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Denn der Herr ist der Geist. Wo aber der Geist der Herr ist, da ist die Freiheit.
Die Kuh, welche auf der Wiese ihr Futter sucht, verbindet ohne Zweifel mit dem Anblick ihrer fettigen grünen Fläche ein schmeichelndes Gefühl von Wollust. Aber wieviel beglückender ist die Theilnahme des Menschen, die selbstlos über dieser Flur ruht und wie unendlich viel edler ist gar der Genuß des Kindes, das mit der Wiese spielt: dem sie vielleicht ein Teppich für tanzende Elfen ist, oder ein Zauberwald, in dem die goldnen Käfer als verwünschte Prinzen herumirren, oder ein schwellender Königsthron für die junge Majestät. Es ist schmerzlich, daß die Menschen die Kunst zu spielen so bald verlernen, verlustig gehen der erstaunlichen Geisteskraft und -freiheit, die dem Kinde aus einem grünen Blatt nach Belieben einen Teller oder einen Hut oder einen Schirm macht. Das Kind macht die todte Natur lebendig oder tödtet die lebende, je nachdem es sie gerade für das Drama seiner Phantasie braucht: ein Baumstumpf kann ihm als Mensch dienen und im nächsten Augenblick ein Mensch als ein Haufen Steine. Wie sein Körper ungemeine Leichtigkeit zum Tanz hat, so sein Geist, der über die Erde hinfliegt mit zärtlicher und doch gleichgiltiger Eile, da sie ihm nicht als tragender und nährender Boden dienen muß. Unermüdlich einen bunten Ball in die Lüfte zu werfen und sich daran zu ergötzen, wie die wirbelnde, immer kleiner werdende Kugel aufstrebt und wieder zurückgezogen wird, stundenlang im Grase sitzen und warten, bis eine gewisse kleine Eidechse mit rosa Leibchen aus ihrem Verstecke schlüpft – wie bald verliert der Mensch diese glückselige, man möchte fast sagen erhabene Uneigennützigkeit über zweckvollen Bestrebungen und gewaltigen Leidenschaften. Allerdings ist dies Vermögen des Kindes, die Dinge an sich und nicht nur in Hinblick auf ihre Anwendung und Beziehung auf uns zu sehen, unbewußt, und nur wenn sie willkürlich wäre, ziemte sie dem reifen Menschen. Auch ist es nothwendig, die Dinge benützen und besitzen zu wollen; denn wer ewig mit der Welt nur spielte, würde sich nie an ihr reiben, und doch kann man nur in Kämpfen sich entwickeln. Aber nachdem der Mensch die verhängnißvollen Kräfte seines Spielzeugs und die schönen, gefährlichen Schätze, die darin versteckt sind, kennen gelernt hat, wenn er dann wieder mit ihr spielen lernte! Wenige sind dazu stark, frei und rein genug. Wo unter Erwachsenen gespielt wird, handelt es sich doch meistens, wenn man von Mode und Ehrgeiz ganz absieht, um Gewinnen oder um Kräftigung des Körpers, und so löblich auch das Letztere ist, so kann man doch nur von Demjenigen wirklich sagen, er spiele, der es aus zweckloser Lust thut, die allein mit sich und der Natur einen Zeitvertreib machen könnte.
Die Aufgabe des Malers sei, sagte Wilhelm Schlegel, in den Gemälden, die Menschen sehen zu lehren, nämlich die Dinge so zu sehen, wie sie erscheinen, nicht wie wir uns gewöhnt haben sie aufzufassen zu untergeordneten Zwecken. Gerade so in der Poesie: der Durchschnittsleser fragt zunächst, wovon ein Buch handelt – wie in der Malerei, was ein Bild darstellt – was doch keineswegs das Wesentliche ist. Wer gern historische Romane liest, aus denen man beiläufig Belehrung schöpfen kann, thut noch groß damit; Diejenigen, die etwas nach einem philosophischen Gehalte fragen und Gedanken aufstöbern, glauben vollends auf der Höhe zu sein und zu den oberen Zehntausend zu gehören. Das aber macht ebensowenig das Kunstwerk aus, wiewohl der Künstler natürlich Geist und Gedanken hat, was immer irgendwie zur Geltung kommen wird. Das schönste Kunstwerk entsteht – wie der schönste Körper – wenn die Kraft des Dichters groß genug ist, mit dem Stoffe zu spielen, was desto schwieriger, freilich auch desto schöner in der Wirkung ist, je schwerer und gehaltvoller der Stoff. Wie wenn der Mond die Schwerkraft der Erde überwände und willkürlich, wie man es sich wohl von verklärten, freigewordenen Seelen vorstellt, sanft und sicher seinen Ring durchkreiste. Oder wie wenn ein Kind, statt seine Orange zu essen, sie als Ball in die Luft wirft. Der Wunsch zu fliegen, der immer wieder in der Menschheit auftaucht und jetzt als ernstlicher Versuch unternommen wird, ist auch nur die Sehnsucht, die Schwere des Stoffes zu überwinden. In der Kunst soll diese Sehnsucht Befriedigung finden. Dasselbe meinten Schiller und Goethe, wenn sie verlangten, daß die Form – denn das ist ja die Geisteskraft des Dichters – den Stoff verzehre. Und dasselbe bedeutet die vielberedete romantische Ironie, eine von den vielen Begriffsbestimmungen, die Friedrich Schlegel in die Literatur einführte. Denn das beständige Vernichten und Neuschaffen seines Gegenstandes, wozu nach ihm der Künstler fähig sein soll, ist ja nichts Andres als seine Meisterschaft über den Stoff, den er sich selbst gewählt, in den er sich vertieft hat, aus dem er sich aber jederzeit erheben kann, um ihn beliebig zu verwandeln und in jede Form zu bringen. Ein geistiges Fliegenkönnen.
