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Draußen in der Wachau
Vor einem Häuschen am Fuße einer Burgruine. Alfred sitzt im Freien und verzehrt mit gesegnetem Appetit Brot, Butter und sauere Milch – seine Mutter bringt ihm gerade ein schärferes Messer.
In der Luft ist ein Klingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.
Und in der Nähe fließt die schöne blaue Donau.
Die Mutter sieht Alfred zu – plötzlich ergreift sie seine Hand, in der er das Messer hält und schaut ihm tief in die Augen.
Alfred stockt und starrt sie mit vollem Munde mißtrauisch an.
Stille.
Die Mutter streicht ihm langsam über das Haar: Das ist schön von dir, mein lieber Alfred – daß du nämlich deine liebe Mutter nicht total vergessen hast, lieber Alfred –
Alfred Aber wieso denn total vergessen? Ich war ja schon längst immer wieder herausgekommen, wenn ich nur dazu gekommen wär – aber heutzutag kommt doch schon keiner mehr dazu, vor lauter Krise und Wirbel! Wenn mich jetzt mein Freund, der Hierlinger Ferdinand, nicht mitgenommen hätt mit seinem Kabriolett, wer weiß, wann wir uns wiedergesehen hätten!
Die Mutter Das ist sehr aufmerksam von deinem Freund, dem Herrn von Hierlinger.
Alfred Er ist überhaupt ein reizender Mensch. In einer guten halben Stund holt er mich wieder ab.
Die Mutter Schon?
Alfred Leider!
Die Mutter Dann iß bitte nicht die ganze sauere Milch zusammen, ich hab sonst nichts da zum Antragen –
Alfred Der Hierlinger Ferdinand darf ja gar keine sauere Milch essen, weil er eine chronische Nikotinvergiftung hat. Er ist ein hochanständiger Kaufmann. Ich hab öfters mit ihm zu tun.
Die Mutter Geschäftlich?
Alfred Auch das.
Stille.
Die Mutter Bist du noch bei der Bank?
Alfred Nein.
Die Mutter Sondern? Stille.
Alfred Ich taug nicht zum Beamten, das bietet nämlich keine Entfaltungsmöglichkeiten. Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärtskommen will, muß mit der Arbeit der anderen arbeiten. Ich hab mich selbständig gemacht. Finanzierungsgeschäfte und so – Er verschluckt sich und hustet stark.
Die Mutter klopft ihm auf den Rücken: Schmeckts?
Alfred Jetzt wär ich aber fast erstickt.
Die Mutter Ich freu mich nur, daß es dir schmeckt. Stille.
Alfred Apropos ersticken: wo steckt denn die liebe Großmutter?
Die Mutter Mir scheint, sie sitzt in der Küch und betet.
Alfred Betet?
Die Mutter Sie leidet halt an Angst.
Alfred Angst?
Stille. Die Mutter Vergiß ihr nur ja nicht zu gratulieren – nächsten Monat wird sie achtzig, und wenn du ihr nicht gratulierst, dann haben wir hier wieder die Höll auf Erden. Du bist doch ihr Liebling.
Alfred Ich werds mir notieren. Er notiert es sich. Großmutter gratulieren. Achtzig. Er erhebt sich, da er nun satt ist. Das ist ein biblisches Alter. Er sieht auf seine Armbanduhr. Ich glaub, es wird Zeit. Der Hierlinger muß jeden Moment erscheinen. Es ist auch noch eine Dame dabei.
Die Mutter Was ist das für eine Dame?
Alfred Eine ältere Dame. Stille.
Die Mutter Wie alt?
Alfred So mittel.
Die Mutter Hat sie Geld?
Alfred Ich hab nichts mit ihr zu tun. Stille.
Die Mutter Eine reiche Partie ist nicht das letzte. Du hast halt die Richtige noch nicht gefunden.
Alfred Möglich! Manchmal möcht ich ja schon so Kinder um mich herum haben, aber dann denk ich mir immer wieder: nein, es soll halt nicht sein –
Die Großmutter tritt mit ihrer Schale sauerer Milch aus dem Häuschen: Frieda! Frieda!
Die Mutter Na, wo brennts denn?
Die Großmutter Wer hat mir denn da was von meiner saueren Milch gestohlen?
Die Mutter Ich. Weil der liebe Alfred noch so einen starken Gusto gehabt hat.
Stille.
Die Großmutter Hat er gehabt? Hat er gehabt? – Und da werd ich gar nicht gefragt? Als ob ich schon gar nicht mehr da war – Zur Mutter. Tät dir so passen!
Alfred Bäääh! Er streckt ihr die Zunge heraus. Stille.
Die Großmutter Bäääh! Sie streckt ihm die Zunge heraus. Stille.
Die Großmutter kreischt: Jetzt möcht ich überhaupt keine Milch mehr haben! Da! Sie schüttet die Schale aus.
Der Hierlinger Ferdinand kommt mit Valerie, einer hergerichteten Fünfzigerin im Autodreß.
Alfred Darf ich bekanntmachen: das ist meine Mutter und das ist mein Freund Ferdinand Hierlinger – und Frau Valerie – und das dort ist meine liebe Großmutter –
Die Mutter Das ist sehr schön von Ihnen, Herr von Hierlinger, daß Sie mir den Alfred herausgebracht haben – ich danke Ihnen, danke –
Der Hierlinger Ferdinand Aber ich bitte, meine Herrschaften! Das ist doch alles nur selbstverständlich! Ich hätt Ihnen ja den Alfred schon öfters herausgebracht – der liebe Alfred hätte ja nur ein Wörterl verlauten dürfen.
Die Mutter Nur ein Wörterl?
Der Hierlinger Ferdinand Wie gesagt – Er stockt, da er merkt, daß er sich irgendwie verplappert hat. Peinliche Stille.
Valerie Aber schön haben Sies hier heraußen –
Die Mutter Wollen die Herrschaften vielleicht mal auf den Turm?
Der Hierlinger Ferdinand Auf was für einen Turm?
Die Mutter Auf unseren Turm da –
Der Hierlinger Ferdinand Ich bitte, gehört denn da diese hochromantische Ruine den Herrschaften?
Die Mutter Nein, die gehört dem Staat. Wir verwalten sie nur. Wenn die Herrschaften wollen, führ ich die Herrschaften hinauf – nämlich dem Besteiger bietet sich droben eine prächtige Fernsicht und eine instruktive Rundsicht.
Der Hierlinger Ferdinand Aber gern, sehr gern! Zu charmant, gnädige Frau!
Die Mutter lächelt verlegen: Aber oh bitte! Zu Valerie. Die Dame kommen doch auch mit?
Valerie Danke, danke – es tut mir schrecklich leid, aber ich kann nicht so hoch hinauf, weil ich dann keine Luft krieg –
Die Mutter Also dann auf Wiedersehen! Ab mit dem Hierlinger Ferdinand.
Valerie zu Alfred: Dürft ich mal den Herrn um eine kleine Information bitten?
Alfred Was gibts denn?
Die Großmutter setzt sich an das Tischchen und horcht, hört aber nichts.
Valerie Du hast mich wieder mal betrogen.
Alfred Sonst noch was gefällig?
Valerie Der Hierlinger erzählt mir grad, daß beim letzten Rennen in Saint-Cloud nicht die Quote hundertachtundsechzig, sondern zweihundertzweiundzwanzig herausgelaufen worden ist –
Alfred Der Hierlinger lügt.
Valerie Und das Gedruckte da lügt auch? Sie hält ihm eine Rennzeitung unter die Nase. Stille.
