieß sie doch?«
Niemand antwortete. Gordian schnippte, um sein Gedächtniß anzustacheln, mit den Fingern in der Luft und sagte dann: »Ophelia Howard! Nicht? . . . Gut denn! ich biete Ihnen, oder Ihnen, wer will, eine Wette, so hoch 168 Sie mögen, daß ich auf dem nächsten Balle, den sie besucht, mit Miß Ophelia Howard, die ich bis dato nicht kenne . . .«
Hier unterbrach der Oberlieutenant Pfetten den Redenden, und unterbrach ihn in seiner bestimmten, ernsthaften Weise, indem er dicht an den Schwätzer herantrat und nicht laut, aber genau zu ihm sagte: »Ich bitte Sie, den Namen der Dame ein für alle Mal aus dem Spiele zu lassen.«
Aber Gordian war nicht der Mann, dem man leicht imponirte. Er sah dem Oberlieutenant mit der ganzen blassen Unverschämtheit eines Menschen, der nichts mehr bewundert, in die rollenden Augen und fragte so höflich, als man nur konnte: »Sie bitten? Aber gestatten Sie dem in höheren Regionen Fremdgewordenen die Frage: mit welchem Recht bitten Sie? Sind Sie ein Bruder oder Vetter? Sind Sie der glückliche Bräutigam der angebeteten Miß Howard? Oder auch nur ihr Geliebter?«
Ich sah, wie es Guido traf. »Durchaus nicht!« rief der Oberlieutenant rasch. »Ich bitte sehr, zu glauben, daß ich in keiner irgend wie intimeren Beziehung zur Familie Howard zu stehen die Ehre habe, als die Herren alle, die dieselbe kennen!«
»Nun also werde ich mit Miß Howard tanzen! Wer hält die Wette, daß ich mit ihr tanzen werde?!«
»Eine Extratour im Cotillon! Einmal herum!« warf der Student höhnisch dazwischen.
Ich wollte dem peinlich gewordenen Zwischenfall schon um Pfetten's willen ein rasches Ende bereiten und sagte: »Was ist damit bewiesen, wenn Sie nun wirklich hier und 169 dort ein Tänzchen kriegen?! Sie werden schon Ihrer Neigung nach nicht oft kommen. Lassen wir den müßigen Streit auf sich beruhen und gehen wir schlafen! Zeit ist's!«
»Jawohl! . . . Es ist Schlafenszeit! . . . Gehen wir! . . . Gute Nacht!« sagten ihrer Mehrere durcheinander, und fast Alle, die bislang geblieben, – Gordians Gesellen ausgenommen, – griffen nach ihren Mänteln und drängten zum Ausgang.
Da stützte der lange Schabernack den Arm mitten in den Tisch und sich zurückreckend in ganzer Größe, rief er den zum Heimgehen Bereiten mit verächtlicher Stimme nach:
»Ach was, Donnerwetter, hat man's hier mit solchen Leuten zu thun? Werfen mir nichts, dir nichts, mit Worten herum, die ruhigen Leuten die Ehre abschneiden. Aber einmal ausgesprochen, mein gutes Wort, gehst du mich weiter nichts an. Steh' für dich ein, wer will, – die Gentlemen legen sich schlafen.«
Gordians Kumpane brüllten beifällig. Der Student wollte die Stufen herab auf den Schmähenden los, aber sein Vetter hielt ihn am Arm, und ich vertrat ihm den Weg. Es kostete Mühe.
Der lange Schabernack, der das sah, lachte und rief mit einer Stimme, welche die ganze Aufregung seines eigensinnigen Charakters nicht verhehlte: »Lassen Sie den Kleinen doch los! Mit Bellen und Beißen ist freilich nicht viel bewiesen; die Goldwage, darauf der Werth einer ernsten Mannesmeinung gewogen wird, ist für so grobe Hände nicht gefüge . . . Allons, Roscius! Du sollst heute 170 noch zu Ehren kommen. Willst Du mit mir wetten, daß ich Fräulein Ophelia Howard . . .«
»Herr von Schr . . . .!« rief ich ihm mahnend zu.
Er sah, den Würfelbecher in der Hand, über die linke Achsel nach mir zurück. Er sah, daß die Halle fast leer geworden war. Er wartete, bis die letzten, welche sich zum Gehen anschickten, das Local verlassen hatten. Nur Vier standen jetzt noch auf der Treppe: die beiden Pfetten, ein Secretär der spanischen Gesandtschaft, welcher sich viel an unsere Gesellschaft hielt, und ich.
Mich hatten die letzten Worte so in Harnisch gebracht, daß ich die Freunde noch einen Augenblick zu verziehen bat und die Stufen herab zu dem verlassenen Tische, darauf Gordian thronte, zurückkehrte.
Wie der lange Schabernack die letzten Stiefel auf der obersten Treppenstufe hatte verschwinden sehen, sagte er laut: »Nun sind wir unter uns! Meine Herren von Pfetten, Don Esteban und Sie, Herr Lieutenant, einen Vorschlag zur Güte! Ich finde meine vorige Wette selbst etwas unter meinen Jahren und vielleicht auch unter meiner Würde. Sie haben ganz Recht, mein Feldherr, was bewiese ein Tänzelein? Hier eine Wette, die Ihnen ernsthaft genug scheinen wird. Ich biete sie Jedem von Ihnen!«
Drei von uns standen hart um den Stuhl, den Gordian noch mit einem Beine berührte. Nur Guido, der Oberlieutenant, hielt sich entfernter, etwa in gleicher Mitte zwischen Tisch und Treppe.
»Nicht daß ich mit ihr tanzen werde, was bewiese das? Ich biete Ihnen die Wette, daß ich mich auf dem nächsten Balle der Familie Howard nähern, geziemende 171 Zeit darauf um die Hand der schönen Ophelia anhalten und, meiner schlechten Eigenschaften, meiner von Ihnen so abominabel befundenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zum Trotz, als wohlbestallter Bräutigam acceptirt werden werde, –«
Ein allgemeines Gelächter antwortete auf diesen unerhörten Vorschlag.
»Wer hält die Wette?!« so überschrie Gordian den Tumult, daß auf seiner gerötheten Stirn die Adern anliefen. Er war vom Tisch aufgestanden.
»Ich!« rief ich, als der Nächste, mit noch lachendem Munde.
»Ich!« rief der Spanier und zog seine Brieftasche lachend.
»Und ich erst recht!« rief Hugo, plötzlich so heiter, wie wir Anderen, gestimmt.
Nur Guido Pfetten trat wüthend unter uns, stieß die Säbelscheide klirrend auf die Diele und sagte: »Herr von Schr . . . . ., werden Sie erst nüchtern!«
Gordian verneigte sich mit seiner ganzen Höflichkeit vor dem Oberlieutenant und sagte vornehm leise: »Ich darf bitten, diesen Verdacht bedauern zu wollen; ich wende mich an das Urtheil der geehrten Anwesenden, ob der eben ausgesprochene Vorwurf mich trifft!«
»Nein, nein!« rief jetzt der Spanier. »Pfetten, Sie sind im Unrecht. Wenn Sie nicht wetten wollen, so verderben Sie uns das Spiel nicht! Ich halte die Wette! Topp! Und wenn Sie verlieren, Herr von Schr . . . . ., sollen Sie die Geschichte mit Ihrem vollen Namen im Pariser Figaro zu lesen kriegen.« 172
Er lachte, und lachend zeichneten sie ihre Summen in die Taschenbüchlein, wie wenn sie auf dem Turf ständen.
Gordian wandte sich noch einmal an den Oberlieutenant, wie um ihn schweigend aufzufordern.
Und da Guido ihm den Rücken kehrte, sagte der Boshafte, doch nach wie vor in verbindlichem Tone: »Herr Baron von Pfetten wettet wohl nicht, weil er nicht wetten darf, will sagen, weil er den Ausgang mit Sicherheit zu kennen glaubt. Das ist correct.«
»Nein, mein Herr, nicht deshalb; sondern weil ich es für eine offenbare –«
Das Wort war nicht zu verstehen, denn der Spanier drängte sich lautrufend zwischen Beide: »Voyons, voyons, Messieurs! Was soll das heißen! Jedem seine Meinung! Hier wird gewettet, nicht gezankt. Keine Störung!«
»Pfui!« sagte Pfetten und ging.
Es kehrte sich Niemand an ihn. Ich weiß nicht einmal, ob ein Anderer, als ich, sein letztes Wort gehört hatte. Selbst mich und den jüngeren Pfetten hatte die Ueberhebung Gordians so erheitert, daß es uns das Beste schien, dem frechen Burschen die Lehre nicht zu ersparen, die er sich unzweifelhaft bei den Howards holen mußte, und daß ich unbedenklich eine Summe in's Taschenbuch zeichnete, die nicht viel geringer als meine Lieutenantsgage war.
Das leichtlebige junge Blut des Studenten, das kurz zuvor nach Rache gedürstet hatte, kam es Angesichts so himmelschreiender Verblendung ordentlich wie Rührung an. Die Thräne des Gelächters sich aus den Augen wischend, sprach Hugo: »Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr 173 von Schr . . . . ., aber Sie als Ehemann zu denken, als Ehemann der Miß Ophelia Howard, das ist zu köstlich . . . Pf!!« Und er drehte sich prustend auf den Stiefelhacken um.
»Und Sie haben sie wirklich noch nicht einmal gesehen?« fragte der Spanier.
»Nein!« antwortete der lange Schabernack kurz und trocken und fuhr, den rechten Zeigefinger erst an die Nase, dann zwischen den Blättern seines Notizbuches hin und her führend, mit erhobener Stimme fort: »Ich muß bitten, meine Herren: es hat sich doch, bezüglich des genauen Textes unserer Wette, kein Mißverständniß unter den verehrten Contrahenten eingeschlichen?«
Darauf las er mit aller Deutlichkeit noch einmal, was in seinem Büchlein stand: daß er so oder so sich »auf dem nächsten besten Balle der Familie Howard vorstellen lassen, geziemende Zeit darauf um die Hand der schönen Dame Ophelia anhalten und seiner beliebigen Eigenschaften et cetera zum Trotz, als rechtmäßiger Bräutigam acceptirt werden werde.«
»All right!« tönte es von unseren Lippen und wir steckten, sobald auch die Beträge nochmals verglichen waren, die Bleifedern bei.
»All right!« wiederholte Gordian. »Und wann der Zahltag?«
»Am Tage der Hochzeit, natürlich!« platzte der Student heraus und konnte seinen Satz vor Lachen kaum vollenden.
»Ach, meine Herren, ernsthaft! So haben wir nicht gewettet!« rief Schabernack, ohne seinem Unwillen mehr Zwang anzuthun. 174
»Nein, so haben wir nicht gewettet!« versetzte Don Esteban fast nicht minder ungehalten.
Und ich sagte, wie billig, obgleich es mir selber Mühe kostete, ernsthaft zu bleiben: »Vierzehn Tage, nachdem die Verlobung öffentlich bekannt gegeben worden. Paßt Ihnen das?«
»Vollkommen einverstanden!« antwortete Gordian.
Und der Spanier schrieb in sein Taschenbüchlein: »quinze jours après les premiers bans publiés!«
Der lange Schabernack sah ihm dabei über die Schulter und sagte: »Mir auch recht!« Dann wandte er sich lauter zu uns Allen: »Es versteht sich, daß die Herren im ehrlichen Spiel gegen mich aufbieten dürfen, was Sie wollen. Ebenso, daß nur der Inhalt dieser heutigen Wette ein Geheimniß bleibt, bis es mir belieben wird, es preiszugeben.«
»Bis Sie sie eingestandenermaßen verloren haben!« versetzte der Spanier.
»Oder bis ich sie eingestandenermaßen verloren habe,« nahm Gordian das Wort auf. »Bis dahin schweigen!«
Wir gaben uns alle Viere die Hände. Der Genossen Schabernacks brauchte man sich nicht zu versichern. Sie schliefen seit einer Viertelstunde, die Häupter auf den Armen, daß die Tischplatte von ihrem Schnarchen wiederdröhnte.
»Und wer bürgt für das Schweigen des Oberlieutenants von Pfetten, der uns zu meinem aufrichtigen Bedauern vor der Zeit verlassen hat?« fragte Gordian.
»Mein Ehrenwort!« gab ich zur Antwort.
»Und das meine!« beeilte sich Hugo hinzuzufügen.
»Vetter und Kamerad! das genügt mir vollkommen,« 175 antwortete der lange Schabernack. »Ich habe die Ehre, den Herren einen guten Morgen zu wünschen.«
Damit verneigte er sich vor uns und wandte uns im nächsten Augenblicke den Rücken, als ob wir nicht mehr vorhanden wären.
»Heda Roscius! Cretin, der Du bist! Willst Du nicht lieber anderswo schnarchen? . . . Heda, wie steht das Spiel?!«
Er schlug ihm zwei-, dreimal mit der flachen Hand zwischen die Schultern, daß es nur so knallte.
»Pasch!« lallte der Andere noch halb im Schlafe, sich die Augen reibend.
»Pasche Du und der Teufel! Wach' auf, Kameel!« rief Gordian und schlug an der Tischkante ein Glas zu klirrenden Scherben, daß die zwei anderen süßen Früchte auftaumelten und seiner Winke sich gewärtig stellten.
Wir kümmerten uns weiter nicht um ihn und er sich nicht um uns.
Wir gingen – es war weit genug am Morgen.
Oben an der Treppenpforte kehrte ich mich noch einmal um und sah zurück, wo Gordian und seine blöden Gesellen die Würfel über den Tisch rollen ließen. Die vier wüsten Häupter lümmelten häßlich neben einander. Trübe flackerte die Lampe in dem grauen Qualm, der sie wie eine Nebelhütte überlagerte. Der eine hüstelte, der andere stöhnte, der Schauspieler fluchte, Gordian überschrie sie alle Drei.
»Stehen lassen! . . . Umkehren!« waren die letzten Worte, die ich von ihm hörte.
Ich sah noch, wie er die Arme ausstreckte und spielgerecht die Würfel auf die andere Seite umwandte. 176
Die Anderen lachten daraufhin und derb. Er hatte offenbar verloren. Gordian reckte sich zurück. »Kein Glück im Spiel! meine Herren, kein Glück im Spiel! Es wird bedenklich!« sprach er so laut, daß wir's noch hören sollten, und dann lachte er nicht gelinder als seine Genossen.
*
Ich hatte, nach kargem Schlaf, alle Eile vonnöthen, um noch rechtzeitig bei der Parade zu erscheinen. Auf dem kürzesten Wege nach der Kaserne ging ich durch etliche Höfe des Residenzschlosses und wollte endlich hastigen Schrittes, wenn schon auf den Zehen, auch die Hofkirche passiren.