Aehnlich wie romantische Poesie nichts Andres ist als Poesie überhaupt, Poesie der Poesie, der Extrakt, der nach Ausscheidung alles Unpoetischen übrig bleibt, also verdichtete Dichtung, so daß unromantische Poesie nichts Andres heißt als unpoetische Poesie, ist auch der Begriff der romantischen Ironie durchaus nicht etwas so Besonderes, von den Romantikern Erfundenes oder ihnen Anhaftendes, wie man vielfach gemeint hat. Man könnte romantische Ironie am Besten mit Geistesfreiheit übersetzen. Nicht naturlos, aber naturfrei ist der wahre Ironiker. Er hat die Fähigkeit, sich von dem irdischen Element, in dem er lebt und webt, zu lösen, als ein Luftschiffer emporzusteigen und die Erde als winzigen Punkt unter sich verschwinden zu sehen, die verhältnißmäßige Nichtigkeit der lebenden Kugel zu erkennen, die, so lange sie fest unter seinen Füßen war, sich so breit machte und unermeßlich ausdehnte. Auf Erden schon eine solche Ansicht des Lebens haben können wie ein seliger Geist, der mit ätherischem Leib, ein wehendes Lüftchen, über den tosenden Markt des Tages hinstreicht.
Nichts Anderes scheinen mir die verschiedenen Aussprüche der Romantiker über Ironie zu bedeuten, wenn z. B. Friedrich Schlegel sagt: »Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität des unendlich vollen Chaos« und »Wir müssen uns über unsre eigne Liebe erheben und was wir anbeten, in Gedanken vernichten können: sonst fehlt uns, was wir auch für andere Fähigkeiten haben, der Sinn für das Weltall.«
Tieck bemerkt einmal, daß man einen Gegenstand, den man liebt, erst besitze, wenn man etwas Lächerliches an ihm finde; daß er keinen Freund und keine Geliebte haben möge, über die er niemals lachen oder lächeln könne. So ist es reizende Ironie in den Griechen, wenn sie ihre Götter in anmuthiger Weise dem Gelächter preisgeben, ohne dadurch ihre olympische Herrlichkeit anzutasten; wie auch die Götter selbst über Ares und Aphrodite lachen, die deswegen doch hehr an Kraft und Schönheit in ihrem Kreise thronen. Und schließlich beruht es auf derselben Kraft, wenn man, wie Novalis es von den Menschen verlangt, das ganze Leben wie eine »schöne genialische Täuschung, wie ein herrliches Schauspiel« betrachten kann. Sich allzutief in den Schmerz versenken und in ihm haften bleiben, erachten sie für Sünde, für Dummheit, wenn man den Scherz auf die Kinder beschränken und eines ernsten Mannes unwürdig achten will. Wie Tieck im Zerbino sagt:
»Habt ihr's schon versucht den Scherz als Ernst
Zu treiben, Ernst als Spaß nur zu behandeln?
Mit Leiden
Und Freuden
Gleich lieblich zu spielen
Und Schmerzen
Im Scherzen
So leise zu fühlen,
Ist wen'gen beschieden.
Sie wählen zum Frieden
Das eine von beiden,
Sind nicht zu beneiden;
Ach gar zu bescheiden
Sind doch ihre Freuden
Und kaum von Leiden
Zu unterscheiden.«
Einstimmig waren die Romantiker in dem Ruhme der Vielseitigkeit, die ohne große Schnellkraft des Geistes, mit der er sich von dem einen Gegenstande zu einem andern schwingt, nicht zu erreichen wäre.
