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In dem entlegenen Dorf St. Jakob in der Einöde wird das armselige Haus und das wenige Eigentum der verstorbenen Witwe Birkmüller versteigert. Die Photographie der Toten hängt umflort an der Wand und man hört die Stimme des Versteigerers und das Bieten der kauflustigen Dorfbewohner, die, wie es eben so menschliche Art ist, gern die Gelegenheit ergreifen, billig zu irgendwelchem Besitztum zu gelangen. Immer wieder hört man die Stimme des Versteigerers »Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal« – und so kommt alles daran: die alten Truhen, der Sorgenstuhl, das Bettzeug und die Kücheneinrichtung.
Vor dem Hause auf der Bank sitzt die einzige Tochter der Verstorbenen, die 18jährige Anna, einsam und verbittert und hört immer wieder von drinnen die Stimme: »Zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal.« –
Zu dieser Zeit fährt durch die Dorfstrasse der reiche Viehhändler Loislmüller, begleitet von seiner dicken blonden Geliebten. Er hatte gerade zwei prächtige Schweine gekauft, die er auf seinem Wagen nun in seine Heimat transportieren will. Als er das Haus der Birkmüller erblickt, hält er überrascht und fragt eine vorübergehende Bäuerin, was denn dort los sei, da soviel Leute aus- und eingingen, und vor allem da er sähe, wieviel Gegenstände abtransportiert würden. Er erfährt nun, daß die brave Witwe Birkmüller gestorben ist und daß sie ihre Tochter Anna in größter Armut zurückgelassen hat. Als Loislmüller von der Versteigerung hört, beschließt er, sich an ihr zu beteiligen, um seine Geliebte unter Umständen mit einem günstig erworbenen Schmuckstück zu erfreuen.
Anna sitzt noch immer auf der Bank vor dem Haus und plötzlich hört sie von drinnen her aufgeregte Stimmen. Sie horcht –, da erscheint der Gerichtsvollzieher mit dem Gendarmen und den Dorfbewohnern in der Tür und der Gendarm fährt gleich auf sie los. Unter den zu versteigernden Sachen fehle nämlich ein Schmuckstück, ein altes Kreuz, das die verstorbene Frau Birkmüller an Feiertagen an einem Bändchen um den Hals getragen habe. Nach kurzem Hin und Her kann Anna nicht mehr leugnen, das Kreuz heimlich zu sich genommen zu haben – sie muß es wieder herausgeben und nun wird das Kreuz zur Versteigerung ausgerufen. Loislmüller, der soeben erschienen ist, ersteigert es sofort und ist höchst befriedigt von seinem Fund.
Anna verließ inzwischen ihren Platz, um den neugierigen Blicken zu entgehen und um nicht vor fremden Menschen weinen zu müssen. Sie geht um das Haus herum und nimmt Abschied, gewissermaßen von jedem Winkel. Als sie wieder auf ihre Bank zurückkehrt, ist das Haus leer, die Versteigerung ist zu Ende und sie trifft nur noch eine alte Betschwester an. Die wendet sich nun an Anna und gibt ihr salbungsvolle Ratschläge. Sie solle immer nur beten, beten und wieder beten. Aber Anna, die anfangs apathisch ihr zugehört hat, unterbricht sie plötzlich hart: »Ich glaube nicht mehr an Gott«, sagt sie. Die Alte starrt sie entgeistert an, bekreuzigt sich und läßt sie rasch stehen.
Loislmüller sitzt nun wieder auf dem Wagen neben seiner Geliebten und bindet ihr das Kreuz um den Hals. Sie ist hoch erfreut über dieses Geschenk und gibt ihm einen Kuß.
Anna verläßt mit einem Bündel das Haus, streichelt noch einmal den Hofhund, der ihr traurig nachblickt, aber sie sieht sich nicht um. Vor der Kirche hält die Betschwester aufgeregt den Pfarrer an. Es ist dies der Pfarrer Vetter, ein alter gütiger Herr, der trotz seiner tiefen Religiosität leise resigniert mit seinem Leben bereits abgeschlossen hat. Sie teilt ihm bestürzt mit, daß die Anna Birkmüller nicht mehr an den lieben Gott glaubt. Aber der Pfarrer Vetter wird nun ganz böse und weist die Alte zurecht, denn einen solchen Ausspruch könne er sich von der kreuzbraven Anna nicht vorstellen.
Droben im Hochgebirge, unterhalb eines wilden Grates, über dessen zerklüftete Zacken die Grenze verläuft, gehen zwei Förster ihr Revier ab. Der Jüngere heißt Michel, ein gutmütiger pflichtbewußter Mensch, dessen einzige auffallende Schwäche eigentlich darin besteht, daß er sich selber sehr gefällt. Er hält sich für einen durchaus feschen Menschen, der er ja auch ist – eben deshalb läßt seine Eitelkeit auch auf eine kleine Beschränktheit schließen. Michel erklärt nun seinem Kollegen, der erst vor kurzer Zeit in diese Gegend versetzt worden ist, die Namen der verschiedenen Täler, Kare, Gipfel und Ortschaften. So zum Beispiel liegt direkt unter dem Felsen, auf dem sie sich jetzt befinden, das schöne Dorf Kirchfeld, wo beide stationiert sind. Vier Gehstunden entfernt von Kirchfeld liegt das Dorf St. Jakob in der Einöde und ungefähr zwischen den beiden auf halbem Wege liegt das Wirtshaus des Gruberfranz, sozusagen mitten im Walde, etwas entfernt von der Landstrasse. Auf den Gruberfranz ist die Behörde nicht gut zu sprechen. Sie kann ihm zwar nichts Positives vorwerfen, aber sie ist fest davon überzeugt, daß er den Wilderern und Schmugglern Hehlerdienste leistet. Sein Wirtshaus steht auch deshalb keineswegs in einem guten Rufe.