Das war eben der nächste Weg, und Niemand machte sich ein Gewissen daraus, das liebliche Haus Gottes in hastigem Durchgang also zu benützen. War auch kein böser Gedanke dabei. Im Gegentheil. Manch einer, den sonst seine Lebensgewohnheiten wohl nie in eine Kirche geführt hätten, verweilte so unwillkürlich ein Weilchen in dem behaglichen Raume, wo zwischen Marmorsäulen vom Goldgrund aller Wände schöne Freskogemälde glänzten. Wir nannten die Kirche ob ihrer Zierlichkeit und ihres Reichthums die Putzschachtel unseres lieben Herrgottes und liebten sie. Auch war sie im Winter geheizt, was bei der grimmigen Kälte, die oft im Freien herrschte, das Behagen im Innern vermehrte.
Wie ich nun so in aller Eile quer durch das Schiff will und mir nur noch Zeit nehme, vor dem Hochaltar meine flüchtige Reverenz zu machen, seh' ich an einer Säule einen Mann im Offiziersmantel lehnen. 177
»Pfetten,« sagte ich, »was machst Du denn hier?«
Ich wußte, Guido war ein Philosoph, der sich über allerhand Anfechtungen tapfer weggedacht hatte, und da die Kirche menschenleer und die Zeit vor Beginn der Parade nur noch wenige Minuten lang war, so durfte ich mich billig verwundern, den ernsten Gesellen hier wie einen Träumer vor sich hinbrütend zu finden.
Es ward mir aber ordentlich wohl zu Muthe, wie er mich mit zuversichtlichen Augen ansah, so recht aus sicherer, klarer, unerschrockener Seele heraus, und dazu sagte: »Ich habe mir hier allerhand in Gedanken zurecht gelegt, was mir die Nacht über den Schlaf verdorben und das Gemüth verwirrt hatte. Es denkt sich gut hier in dem schönen, stillen, weihevollen Raume. Denken ist auch beten. Jeder in seiner Art! Mir hat es wohlgethan. Nun laß uns gehen!«
Wir gingen und, noch die Kirchenthür in der Hand, fragte ich: »Was denkst Du denn von Schabernacks Wette?«
Ich sehe den braven Kerl noch vor mir, wie er auf der Marmorschwelle steht und sich den Helm auf's Haar stülpt und ohne andere Antwort mir lächelnd in's Gesicht sieht.
In meiner übernächtigen Seele hatte, seit ich aus den Federn gekrochen, der unvergohrene Weindunst und die Erinnerung an wüste Gesellschaft allerhand fratzenhafte Besorgniß spuken lassen; vor meines Freundes wohlgemuther Sicherheit zerstob das Alles. Vor Guido's sonnenhaftem Auge hielten die Nebel über meinem Gemüthe nicht Stand. Ich wußte nun, daß er all den Kram für dummes Zeug achtete und Gordian für einen Windbeutel, den man nicht 178 ernsthaft nehmen durfte. Ordentlich wie eine Sünde kam es mir vor, daß ich eine Stunde lang an Treue und Selbstachtung einer vornehmen Seele, wie Ophelia Howard war, hatte zweifeln können. Frohgelaunt traten wir in den Kreis der Kameraden ein, und wo ich an diesem oder dem nächsten Tage mit dem Studiosus von Pfetten oder mit dem spanischen Legationssecretär zusammentraf, da machten wir uns derb über Gordian von Schr . . . . .'s verbranntes Gehirn lustig und freuten uns auf die ungeheuere Blamage, welcher der Prahlhans erliegen, und auf den Jubelschmaus, welcher uns die gewonnene Wette verherrlichen sollte.
Wer an dem einzig erdenklichen Ausgange von Gordians Vermessenheit gezweifelt hätte, der wäre uns Dreien als ein Verrückter erschienen. Wir waren zunächst nur darauf begierig, wo der Ball statthaben werde, da sich Meister Schabernack der Familie Howard möchte vorstellen lassen. Wir freuten uns kindisch auf den Hauptspaß, welchen uns diese Scene gewähren mußte, und fürchteten nur, daß der edle Wettbruder, vor der Zeit ernüchtert, schon nach dem ersten Versuche zurücktreten und Reugeld zahlen werde.
Diese Sorge genügte, ihm bei den Howards nicht voreilig den Weg zu verlegen. Er sollte gründlich »eingehen« und an der vollgestrichenen Beschämung ihm kein Tropfen erspart werden.
Der nächste Ball, der in Betracht kam, war ein kleiner Hofball. Der lange Schabernack war seit Jahren nicht mehr bei Hofe erschienen. Wir dachten auch nicht daran, daß er sein Glück gleich hier auf dem schlüpfrigsten Boden versuchen werde. Und nur weil wir von den Howards hörten, daß sie dort tanzen würden, stellten es Don Esteban 179 und meine Wenigkeit also an, daß wir Beide dorthin befohlen wurden. Pfetten, der Student, war als solcher noch nicht hoffähig, und der Oberlieutenant hatte Dienst.
Guido hätte wohl leicht einen Stellvertreter gefunden, der diesmal gern für ihn eingetreten wäre. Jedoch er wollte nicht; diesmal nicht. Ich begriff ihn nicht recht; aber er setzte ordentlich seinen harten Kopf darauf.
Und so gingen wir eben ohne ihn auf den Hofball.
Wir fanden alle Welt bei guter Laune und die Familie Howard in der allerbesten. Nur Ophelia, die übrigens zu den Leuten gehörte, die sich nicht leicht anmerken lassen, was in ihrem Herzen vorgeht, nur Ophelia schien mir etwas schweigsamer als sonst. Vielleicht schien es mir nur so. Indessen erinnere ich mich, daß sie während einer Walzertour mich fragte, warum denn Guido von Pfetten nicht hier sei . . . und warum er denn gerade für diesen Abend keinen Stellvertreter sich erbeten habe.
Da gebe Einer Antwort drauf! Ich sagte nur, daß sie in diesem Winter noch oft genug mit meinem glücklichen Kameraden tanzen könnte, an Gelegenheit werde es ihr nicht fehlen und ihm nicht an Zeit und Lust dazu. Dummes Zeug, wie man es eben auf einem Ball zu halben Ohren hinredet.
Um Howards herum trieben sich nur die gewohnten alten Bekannten. Don Esteban, der in einer Pause zwischen Ophelia und Cordelia saß, sagte, derweil seine Augen rundum den Saal durchmusterten, zu mir: »Haben Sie Herrn von Schr . . . . . . gesehen?« Ich mußte lächeln. Auf meinen eigenen Lippen hatte heute Abend die Frage schon mehr als einmal geschwebt. 180
Mit einem Gefühl außergewöhnlicher Zufriedenheit gab ich die Antwort: »Mit keinem Auge habe ich ihn gesehen. Weiß Gott, wo der edle Held sich jetzt umtreibt!«
Wir lachten und Ophelia fragte: »Von wem ist die Rede?«
»Von Herrn von Schr . . . . . .« antwortete Don Esteban.
»Wer ist das?« fragte die schöne Amerikanerin.
»Ein nichtsnutziges Subject, ein ziemlich verkommenes Kind dieser Stadt, dem Sie, schöne Miß, schon zu viel Ehre erweisen, indem Sie nach ihm fragen.«
»Ein verkommenes Subject, das man trotzdem auf einem Hofball erwartet?« versetzte Miß Howard und lächelte einen Augenblick, dann nahm sie alsbald ihre heute besonders ernsthafte Miene an und wandte sich ab.
»Lupus in fabula!« sagte der Spanier leise. Unwillkürlich kehrte mir dies Wort das Angesicht gegen die Thüre des Saales, und ich sah den langen Schabernack etwa zwanzig Schritt weit vor uns auf dem Parkett stehen. Die Last seines Körpers auf ein Bein gestellt, das andere sanft gebogen, die linke Hand, welche den zusammengeklappten Hut hielt, lang und lässig herabhängend, mit der rechten sich das Augenglas fester klemmend, frisch gescheitelt, tadellos gantirt und cravattirt, den Mund ein Bischen schief gezogen, so stand er da, wie ein gleichgiltiger Gentleman, der vor einem Pferdehandel sich das Kaufsobject betrachtet.
Nach einem Weilchen nickte und knickte er ein klein wenig mit dem glatten Kinn und dem rechten Knie, wie wenn er dabei sagen wollte: Also das sind die 181 vielbewunderten Fräulein Howard, mit deren einem ich mich verloben soll!
»Wer ist der Gentleman dort, der uns so andächtig betrachtet?« fragte Cordelia.
»Ein gewisser Herr von Schr . . . . . .« warf der Spanier so leicht hin.
»Ach, eben das vorhinerwähnte nichtsnutzige Subject?« sagte Ophelia lächelnd und besah sich nun ihrerseits den Fremdling.
Gordian verzog die Miene nicht, wandte sich erst nach geraumer Weile ab und verlor sich in der Menge.
Don Esteban und ich sahen einander an, die beiden Mädchen thaten desgleichen, aber während wir schwiegen, tuschelten Jene sich in die Ohren und kicherten dabei.
Etwa eine Viertelstunde darauf, derweilen sich die meisten Paare schon wieder im Tanze drehten, kam ein Kamerad an mich heran und bat mich, in einen der kleineren Salons zu treten.
Ich fand dort den langen Schabernack, der mir ohne jede Spur einer seelischen Bewegung sagte: »Liebster Lieutenant, ich finde keinen Sterblichen, der mich Euren edlen Howards vorstellen kann oder mag. Wollen Sie sich der nothwendigen Mühe unterziehen?«
»Nein, mein Herr,« gab ich zur Antwort. »Das wäre nicht nur wider die Abrede, sondern auch ganz gegen meine Ueberzeugung.«
»Aha!« sagte Gordian, »Miß Howard ist Ihnen so ungefähr das, was der Studiosus von Pfetten seine etwaige Schwester zu nennen beliebt. Na, mir auch recht. Wünsche weiter gute Unterhaltung!« 182
»Gleichfalls!« sagte ich und schaute ihm nach, wie er aus dem Saal ging.
Gordian sah heute wieder recht elegant aus. Wo er nur seinen Frack bauen ließ! Auch seine Beinkleider schienen mir nicht in unserer guten Stadt gewachsen. Bei alledem war er doch ein widerwärtiger Kerl. Mir wenigstens. Schon seine Anwesenheit verdarb mir die Laune zur Hälfte. Von einem Hauch wie Mißmuth angeweht, ging ich in den großen Saal zurück.
Der Tanz war vorbei. Ich suchte die Amerikaner wieder auf. Kaum daß ich sie gefunden, sah ich von der anderen Seite den langen Schabernack auf dieselben zukommen. Wer ihn begleitete und vorstellte, war Niemand anders, als sein leiblicher Onkel, der bekannte Hofmarschall des Herzogs in . . . . . . Der konnte seiner Schwester Kind freilich den Gefallen nicht weigern.
Die beiden Herren unterhielten sich ein Weilchen mit Vater und Mutter, dann sprachen sie auch einige Worte mit den Töchtern, der Hofmarschall mit Ophelien, Gordian von Schr . . . . . . mit der älteren Schwester. Sie lachten alle Sechs. Dann walzte der Neffe wirklich mit Cordelien, während sein Onkel und ihr Vater aufmerksam zusahen und ihre Mienen auszudrücken schienen: ein hübsches Paar!
Ein Lieutenant, der mittlerweile an die ernsthaft blickende Ophelia herangeschossen kam, ward freundlich, aber ablehnend beschieden.
Als aber der lange Schabernack die Schwester zurückgebracht hatte und vor Ophelia Front machte, erhob sich die Schöne vom Sopha und legte, ohne weiter ein Wort zu sprechen, ihre schlanke Taille in Gordians Arm. 183
Es ging mich eigentlich nicht viel an. Ich begriff es selber nicht, aber mir stieg die Galle; ich entfernte mich von den Leuten, bei denen ein Mensch wie jener so leicht und freundlich aufgenommen wurde. Dann ärgerte ich mich über Guido, den Trotzkopf, der gerade heute hatte die Wache beziehen müssen. Dann ärgerte ich mich über den Spanier und endlich erst recht über mich, die wir den Fremden hätten reinen Wein einschenken sollen und sie rechtzeitig darüber aufklären, weß Geistes Kind der Neffe des Hofmarschalls eigentlich sei.
Na, dachte ich, das kann ja noch nachgeholt werden, und kehrte wieder um. Ich fand Gordian wohl noch bei den Howards stehen; aber er unterhielt sich nicht mit Ophelien, sondern wieder mit Cordelien. War's, daß er die beiden Schwestern mit einander verwechselte, oder daß ihm die ältere besser gefiel, oder aber, daß er die jüngere durch anfängliche Zurückhaltung mürbe und für seine späteren Zumuthungen empfänglicher machen wollte . . . ich weiß nicht. All zuviel Absichtlichkeit traute ich dem Burschen nicht gerade zu. Er schien so in's Blaue hin sich gehen zu lassen und planlos zu thun, was ihm einkam. Das Wahrscheinlichste dünkte mich, daß eine unwillkürliche Scheu ihn annoch vor dem Opfer, welches er seiner leichtsinnigen Bosheit zu bringen Willens war, zurückhielt.
Ich wollte mich Ophelia nähern, die, in Gedanken verloren, in das Gewühl des Balles hinaussah. Sie starrte fast regungslos vor sich hin, aber der rastlos von vier nervösen Fingern immer wieder auf- und wieder zugeklappte Fächer bewies mir die innere Erregung der schweigsamen Fremden. 184
Nochmals verwünschte ich Guido's Eigensinn. Und wie ein Echo meiner Gedanken klang mir's in die Ohren, als Gordian, der, meiner ansichtig geworden, flugs neben mich und Ophelien getreten war, mich mit der Frage begrüßte: »Ist denn Oberlieutenant von Pfetten nicht hier?!«
Ich würdigte den Menschen keiner Antwort, nur aus Achtung vor dem Orte, wo wir uns befanden, und der Familie zu Liebe, mit der wir uns Beide jetzt unterhielten, verneigte ich mich, aber kurz, gemessen und schweigend.
Er that, wie wenn er damit Antwort erhalten, und sprach: »Schade! Wirklich, ich bedaure das.«
Das war mir denn doch zu stark. Ich sah ihn scharf an. »Sie bedauern das? . . . und warum?« sagte ich ernsthaft, fast herausfordernd.
Und er fuhr nachlässigen Tones, wenn auch leiser als vordem, fort: »Weil ich keinen Spaß darin finde, gegen Abwesende zu kämpfen. Und es darum für heute der Komödie genug erachten muß. Sagen Sie das Ihrem Busenfreunde, Herr Lieutenant. Und gute Nacht!«
Er verneigte sich ebenso kurz und steif, wie ich vorhin gethan, empfahl sich nicht viel umständlicher bei den Amerikanern, – nur der Vater schüttelte ihm mit etlichen breiten Worten ausgiebig die Hand, – dann verlor sich der lange Schabernack lässigen Schrittes im Gewühl.
