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Nachdem die Krönungsfeierlichkeiten in Prag vorüber waren, trafen die rührigsten unter den kalvinischen Herren, an ihrer Spitze Wenzel von Budowa, allerlei Veränderungen und neue Einrichtungen; nämlich sie schafften die Frauenhäuser ab, deren im Schatten der Stadtmauern viele wucherten, gründeten Schulen und beredeten die Stiftung von Armenhäusern, insbesondere aber säuberten sie den Dom vom katholischen Gepränge, um eine ordentliche Gelegenheit für die kalvinische Predigt zu gewinnen. Es war ein frischer Dezembertag kurz vor Weihnachten, als Friedrich, von seinem Hofprediger Skultetus und Wenzel von Budowa begleitet, in das Münster eintrat, um zu sehen, wie weit sie schon gekommen wären, und um die Arbeiter durch sein persönliches Erscheinen anzufeuern. Das Gebäude sei schön, sagte er, indem er sich vergnügt umsah, aber es sei ausstaffiert wie eine Jahrmarktsbude, da müsse noch gehörig aufgeräumt werden. Ja, sagte Budowa, bis jetzt hätten die Arbeiter wohl gebetet; denn geschafft wäre noch nichts, und winkte einem Werkmeister, der die Aufsicht zu führen hatte. Derselbe kam sorgenvoll gelaufen und entschuldigte sich, die Leute trügen Bedenken, die heiligen Gegenstände anzurühren. Und wohin sie damit sollten? Ob sie in eine andere Kirche oder ob sie in die Sakristei gebracht werden sollten? Es sei eine schwere Sache und ginge um die Seele. Einer der Arbeiter, ein kecker, stämmiger Mann, habe das Bild des heiligen Joseph aus der Taufkapelle herunternehmen wollen, da habe es angefangen die Augen zu verdrehen und so zornig ausgesehen, als ob es Flammen spiee, worüber dem Manne vor Schrecken schwach geworden sei und er den Arm nicht mehr habe rühren können wie ein Gelähmter. Friedrich lachte; Budowa ließ den Betreffenden vor sich führen, betrachtete den breitschulterigen, stiernackigen Menschen mit strengem Blick und befahl ihm, das Bild vor seinen Augen herabzunehmen. Der Mann schüttelte eigensinnig den Kopf und sagte, das tue er nicht zum zweiten Male, er habe Weib und Kind; er wolle wohl seine Schuldigkeit tun, aber nichts gegen den heiligen Glauben, denn dazu sei er nicht verbunden. »Du bist zu dem verbunden, was der König dir befiehlt,« herrschte ihn Budowa an, »und solange ich bei dir stehe, soll dich weder ein Teufel noch ein Götze behexen; wohl aber werde ich dich lahm schlagen, daß du deiner Lebtage kein Glied mehr rühren kannst, wenn du Widerworte machst!« Nun hob der Mann unter Budowas Augen das Bild herunter, vermied aber, es anzusehen, und lehnte es, so schnell er konnte, verkehrt gegen die Mauer. Unterdessen hatte Friedrich seine Geldbörse hervorgezogen und gab dem Manne, dem der Schweiß auf der Stirne stand, ein paar Münzen; das sei für die ausgestandene Angst und gegen die Einbildungen. Budowa sagte, er wolle nun dem Volke Vernunft beibringen, stellte sich auf die Stufen des hohen Chores, winkte die Arbeiter herbei und hielt mit dröhnender Stimme eine Ansprache: »Ihr bildet euch ein, Glauben zu haben, aber ihr habt nur Aberglauben. Gott ist in der Tugend, in der Bescheidenheit und im Gehorsam, nicht aber in Holz und Leinwand. Eine Holztafel, die mit Farbe bemalt ist, hat so wenig mit Gott zu tun wie eure Nase mit der Kirchturmspitze. Würdet ihr weniger trinken und mehr nachdenken, so würdet ihr Gott besser erkennen. Macht jetzt ein Feuer an und werft alle Bilder, Flitter, Kränze, kurz, allen überflüssigen Kram, der hier herumhängt, hinein, denn es ist weiter nichts als Unrat. Ihr könnt euch zugleich daran wärmen und euren Brei darüber kochen. Führt ihr die aufgetragene Arbeit im Dienste der Obrigkeit gut aus, so dient ihr Gott mehr als mit Kreuzschlagen, Knien und Widerspenstigkeit.«
»Das prasselt wie ein Feuerwerk«, sagte Friedrich im Weitergehen. »Ihr könnt mit meinem Skultetus um die Wette predigen.« Dieser sagte, ein wenig säuerlich lächelnd, es sei ja bekannt, daß der Graf es an Gelehrsamkeit mit jedem Theologen aufnehmen könne; worauf Budowa lachte und entgegnete, seine Gelehrsamkeit würde ihm hier nichts geholfen haben, mit dem niederen Volke müsse man nach seinem Verstande reden. Er kenne sich darin aus, denn er pflege seinen Bauern oft zu predigen und sie im Glauben zu unterrichten.
Jetzt meldete ein Junker Friedrich, daß die Schlitten bereit seien; denn es sollte an diesem Tage eine Schlittenfahrt unternommen werden. Budowa und Skultetus blieben zurück und versprachen, ein Auge auf den Fortgang der Arbeit zu haben, damit am folgenden Tage, als an einem Sonntage, das reine Gotteswort vor dem Könige laut werden könne.
In der Dunkelheit kamen die Schlitten in langem Zuge klingelnd zurück; an einem jeden waren Fackeln befestigt, von denen fliegendes Licht auf den Weg tropfte, das den Schnee in rosigen Sternen erblinken ließ. Der König war von der kalten Luft müde geworden und schlief, an seine Gemahlin gelehnt, die mit einem Kammerherrn in französischer Sprache plauderte; er wachte erst auf, als der Schlitten mit einem Ruck vor dem Schlosse anhielt. Nachdem er sich erfrischt und ausgeruht hatte, ging er noch in den Dom, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung sei. Dort war Geschrei und Bewegung; unter dem steinernen Himmel schwankten an langen Stangen befestigte Lichter um ein ungeheures hölzernes Kruzifix, das von der Mitte des Triumphbogens niederhing, und die dröhnende Stimme Budowas schalt widerhallend durch die Finsternis. Den Hauptgötzen hätten sie ihm zum Trotze hängen lassen, rief er, die faulen, trotzigen und feigen Baalsknechte. Ob das Gottesdienst sei, diesen geschnitzelten Kadaver anzubeten? Dabei entriß er, der auf einer Leiter stand, einem der unten stehenden Männer den Hammer und hieb damit gegen das grauenvolle Antlitz des im Todeskrampf erstarrten Schmerzensmannes. »Das ist häßlich,« sagte Friedrich, der hinzugetreten war und hinaufblickte, »wir wollen den Greuel an dieser Stätte nicht mehr leiden.« Während Budowa mit Äxten und Stricken eifrig hantierte, drängten sich viele Arbeiter aus der Kirche, andere lagen, sich bekreuzend, auf den Knien. Die Damen und Herren, die sich Friedrich angeschlossen hatten, sahen neugierig zu, und die Damen schrien zuweilen hell auf und deckten die Hände über die Augen. Plötzlich ächzte das Holz und schlug auf den Steinboden mit furchtbarem Krachen, dem ein vielstimmiges Geschrei im Inneren und wie ein Echo außerhalb des Domes folgte. In dem betäubenden Gepolter hatte man einen durchdringenden Jammerlaut unterschieden, und es zeigte sich, daß das stürzende Kreuz einen Mann getroffen hatte, der nun bewegungslos unter dem einen der gewaltigen Holzarme lag, aber noch atmete. Man solle ihn heimtragen, sagte Budowa kurz, warum hätte er auch so vorwitzig sein müssen. Man solle aber die Sache nicht ausschreien, es werde schon übergenug davon geschwätzt, er werde sich nach dem Manne umsehen.