Valerie triumphierend: Na?
Alfred Nein, du bist halt keine richtige Frau. Du stößt mich ja direkt von dir – mit derartigen Methoden –
Valerie Du wirst mir jetzt das geben, was mir gebührt. Siebenundzwanzig Schilling. S'il vous plaît!
Alfred gibt ihr das Geld: Voilà!
Valerie Merci! Sie zählt nach.
Alfred Kleinliche Person.
Valerie Ich bin keine Person! Und von heut ab bitte ich es mir aus, daß du mir immer eine schriftliche Quittung –
Alfred unterbricht sie: Bild dir nur ja nichts ein, bitte! Stille.
Valerie Alfred, du sollst mich doch nicht immer betrügen –
Alfred Und du sollst nicht immer so mißtrauisch zu mir sein – das untergräbt doch nur unser Verhältnis. Du darfst es doch nicht übersehen, daß ein junger Mensch Licht- und Schattenseiten hat, das ist normal. Und ich kann dir nur flüstern: eine rein menschliche Beziehung wird erst dann echt, wenn man was voneinander hat. Alles andere ist Larifari. Und in diesem Sinne bin ich auch dafür, daß wir jetzt unsere freundschaftlich-geschäftlichen Beziehungen nicht deshalb abbrechen, weil die anderen für uns etwa ungesund sind –
Valerie unterbricht ihn: Nein, pfui! Pfui –
Alfred Na siehst du! Jetzt hast du schon wieder einen anderen Kopf auf! Es war doch auch zu leichtsinnig von dir, um nicht zu sagen übermütig! Was mach ich denn aus deinem Ruhegehalt, Frau Kanzleiobersekretärswitwe? Dadurch, daß ich eine Rennplatzkapazität bin, wie? Durch meine glückliche Hand beziehen Frau Kanzleiobersekretärswitwe das Gehalt eines aktiven Ministerialdirigenten erster Klass! – Was ist denn schon wieder los?
Valerie Ich hab jetzt nur an das Grab gedacht.
Alfred An was für ein Grab?
Valerie An sein Grab. Immer, wenn ich das hör: Frau Kanzleiobersekretär – dann muß ich an sein Grab denken.
Valerie Ich kümmer mich zu wenig um das Grab. Meiner Seel, ich glaub, es ist ganz verwildert –
Alfred Valerie, wenn ich morgen in Maisons-Laffitte gewinn, dann lassen wir sein Grab mal gründlich herrichten. Halb und halb.
Valerie küßt plötzlich seine Hand.
Alfred Nein, nicht so –
Die Stimme des Hierlinger Ferdinand vom Turm: Alfred! Alfred! Es ist wunderschön heroben, und ich komm gleich runter!
Alfred ruft hinauf: Ich bin bereit! Er fixiert Valerie. Was? Du weinst?
Valerie weinerlich: Aber keine Idee – Sie betrachtet sich in ihrem Taschenspiegel. Gott, bin ich wieder derangiert – höchste Zeit, daß ich mich wieder mal rasier – Sie schminkt sich mit dem Lippenstift und summt dazu den Trauermarsch von Chopin.
Die Großmutter Alfred!
Alfred nähert sich ihr.
Die Großmutter Wann kommst du denn wieder? Bald?
Alfred Sicher.
Die Großmutter Ich hab so Abschiede nicht gern, weißt du. – Daß dir nur nichts passiert, ich hab oft so Angst –
Alfred Was soll mir denn schon passieren? Stille.
Die Großmutter Wann gibst du mir denn das Geld zurück?
Alfred Sowie ich es hab.
Die Großmutter Ich brauch es nämlich.
Alfred Zu was brauchst du denn dein Geld?
Die Großmutter Nächsten Monat werd ich achtzig – und ich möcht um mein eigenes Geld begraben werden, ich möcht keine milden Gaben, du kennst mich ja –
Alfred Mach dir nur keine Sorgen, Großmama!
Stille Straße im achten Bezirk
Von links nach rechts: Oskars gediegene Fleischhauerei mit halben Rindern und Kälbern, Würsten, Schinken und Schweinsköpfen in der Auslage. Daneben eine Puppenklinik mit Firmenschild »Zum Zauberkönig« – mit Scherzartikeln, Totenköpfen, Puppen, Spielwaren, Raketen, Zinnsoldaten und einem Skelett im Fenster. Endlich: eine kleine Tabak-Trafik mit Zeitungen, Zeitschriften und Ansichtspostkarten vor der Tür. Über der Puppenklinik befindet sich ein Balkon mit Blumen, der zur Privatwohnung des Zauberkönigs gehört.
Oskar mit weißer Schürze; er steht in der Tür seiner Fleischhauerei und manikürt sich mit seinem Taschenmesser; ab und zu lauscht er, denn im zweiten Stock spielt jemand auf einem ausgeleierten Klavier die »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.
Ida ein elfjähriges, herziges, mageres, kurzsichtiges Mäderl, verläßt mit ihrer Markttasche die Fleischhauerei und will nach rechts ab, hält aber vor der Puppenklinik und betrachtet die Auslage.
Havlitschek der Gehilfe Oskars, ein Riese mit blutigen Händen und ebensolcher Schürze, erscheint in der Tür der Fleischhauerei; er frißt eine kleine Wurst und ist wütend: Dummes Luder, dummes –
Oskar Wer?
Havlitschek deutet mit seinem langen Messer auf lda: Das dort! Sagt das dumme Luder nicht, daß meine Blutwurst nachgelassen hat – meiner Seel, am liebsten tät ich so was abstechen, und wenn es dann auch mit dem Messer in der Gurgel herumrennen müßt, wie die gestrige Sau, dann tät mich das nur freuen!
Oskar lächelt: Wirklich?
Ida fühlt Oskars Blick, es wird ihr unheimlich; plötzlich rennt sie nach rechts ab.
Havlitschek lacht.
Rittmeister kommt von links; er ist bereits seit dem Zusammenbruch pensioniert und daher in Zivil; jetzt grüßt er Oskar.
Oskar und Havlitschek verbeugen sich – und der Walzer ist aus.
Rittmeister Also das muß ich schon sagen: die gestrige Blutwurst – Kompliment! First class!
Oskar Zart, nicht?
Rittmeister Ein Gedicht!
Oskar Hast du gehört, Havlitschek?
Rittmeister Ist er derjenige, welcher?
Havlitschek Melde gehorsamst ja, Herr Rittmeister!
Rittmeister Alle Achtung!
Havlitschek Herr Rittmeister sind halt ein Kenner. Ein Gourmand. Ein Weltmann.
Rittmeister zu Oskar: Ich bin seinerzeit viel in unserer alten Monarchie herumtransferiert worden, aber ich muß schon sagen: Niveau. Niveau!
Oskar Ist alles nur Tradition, Herr Rittmeister!
Rittmeister Wenn Ihr armes Mutterl selig noch unter uns weilen würde, die hätt eine Freude an ihrem Sohn.
Oskar lächelt geschmeichelt: Es hat halt nicht sollen sein, Herr Rittmeister.
Rittmeister Wir müssen alle mal fort.
Oskar Heut vor einem Jahr ist sie fort.
Rittmeister Wer?
Oskar Meine Mama, Herr Rittmeister. Nach dem Essen um halb drei – da hatte sie unser Herrgott erlöst. Stille.
Rittmeister Ist denn das schon ein Jahr her?
Oskar Entschuldigens mich bitte, Herr Rittmeister, aber ich muß mich jetzt noch in Gala werfen – für die Totenmess. Ab.