An der Waldgrenze finden die beiden Förster im Unterholz eine Wildschlinge mit einem gefangenen Rehkitz. Michel stellt sofort fest, daß diese Schlinge natürlich nur von einem Wilderer gelegt sein konnte. Er habe auch schon einen ganz bestimmten Verdacht. Zwar wolle er noch nicht darüber sprechen und keinen Namen nennen, aber er habe das Gefühl, daß er auf der richtigen Fährte sei. Er wolle nur soviel sagen, daß es sich um einen Einwohner Kirchfelds drehe und er möchte nun doch gleich mal im Wirtshaus des Gruberfranz nachsehen, ob der Bewußte sich nicht dort aufhalte, denn eine innere Stimme raune ihm dies zu. Er fordert seinen Kollegen auf, mit ihm hinabzusteigen und erzählt ihm dabei von seinen verschiedenen immerhin erfolglos durchgeführten Haussuchungen beim Gruberfranz.
Der Mann, den Michel in Verdacht hat, hatte die beiden Förster nun schon längere Zeit beobachtet. Er hatte gerade nach seiner Wildschlinge sehen wollen, da erblickte er die beiden und versteckte sich rasch im Unterholz. Er beobachtete auch, daß seine Schlinge entdeckt wurde und sieht nun, wie die beiden Förster rasch auf dem kürzesten Steige zum Gruberfranz hinabsteigen. Um ihnen zuvorzukommen und den Wirt zu warnen, klettert und springt er nun tollkühn über Wände und Schroffen hinab und erreicht so noch vor dem Eintreffen der beiden Förster das Wirtshaus, wo er sofort mit dem Wirt im Keller verschwindet und zwei dort aufbewahrte gewilderte Rehe geschickt unter allerhand Gerümpel verbirgt.
Der Wilderer ist, wie gesagt, aus Kirchfeld und wird der Wurzelsepp genannt. Ein jedes Kind weiß, daß er vom Wildern lebt. Auch sein Vater ist ein Wilderer gewesen, hat einen Förster erschossen und endete im Gefängnis. Der Wurzelsepp war damals noch ein Kind. Seit jener Zeit hat er keine Kirche mehr betreten. Die meisten seiner Mitmenschen tun so, als verachteten sie ihn, heimlich achten sie ihn aber, denn es umweht ihn ja auch sozusagen die Romantik des Räuberhauptmanns.
Als Michel mit seinem Kollegen nun das Wirtshaus betritt, sitzen der Wurzelsepp und der Wirt mit gut gespieltem guten Gewissen in der Wirtsstube und trinken Schnaps, als hätten sie nie irgendeinen unerlaubten Gedanken gehabt. Nach einer kurzen Begrüßung lassen sich die beiden Beamten an einem Tisch nieder und der Wirt ruft »Anna!« So nebenbei erkundigt sich Michel, wer denn diese Anna sei, worauf ihm der Wirt kurz auseinandersetzt, das wäre die neue Bedienung, die erst vor ungefähr 8 Tagen bei ihm eingetreten sei. Anna erscheint nun und fragt die beiden Förster nach ihren Wünschen. Michel hört aber gar nicht auf ihre Worte, sondern starrt sie fasziniert an und meint dann plötzlich, sie käme ihm so bekannt vor und ob sie denn nicht die Anna Birkmüller aus St. Jakob wäre. Es stellt sich nun heraus, daß Michel und Anna als Kinder zusammen gespielt haben – und Anna sei damals immer von Michel beschützt worden, so bringt er ihr viele Dinge aus der Kindheit wieder in Erinnerung. »Schad', daß ich damals als kleiner Bub' von St. Jakob weg hab' müssen«, äußert der Michel seine große Zufriedenheit darüber, was für ein schmuckes Dirndl aus der kleinen Anna geworden ist. Dabei fängt er an, sie zu tätscheln, wobei sie sich erkundigt, ob denn alle Kirchfelder so wären. »Oh«, erwidert der Michel, »in Kirchfeld sind jetzt alle Leut' ungemein brav und anständig geworden, seit nämlich der neue Herr Pfarrer da ist!« Dieser neue Pfarrer Hell sei der beste, den es auf der Welt gäbe, wobei der Wurzelsepp ironisch vor sich hin lächelt. Michel bemerkt dies und betont es nochmals: »Jawohl, der Pfarrer Hell ist ein richtiger Mensch.«
In der Kirche zu Kirchfeld tauft der Pfarrer Hell ein Kind. Es ist keine große Taufgesellschaft dabei, nur eine ältere Frau und die Mutter des Kindes, ein etwas beschränkt aussehendes junges Weib. Nach der Taufzeremonie sehen wir den Pfarrer, wie er sich in der Sakristei umkleidet und dann rasch das neben der Kirche gelegene Pfarrhaus betritt. Im Pfarramt stehen bereits 6 Bauernburschen und warten auf ihn. »Seid's alle da?« begrüßt er sie und legt dann mit einer großen Strafpredigt los. Das soeben getaufte Kind ist nämlich ein uneheliches, und er macht den Burschen Vorhaltungen, wie gemein es wäre, daß der Richtige sich nicht zu seiner Vaterschaft bekenne. Durch seine derb-gutmütige Art bringt er es auch soweit, daß sich der richtige Vater reuevoll meldet. Nach dieser Szene betritt er sein Wohnzimmer, in welchem der Pfarrer Vetter aus St. Jakob bereits auf ihn wartet. Der alte Herr sitzt behaglich in dem Fauteuil und hat ein leeres Glas vor sich stehen. Hell entschuldigt sich, daß er ihn solange allein gelassen habe und will das Glas seines Gastes neu füllen. »Nein, nein«, wehrt Vetter ab, »es wird ja zuviel. Ich bin das ja nicht gewohnt.« Hell bringt ihm nun noch eine Zigarre, und nachdem sie Vetter angezündet hat, stellt er fest, daß es ihm lange nicht so behaglich gewesen wäre. »Wie hier alles doch so freundlich, so recht wohlgefällig und lebensfreudig – so gottesfriedlich ist«, fährt er fort, »Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren und sind noch so jung, haben noch soviel vor sich. Ich bin schon ein alter Mann und zu wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben –«
Hell (unterbricht ihn, in Nachdenken versunken) Wie heißt doch Ihre Pfarre?