Als alle den Dom verlassen hatten, schloß Skultetus selbst das Portal ab. Von den Arbeitern und dem angesammelten Volke gingen viele in das nächste Wirtshaus, wo der Mann schon saß, der das Bild des heiligen Joseph hatte abnehmen müssen. Er war bereits vollständig betrunken und kam nur zuweilen zum Bewußtsein, um den Wirt zu rufen, weil sein Humpen geleert sei. Er solle nun aufhören und heimgehen, sagte der Wirt und erklärte auch den Neuankommenden, der Mann habe genug, er sei voll wie ein Schwein. Solange er zahle, lallte der Mann, müsse der Wirt ihm zu trinken bringen, andere mischten sich hinein und rieten teils wie der Wirt zum Heimgehen, teils unterstützten sie ihren Kameraden und munterten ihn zum Weitertrinken auf. Das Sündengeld müsse vertrunken sein, heulte der Mann, er habe die Hölle im Leibe und müsse löschen. Die Leute sahen sich bedeutsam an, sprachen von allem, was sich im Dome begeben hatte, daß Blut am Kruzifix heruntergeflossen sei, weil Budowa den Heiland ins Gesicht geschlagen habe, und daß es unter Türken und Tataren nicht schlimmer zugehen könne. Die Kalviner seien keine rechten Christen, und man hätte sich nie mit den Deutschen einlassen sollen. Der Betrunkene, der wieder eingeschlafen war, fuhr plötzlich schnarchend in die Höhe, griff in die Tasche und sagte, das Sündengeld sei dahin, er fühle sich nun wohler und wolle heimgehn. »Wie willst du heimgehn, du Schwein,« sagte der Wirt, »da du kaum auf allen vieren kriechen kannst!« Ein paar Männer standen auf und sagten, sie wollten ihm auf die Beine helfen, und griffen ihm unter die Arme. Unter Gelächter brachten sie ihn in die Höhe und ermunterten ihn, zu gehen; er hielt sich am nächsten fest und sagte, das Zimmer drehe sich um ihn herum, er müsse ein Glas Wein haben, sonst getraue er sich nicht weiter. Während ein Schenkmädchen lief und das Verlangte holte, gab ihm einer einen Stoß, um ihn in Gang zu bringen; das Gelächter verdoppelte sich, als der ungeschlachte Körper ins Wackeln kam, mit den Armen um sich griff, taumelte und, bevor man ihm beispringen konnte, vornüber auf den Boden fiel. Da es sich zeigte, daß der Mann tot war, hieß es, das sei der Finger Gottes und die Strafe dafür, daß er sich für Geld an einem Heiligen vergriffen habe, sie hätten ihn gewarnt und vorausgesehen, daß es nicht gut enden würde. Das Wirtshaus füllte sich nach und nach mit den Angehörigen des Mannes und vielen Neugierigen. Er sei von Gottes Hand erschlagen, erzählten diejenigen, die es mit angesehen hatten; es sei nicht anders gewesen, als wenn ein Blitz vom Himmel in einen Baum einschlüge und ihn fälle. So sei es gewiß auch Gottes Wille gewesen, sagte der Wirt, daß er so viel hätte trinken müssen, es reue ihn, daß er mit dem armen Sünder harte Worte geredet hätte. Er hätte ihm nicht getraut, weil er lutherisch gewesen sei, nun sehe er aber, daß man alles Gott anheimstellen solle. Nein, der Mann sei ganz recht gewesen, bemerkte ein anderer; im lutherischen Glauben sei er nun einmal aufgezogen gewesen, aber er habe vor den Heiligtümern die Knie gebeugt und ein Kreuz geschlagen, wenn die andern es getan hätten; und er würde sich nicht an den Bildern vergriffen haben, wenn der Budowa ihn nicht gezwungen hätte.
Es war kurz vor Mitternacht, als der Küster des Domes außer Atem gelaufen kam und erzählte, er habe ein schreckliches Zeichen und Gesicht gesehen, und er sei gewiß, es stehe Krieg und Pest bevor, wenn nicht der Jüngste Tag im Anzuge sei. Als er vor einer halben Stunde aus dem Kloster gekommen sei und habe heimgehen wollen, habe er die Fenster des Domes erleuchtet gesehen, so daß er gedacht habe, es werde noch darin gearbeitet. Über diesen Frevel erschrocken, habe er an alle Türen gefaßt, aber sie wären fest verschlossen gewesen, und keinen Laut hätte er vernehmen können. Am liebsten, sagte er, wäre er davongelaufen; aber er hätte sich ein Herz gefaßt und wäre an einem der Holunderbäume, die um den Chor herum wüchsen, hinaufgeklettert, bis er durch die Fenster in das Innere hätte hineinsehen können. Da hätte ihn Entsetzen erfaßt, und er hätte so gezittert, daß er sich kaum an den Zweigen des Baumes hätte halten können: die ganze Kirche sei voll Blut gestanden, das sei alles des Heilands Blut gewesen; unter dem Gewölbe habe sein Leib gehangen, und aus den tiefen Furchen seines Gesichtes sei Blut herabgeronnen, und sein Mund und seine Augen wären wie Brunnenröhren gewesen, aus denen das Blut dick hervorgeschossen sei.
Nachdem die Zuhörer sich von ihrem Schrecken gefaßt hatten, wollten sie das Wunder auch sehen, aber der Wirt hielt sie ängstlich zurück; wenn Feuer im Dome sei, könne es sein Haus ergreifen, sagte er, indem er ängstlich nach der Kirche hinüberblickte, deren steile Mauerterrassen in gleichförmigem, schwerem Dunkel lagen. »Seht,« sagte der Küster, »es ist wie ausgeblasen. Wenn es etwas Natürliches gewesen wäre, hätte es nicht so verschwinden können.« Erst als die Nacht sich zerstreute, gingen die Leute verfroren und übermüdet nach Hause.
Am folgenden Tage predigte Skultetus im Dome, der in aller Frühe von den Spuren der gestrigen Arbeit gesäubert worden war. Wie der kleine hagere Mann, auf der Kanzel stehend, sich in dem erhabenen Raume umsah, reckte er sich unwillkürlich und blähte die Brust auf; denn es war ihm, als schwebe er über der erschaffenen Erdkugel und seine Worte würden von der Unendlichkeit verschlungen werden. Hingegen tönte seine Stimme, als ob er in eine Posaune bliese, so daß er selbst vor dem Schall schauderte. Er sagte: Gottes Allmacht hat mich erfaßt und hierhergetragen, damit ich die Wahrheit verkündige. Gott wollte, daß das Reich der Finsternis aufhöre und daß die Werke der Finsternis zerstört werden. Dies war das Nest, wo die geschwollene Nachtbrut der Mönche und Jesuiten trotzte, das ist Aberglauben, Tücke, Wut und Zerstörung. Heil uns, der Herr hat gerichtet! Das Licht, das da heißt Vernunft und Wahrheit, fährt stürmisch herauf, und Krähen und Eulen, wie schwere Dämpfe auf dem Bauche kriechend, sausen von dannen.
Friedrich und Elisabeth waren zum Gottesdienst feierlich geputzt, er in einem schwarzen, sie in einem weißen, mit Diamanten besetzten Gewande. Er trug eine mit einem besonders großen Diamanten besetzte Agraffe nebst Reiherbusch am Barett, sie eine ebensolche im Haar, am Hals und in den Ohren trug sie Gehänge von Perlen. Es verdroß sie ein wenig, daß viele von den böhmischen Damen in viel reicherem Schmuck erschienen als sie, was sie auch schon auf den Bällen bemerkt hatte, und sie stellte Friedrich vor, daß dies ein Unfug sei, dem er steuern müsse. Die Königin, sagte sie, müsse sogleich am reichsten Schmucke kenntlich sein, und es würde niemals Ordnung und Anstand in einem Lande herrschen, wo die Vasallen schönere Kleider trügen als die Herren. Friedrich sagte entschuldigend, daß er noch ein wenig hinhalten müsse, bis er in Böhmen recht stabiliert sei; sitze er erst einmal fest auf dem Throne, so wolle er einen größeren Schatz von Juwelen anschaffen, wie er ihrem neuen Stande gebühre. Böhmen sei ja ein reiches Land und könne seinen König gebührlich ausstatten, auch hätte er den Eindruck, daß die Untertanen es an nichts fehlen lassen würden, es wären ihnen ja schon stattliche Geschenke überreicht worden. Feine Lebensart hätten die böhmischen Weiber doch nicht und müßten also darin sowie an Schönheit hinter ihr zurückstehen.
Die Zeit verging Friedrich zunächst schnell und angenehm, da er nach Brünn und Breslau reisen und die Huldigung der Mähren und Schlesier in Empfang nehmen mußte. Unterdessen regierten in Prag Christian von Anhalt, der Gouverneur, und die Räte der Krone, unter denen Wenzel von Budowa mit einigen andern das Wort führte. Unter seinen Briefschaften fand Anhalt eines Tages eine Bittschrift von Bauern, welche die Aufhebung der Leibeigenschaft verlangten, und nach einigen Bedenken entschloß er sich, dieselbe dem Rat vorzulegen. Er könne darüber nicht entscheiden, sagte er, weil er mit den Verhältnissen in Böhmen nicht vertraut genug sei; allein es komme ihm vor, als würden die Bauern hierzulande über Gebühr geplagt, und er halte es für gefährlich in Kriegszeiten, wenn der Landmann seiner Herrschaft nicht anhänglich sei und etwa gar dem Landesfeind zulaufe, anstatt seine Scholle zu verteidigen.
Die Sache sei so, sagte Budowa: für die Bauern hätte ihr jeweiliger Herr einzustehen, und wenn der der guten Sache anhänge und sie in rechter Zucht halte, würden die Bauern auch ihre Schuldigkeit tun, soweit sie könnten. Freilassen könne man die Bauern nicht, denn das verdienten und vermöchten sie nicht, abgesehen davon, daß der König doch wohl den Adel nicht seiner Rechte und seines Besitzes berauben könne, der vielmehr der Quell des Rechtes sein solle.
Dieser Ausführung schloß sich der Kanzler Ruppa an und sagte, zur Zeit Kaiser Rudolfs hätten sich auch einmal die Bauern über ihre Herren beklagt und Befreiung von allerlei Fronden verlangt; Kaiser Rudolf aber, der doch ein mächtiger Herr gewesen sei, hätte die Schuldigen ausgeliefert, und da wären die Rädelsführer mit Rad und Galgen angemessen bestraft worden, worauf es wieder Ruhe gegeben hätte.
Es handle sich hauptsächlich um königliche Bauern, sagte Anhalt, und es scheine ihm nicht rätlich, gleich jetzt mit der Schärfe gegen sie vorzugehen. Man könne ja einen abschlägigen Bescheid geben oder sonst kunktieren. Die Herren sollten bedenken, wie man jetzt daran sei, wenn man noch Mannschaft gegen die Bauern aufbieten müßte und wenn die Felder nicht bestellt würden, wo schon durch den Krieg eine Teuerung wäre.
Sie wären bis jetzt mit den Bauern fertig geworden, entgegnete Budowa, und würden es auch inskünftig werden. Das betreffe die Grundlage ihrer Rechte, und daran dürfe nicht gerüttelt werden. Gewisse Herren könnten ja vermahnt werden, ihren Bauern nicht das Blut auszupressen und ein christliches Einsehen zu haben; er wolle durchaus das Verfahren aller nicht billigen. Aber der König werde auch nicht dulden, daß sein Adel noch einem andern Landesherrn außer ihm huldige. Das würde ein Gelauf und eine Zwischenträgerei geben, wenn die hämischen Bauern wegen jeder Tracht Prügel, die sie bekämen, an den Hof laufen und klagen wollten. Dahinein dürfe der König sich nicht mischen, sonst hätte man schließlich das Faustrecht und wisse nicht mehr, wer Herr und wer Knecht sei.