»Oaoh!« sagte der Amerikaner mit einem Tone, der halb wie Gähnen, halb wie die Ermahnung eines Kutschers klang, »das ist gar kein unterhaltendes Fest heute. Herr von Schr . . . . . geht; Baron Pfetten kommt nicht; Don Esteban und Sie, theuerster Freund, machen Gesichter, wie 185 wenn Sie im Spiele verloren hätten. Was sind das für Sachen!«
»Ich gestehe Ihnen, daß ich Herrn von Schr . . . . .s Nachbarschaft nicht liebe. Mir erscheint er als ein roher, verdrießlicher Bursche, der nicht hierher gehört. Ich kann als Freund Ihrer Familie nicht umhin, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Herr von Schr . . . . . mit keiner anderen Dame als mit Ihren Töchtern getanzt hat. Ich glaube kaum, daß sich unter seinen Bekannten eine dazu verstehen würde.«
Statt der Antwort wies Vater Howard mit ausgestrecktem Zeigefinger in den beweglichen Ring, der unfern von dem Platze, da wir standen, durch wogende Paare gebildet wurde. Dort drehte sich Gordian mit einem blutjungen Dämchen; es war geschmackvoll in weiße Gaze gekleidet und trug Silberflitterblumen in den zierlich aufgesteckten Haaren. Er tanzte einmal herum und nicht wieder; aber er hatte doch mit einer andern Dame getanzt. Es war seine leibliche Base; jedoch es war die Tochter eines lebendigen Hofmarschalls.
Mitleidig lächelnd sah mich der Amerikaner an. Ich fühlte, daß die Gedanken, die er sich in dieser Minute machte, falsch waren, aber daß sie mir und meinen Freunden nicht günstig waren, das fühlte ich auch.
»Was hat man denn gegen den Gentleman vorzubringen?« fragte er. Ich hatte offenbar weiter nichts erreicht, als seine Neugier gereizt.
Unwillig sagte ich: »Lassen Sie doch den unmöglichen Gesellen bei Seite.«
Er aber dachte nicht so und fuhr, erst recht begierig, 186 weiter: »Oh, ich begreife, das ist ein Verschwender, ein Schuldenmacher!«
»Ein Verschwender vielleicht, ein Schuldenmacher eben nicht,« – es ging mir gegen den Strich, einen Irrthum auszubeuten, – »vor dem Schuldenmachen schützt ihn sein Vermögen.«
»Er ist reich?«
»Man sagt so.«
»Und hat er sein Geld redlich verdient? Ich meine: anständig verdient?«
Ich mußte den seltsamen Hinterwäldler verwundert betrachten. Und die Achseln zuckend sagte ich: »Er hat das Geld eben von seinem Vater ererbt.«
»Und dieser?«
»Von seinem Großvater u. s. w. Was weiß ich.«
»Also gute Familie?«
»Die Familie war gut, der Sprößling ist es nicht.«
»Warum nicht? . . . Sie sagen, er ist roh. Ah, ich verstehe, er trinkt? spielt? tollt?«
»Und so weiter, ja wohl, mein Herr!«
»Und hat einmal im Rausch und Zorn, in der Hitze, einen, der ihm nicht paßte, um die Ecke gehen lassen . . . piff, paff . . . Revolver . . . Bowiemesser . . . was? Bei uns kommt das öfter vor.«
»Bei uns nur zuweilen,« erlaubte ich mir dem sonderbaren Fremdling zu bemerken. »Wenn es indessen Herrn von Schr . . . . . widerfahren wäre, so ließe man ihn, nach unseren Gesetzen und Ansichten, nicht frei auf dem Hofball herumlaufen.«
»Nicht einmal das!« rief der enttäuschte Sohn des 187 freien Columbia. »Ihr seid doch merkwürdig zimpferliche Leute . . . Nun, verwünscht! Was haben Sie gegen den schlanken Gentleman?«
Er hatte die letzten Sätze so erregt und laut gesprochen, daß seine Damen unwillkürlich auf unsere Unterhaltung aufmerksam wurden und sich anschickten, daran Theil zu nehmen. Und wie ich nun über den fetten Schultern des Vaters das neugierige Angesicht Cordeliens zur Rechten, zur Linken das Opheliens auftauchen sah, verschlug mir der Anblick unwillkürlich die böse Rede. Ich konnte doch vor diesen zarten Ohren unmöglich auskramen, was ich Alles gegen einen Thunichtgut von dieser Sorte auf dem Herzen hatte.
Vater Howard hätte ich am liebsten zum Profosen geschickt. Der merkte wohl, daß ich nicht aus Mangel an Beweisen schwieg. Er sah lächelnd erst zu der einen, dann zu der anderen Tochter hinter ihm, zog sein seidenes Taschentuch und fächelte damit scherzhaft über beide Schultern weg, wie wenn er sich Fliegen oder Mücken vertriebe. »Weg mit Euch, neugieriges Volk!« sprach er dazu. »Ihr habt hier nur zu tanzen, nicht auf Geheimnisse zu horchen!«
»Geheimnisse!« sagte ich und mußte lächeln. »Jeder Straßenjunge kennt Gordian von Schr . . . . . . und kann von seinen Streichen erzählen. Und es wird ihm leichter werden als mir.«
»Jeder Straßenjunge?« wiederholte der überseeische Republikaner. »Nun, das ist auch eine Art Berühmtheit. Wir drüben in unserem Lande haben solche verfluchten Kerle nicht ungern.« 188
»Geschmacksache!« war Alles, was ich erwidern mochte.
»Trüber Most verspricht oft klaren Wein,« versetzte Jener lachend, der, ohne Arg zu wittern, nur seinen Spaß dabei fand, mich mit sichtlichem Erfolg zu ärgern. »Wissen Sie, daß man bei uns in Amerika solche Burschen, die als etwas gewaltthätige Durchgänger in üblem Rufe stehen, nicht ungern zu Schwiegersöhnen nimmt? Man sagt, die Schläfrigen schliefen bald ganz ein, dagegen die ungeberdige Sorte gerade lieferte die besten Ehemänner.«
»Ländlich sittlich!« gab ich zur Antwort. »Ich für meinen Theil habe mich immer nur in anständiger Gesellschaft wohl befunden.«
»Oaoh! Auch ich nur, auch ich!«
Ich zuckte die Achseln und erlaubte mir zu lächeln. Der Eindruck, welchen Gordian auf den edlen Sprößling des grünen Erin gemacht hatte, bewies zu deutlich das Gegentheil seiner Rede, als daß ich ihn noch ferner mit Worten hätte überzeugen mögen. Mit einer schweigenden Verbeugung empfahl ich mich.
Ich sah, wie dem Manne das Blut in Wangen und Stirne schoß, wie er halb verlegen, halb zornig nach Worten rang, mir etwas zu sagen. Da ich aber nicht daran dachte, dies Gespräch fortzusetzen, so wandte er sich in aller Hitze der Entrüstung zu Frau und Töchtern, und es sollte mich nicht wundern, wenn er in diesem Augenblicke nicht eben gut von Gordian, aber von mir selber noch viel schlechter sprach.
Je nun, mir war das in diesem Augenblicke sehr gleichgiltig. Ich glaubte, recht und tugendsam gethan und 189 geredet zu haben. Nur daß mir bei jedem Schritte Guido von Pfetten einfiel. Der saß drunten auf der Wache. Verdammter Trotzkopf! Warum gerade heute! Und doch! . . . Der Ball war mir verleidet. So sicher ich mich in meiner Handlungsweise zu fühlen glaubte, es ward mir dazwischen immer doch zu Muthe, wie wenn ich meinem lieben Freunde was abzubitten hätte.
Unwillkürlich trieb es mich weg und zu ihm, obwohl der Ball noch lange nicht zu Ende und meine Tanzlust nie zu erschöpfen war.
Ich war auf einmal im Mantel und im Freien, ich wußte selbst kaum, wie. Und nach etlichen Schritten trat ich schon in die Schloßwache. Es war Alles still. Der Unterlieutenant vom Dienst ging draußen unter dem Schutzdach zwischen der Wand und den Gewehrständen auf und nieder. Das junge Blut wäre wohl lieber oben auf dem Balle gewesen, und seine ungeduldigen Gedanken ließen ihm keine Ruhe.
Das Zimmer der Offiziere lag im Halbdunkel. Vor der bei Seite geschobenen Lampe stand ein einbeiniger Schirm, der seinen Schatten über einen Theil der Stube und über das Sopha neben der Thüre warf.
Auf dem Sopha lang ausgestreckt, keinen Knopf an der Uniform geöffnet, die linke Hand über den Stuhl gestreckt, darauf der Helm stand, daran der Säbel lehnte, lag Guido von Pfetten und schlief.
Ich horchte, wie gleichmäßig und ruhig sein leiser Athem ging. Und wie ich so horchte, war mir's, als hörte ich ganz leise von fern die Ballmusik wie einen Elfenreigen klingen. Ja, nun konnte ich deutlich dem Walzertact 190 folgen, und in der Zimmerdecke war ein Schwingen, wie wenn das alte Holz im weiten Schlosse Resonanz gäbe dem fernen Getön. Mich äfften vielleicht die aufgeregten Sinne. Es that mir wohl, den stillen Mann vor mir nachdenklich zu betrachten, der, ob auch eine starke Leidenschaft ihn beherrschte, gelassen schlief, wie die Gerechten schlafen, ein Bild der Treue wie des Zutrauens.
Es sind nicht alle Leute schön, wenn sie schlafen. Guido war es. Ja jetzt, wo nicht die Strenge des Dienstes und der Ernst seiner Gedanken ihm die Stirne faltete, wo ein fast kindlicher Jugendglanz die feinen Züge überhauchte, jetzt ward mir's noch deutlicher als sonst, was Pfetten für ein prächtiger Bursche war, was für ein feines Gesicht und was für eine reine Seele er hatte.
Unwillkürlich drehte ich den Lampenschirm und ließ das Licht auf des Schläfers Antlitz fallen.
Das weckte den Mann. »Was los?« fragte er, ohne mehr als die linke Hand zu regen.
Dann erst schlug er die Augen auf, die Augen klar, froh und sicher blickend mitten aus dem Schlaf, und sah mich an und lächelte. Aber außer Augenlid und Lippe regte sich nichts an dem sonst so heftigen Gesellen.
»Du?!« sprach er, und nach einer Pause: »Ball schon aus?«
Ich verneinte mit Hauptschütteln.
»Scheint nicht sehr unterhaltend gewesen zu sein,« sagte Guido.
»War's auch nicht,« sagte ich und maß die Stube einmal hinauf und einmal hinab. Dann blieb ich wieder vor dem Liegenden stehen und sprach: 191
»Weißt Du? Der lange Schabernack hat sich wirklich den Howards vorstellen lassen.«
»Hat er?« versetzte Pfetten leiser und ruhiger, als es mir zu reden möglich war. »Und haben die Mädel mit ihm getanzt?«
»Ja!« sagte ich, »jedes einmal, eine kurze Tour.«
»Sie konnten nicht anders,« versetzte Pfetten leise. »Und haben sie viel mit ihm gesprochen?«
»Der Alte viel,« sagte ich, »Cornelia wenig, Ophelia – so viel ich gesehen habe – gar nicht.«
»Nun also!«, antwortete Pfetten und schloß die Augen.
Jetzt wurde mir die Gelassenheit meines Kameraden doch zu arg. Ich zweifelte fast an ihrer Echtheit. »Guido, warum willst Du mir weiß machen, daß Dir das gleichgiltig sei?«
»Gleichgiltig? Was?« fragte der Liegende, als ob er eben erst wieder eingeschlafen wäre.
»Ophelia Howard!« war meine Antwort.
Guido schlug die Augen nochmals auf und rückte zum ersten Mal ein wenig mit dem Kopfe. »Weißt Du was?« sprach er und etwas lauter und rascher als vordem, »ich habe das Wesen lieber als Vater und Mutter, – und das will was sagen, – ich weiß Nichts auf der Welt, was mir lieber, was mir nur halb so lieb wäre . . .«
Er stockte, wie wenn er im Halbschlafe zu viel gesagt hätte.
»Nun?« rief ich ungeduldig. »Sie liebt Dich doch auch?«
»Ich glaube es,« sagte Guido. Seine Augen waren jetzt weit aufgeschlagen und hingen an der Decke, die wieder 192 von ferner Tanzmusik zu summen schien wie altes Geigenholz. »Gott helfe mir in jeder Noth, wie ich das glaube. Allein . . .«
»Nun weiter . . . . rede!«
Er antwortete nicht sofort. Erst nach einer Pause, die er mit Horchen ausgefüllt zu haben schien, fuhr er fort: »Weißt Du, mehr als an alle Liebe glaube ich an mein Schicksal. Es wirft Dir dies und das zu bedenken zwischen Dich und Deine Wünsche. Du bist ein starkes Herz und lachst und fragst den Teufel nach allen Hindernissen. Du glaubst an Dich und an sie . . . da geschieht Etwas, wofür Du nichts kannst, was Dir nicht gefällt, was Du gar nicht begreifst. Du denkst darüber nach. Und allmälig spricht Etwas in Dir: Dein Schicksal, Dein Dämon, Dein Stern, – nenn's, wie Du magst, – es hat Dich bis diesen Tag geführt, oft für, oft wider Deinen Willen, wunderlich manchmal, manchmal auch wunderbar, dahin, wo Du heute stehst, ein Mann auf eigenen Füßen, mit reinem Herzen, mit reiner Stirn. Nicht immer hast Du seinen Wink begriffen, oft nicht gelobt. Da winkt es wieder. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich doch. Sieh zu, sei achtsam, sei fromm, sei stark.«
Ich ward aus dieser wunderlich hingesprochenen Auseinandersetzung nicht klug und meinte, Pfetten wüßte selber nicht recht klar, was er daherredete. Darum sagte ich: »Kannst Du mir Deine Meinung nicht etwas verständlicher vortragen?«
Und er fuhr fort: »Wir leben in einer wunderlich eingerichteten Gesellschaft, aber so wie sie ist, giebt sie uns unverbrüchliche Gesetze. Das Weib, mit welchem wir 193 unser Leben auf die Höhe führen und vollenden sollen, welches wir glücklich machen und von dem wir glücklich gemacht werden wollen, wir begegnen ihm in Zwang und Formeln, die kaum oberflächliche Kenntniß des Charakters, der Gewohnheiten, der Gesinnungen gestatten. Nur das Temperament etwa lernen wir deutlich verstehen. Im Ganzen heißt es doch die Katze im Sack kaufen oder, wenn Dir das Bild nicht gefällt, mit seitwärts gewandten Augen in einen Loostopf greifen . . . .«
»Und ist die Stimme des Blutes nichts,« fragte ich, »die Leidenschaft nichts, der Götterstrahl, der in die Seele schlägt und trifft und zündet?!«
»Zündet wohl, aber nicht immer erleuchtet,« antwortete Guido. »Und vollends unter Wildfremden, unter Leuten von anderer Sprache, anderen Sitten, aus einer anderen Welt! Und doch, man liebt. Liebt, begehrt und strebt! Alle Zweifel sind gebannt. Da auf einmal kommt ungerufen, unerwünscht eine Prüfung, eine Probe. Du erschrickst, Du wüthest, Du willst Hand anlegen. Da auf einmal ist Dir's, wie wenn Du das Walten eines weiseren Willens erkenntest, und Du sagst Dir: halt' an Dich! Vielleicht denkt wieder einmal das Schicksal für Dich, wo Du die Besinnung verloren hast. Halt' an Dich, dulde, harre aus und . . .«
»Schlaf' ein!« ergänzte ich ihn unwillig, da der Liegende eine Pause machte. »Harre aus, schlafe ein und verschlafe Dein Glück!«
»Glück!« sagte Guido, und es klang wie ein Seufzer. »Was ist Glück? Wer das wüßte! Aber darum eben dreht es sich ja. Und nun gieb selbst Bescheid: Wenn es 194 möglich wäre, daß ein Kerl wie Gordian mich da, wo ich das reinste, höchste Glück zu finden hoffte, wett machen, ersetzen, ja nur für eine Stunde verdrängen könnte, glaubst Du, daß ich an demselbigen Herzen wirklich auch mein Glück gefunden hätte? Wahrlich, ich will mich nicht überschätzen, will nicht sagen, ich sei besser als Jener, nur, ich sei eben anders; aber glaubst Du wirklich, daß es mich dann der Mühe werth hätte dünken dürfen, der Dame nur einmal guten Tag zu bieten?«
»Nein!« sagte ich. Guido hatte Recht. Mich nahm nur Wunder, daß er sich's in Gedanken schon so zurecht gelegt hatte, wie wenn die Geliebte bereits verloren wäre. Er redete so gelassen, und ich wußte doch, was er für ein stürmisches Herz im Leibe hatte. »Du urtheilst ganz recht,« sagte ich, »nur dünkt mich, man soll, was man liebt und behalten will, nicht auf zu harte Proben stellen.«
»Gewiß nicht!« antwortete Jener. »Aber die Probe kam nicht von mir.«
»Dann ist es Pflicht, die Geliebte gegen Anfechtungen, die von Anderen kommen, zu vertheidigen.«
»Mit welchem Rechte?« versetzte Guido. »Weibes Herz und Weibes Würde vertheidigen sich selbst. Wie sollt' es anders sein! Wer wird unsere Frauen gegen die Gordiane und dieses Gelichters Anfechtungen vertheidigen, wenn wir draußen liegen vor dem Feinde, monatelang, jahrelang? Die sich nicht halten können, taugen nicht zu unseren Frauen.«
»Ophelia Howard ist ein braves Herz!« rief ich.