Friedrich Schlegel: »Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in jedem Grade.«
Novalis: »Der vollendete Mensch muß gleichsam an mehreren Orten und in mehreren Menschen leben, ihm müssen beständig ein weiter Kreis und mannigfache Begebenheiten gegenwärtig sein. Hier bildet sich dann die wahre, großartige Gegenwart des Geistes, die den Menschen zum eigentlichen Weltbürger macht und ihn in jedem Augenblicke seines Lebens durch wohlthätige Association reizt, stärkt und in die helle Stimmung einer besonnenen Thätigkeit versetzt.«
Wenn man nun sagt, es sei, gerade bei Tieck, die Ironie Schuld daran, daß er Nichts recht ernst und gründlich habe erfassen können, oder die Ironie sei eigentlich nur Unfähigkeit, ein warmes, echtes Gefühl für irgend einen Gegenstand zu haben, weswegen auch die romantischen Künstler sich bei dem tiefen deutschen Volke nie hätten einbürgern können, so ist daran so viel wahr, daß der tiefsinnige, ernsthafte Geist selten so leicht und schnell ist wie der oberflächliche und darum oberflächlich, leicht und ironisch oft zusammengehen und vielfach als unzertrennlich betrachtet werden. Aber man möge nur an Goethe denken. »Man lasse sich also dadurch«, sagt Friedrich Schlegel in seiner Besprechung des Meister, »daß der Dichter selbst die Personen und Begebenheiten so leicht und so launig zu nehmen, den Helden fast nie ohne Ironie zu erwähnen und auf sein Meisterwerk selbst von der Höhe seines Geistes herabzulächeln scheint, nicht täuschen, als sei es ihm nicht der heiligste Ernst.« Leicht und schwer zugleich, naturfrei, aber nicht naturlos sein, das ist eben die paradoxe Aufgabe, die dem Künstler gestellt wird; und so versteht man auch den zunächst etwas dunkel klingenden Ausspruch Friedrich Schlegel's: »Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist Alles, was zugleich gut und groß ist.«
Es ist eine Kümmerlichkeit, daß die Menschen sich gewöhnt haben, an dem schäbigen, hölzernen Entweder-Oder zu hinken. Sie würden niemals glauben, daß ein Denker praktisch sein könne, und wenn er vor ihren Augen, in Abwesenheit seiner Frau, einen Haushalt mit sieben Kindern sparsam, vernünftig und geräuschlos regierte, würde man nach wie vor dabei bleiben, daß er zwar schwerverständliche Werke schreiben, aber nicht einen einzigen kleinen Koffer leidlich packen könne. Die Folge davon ist, daß, wer nach einer gewissen Richtung hin ehrgeizig ist, das Entgegengesetzte oder Gegenüberliegende in sich unterdrückt; wie denn junge Mädchen und junge Künstler ihren Verstand meistens verbergen, am liebsten ausrotten möchten, jene um für schön und naiv, diese um für genial zu gelten. Anderseits hält man es auch für überflüssig, wenn man eine Gabe oder Neigung hat und hier ausgezeichnet ist, die anderen Seiten des menschlichen Wesens auszubilden, aus Furcht, jenes zu beeinträchtigen oder weil es ja doch erfolglos sein müsse. Daß es unmöglich sei, zugleich groß und gut zu sein, ist jedem selbstverständlich, so daß man häufig lesen oder hören kann, Jemand sei zu groß gewesen, um gut sein zu können; während man vielmehr sagen sollte, er sei nicht groß genug gewesen, um zugleich gut zu sein.