Das wisse man auch jetzt nicht, sagte Graf Solms finster; nur so viel sehe er, daß der König hierzulande nicht der Herr sei.
»Meint Ihr,« rief Budowa, »weil unser Land östlich von Eurem liegt, der König wäre hier wie der türkische Sultan und könnte seinen Großen den Kopf vom Rumpfe schneiden, wenn es ihm beliebt?«
»Wenn die türkischen Vasallen es verdienen,« antwortete Solms nachdrücklich, »so hätte der Sultan recht und wäre um so besser daran.«
»Die deutschen Grafen«, rief einer von den böhmischen Herren aufspringend, »müssen wenig Ehre haben, wenn sie sich so mit den Hunden in gleiche Reihe stellen!« Auch Graf Solms erhob sich und sagte langsam, während seine Augen Blitze warfen: »Wie blank unsere Ehre ist, zeigt meines Schwertes Fläche, und wie schneidend unser Mut, seine Schärfe.«
Anhalt beeilte sich, Frieden zu stiften, indem er vorstellte, daß sie sich in der Ratsstube des Königs befänden, dem sie alle mit gleicher Treue ergeben wären; daß sie einander nicht zu beweisen brauchten, wieviel Ehre und Tapferkeit sie hätten, und daß sie ihr Blut für den Kampf mit dem gemeinsamen Feinde sparen müßten. Er brachte es auch endlich dahin, daß sich die Streitenden die Hand zur Versöhnung reichten, doch taten sie es mit sichtlichem Widerwillen und gegenseitiger Verachtung. Was die Bauern betraf, so wurde ihnen Untersuchung der einzelnen Klagepunkte in künftiger Zeit verheißen; inzwischen wurden sie vermahnt, sich ruhig zu halten, und zu unerschütterlichem Gehorsam gegen ihre Herren angewiesen.
*
Im Juni erhielt Herzog Maximilian die Nachricht, daß die Unionsfürsten sich hatten bereden lassen, stillzusitzen, wenn er gegen den Pfälzer ziehe, immerhin sich vorbehaltend, seine pfälzischen Erblande, falls er dort angegriffen werde, zu schützen. Er hatte nicht nach Prag ziehen wollen, solange er befürchten mußte, sie würden unterdessen sein Herzogtum überfallen oder Friedrich zu Hilfe kommen, und war deshalb von dem Ergebnis der Verhandlungen sehr befriedigt. Diesen Dienst hatte ihm Frankreich geleistet, und der französische Gesandte tat sich nicht wenig auf die Geschicklichkeit zugute, mit der er den protestantischen Fürsten eingeredet habe, es sei das beste für sie, Pfalz seinen unsauberen Handel mit dem Kaiser allein ausfechten zu lassen; allein Jocher äußerte sich vertraulich, es hätte ohnehin keiner von diesen Schneckenhelden Lust gehabt, seine Haut für ihren Obersten zu Markte zu tragen. Die Union habe sich, als Anhalt nach Böhmen gezogen sei, gleichsam selbst den Kopf abgebissen, und wenn sie auch wie der Skorpion noch eine Weile mit dem Schwanze zappele, so sei doch keine Lebenskraft darin und werde man sie bald mit bloßen Füßen ohne Schaden zusammentreten können.
So brach denn Maximilian mit einem wohlgeordneten und -gerüsteten Heere auf, um zunächst sein Pfand, die Provinz Oberösterreich, in Besitz zu nehmen, und näherte sich in den ersten Tagen des August der Stadt Linz.
Kepler saß am Abend, als es anfing zu dämmern, über seinen Instrumenten und Büchern, als die Herren von Saurau, Vater und Sohn, zu ihm kamen, um sich von ihm zu verabschieden; denn sie gehörten zu den erklärten Rebellen und erwarteten sich nichts Gutes von der Ankunft Maximilians. Ob es denn wahr sei, daß der Bayernherzog auf Linz ziehe? fragte Kepler. In der Schule hätten einige wissen wollen, er gehe geradeswegs gegen den böhmischen König, andere meinten gar, gegen den Türken. Nein, sagte Herr von Saurau, das sei gewiß, daß es ihnen gelte. Ferdinand hätte sie ausgeliefert, das sei längst geplant gewesen. Widerstand könnten sie dem Herzog nicht leisten, unterwerfen wollten sie sich nicht, so verließen sie denn die Heimat. Sie gingen nach Nürnberg oder einer anderen evangelischen Reichsstadt. Kepler meinte bedenklich und mitleidig, die Füße wären lose, aber das Herz ließe sich nicht so leicht ausgraben.
Der Ältere sah schweigend vor sich nieder, der Jüngere aber sagte, in den Reichsstädten sei ein freieres und lustigeres Leben als in den Bergen zwischen den Bauern, man könne es wohl eine Zeitlang mitmachen, inzwischen gebe es vielleicht eine Änderung, die Zeit sei voll Unruhe, und Ferdinand habe den Bogen zu straff gespannt, aller Tage Abend sei noch nicht da.
Ob Kepler nicht auch verreisen wolle? fragte der Ältere. Sie könnten miteinander gehen, zu Linz sei seines Bleibens doch nicht. Herzog Maximilian sei vom Papste besoldet, die Ketzer auszurotten; man munkele, er werde später abdanken, um Jesuitengeneral zu werden. Wie dem auch sei, verschonen werde er keinen, und die Wissenschaft am wenigsten, die es mit dem kopernikanischen System halte.
Er möchte ungern schon wieder wandern, sagte Kepler; wenn es aber nötig sei, wolle er versuchen, ob er nicht eine Anstellung in Schwaben finde. Wie solle er in Nürnberg sein Brot finden? Die Herren von Nürnberg hätten für Leute seines Schlages kein Geld übrig, und er habe ein Weib und liebe Kinder.
Dem alten Herrn tat es leid, und er nahm traurigen Abschied. »Wenn ich bei Euch saß und Euch zuhörte,« sagte er zu Kepler, »war es mir oft, als schmecke ich den Himmel.« Wenn sie nach Ulm gingen, sagte Kepler, so sei da der Astronom und Mathematiker Faulhaber; der sei ebenso gelehrt wie er und werde ihnen in allem, was er wisse, sicherlich gern zu Diensten sein.
Als das bayrische Heer in Sicht kam, wurde die Aufregung groß in Linz. Auf Bitten seiner Frau begab sich Kepler zu einem Jesuitenpater, der ihn oft aus Interesse an der Astronomie besucht hatte, und fragte ihn, ob er im Notfall hoffen könnte, mit den Seinigen Schutz in seinem Kloster zu finden. »Jetzt wird Euch bange!« sagte der Jesuit langsam, indem er den Arm in die Seite stemmte und Kepler mit triumphierendem Lächeln ansah; »jetzt kommt Ihr als ein reuiges Kind, das sich im Schoße der schwergekränkten Mutter bergen möchte!«
»Wenn Ihr damit meint,« sagte Kepler, »ich wollte mich zu Eurer Kirche bekehren, so muß ich freilich nein sagen, jetzt so wenig wie vor zwanzig Jahren, und ich meine auch, es stände dem Manne noch weniger an als dazumal dem Jünglinge.«
Der Jesuit ereiferte sich: »Es steht einem jederzeit an,« rief er, »Buße zu tun und die Wahrheit zu bekennen. Seht Ihr die Zeichen Gottes noch immer nicht? Wie mögt Ihr, als ein kluger Mann, Institutionen anhängen, die in kurzem vor einem Hauche Gottes verschwinden werden? Ihr, die Ihr Ordnung und Gesetz am Himmel so herrlich nachgewiesen habt? Wo ist bei Eurer Ketzerei Ordnung und Gesetz? Wo ist da die Basis, die Basis? O göttliche Weisheit Keplers, riechst du auch nach Menschenfleisch? Greifst du es nicht mit Händen, daß es nur eine Kirche geben kann, wenn es nur einen Gott gibt? Hättest du den Lauf der Sterne ausmessen können, wenn es Ketzer unter ihnen gäbe, die ihn verwirrten?«
»Wer weiß, ob es nicht Zwietracht und Kämpfe unter den Sternen gegeben hat, bevor die Sieger die Triumphspiele begannen, denen wir jetzt zuschauen? Ob die Katholiken oder die Evangelischen unterlegen sind, ist vielleicht in den Historienbüchern des Himmels aufgeschrieben«, sagte Kepler und lächelte.
Der Pater mußte wider Willen lachen und nannte Kepler einen Schelm und Phantasten. »Ihr Ketzer seid nun einmal hartnäckig,« sagte er, »ihr Schwaben insbesondere. Euch muß die Not beten lehren, und ich sollte Euch in der Klemme stecken lassen, damit es Eurer Seele zugute käme.«
»Das hat sie oft getan,« sagte Kepler, »und wenn ich gut kämpfen gelernt habe, so ist es, weil die Not meine Meisterin war.«
»Kepler, Kepler,« seufzte der Jesuit, »was für ein stolzer und verwegener Mann seid Ihr! Wenn ich Euch liebe, so ist es um des hehren Verstandes willen, mit dem Gott Euch Unwürdigen begnadet hat; sonst müßte ich es mir füglich zur Sünde anrechnen.« Um dieser Liebe willen, sagte er, wolle er sich für Kepler verwenden, wenn die Stadt erstürmt würde und er in Gefahr komme, mehr könne er nicht versprechen. Übrigens werde es dessen nicht bedürfen; denn der Herzog von Bayern sei ein frommer katholischer Fürst und werde Barmherzigkeit üben.