»Ich glaub' es!« sprach Pfetten. »Aber wenn Du es auch glaubst, warum störst Du meinen Schlaf?« 195
Ich mußte ihn verwundert ansehen. »Warum?« Ich besann mich selbst und hatte nichts Besseres zu antworten als die Frage: »Ficht Dich denn Eifersucht nicht an?«
»Nein!« sprach Pfetten. »Eifersucht ist eine Kinderkrankheit, eine Entwickelungskrankheit. Gott bewahre jede reife Seele vor solchem Unkraut. Man jäte es aus beim ersten Triebe.«
»Wer's kann!« sagte ich.
Pfetten lächelte und sprach: »Vertrauen und Liebe sind bei mir ein und dasselbe. Die höchste Liebe ist das höchste Vertrauen, ich kann mir die eine nicht ohne das andere denken. Wo ich dieses verliere, hört jene von selbst auf. Ich werde, wen ich liebe, nicht mit dem leisesten Mißtrauen kränken. Aber erwiesene Treulosigkeit lieben, dünkt mich widersinnig. Unwürdiges lieben, dünkt mich unmöglich.«
»Gott bewahre Dich, mein weiser Philosoph, daß Du dies Unmögliche nicht noch erlernest!« sagte ich und da er darauf nicht antwortete, fuhr ich ärgerlich fort: »Ich kenne Deine Weise, Pfetten, ich weiß, daß Du zu Jenen gehörst, die sich nicht in's Herz schauen lassen mögen. Gut so! Aber mir machst Du nicht weiß, daß Du Opheliens Verlust, derartigen Verlust ruhig tragen würdest.«
»Ruhig?« versetzte Jener langsamen Tones, »ruhig? bei Gott, nein! Aber tragen . . . tragen . . . wie ein Mann!«
Er hatte sich die ganze Zeit über kaum geregt. Jetzt wandte er sich auf die rechte Seite, das Antlitz gegen die Sophakissen. Er wollte schlafen, und ich kam mir, mit meiner fürwitzigen Ungeduld, fast verbrecherisch vor, daß 196 ich dem armen Kerl den wohlverdienten Schlaf wegschwatzte.
»Drehe den Schirm vor die Lampe!« hörte ich ihn jetzt sagen. Mich überraschte die sanfte Stimme. Es war, wie wenn ein Kind die Mutter bittet. Es klang mir wunderlich an's Herz. der bittend arglose Ton mitten in der stillen alten Wachtstube.
Da ich seinen Willen gethan, entrang sich seiner Brust ein langer Seufzer, wie wenn ihn das durch meine Worte von seinem Lager aufgescheuchte Behagen wieder gefunden hätte. Gleichmäßig gingen seine Athemzüge. Guido schlief oder wollte doch einschlafen.
Ich zögerte noch einen Augenblick, als sollte ich seinen Schlummer hüten, oder als könnte er noch etwas von mir erfragen.
Ich sah den Ruhigen an. Ich mußte ihn bewundern. Er schlief wie der Tapfere vor dem Kampfe. Stolze, reine Seele! sagte ich lautlos zu mir, wie kann die Wahl stehen zwischen Dir und jenem kothigen Possenreißer! Du hast recht, daß Du ruhig bist. Du bist Dir Deines Werthes bewußt und darum Deines Sieges gewiß.
Und in's Halbdunkel vor mir zauberte mein Gedanke das schöne Haupt, die vornehm blickenden Augen Opheliens. Auch an ihr wollte ich nicht zweifeln. Und also, nicht so fast durch den Redenden überzeugt, als durch den Schweigenden beruhigt, verließ ich die Wachtstube auf den Fußspitzen und trat in die Winternacht hinaus, wo noch immer der Unterlieutenant vom Dienst mürrisch und hastig hinter den Gewehrständern auf und nieder ging.
Er sah es an meinen weißen Beinkleidern, daß ich 197 vom Hofball kam, da blieb er grüßend vor mir stehen und sagte: »Wie merkwürdig, Herr Kamerad. Sie tanzen nicht bis zum Ende?!«
Ich hätte nicht sagen können, war sein Erstaunen größer oder sein Aerger. Ich nahm den Mantel fester zusammen und sprach fast so philosophischen Tones, wie vorhin mein Freund mit mir geredet hatte: »Man muß nicht von Allem haben!«
Der Lieutenant blieb staunend vor mir stehen und schaute mir genauer in's Gesicht. Mir war, als verbiß er ein Lächeln; mir war, als wollte er sagen: Ihr seid wohl Alle des Teufels! Da drin liegt auch Einer und thut dergleichen, als wäre sein Herz frei und gelassen . . . Geht mir doch!
Laut aber sagte er nur: »Mhm! Das ist der Welt Lauf. Der Eine sehnt sich darnach und kriegt es nicht, der Andere hat's und mag es nicht gebrauchen. Gute Nacht!«
Er nahm wieder seinen Wandel auf, als wollt' er die ganze Nacht hier wie ein Posten hin und wieder laufen. Sein Spruch klang mir seltsam in den Ohren nach. Oft genug mußt' ich im weiteren Verlauf der Geschichte daran denken; für jetzt aber meint' ich, schon Guido zu Ehren sehr beruhigt sein zu sollen, und machte, daß auch ich zu schlafen kam. –
*
Nun folgten Feste auf Feste. Ich befand mich in jenem andauernden Ballfieber, das nur durch etwas Schlaf und etwas Dienst unterbrochen wurde, wie es Unsereinem gegen Ende des Faschings zur andern Natur wurde. 198 Gestern ein Hofball, heute ein Hausball, morgen ein öffentliches Tanzvergnügen, übermorgen eine Maskerade, überübermorgen ein Künstlerfest, den folgenden Tag gar zwei Hausbälle und eine Comité-Sitzung für den nächsten Offiziersball . . . so ungefähr sah mein Kalender aus. Mein Kopf glich einer Drehscheibe, und wenn es endlich einen Abend gab, an dem – wie meist an Freitagen – wirklich nirgends getanzt wurde, so erschien man sich so zwecklos, als wäre man eine stehen gebliebene Uhr, die Niemand aufziehen mochte.
Beim ersten Geigenstrich kam jedesmal eine Rage über mich wie über den Fuchshund, der noch die Leine am Kragen fühlt, derweilen schon die Piqueure blasen.
Ich weiß nicht mehr recht, trug diese Aufregung, welche meinem Temperament entsprach, dazu bei, die mit all diesen Bällen verknüpfte Geschichte der Wette Schabernacks ernster zu nehmen, als sie mich eigentlich anging, oder legte die Aufregung, in welche mich die Theilnahme an des Freundes Geschick und das Interesse an der eingegangenen Wette versetzte, meinem Racefeuer an Gluth zu? Ich weiß nur, daß ich mich in einer nicht gewöhnlichen Hitze befand und hinter Gordian's, Guido's und Ophelia's Thun und Lassen drein war, so weit es nur Selbstbeherrschung und Sitte gestatteten.
Die Veränderungen, die ich schließlich constatiren mußte, vollzogen sich aber, besonders zu Anfang, so allmählig, daß ein Hitzkopf, wie der meinige, gar nicht viel bemerkte, wie sehr er auch Augen und Ohren ausspannte.
Gordian näherte sich wohl auf jedem Balle der amerikanischen Familie, aber discret, sparsam, ohne jeden Schatten 199 von Aufdringlichkeit. Mit den Mädchen sprach er noch immer wenig, – es kam mir manchmal so vor, als lernte er erst wieder allmählig, mit anständigen Damen zu verkehren, und traute seinem dermaligen Können selber noch nicht genug, – er tanzte nicht einmal überall mit den beiden Fräulein und wohl immer öfter mit Cordelien als mit Ophelien und auch dann nur wenig, anstandshalber so zu sagen, wie ein Onkel, der jüngeren Verwandten eine Ehre erzeigen will, ohne selbst besonderen Spaß daran zu finden. Immer ebenso respectvoll wie kurz angebunden. Er sprach nicht viel, aber wenn er sprach, gab es immer etwas zu lachen. Er tanzte selten, aber in dem einen Stück hatte er Recht, seinem Tanzmeister machte er keine Schande. Er war von der alten Schule, die es ernsthaft nahm mit jedem Schritt und nicht nur drauflos rasen, sondern auch dabei gut aussehen wollte.
Noch weniger schien sich mir zwischen Guido und Ophelia verändert zu haben. Das erste Mal, da sie sich nach dem bewußten Hofball wiedersahen, schmollte die Schöne wohl ein wenig mit dem zögernden Ritter. Aber wie lange! Da er sie von dem gewohnten ersten Walzer zurückführte, sah Keines von Beiden mehr verdrießlich aus, und Beider Augen glänzten so seltsam, als hätten ihre Ohren just vernommen, was ihre Lippen um keinen Preis der Welt einem Dritten bekennen möchten.
Ich mußte lachen, wenn ich den Guido von heute, den Strahlenden, Beweglichen, Genießenden, mit jenem frommen Philosophen auf dem alten Ruhebett unserer Wachtstube verglich. Ich mußte lachen, wenn ich an Gordian dachte, der sich nach kurzer Begrüßung vor den Howards 200 bescheidentlich wieder verzogen hatte. Und also lachend trieb ich mich im Gewühl herum und schüttelte lachend Don Esteban die Hände und lachend dem Studiosus Pfetten, die Beide gleich mir guter Dinge und des Ausgangs unserer Wette gewiß waren.
Auf einmal verging mir das Lachen. Warum auch? Ich war, um besser Luft zu schöpfen, in eines der Nebenzimmer des großen Ballsaales getreten und hatte dort hinter den langen Portièren an einem kleinen, behaglichen Tische nichts weiter gefunden, als den alten Howard mit dem guten Gordian, die Beide hier abseits vom Gewühl und Gestampf und Getöse des jungen Volkes in Frieden und Behaglichkeit eine Flasche Sect ausstachen.
Sie saßen drüben im Winkel und achteten nicht darauf, daß hinter mir noch andere Gäste eintraten, daß wir uns an gedeckte Tische setzten und zu essen und zu trinken verlangten. Sie sogen ihren Sect und erzählten sich Geschichten dabei, Geschichten, die anzuhören der Mühe verlohnen mußten, denn Vater Howard prustete nur so und hielt sich den stattlichen Wanst, gleichviel, ob er selber sprach oder der Andere. Sie verstanden einander merkwürdig gut, die beiden Biedermänner; sie waren nicht mehr beim ersten Glas und schienen bereits in jener rosigen Stimmung zu sein, in der man so gute Stücke vernommen hat, daß Einen nun schon Alles erheitert, was immer noch vorgetragen wird.
Gordian machte mehrmals Miene aufzustehen. Aber der Amerikaner hielt ihn wieder zurück, er hatte noch immer einen neuen Schwank auf der Zunge sitzen, der ihn brannte, den er los werden mußte. Und er ward 201 ihn los. Endlich ließ sich der lange Schabernack aber doch nicht wieder auf den Stuhl zurückbitten. Ich weiß nicht, was für wichtige Geschäfte seiner im Ballsaal warteten. Ich sah nur, wie der Alte allein aufathmend sitzen blieb, sich des Lachens letzte Thräne aus den Lidern strich und dann, die Hände über den Knieen, Lungen und Zwerchfell ausruhen ließ, die sich so redlich angestrengt hatten. Nur die Augen sprühten noch. Ich folgte seinen Blicken und fand, daß sie auf die linke Hüfte Gordians gerichtet waren, der eben zwischen den langen Vorhängen des Speisezimmers noch ein Weilchen auf der Schwelle zögerte, den Ballsaal vor ihm, wie ein Feldherr die Ebene seiner Thätigkeit überschauend. Im Glanze der Lichter funkelten die zwei Knöpfchen über dem Frackschoß des Kammerjunkers, und ein eigner Zauber mußte von ihnen in das Auge des überzeugungstreuen Republikaners glänzen, daß er gerade darauf so anerkennend und behaglich verweilte.
Da der lange Schabernack so bald nicht zurückkam, verließ auch Mr. Howard den stillgewordenen Zechtisch.
Als ich nach geraumer Weile selbst in den großen Saal zurückkehrte, sah ich den Amerikaner und Gordian von Schr . . . . . . Arm in Arm zwischen den Gruppen der Familie Howard zusteuern. Sie blieben öfter stehen, um sich wieder etwas bequemer mitzutheilen, und lachten immer wieder von Neuem. Hier hatten sich augenscheinlich ein paar schöne Seelen gefunden, die wir Anderen nicht genügend geschätzt hatten.