Ironie kann und soll zwar in jeder Dichtung sein; aber die eigentliche Kunstform der Ironie ist die Komödie. Sie entsteht, wenn die Geisteskraft des Dichters so groß und so beständig wirksam ist, daß er das natürlich Leidenschaftliche, worauf das Tragische hervorgeht, vollkommen auflösen und in geistiges Genießen verwandeln kann. Darum tritt die Komödie als die späteste Blüthe der Kultur mit der wachsenden Besonnenheit und dem Freiwerden des Geistes auf, und ein Jüngling wird viel eher ein wirksames Trauerspiel als eine leidliche Komödie verfassen können. Alle Versuche der Gegenwart, die tragische Kunst neu zu beleben, müssen fehlschlagen, aber mehr und mehr wird das Lustspiel, das wahre Spiel höchster Lust, sich entfalten. Diejenige Komödie, wo die Heiterkeit nur hie und da aufflackert wie Flämmchen aus dunklem Grunde, läßt sich dem gewaltigen Erguß der vernichtenden Leidenschaft im Trauerspiel nicht gleichsetzen; Energie und Leidenschaft des Jubels, ein rosiger Feuerstrom der Freude muß das Zukunftslustspiel sein, das Shakespeare's Muster uns ahnen lassen. Ebenso wie in der Tragödie das innerste Herz durch den erhabenen Jammer und unausweichbaren Untergang des Lebens erschüttert wird, so muß es hier durch den Schwung unsterblicher Wonne von der Erde weggerissen und unter die Götter versetzt werden. Das wäre die neue Dichtungsart, die Friedrich Schlegel das Entzückende nennt. Er hat das Wesen und die Zukunft der Komödie meisterhaft in seinen Schriften über die Griechen besprochen und als ihre Aufgabe bezeichnet, mit dem kleinsten Schmerz das höchste Leben zu bewirken.
»Das komische Genie verlangt auch äußere Freiheit, kann ohne diese sich nur bis zur Grazie, nie bis zum höchsten Schönen erheben. Sie wird es erreichen, wenn die Absicht vielleicht in einer späten Zukunft ihr Geschäft vollendet und mit Natur endigt, wenn aus Gesetzmäßigkeit Freiheit wird, wenn die Würde und die Freiheit der Kunst ohne Schutz sicher, wenn jede Kraft des Menschen frei und jeder Mißbrauch der Freiheit unmöglich sein wird. Alsdann würde auch die reine Freude, ohne den Zusatz des Schlechten, welcher jetzt dem Komischen nothwendig ist, an sich genug dramatische Energie haben; die Komödie würde das vollkommenste aller dramatischen Kunstwerke sein; oder vielmehr an die Stelle des Komischen würde das Entzückende treten, und wenn es einmal vorhanden wäre, ewig beharren.«
Es lag gewiß nicht nur an dem Mangel äußerer Freiheit, sondern auch an Tieck's Natur selbst, daß sich sein komisches Genie nur bis zur Grazie erhob. Vielleicht hatte Friedrich Schlegel den Begriff der Ironie und Komödie gerade deswegen so durchdringen können, weil ihm, dem Schweren, Alles fehlte, um ein Kunstwerk in diesem Geiste schaffen zu können. Aber sein Freund Tieck, von dem er mit gutmüthiger Geringschätzung, der stattlich runde Mann, sagte, daß er ihm an Leib und Seele gleich mager vorkomme, verstand sich auf das Tanzen und Fliegen. Und wenn auch sein Gestiefelter Kater davon fern war, das hohe Ideal der Komödie, das Friedrich aufgestellt hatte, zu erreichen, so konnte er doch als kleiner Morgenstern, bescheidener Vorläufer der Sonne gelten und rief in sofern ein berechtigtes Entzücken unter den Romantikern hervor. Denn dies Lustspiel war wirklich nichts als Spiel, eine lustige Composition, wie der Dichter selbst sagte, ganz aus Schaum und leichtem Scherz bestehend. Schon das scheint Spiel, ein Kindermärchen, so ein recht kindisches, muthwilliges, so ernst zu nehmen, daß man es zum Inhalt eines Dramas macht. Aber: warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichtes ausmachen? hat Tieck einmal gesagt. Und wie nun die Entrüstung des Philisters über die thörichte Kinderei mit auf die Bühne gebracht wird, bemerkt man, daß es sich garnicht um das Märchen handelt, sondern um das Publikum, das ihm zusieht. Dennoch kann man nicht sagen, daß auf eine eigentliche Verspottung des Publikums abgezielt sei, wodurch in das Spiel eine störende Absicht und Herbigkeit getragen würde: die biederen, ehrenfesten Männer, die mit so viel tüchtiger Bestrebung und alles Kunstgefühles bar in's Theater gehen, werden in Reih und Glied auf die Bühne gesetzt, und das leise, herzliche Gelächter des guten Dichters gaukelt beinahe mehr verschönernd als verhöhnend um ihre breiten Figuren. Man muß sie doch fast liebgewinnen; den treuherzigen, behaglichen Müller, der sich so recht gemüthlich für die Einigkeit zurechtsetzt, den Theaterzettel liest und sagt: »Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpossen wird auf's Theater bringen. Ei! ei! nach all den Wochenschriften, den kostbaren Kleidungen und den vielen, vielen Ausgaben! Denn es ist das Zeitalter für diese Phantome nicht mehr.