Kepler trat den Heimweg an in Gedanken darüber, ob er in Wirklichkeit stolz und eigensinnig sei, daß er nicht katholisch werden wollte; denn er hatte schon manchmal gedacht, daß Gut und Böse vielleicht auf beiden Seiten gleich sei, er hatte keinen eigentlichen Widerwillen gegen die Katholiken, noch hielt er seine Glaubensgenossen für unfehlbar. Dennoch hätte ihn vor sich selber geekelt, wenn er seine bedrängten Brüder verlassen und sich zur Beichte und Messe hätte bequemen sollen. Es fiel ihm bei, nach den Mauern zu gehen und den fortschreitenden Arbeiten des Belagerungsheeres zuzusehen; dort traf er Hizler, von einem Häuflein Männer und Frauen umgeben, auf die er in großer Aufregung einredete.
»Seht ihr den Herodes?« rief er und meinte damit den Herzog Maximilian; »seht ihr die Speere und Schilde in der Sonne blitzen, mit denen sie euch morden wollen? Aber Gott wird mit seinem Volke sein, wenn wir bei seinem Worte bleiben! Ich bin euer Hirt, und ihr sollt mich noch auf dem Scheiterhaufen jubilieren hören! Wären keine Verräter unter uns, so würde der Herr uns nicht so strafen. Aber da ist einer, da ist einer!« rief er laut, indem er auf den langsam vorübergehenden Kepler zusprang und ihn beim Arme griff. »Der hat die Kriegsnot über uns gebracht, weil er Gott erzürnte. Um deines Trotzes und deiner Sünde willen schickt uns der Herr die Philister über den Hals!«
»Wohlan,« sagte Kepler friedlich, »so schickt er sie vielleicht um deiner Tugend willen wieder heim.«
»Das könnte dir passen, du Obenhinaus!« knurrte Hizler und fügte verdrießlich hinzu: »Hätte mich der Zorn nicht übermannt, so hätte ich nimmer das Wort an dich gerichtet.«
Darüber brauche er sich kein Gewissen zu machen, sagte Kepler, es seien ja keine gütlichen gewesen.
Unterdessen schlugen unfern Kugeln in die Mauer, daß es krachte und Staub und Steine aufflogen, worüber viele erschraken und fortliefen, um in dieser Not bei den Ihrigen zu sein. Da auch Kepler weitergehen wollte, rief ihm Hizler plötzlich mit wehklagender Stimme nach: »Bekehre dich doch, Keplerle, komm in den Stall zu den anderen Schafen! Bekehre dich, so soll alles vergeben und vergessen sein.«
»Weißt du,« sagte Kepler stehenbleibend, »in mir ist ein Dämon, dem muß ich treu bleiben; denn er ist ewig, und eure Formeln sind von gestern und währen bis morgen.«
Er ging weiter, hielt aber noch einmal an und rief Hizler zu, er müsse die Zeit, die ihm noch bleibe, zur Arbeit nützen. Die nächste Nacht sei eine Mondfinsternis, wenn Gott gebe, daß die Stadt sich so lange halte, wolle er sie beobachten, und falls Hizler auch dazu Lust habe, sei er willkommen.
Die Gassen widerhallten vom Schritt der Soldaten, die der Kommandant beauftragt hatte, das Volk im Zaume zu halten, das Drohungen gegen ihn ausgestoßen hatte, weil er kapitulieren wollte. Kepler saß in einem offenen Balkon seines Hauses und erwartete den Mond. Der Abend war so still, daß sich kein Blatt im Wipfel der hohen Esche bewegte, die sein Haus beschirmte. Aus der Stadt scholl dann und wann Getöse und Aufkreischen; aber bis zu Keplers Bewußtsein drang in diesem Augenblicke nichts davon. Etwa um neun Uhr erglomm der Giebel des Nachbarhauses im näherrückenden Lichte, und gleich darauf schwebte die leuchtende Welt in den Gesichtskreis des Wartenden. Der Himmel hob sich wie ein milchgraues Meer aus der Dunkelheit, geballte Wolken tauchten auf wie Zacken und Berge und Schiffe und schwammen langsam vorüber oder sanken zurück in die Finsternis. Kepler fuhr herum, als Hizler durch die niedrige Tür eintrat, dessen Klopfen er überhört hatte. »Ich habe die Sache Gott anheimgestellt,« sagte er, »es steht ein großes Gericht über die ganze Erde bevor, und es wird einem jeden zuteil werden, was er verdient hat. Ich habe dich gewarnt, nunmehr fahre hin, inzwischen wollen wir nicht hadern.« Da Kepler ihn auf eine blutige Schramme an der Schläfe und seinen humpelnden Gang anredete, sagte er, die rohen Kriegsknechte hätten ihm so übel mitgespielt, als er sie aufgefordert habe, lieber auf die Wälle zu ziehen und den Antichristen zu vertreiben, anstatt die gläubigen Brüder zu bedrohen. Er wollte sich nicht verbinden lassen, weil ihm jetzt mehr daran gelegen sei, die Mondfinsternis mit Kepler zu beobachten; wenn die Erscheinung vorüber sei, wolle er gern einen Schluck Wein annehmen und sich die Wunde von Keplers Hausfrau waschen lassen; einstweilen ertrage er die Schmerzen freudig um des Erlösers willen.
Schon nach wenigen Minuten sahen sie den Sternenschatten auf den wandernden Mond fallen, worüber Hizler, während Kepler still beobachtete, ganz atemloses Staunen und lautes Vergnügen war. Zu denken, sagte er, daß da oben ein mechanisches Theater ablaufe, regelmäßig wie eine Uhr, die nie aufgezogen zu werden brauche, eigentlich ein Perpetuum mobile, sei höchst wundervoll. Er sprach mit großer Gelehrsamkeit über dies Problem, mit dem er sich viel beschäftigte, wie er denn auch ein allerliebstes drehbares Planetarium aus Messing verfertigt hatte; dann, als die Verfinsterung vorüber war, ließ er den Gegenstand fallen und sagte: »Ein greuliches Warnungszeichen, das der Herr seinem Volke aufsteckt; aber sie toben und würgen weiter in ihrer Verblendung. Rase nur zu, blutiger Attila! Gott läßt dich eine Weile wüten, jedoch das Strafgericht wartet schon, in das du hineintappen wirst!«
Kepler meinte, Herzog Maximilian habe ein gut ausgerüstetes Heer und mehr Geld als irgendein Fürst im Reiche; solange er zum Kaiser halte, möchte ihnen nicht leicht einer gewachsen sein. »Da sieht man wieder das Schwindelköpflein!« rief Hizler sich ereifernd. »Willst du die Wege Gottes auskennen? Wenn es ihm gefällt, kann er Tataren und Heiden auferwecken, um seine Befehle auszuführen! Wenn es ihm gefällt, kann er die falschen Götzen mit einem Atemzuge umblasen!«
Kepler, dessen Augen dem kleinen Schatten einer Fledermaus folgten, der pfeilschnell über die getünchte, mondbeschienene Mauer des Hauses huschte, ging nicht darauf ein und überließ es seiner Frau, Hizlers Prophezeiungen, Drohungen und Betrachtungen mit Ehrfurcht und Schrecken entgegenzunehmen.
Sein Gemüt war voll Sorgen über die Angelegenheit seiner Mutter, die nach den Berichten aus seiner Heimat eine schlimme Wendung zu nehmen drohte und die um so schwerer wog, weil er sie, als eine schimpfliche und gefährliche Sache, niemandem mitteilen mochte, vielmehr, solange es anging, geheimzuhalten suchen mußte. Bald nach der Einnahme von Linz kam ein Brief von seiner Schwester, es sei nun alles aus, die Mutter sei aus ihrem Hause in den Turm geschleppt worden und solle durchaus eine Hexe sein. Ihr Mann sei böse über die Schande, ihr Bruder, der Zinngießer, sei vollends außer sich geraten und habe gesagt, wenn die Mutter wirklich eine Hexe sei, so wolle er nichts mehr mit ihr zu tun haben, es sei des Ärgernisses übrig genug. Wenn er ihr nicht schnell zu Hilfe komme, so sei die Mutter gewiß verloren, sie habe keinen Freund mehr. Ihr alter gebrechlicher Körper werde die Kälte, Folter und Marter nicht überstehen, und das werde noch das beste sein, da sie sonst lebendig ins Feuer müsse. Sie könne nichts tun als beten und weinen, und das tue sie Tag und Nacht; er solle sich eilen, damit er nicht zu spät komme.
Ohne Verzug reiste Kepler nach Güglingen und erfuhr, daß der Vogt Einhorn es dahin gebracht hatte, an die Stelle des schwebenden Zivilprozesses einen Kriminalprozeß treten zu lassen, indem er der Frau Reinbold gestattete, eine Gegenklage auf Zauberei einzureichen. Sie hatte unterdessen neuen Stoff zum Beweise zusammengebracht: namentlich sollte die Kepler ein zehnjähriges Mädchen am Arme gefaßt haben und sollte dieser Arm lahm geworden sein, so daß das Kind ihn wochenlang nicht hätte gebrauchen können, und ferner sollte die Keplerin ein vierzehnjähriges Mädchen das Zaubern haben lehren wollen, dem sei es aber bange geworden, so daß es ihr unter Vorwänden entschlüpft wäre. Nachdem Kepler die Akten des Prozesses durchgesehen hatte, in die er auf vieles Ersuchen und Verwenden hatte Einsicht nehmen dürfen, stellte er dem Präsidenten des Gerichtes vor, daß die Punkte samt und sonders belanglos wären und durchaus nicht hinreichten, eine Anklage darauf zu begründen. Den Aussagen von Kindern könne man doch keinen Glauben schenken, sie könnten von Frau Reinbold unterrichtet sein oder etwas mißverstanden haben; nichts von allem sei erwiesen, und seine Mutter leugne alles.