Vetter St. Jakob in der Einöde, Herr Amtsbruder, ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden, denen es so recht froh und freudig erginge; alles herabgebracht vom Elend.
Hell Das ist traurig, sehr traurig, wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts dawider tun können.
Vetter Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter – nur einem geht's gar recht elend, das ist der Schulmeister, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft noch immer, ich weiß nicht, auf was.
Hell (ergriffen) Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so resigniert?
Vetter (lächelnd) Ach nein, ich war ja auch jung.
Hell (wie um auf ein anderes Thema zu kommen) Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht?
Vetter Nun früher ist's wohl redlich gegangen, aber letztere Zeit kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluß gefaßt, zu gehen. Ich bin ja nicht wie der Schulmeister, der hofft – (er lächelt und rückt Hell näher) und Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich. Er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht. Wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben – – ich stehe auch dann allein, und wenn ich heut' oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen – – – aber lassen wir das! Ich muß mich aufs Bitten bei Ihnen legen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen.
Hell Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut.
Vetter Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte und dabei recht christlich ihr einziges Kind, ein Mädchen, erzog. – Vor drei Wochen nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen alles, was vorhanden war und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern. Jetzt dient das arme Kind dem Gruberfranz, aber ich fürchte, das ist nicht das richtige Obdach – und da dachte ich mir, ich wage es, Sie zu bitten, daß Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben.
Hell Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen.
Vetter (schüttelt ihm die Hand) Nun das ist recht christlich, ich danke Ihnen, Herr Amtsbruder.
Im Wirtshaus des Gruberfranz nimmt das Gespräch über den Pfarrer Hell seinen Fortgang. Der Wurzelsepp hat sich in ironischen Bemerkungen über den hochwürdigen Herrn ergangen, wobei ihm Michel endlich versichert »Du bist der einzige nicht Brave in Kirchfeld und über unsern Pfarrer redst du schon garnix.« Mit naiver Miene erkundigt sich der Sepp, warum er denn der einzige nicht Brave sei. Aber Michel erwidert ihm nur »Mir sagt es eine innere Stimme, daß wir zwei uns nochmals treffen werden.«
»Wo?« fragt der Sepp.
Darauf der Michel: »Droben im Walde, wo manchmal so spaßige Schlingen wachsen.«
»Das verbitt' ich mir«, schreit der Sepp, der es merkt, daß Michel ihn verdächtigt, und es kommt nun zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden, die damit endet, daß der Wirt Michel erklärt, er lasse seine Gäste nicht beleidigen.
Sehr zum Verdruß des Wirtes und des Wurzelsepp mischt sich Anna auch in den Streit, ergreift die Partei Michels und erklärt auch, daß sie vom Pfarrer Hell nur Gutes gehört hätte. »Übrigens«, meint sie nun auch, »unser Pfarrer in St. Jakob möcht's gern sehen, daß ich zum hochwürdigen Herrn Hell als Bedienung komme.«
»Das glaube ich«, schreit der Wurzelsepp und biegt sich vor Lachen: »Der Pfarrer und die lebfrische Dirn! Die schicken's zu ihm, grad als ob sie's ihm zu Fleiß täten!«
Michel Du hast das gottloseste Maul vom ganzen Land!
Der Wurzelsepp Wenn das Derndl zum Hell kommt, dann frag doch nach fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihren Pfarrer noch für einen Heiligen halten!
Im Pfarrhaus zu Kirchfeld betritt die alte Pfarrersköchin Brigitte das Wohnzimmer und meldet Hell, der gerade sein Brevier liest, daß ein Dirndl aus Einöd den hochwürdigen Herrn sprechen möchte. »Führ' sie nur herein«, meint Hell, »das dürfte wohl Deine Gehilfin werden, Brigitte.« Brigitte, schon wieder in der Tür, wendet sich noch einmal um: »So, na, das wär' mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und nicht ein bissel aufdringlich.« Worauf Hell lächelnd meint: »Na, das will ja was heißen, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiß sie ihnen wenig Gutes nachzusagen.« Dabei erhebt er sich und geht Anna, die nebenan im Pfarramtsraum wartet, entgegen. »So, du bist also die Anna Birkmüller, mein Kind!« Anna wird durch Hells Persönlichkeit plötzlich sonderbar schüchtern und bringt vorerst kaum ein Wort hervor. »Ich habe dem hochwürdigen Herrn Vetter bereits die Hand darauf gegeben«, fährt Hell fort, »daß ich dich aufnehmen will.« Anna bleibt noch immer stumm und küßt Hell die Hand. Hell zieht seine Hand unwillkürlich etwas zurück: »Also – Anna, ich heiße dich in meinem Hause willkommen. Du weißt wohl selbst, daß Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen, daß dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er für dich ohnedies schon sein mag.«
Anna Ich fürcht' mich nimmer vor'm Dienst (sie spricht nun plötzlich rasch und viel, als wäre auf einmal ein Bann gebrochen), oben beim Gruberfranz habe ich einen Kirchfelder getroffen, der gesagt hat, daß er dein Feind ist, hochwürdiger Herr, und der sich alle Mühe gegeben hat, dir was Schlechtes nachzureden und hat doch nichts vorzubringen gewußt. Ich hab' auch mir denkt, was du für ein Herr sein mußt, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, nicht zukönnen. Jetzt habe ich dich gesehen und gehört, wie gut und freundlich als du bist, jetzt tät's mir fast weh, wenn du mich dir nicht dienen ließest.
Hell Gewiß, du sollst bleiben.
Anna Es schreckt mich auch nicht, daß du für einen geistlichen Herrn noch so viel jung bist.
Hell Daß ich jung bin?
Anna Ich denk', besser kann eine arme Dirn nirgends aufgehoben sein als bei dir.
Darauf Hell Gewiß, Anna, du denkst brav!
Anna Ich weiß nicht, aber recht wird's wohl sein.
Hell Recht und brav! (Er drückt ihr die Hand).