« Der aber doch nie abläßt das Beste zu hoffen und sich innig wünscht, einmal eine recht wunderbare Ausstattungs-Oper ohne Musik zu sehen oder denn ein ordentliches Familiengemälde. Dann den idealischen Schlosser, der nach tiefsinniger religiöser Philosophie und Freimaurerei verlangt und in dem Kater den verlarvten Präsidenten einer geheimen Gesellschaft wittert, der in einem verborgenen Keller für das Edle und Gute wirkt. Den geschmackvollen Fischer, dessen scharfem Verstande keine Unnatürlichkeit und kein Widerspruch entgeht, der aufmerkt, ob die Charaktere sich auch treu bleiben, der so garnicht prahlt mit seiner Ueberlegenheit, sondern sie fein und gesetzt, wie ein paar Orden, die aus alter Gewohnheit schon mit zur Kleidung gehören, spazieren trägt. Unermüdlich ist der Dichter bemüht, uns sacht in eine gelinde Illusion einzuspinnen, in dem Augenblicke aber, wo wir, schwerfällig dem Gesetz der Trägheit nachgebend, uns in ihr festsetzen wollen, faßt uns der Leichtfüßige bei der Hand und wir müssen ihm folgen, das Gewebe zerreißend, das uns eben den Blick zu umschleiern begann. Wir meinen dann, das Fliegen gelernt zu haben, während es doch nur das ist, daß der Traumgott uns eine Weile mit sich führt.
Sollte es die Absicht des Dichters sein, Theater mit dem Theater zu spielen, sich über den schlechten Geschmack des Publikums lustig zu machen, so würden wir, obwohl die Dichtung ohne gewichtigen Anspruch auftritt, meinen können, es sei viel Lärm um Nichts geschlagen. Aber, wie Tieck selbst sagt, man kann nicht über das Theater scherzen, ohne über die Welt zu scherzen. Wenn der Zuschauer Wiesener sich über die Husaren freut, die im Gestiefelten Kater auftreten; »denn es sind die Leute selten so dreist, Pferde auf's Theater zu bringen, und warum nicht? Sie haben oft mehr Verstand als die Menschen. Ich mag lieber ein gutes Pferd sehen als so manchen Menschen in den neueren Stücken« und der Nachbar beistimmt und hinzusetzt: »schade daß sie so bald wieder weggingen; ich möchte wohl ein ganzes Stück von lauter Husaren sehen – ich mag die Kavallerie so gern« oder wenn das Publikum keine Ruhe hat, bis Einer im Stück auch durch Feuer und Wasser gegangen ist wie in der Zauberflöte, so handelt es sich da keineswegs allein um ästhetische Dummheit. In jedem Urtheil drückt der naiv urtheilende Mensch sich selbst aus, und insofern als sich auf den Brettern immer ein Stück Leben abspielt, hört man im Urtheil des Publikums über ein Drama seine Auffassung des Lebens. Tieck's Gestiefelter Kater wie auch seine anderen phantastischen Komödien sind trotz aller Beziehungen auf gewisse literarische Persönlichkeiten und Zustände wesentlich ein jubelnder Scherz über die Welt von Philistern, über die Unfähigkeit der Menschen, sich über den nächsten irdischen Zweck zu erheben, über die Behäbigkeit, mit der sie sich in ihrem weichlichen Moraste wohlgefallen, über die Blindheit, mit der sie an der Außenseite der Dinge kleben bleiben. Wie sie beim albernsten Geschwätz zweier Verliebter so froh sind, daß doch auch einmal etwas fürs Herz kommt, und sich so wohlig fühlen, wenn sie recht weinen können; wie sie die Narrenspossen verachten, sich vielmehr bilden und bessern wollen, ohne doch jemals um einen Zoll von ihrem niedrigen Standpunkt weiterzurücken; wie der König nicht ohne ein belehrendes Tischgespräch speisen will, derart: »Wie weit ist die Sonne von der Erde? Hochgelehrter: Zweimalhunderttausend fünfundsiebzig und eine viertel Meile, fünfzehn auf einen Grad gerechnet. König: Und der Umkreis, den die Planeten so insgesammt durchlaufen? Hochgelehrter: Wenn man rechnet, was jeder Einzelne laufen muß, so kommen in der Total-Summe etwas mehr als tausend Millionen Meilen heraus. König: Tausend Millionen! Man sagt schon, um sich zu verwundern: ei der Tausend! und nun gar tausend Millionen! Ich mag doch auf der Welt nichts lieber hören als so große Nummern – Millionen, Trillionen – da hat man doch dran zu denken – wie das den Geist beschäftigt!« ja, wie am Schluß die beste Dekoration mit dem Feuer- und Wasserzauber herausgerufen und beklatscht wird, während die Dichtung durchgefallen ist – bei alledem denkt man nicht an Theater-Literatur, sondern lachend mit dem übermüthigen Dichter: ja so, so sind sie! Immer nehmen sie den Schein für das Wesen, niemals wissen sie, worauf es ankommt.