Das Bild der vereinigten Freunde schien auch den Philosophen Guido zu verblüffen. Er trat unwillkürlich einen Schritt bei Seite, und wenn er auch dann versuchte, 202 die angefangene Unterhaltung mit Ophelien weiterzuführen, er ward unwillkürlich kühler, wortkarger, verstimmter. Ich hörte, wie ihn das Fräulein arglos fragte, was ihn angeflogen und warum er plötzlich so verändert spräche. Guido gab ausweichende Antworten, gezwungene Redensarten. Er machte den Eindruck eines launischen Menschen.
Das grämte mich nicht wenig. Ich mischte mich unverdrossen in's Gespräch. Ich wollte das zerflackernde Feuer der Unterhaltung neu anfachen. Aber ich muß im Eifer den Ton nicht getroffen haben. Statt meinem guten Willen Folge zu leisten, sahen mich die Beiden betroffen, fast traurig an. Ich machte wohl auch einen Eindruck, und wenn schon nicht den eines Launischen, so doch den eines Narren.
Da wir die Howards bereits zum Souper engagirt hatten, so konnten wir auch nicht zurücktreten, als wir merkten, daß der unverfrorene Gordian unser Tischgenosse sein werde. Wir machten gute Miene zum bösen Spiel. Das heißt, wir versuchten es. Offen gestanden, das Spiel war nicht hübsch und ob unsere Mienen gerade viel besser ausgesehen haben, wage ich kaum zu behaupten. Gordian und der Alte beherrschten das Gespräch; kein Mensch kam zu einem vernünftigen Wort; die beiden Champagnerfreunde knüpften die Unterhaltung eifrig da wieder an, wo sie dieselbe vorhin hatten abreißen müssen. Und wenn sie sich auch vor den Damen etwas Zwang anthaten, so war der Ton doch recht erhitzt, ich möchte sagen amerikanisch, wenn ich Niemand damit Unrecht thue, und wir Anderen wurden immer schweigsamer, während sich die beiden Haupthähne vor Lachen schüttelten und selbst die 203 Damen mehr nach diesem blühenden Unsinn hinhorchten, als nöthig war, und öfter dazu schmunzelten, als uns gefiel.
Die Tafel aufgehoben, hielten wir uns für den verschluckten Aerger im Tanzen schadlos.
Als wir später endlich, nachdem der Ball zu Ende und die Damen heimgefahren waren, in die bekannte Halle hinabkamen, fanden wir einen Tisch von Gordians Spießgesellen belagert. Da saßen der Schauspieler, der Weinreisende, der Winkelagent, und noch etliche Andre, welche ihr Gewerbe, ihre Sitten oder ihr verderbter Wille von guter Gesellschaft ausschlossen. Sie tranken über Gebühr und lärmten und lauerten, bis ihr Meister Schabernack herabkäme, und wenn ihnen die Geduld und der Witz ausging, würzten sie sich die Langeweile mit saftigen Flüchen.
Als Gordian endlich mit Claquehut und Pelz oben auf der kurzen Treppe sichtbar wurde, johlten sie ihm entgegen, wie einem Clown im Circus. Er mischte sich unter sie, grob und aufathmend, sich aber weiter nicht anders mit ihnen besprechend, als er es vorhin oben mit dem alten Howard gehalten hatte.
Nur wie er uns Andere, Guido, Hugo, Esteban und meine Wenigkeit, sich um einen nahen Tisch reihen sah, konnte er's nicht lassen, uns boshaft zu Ohren zu reden.
»Jammerschade!« rief er einem Kumpan zu, »daß ich Euch das alte Haus nicht mit herunter habe bringen können. Eine fidele Schabracke, die Gott segnen möge . . . . . Heda, meine Herren,« rief er nun, sich hinterrücks biegend, über die Stirne weg, »wer hat mir doch gesagt, von welcher Lordschaft dieser Hinterwäldler stamme!« 204
Sie konnte wohl an uns gerichtet sein, diese Aufforderung, aber da er uns dabei nicht ansah, offenbar auch die Antwort sich selbst zu geben willens war, achtete Keiner von uns auf sein Geschrei.
Da schlug er lachend auf den Zechtisch und rief: »Menschenkenner und kein Ende! Lord hin und her! Lord Staberl etwa! Hängen soll man mich, wenn er besser ist als ein indianischer Parapluie-Macher!«
Pfetten, der Student, war wieder nicht zu halten. »Von wem belieben denn der Herr von Schr . . . . zu reden?« rief er zu jenem Tisch hinüber.
Und der Andere zurück. »Von meinem Urgroßvater! Intime Familienangelegenheit. Eigene Sache. Keine Hypothese!«
Esteban, der Spanier, beredete sich sehr ernsthaft mit dem hitzköpfigen Hugo. Er wollte seine Wette nicht gestört haben. Und für diesen Abend sah es mehr darnach aus, der kleine Pfetten und dieser Legations-Secretär würden an einander gerathen, als daß noch Einer an Gordian das Wort richtete. Das erste Glas getrunken, verließen wir die Halle, und Jener blieb mit seinen Kumpanen allein, denen er anscheinend fortfuhr, von einem fabelhaften Regenschirmfabrikanten infame Anekdoten vorzuschwadroniren.
Als wir aber des nächste Mal auf glattem Parkett zwischen Geigentönen und Balltoiletten mit dem langen Schabernack zusammentrafen, fand ich den wunderlichen Heiligen ganz und gar verändert und wie ausgewechselt.
Spielte er uns, spielte er sich selber eine Komödie vor, ging wirklich etwas, das sich 205 ihm ernsthaft fühlbar machte, in seinem Gemüthe vor, – mir ward es damals noch nicht klar.
Er war für den alten Howard fast gar nicht zu sprechen, er vernachlässigte Miß Cordelia sichtlich und wich nicht von Opheliens Schleppe, – außer wenn sie tanzte. Dann saß er auf ihrem Stuhle, spielte mit ihrem Fächer, zupfte an ihrem Bouquet, und wenn sie zurückkam, befliß er sich, ihr irgendwie zu dienen, und benahm sich überhaupt, wie ein angelegentlicher Anbeter, dem die ganze übrige Welt nicht einer Bohne Werth mehr hat.
Ophelia lachte dazu und tanzte mit Diesem und Jenem und schien mit Guido, dem Glücklichen, einiger zu sein denn je.
Vater Howard, der umsonst den lustigen Schabernack zu einer und anderer Bouteille zu reizen versuchte, umkreiste mißmuthig diese Gruppen und betrachtete mit gemischten Gefühlen, aber auffallend nachdenklich bald den Mann mit den zwei Goldknöpfchen über der Hüfte, bald den Lieutenant vom Leibregimente.
Die Situation blieb auf den beiden nächsten Bällen dieselbe, nur daß Gordian ein ordentlich melancholisches Aussehen bekam und Ophelia in eine nervöse Lustigkeit gerieth, die sie mehr und heftiger tanzen und lauter lachen und plaudern ließ, als sonst ihre Art war.
Wir lachten über den trübselig gewordenen Schabernack, der die Ohren vor der Zeit hängen ließ, und wandten einen nicht eben schmeichelhaften Vergleich an, wenn die Rede auf ihn gerieth. Nach den Bällen kamen wir nicht mehr mit ihm zusammen. Wir wollten, so lange die Wette schwebte, Händel billiger Weise vermeiden. Doch 206 hörten wir, daß Gordian seine alten Spießgesellen verbannt hatte und sich anständige Gesellschaft für seine Morgenstunden aufsuchte.
Daß etwas unter der Decke spielte, was auch Guido beunruhigte, merkte ich wohl, wenn ich mich mit diesem Nachts auf dem Heimwege befand. Er war ungleicher Laune und meist, gerade wenn er recht viel mit Ophelien getanzt hatte, tieftraurig. Doch hielt ich's für Laune des Verliebten und legte der Stimmung weiter keinen Werth bei.
So kam's, daß es mich wie ein Blitz traf, als ich auf dem nächsten Offiziersball – es lag eine besondere Bosheit darin, daß sich Schabernack gerade einen solchen zu seinem Streiche ausgesucht hatte, – als ich einer Scene beiwohnte, die zum plötzlichen Entscheid führte.
Wir Kameraden vom Comité traten wie gewöhnlich gemeinsam an die Familie Howard heran, als dieselbe in den Saal schritt. Die Musik stimmte bereits die Streichinstrumente zurecht. Da hör' ich, wie Ophelia zu Guido spricht: »Man hat Papa gesagt, daß es sich nach Landesbrauch nicht schickt, mit demselben Herrn auf demselben Ball mehr als Einen Tanz zu tanzen . . . es wäre denn . . . .« Sie stockte und schien, nach meiner Ueberzeugung, zu erwarten, daß mein Kamerad den Satz vollenden und sich mit einem kühnen Worte das Recht zu zwei und mehr Tänzen erwerben werde.
Allein Guido stand starr wie vor der Front und sagte nur höflich und gemessen, wie wenn er mit dem commandirenden Obersten spräche: »Und was haben Sie, mein Fräulein, beschlossen?« 207
Ophelia sah ihn mit großen, traurigen Augen an, sie schien zu fühlen, daß der ernsthafte Herr da sie in dieser Minute nicht begriff oder nicht begreifen wollte, und daß dem so war, schien sie zu verletzen und den begriffsstützigen Unbegreiflichen an Werth herabzusetzen.
Es ward ihr schwer, zu sprechen. Da aber die Pause sich empfindlich verlängerte, flüsterte sie, sachte die schönen Schultern hebend: »Ich? . . . . was kann ich thun? den Walzer anderweit vergeben . . . .«
Guido verbeugte sich.
Ophelia sah, daß er ohne Weiteres abgehen wollte. Da packte sie die Herzensangst doch noch einmal, und sie sagte rasch und ziemlich laut: »Aber der Cotillon . . . nicht wahr? . . . Sorgen Sie dafür, daß er recht lange dauert.«
Guido verbeugte sich noch einmal schweigend und trat zurück.
Wir Anderen sahen uns verblüfft an. Da schwirrte das Vorspiel zum Tanz in der Luft. Wir stoben auseinander und eilten zu unsern Damen.
Der erste Walzer, der Herzenswalzer, la grande affaire du soir! Voran der Ballkönig Oberlieutenant Steurer, – auch er schläft jetzt in französischer Erde, – mit Cordelien . . . . das zweite Paar ich, mit wem weiß ich nicht mehr . . . hinter mir Ophelia Howard.
Ophelia Howard mit Gordian von Schr . . . . .
»Und das laßt Ihr Euch gefallen!« knirschte Hugo von Pfetten, kaum daß der Tanz ausgeseufzt hatte. »Lammfell und Compagnie! Ich danke dafür, hier zuzusehen. Wenn Ihr Geduld dazu habt, ich nicht. Ich kauf' ihn mir.« 208
Ich wünschte in diesem Augenblick selber, daß Hugo seinen Vetter in Harnisch brächte. Bevor jedoch ein Anderer den Mund aufthun konnte, drängte sich der spanische Legationsrath dicht an den Studenten heran und erklärte mit leiser, aber entschiedener Stimme, – jedes Wort fiel ihm klar und energisch von den blassen Lippen:
»Meine Herren, es handelt sich, wie uns Allen bewußt, um eine Wette. Keiner von uns hat das Recht. unsern Partner durch Gewalt und provocirende Beleidigung zu verhindern, seine Wette zu erfüllen. Ich schwärme durchaus nicht für Herrn von Schr . . . ., aber wer ihn angreift, wird mich als seinen Gegner finden, und wär' es auch mein lieber Freund Pfetten. Sind die Herren nicht meiner Ansicht? . . .«
Es sprach Niemand dagegen. Hugo sah zornig in dem kleinen Kreise herum. Und wie noch immer Keiner seiner Meinung beipflichtete, rief er: »Ich bewundere Euch . . . ich bin nicht von Eurer Frömmigkeit. Ihr verbietet mir den langen Schabernack . . . gut! kauf' ich mir einen Andern.«
Weg war er. Don Esteban zuckte mit den Achseln und fuhr fort, zu mir und Guido gewendet, die allein noch bei ihm standen: »Das Einzige, was, wie ich glaube, nicht nur erlaubt, sondern gewissermaßen geboten wäre, um das Gleichgewicht des Spieles herzustellen, wäre, daß mein lieber Freund Guido sich ebenso ernsthaft um die Dame seines Herzens bemühte, als es jener Einbrecher zu thun scheint . . . . ., dies natürlich eine unmaßgebliche Meinung und in aller Freundschaft und Bescheidenheit gesagt.« 209
»Sie sind sehr gütig,« antwortete Pfetten. Und sie verbeugten sich vor einander. Dem Spanier blieb nichts übrig, als uns zu verlassen.
»Guido,« sagte ich, da wir allein im Gewühle blieben, und nahm vertraulich seinen Arm, »der Hidalgo hat ganz recht. Höre geduldig zu. Recht hat er. Jedes Mädel auf der Welt wartet auf die vier erlösenden Worte: willst Du mich heirathen? die sie zum glücklichsten Wesen auf der Welt entzaubern sollen. Das ist der Mädchen Bestimmung und Pflicht. Sprichst Du die Worte nicht, und Jener hat sie gesprochen, so gönnst Du ihm einen Vortheil freiwillig. Sei kein Narr. Quäle Dein eigen Herz nicht. Wirb ernsthaft um Opheliens weiße Hand.«
Ein bitteres Lächeln verzog seine Lippen. »Um die Tochter eines pennsylvanischen Parapluie-Machers?«
»Also auch darin ist Dir dieser Gordian überlegen, daß er Dir an der Geliebten den Geschmack verleiden konnte durch einen schlechten Witz?«
»Nein!« sagte Guido und sah wieder ernsthaft aus.
»Also Du willst um Miß Howard anhalten?«
»Ja!« sprach er, »wenn sie in dieser ersten, einzigen und – wie mich dünkt, – nicht eben schweren Probe Stand hält.«
Ich wollte noch Etwas sagen, aber wir merkten, daß irgendwo im Saale Streit entstand, daß alle Welt nach einer Seite hinsah oder hindrängte, und da uns Beiden der unbändige Hugo einfiel, so zögerten wir nicht, ihn aufzusuchen.
Der laute Wortwechsel hatte keine drei Minuten gedauert. Als wir den Vetter fanden, war Alles sachgemäß 210 geordnet. Hugo hatte sich wirklich einen zur Abkühlung »gekauft«. Aber leider war er dabei an den Unrechten gerathen.
Als die Sache nach etlichen Tagen abgemacht wurde, kam Hugo so übel weg, daß seine Launen und seine Entrüstung in diesem Winter Keinen mehr belästigen konnten. Er lag über einen Monat und hatte Zeit, darüber nachzudenken, daß blinder Eifer nur Schaden bringt.