Rittmeister reagiert nicht; ist anderswo. Stille.
Rittmeister Wieder ein Jahr – bis zwanzig gehts im Schritt, bis vierzig im Trab, und nach vierzig im Galopp – Stille.
Havlitschek frißt nun wieder: Das ist ein schönes Erdbegräbnis gewesen von der alten gnädigen Frau.
Rittmeister Ja, es war sehr gelungen – Er läßt ihn stehen und nähert sich der Tabak-Trafik, hält einen Augenblick vor dem Skelett in der Puppenklinik; jetzt spielt wieder jemand im zweiten Stock, und zwar den Walzer »Über den Wellen«.
Havlitschek sieht dem Rittmeister nach, spuckt die Wursthaut aus und zieht sich zurück in die Fleischhauerei.
Valerie erscheint in der Tür ihrer Tabak-Trafik.
Rittmeister grüßt.
Valerie dankt.
Rittmeister Dürft ich mal die Ziehungsliste?
Valerie reicht sie ihm aus dem Ständer von der Tür.
Rittmeister Küß die Hand! Er vertieft sich in die Ziehungsliste; plötzlich bricht der Walzer ab, mitten im Takt.
Valerie schadenfroh: Was haben wir denn gewonnen, Herr Rittmeister? Das große Los?
Rittmeister reicht ihr die Ziehungsliste wieder zurück: Ich hab überhaupt noch nie was gewonnen, liebe Frau Valerie. Weiß der Teufel, warum ich spiel! Höchstens, daß ich meinen Einsatz herausbekommen hab.
Valerie Das ist halt das Glück in der Liebe.
Rittmeister Gewesen, gewesen!
Valerie Aber Herr Rittmeister! Mit dem Profil!
Rittmeister Das hat nicht viel zu sagen – wenn man nämlich ein wählerischer Mensch ist. Und eine solche Veranlagung ist eine kostspielige Charaktereigenschaft. Wenn der Krieg nur vierzehn Tage länger gedauert hätt, dann hätt ich heut meine Majorspension.
Valerie Wenn der Krieg vierzehn Tag länger gedauert hätt, dann hätten wir gesiegt.
Rittmeister Menschlichem Ermessen nach –
Valerie Sicher. Ab in ihre Tabak-Trafik.
Marianne begleitet eine gnädige Frau aus der Puppenklinik – jedesmal, wenn diese Ladentür geöffnet wird, ertönt statt eines Klingelzeichens ein Glockenspiel.
Rittmeister blättert nun in einer Zeitung und horcht.
Die gnädige Frau Also ich kann mich auf Sie verlassen?
Marianne Ganz und gar, gnädige Frau! Wir haben doch hier das erste und älteste Spezialgeschäft im ganzen Bezirk – gnädige Frau bekommen die gewünschten Zinnsoldaten, garantiert und pünktlich!
Die gnädige Frau Also nochmals, nur damit keine Verwechslungen entstehen: drei Schachteln Schwerverwundete und zwei Schachteln Fallende – auch Kavallerie bitte, nicht nur Infanterie – und daß ich sie nur übermorgen früh im Haus hab, sonst weint der Bubi. Er hat nämlich am Freitag Geburtstag, und er möcht doch schon so lang Sanitäter spielen –
Marianne Garantiert und pünktlich, gnädige Frau! Vielen Dank, gnädige Frau!
Die gnädige Frau Also Adieu! Ab nach links.
Der Zauberkönig erscheint auf seinem Balkon, in Schlafrock und mit Schnurrbartbinde: Marianne! Bist du da?
Marianne Papa? Zauberkönig Wo stecken denn meine Sockenhalter?
Marianne Die rosa oder die beige?
Zauberkönig Ich hab doch nur mehr die rosa!
Marianne Im Schrank links oben, rechts hinten.
Zauberkönig Links oben, rechts hinten. Difficile est, satiram non scribere. Ab.
Rittmeister zu Marianne: Immer fleißig, Fräulein Marianne! Immer fleißig!
Marianne Arbeit schändet nicht, Herr Rittmeister.
Rittmeister Im Gegenteil. Apropos: wann darf man denn gratulieren?
Marianne Zu was denn?
Rittmeister Na zur Verlobung.
Zauberkönig erscheint wieder auf dem Balkon: Marianne!
Rittmeister Habe die Ehre, Herr Zauberkönig!
Zauberkönig Habe die Ehre, Herr Rittmeister! Marianne. Zum letztenmal: wo stecken meine Sockenhalter?
Marianne Wo sie immer stecken.
Zauberkönig Was ist das für eine Antwort, bitt ich mir aus! Einen Ton hat dieses Ding an sich! Herzig! Zum leiblichen Vater! Wo meine Sockenhalter immer stecken, dort stecken sie nicht.
Marianne Dann stecken sie in der Kommod.
Zauberkönig Nein.
Marianne Dann im Nachtkastl.
Zauberkönig Nein.
Marianne Dann bei deinen Unterhosen.
Zauberkönig Nein.
Marianne Dann weiß ich es nicht.
Zauberkönig Jetzt frag ich aber zum allerletzenmal: wo stecken meine Sockenhalter!
Marianne Ich kann doch nicht zaubern!
Zauberkönig brüllt sie an: Und ich kann doch nicht mit rutschende Strumpf in die Totenmess! Weil du meine Garderob verschlampst! Jetzt komm aber nur rauf und such du! Aber avanti, avanti!
Marianne ab in die Puppenklinik – und jetzt wird der Walzer »Über den Wellen« wieder weitergespielt.
Zauberkönig lauscht.
Rittmeister Wer spielt denn da?
Zauberkönig Das ist eine Realschülerin im zweiten Stock – ein talentiertes Kind ist das.
Rittmeister Ein musikalisches.
Zauberkönig Ein frühentwickeltes – Er summt mit, riecht an den Blumen und genießt ihren Duft.
Rittmeister Es wird Frühling, Herr Zauberkönig.
Zauberkönig Endlich! Selbst das Wetter ist verrückt geworden!
Rittmeister Das sind wir alle.
Zauberkönig Ich nicht. Pause.
Zauberkönig Elend sind wir dran, Herr Rittmeister, elend. Nicht einmal einen Dienstbot kann man sich halten. Wenn ich meine Tochter nicht hätt –
Oskar kommt aus seiner Fleischhauerei, in Schwarz und mit Zylinder; er zieht sich soeben schwarze Glacéhandschuhe an.
Zauberkönig Ich bin gleich fertig, Oskar! Die liebe Mariann hat nur wieder mal meine Sockenhalter verhext!
Rittmeister Herr Zauberkönig! Dürft ich mir erlauben, Ihnen meine Sockenhalter anzubieten? Ich trag nämlich auch Strumpfbänder, neuerdings –
Zauberkönig Zu gütig! Küß die Hand! Aber Ordnung muß sein! Die liebe Mariann wird sie schon wieder herhexen!
Rittmeister Der Herr Bräutigam in spe können sich gratulieren.
Oskar lüftet den Zylinder und verbeugt sich leicht.
Zauberkönig Wenns Gott mir vergönnt, ja.
Rittmeister Mein Kompliment, die Herren! Ab – und nun ist der Walzer aus.
Marianne erscheint auf dem Balkon mit den rosa Sockenhaltern: Hier hab ich jetzt deine Sockenhalter.
Zauberkönig Na also!
Marianne Du hast sie aus Versehen in die Schmutzwäsch geworfen – und ich hab jetzt das ganze schmutzige Zeug durchwühlen müssen.