Am Nachmittag kommt der Wurzelsepp betrunken nach Haus zu seiner Mutter, die in einer halbverfallenen Hütte etwas außerhalb des Dorfes wohnt. Die Hütte wird allgemein nur das Hexenhaus genannt und die Mutter, eine alte Kräutersammlerin, steht im Ruf einer Hexe. Sehr zu Unrecht, denn sie ist eine rechtschaffene Frau, die nur allerdings, genau wie ihr Sohn, seit dem Tode ihres Mannes im Gefängnis nie mehr eine Kirche betreten hat.
In der Hütte kommt es zu einer großen Szene zwischen Mutter und Sohn. Sie wirft ihm seinen liederlichen Lebenswandel vor, beschwört ihn, sich zu bessern und versichert ihm, daß sie sich etwas antue, wenn er eingesperrt werden würde. Der betrunkene Sepp, der zuerst versucht hat, zu widersprechen, lallt am Schluß nur noch etwas von irgendeinem Pfaffen, dem er es mal heimzahlen wird. Als Sepp eingeschlafen ist, verläßt die Mutter das Haus, um auf den Berg zu gehen und Kräuter zu sammeln. In der Dorfstrasse wird sie von den Kindern beschimpft und verhöhnt, die in typischer Kinderart ihr »alte Hexe« nachrufen. Der Pfarrer Hell, der von drinnen diesen Lärm hört – er befindet sich gerade in seinem Garten – eilt auf die Straße, weist die Kinder energisch zur Ordnung und beschützt die Mutter des Wurzelsepp.
Im Garten hinter dem Pfarrhofe sitzen Brigitte und Anna. Brigitte vor einem Spinnrad und Anna mit einem Sack voll Linsen vor sich auf dem Tisch, die sie verliest. Sie singt dazu und die alte Brigitte meint, das wären ja richtige Schelmenlieder. »Mir fallen's halt alle so ein«, lacht Anna, »weil ich jetzt übermütig bin. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schindet sich ja im Vergleich zu mir und auch ein Stadtfräulein kann nicht schöner faulenzen.« Brigitte droht freundlich, ihr den Brotkorb bald höher zu hängen, aber Anna fürchtet sich nicht und betont immer wieder, daß sie einen so guten Dienstplatz nirgends getroffen hätte. Besonders der hochwürdige Herr, das sei ein Mann, um den zu sein wäre ja eine wahre Freude! Bei dem müßt' ja der ärgste Sünder wieder ein rechter Mensch werden. Brigitte unterbricht ihre Begeisterung und hänselt sie: »Läufst etwa nicht, von wo du stehst und hebt es dich nicht vom Sitz, wenn du seine Stimme oder seinen Tritt in der Nähe hörst?«Da wird Anna verlegen und ziemlich verwirrt antwortet sie: »Das ist gewiß nicht so, das hat dir nur geträumt!«
Jetzt erscheint Hell in einem Fenster des Pfarrhofes und ruft nach Brigitte. Anna will sofort aufspringen und ins Haus gehen, doch Brigitte fährt sie gutmütig an: »Du bleibst!« Hell, der nun erst Anna erblickt, ruft ihr zu, sie möchte doch sein Buch, das draußen in der Laube liegt, ins Haus bringen.
Anna holt das Buch und führt den Auftrag aus. Sie befindet sich nun allein in Hells Zimmer und entdeckt auf seinem Sekretär ein Schmuckstück, ein goldenes Kreuz, das an einem Bande um den Hals getragen wird. Es hat eine starke Ähnlichkeit mit dem Kreuz ihrer verstorbenen Mutter – sie nimmt es in die Hand, betrachtet es und viele Erinnerungen tauchen in ihr auf. So versunken steht sie da, daß sie gar nicht bemerkt, daß Hell das Zimmer betrat und sie schon eine Zeitlang beobachtete. Plötzlich meint er: »Regt sich die Eitelkeit ein wenig bei dir?« Anna zuckt erschrocken zusammen, erblickt ihn erst jetzt und legt das Kreuz rasch wieder zurück. »Nein, ich bin gewiß nicht eitel.«
»Na, na, na,« meint Hell lächelnd. Anna sieht ihn groß und traurig an, so daß er überrascht ganz ernst wird und sie sagt nun leise, dieses Kreuz erinnere sie nur an etwas sehr Trauriges.
Am nächsten Tage befindet sich Michel wieder auf seinem Reviergang und erblickt von hoch droben auf einer Waldlichtung den Pfarrer Hell mit seinen Schulbuben, denen er in Gottes freier Natur, um nicht bei dem herrlichen Wetter in dem engen Klassenzimmer bleiben zu müssen, Religionsunterricht erteilt. Er erzählt ihnen aus der Bibel und sie hören alle andächtig zu. Und dann spielen die Buben auf einer Wiese gegeneinander Fußball und der hochwürdige Herr schiedsrichtert dabei. Und er ist ein gerechter Unparteiischer.
Da kommt der Förster Michel droben vom Gebirg von seinem Reviergang herab und unterhält sich nun mit Hell über Anna. Es freut ihn sehr, daß der Pfarrer sie für ein braves Mädchen hält. Es wird ihm ganz weich und wehmütig um das Herz, da Hell ihm nun mitteilt, daß Anna in ihrem jungen Leben schon viel Unrecht widerfahren sei. Michel meint, eigentlich sollte man nur ein armes Mädchen heiraten, denn wozu wäre der Mann da, wenn nicht zum Schutz des schwachen Weibes. Es fällt dem braven Förster gar nicht auf, daß er mit dieser Äußerung auch seiner eigenen Eitelkeit schmeichelt.
So begleitet nun Michel den Pfarrer nach Hause und wir erfahren es gewissermaßen zwischen den Worten seiner Rede, daß er Anna gern heiraten würde. Am Pfarrhaus angekommen – es dämmert bereits – begrüßt er Anna, die im Garten gerade mit der Wäsche beschäftigt ist und bittet sie, mit ihm heut Abend zum Postwirt zu gehen, wo, wie alle Sonnabende, getanzt wird. Anna jedoch lehnt die Einladung ab, obwohl ihr Hell zuredet. Aber es sei doch niemand zu Hause, schwindelt sie, der den hochwürdigen Herrn bedienen könnte, da die alte Brigitte zu Besuch bei einer Nachbarin sei. Der brave Michel verabschiedet sich etwas melancholisch.