Das täten die Weiblein freilich alle, sagte der Präsident mit einem feinen und herablassenden Lächeln; dazu wäre er da, um ihnen die Verstocktheit auszutreiben. Wenn er nicht ausreiche, so wären da Schrauben und Zangen, mit denen man meistens rasch zum Ziele käme. Wenn man ein wenig Erfahrung hätte, könne man auch den Hexen ihr Handwerk ansehn, wie einem Pfarrer oder Metzger das seinige. Ihm, Kepler, werde freilich diese Erfahrung abgehn; wo sollte er sie gemacht haben? An seiner Mutter? Er sei der Sohn, da trübe die natürliche Liebe den Blick. Er sei ja auch sonst wohl mit den Wissenschaften und dem Rechtswesen im besonderen nicht vertraut.
Er habe Theologie studiert, und die Jurisprudenz sei ihm auch nicht fremd, sagte Kepler; nicht so fremd, daß er nicht wisse, es gehöre mehr dazu als die Aussagen von Kindern, um ein Malefizurteil darauf zu gründen.
Nach seinem Dafürhalten, sagte der Präsident gelassen und noch erhabener lächelnd, sei gerade auf das unschuldvolle Wort der Kindlein viel zu geben; sie wenigstens seien meistens noch nicht vom Satan bestochen. Übrigens würde sich das im Verlaufe des Prozesses alles aufklären. Wie es denn in Linz stehe? Da hätten die Evangelischen nun wohl abgewirtschaftet.
Er hätte gedacht, der Präsident sei selbst evangelisch, sagte Kepler.
Ganz gewiß, antwortete der Präsident lächelnd, aber der Übereifer der Herren Pfarrer liege ihm fern. Kepler möge ihm nicht verargen, daß er das ausspreche. Die Prädikanten in Österreich hätten den Pöbel nicht aufhetzen sollen, das könne sich eine Regierung durchaus nicht gefallen lassen. Er münze diese Worte aber nicht auf Kepler, der gewiß vorsichtig und vernünftig gewesen sei.
Kepler merkte, daß der Präsident sich so anstellte, als halte er ihn für einen Pfarrer und wisse gar nichts von seinem wirklichen Beruf und seinen Werken; er biß die Zähne zusammen und verabschiedete sich kurz, damit seine Ungeduld und sein Zorn nicht noch herausführen und er die Lage seiner Mutter verschlimmerte.
Aus der Studienzeit hatte Kepler einen Freund, namens Besold, der Professor der Rechtswissenschaft in Tübingen und ein angesehener Gelehrter war. Zu diesem begab er sich, um sich Rat zu holen, und wurde mit Freude und der alten Herzlichkeit empfangen. Der ganze Prozeß sei natürlich ein Monstrum, sagte er lachend; aber darüber solle sich Kepler nur nicht wundern; was ihn betreffe, so wundere er sich nur, daß er selbst noch nicht geköpft oder verbrannt sei. Und doch erinnere sich Kepler vielleicht, daß er ein gutherziger Junge gewesen sei und kaum einer Spinne etwas zuleide getan habe.
Aber wenn der Prozeß nach seiner, eines berühmten Juristen, Meinung ein Monstrum sei, sagte Kepler, so müsse man ihn doch sistieren können; oder wenigstens sei doch Hoffnung, daß seine Mutter freigesprochen werde.
Besold zuckte die Achseln und sagte, man müsse nicht immer glauben, daß das Vernünftige geschehe, wenigstens in Schwaben nicht. Unter dem Regiment der lutherischen Pfarrer gingen unglaubliche Dinge vor. Kepler müsse ihn besuchen, er könne ihm haarsträubende Sachen von diesem Pfarrerregiment in Schwaben erzählen, sie wollten miteinander darüber lachen.
Er wolle gern kommen, sagte Kepler, aber bis der Prozeß erledigt sei, seine Mutter in Gefahr des Lebens und, was schlimmer sei, der Folterqual und unerträglicher Schande stehe, könne er sich mit nichts anderem befassen.
Das sei begreiflich, sagte Besold mitleidig, ließ sich die Einzelheiten erzählen und bemühte sich, einen Ausweg zu finden.
Kepler solle selbst die Verteidigungsschrift verfassen, riet er ihm, wobei er ihm gern behilflich sein wolle. Kepler solle sich aber nicht bei der Frage aufhalten, ob seine Mutter wirklich hexen könne, noch viel weniger damit, was von der Hexerei überhaupt zu halten oder wie sie zu bestrafen sei; dadurch würde er sich nur verdächtig machen und alle gegen sich aufbringen. Er solle einzig darzutun versuchen, daß es an Beweisen fehle, oder, wenn möglich, sonst einen Fehler in der Prozedur aufdecken. Freilich könne auch das fehlschlagen, Dummheit und Habgier seien unberechenbar; die Leute hätten das kleine Vermögen seiner Mutter wohl schon unter sich verteilt und vielleicht schon im voraus verzehrt.
Vermutlich, sagte Kepler, werde ein Gutachten von der juristischen Fakultät in Tübingen eingeholt werden. Ob er in diesem Falle auf Besold rechnen könne?
Besold errötete und sagte schnell, ja gewiß, das könne er. Er dürfe sich allerdings nicht bloßstellen, er sei ohnehin anrüchig; aber er rate in solchen Fällen immer zur Milde, das könne sich Kepler wohl denken, und überhaupt sei die Fakultät in dieser Beziehung zurückhaltend. Sie hätte ja nichts davon, daß alte Weiber verbrannt würden, und bestände nicht aus tollen Lutherpfaffen. Wichtiger als alles sei, den Leuten angst zu machen. Ob Kepler ihnen nicht angst machen könnte? Er habe ja den Kaiser hinter sich; ob er nicht beiläufig mit dem Kaiser drohen könnte?
Er sei von dem neuen Kaiser noch nicht in seinem Amte bestätigt, sagte Kepler, das wisse man wohl. Augenblicklich sei er wieder einmal ein heimatloser und brotloser Geselle.
»Warum«, fragte Besold, »bist du nicht zur alten Kirche übergetreten? Dann wärst du ein mächtiger Mann, und keiner würde wagen, mit dir anzubinden.«
»Das meinst du nicht im Ernst«, sagte Kepler; »das täte ich nicht einmal, um meiner Mutter Leben zu retten, noch würde sie es wünschen.« Ob man überhaupt jemals ein mächtiger Mann werden könne, wenn man der Wissenschaft Diener sei? Die Livree, die man als solcher trage, habe in der Welt keine Geltung. Übrigens hätte er auch als Protestant gewisse Aussichten gehabt: König Jakob habe ihn nach England eingeladen, und auch nach Italien habe er einen Ruf gehabt, und das habe ihn mächtig angezogen, weil er gern die Bekanntschaft eines so großen Mannes wie Galilei gemacht hätte.
Warum er denn nicht hingegangen sei? fragte Besold erstaunt. Er, Besold, würde auch als Kaminkehrer nach Italien gehen, wenn man ihn so dort verwerten könne.
Es sei jetzt zwanzig Jahre her, sagte Kepler, daß sie Giordano Bruno in Rom verbrannt hätten. Nach seinem Dafürhalten sei ein Zeitraum von zwanzig Jahren zu kurz für die Menschen, um darin klüger zu werden. »Es scheint,« setzte er mit einem Seufzer hinzu, daß die Gefahr des Feuertodes eine Krankheit meiner Familie ist.«
Besold lachte darüber herzlich. Was seine Mutter betreffe, sagte er, so sei sie, soviel er wisse, eine etwas einfältige und grobe Frau und sei gewiß auch durch eigene Schuld und Unbesonnenheit in einen solchen Sumpf geraten.
Ja, sagte Kepler, sie habe keinerlei Bildung genossen, wisse so wenig wie ein Viehhirte; aber sie habe einen hurtigen und ungeduldigen Geist, der zusammenfresse, was eben am Wege liege, auch übles und unverdauliches Zeug. Aber mit Gott wolle er kämpfen und die alte Frau retten, die seine Mutter sei.
Er solle nur den Mut nicht verlieren, sagte Besold, und sich ein Ansehn geben. Prahlen und auftrumpfen, je unsinniger, desto besser, seine hohen Bekanntschaften anführen und vom Kaiser reden, als ob er Geheimnisse mit ihm hätte. Er kenne die Zustände in Schwaben nicht und wie das Pfaffenregiment die Leute dumm und stolz mache; sie würden später noch viel darüber lachen, wenn es niemand hörte.
Obwohl sich der Prozeß ein Jahr lang hinzog, wurde nichts Neues ans Licht gefördert, um die Schuld der Angeklagten zu erweisen, was aber die Richter nur desto mehr erbitterte, die sich schlechthin darauf stützten, daß die Beklagte nicht geweint habe, was in einer so kläglichen und gefährlichen Lage jede Frau getan haben würde, die nicht mit dem Teufel umginge. Endlich erkannte das Gutachten der Juristenfakultät von Tübingen, es lägen nicht hinreichende Gründe zur Anwendung der Folter vor, es solle der Angeklagten nur mit der Folter gedroht und sie, wenn daraufhin kein Geständnis erfolge, entlassen werden. Auf vieles Bitten wurde am Tage vor dem letzten Verhör Margarete Binder zu ihrer Mutter gelassen und begann jammervoll zu weinen, als ihr eine kleine, verschrumpfte, hustende Alte entgegengehumpelt kam. »Ach Mutter,« schluchzte sie, »ich kann Sie wie ein kleines Kind auf den Armen tragen!« »Weine nicht,« sagte die Alte, »Knochen leben so gut wie Fleisch, und eh sie sie mir zerschlagen, will ich ihnen noch manche Nuß zu knacken aufgeben.« »Ach Mutter, Mutter,« flehte die Pfarrerin, »erzürnen Sie die Richter nicht gegen sich! Schweigen Sie lieber ganz und gar!« Es werde ihr nichts zuleide geschehn, sie solle nur mit der Folter bedroht werden, sie möge nur standhaft bleiben und sich nicht etwa vom Schrecken ein Geständnis erpressen lassen. Andererseits müsse sie auch ihre Zunge im Zaume halten und sich nichts gegen die Richter entwischen lassen, womit man sie zu Falle bringen könnte.