Zauberkönig Na so was! Er lächelt väterlich und kneift sie in die Wange. Brav, brav. Unten steht der Oskar. Ab.
Oskar Marianne! Marianne!
Marianne Ja?
Oskar Willst du denn nicht herunterkommen?
Marianne Das muß ich sowieso. Ab.
Havlitschek erscheint in der Tür der Fleischhauerei; wieder fressend: Herr Oskar. Was ich noch hab sagen wollen – geh, bittschön, betens auch in meinem Namen ein Vaterunser für die arme gnädige Frau Mutter selig.
Oskar Gern, Havlitschek.
Havlitschek Ich sage dankschön, Herr Oskar. Ab.
Marianne tritt aus der Puppenklinik.
Oskar Ich bin so glücklich, Mariann. Bald ist das Jahr der Trauer ganz vorbei, und morgen leg ich meinen Flor ab. Und am Sonntag ist offizielle Verlobung und Weihnachten Hochzeit. – Ein Bussi, Mariann, ein Vormittagsbussi –
Marianne gibt ihm einen Kuß, fährt aber plötzlich zurück: Au! Du sollst nicht immer beißen!
Oskar Hab ich denn jetzt?
Marianne Weißt du denn das nicht?
Oskar Also ich hätt jetzt geschworen –
Marianne Daß du mir immer weh tun mußt. Stille.
Oskar Böse? Stille.
Oskar Na?
Marianne Manchmal glaub ich schon, daß du es dir herbeisehnst, daß ich ein böser Mensch sein soll –
Oskar Marianne! Du weißt, daß ich ein religiöser Mensch bin und daß ich es ernst nehme mit den christlichen Grundsätzen!
Marianne Glaubst du vielleicht, ich glaub nicht an Gott? Ph!
Oskar Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich weiß, daß du mich verachtest.
Marianne Was fällt dir ein, du Idiot! Stille.
Oskar Du liebst mich also nicht?
Marianne Was ist Liebe? Stille.
Oskar Was denkst du jetzt?
Marianne Oskar, wenn uns etwas auseinanderbringen kann, dann bist du es. Du sollst nicht so herumbohren in mir, bitte –
Oskar Jetzt möcht ich in deinen Kopf hineinsehen können, ich möcht dir mal die Hirnschale herunter und nachkontrollieren, was du da drinnen denkst –
Marianne Aber das kannst du nicht.
Oskar Man ist und bleibt allein. Stille.
Oskar holt aus seiner Tasche eine Bonbonniere hervor: Darf ich dir diese Bonbons, ich hab sie jetzt ganz vergessen, die im Goldpapier sind mit Likör –
Marianne steckt sich mechanisch ein großes Bonbon in den Mund.
Zauberkönig tritt rasch aus der Puppenklinik, auch in Schwarz und mit Zylinder: Also da sind wir. Was hast du da? Schon wieder Bonbons? Aufmerksam, sehr aufmerksam! Er kostet. Ananas! Prima! Na was sagst du zu deinem Bräutigam? Zufrieden?
Marianne rasch ab in die Puppenklinik.
Zauberkönig verdutzt: Was hat sie denn?
Oskar Launen.
Zauberkönig Übermut! Es geht ihr zu gut!
Oskar Komm, wir haben keine Zeit, Papa – die Messe –
Zauberkönig Aber eine solche Benehmität! Ich glaub gar, daß du sie mir verwöhnst – also nur das nicht, lieber Oskar! Das rächt sich bitter! Was glaubst du, was ich auszustehen gehabt hab in meiner Ehe? Und warum? Nicht weil meine gnädige Frau Gemahlin ein bissiges Mistvieh war, sondern weil ich zu vornehm war, Gott hab sie selig! Nur niemals die Autorität verlieren! Abstand wahren! Patriarchat, kein Matriarchat! Kopf hoch! Daumen runter! Ave Caesar, morituri te salutant! Ab mit Oskar.
Jetzt spielt die Realschülerin im zweiten Stock den Walzer »In lauschiger Nacht« von Ziehrer.
Marianne erscheint nun in der Auslage und arrangiert sie bemüht sich besonders um das Skelett.
Alfred kommt von links, erblickt Marianne von hinten, hält und betrachtet sie.
Marianne dreht sich um – erblickt Alfred und ist fast fasziniert.
Alfred lächelt.
Marianne lächelt auch.
Alfred grüßt charmant.
Marianne dankt.
Alfred nähert sich der Auslage.
Valerie steht nun in der Tür ihrer Tabak-Trafik und betrachtet Alfred.
Alfred trommelt an die Fensterscheibe.
Marianne sieht ihn plötzlich erschrocken an, läßt rasch den Sonnenvorhang hinter der Fensterscheibe herab – und der Walzer bricht wieder ab, mitten im Takt.
Alfred erblickt Valerie. Stille.
Valerie Wohin?
Alfred Zu dir, Liebling.
Valerie Was hat man denn in der Puppenklinik verloren?
Alfred Ich wollte dir ein Pupperl kaufen.
Valerie Und an so was hängt man sein Leben.
Alfred Pardon! Stille.
Alfred krault Valerie am Kinn.
Valerie schlägt ihn auf die Hand. Stille.
Alfred Wer ist denn das Fräulein da drinnen?
Valerie Das geht dich einen Dreck an.
Alfred Das ist sogar ein sehr hübsches Fräulein.
Valerie Haha!
Alfred Ein schöngewachsenes Fräulein. Daß ich dieses Fräulein noch nie gesehen habe – das ist halt die Tücke des Objekts.
Valerie Na und?
Alfred Also ein für allemal: lang halt ich jetzt aber deine hysterischen Eifersüchteleien nicht mehr aus! Ich laß mich nicht tyrannisieren! Das hab ich doch schon gar nicht nötig!
Valerie Wirklich?
Alfred Glaub nur ja nicht, daß ich auf dein Geld angewiesen bin!
Valerie Ja, das wird wohl das beste sein –
Alfred Was?
Valerie Das wird das beste sein für uns beide, daß wir uns trennen.
Alfred Aber dann endlich! Und im guten! Und konsequent, wenn man bitten darf! – Da. Das bin ich dir noch schuldig. Mit Quittung. Wir haben in Saint-Cloud nichts verloren und in Le Tremblay gewonnen. Außenseiter. Zähls nach, bitte! Ab.
Valerie allein; zählt mechanisch das Geld nach – dann sieht sie Alfred langsam nach; leise: Luder. Mistvieh. Zuhälter. Bestie –
Am nächsten Sonntag im Wiener Wald
Auf einer Lichtung am Ufer der schönen blauen Donau. Der Zauberkönig und Marianne, Oskar, Valerie, Alfred, einige entfernte Verwandte, unter ihnen Erich aus Kassel in Preußen, und kleine weißgekleidete häßliche Kinder machen einen gemeinsamen Ausflug.
Jetzt bilden sie gerade eine malerische Gruppe, denn sie wollen von Oskar fotografiert werden, der sich noch mit seinem Stativ beschäftigt – dann stellt er sich selbst in Positur neben Marianne, maßen er ja mit einem Selbstauslöser arbeitet. Und nachdem dieser tadellos funktionierte, gerät die Gruppe in Bewegung.
Zauberkönig Halt! Da capo! Ich glaub, ich hab gewackelt!
Oskar Aber Papa!
Zauberkönig Sicher ist sicher!
Erste Tante Ach ja!
Zweite Tante Das war doch ewig schad!
Zauberkönig Also da capo, da capo!