Für jenen Abend hielt sich Guido, der solch Gebaren verurtheilte, verpflichtet, so wenig als möglich von seines Vetters Seite zu weichen, damit dieser nicht noch mehr Unfug anrichte. Und da Hugo sich noch immer gleich einem Rasenden geberdete, war es rathsam, den Zornigen noch vor Ende des Balles heimzuschaffen.
Zum Cotillon ließ sich Guido demgemäß bei Ophelien entschuldigen. Der Vorwand, seinen Hugo zu begleiten, schien ihm erwünscht zu kommen, um den Ball früher zu verlassen. Wo ihm der erste Walzer verweigert worden, wollte er auch den Kehraus nicht.
Ophelia saß schweigend auf ihrem Stuhl, da der Cotillon anhub. Sie kreuzte die Arme über dem weißen Atlasmieder und betrachtete die Spitzen ihrer eleganten Schuhe, die mit den Kanten auf ihrer Gaze-Robe spielten. Sie blieb sitzen. Zum ersten Male in ihrem Leben blieb sie sitzen. Ein paar Wagehälse holten sich bei der verwöhnten Dame Körbe, die sie, ohne die Diensteifrigen anzusehen, mit einsilbigem Bescheid ertheilte.
Schabernack, der hinter ihr saß, erhob sich nun in ganzer Länge und trat vor die ärgerlich Sinnende.
Sie sah ihn unter finsteren Brauen an. Ihre Wimper 211 zuckte. Gordian sprach ein paar leise Worte. Sie mußte lächeln, mußte die Achseln heben, stand auf und legte die Taille in Gordians bereiten Arm.
»Mit diesem also zweimal!« sagte ich vor mich hin, und obwohl ich wußte, daß dieser nur als Lückenbüßer eingesprungen war, sah ich den beiden Dahinwirbelnden doch mit einer Bedenklichkeit nach, als tanzten sie die letzte Hoffnung meiner Wette zu Schanden, als walzte mit ihnen die Lieutenants-Gage eines Jahres davon.
Was an diesem Abend noch vorging. schien Alles nur dazu gemacht, um Gordian zum Nutzen zu dienen.
Pfetten, der den zornschnaubenden Studenten heimgebracht hatte, und dem es doch wohl keine Ruhe ließ, bis er Ophelien noch einmal gesehen und sich überzeugt hatte, wer mit ihr den heutigen Ball beschloß, kam zurück und sah sie in Schabernacks Arm.
Er war kaum in den Saal getreten, als eine Dame nach der anderen mit einem Orden oder Stern in der Hand an den beliebten Tänzer herantrat und ihn zu einer Tour aufforderte.
Die Geschichte von Pfetten's erstem Walzer war wie ein Lauffeuer im Saal verbreitet worden. Und wer sich je über Opheliens Schönheit geärgert, wen ihre Toiletten, ihr Glück bei Hofe und ihr ganzes Ballkönigthum je einmal verdrossen hatten, beeilte sich, dem Mann, der heute vor einem Verrufenen, wie der lange Schabernack war, den Kürzeren gezogen, zu beweisen, daß man keine Amerikanerin zu sein brauchte, um gut und gern mit einem schmucken Oberlieutenant vom Leibregimente zu tanzen.
Ich glaube nicht, daß Guido von dieser Demonstration, 212 von diesem raschen Ergebniß einer stillschweigenden Verschwörung sonderlich erbaut wurde, allein es war keine Möglichkeit, sich ihr zu entziehen.
Ophelia sah dem Treiben mit großen Augen zu. Sie hatte Zeit und Weile zuzusehen, denn wenn sie nicht mit Gordian tanzte, blieb sie auf ihrem Stuhl sitzen. Kein Tänzer hatte Lust, sich von dem langen Schabernack eine Extratour verweigern zu lassen. Nur Don Esteban und sonst noch ein Paar fremde Vorurtheilslose oder Waghalsige hatten sich ihr genähert und sie, aus der Noth eine Tugend machend, auch diese abgewiesen.
Und also saß sie da mit Gordian von Schr . . . . . ., mitten auf dem besuchtesten Balle vereinsamt, und hörte zu, wie er ihr vorplauderte, und fand sich in der ungewohnten Lage zurecht, sich mit Jenem zu unterhalten und mit seiner Unterhaltung sich zu begnügen.
Guido verschwand vom Balle, sowie ihm die Damen mit ihren unwillkommenen Auszeichnungen Luft ließen. Ich habe ihn in dieser Nacht nicht wieder gesehen. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich noch gesehen habe oder nicht. Sowie ich die Augen schloß, auch noch in der Folge der Nacht, im Bette, am frühen Morgen, immer stand dasselbe Bild vor meinen Sinnen: die schöne, schweigsame Miß, und daneben der emsig flüsternde Gordian auf zwei vereinsamten Stühlen, um die ein wirbelnder, gespenstischer Kreis von walzenden, verschlungenen, in einander zerfließenden Paaren schwebte, tollte, zerflatterte und sich wieder von Frischem zu Gestalten bildete, bis mir endlich selbst Hirn und Augen im Kreise zu taumeln schienen. 213
Am hellen Tage ward mir nicht vernünftiger zu Muth. Ich hatte schweren Dienst, schnauzte meine Unteroffiziere an, ärgerte mich über die ganze Welt und nicht zum wenigsten über mich selber, der ich mir einer der größten Narren im Königreich erschien. Auf Mädchentreue bauen, welch ein Wahnsinn! Die Wette gab ich selbstverständlich bereits für verloren.
Die einzige Hoffnung, die etwa noch blieb, war die, daß Guido denn doch, trotz all dem Teufelsspuk, den Weg zu Opheliens Herzen zu finden wüßte. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er sich so leichten Kaufes habe schlagen lassen.
Er sah mich an, als verstände er kein Wort, was ich sagte. Als wir aber auf dem nächsten Ball die Howards eintreten sahen, sprach ich ihm noch einmal zu, ihnen entgegenzugehen. Ophelia war am Arme Gordians gekommen. Auch da ihre Mutter und Schwester schon Platz genommen hatten, blieb sie noch stehen und ließ ihre Hand in des langen Schabernacks Arm, plauderte leise mit ihm und senkte das Haupt dabei, ganz als ob sie Niemand darüber in Zweifel lassen wollte, daß ihr der Herr da näher getreten sei, als irgend ein Anderer rings herum.
Wir nähern uns der Gruppe. Ich weiß nicht, ob Guido die Absicht hatte, noch einmal mit der Amerikanerin zu sprechen, denn kaum, daß Vater Howard unser entfernt ansichtig geworden, beeilte er sich, uns mit einer Miene, welche die reinste Freude auszudrücken schien, den Weg zu vertreten. Er hing sich in Guido's Arm und begann ein eifriges Gespräch und führte ihn dabei im 214 Halbkreise nach dem anderen Ende des Saales, wo von den Seinigen nichts zu sehen war.
Guido war nicht der Mann, sich mit dem Zaunpfahl winken zu lassen; er schüttelte den Amerikaner alsbald ab und auf Nimmerwiedersehen. Opheliens Vater schien gar nichts Anderes beabsichtigt zu haben und kehrte ebenso vergnügt, wie er sie verlassen, zu Frau und Töchtern zurück.
Ich war mein Lebtag auf einem Balle nicht so nachdenklich gewesen, wie auf diesem. So nachdenklich, daß ich selbst die Devisen las, welche aus den Knallbonbons des Cotillons zu ziehen waren.
Hugo von Pfetten lag daheim »im Korbe«; jedoch der Racker hatte hier doch seine Hand im Spiele gehabt. Durch welches Mitglied des Comités er diese Verse hatte einschleppen lassen, weiß ich nicht, aber offenbar kamen sie von ihm:
»Rasch befreunden, rasch entfremden,
Wie man wechselt mit den Hemden.
Heut verlangend, morgen still,
Weiß sie selbst nicht, was sie will.«
Ich hoffte im Stillen, daß die unartigste dieser Devisen gerade in meine Hände gefallen sein möge. Solche Pfeile konnten nur mehr den Schützen verletzen. Der Feind war längst außer Schußweite. Jugendliche Possen!
Früher als gewöhnlich verließ ich den Ballsaal. Drunten in der Halle saßen noch Wenige. Einer der Ersten, die mir nachkamen, war Gordian von Schr . . . . . Er nahm 215 an einem der nächsten Tische Platz, saß einsam wie ich und bestellte sich zu trinken.
Ich konnte nicht umhin, ihn zu betrachten, und er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß er es nicht bemerkte, oder wenn er es bemerkte, dies ihm gleichgiltig war. Stumm und nachdenklich hielt er die Lehne seines Stuhles unter der linken Achsel fest, streckte die Beine lang von sich und spielte mit seiner Cigarre.
Das Kraut mußte schlecht brennen, denn ein über's andere Mal sah er sich genöthigt, in die Tasche zu greifen, um den Stengel frisch zu entzünden. Dann brachte er jedesmal etliche Streifchen Papier aus der Tasche, langte damit nach dem Licht auf dem Tisch, ließ sie aufflammen und warf sie von sich.
Es waren lauter Bonbonsstreifen. Man mußte ihm eine gehörige Menge davon in die Hand gespielt haben. Na, sie machten ihm weiter keine Beschwerden. Da lagen sie allesammt in Zunder, halb verbrannt, halb verweht. Und nun ging auch die Cigarre nicht mehr aus.
Schweigend rauchte der Mann so für sich hin. Schweigend und unbewegt, auch da sich die Halle füllte. Er machte mir den Eindruck eines Unentschiedenen, der sich auf dem Scheidewege seines Lebens ernstlich besinnt. Sollte er rechts oder links hin sich entscheiden, rechts den Weg an Opheliens weißer Hand, die er im frechen Uebermuth ergriffen hatte, die ihn aber doch noch zu Glück und Frieden und Ehrbarkeit führen sollte, oder links hin den schlüpfrigen, schmutzigen, aber gewohnten Weg, wo sich die Lüdriane balgten, wo sein Roscius und sein Winkelagent und die anderen lumpigen Kumpane blödsinnige Gassenhauer johlten 216 und die Würfel rollten und die Gläser splitterten, den Weg, welchen der lange Schabernack bis hierher gewandelt war?
Wie voll und laut es auch jetzt um ihn herum wurde, Gordian saß allein mit seinen Gedanken, wie ein Merlin unter einer Glasglocke. Eine Cigarre löste die andere ab, er regte sich kaum; sein Blick ward immer ruhiger, seine Stirne gefiel mir fast.
Hatte es ihm die Schönheit denn doch angethan, die sieghafte Macht, an der er spottend gefrevelt?!
*
Am anderen Abend erhielten Don Esteban, der Studiosus Pfetten und meine Wenigkeit gleichlautende Briefe, in denen uns Gordian v. Schr . . . . . in wenigen Zeilen seine Verlobung mit Miß Ophelia Howard zu wissen that.
Wir waren offenbar die ersten, welchen diese Mittheilung wurde. Auch die Zeitungen brachten die Neuigkeit erst etliche Tage später. Die Ueberraschung in der ganzen Stadt war groß. Der lange Schabernack, der altgewordene Spitzbube verlobt, ernsthaft verlobt, und mit wem? Mit dem schönsten Mädchen, das so viel Lärmens und Redens von sich gemacht, mit der reichen Amerikanerin, mit dem Wundervogel, dem sich unter zehn kaum Einer schüchtern zu nähern gewagt hatte! Es war rein zum Lachen!
Na, man lachte denn auch, und das gehörig.
Wer zuletzt lacht . . . freilich, so lautet das Sprichwort. Die Howards waren das nicht.
Vor der Hand erhielten wir am zweiten oder dritten Sonntag nach jenem Ball eine andere Zuschrift 217 Schabernacks, die uns mittheilte, daß vor vierzehn Tagen seine Verlobung verkündigt worden sei, und daß er uns demgemäß einlade, am Abend desselben Tages unserer Wette gerecht zu werden. Als Ort des Stelldicheins war, wenn wir nicht zu einer bestimmten Stunde seine Wohnung aufsuchen möchten, eines der Conversationszimmer des Museums anberaumt.
Wir wählten das Letztere und versäumten demgemäß absichtlich die erstere Bestimmung. Hugo mußte noch die Stube hüten. Ich brachte seine Summe mit der meinigen. Don Esteban wartete meiner im Lesecabinet, Gordian von Schr . . . . . in einem Spielzimmer.
Kaum daß wir einander ansichtig geworden, verfügten wir uns in das stille, behagliche Gelaß. Gordian schloß die Thüren, zog die Vorhänge zu, und da saßen wir an dem sammetbedeckten Tische, legten unsere Brieftaschen darauf und sahen einander in die Gesichter.
Gordian lächelte nicht und machte keine lange Einleitung. Der Zweck unserer Zusammenkunft war allen Dreien wohl bekannt. Die Verlobung des Herrn von Schr . . . . . mit Miß Ophelia Howard eine feststehende Thatsache, die Summen, welche wir anderen Drei verwettet hatten, ohne Einrede verfallen.
Wir zählten eine nach der anderen hin, Gordian zählte sie nach, und dann machte Jeder von uns einen festen Strich in sein Taschenbuch.
»Es ist Ihnen zwiefach Glück zu wünschen, Herr von Schr . . . . .,« sagte der Spanier, da er dies that. »Sie gewinnen die Wette und dazu die schönste Frau, die Einer hätte heimführen können.« 218
»Frau?« sagte Gordian und zog die Augenbrauen hoch, wie ein Geschäftsmann in Bedenken. »Sagen wir Braut.«
»Je nun,« gab ich zur Antwort, »heute Braut, morgen Frau. Das ist Ein Ding!«
Gordian kratzte sich mit dem Ende seiner Bleifeder an der rechten Schläfe und sagte dann, nicht ohne sichtliche Ueberwindung: »Ich habe mir in den letzten Wochen die Sache reiflich überlegt . . . reiflicher, als es sonst meine Gewohnheit ist, zu überlegen . . . . Eine schöne Frau ist ein schönes Ding . . . Aber belieben die Herren den Wortlaut unseres Uebereinkommens nachzulesen, so werden Sie finden, wir haben nur auf Verlobung, nicht auf Verheirathung gewettet.«
»Herr von Schr . . . . .!« rief ich und griff hinter mich nach dem Stuhle.
»Ruhig, ruhig!« sagte der Spanier und legte begütigend die Hand auf meinen Arm; dann fuhr er, zu dem Anderen gewendet, fort: »Wer die Brautschaft zugiebt, kann doch nichts gegen die Ehe einwenden.«
»Mag sein!« antwortete Schr . . . . ., »aber ich habe nicht in diesem Sinne gewettet.«
»Und solch ein windiger Scrupel könnte Sie beirren?«
Gordian zuckte die Achseln. »Der nicht allein . . . Ich ein Ehemann! Können Sie sich das vorstellen? Der lange Schabernack ein wohlbestallter, sittenstrenger Eheherr! Es wäre zum Lachen!«
Der Teufel ritt mich, daß ich ein Wörtchen fallen ließ. »Allerdings!« sagt' ich und meinte dem Feinde etwas Empfindliches gegeben zu haben. 219
»Nicht wahr?« sagte der, grinste mich wunderlich genug an und faltete im nächsten Augenblick die Banknoten, die er bislang in seiner Hand gehalten, mit dem Daumennagel länglich übereinander. Dann drehte er sie zusammen, wie einen Fidibus, und mit noch weniger Erregung, als er jüngst die schlechten Bonbonverse angebrannt hatte, hielt er nun unsere Verluste in das erste beste Licht auf dem Tisch. Es war ein ganz hübsches Sümmchen.