Und gegenüber den schwerfälligen Menschenthieren, die er an uns vorbeiziehen läßt, des Dichters eigner Geist, der, einem lebendig quellenden Füllhorn gleich, unaufhörlich seine muthwilligen oder tiefsinnigen Einfälle um sich her ausschüttet, daß man sich zunächst nur an der Fülle freut, wie wenn man vor einem übereinander geworfenen Haufen Blumen steht, ohne die eine um die andre zu betrachten. Seifenblasen scheinen aufzusteigen: während der Blick der einen folgt, die so wonnig schimmernd, leicht und feierlich dahinschwebt, sind schon andre da und locken das Auge zu sich, so daß es kaum gewahr wird, wie schnell die einzelne zerplatzt und sich auflöst. Wie reizend ist es im Zerbino, wenn der Waldbruder dem unglücklich verliebten Helikanus räth, die Einsamkeit zu suchen und sich an der Betrachtung Gottes zu trösten, und Helikanus so ungebärdig seinen Rath verschmäht; und wie, wenn Helikanus, durch alle unendlichen Liebesschmerzen aufgelöst, endlich doch auf den Ausweg geräth, sich dem Einsiedler zu ergeben, dieser unterdessen seiner Beschaulichkeit überdrüssig geworden ist und sich nach thätigen Werken unter den Menschen zurücksehnt. Wie eigen muthet es uns an, wenn der kindische alte König mit Bleisoldaten spielt und immer den fünfzehnten Mann erschießen läßt: er nennt es Schicksal spielen.
»O weh, der schönste Mann geht zur Vernichtung
Ach ja, das Schicksal kehrt sich nicht an Kronen,
An Schönheit, Reichthum und Talente nicht!
Die unerbittlich blinde Hand, gelenkt
Von einem dunkeln, räthselhaften Willen,
Greift unversehns hinein und führt die Leute
Zum Orkus, ohne sie nur zu betrachten.
Wenn wir die Fünfzehn, die geheime Regel
Der Mächte doch erforschen könnten, die
Wir nur die himmlischen zu nennen pflegen,
Weil himmlisch uns das Unbekannte ausgedrückt.«
Und wieviel dreister, entzückender Muthwillen, wenn Zerbino, der Rolle, die der Dichter ihn spielen läßt, überdrüssig, seiner Existenz ein Ende machen will, indem er die Maschine des Stückes zurückdreht bis hinter die Scene, wo er zum ersten Mal aufgetreten ist, und nur die vorletzte Scene wiederkommt mit ihren Personen, die sehr unwillig sind, daß sie ihre vorigen Reden nun rückwärts sprechen sollen und noch dazu mit ihren damaligen Wünschen und Meinungen in Conflikt kommen; wodurch sich aber Zerbino nicht stören läßt, der vielmehr unermüdlich dreht und schraubt, daß ihm der Schweiß von der Stirne läuft, bis Verfasser, Kritiker und Setzer herzulaufen, ihn überwältigen und binden und dann das Stück schleunig zu Ende bringen, ehe sich dergleichen wiederholen kann. Neben dem Scherz und der Tollheit geht aber beständig leise, süßklingende Wehmuth, halb verborgener Tiefsinn und unerschöpfliche Liebeswonne her.
Einem schönen Feuerwerk, das bald mit Knistern und Prasseln, bald sanft und gemach, sprühend und in den buntesten Farbentönen leuchtend in die Tiefe des dunkelblauen Nachthimmels versinkt, gleicht das Musikmärchen vom Ungeheuer und dem bezauberten Walde. Es möchte dem Gestiefelten Kater an Rundung und glänzender Laune vorzuziehen sein; aber im Kater herrscht die Ironie vor, hier das Märchenhafte. Ueber ein bilderreiches, groteskes, mehr romanisches als germanisches Märchen ist das Ganze hingesponnen: eine böse königliche Stiefmutter, die mit Hülfe von bösen Feeen den edeln Königssohn in ein Ungeheuer verzaubert hat und dem zweiten Prinzen nach dem Leben stellt, und wie nun die Guten den Schlimmen entgegenwirken und der junge Prinz, ohne es zu ahnen, den Bruder erlöst, indem er ihn bekämpft.