Anna steht noch eine Weile stumm und sieht ihm nach, selbst dann noch, da er bereits um die Ecke verschwunden ist. »Nach was blickst du denn aus?« fragt Hell sie plötzlich. »Ich schaue, wie die Sonne untergeht«, erwidert sie traurig. Hell sieht sie groß an: »An was denkst du, du hast feuchte Augen«.
Anna Ich weiß nicht, ich war erst recht lustig, aber wie ich da so schaue, fallen mir auf einmal alle ein, die mir recht nahe gegangen sind und jetzt die Sonne nimmer untergehen sehen.
Hell Der Herr lasse sie ruhen in Frieden – Die letzte meiner Familie, die ich zu beweinen hatte, war meine Schwester.
Anna Die war gewiß kreuzbrav.
Darauf fährt dann der Hell fort: Brav, klug und schön. Sie und die Mutter, beide lebten, als ich noch Student war – ich dachte mir das so recht hübsch, wenn ich eine Pfarre bekäme, wie wir da immer beisammen leben und bleiben wollten. Eine Familie haben, ja, nur ihr angehören, ist doch etwas Schönes.
Darauf die Anna: Nicht wahr, oft habe ich mir schon gedacht, selbst im Himmel kommt erst die heilige Familie.
Hell (lächelnd) Meinst du?
Darauf Anna Ja, denn Kinder, die so zur Welt kommen, ohne daß sie oft Vater und Mutter wissen, sind doch recht traurig dran, sie machen niemand so richtig herzliche Freude, auch wenn sie brav sind – und nachher wundert sich die Welt, wenn sie keine rechten Leut werden.
Hell Das denkst du brav und klug.
Anna (sieht zu Boden) Wie du mich aufgenommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav genannt, jetzt nennst du mich klug, wenn du mir noch eins sagst, so hast du mir alle guten Worte gegeben wie deiner Schwester selig.
Hell (faßt ihre Hand) Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und – schön. Aber sie war nicht so eitel wie du.
Anna (hebt überrascht den Kopf) Wie ich?
Hell (freundlich lächelnd) Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt.
Anna Wann denn ? Oh, sag's hochwürdiger Herr. Ich werd' sie gewiß nimmer blicken lassen.
Hell Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette. Du hattest es in die Hand genommen – ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich mein', daß du es für dein Leben gern gehabt hättest.
Anna starrt ihn einen Augenblick lang an, die Tränen treten ihr in die Augen, sie kommt aber zu keiner Antwort mehr, da draußen heftig nach dem Pfarrer gefragt und gerufen wird. Es ist ein armer Bauer draußen, dessen Kuh sehr krank ist und der nun Hell bittet, sofort mit ihm in den Stall zu gehen und nachzuschauen. Hell folgt dem Bauern – und wir sehen ihn, wie er sich im Stall wie ein richtiger Tierarzt bemüht. Auch diese kleine Episode soll dazu dienen, den Charakter eines Mannes zu schildern, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, seiner Gemeinde immer und überall zu helfen. –
Er hat seine Arbeit im Stall noch kaum beendet, da stürzt die alte Brigitte aufgeregt zu ihm hin und teilt ihm mit, daß es ihr schon einige Male aufgefallen sei, daß Anna nicht betet und jetzt soeben habe sie ihr auf ihre Frage erklärt, es gebe keinen Gott. Die alte Brigitte bekreuzigt sich: »Das Mädel hat die Höll´ in sich«, beteuert sie. Aber Hell meint nur lächelnd, »die werden wir ihr schon austreiben. Ich habe schon mehr Leute kennengelernt, die mal in ihrem Leben behauptet haben, es gäbe keinen Gott. Ich wär' ein schlechter Pfarrer, wenn ich einem Dirndl nicht beweisen könnte, daß es einen Gott gibt.« Und als er Anna nun zur Rede stellt und im Ernst von ihr hört, daß sie nicht an Gott glaube, forscht er eindringlich weiter und bringt Anna durch sein gütiges Wesen dazu, daß sie ihm stockend und unter Tränen erzählt, sie glaube nicht mehr an Gott, seit ihr seinerzeit ihr Schmuckstück, das Kreuz der Mutter, weggenommen und versteigert worden sei. Das sei ganz ein ähnliches Kreuz gewesen, wie dasjenige, das auf dem Sekretär des Pfarrers liegt. »Seht's Hochwürden«, sagt Anna, »wenn ich das Kreuz wiederbekommen würde, dann würde ich wieder an Gott glauben.«
»Warum denn nur dann?« fragt der Pfarrer, und Anna antwortet, »weil ich dann wieder daran glauben könnte, daß es gute Menschen gibt.«
Mit einem plötzlichen Entschluß schenkt ihr nun Hell das Kreuzchen seiner Mutter.
Er will es ihr beweisen, daß es gute Menschen und daß es also auch einen lieben Gott gibt.
Anna, außer sich, sinkt mit ihrem Gesicht auf seine Hände und schluchzt ganz verwirrt. Sie könne doch das Kreuz nicht annehmen, sie wäre es ja gar nicht wert und das Kreuz sei schwer Gold. –
Darauf Hell Du sollst eben nicht denken, daß es von Gold, als vielmehr, daß es ein Kreuz ist. Ich habe es dieser Tage gedacht, wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiß, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie von mir in sein Haus geführt und da dachte ich auch an dich; ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, daß du bei mir bleiben wirst, daß du mich nicht verlassen wirst.
Anna (gibt ihm verwirrt und errötend die Hand) Mein Lebtag nicht. (Dann zieht sie ihre Hand wieder aus der seinen) Gute Nacht, Hochwürden.
Hell Gute Nacht. Mit dir, Kind, ist der heilige Hauch des lange verlorenen Familienlebens wieder in mein Haus gezogen.