Während der Henker, ein dicker, umständlicher Mann, dem Brauche gemäß der Angeklagten die Folterwerkzeuge zeigte und ihr ihre Anwendung erklärte, bewegte die Kepler fortwährend die Lippen; denn sie hatte sich vorgenommen, damit ihr kein unbesonnenes Wort entführe, den 59. Psalm zu beten, welchen sie auswendig wußte, und zwar hatte sie sich gedacht, daß, wenn sie ihn dreißigmal hintereinander bei sich sagen könnte, dies ein Zeichen sein sollte, daß die darin ihren Feinden angedrohten Strafen sich erfüllen würden. Also betete sie: »Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden, errette mich von den Übeltätern und hilf mir von den Blutgierigen, sei der keinem gnädig, die so verwegene Übeltäter sind. Des Abends heulen sie wiederum wie die Hunde«, und so weiter, wobei sie von dem Henker wegsah, ohne ihm und seinen Erklärungen die geringste Beachtung zu schenken. Dies Verhalten machte ihn endlich böse, so daß er sie mit einer eisernen Schaufel auf die Schulter schlug und rief: »Was murmelst du, alte Hexe? Auf mich sollst du schauen, damit dir das Brot auch schmeckt, das du essen sollst.«
»Sage du deinen Spruch und laß mich meinen sagen,« entgegnete die Alte, womit sich der erstaunte Henker, wie die Sache lag, begnügen mußte. So wie er waren auch die Richter nicht wenig verstimmt, daß das Opfer ihnen entging; allein sie trösteten sich damit, daß sie ein Auge auf die Hexe haben und ihr gelegentlich schon etwas aufmutzen würden und daß ihr dann der Teufel nicht davonhelfen sollte.
»Siehst du,« sagte sie zu ihrem Sohne, der sie an der Tür des Rathauses erwartete, indem sie ihn triumphierend und herausfordernd aus ihren kleinen versunkenen Augen anblitzte, »ich wußte wohl, daß ich mit den Bösewichten fertig werden würde, und es reut mich, daß ich euch zuliebe ihnen nicht die Wahrheit gesagt habe.« Insgeheim beriet sich Kepler mit seiner Schwester, wie sie die Mutter aus dem Orte entfernen könnten, wo sie, wie sie wohl einsahen, noch in beständiger Gefahr war; aber die gequälte kleine Frau mußte sich bald zu Bett legen und stand nicht mehr davon auf, sondern starb im Frühling des folgenden Jahres, also über ihre Verfolger abermals triumphierend.
*
Nachdem das ligistische Heer unter Maximilian und Tilly sich mit dem kaiserlichen unter Buquoy vereinigt hatte, zogen sie gemeinsam vor Pilsen, unterwegs mehrere von den Böhmen besetzte Plätze erobernd. Dabei gab es viele Mißhelligkeiten, denn der Herzog wollte sich nicht mit Plündern und Verwüsten aufhalten, wohingegen Buquoy sagte, das müsse man den Soldaten gestatten, wenn sie Lust zum Werke behalten sollten. Vollends brach der Hader vor Pilsen los, indem Buquoy belagern wollte, denn man könne unmöglich einen vom Feinde besetzten Ort im Rücken lassen, während der Herzog ohne Verzug auf Prag zu gehen wünschte, mit Mansfeld werde man dann schon fertig werden. Sich monatelang vor Pilsen zu legen, war nun freilich Buquoys Meinung auch nicht, aber es werde nicht schwerhalten, sagte er, Mansfeld dahin zu bringen, daß er freiwillig kapituliere. Mit Anhalt sei er ganz verfeindet, und mit Recht, denn der unterstütze ihn nicht und wollte doch den Herrn spielen, überhaupt sei es Mansfeld weder mit dem Evangelium noch mit den Evangelischen rechter Ernst, er sei aus edlem Blut und werde gern die Gelegenheit ergreifen, wieder auf Kaisers Seite und bei redlichen Kavalieren zu stehen. Der Herzog und Tilly waren mit einem dahinzielenden Versuch einverstanden, wollten sich aber nicht persönlich dabei einlassen, da Mansfeld ein Bastard und ein Schelm sei. Darüber lachte Buquoy. Warum sie so heikel wären? Es hätte doch schon mancher große Potentat einen Bastard in die Welt gesetzt. Das wären nicht die Schlechtesten, es komme nur auf das Blut an. Jungfrauen freilich, wie Tilly eine sei, täten gut, sich vor ihm zu hüten. Übrigens sei Mansfeld ein ritterlicher Soldat und tapfer, wie er sich seine Feinde wünsche.
Einen kürzlich gefangenen Mansfeldischen Offizier, namens Carpezow, der dem Grafen am nächsten stand, schickte Buquoy mit dem Auftrage nach Pilsen hinein, Mansfeld Vorschläge wegen einer Kapitulation zu machen und über seinen Eintritt in kaiserlichen Dienst zu verhandeln. Nach ein paar Tagen kam Carpezow zurück und berichtete, Mansfeld sei in schwieriger Lage, da er von keiner Seite Geld erhalte, die böhmischen Direktoren seien ihm eine Million Taler schuldig, dächten aber nicht ans Zahlen, infolgedessen würden die Soldaten unmutig und würden sich nicht lange mehr hinhalten lassen. Es sei ihm also unmöglich, zu kapitulieren, wenn er nicht zuvor Mittel erhalte, sein treues Heer zu befriedigen, er habe den Soldaten sein Wort verpfändet, und das wolle er halten. An anderen Bedingungen müsse er, wie sich von selbst verstehe, zuallererst der Acht enthoben werden, dann ein Regiment erhalten, und wenn er über alles genügende Sicherheit bekomme, werde er schon dem Kaiser seine Treue erweisen. Daneben richtete Carpezow aus, Mansfeld habe gehört, daß es im Lager knapp mit Mundvorräten zugehe, er schicke deshalb einen Transport von Eßwaren heraus und bitte Buquoy, dieselben anzunehmen. Buquoy bedankte sich und sagte, er könne Mansfelds Höflichkeit nicht besser erwidern, als indem er Carpezow die Freiheit schenke.
Von diesen Verhandlungen ließen die Kaiserlichen absichtlich Gerüchte nach Prag dringen, in der Meinung, Mansfelds Stellung zu erschüttern und ihm den Übertritt notwendig zu machen. Aufs höchste erschrocken, schrieb Anhalt an Mansfeld, was denn daran sei. Er könne nicht glauben, daß ein deutscher Edelmann sich solchen Verrats gegen Vaterland und Glauben werde teilhaftig machen; worauf Mansfeld antwortete, er werde niemals aufhören, die spanisch-österreichische Tyrannei zu bekämpfen; wenn er sich mit dem kaiserlichen General in Verhandlungen eingelassen habe, sei es geschehen, um den Feind zu täuschen und aufzuhalten, wodurch er glaube, dem König von Böhmen einen sonderbaren Dienst geleistet zu haben.
Er fühlte sich getröstet und billige Mansfelds Verhalten, schrieb Anhalt zurück; aber um dem bösen Schein, der Verleumdung und allerhand Ärgernis zu entgehen, solle Mansfeld doch lieber die Verhandlungen gänzlich abbrechen. Gleichzeitig schickte er ein paar Gesandte nach Pilsen, die den geheimen Befehl hatten, Mansfeld zu beobachten, von dessen Treue Anhalt trotz seiner Beteuerungen keineswegs überzeugt war.
Zwischen Buquoy und Mansfeld gingen noch einige Briefe hin und her; da es jedoch bei Worten blieb, außerdem böses Wetter eintrat, die Vorräte ausgingen, die Soldaten erkrankten und starben, gab Buquoy dem Wunsch des Herzogs nach, und der Marsch wurde fortgesetzt. Bei Rakonitz traf man das böhmische Heer unter Anhalt, den die Ligisten durch eine Seitenbewegung nach Prag hin veranlaßten, sein festes Lager aufzuheben und zum Schutze der Hauptstadt einen vor dem Strahower Tore sich hinziehenden Hügel, den sogenannten Weißen Berg, zu besetzen. Es war Allerseelentag, als der Herzog, Tilly und einige andere Offiziere unter einer breiten und dicken Eiche saßen, wo sie vor dem Regen Schutz gesucht hatten, und grobes Brot und Käse verzehrten; denn es war nichts anderes aufzutreiben gewesen. »Es ist mager,« sagte der Herzog, »aber die meisten Soldaten werden nicht einmal das bekommen.«
»Wenn ich einen sauren Apfel dazu hätte, um das Brot verdaulicher zu machen,« sagte Tilly, »so wünschte ich mir nichts Besseres.«
»Das sollte in dieser Jahreszeit nicht schwer sein«, meinte der Herzog und trug einem aufwartenden Junker auf, nach einem Apfelbaum zu fahnden. »Eure Gesundheit ist es wert,« sagte der Herzog lächelnd, »Ihr bringt mir ein paar Äpfel leicht wieder ein.«
Der Regen hatte nachgelassen und tröpfelte eintönig durch das verwaschene Laub der Eiche, ringsum war der Boden aufgeweicht, und die Wolken hingen grau und schwer wie Säcke herunter. Der Herzog sah sorgenvoll nach dem Himmel und sagte, wenn sie lange hier lägen, ginge sein kostbares Heer zugrunde. Er möchte den Feldzug rasch beenden, damit er wieder heim könne. Was Tillys Meinung sei? Ob das Heer imstande sei, den Feind zu schlagen?