»Giebt die Welt noch andre Freuden
Neben Wein und Rundgesang?
Mag der Held am Ruhm sich weiden,
Keiner wird ihn je beneiden
Bei dem süßen Becherklang!«
So versetzt uns ein schäumendes Lied, im Garten zwischen Springbrunnen und Statuen von jungen Männern und Frauen gesungen, gleich in die volle Freudenmitte hinein. Unter diese tritt der bedenkliche Minister Sebastiano, der in einer prächtigen Arie das Singen als eine unerlaubte Schwelgerei mit Zunge und Sprache verbietet:
»Bei hoher Strafe wird geboten
So hier als auch im ganzen Land,
Wen man ertappet über Noten,
Der wird im Augenblick verbannt:
So hat das Reich durch mich erkannt.
Was sollen diese Trillerkünste,
Durch die man sonst den Mond beschwur?
Sie sind ein Nichts und leere Dünste
Und immer gegen die Natur.
Spricht Leidenschaft in Paukenschlägen?
Der Schmerz in Flötenmelodie?
Empfindung geht auf andern Wegen;
Was sagt dazu Philosophie?
Unnachahmlich ist die komische Würde und majestätische Einfalt, womit er von den Heimsuchungen des Landes erzählt und seine Besorgniß, man möchte ihrer nie ledig werden, da seine Gesundheit ihm nicht erlaubt, nach dem Rechten zu sehen; und daneben die Unverblüfftheit des aufgeklärten Minister Lomelli, der dem Könige die Sorge über das Ungeheuer und den verzauberten Wald damit ausredet, daß diese Phantome einer kindischen Imagination ja garnicht existiren, und daß ein blühendes, mit geistreichen Köpfen und einsichtsvollen Leuten angefülltes Land nicht ein Ball in den Händen der Dummheit bleiben darf. Und dazwischen der gänzlich rathlose alte König, der bald diesem glaubt, bald dem Jammer des Volkes und feurig beschließt, daß binnen Kurzem alle diese Ungeheuer, verzauberten Haine, Propheten und Weissagungsfelsen ihm über die Grenze tanzen sollen; ohne daß sich jemals Mensch oder Geist um seine Befehle kümmerte. Zuletzt der Zweikampf im Gebirge: der Prinz ringt mit dem Ungeheuer, zwei Nebenbuhler schlagen sich um ein Liebchen, die beiden Minister, weil Lomelli dem Sebastiano vorwirft, er habe den König im Aberglauben an das Ungeheuer bestärkt, das garnicht existire. Sebastiano wird besiegt:
Willst du dich ergeben?
Ich will mich gern ergeben,
Nur schonen Sie mein Leben –
im Augenblick aber, wo Sebastiano, um sein Leben zu retten, einen Schwur thut, daß es kein Ungeheuer gibt, weil diese Zeit vorüber sei, da erscheint es, und beide Minister entfliehen unter entsetzlichem Wehgeschrei Hals über Kopf nach verschiedenen Seiten. Zwischen dieser tollen Komik das leise Liebesgeflüster des Prinzen und Angelika's, das Schwirren der guten und bösen Geister, das holde Lied der dienenden Mädchen, die der Königin folgen:
Zieht, ihr warmen Lüfte,
Durch die Blumenfelder hin,
Stehlt dem Frühling seine Düfte,
Bringt sie unsrer Königin.
Wo sie wandelt, spielen Weste,
Folgen ihrem hohen Gang,
Vöglein freuen sich im Neste,
Grüßen sie mit Lobgesang –
stolze, schmetternde Jagdfanfaren und der reizende Wahnsinn des verzauberten Waldes, in welchem Trappola allein seinen Verstand behält; denn der alte Satz bestätigt sich an ihm, »daß gewisse Leute nicht unsinnig werden können, wenn man auch alle Anstalten dazu trifft.«
Daß Tieck diese Art von ironischer Komödie, die sich selbst aufhebt und mit sich selbst Theater spielt, nicht erfunden hat – denn Aristophanes, Shakespaere, Gozzi, Holberg waren seine Vorbilder – ist bekannt; übrigens gleichgültig, denn es thut ihrem Werthe keinen Eintrag. Ebenso wenig, wie ich beiläufig noch einmal erwähnen will, darf man das gegen sie anführen, daß alle die literarischen Beziehungen uns ohne Commentar nicht mehr verständlich sind; denn sie machen den Kern der Dichtung nicht aus. Und trotzdem ist es gerechtfertigt, daß diese realistischen Märchenspiele auch von ästhetischen Feinschmeckern nicht zur höchsten Kunst gerechnet werden, daß ihnen etwas zu wünschen übrig bleibt; ja selbst Schiller's Urtheil, der sie nichts als leer und geschwätzig fand, so beschränkt es auch ist, läßt sich doch bis zu einem gewissen Grade wenigstens verstehen. Im Prolog zum Zerbino sagt Tieck:
»So haltet unser Spiel für nichts als Spielwerk.
