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Vorwort

Dem ich bin der Herr, dein Arzt. – 2. Mos. 15. 26.

Ich zweifle nicht, daß es viele Menschen gibt, die den Sinn der Heiligen Schrift richtig erfassen im Glauben sowohl wie im Gedanken; für diese ist mein Buch überflüssig. Ich habe es für die vielen geschrieben, die sagen, daß sie glauben möchten, daß ihnen aber viele religiöse Voraussetzungen im Wege seien, wie zum Beispiel der persönliche Gott, die persönliche Unsterblichkeit, die Wunder, die Gottheit Christi und manches andere. Diesen möchte ich zeigen, daß was sie für Absurditäten halten, die der Vernunft widersprechen, vielmehr höchste Vernunft sind, von uns nur deshalb mißverstanden, weil Leben und Denken bei uns nicht mehr eins ist. Indem wir unser aus dem Leben herausgelöstes Denken zum Maßstab für die Sprache der Bibel nehmen, die die Sprache des Lebens ist, müssen sich fortwährend Mißverständnisse ergeben. Wir meinen, wir müßten die Sprache der Bibel als Bildersprache auffassen; vergessen aber, daß diese Bilder lebendig sind und unsere Begriffe tot. Ich möchte zeigen, daß die Bibel uns nicht fern liegt als ein Buch voll alter orientalischer Mythen und Geschichten, sondern daß sie heute und immer auf alle Menschen angewendet werden kann und soll.

Die Bibel handelt von der Beziehung Gottes des Geistes zum Stoff, nämlich der lebendigen Substanz oder dem Fleisch. Wie sich somnambule Kranke im tiefen Schlafe selbst Verordnungen zu erteilen pflegen, von denen ich dahingestellt sein lasse, ob sie vernünftig sind, denn der Mensch ist im Wachen vernünftig und nicht im Schlafe, so erteilte Gott durch seine Propheten der Menschheit Verordnungen für die Erkrankungen der Seele oder des Geistes im Fleische.

Die lebendige Kraft des Geistes ist unzerlegbar und für uns ununtersuchbar, aber sie gibt dem Menschengeiste gewisse Gesetze, über die er nicht hinausgehen kann, ohne zu erkranken; davon handelt die Bibel. Sie lehrt uns, daß die Grundlage unseres Wesens ein Gefühl oder Wille ist, die Kraft der Liebe und des Hasses. Auf diesem Gefühl beruht unsere Persönlichkeit und die Einheit unseres Bewußtseins. Die Einheit wird gestört durch das Selbstbewußtsein, welches dadurch entsteht, daß wir den göttlichen Willen, der unserm Wesen zugrunde liegt, auf uns beziehen. Ohne das Selbstbewußtsein wären wir aber nicht Menschen; wir haben also ein gespaltenes oder ein Doppelbewußtsein und sind nur dann geistig gesund, wenn dies im Gleichgewicht ist. Überwiegt aber das Selbstbewußtsein das Gottesbewußtsein, nämlich die lebendige Kraft des Gefühls, das uns zugrunde liegt, so erkranken wir, und diese Krankheit kann zum geistigen Tode führen.

Dogmen lehrt die Bibel nicht, sie bekämpft sie vielmehr als Menschensatzung. Sie lehrt uns den göttlichen Geist kennen, der sich in den Einzelnen und den Völkern offenbart, und die Gefahr, der sie ausgesetzt sind, wenn sie sich von ihm, ihrer Grundlage, abwenden. Es ist die Gefahr des Todes durch Sünde oder Absonderung.


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