Oskar Also gut! Er beschäftigt sich wieder mit seinem Apparat – und wieder funktioniert der Selbstauslöser tadellos.
Zauberkönig Ich danke!
Die Gruppe löst sich allmählich auf.
Erste Tante Lieber Herr Oskar, ich hätt ein großes Verlangen – geh, möchtens nicht mal die Kinderl allein abfotografieren, die sind doch heut so herzig –
Oskar Aber mit Vergnügen! Er gruppiert die Kinder und küßt die Kleinste.
Zweite Tante zu Marianne: Nein, mit welcher Liebe er das arrangiert. – Na wenn das kein braver Familienvater wird! Ein Kindernarr, ein Kindernarr! Unberufen! Sie umarmt Marianne und gibt ihr einen Kuß.
Valerie zu Alfred: Also das ist der Chimborasso.
Alfred Was für ein Chimborasso?
Valerie Daß du dich nämlich diesen Herrschaften hier anschließt, wo du doch weißt, daß ich dabei bin – nach all dem, was zwischen uns passiert ist.
Alfred Was ist denn passiert? Wir sind auseinander. Und noch dazu als gute Kameraden.
Valerie Nein, du bist halt keine Frau – sonst würdest du meine Gefühle anders respektieren.
Alfred Was für Gefühle? Noch immer?
Valerie Als Frau vergißt man nicht so leicht. Es bleibt immer etwas in einem drinnen. Wenn du auch ein großer Gauner bist.
Alfred Ich bitte dich, werde vernünftig.
Valerie plötzlich gehässig: Das würde dir so passen! Stille.
Alfred Darf sich der Gauner jetzt empfehlen?
Valerie Wer hat ihn denn hier eingeladen?
Alfred Sag ich nicht.
Valerie Man kann sichs ja lebhaft vorstellen, nicht?
Alfred zündet sich eine Zigarette an.
Valerie Wo hat man sich denn kennengelernt? In der Puppenklinik?
Alfred Halts Maul.
Zauberkönig nähert sich Alfred mit Erich: Was höre ich? Die Herrschaften kennen sich noch nicht? Also darf ich bekannt machen: Das ist mein Neffe Erich, der Sohn meines Schwippschwagers aus zweiter Ehe – und das ist Herr Zentner. Stimmts?
Alfred Gewiß.
Zauberkönig Herr von Zentner!
Erich mit Brotbeutel und Feldflasche am Gürtel: Sehr erfreut!
Zauberkönig Erich ist ein Student. Aus Dessau.
Erich Aus Kassel, Onkel.
Zauberkönig Kassel oder Dessau – das verwechsel ich immer! Er zieht sich zurück.
Alfred zu Valerie: Ihr kennt euch schon?
Valerie Oh schon seit Ewigkeiten!
Erich Ich hatte erst unlängst das Vergnügen. Wir hatten uns über das Burgtheater unterhalten und über den vermeintlichen Siegeszug des Tonfilms.
Alfred Interessant! Er verbeugt sich korrekt und zieht sich zurück; jetzt läßt eine Tante ihr Reisegrammophon singen: »Wie eiskalt ist dies Händchen«.
Erich lauscht: Bohème. Göttlicher Puccini!
Marianne nun neben Alfred; sie lauscht: Wie eiskalt ist dies Händchen –
Alfred Das ist Bohème.
Marianne Puccini.
Valerie zu Erich: Was kennen Sie denn für Operetten?
Erich Aber das hat doch mit Kunst nichts zu tun!
Valerie Geh, wie könnens denn nur so was sagen!
Erich Kennen Sie die Brüder Karamasow?
Valerie Nein.
Erich Das ist Kunst.
Marianne zu Alfred: Ich wollte mal rhythmische Gymnastik studieren, und dann hab ich von einem eigenen Institut geträumt, aber meine Verwandtschaft hat keinen Sinn für so was. Papa sagt immer, die finanzielle Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum Bolschewismus.
Alfred Ich bin kein Politiker, aber glauben Sie mir: auch die finanzielle Abhängigkeit des Mannes von der Frau führt zu nichts Gutem. Das sind halt so Naturgesetze.
Marianne Das glaub ich nicht.
Oskar fotografiert nun den Zauberkönig allein, und zwar in verschiedenen Posen; das Reisegrammopbon bat ausgesungen.
Alfred Fotografiert er gern, der Herr Bräutigam?
Marianne Das tut er leidenschaftlich. Wir kennen uns schon seit acht Jahren.
Alfred Wie alt waren Sie denn damals? Pardon, das war jetzt nur eine automatische Reaktion!
Marianne Ich war damals vierzehn.
Alfred Das ist nicht viel.
Marianne Er ist nämlich ein Jugendfreund von mir. Weil wir Nachbarskinder sind.
Alfred Und wenn Sie jetzt keine Nachbarskinder gewesen wären?
Marianne Wie meinen Sie das?
Alfred Ich meine, daß das halt alles Naturgesetze sind. Und Schicksal. Stille.
Marianne Schicksal, ja. Eigentlich ist das nämlich gar nicht das, was man halt so Liebe nennt, vielleicht von seiner Seite aus, aber ansonsten – Sie starrt Alfred plötzlich an. Nein, was sag ich da, jetzt kenn ich Sie ja noch kaum – mein Gott, wie Sie das alles aus einem herausziehen –
Alfred Ich will gar nichts aus Ihnen herausziehen. Im Gegenteil. Stille.
Marianne Können Sie hypnotisieren?
Oskar zu Alfred: Pardon! Zu Marianne. Darf ich bitten? Er reicht ihr den Arm und geleitet sie unter eine schöne alte Baumgruppe, wo sich die ganze Gesellschaft bereits zum Picknick gelagert hat.
Alfred folgt Oskar und Marianne und läßt sich ebenfalls nieder.
Zauberkönig Über was haben wir denn gerade geplauscht?
Erste Tante Über die Seelenwanderung.
Zweite Tante Was ist denn das für eine Geschicht, das mit der Seelenwanderung?
Erich Das ist buddhistische Religionsphilosophie. Die Buddhisten behaupten, daß die Seele eines verstorbenen Menschen in ein Tier hineinfährt – zum Beispiel in einen Elefanten.
Zauberkönig Verrückt!
Erich Oder in eine Schlange.
Erste Tante Pfui!
Erich Wieso pfui? Das sind doch nur unsere kleinlichen menschlichen Vorurteile! So laßt uns doch mal die geheime Schönheit der Spinnen, Käfer und Tausendfüßler –
Zweite Tante unterbricht ihn: Also nur nicht unappetitlich, bittschön!
Erste Tante Mir ist schon übel –
Zauberkönig Mir kann heut nichts den Appetit verderben! Solche Würmer gibts gar nicht!
Valerie Jetzt aber Schluß!
Zauberkönig erhebt sich und klopft mit dem Messer an sein Glas: Meine lieben Freunde! Zu guter Letzt war es ja schon ein öffentliches Geheimnis, daß meine liebe Tochter Mariann einen Blick auf meinen lieben Oskar geworfen hat –
Valerie Bravo!
Zauberkönig Silentium, gleich bin ich fertig, und nun haben wir uns hier versammelt, das heißt: ich hab euch alle eingeladen, um einen wichtigen Abschnitt im Leben zweier blühender Menschenkinder einfach, aber würdig, in einem kleinen, aber auserwählten Kreise zu feiern. Es tut mir nur heut in der Seele weh, daß Gott der Allmächtige es meiner unvergeßlichen Gemahlin, der Mariann ihrem lieben Mutterl selig, nicht vergönnt hat, diesen Freudentag ihres einzigen Kindes mitzuerleben. Ich weiß es aber ganz genau, sie steht jetzt sicher hinter einem Stern droben in der Ewigkeit und schaut hier auf uns herab. Und erhebt ihr Glas – er erhebt sein Glas – um ein aus dem Herzen kommendes Hoch auf das glückliche, nunmehr und hiermit offiziell verlobte Paar – das junge Paar, Oskar und Marianne, es lebe hoch! Hoch! Hoch!