Ich sprang auf und fiel ihm in die Hand. »Nicht doch, Herr von Schr . . . . .!« rief ich. »Es giebt noch arme Leute genug in der Stadt.«
»Wie Sie meinen!« sprach er achselzuckend, schlug auf die Klingel und befahl dem eintretenden Diener, Schreibzeug zu bringen.
Ehe derselbe zurückkam, hatte Gordian ein Zeitungsblatt, das auf einem Sopha vergessen lag, zu Rathe gezogen. Den Finger auf einer Annonce, sagte er nun: »Eine Collecte für Waisenkinder!«
Niemand widersprach. Gordian steckte die Banknoten, an denen nur ein kleines Ende schwarz angesengt war, in ein Couvert und schrieb die Adresse des Waisenhauses darauf, die er just aus der Zeitung gelesen hatte.
Wie sich der Diener damit entfernen wollte, befahl er, der die Feder noch in der Hand behielt, ein wenig zu warten. Wir sahen ihn etliche Zeilen mit fliegender Hast auf einen Briefbogen werfen und auf die rasch verklebte Umhüllung langsamer und sorgfältiger die Worte der Adresse setzen. Dann gab er dem Museums-Diener die laute Weisung, diese Post alsbald an Mr. Howard, dessen Wohnung ihm ja bekannt sei, bestellen zu lassen. 220
Der Untergebene bejahte und verschwand. Gordian sah uns Beide mit einem seltsamen Blick an, in welchem ein mir unerklärliches Gefühl brannte. War es Schmerz, war es Bosheit, Mißtrauen, Scham oder Frechheit . . . oder von Allem etwas . . . ich wußte es damals nicht, weiß es heute nicht. Den nächsten Augenblick verzogen sich seine Lippen zu einem halbseitigen, willkürlichen Lächeln.
»Ich denke die Sache ist abgemacht,« sprach er. Dann erhoben wir uns, und Jeder ging seiner Wege.
*
Es versteht sich, daß ich meinem Freunde Guido von dem Ausgange der Sache Mittheilung machte. Was in Gordians Brief an den alten Howard gestanden, wußte ich noch nicht und den Redensarten, die er bei der Uebergabe des Geldes hatte fallen lassen, glaubte ich kein Gewicht beilegen zu sollen. Sie gewannen erst später für mich den rechten Sinn. Guido war ebenso wie ich von der Gewißheit überzeugt, daß die einst geliebte Miß Ophelia in kurzen Wochen Frau von Schr . . . . . sein werde.
Guido schien ruhig und schweigsam wie immer. Ich meinte ihm zureden zu müssen. Er lehnte das ab. »Wenn ich es recht betrachte,« sprach er, »so hatte ich sie in dem Augenblick schon verloren, da sie der Gegenstand einer Wette wurde; sie war mir schier verleidet, da der erste Beste gegen ihre Treue bieten konnte.«
»Ein Fremder, der sie nie vordem gesehen hatte!« rief ich.
Und Guido antwortete: »Er hatte sie nie gesehen und 221 doch besser beurtheilt, als wir Anderen, die wir sie vielleicht zu nahe gesehen hatten.«
Ich durfte, wollte nicht darauf dringen. ob mein Kamerad sich nur so tapfer verstellte, oder ob der Wahn, mit dem er so vertraut Monate lang gelebt hatte, einmal als Wahn erkannt, sich mit geringeren Schmerzen von seinem Herzen löste, als ich erwarten zu müssen gemeint hatte.
Als ich gelegentlich noch einmal auf die schönen Amerikanerinnen zu sprechen kam, unterbrach er mich beim ersten Wort mit deutlichem Unwillen: »Was kümmern uns fremde Leute!« sprach er. »Miß Howard ist mir fremd geworden, und Frau von Schr . . . . . wird mir eine Fremde bleiben. Wir wollen nie wieder von ihnen reden. Verstanden? nie mehr.«
So ließ ich's denn bleiben. Aber ich beobachtete meinen Kameraden mit der ganzen Aufmerksamkeit besorgter Freundschaft. Ich fand in seinem Thun und Lassen kaum eine Veränderung. Ernst und verschlossen war er immer gewesen; er war es vielleicht jetzt noch etwas mehr als sonst, aber man mußte sehr genau zusehen, um es zu bemerken. Zu den Tummlern, zu den Vorlauten, zu den Uebermüthigen hatte er nie gehört; man suchte ihn bei Jenen früher nicht, wie sollte man jetzt ihn dort vermissen? Der Carneval war vorüber; in der Fastenzeit tanzte man damals noch nicht; er brauchte sich also auch in Gesellschaft keinerlei Zwang anzuthun. Er leistete seinen Dienst vorwurfslos nach wie vor, pflog mäßigen Verkehr mit Verwandten und Freunden und blieb die meisten Abende daheim auf seiner Stube. 222
Wenn ich ihn besuchte, fand ich, daß er taktische Beispiele ausarbeitete. Außerdem trieb er das Russische. Warum ihn gerade diese Sprache vor allen anzog, weiß ich nicht; ich denke mir, weil sie schwer zu erlernen war. Es hat so Jeder seine Weise, mit sich selber fertig zu werden. Mir lag nichts ferner, als den braven Freund in der seinigen zu stören.
Nur einmal noch konnte ich nicht umhin, seinem ausdrücklichen Verbote zum Trotz, den Namen Howard vor ihm auszusprechen.
Mitten in der arglosen Fastenzeit schlug wie ein Blitz die Nachricht ein, daß Gordian von Schr . . . . . seine Verlobung mit Miß Ophelia Howard rückgängig gemacht habe.
»Die Eltern haben das voreilige Verlöbniß rückgängig gemacht?« beeilte man sich zu fragen.
»Nicht doch!« war die Antwort; »keineswegs Jene. Gordian hat abgeschrieben. Er hat Jenen den Laufpaß gegeben. nicht sie ihm!«
»Und warum?«
»Je nun, wenn Einer Gründe braucht, ist er nicht lange verlegen. Und dieser Kauz schon gar nicht wählerisch. Man redet von Irrthum des Herzens, von Bedenken der Familie, von Uebereilung des Gefühls und von zu spät erkannter Ungleichheit der Charaktere, der Temperamente, der Lebensanschauungen. Larifari! Die Wahrheit ist, daß der lange Kerl im Ernste gar nie daran gedacht hat, das schöne Kind zur Frau von Schr . . . . . zu machen. Sein Vorgehen war lediglich die Folge einer gottlosen Wette, in welcher er sich, anderen Spaßbrüdern zum Trotz, 223 gebrüstet hatte, sobald es ihm beliebte, das schönste. reichste, angesehenste Mädchen in der Stadt heimführen zu können. Nun die Wette gewonnen, läßt er das Opfer laufen.«
Ein Schrei der Entrüstung war das Erste. was überall bei der Nachricht laut wurde. Was nachher kam, war ein Achselzucken, ein Hauptschütteln oder so was dergleichen. Die Howards waren Fremde. Sie gingen uns weiter nichts an. Was ihnen bei uns widerfahren, war fatal . . . aber warum hatten sie sich nicht besser vorgesehen.
Und nicht nur das. Von jenem Augenblick an, da es bekannt geworden war, daß die amerikanische Familie die Werbung eines verrufenen, lasterhaften Burschen, wie der lange Schabernack war, unbedenklich aufgenommen und nach Kräften begünstigt hatte, blos weil er reich war, angesehene Verwandte besaß und zwei goldene Knöpfchen auf dem Frackschoß trug, waren Vater, Mutter und Töchter allmälig um die Hälfte ihres Ansehens bei ihren wirklichen Freunden und Verehrern gesunken.
Nun sie ein Kerl, wie Gordian von Schr . . . . . . auch noch ohne viel Umstände sitzen ließ, verloren sie die andere Hälfte ihrer Geltung mit einem Schlage.
Am ersten Tage ward über Gordian geschimpft und das Mädchen bedauert . . . Beides recht von Herzen . . . am andern Tage waren die Howards, was man »drunterdurch« nennt.
Sie fanden alle Thüren verschlossen und alle Menschen zugeknöpft. Da sie kurz vordem ihren wahren Freunden so übermüthig mitgespielt hatten, was Wunder, daß sie nun keine wahren Freunde mehr finden konnten, die für sie eingestanden wären. 224
Ich habe nachher oftmals Erstaunen darüber äußern hören, – und irre ich mich nicht, so schwebt dies Erstaunen jetzt auch auf Euren Lippen, – daß der nichtswürdige Streich Gordian so ungerächt hingegangen, daß Keiner sich gefunden, der den Unbändigen über den Haufen geschossen.
Ja, wären die Howards Einheimische gewesen, das Schicksal Gordians hätte sich rasch entschieden gehabt. Aber so! . . . Zu Hofe kommen, ist für den Fremden nicht schwer; das besorgt, wenn der Banquier gute Auskunft giebt, schon der gefällige Gesandte seines Staates. Aber wenn des Fremden Ehre in Noth geräth, schließt man ihm bei Hof und in Gesellschaft einfach die Thüre vor der Nase zu, und der Bänker springt nicht für ihn ein, und die Herren von der Gesandtschaft hätten viel zu thun, wenn sie für jeden Howard oder Smith, der seine Töchter nicht endgiltig zu verloben versteht, die Lanzen einlegen wollten.
Und wir Anderen? Je nun, wir, die wir mit Gordian gewettet, wir konnten ihm doch nicht für unser verlorenes Geld an den Kragen gehen! Was waren uns Howards? Ballbekanntschaften, die uns weiter nichts angingen und überdies in letzter Zeit auch noch schlecht behandelt hatten.
Guido? . . . Er hätte sich, abgeblitzt und genasführt, wie er war, vor aller Welt lächerlich gemacht, wenn er seinem Zorn die Zügel schießen lassen und mit Gordian Händel gesucht hätte. Mit welchem Rechte wäre er gerade für die Howards eingesprungen! Ordentlich an der Hand hatte der Vater auf jenem letzten Ball den braven Mann von den Seinen weggeleitet, eine symbolische Handlung, 225 über deren Bedeutung Keiner, der sie mit angesehen, in Zweifel sein konnte.
Für Guido war Ophelia eine Fremde und blieb es, ob sie Frau von Schr . . . . . wurde, ob sie Miß Howard blieb.
Als ich ihm die Nachricht brachte, sah er mich fest an und schien mir im Moment noch blässer zu werden, als er schon war. Dann ging er zweimal die knappe Stube hin und her und setzte sich schließlich wieder vor seinen Arbeitstisch, ohne weiter ein Wort zu sprechen. Ich mochte ihn nicht fragen, ob er gerade taktische Beispiele oder cyrillische Buchstaben schrieb; ich drückte schweigend des Schweigenden Hand und ließ ihn allein.
Gordian versteckte sich nicht. Im Sonnenschein, der frühlingshaft vom blauen Himmel glänzte, sah man ihn frech auf allen Straßen flaniren. Wo das wunderbare Wetter die Leute hintrieb. da war auch er. Am Arme seines Schauspielers oder sonst in anrüchiger Gesellschaft, den neuen Hut schief auf dem frisch gescheitelten Haupte, den Kneifer im Auge, den seidengefütterten Rock bis an die Schultern aufgeklappt und im Knopfloch einen Veilchenstrauß, sah er all der Menschheit in's Gesicht. die sich nun wieder einmal um seine Streiche bekümmern mußte. Er lachte, schrie und riß seine Possen, verhöhnte die Verachtung, der er ziemlich allgemein gewiß war, und wartete, wer ihm etwa was anhaben wollte.
Den Howards blieb nichts übrig, als die Schmach, die sie – nicht ganz unverschuldet – empfangen hatten, zu ihren kostbaren Habseligkeiten in ihre geräumigen amerikanischen Koffer zu packen und die gastliche, heitere Stadt, 226 in der sie so rasch zu Ansehen gekommen waren und dies Ansehen noch viel rascher durch eines bösen Buben Streich verloren hatten, so bald als möglich zu verlassen.
Sie bezahlten ihre Rechnungen und reisten ab. Niemand fragte: wohin.
*
Dies ist die Geschichte der Wette Schabernacks. Ihr sagt, daß sie keine Moral habe? Darin irrt Ihr Euch. Doch zuvörderst wollt Ihr wissen, was aus Gordian von Schr . . . . . geworden ist.
Je nun, nicht eben viel.
Der Frühlingssonnenschein, der um Mittfasten damals über alle Straßen erglänzte, bewies sich landesüblich bald genug als eine Täuschung. Der Winter hub noch einmal an. Das Wetter ward nichtswürdiger, als es vordem gewesen. Man mochte lange keinen Hund auf die Straße jagen, und wenn wir nicht gerade Dienst hatten, gingen wir auch nicht weiter, als wir mußten, und hielten uns behaglich und warm in vertrauten Kreisen.
Als dann die Welt ernstlich und giltig im Frühlingsscheine prangte und die Ostersonne alle Städter auf die Straßen lockte, war Gordian von Schr . . . . . nirgends mehr zu sehen. Wo war er hingekommen? Wer kümmerte sich darum! Wer sprach jetzt noch von ihm und seinen Streichen!
Ich selber sah ihn erst im Sommer wieder. Rein zufällig, das versteht sich.
Ich war mit guten Freunden um die Pfingstzeit in's 227 Gebirge gegangen und hatte mir's etliche Tage ohne Schleppsäbel und Haussecol behaglich sein lassen. Jodelnd, singend und mehr oder weniger hemdärmelig kamen wir eines Nachmittags zu Thal und suchten das rühmlich bekannte Wirthshaus zu . . . . . . am See.
Es war drückend schwül und Schatten und Labung erwünscht, wir nichts desto weniger guten Muths und voll Unsinn. Die letzte Strecke des Wegs am Seegestad entlang schlendernd, fiel mir ein Kahn auf, der ruderlos an's Ufer herantrieb, wie ihn Wind und Strömung hinschoben.
In dem Kahne saß ein Mann mit breitkrämpigem Strohhut, die Lodenjoppe halbseitig über den Rücken geworfen, den Ellenbogen auf den Schiffsbord gestemmt, das Haupt nachdenklich nach vorn geneigt und in's Spiel seiner Hände versunken.
Ich sah zu, was seine Hände denn so Wichtiges thaten, daß sie des Menschen ganze Aufmerksamkeit fesselten und selbst des nöthigen Ruderns überdrüssig machten. Und ich fand, daß sie weiter nichts thaten, als eine kurzgestielte Meerschaumpfeife ausklopfen.