Kein Vogel darf mit schwerer Ladung fliegen,
Ein Liebesbriefchen tragen wohl die Tauben,
Die Schwalbe Wolle nach dem warmen Nest,
Nur jenem großen Vogel Rock ist es
Vergönnt, die Luft mit kühnem Flug zu theilen,
Den Elephanten in den Klauen haltend.«
Da haben wir das Problem ausgesprochen: der Uebermensch, der Zukunftsmensch oder wie man das Ideal nennen will, dem wir entgegenwachsen, ist von dem Geschlechte jenes fabelhaften paradoxen Vogels. Tieck wußte, daß er selbst nicht das wundervolle Geschöpf war, das schwer belastet in die Wolken steigen kann; man muß die Freiheit seines Intellektes bewundern, die ihm ermöglichte, sich über das so klar zu sein, was seine Größe und was seine Schwäche war. Auch über die Geschwätzigkeit, die Schiller ihm vorwarf, wußte er Bescheid: auf ihn selber paßt, was der Narr in der Verkehrten Welt sagt, als ihm Lisette schmeichelt: »Sie drücken sich sehr angenehm aus! Ich schüttele die Worte zwischen den Zähnen herum und werfe sie dann dreist und gleichgültig wie Würfel heraus. Glauben Sie mir, es geräth dem Menschen selten, alle Sechse zu werfen, er mag nun besonnen oder unbesonnen spielen.« Diesen Eindruck hat man wirklich, als wenn ein übermüthiger Verschwender, beim Spiele sitzend, in seinen glitzernden Haufen hineingreift und austheilt, Zahlpfennige und Goldstücke durcheinander, wie es gerade kommt. Es ist selten, daß Einer so verschwenderisch ist, wenn er zugleich bedächtig genug ist, um auszulesen. Wenn man an Tieck die Gediegenheit, Schwere und Kraft vermißt, die im Charakter liegt, muß man daran denken, daß er eben diesem Mangel an Gewicht die entzückende Leichtigkeit verdankt, mit der er schweben konnte. Es läuft immer wieder auf den Vogel Rock heraus; nur das kann man Tieck vorwerfen, daß er der geflügelte Löwe nicht war, der doch der Sage nach nur alle hundert oder tausend Jahre erscheint. Er hat selbst unter dem Gefühl des frevelhaften Leichtsinns gelitten, der ihm eigen sei, und der ist ohne Zweifel die Ursache, daß seine Werke zu dem neigen, was man spielerisch, leichte Waare, unecht nennen kann. Man kann sich einen Dichter denken, der sich von seinem Gegenstande, den er leidenschaftlich an's Herz gedrückt hat, kraftvoll losreißt und mit dem Schwunge der Anstrengung siegreich lächelnd über ihn erhebt, während Tieck ihn von vornherein nicht als etwas Gleichgültiges, aber doch als etwas Entbehrliches scherzend umflattert. Wenn man den Liebreiz und die vielen höchst dichterischen Einfälle in seinen Märchendramen genießt und bewundert, fragt man sich oft, warum trotzdem das Ganze nur mit einem Flügelschlage an unserm Herzen vorüberfliegt, während jede Komödie von Shakespeare sich sofort darin festhakt und es innig mitzittern macht. Jene sind eben nur vom Geiste erzeugt und darum ergreifen sie auch einseitig nur unsern Geist, nicht unsre Natur mit.
Aber schwelgt auch das Gefühl nicht mit an diesen Symposien, die Tieck's dramatische Muse veranstaltet, so ist doch auch der zarte Rausch des Geistes, den sie einflößt, reizend und angenehm.
»In welcher Trunkenheit jauchzt unser Geist, wenn es ihm vergönnt ist, tausend wechselnde, bunte, schwebende, tanzende Gestalten zu erblicken, die stets erneut und vergnügt in ihm aufsteigen. Angerührt, angelacht von tausendfältiger Liebe wickelt die Seele sich in Lieder von aller Farbe und jubelt himmelan, daß dies träge, alltägliche Leben ihn lange nicht wiederfindet.« So spricht das Allegro in einer von Tieck's Wort-Symphonien; und das war gewiß sein Idealbild der Komödie.
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