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Die Reise ins Paradies: Endfassung

I.

Es dreht sich die Erde um die Sonne und der Mond dreht sich um uns. Oh wie schön ist der Mond, die Sonne, die Erde! Wie hell ist der Tag, wie finster die Nacht, wie trocken der Staub, wie naß der Regen, wie hitzig der Sommer, wie eisig der Winter, wie weiß der Schnee und wie grün das Gras! Oh wie oft haben wir uns wegen all dieser Probleme gezankt, gestritten, gerauft, geprügelt und wieder versöhnt, mein Bruder und ich!

Mein Bruder
der zeichnet
und ich, der ich schreibe.

Warum zeichnet Oberer und warum schreib ich Unterer? Weil es uns freut! Jawohl, wir freuen uns über das Eis und die Hitze, das Laster, die Tugend, das Unkraut und das Kraut, das Gute und das Böse – kurz und gut und böse: ärgert Euch nicht über uns! Denn wir können doch nichts dafür, daß unser kurzes Leben uns mal gegeben worden ist, um dereinst genommen zu werden.

Ärgert Euch nicht, liebe Leut!

Seht, wir widmen ja Euch dieses Buch, Euch allen jenen, die wohl lesen, aber nicht zeichnen können! Und auch denen unter Euch, die nicht lesen können. Die sollen es sich nämlich vorlesen lassen, von jenen, die zeichnen können. In diesem Sinne!

Euer Ödön von Horváth.

Ein Briefwechsel

Am 7. März 1935

Lieber Bruder,

wo steckst Du? Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief, denn ich hätte einen wichtigen Vorschlag: Du wirst Dich doch erinnern, daß unser lieber Onkel Ferdinand am 2. Oktober Geburtstag hat. Er wird hundert Jahre alt und da hab ich mir gedacht, daß wir ihm etwas schenken sollten, weil er doch unser Wohltäter ist. Da wir jedoch kein Geld haben, um ihm etwas zu kaufen, bin ich dafür, daß wir zwei ihm ein Buch schreiben, ich die Worte und Du die Bilder. Er wird sicher eine Riesenfreud daran haben. Antworte bald

Deinem Bruder.

*

Am 11. August 1935

Lieber Bruder,

ich antworte bald, denn ich tu sehr gerne mit, aber hast Du schon eine Idee für das Buch? Antworte bald

Deinem Bruder.

*

Am 12. August 1935

Lieber Bruder,

natürlich hätt ich schon eine Idee, und zwar: der liebe Onkel Ferdinand sagt doch immer, daß er in einer anderen Zeit leben möcht. Schreiben wir ihm also ein Buch, in dem er ein Auto hat, mit dem er nicht nur in beliebige Länder, sondern auch in beliebige Zeiten fahren kann. Seit wir ihn kennen, seufzt er doch in einer Tour: »Früher war es besser!« Lassen wir ihn also zurückfahren, wohin er nur möcht, ins Mittelalter, zur Maria Theresia und zu seinem geliebten Napoleon, zum Schubert Franzl oder zum Trojanischen Pferd! Er wird sicher eine Riesenfreud daran haben! Antworte bald

Deinem Bruder.

*

Am 13. August 1935

Lieber Bruder,

diese Idee mit der Reise retour ist mein Fall! Du weißt, ich bin schreibfaul, drum leg ich Dir lieber gleich ein Aquarell bei: »Onkel Ferdinand vor seinem Zeitwagen«.

Sieht aus, wie ein normales Auto, nur hat es drinnen eine Vorrichtung, mit der man in der Zeit zurückfahren kann, aber diese Vorrichtung kann man auf dem Bilde nicht sehen, denn das wäre mir zu kompliziert zum zeichnen. Auf Wiedersehen!

Dein Bruder.

NB: Ich bin dafür, daß er zuerst eine Probefahrt macht, aber nicht zu weit.

*

Probefahrt in die Kinderzeit

»Wieviel Liter?« fragte der Tankwart. »Dreihundertzwanzig«, sagte der Onkel kurz. Der Tankwart starrte ihn entsetzt an: »Wieviel?!« »Oder«, meinte der Onkel und setzte sich die Brille auf, »gebens mir dreihundertfünfundzwanzig. Und zweiundsechzig Liter Öl.« »Großer Gott!« schrie der Tankwart, »sind Sie verrückt geworden, Herr Ferdinand?!« »Wieso?« erkundigte sich der Onkel herablassend. »Ja, wo wollens denn hinfahren?! Um die Welt oder gar auf den Mond?!« »Noch weiter!« sagte der Onkel und lächelte mysteriös. »Aber davon verstehen Sie nichts. Also gebens schon her das Benzin, das Öl. Und gebens mir auch noch sieben Hektoliter Wasser!« Der Tankwart zuckte ängstlich zusammen und bediente ihn benommen. Es dauerte dreieinhalb Stunden und der Onkel gab ihm zehn Groschen Trinkgeld.

Dann gings dahin.

Er wollte nicht weit, gewissermaßen nur um die Ecke der Zeit, in die Tage der Kindheit, denn dort schien es ihm schön gewesen. Ja, der Garten der Kindheit hängt voller goldener Äpfel, aber das Gold ist nichts wert, denn man kann sie essen. Und die Bäume sind höher, die Plätze weiter, die Straßen länger, die Blumen größer, der Schnee weicher – und das alles wird noch viel schöner in der Erinnerung. Der Schnee fällt sanfter und die Pferde können sprechen, die Hunde denken und die Blumenbeete werden zerstört. Die Lehrer werden harmlos, die bösen Parkaufseher personifizierte Engel, alle Gefahren verschwinden, lösen sich auf in wehmutvoller Erinnerung.

Es war ein grauer Herbstmorgen, naß und voll Nebel, als der Onkel zu seiner ersten Probefahrt startete. Und als er nun Gas gab, da schien der Nebel noch dichter zu werden, er sah garnichts mehr, nur eine dicke gelbe Wand vor sich, wie Lehm. Das Auto schien sich in die Luft zu erheben, als rollte die Erde unter ihm hinweg, so ein Gefühl hatte er. Er fuhr wie durch Watte. Der Zeitgeschwindigkeitszähler stand auf siebzig Lichtkilometer, auf dem Schaltbrett flammte es auf, grün und gelb, blau – dann rot. Da hielt das Auto mit einem Ruck, die Sonne brach durch, als wärs aus den Wolken gefallen. Und es stand am selben Fleck. Nur sah der Fleck anders aus. Es war der Platz, als er wegfuhr so:

und nun so:

Er stieg aus dem Auto und langsam erkannte er wieder alles, auch Dinge, die er bereits vergessen hatte, wie zum Beispiel, daß dort, wo jetzt die Bank steht, früher nichts war.


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