Anna (geht zur Türe und wendet sich noch einmal um) Und darf ich das Kreuzchen offen tragen, vor ganz Kirchfeld?
Hell Gewiß, warum fragst du?
Anna Ich habe nur gefragt, damit ich weiß, was dir recht ist. Nach allem andern frag' ich nimmer.
Am nächsten Sonntag beim Kirchgang entdecken die Kirchfelder am Hals der Anna das Kreuz, das einige von ihnen als das Kreuz der verstorbenen Mutter des Hell kennen. Manche raunen sich bereits verschiedene Vermutungen zu, und auch der Wurzelsepp hört davon läuten. Er sorgt natürlich sofort dafür, daß es sich ganz und gar herumspricht, daß der hochwürdige Herr Hell einem jungen Mädel ein goldenes Kreuz geschenkt hat. Warum, das könne man sich ja lebhaft vorstellen. Die Stimmung schlägt gegen den Pfarrer um, man schimpft nach dem Kirchgang im Wirtshaus über ihn und man schimpft auch über die Anna. Es fallen Worte wie »die Hergelaufene« und dergleichen. Michel hört dies, verteidigt Anna und es kommt zu einer großen Rauferei, bei der er blutig geschlagen wird. Mitten in der Rauferei betritt Hell das Lokal und erfährt durch einige hämische Bemerkungen, was hier vor sich ging und geht. Er verläßt erschüttert das Haus. Der Wurzelsepp folgt ihm jedoch und schleicht ihm eine ganze Weile nach. Er sieht, wie der Pfarrer langsam mit müden Schritten auf einem Umweg nach Hause geht – da ruft er den Pfarrer an. Der hält an und fragt ihn tonlos nach seinem Wunsche. »Pfarrer, ich möcht' dir nur sagen«, antwortet der Sepp gehässig, »daß es mich freut, wie es dir jetzt geht. Hilft dir alles nix. Die Dirn ist dein Unglück. Oder leugnest du vielleicht, daß du der Anna gut bist?« Hell (sieht erschrocken und fassungslos auf ihn) –
Der Sepp Du kannst es leugnen, aber du wirst es schon spüren.
Hell (erregt) Ich stehe zu deiner Verunglimpfung, solange sie mich nicht allein betrifft. Aber dies ehrliche Mädchen laß aus dem Spiel. Es erfaßt mich ein heiliger Zorn –
Sepp (einfallend) Schrei nur herum, schrei nur zu, dann erfahrt's das ganze Dorf noch zeitlicher.
Hell Keiner denkt im Dorf wie du.
Sepp Da werden bald alle so denken wie ich. Du schenkst ihr das Kreuzel von Deiner Mutter selig und gleichwohl du das Dirndl nicht haben kannst, gönnst du es doch keinem andern! Du willst es halten und nicht lassen für dein Lebentag. Sie hat's ja selbst der alten Brigitte erzählt. Und diese Dirn' soll dir gleichgültig sein?
Hell (gepreßt): Bist du zu Ende?
Sepp Nein, mir hat's noch nicht die Red' verschlagen. Du wirst ja im Land als ein Ausbund von Frömmigkeit verschrien, aber ich habe an dich so wenig geglaubt wie an die andern.
Hell Sepp, du tust Unrecht. Auch dann Unrecht, wenn du, wie ich fürchte, nur der Feind des Kleides bist, das ich trage.
Sepp Darüber wollen wir nicht streiten. Du trägst es ja einmal doch.
Hell Das Kleid macht nicht den Mann und nicht darauf kommt es an im Leben, was wir sind, sondern wie wir es sind.
Sepp Das glaube ich selber; mit dem Gewand aber mußte das sein, was ich meine; (mit Schadenfreude) ja, Pfarrer, du mußt es sein, mußt, wenn du gleich nicht wolltest – mußt, ob dir's jetzt das Herz abdrücken will, oder ob du in den Boden hineinstampfst – Du mußt.
Hell Mensch, was liegt auf dem Grund deiner Seele; woher dieser gehässige feindselige Jubel?
Darauf der Sepp Weil es mich freut.
Und nun erfahren wir es, warum der Wurzelsepp und seine Mutter nie wieder eine Kirche betreten. Der Vater des Sepp wurde nämlich durch den Vorgänger Hells angezeigt und also ins Gefängnis gebracht, wo er dann verstorben ist. »Hilft dir alles nix«, fährt der Sepp nun mit gehässiger Schadenfreude fort, »die Dirn ist und bleibt dein Unglück. Ich weiß, du planst dir jetzt tausend Auswege – aber du hast nur zwei Wege: Du kannst die Anna entweder in Unehren halten und mußt fort von Kirchfeld, oder du kannst sie mit Herzleid fortziehen lassen, und dann ist dir Kirchfeld und die ganze Welt nichts mehr. Einen dritten Weg hast du nicht. Siehst, Pfarrer, da habe ich dich und habe dich so sicher, daß ich dich nicht einmal zu halten brauch'.«
Mit diesen Worten läßt er Hell stehen.