Alle Hoch! Hoch! Hoch!
Ida jenes magere, herzige Mäderl, das seinerzeit Havlitscheks Blutwurst beanstandet hatte, tritt nun weißgekleidet mit einem Blumenstrauß vor das verlobte Paar und rezitiert mit einem Sprachfehler:
Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein
Und kann sich nicht verzehren,
Sie brennt, solang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug sich bricht,
Um drin sich zu verklären.
Alle Bravo! Hoch! Gott, wie herzig!
Ida überreicht Marianne den Blumenstrauß mit einem Knicks.
Alle streicheln nun Ida und gratulieren dem verlobten Paar in aufgeräumtester Stimmung; das Reisegrammophon spielt nun den Hochzeitsmarsch, und der Zauberkönig küßt Marianne auf die Stirn und Oskar auf den Mund, dann wischt er sich die Tränen aus den Augen, und dann legt er sich in seine Hängematte.
Erich hat eben mit seiner Feldflasche Bruderschaft mit Oskar getrunken: Mal herhören, Leute! Oskar und Marianne! Ich gestatte mir nun aus dieser Feldflasche auf euer ganz Spezielles zu trinken! Glück und Gesundheit und viele brave deutsche Kinder! Heil!
Valerie angeheitert: Nur keine Neger! Heil!
Erich Verzeihen, gnädige Frau, aber über diesen Punkt vertrag ich keine frivolen Späße! Dieser Punkt ist mir heilig, Sie kennen meine Stellung zu unserem Rassenproblem.
Valerie Ein problematischer Mensch. – Halt! So bleibens doch da, Sie komplizierter Mann, Sie –
Erich Kompliziert. Wie meinen Sie das?
Valerie Interessant –
Erich Wieso?
Valerie Ja glaubens denn, daß ich die Juden mag? Sie großes Kind – Sie hängt sich ein in das große Kind und schleift es weg; man lagert sich nun im Wald und die kleinen Kindlein spielen und stören.
Oskar singt zur Laute:
Sei gepriesen, du lauschige Nacht,
Hast zwei Herzen so glücklich gemacht.
Und die Rosen im folgenden Jahr
Sahn ein Paar am Altar!
Auch der Klapperstorch blieb nicht lang aus,
Brachte klappernd den Segen ins Haus.
Und entschwand auch der liebliche Mai,
In der Jugend erblüht er neu!
Er spielt das Lied nochmal, singt aber nicht mehr, sondern summt nur; auch alle anderen summen mit, außer Alfred und Marianne.
Alfred nähert sich nämlich Marianne: Darf man noch einmal gratulieren?
Marianne schließt die Augen.
Alfred küßt lange ihre Hand.
Oskar hatte den Vorgang beobachtet, übergab seine Laute der zweiten Tante, schlich sich heran und steht nun neben Marianne.
Alfred korrekt: Ich gratuliere!
Oskar Danke.
Alfred verbeugt sich korrekt und will ab.
Oskar sieht ihm nach: Er beneidet mich um dich – ein geschmackloser Mensch. Wer ist denn das überhaupt?
Marianne Ein Kunde.
Oskar Schon lang?
Marianne Gestern war er da und wir sind ins Gespräch gekommen – nicht lang, und dann hab ich ihn gerufen. Er hat sich ein Gesellschaftsspiel gekauft.
Valerie schrill: Was soll das Pfand in meiner Hand?
Erich Das soll dreimal Muh schreien!
Valerie Das ist die Tante Henriett, die Tante Henriett!
Erste Tante stellt sich in Positur und schreit: Muh! Muh! Muh! Großes Gelächter.
Valerie Und was soll das Pfand in meiner Hand?
Zauberkönig Das soll dreimal Mäh schreien!
Valerie Das bist du selber!
Zauberkönig Mäh! Mäh! Mäh! Brüllendes Gelächter.
Valerie Und was soll das Pfand in meiner Hand?
Zweite Tante Der soll etwas demonstrieren!
Erich Was denn?
Zweite Tante Was er kann!
Valerie Oskar! Hast du gehört, Oskar? Du sollst uns etwas demonstrieren!
Erich Was du willst!
Zauberkönig Was du kannst! Stille.
Oskar Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen etwas sehr Nützliches demonstrieren, nämlich ich hab mich mit der japanischen Selbstverteidigungsmethode beschäftigt. Mit dem sogenannten Jiu-Jitsu. Und nun passens bitte auf, wie man seinen Gegner spielend kampfunfähig machen kann – Er stürzt sich plötzlich auf Marianne und demonstriert an ihr seine Griffe.
Marianne stürzt zu Boden: Au! Au! Au! –
Erste Tante Nein, dieser Rohling!
Zauberkönig Bravo! Bravissimo!
Oskar zur ersten Tante: Aber ich hab doch den Griff nur markiert, sonst hätt ich ihr doch das Rückgrat verletzt!
Erste Tante Das auch noch!
Zauberkönig klopft Oskar auf die Schulter: Sehr geschickt! Sehr einleuchtend!
Zweite Tante hilft Marianne beim Aufstehen: Ein so zartes Frauerl. – Haben wir denn doch ein Pfand?
Valerie Leider! Schluß. Aus!
Zauberkönig Dann hätt ich ein Projekt! Jetzt gehen wir alle baden! Hinein in die kühle Flut! Ich schwitz eh schon wie ein gselchter Aff!
Erich Eine ausgezeichnete Idee!
Valerie Aber wo sollen sich denn die Damen entkleiden?
Zauberkönig Nichts leichter als das! Die Damen rechts, die Herren links! Also auf Wiedersehen in unserer schönen blauen Donau!
Jetzt spielt das Reisegrammophon den Walzer »An der schönen blauen Donau«, und die Damen verschwinden rechts, die Herren links – Valerie und Alfred sind die letzten.
Valerie Alfred!
Alfred Bitte?
Valerie trällert die Walzermelodie nach und zieht ihre Bluse aus.
Alfred Nun?
Valerie wirft ihm eine Kußhand zu.
Alfred Adieu!
Valerie Moment! Gefällt dem Herrn Baron das Fräulein Braut?
Alfred fixiert sie – geht dann rasch auf sie zu und hält knapp vor ihr: Hauch mich an!
Valerie Wie komm ich dazu!
Alfred Hauch mich an!
Valerie haucht ihn an.
Alfred Du Alkoholistin.
Valerie Das ist doch nur ein Schwips, den ich da hab, du Vegetarianer! Der Mensch denkt und Gott lenkt. Man feiert doch nicht alle Tage Verlobung – und Entlobung, du Schweinehund –
Alfred Einen anderen Ton, wenn ich bitten darf!
Valerie Daß du mich nicht anrührst, daß du mich nicht anrührst –
Alfred Toll! Als hätt ich dich schon jemals angerührt.
Valerie Und am siebzehnten März? Stille.
Alfred Wie du dir alles merkst –
Valerie Alles. Das Gute und das Böse – Sie hält sich plötzlich die Bluse vor. Geh! Ich möcht mich jetzt ausziehen!