Die Pfeife mußte längst leer sein, der Mann unter dem Strohhut klopfte gedankenlos in Einem fort weiter, wie wenn diese nutzlose Uebung des Handgelenks Aufgabe einer Maschine wäre. Erst da der Kahn noch näher an's Ufer herantrieb, merkte ich, daß er mit dem Meerschaumkopf sich den Tact zu einem Liede schlug, welches er also brütend vor sich hinsummte, ohne die Worte deutlich auszusprechen, – offenbar auch, ohne sich viel dabei zu denken in dieser Bergeinsamkeit.
Ich horchte. Die Stimme schien mir bekannt. Das 228 Wasser rauschte dazwischen. Die halblaute Stimme kannte ich doch wieder nicht. Aber wohl das Lied. Es war ein irisches Lied und begann etwa so:
Kathleen Mavourneen, von dämmrigen Hügeln
Begrüßt schon ein Jagdhorn das Ende der Nacht.
Die Lerchen schütteln den Thau von den Flügeln . . .
Und Kathleen Mavourneen ist noch nicht erwacht!
Es war im vorigen Winter viel gesungen worden!
Ritsch, ratsch! da knirschte der Kiel des Schiffchens in den Ufersand, und das Fahrzeug saß fest, und der Insasse kriegte einen sanften Stoß, daß der Ellenbogen vom Rand abließ und der Mann nicht nur die Hand, sondern auch das Haupt erhob.
Ich stand dicht davor und schaute nun Herrn von Schr . . . . . in's sonneverbrannte Gesicht. Er sah ernsthafter aus als gewöhnlich und in diesem Augenblicke, wie billig, sehr überrascht.
Im nächsten Moment knackte etwas über seiner Hand. Ich sah, daß er die Meerschaumpfeife zerschlagen hatte und nun Stumpf und Stiel über seinen Kopf weg in's Wasser schleuderte.
Er stand auf, grüßte schweigend mit erhobenem Hut, ohne eine Miene zu verziehen, griff nach den Rudern, stieß ab und ehe wir das Wirthshaus erreicht hatten, schwamm sein Kahn wieder weit draußen auf der Mitte des Sees. Man konnte nicht wahrnehmen, ob der Mann darin noch ruderte oder fischte oder ob er sich wahllos treiben ließ und müßigen Gedanken nachhing, wie vorhin. 229
Wir zogen nach der Mahlzeit wieder weiter. Ich verlor den Herrn von Schr . . . . . und sein wunderlich Gebaren in der Einsamkeit alsbald aus dem Sinn. Aber kaum, daß der Spätherbst in den Winter übergegangen, tauchte der verruchte Bursche wieder in der Hauptstadt auf, und es währte nicht lange. so machte er auch wieder von sich reden.
Ich brachte damals zwischen den unbesonnenen Mann, wie er sich nun wieder aufspielte, und den fast schwärmerisch nachdenklichen, der vollauf darin verloren schien, sich auf einem stillen Gebirgssee eine schwermüthige irische Melodie immer noch einmal zu wiederholen, keinen Zusammenhang. Später freilich ward mir derselbe klar.
Vor der Hand waren alle Leute voll der Anerkennung, welche nicht so sehr das artige Talent, als vielmehr die außerordentliche Schönheit einer jungen Schauspielerin erntete, die nach kurzem glücklichen Gastspiel in den Verband unseres Hoftheaters war aufgenommen worden. Sie hatte den merkwürdigen Namen Bockelband, wußte sich ungemein gut zu kleiden, verstand es, mit ihren großen Augen, ihren kleinen Füßen und ihrer mittelmäßigen Stimme jederzeit den gewünschten Eindruck zu machen, und zeigte auf der Bühne soviel Gewandtheit und Erfahrung, daß man dieselben in Anbetracht ihrer übrigen verführerischen Eigenschaften gern für Talent nahm. Fräulein Bockelband ward nach wenigen Wochen zum Liebling des Publicums erklärt, und alle Welt mußte sie gesehen und beklatscht haben, obschon sie nie in eigentlich bedeutenden Rollen auftrat.
Sie war kaum über einen Monat zu solcher 230 Anerkennung gediehen, als die ganze Stadt sich über die Neuigkeit wundern mußte, Herr von Schr . . . . ., der bekannte Gordian von Schr . . . . ., werde sich mit Fräulein Bockelband verheirathen.
»Was, der bewußte Herr, der im vorigen Winter . . . schändlichen Angedenkens . . . unmöglich!« rief man hier und dort.
»Doch, doch! Ebenderselbe! Ich weiß es von dem Regisseur des Theaters« . . . »Ich vom Theaterarzt!« . . . »Und ich von dem Bräutigam selber!« lauteten die Antworten.
Kein Zweifel!
»Je nun, ehe er vor den Altar tritt, zieht der sich wieder mit einem Absagebriefchen in's alte Junggesellenleben zurück!«
»Davor hat sich die kleine Bockelband zu verwahren gewußt. Man wird ja immer aus dem Schaden Anderer klug. Nun, die ängstliche Schauspielerin hat sich für den Fall des Wankelmuths vor der Eheschließung von ihrem Bräutigam ein Reugeld contractlich festsetzen lassen, . . . ich sage Ihnen, eine horrende Summe, die er nicht verlieren kann.«
»Gordian von Schr . . . . . ist auch das im Stande!«
»Er denkt nicht daran! Er ist verliebt bis über die Ohren, und er sehnt sich nach ehelichem Glück und behaglicher Häuslichkeit, wie er selber versichert, daß er es im Junggesellenstande gar nicht mehr auszuhalten weiß.«
Gordian von Schr . . . . . sehnt sich nach ehelichem Glück?! Verlorene Schönheit, die er beleidigt, 231 wundersames Mädchen, Ophelia Howard, war das deine Rache? Ja, sie war es. –
Die Verheirathung Gordians mit der hübschen Schauspielerin ward noch im Laufe des Winters mit gehörigem Aufwand vollzogen. Die junge Frau von Schr . . . . . verließ die Bühne. Die Neuvermählten blieben in der Stadt und bezogen ein Entresol in der elegantesten Straße, von dessen Comfort und Luxus die Eingeweihten viel zu erzählen, zu tuscheln, zu lachen hatten. Die Eingeweihten, das waren ungefähr dieselben Schmarotzer, mit welchen vordem der lange Schabernack in der Stadt herumgezogen war, oder ähnliche Gesellen, die sich aus gleichen Gründen zu Gordians Wahlverwandtschaft berufen fühlten.
Ich weiß nicht, ob dem jungen Ehepaar diese Cumpanei auf die Dauer behagte; ich weiß nur, daß es offenbar die Kraft nicht besaß, dieser Art Leute von sich abzuschütteln; und noch viel weniger die Eigenschaften, um Leute besserer Art an sich heranzuziehen.
Allgemach munkelte man so Allerlei. Ich hatte natürlich nicht die geringste Lust, mir den merkwürdigen Haushalt in der Nähe zu betrachten, und würde wohl überhaupt nichts davon zu erzählen haben, wenn nicht in geraumer Zeit nachher das Gerede die fatalen Dimensionen eines Skandals angenommen hätte, den Niemand überhören konnte.
Was dem ungestümen Junggesellen bei all seinem rücksichtslosen Treiben nicht gelungen war, die kleine Frau mit ihren hübschen blanken Zähnen hatte es in kaum zwei Jahren fertig bekommen, nicht nur die Zinsen von Gordians Vermögen aufzuessen, sondern auch das Kapital 232 so bedenklich anzunagen, daß der keineswegs gestrenge Gatte sich des Schauderns und des Grauens auf die Dauer nicht erwehren konnte. Allerdings, sie hatte ihr Geld geschmackvoll verwendet und Nichts umsonst ausgegeben; wer sie sah, dem gingen die Augen über, wer von ihr hörte, dem summten die Ohren. Dem Gatten selber schien nachgerade nicht nur der Preis zu theuer, sondern die Waare selber machte ihm immer geringere Freude.
Es überraschte Niemand mehr, als die Zeitungen die Nachricht brachten, Frau von Schr . . . . . . die ehemals unter dem Namen Fräulein Bockelband so beliebte Soubrette, werde sich wieder der Bühne zuwenden und sei bereits für das Wiener . . . . theater engagirt.
Und wirklich, sie ging und machte auch dort ihr Glück, und auf dem Theaterzettel stand allabendlich der gute, alte Name derer von Schr . . . . ., die sich gewiß in ihren gewappneten Särgen von diesem angeheiratheten Künstlerruhme nichts träumen ließen.
Gordian blieb vor der Hand, wo er war. Ein um's andere Mal besuchte er seine Frau. Nicht ohne Verdruß, wie es scheint. Im nächsten Jahre ließen sie sich, verständnißinnig und sachgemäß, in aller Form Rechtens von einander scheiden.
Als ich einige Zeit nachher selber Wien besuchte, fand ich Frau von Schr . . . . . im Begriff, ein noch größeres Vermögen zu zernagen, als das ihres angeheiratheten Gatten gewesen war. Und da ihr Darstellungstalent mit jener enormen, verzehrenden Virtuosität keinen Vergleich aushielt, verschwand sie eines Tages von der Bühne, und so habe 233 ich und vielleicht auch ihr geschiedener Gatte nichts mehr von ihr gehört.
Bei Gordian aber war die Sehnsucht nach ehelichem Glück und häuslichem Behagen nach diesem schweren Mißlingen noch nicht gestillt. Die Rache der beleidigten Schönheit, die sich ihm wie ein unersättlicher Durst in's Gemüth gepflanzt hatte, ein Durst nach dem Glück, das er frevelhaft geschmäht und verachtet hatte und doch nicht mehr in reiner Gestalt genießen sollte, sie trieb ihn ruhelos vor sich her durch's wüste Dasein.
Jahre vergingen. Gordian schlenderte in den Tiefen des hauptstädtischen Lebens herum, ein mißachteter Mensch, der nicht einmal mehr schlechte Gesellschaft fand. Sein Witz war ausgegangen, sein Aussehen heruntergekommen, seine Manieren verbauert. Er hatte allerhand angefangen, die Lücken, welche seine schöne Frau in's ererbte Vermögen gebrochen, wieder auszubessern, aber Alles umsonst. Ungeschickt und unkundig in Geschäften, wie er war, ward er eine leichte Beute für Schwindler und Projektenmacher. Statt sich aufzuhelfen, verlor er also noch ein gut Theil von dem bisher Erhaltenen und sah sich eines Tages plötzlich auf einem Punkte angelangt, wo er Halt machen, umkehren und ein neues Leben anfangen mußte, freilich kein erfreulicheres und kaum ein besseres.
Aber vor Allem mußte er sich sagen, daß er, der zu keinem Amt mehr taugte, der zum Tagelohn zu vornehm und zu ernster Arbeit im überlangen Müßiggang verdorben war, in der kostspieligen Stadt seine Rolle ausgespielt habe. Da dieselbe seit Jahr und Tag nur mehr eine Statistenrolle war, so will ich gern glauben, daß er sie ohne viel 234 Herzeleid aufgab. Er zog hinauf gegen das Gebirge, wo sein Vater, der Allerhand erworben und besessen, in einem Dorf zwischen Berg und See ein kleines Haus stehen hatte. Nicht viel mehr als ein Bauernhaus, nur wohnlicher eingerichtet.
Dorthin verlegte Gordian sein Wesen. Dort lebte er in der schönen Jahreszeit mit den Herrschaften, die zur Sommerfrische hinauszogen, und im Winter mit den Bauern. Und je länger er draußen hauste, desto mehr mußte er sich mit den Bauern einleben. Ganz freilich gelang es ihm nie. Und Respect vor ihm war es gewiß nicht, der die Landleute vor größerer Intimität mit dem edlen Stadtherrn zurückhielt. Doch hörte man nichts mehr von absonderlichen Streichen. Er duselte den Tag so hin und versaß die Abende im Gemeindewirthshaus, kurze Pfeifen rauchend und lange Geschichten erzählend, was er seiner Zeit für ein Mordkerl gewesen sei.
Man wußte dort nun zwar alle die Geschichten schon auswendig, hätte sie wenigstens längst auswendig wissen können, aber Bauern sind geduldige Zuhörer und nirgends geduldiger als im Gemeindewirthshaus.
In der Stadt dachte Niemand mehr an den verschollenen Gesellen, einst der lange Schabernack geheißen. Als ich jüngst aber einem Freunde begegnete, der den Sommer in jener Gegend des Gebirges verbracht hatte, fiel mir bei dem Namen des Ortes auch der Name des Mannes ein, den ich dort vor Jahren in so wunderlicher Nachdenklichkeit auf ruderlosem Kahne hatte treiben sehen.
»Wissen Sie nicht, was aus Herrn von Schr . . . . . 235 geworden ist, der sich in jener Gegend eingeheimst hat?« fragte ich meinen Bekannten.
Und der antwortete lachend: »Wohl. Er hat sich wieder verheirathet!«
»Gordian!« Ich mußte staunen.
»Ja, ja! zum anderen Male verheirathet. Er versicherte, daß er es im ledigen Stande nicht aushalten könnte, daß er eigener Häuslichkeit und behaglichen Zusammenlebens bedürfte und, nun er auf dem Lande lebte und in die Jahre käme, dringender als vorher.«
»Und wen hat er denn zu seiner Frau genommen?«
Mein Bekannter zuckte die Achseln, ehe er sich zu sagen entschloß: »Eine Kellnerin aus dem Gemeindewirthshaus, ein gewöhnliches, dralles, derbes Ding, das alte Witze reißt und saftige Lieder singt, das die Fäuste in die Seiten stemmt und Maulaffen feil hält. Seit sie, wie ein Stein vom Himmel fällt, auf einmal eine gnädige Frau von Schr . . . . . geworden ist, dünkt sie sich von Gottes Gnaden gegen alle Welt zu außerordentlicher Grobheit berechtigt, auch gegen den eigenen Gatten, und sie schwingt ohne viel Federlesens einen Pantoffel über ihm, der an Gewicht und Nachgiebigkeit alle Aehnlichkeit mit einem Holzschuh hat.«
So sprach mein Bekannter, und ich mußte denken: Zorn der gekränkten Venus, wirst Du den Armen bis an's Ende verfolgen!?
Ihr fragt mich, ob ich denn von Ophelia Howard nichts wieder gehört habe.
Nichts weiter, als daß auch sie in ihrer Heimath geheirathet hat. Der sie nahm, war kein Mann von Stand 236 und Graden, er trug vor seinem Namen kein adelig Partikelchen und hinter seiner linken Hüfte nicht die golden Knöpfchen eines königlichen Kammerjunkers; er handelt mit Oel und Getreide und soll eine gute Seele und eine sichere Firma sein.
Wer könnte der Schönheit auf die Dauer grollen! Wir wollen Ophelien wünschen, daß sie recht glücklich geworden sei, weit glücklicher, als sie es an uns verdient hat.