Im Pfarrhaus macht die alte Brigitte Anna heftige Vorwürfe, sie wäre das Unglück des hochwürdigen Herrn. Über beide würden im Dorf schon die wildesten Gerüchte verbreitet, so daß die Leut' schon den ganzen Respekt vor dem Pfarrer an den Nagel gehängt hätten – sogar im Wirtshaus sei gerauft worden, was doch nicht mehr der Fall gewesen wäre, seit der hochwürdige Herr Hell auf der Pfarre ist. »Und heut' in der Predigt wirst selber bemerkt haben, wie alle auf dich geschaut, sich zugeblinkt und wie sie untereinander geplaudert haben, während doch sonst, während der Pfarrer redet, es in der Kirch' totenstill war.«
Anna schluchzt außer sich und bittet Brigitte, doch um Gotteswillen nichts Unrechtes von ihr zu denken. Sie könne ja nichts dafür und sie weiß ja gar nicht, wie das alles gekommen ist. Auch die alte Brigitte wird gerührt und weint mit und meint »da hat der Teufel seine Hand im Spiel«: »Es soll doch wirklich in der Welt nur Männer oder nur Weiber geben, alle zwei zusammen tun nie was Gutes.« –
Wurzelsepp ist wieder in das Wirtshaus zurückgekehrt und hält dort große flammende Reden gegen den Pfarrer, die allgemein beifällig aufgenommen werden. Mitten in seiner Hetzerei wird er aber von Michel und einem Gendarmen unterbrochen, die ihn verhaften wollen. Der Gruberfranz ist nämlich der Hehlerei überführt worden und hat eingestanden, Gewildertes vom Wurzelsepp bezogen zu haben. Sepp flieht vor dem Gendarmen, zuallererst in seine Hütte und nimmt dort von seiner entsetzten Mutter kurz Abschied. Inzwischen wurde aber die Hütte bereits von Gendarmen und Förstern umstellt. Er schießt durch das Fenster, trifft jedoch niemanden und flieht dann in die Berge hinauf.
Die Mutter ist über all diese Ereignisse furchtbar entsetzt und begeht Selbstmord im Wildbach.
Es regnet in Strömen, es ist ein grauer Tag und in dem Zusammenleben der drei Leute im Pfarrhaus hat sich alles geändert. Der Pfarrer spricht mit Anna kaum ein Wort. Er bemüht sich sogar, ihr soviel wie möglich aus dem Weg zu gehen. Wenn Brigitte gezwungen ist, mit Anna zu reden, so geschieht das so, daß diese bemerken muß, wie sehr Brigitte sich Anna gegenüber zurückhält.
Als Michel, der von der Rauferei her noch verbunden ist, an dem Haus vorbeigeht, bemerkt ihn Anna und läuft zu ihm hinaus und muß nun hören, daß die ganze Prügelei daher gekommen ist, daß die Dorfleute von dem Kreuz erfahren hätten, das der Pfarrer ihr geschenkt haben soll – aber er glaube das noch immer nicht. Jetzt wird Anna klar, in welche Lage der Pfarrer durch ihr bloßes Hiersein geraten ist. Sie bedankt sich bei Michel, der, mutig geworden durch ihre Freundlichkeit, ihr seine Liebe erklärt, und Anna entschließt sich, seinen Antrag anzunehmen. Sie bringt dieses Opfer, um damit den Pfarrer zu retten.
So tritt sie nun sogleich mit Michel vor den Pfarrer hin und erklärt ihm mit innerem Zittern, daß sie sich soeben mit Michel versprochen habe. »Es war' auch nichts Unüberlegtes«, sagt sie und sieht Hell fest an. Michel lacht: »Das gewiß nicht, ich weiß, wie ich hab' zureden müssen.«
»Du willst fort?« fragt Hell Anna, »weißt du auch, daß ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüßt habe? Weißt du auch, daß sich alle von mir gewendet haben?« Anna nickt traurig.
Hell Und doch, wenn dieser Tag zu Ende geht, so habe ich keine einzige Seele, kein einziges Herz mehr zu verlieren. Lebt wohl (er verläßt rasch das Zimmer und ruft nach Brigitte). Schnell, meinen Rock, meinen Hut, dann kannst du das Tor schließen. Ich komme erst morgen wieder.
Brigitte (äußerst erschrocken) Aber hochwürdiger Herr, du wirst doch nicht in der Nacht spazieren gehen, denk' das Gered' im Dorf wird ja immer größer, wenn dich vielleicht einer sieht.
Hell (hat nun seine Ruhe wiedergewonnen) Nun Alte, dann hat er einen schwachen, aber ehrlichen Mann gesehen, der sich selbst aus dem Wege geht.
Im Innersten durchwühlt schreitet der Pfarrer durch die Nacht. Er verläßt das Dorf und steigt in den Wald immer höher und höher empor – vorbei an den Bergwiesen, wo er den Schulbuben Unterricht gab. Es ist eine stürmische Nacht und plötzlich sieht er sich dem Wurzelsepp gegenüber, der ihn gleich sehr gehässig anfährt, er könne doch die Gendarmen heraufschicken, denn das sei ja seine Pflicht als Diener der Liebe. »Zeige mich genau so an«, brüllt er, »wie mein Vater angezeigt wurde, der dann im Gefängnis gestorben ist.« Hell sieht ihn jedoch nur groß an, schüttelt verneinend den Kopf und fragt ihn dann leise: »Du hast mir halt zugerufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie – und doch, sieh' ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dir. Als ich dieses Kleid anzog, habe ich dem traurigen Anrecht des Hasses, wieder zu hassen, entsagt.« Nun erzählt er dem Sepp, daß seine Mutter Selbstmord begangen habe aus Gram über ihren Sohn. Sepp wankt, beherrscht sich jedoch sofort und ruft dem Pfarrer zu: »Alles Lüge!« Da donnert ihn Hell an: »Was willst du denn, daß du mir so sprichst, wo zur nämlichen Stunde da unten in deiner Hütte der Leib aufgebahrt wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben und da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet.«
So läßt er den Wurzelsepp im Äußersten getroffen stehen.