Alfred Als hätt ich dich nicht schon so gesehen –
Valerie kreischt: Schau mich nicht so an! Geh! Geh!
Alfred Hysterische Kuh – Ab nach links.
Valerie allein; sieht ihm nach: Luder. Mistvieh. Drecksau. Bestie. Sie zieht sich aus.
Zauberkönig taucht im Schwimmanzug hinter dem Busch auf und sieht zu.
Valerie hat nun nur mehr das Hemd, Schlüpfer und Strümpfe an, sie entdeckt den Zauberkönig: Jesus Maria Josef! Oh du Hallodri! Mir scheint gar, du bist ein Voyeur –
Zauberkönig Ich bin doch nicht pervers. Zieh dich nur ruhig weiter aus.
Valerie Nein, ich hab doch noch mein Schamgefühl.
Zauberkönig Geh, in der heutigen Zeit!
Valerie Aber ich hab halt so eine verflixte Phantasie – Sie trippelt hinter einen Busch.
Zauberkönig läßt sich vor dem Busch nieder, entdeckt Valeries Korsett, nimmt es an sich und riecht daran: Mit oder ohne Phantasie – diese heutige Zeit ist eine verkehrte Welt! Ohne Treu, ohne Glauben, ohne sittliche Grundsatz. Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut – Er legt das Korsett wieder beiseite, denn es duftet nicht gerade überwältigend. Ich bin nur froh, daß ich die Mariann angebracht hab, eine Fleischhauerei ist immer noch solid –
Valeries Stimme Na und die Trafikantinnen?
Zauberkönig Auch! Rauchen und Fressen werden die Leut immer – aber zaubern? Wenn ich mich so mit der Zukunft beschäftig, da wirds mir manchmal ganz pessimistisch. Ich habs ja überhaupt nicht leicht gehabt in meinem Leben, ich muß ja nur an meine Frau selig denken – diese ewige Schererei mit den Spezialärzten –
Valerie erscheint nun im Badetrikot; sie beschäftigt sich mit dem Schulterknöpfchen: An was ist sie denn eigentlich gestorben?
Zauberkönig stiert auf ihren Busen: An der Brust.
Valerie Doch nicht Krebs?
Zauberkönig Doch. Krebs.
Valerie Ach, die Ärmste.
Zauberkönig Ich war auch nicht zu beneiden. Man hat ihr die linke Brust wegoperiert – sie ist überhaupt nie gesund gewesen, aber ihre Eltern haben mir das verheimlicht. – Wenn ich dich daneben anschau: stattlich, also direkt königlich. – Eine königliche Person.
Valerie macht nun Rumpfbeugen: Was wißt ihr Mannsbilder schon von der Tragödie des Weibes? Wenn wir uns nicht so herrichten und pflegen täten –
Zauberkönig unterbricht sie: Glaubst du, ich muß mich nicht pflegen?
Valerie Das schon. Aber bei einem Herrn sieht man doch in erster Linie auf das Innere – Sie macht nun in rhythmischer Gymnastik.
Zauberkönig sieht ihr zu und macht dann Kniebeugen.
Valerie Hach, jetzt bin ich aber müd! Sie wirft sich neben ihn hin.
Zauberkönig Der sterbende Schwan. Er nimmt neben ihr Platz.
Stille.
Valerie Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?
Zauberkönig Auf der Alm gibts keine Sünd!
Valerie tut es: Die Erd ist nämlich noch hart – heuer war der Winter lang.
Stille.
Valerie leise: Du. Gehts dir auch so? Wenn die Sonn so auf meine Haut scheint, wirds mir immer so weißnichtwie –
Zauberkönig Wie? Sags mir. Stille.
Valerie Du hast doch zuvor mit meinem Korsett gespielt? Stille.
Zauberkönig Na und?
Valerie Na und?
Zauberkönig wirft sich plötzlich über sie und küßt sie.
Valerie Gott, was für ein Temperament – das hätt ich dir gar nicht zugetraut – du schlimmer Mensch, du –
Zauberkönig Bin ich sehr schlimm?
Valerie Ja – nein, du! Halt, da kommt wer! Sie kugeln auseinander.
Erich kommt in Badehose mit einem Luftdruckgewehr: Verzeihung, Onkel! Du wirst es doch gestatten, wenn ich es mir jetzt gestatte, hier zu schießen?
Zauberkönig Was willst du?
Erich Schießen.
Zauberkönig Du willst hier schießen?
Erich Nach der Scheibe auf jener Buche dort. Übermorgen steigt nämlich das monatliche Preisschießen unseres akademischen Wehrverbandes und da möchte ich es mir nur gestatten, mich etwas einzuschießen. Also darf ich?
Valerie Natürlich.
Zauberkönig Natürlich? Zu Valerie. Natürlich! Er erbebt sich. Wehrverband! Sehr natürlich! Nur das Schießen nicht verlernen. – Ich geh mich jetzt abkühlen! In unsere schöne blaue Donau! Für sich. Hängts euch auf! Ab.
Erich ladet, zielt und schießt.
Valerie sieht ihm zu; nach dem dritten Schuß: Pardon, wenn ich Sie molestiere – was studieren der junge Herr eigentlich?
Erich Jus. Drittes Semester. Er zielt. Arbeitsrecht. Schuß.
Valerie Arbeitsrecht. Ist denn das nicht recht langweilig?
Erich ladet: Ich habe Aussicht, dereinst als Syndikus mein Unterkommen zu finden. Er zielt. In der Industrie. Schuß.
Valerie Und wie gefällt Ihnen unsere Wiener Stadt?
Erich Herrliches Barock.
Valerie Und die süßen Wiener Maderln?
Erich Offen gesagt: Ich kann mit jungen Mädchen nichts anfangen. Ich war nämlich schon mal verlobt und hatte nur bittere Enttäuschungen, weil Käthe eben zu jung war, um meinem Ich Verständnis entgegenbringen zu können. Bei jungen Mädchen verschwendet man seine Gefühle an die falsche Adresse. Dann schon lieber eine reifere Frau, die einem auch etwas geben kann.
Valerie Wo wohnen Sie denn?
Erich Ich möchte gerne ausziehen.
Valerie Ich hätt ein möbliertes Zimmer.
Erich Preiswert?
Valerie Geschenkt.
Erich Das träfe sich ja famos. Schuß.
Valerie Herr Syndikus – geh, lassens mich auch mal schießen –
Erich Mit Vergnügen!
Valerie Ganz meinerseits. Sie nimmt ihm das Gewehr ab. Waren Sie noch Soldat?
Erich Leider nein – ich bin doch Jahrgang 1911.
Valerie 1911 – Sie zielt lange.
Erich kommandiert: Stillgestanden! Achtung! Feuer!
Valerie schießt nicht – langsam läßt sie das Gewehr sinken und sieht ihn ernst an.
Erich Was ist denn los?
Valerie Au! Sie krümmt sich plötzlich und wimmert. Ich hab so Stechen. – Meine arme Niere – Stille.
Erich Kann ich Ihnen behilflich sein?
Valerie Danke. – Jetzt ist es schon wieder vorbei. Das ist nämlich oft so, wenn ich mich freudig aufreg – ich muß halt immer gleich büßen. Jetzt kann ich das Ziel nicht mehr sehen –
Erich verwirrt: Was für ein Ziel?
Valerie Weil es halt schon dämmert – Sie umarmt ihn und er läßt sich umarmen; ein Kuß. Ein Ziel ist immer etwas Erstrebenswertes. Ein Mensch ohne Ziel ist kein Mensch. – Du – du – Neunzehnhundertelfer – –
An der schönen blauen Donau
Nun ist die Sonne untergegangen, es dämmert bereits, und in der Ferne spielt der lieben Tante ihr Reisegrammophon den »Frühlingsstimmen-Walzer« von Johann Strauß.