Der Feind habe nach der Aussage der Kundschafter eine günstige Stellung inne, solle zahlreich und tüchtig sein und habe nicht wie sie durch die Witterung gelitten. Es sei aber auch bedenklich, hier die Winterquartiere zu nehmen, wo die Verpflegung so schwierig sei, deshalb stimme er dafür, eine Schlacht zu wagen; man müsse aber wohl zuvor Buquoys Meinung hören. »Viele Köche verderben den Brei«, murrte der Herzog, gab aber doch Auftrag, daß Buquoy gebeten werde, sich zu ihm zu begeben.
Buquoy hatte kürzlich eine Wunde erhalten, die zwar nicht gefährlich, aber schmerzhaft war und ihn am Gehen hinderte, weshalb er übellaunig und kriegerischen Unternehmungen abgeneigt war. Da er außerdem darauf bedacht war, dem Herzoge seine Unabhängigkeit und militärische Ebenbürtigkeit zu zeigen, kam er doppelt langsam heran und ließ sich von seinen Dienern ein Ruhebett aufschlagen, auf dem er sich niederließ. Der Herzog räusperte sich und sagte, es sei sein Wunsch, den Feldzug rasch zu beendigen; er sei dafür, geradeswegs auf Prag zu ziehen und den Feind zu schlagen. Dann bat er Tilly, diese Meinung bündig zu begründen, worauf Tilly noch einmal auseinandersetzte, was er dem Herzoge vorher gesagt hatte.
Buquoy hörte, ungeduldig seinen runden, lockigen Kopf wiegend, zu. Ein jeder wisse, sagte er, daß er nicht säumig sei, sondern schnelle Entschlüsse schnell durchzuführen liebe. Aber weil der Eber sich blindlings auf den Feind gestürzt habe, sei er mit dem Hauer im Baume steckengeblieben, und so habe ihn der Schneider gefangen. Er wolle nicht zu untätigem Warten raten, aber nach den Regeln der Kriegskunst dürften sie in ihrer Lage keine Schlacht anbieten.
Das werde schließlich doch auf untätiges Warten herauskommen, sagte Tilly langsam. Der Kurfürst oder seine Generale würden doch nicht so töricht sein, ihnen zuliebe die günstige Stellung aufzugeben.
»Noch törichter wären sie, wenn sie sich in ihrer günstigen Stellung schlagen ließen«, sagte Buquoy mit spöttischem Lachen und einem hochmütigen Blick auf Tillys schmächtige, mit altmodischer Farbenpracht ausstaffierte Gestalt und sein gelbes, trockenes Gesicht.
Inzwischen war die trübe Nacht eingebrochen, und da es Buquoy fröstelte, wurde aus Reisig und Holzkloben ein rasches Feuer entzündet, das die herankriechenden Nebel verscheuchte. In einiger Entfernung sah man Lichter hin und her huschen und vernahm man ein eintöniges Murmeln von vielen Stimmen; die Soldaten beerdigten ihre verstorbenen Kameraden, sagte Buquoy, und ein Priester hielte Gottesdienst an den Gräbern. »Es ist Allerseelentag«, sagte Tilly, nahm seinen Hut ab und betete.
Auch der Herzog und die übrigen Offiziere lüfteten die Hüte und beugten den Kopf einen Augenblick auf die gefalteten Hände; dann nahmen sie die Beratung wieder auf. Sie waren noch uneinig, als sich ein Trupp Soldaten näherte, an dessen Spitze ein Mönch, der Pater Dominikus, einherschritt, einen unkenntlichen Gegenstand in der Hand schwingend. Sowohl der Herzog wie sämtliche Offiziere erhoben sich, um den berühmten Pater zu begrüßen, der, nachdem er sie gesegnet hatte, verkündete, ein Soldat, ein begnadetes Gotteskind, habe im Gesträuche das wundertätige Muttergottesbild gefunden, das die Bilderstürmer ausgestoßen hätten und ohne welches die frommen Prager sich eine verwaiste Herde gedünkt hätten. Dies sei ohne Zweifel ein Zeichen von Gott, das Sieg verheiße, und der Herzog möchte doch nicht länger zögern; die kirchenschänderischen Ketzer seien ihm gleichsam schon überantwortet.
Der Herzog sagte, daß es sein Wunsch sei, zu schlagen, daß aber erfahrene Offiziere die günstige Position des Feindes dagegen anzögen, daß aber er und gewiß alle die Ansicht eines so heiligen Mannes, durch den Gott selber spreche, vernehmen möchten. Der Pater hielt nun eine schallende Ansprache und sagte: »Ach meine Söhne, glaubt mir, es kommt nicht sowohl auf die Stellung des Feindes an als auf den Willen Gottes. Daß aber Gott mit euch ist, wer zweifelt daran? Bürgte mir nicht der Segen des Heiligen Vaters dafür, den er mir für euch, meine geliebtesten Söhne, mitgegeben hat, bürgte mir nicht dies himmlische Bild dafür, das euch Gott vermittelst eines niedrigen Werkzeugs in die Hände gespielt hat, so sagte mir das Herz, daß die Stunde gekommen ist, wo die Söhne Luzifers gestürzt werden sollen. Ihr, meine Söhne, seid auserwählt zu dem Werke! Schon sehe ich die Glorie des Sieges über euren Heldenstirnen glänzen! Auf! Was besinnt ihr euch, wo es die Ehre Gottes und das Heil unseres armen Erlösers gilt? Ach, unschuldiges Lamm, sollst du noch länger in der Gefangenschaft schmachten? Ach, ach, sie schleppen es zur Schlachtbank, ich höre sein Winseln und Wehklagen! Auf, meine Söhne, das Blut, das in dieser Schlacht vergossen wird, fließt geradeswegs in den Himmel. Rettet das Lamm, das die Heiden ans Kreuz schlagen! Der Erlöser streckt seine blutenden Arme nach euch aus! Vorwärts, vorwärts, wer seinen Heiland liebhat!«
Als die Rede beendigt war, die der Pater mit schwungvollem Schütteln des Marienbildes begleitet hatte, ging der Herzog auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn auf beide Wangen und küßte dann auch unter Kniebeugung die Füße der hölzernen Mutter Gottes. »Es muß uns gelingen,« sagte er, »ich bin ungeduldig, den Greueln in diesem Lande ein Ende zu machen!« Verdugo und Tilly knieten nieder, den Segen des Paters zu erbitten, worauf sich auch Buquoy erhob und, wenn auch mit kühler Miene, sagte, da der Herzog zur Schlacht entschlossen sei, wolle er nicht zurückstehen. Der Herzog ging auf ihn zu und bat, indem er ihm die Hand bot, es in der Schlacht nicht empfinden zu lassen, daß der Kriegsrat sich diesmal gegen ihn entschieden habe. »Fürstliche Gnaden,« antwortete er, indem seine Augen aufblitzten, »ich kämpfe nicht, um recht zu behalten, sondern um zu siegen.«
Allerdings wetteiferte in der Schlacht an besinnungsloser Tapferkeit mit Buquoy nur der junge Herr Gottfried Pappenheim. Denselben hatte vor mehreren Jahren das freundschaftliche Zureden des neubekehrten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg zur katholischen Kirche geführt, und er hatte geschworen, daß er bei dieser Gelegenheit der Kirche, die den reuigen Sünder verzeihend aufgenommen, seine Schuld zahlen wolle. Für jedes Jahr seines Lebens, das er im Irrtum der Ketzerei zugebracht, wolle er der Mutter Gottes anstatt einer Kerze eine Wunde darbringen; weshalb er denn stets dahin stürzte, wo das Gefecht besonders heiß zu toben schien, und fast vergaß, daß es sich bei dem Blutvergießen um etwas anderes handelte, als ihm die erforderliche Anzahl Ehrenwunden zu verschaffen. Er wurde denn auch für tot von der Walstatt aufgelesen und kam erst unter dem Messer des Barbiers zu sich, worauf sogleich ein Zählen vorgenommen wurde, was bei der großen Anzahl der erhaltenen großen und kleinen Verletzungen nicht leicht war. Jedenfalls war die Anzahl der Jahre, die er Protestant gewesen war, weit überschritten, und er pflegte seitdem seine Wunden Rosen zu nennen, mit denen er der Jungfrau Maria Füße bekränze, und diese zähle man nicht.
Als nach gewonnener Schlacht die Feldherren sich trafen, reichte der Herzog Buquoy die Hand und sagte, ihm danke er nächst Gott vor allem den herrlichen Sieg; er brauche seine Bravour und seinen Verstand dem Kaiser nicht zu rühmen, da dieselben längst bekannt seien, er tue es nur zu seiner eigenen Genugtuung und der Wahrheit zuliebe. Buquoys braunrotes Gesicht strahlte, und seine breite Brust hob sich unter schnellen, tiefen Atemzügen. Das sei nicht der Rede wert, sagte er; ein echter Ritter ziehe sein Schwert für des Kaisers Majestät und die heilige Kirche; sie seien die Erzengel Gottes auf Erden, und der Sieg könne ihnen nicht fehlen, wenn ihr Glaube fest und ihre Ehre unbefleckt sei. Er bückte den blonden Kopf und ließ den Schweiß in schnellen Tropfen auf den Boden rinnen. Das sei guter Samen, sagte er lachend, wie kein Bauer ihn aussäen könne; nun wolle er gehen und das Gemüt seiner Gefangenen ein wenig erleichtern; es seien ein paar brave Kavaliere darunter, die ritterlich gefochten hätten, sie sollten spüren, daß sie in eines Edelmanns Hände gefallen wären.