Sepp schleicht sich noch in derselben Nacht in das Dorf zurück, um von seiner toten Mutter Abschied zu nehmen. In der Hütte erblickt er sie durch die Fensterscheiben aufgebahrt liegen und, durch den großen Schmerz überwältigt, begibt er sich noch in derselben Nacht heimlich zum Pfarrhof und erfährt dort durch Brigitte, die ihn in der Finsternis nicht erkennt, daß der Pfarrer nicht zu Hause sei. So wartet nun der Wurzelsepp auf ihn vor dem Haustor und als endlich Hell erscheint, bittet er ihn stockend um ein ehrliches christliches Begräbnis für seine Mutter. Der große Schmerz bricht plötzlich aus ihm heraus; er sinkt vor dem Pfarrer in die Knie und fleht ihn an, seine Mutter nicht als Selbstmörderin außerhalb des Friedhofs verscharren zu lassen. »Sepp, was willst du denn aus mir machen«, fährt ihn der Pfarrer an und faßt ihn mit beiden Händen an den Schultern, »nicht dir noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seinen Toten. Oh, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, daß du nicht wüßtest, bevor du deine Bitte vorgebracht, daß ich ihr nichts nehmen werde, nicht kann, ja, nicht darf! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.« Sepp sieht ihn groß an: »Verzeih mir, Pfarrer, so hab' ich dich nicht geglaubt, aber du redest ganz anders als der frühere. Aber die Leut' im Ort denken vielleicht doch nicht so wie du.« »Ich werde die Leiche zu Grabe geleiten«, beruhigt ihn Hell. »Ich werde für die Tote sprechen. Ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie ›Amen‹ sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.« Sepp faßt Heils Hand zaudernd in seine beiden: »So tust du an mir? Das vergeß' ich dir all' mein Lebtag nicht.« Er wendet sich langsam eben und will gehen. Doch Hell ruft ihn noch einmal zurück: »Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte«. Sepp hält überrascht: »Du an mich?« Hell: »Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, dann wirst du nicht außen bleiben können, du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen. Solltest du etwa Stimmen um dich und Flüstern hören, so du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, laß dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht zu mir.« – »Du redest einem in die Seele hinein«, murmelt der Sepp ergriffen, »als ob du wüßtest, was einer sich zu tiefst drinnen denkt. Oh, du mein Gott, wenn du früher gekommen wärest, ich wär' nicht so, wie ich jetzt bin.« Hell: »Und mußt du denn so bleiben, wie du bist, Sepp? Ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast. Geh du nicht von mir, ohne mich gehört zu haben.« – Und nun fordert ihn Hell auf, sich freiwillig der irdischen Gerechtigkeit zu stellen. Sepp sagt nicht »nein«, nicht »ja« und verläßt tief in Gedanken versunken den Pfarrer.
Auf dem Friedhof zu Kirchfeld ist ein frisches Grab mit einem armseligen Holzkreuz und nur wenigen Blumen. In der Kirche liest Hell die erste Seelenmesse für die Verstorbene, und die Orgelklänge und Chorgesang schallen weit über das kleine Dorf hinaus. Der Wurzelsepp erscheint nun auf dem Friedhof mit einem kleinen Strauß Alpenblumen und legt ihn auf das Grab seiner Mutter. Kurze Zeit verweilt er dort im Gebet, dann lauscht er den Orgelklängen und wendet sich langsam dem Kirchentor zu, betritt die Kirche, hält an, sieht sich um wie ein Kind, das wieder heimgefunden hat, erblickt plötzlich in der vollen Kirche (das Mitleid des ganzen Dorfes hat sich nämlich plötzlich seiner armen toten Mutter zugewendet und es wurde beschlossen, daß sich jeder an dem Begräbnis zu beteiligen hat) den Förster Michel und zwei Gendarmen. Er stockt und zögert einen Augenblick. Dann fliegt aber ein Lächeln über sein Gesicht und er schreitet festen Schrittes durch die ganze Kirche bis zum Altar. Alle Blicke wenden sich ihm zu. Es entsteht ein Raunen in der Kirche. Der eine Gendarm macht Miene, ihn gleich zu verhaften, der Michel flüstert ihm zu: »Später! Hernach!« Der Sepp kniet vor dem Altar nieder und nun wird er auch von Hell entdeckt, der ihn anschaut, als wolle er sagen »Bist also doch wiedergekommen.«
Nach dem Seelenamt nähert sich der Sepp vor der Kirche den Gendarmen und bittet sie, ihn zu verhaften. Er zieht nun auch öffentlich alle seine Beschuldigungen gegen den Pfarrer zurück und erklärt, Hell hätte ihm den Weg zum Guten gewiesen. Die Gemeinde ist von diesem Geständnis stark beeindruckt.
Als Hell nach Hause kommt, sieht er Michel und Anna im Garten sitzen. Als Anna ihn erblickt, läßt sie Michel allein und tritt auf Hell zu und erklärt ihm, sie müsse ihm etwas Wichtiges mitteilen. Er führt sie in das Pfarrzimmer. »Ich habe dir zugelobt«, sagt sie, »daß ich dir treu diene und ich meine zu Gott, ich kann dir nicht treuer dienen, als wenn ich jetzt gehe, und so geh ich, wie du mich da siehst, für immer aus dem Pfarrhof, hinaus auf den Lebensweg« – »Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine«, nickt ihr Hell zu, »du bist mir wenigstens echt geblieben. Geh denn mit Gott!«
Nun bittet Anna ihn, daß er selbst sie vorm Altar traue, er solle ihnen keinen andern schicken. »Und zeige mir, daß du zufrieden mit mir bist«, bittet sie ihn noch, »und sage mir auch jetzt zum letzten die lieben Worte, die du mir zum ersten gesagt hast, wie du mich aufgenommen hast bei dir, sage mir, daß ich auch da recht gedacht habe und brav.« »Recht und brav«, lächelt Hell erschüttert.
Durch dieses Opfer, das Anna dem Hell gebracht hat, hat sie ihn vor seiner Gemeinde gerettet. Die Kirchfelder hängen nun wieder mit einer schwärmerischen Liebe an ihrem Pfarrer.
Die Hochzeit Michels und Annas wird sozusagen zu einem Volksfest. Das ganze Dorf beteiligt sich an ihr, ja, sogar von benachbarten Dörfern kommen Besuche und auch die Kollegen Michels sind zahlreich vertreten. Hell und Anna leiden unter der lärmenden Freude. Anna, da sie Hell noch immer liebt, und Hell, der es weiß, daß Anna für ihn ein Opfer gebracht hat. Nun knien Michel und Anna vor dem Altar und über ihnen steht der Pfarrer, der sie zusammengibt. Einmal noch treffen sich Heils und Annas Augen und aus seinem gütig-lächelnden Blick schöpft sie neue Kraft und es wird ihr bewußt, daß sie beide den »dritten« Weg gehen, den Weg des Leidens zur Pflicht.