Alfred in Bademantel und Strohhut – er blickt verträumt auf das andere Ufer.
Marianne steigt aus der schönen blauen Donau und erkennt Alfred. Stille.
Alfred lüftet den Strohhut: Ich wußte es, daß Sie hier landen werden.
Marianne Woher wußten Sie das?
Alfred Ich wußt es. Stille.
Marianne Die Donau ist weich wie Samt –
Alfred Wie Samt.
Marianne Heut möcht ich weit fort – heut könnt man im Freien übernachten.
Alfred Leicht.
Marianne Ach, wir armen Kulturmenschen! Was haben wir von unserer Natur!
Alfred Was haben wir aus unserer Natur gemacht? Eine Zwangsjacke. Keiner darf, wie er will.
Marianne Und keiner will, wie er darf. Stille.
Alfred Und keiner darf, wie er kann.
Marianne Und keiner kann, wie er soll –
Alfred umarmt sie mit großer Gebärde, und sie wehrt sich mit keiner Faser – ein langer Kuß.
Marianne haucht: Ich habs gewußt, ich habs gewußt –
Alfred Ich auch.
Marianne Liebst du mich, wie du solltest –?
Alfred Das hab ich im Gefühl. Komm, setzen wir uns. Sie setzen sich.
Stille.
Marianne Ich bin nur froh, daß du nicht dumm bist – ich bin nämlich von lauter dummen Menschen umgeben. Auch Papa ist kein Kirchenlicht – und manchmal glaub ich sogar, er will sich durch mich an meinem armen Mutterl selig rächen. Die war nämlich sehr eigensinnig.
Alfred Du denkst zuviel.
Marianne Jetzt gehts mir gut. Jetzt möcht ich singen. Immer, wenn ich traurig bin, möcht ich singen – Sie summt und verstummt wieder. Warum sagst du kein Wort?
Stille.
Alfred Liebst du mich?
Marianne Sehr.
Alfred So wie du solltest? Ich meine, ob du mich vernünftig liebst?
Marianne Vernünftig?
Alfred Ich meine, ob du keine Unüberlegtheiten machen wirst – denn dafür könnt ich keine Verantwortung übernehmen.
Marianne Oh Mann, grübl doch nicht – grübl nicht, schau die Sterne – die werden noch droben hängen, wenn wir drunten liegen –
Alfred Ich laß mich verbrennen.
Marianne Ich auch – du, o du – du – Stille.
Marianne Du – wie der Blitz hast du in mich eingeschlagen und hat mich gespalten – jetzt weiß ich es aber ganz genau.
Alfred Was?
Marianne Daß ich ihn nicht heiraten werde –
Marianne Was hast du denn? Stille.
Alfred Ich hab kein Geld.
Marianne Oh warum sprichst du jetzt davon?!
Alfred Weil das meine primitivste Pflicht ist! Noch nie in meinem Leben hab ich eine Verlobung zerstört, und zwar prinzipiell! Lieben ja, aber dadurch zwei Menschen auseinanderbringen – nein! Dazu fehlt mir das moralische Recht! Prinzipiell! Stille.
Marianne Ich hab mich nicht getäuscht, du bist ein feiner Mensch. Jetzt fühl ich mich doppelt zu dir gehörig – ich paß nicht zu Oskar und basta! Es ist inzwischen finster geworden und nun steigen in der Nähe Raketen.
Alfred Raketen. Deine Verlobungsraketen.
Marianne Unsere Verlobungsraketen.
Alfred Und bengalisches Licht.
Marianne Blau, grün, gelb, rot –
Alfred Sie werden dich suchen.
Marianne Sie sollen uns finden – bleib mir, du, dich hat mir der Himmel gesandt, mein Schutzengel –
Jetzt gibt es bengalisches Licht – blau, grün, gelb, rot – und beleuchtet Alfred und Marianne; und den Zauberkönig, der knapp vor ihnen steht mit der Hand auf dem Herzen.
Marianne schreit unterdrückt auf. Stille.
Alfred geht auf den Zauberkönig zu: Herr Zauberkönig –
Zauberkönig unterbricht ihn: Schweigen Sie! Mir brauchen Sie nichts zu erklären, ich hab ja alles gehört – na, das ist ja ein gediegener Skandal! Am Verlobungstag –! Nacket herumliegen! Küß die Hand! Mariann! Zieh dich an! Daß nur der Oskar nicht kommt – Jesus Maria und ein Stückerl Josef!
Alfred Ich trag natürlich sämtliche Konsequenzen, wenn es sein muß.
Zauberkönig Sie haben da gar nichts zu tragen! Sie haben sich aus dem Staube zu machen, Sie Herr! Diese Verlobung darf nicht platzen, auch aus moralischen Gründen nicht! Daß mir keine Seele was erfährt, Sie Halunk – Ehrenwort!
Alfred Ehrenwort!
Marianne Nein!!
Zauberkönig unterdrückt: Brüll nicht! Bist du daneben? Zieh dich an, aber marsch-marsch! Du Badhur!
Oskar erscheint und überblickt die Situation: Marianne! Marianne!
Zauberkönig Krach in die Melon!
Stille.
Alfred Das Fräulein Braut haben bis jetzt geschwommen.
Marianne Lüg nicht! So lüg doch nicht! Nein, ich bin nicht geschwommen, ich mag nicht mehr schwimmen! Ich laß mich von euch nicht mehr tyrannisieren. Jetzt bricht der Sklave seine Fessel – da! Sie wirft Oskar den Verlobungsring ins Gesicht. Ich laß mir mein Leben nicht verhunzen, das ist mein Leben! Gott hat mir im letzten Moment diesen Mann da zugeführt. – Nein, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht!! Meinetwegen soll unsere Puppenklinik verrecken, eher heut als morgen!
Zauberkönig Das einzige Kind! Das werd ich mir merken!
Stille. Während zuvor Marianne geschrien hat, sind auch die übrigen Ausflügler erschienen und horchen interessiert und schadenfroh zu.
Oskar tritt zu Marianne: Mariann, ich wünsch dir nie, daß du das durchmachen sollst, was jetzt in mir vorgeht – und ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht – und ich danke dir für alles. Ab. Stille.
Zauberkönig zu Alfred: Was sind Sie denn überhaupt?
Alfred Ich?
Valerie Nichts. Nichts ist er.
Zauberkönig Ein Nichts. Das auch noch. Ich habe keine Tochter mehr! Ab mit den Ausflüglern – Alfred und Marianne bleiben allein zurück; jetzt scheint der Mond.
Alfred Ich bitte dich um Verzeihung.
Marianne reicht ihm die Hand.
Alfred Daß ich dich nämlich nicht hab haben wollen – dafür trägt aber nur mein Verantwortungsgefühl die Verantwortung. Ich bin deiner Liebe nicht wert, ich kann dir keine Existenz bieten, ich bin überhaupt kein Mensch –
Marianne Mich kann nichts erschüttern. Laß mich aus dir einen Menschen machen – du machst mich so groß und weit –
Alfred Und du erhöhst mich. Ich werd ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht.
Marianne Und ich geh direkt aus mir heraus und schau mir nach – jetzt, siehst du, jetzt bin ich schon ganz weit fort von mir – ganz dort hinten, ich kann mich kaum mehr sehen. – Von dir möcht ich ein Kind haben –