Nun wandte sich der Herzog an Tilly, der dem Auftritt ernst und schweigend beigewohnt hatte, und sagte, dem Buquoy müsse einmal Honig ums Maul gesalbt werden, Tilly solle sich deswegen nicht gekränkt fühlen, er, der Herzog, wisse wohl, was er an Tilly habe. Er habe seine Pflicht getan, sagte Tilly, sich verneigend, und sei glücklich, wenn er dadurch zum Wohle des Reichs und zum Heile der Kirche beigetragen habe.
Im Schlosse zu Prag saßen Friedrich und Elisabeth bei der Tafel, Friedrich in gedrückter Stimmung, die er nicht zeigen mochte, weil er fürchtete, seiner Frau dadurch zu mißfallen. Er sprach lebhaft davon, daß es dem Herzog Maximilian hingehn möge, wenn er ihn hasse und bekämpfe, er sei von jeher päpstlich und ihm zuwider gewesen, aber seinem Vetter Wolfgang Wilhelm, dem Apostaten, dem könne nicht verziehen werden. Er müsse Jülich-Cleve verlieren, Brandenburg solle es allein haben, das werde er betreiben, sowie seine Angelegenheit mit dem Kaiser erledigt sei. Als die ersten beunruhigenden Nachrichten vom Kriegsschauplatze hereinkamen, sagte er mit ungewohnter Heftigkeit, es sei nicht nötig, ihn durch jeden kleinen Unfall zu erschrecken; jede Schlacht schwanke hin und her, der Sieg werde nie mit einem Male errungen. Es sei ja unmöglich, daß ein Unglück geschehe, Anhalt habe ihm gesagt, wenn jeder seine Pflicht tue, könne es nicht fehlen, und er habe auch selbst die Schlachtordnung besichtigt und vortrefflich gefunden. »Du vertraust dem Anhalt zuviel,« sagte Elisabeth, »mit schönen Augen und kecken Worten hat noch niemand eine Schlacht gewonnen.« Da die üblen Nachrichten sich mehrten, eilte Friedrich an die Mauer, um sich zu überzeugen, wie es stehe, und kam bald darauf in fassungsloser Erregung mit den ersten Flüchtenden zugleich zurück. Diese meldeten, das Heer sei in vollständiger Auflösung, und der Herzog von Bayern habe gesagt, er wolle im königlichen Schlosse zu Nacht speisen. Niemals, sagte Elisabeth, werde sie den Anblick dieses hochmütigen Teufels ertragen, sie wolle in die Stadt, und gab Befehl, in Eile ihren Schmuck und alle Habseligkeiten zu packen. Friedrich sagte, er müsse einen Waffenstillstand haben, es solle sofort darum an den Herzog geschickt werden, inzwischen könnten die Fliehenden sich sammeln und könne man Maßregeln ergreifen. In größter Hast fuhren sie in die Stadt und stiegen im Schlickschen Palaste ab, wohin Anhalt kam, um von dem Unglück Bericht zu erstatten. Schmutz und Regen hatten ihn übel zugerichtet, er grüßte den König und die Königin nur flüchtig und sagte, die ungarischen Truppen hätten sich schlecht, sehr schlecht gehalten, auch übrigens habe es gemangelt, da sei kein Eifer und keine Zucht, er wisse wohl, woran es liege, die böhmischen Herren hätten ihm entgegengearbeitet, sie wären alle den Galgen wert, er hätte umsonst Leben und Ehre aufs Spiel gesetzt.
Wenn der Herzog nur einen Waffenstillstand gewährte, sagte Friedrich, so könne man vielleicht frische Truppen zuziehen.
»Euer Liebden werden den Herzog nicht für einen solchen Narren halten«, sagte Anhalt ungeduldig. Er solle jetzt keine Zeit verlieren, sondern sich zur Flucht herrichten. In Prag sei er seines Lebens nicht sicher. Er für seinen Teil gebe es auf, er hätte seine Kraft ehrlich an dies Unternehmen gesetzt, sein Sohn sei gefangen oder tot, nachdem er tapferer als alle gekämpft hätte, er habe getan und geopfert, was möglich sei. Gegen die Treulosigkeit und den bösen Willen der Böhmen sei nichts auszurichten.
Inzwischen war Budowa gekommen und redete dem König zu, er solle sich selbst zu Pferde setzen und die Fliehenden ermutigen und ermuntern. Es sei durchaus nicht alles verloren, Prag sei kein Dorf, man könne sich noch lange hier verteidigen.
So schnell könne er sich nicht besinnen, jammerte Friedrich, es müsse durchaus ein Waffenstillstand erbeten werden, damit er sich besinnen könne, der Schreck sitze ihm noch in den Gliedern.
»Was Schrecken, Schrecken!« rief Budowa. »Sie sollten davor erschrecken, eine kostbare Krone fahrlässig auf die Gasse zu werfen.« Er habe genug von dieser Krone, sagte Friedrich, übrigens könne er sich in Brünn oder Breslau sammeln, nur in Prag wolle er nicht bleiben.
»Das ist nicht wie ein König gesprochen!« rief Budowa zornig aus. Anhalt machte indessen Friedrich Zeichen, daß er sich nicht solle überreden lassen, und flüsterte Elisabeth zu, wenn ihr das Leben ihres Gemahls lieb sei, solle sie ihn zur Flucht bewegen.
Indem er die Krone angenommen habe, sagte Budowa, habe er sich verpflichtet, bei seinem Volke auszuharren, wie dies für ihn kämpfe. Er könne doch seine treue Stadt Prag nicht ohne Haupt dem Feinde preisgeben, damit er seine Rache an ihr kühle!
Nein, sagte Anhalt halblaut, lieber solle er dableiben und sich ausliefern lassen, damit die Rache ihn treffe.
»So mußte es kommen, so mußte es kommen!« schrie Budowa außer sich vor Zorn. »Da haben sie die Zeit mit Saufen, Huren und Prassen zugebracht, und wenn der Wirt mit der Rechnung kommt, laufen sie davon und lassen ihren Dreck anstatt der Zahlung zurück.«
Ehe sie sich so von ihren Vasallen behandeln lasse, rief Elisabeth aufbrausend, wolle sie lieber in der Fremde betteln gehn. Sie sei schwanger und müsse ihr ruhiges Kindbett haben. Ob eine belagerte Stadt der Ort für einen Prinzen von Böhmen sei, zur Welt zu kommen? Der König müsse sie ohne zu zögern fortführen und in Sicherheit bringen.
Jetzt näherte sich Graf Solms dem Könige und sagte, er sei bereit, die Königin nach Brünn oder Breslau zu führen, und wolle seinen grauen Kopf zum Pfand für ihre Sicherheit setzen, nur möge Friedrich Prag nicht verlassen. Wenn er bei seiner Königspflicht ausharre, werde Gott ihm beistehn, und wenn nicht, so werde doch seine Ehre ohne Flecken bleiben.
»Verläßt du mich auch, Vater?« sagte Friedrich fast weinend; »was habe ich dir getan, daß du mich quälst? Auf dich wollte ich mich allezeit mehr als auf mich selbst verlassen!«
»Ich verlasse Eure Königliche Würde nicht,« sagte Solms traurig, »wenn es sein muß, so gehe ich mit Euch in Tod, Elend und Schande. Aber weil ich Euch liebe, rate ich Euch zu Eurer Hoheit und Ehre.«
»Wenn ich dich nur nicht verliere,« rief Friedrich getröstet, »so ist mir das mehr wert als das ganze Prag und Böhmen.« Es verschlage ja nichts, fuhr er bittend fort, daß sie jetzt fortgingen, es diene ja der Sache zum Besten, da er aus Schlesien Hilfe holen wolle, das Verlorene wäre dann bald wieder eingebracht.
Ein Wagen wurde bereits angespannt und mit den zusammengerafften Wertsachen der Familie beladen; Anhalt, Ruppa und Graf Thurn erklärten, sich nicht von den Fliehenden trennen zu wollen. Wenn er in des Kaisers Hände falle, sei sein Kopf verloren, sagte Thurn, und er halte ihn für wertvoll genug, um für weitere Kämpfe bewahrt zu bleiben. Als Friedrich das Fenster öffnete, um auf die dunkle Straße hinabzusehen, schlug der Wind den Regen hinein, so daß er es schnell wieder zuschloß. Es sei nicht gut reisen in solcher Nacht, sagte er, ob man nicht bis zum Morgen warten könne?
»Hier bleibst du, König von Böhmen!« schrie Budowa, mit dem Fuße stampfend, und wollte ihn an seinem Wams packen; aber Solms und Anhalt traten rasch dazwischen, indem sie die Hand ans Schwert legten.
Budowa warf noch einen verachtenden Blick auf Friedrich und verließ das Haus. Man sehe nun, sagte Anhalt, wessen man sich von diesen Böhmen zu versehen habe. Hätte er sie vorher genugsam gekannt, würde er dem König nicht zu dieser Krone geraten haben. Er habe aber durch seinen Sohn dafür gezahlt und wolle auch jetzt sein Leben daransetzen, den König und die Königin in Sicherheit zu bringen.
In Breslau, wo Friedrich Unterstützung zu finden hoffte, zeigte es sich, daß die Stände kein Zutrauen mehr zu ihm hatten, sondern mit dem Kaiser Frieden zu machen wünschten; so flüchtete er weiter ins Reich, um verwandte Fürsten, Glaubens- und Bundesgenossen um Hilfe anzugehen.
* * *