Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1817 ist das Jahr, welches Ludwig XVIII. mit einer gewissen königlichen Zuversicht, der es nicht an Stolz fehlte, das zweiundzwanzigste seiner Regierung nannte. Es ist das Jahr, in welchem Herr Bruguière de Sorsum berühmt war. Die Läden aller Perrückenmacher, welche auf den Puder und die Rückkehr des königlichen Vogels hofften, waren blau angestrichen und mit Lilien ausgeschmückt. Es war die unbefangene Zeit, in welcher der Graf Lynch jeden Sonntag als Kirchenvorsteher auf den vorbehaltenen Bänken der Kirche von Saint Germain des Prés saß in seiner Uniform als Pair von Frankreich, mit seinem rothen Band und seiner langen Nase und jener Majestät des Profils, welche dem Menschen eigen ist, der eine glänzende Handlung begangen hat. Die glänzende Handlung, welche Herr Lynch begangen hatte, war die folgende: als Maire von Bordeaux am 12. März 1814 die Stadt ein wenig zu früh dem Herzog von Angoulême überliefert zu haben. Daher seine Pairschaft. Die französische Armee war weißgekleidet worden, nach österreichischer Art; die Regimenter nannten sich Legionen; statt der Nummer trugen sie den Namen des Departements. Napoleon war in St. Helena, und da England ihm grünes Tuch verweigerte, ließ er seine alten Röcke wenden. 1817 sang Pellegrini, tanzte Fräulein Bigottini, herrschte Portier, Odry existirte noch nicht. Es gab noch Preußen in Frankreich. Die Legitimität hatte sich soeben befestigt, indem sie Pleignier, Carbonneau und Tolleron zuerst die Hand und dann den Kopf abschlagen ließ. Der Fürst Talleyrand, Großkammerherr, und der Abbé Louis, sahen einander mit dem Lächeln zweier Auguren an; beide hatten am 14. Juli 1790 die Föderationsmesse auf dem Marsfelde gefeiert; Talleyrand feierte sie als Bischof, Louis diente dabei als Diaconus. 1817 bemerkte man in den Nebenalleen eben jenes Marsfeldes große hölzerne Balken, die dem Regen ausgesetzt lagen, im Grase verfaulten, blau angestrichen waren und Spuren von Adlern und Bienen trugen, die die Vergoldung verloren hatten. Es waren die Säulen, welche zwei Jahre zuvor die Estrade des Kaisers auf dem Marsfelde trugen. Sie waren hier und dort geschwärzt von dem Bivouac der Oesterreicher, die nahe bei Groß-Caillou in Baracken lagen. Zwei oder drei dieser Säulen wären in den Feuern dieses Bivouaks verschwunden und hatten die breiten Hände der Kaiserlichen gewärmt. Das Maifeld hatte das Bemerkenswerthe, daß es im Monat Juni und auf dem Marsfelde gehalten worden war. Die neueste Pariser Aufregung war das Verbrechen Dautun's, der den Kopf seines Bruders in das Bassin des Blumenmarktes geworfen hatte. Man begann im Marineministerium unruhig darüber zu werden, daß man keine Nachricht von der verhängnißvollen Fregatte »Medusa« hatte, welche Chaumarcix mit Schande und Géricault mit Ruhm bedecken sollte. Der Oberst Selves ging nach Egypten, um dort Soliman-Pascha zu werden. Die Herzogin von Duras las drei oder vier Freundinnen in ihrem mit himmelblauem Atlas möblirten Boudoir die noch nicht herausgegebene Ourika vor. Im Louvre kratzte man die N aus. Die Austerlitzbrücke abdicirte und nannte sich Brücke des Königsgartens, ein doppeltes Räthsel, welches zugleich die Austerlitzbrücke und den Pflanzengarten verdeckte. Ludwig XVIII., der, während er mit der Spitze des Nagels Noten zum Horaz schrieb, mit den Helden beschäftigt war, die sich zu Kaisern machen, und mit den Holzschuhmachern, die Dauphins werden, hatte eine zweifache Sorge: Napoleon und Mathurin Bruneau. Die französische Akademie stellte die Preisaufgabe: Das Glück, welches das Studium verschafft. Herr Bellart war auf officielle Weise beredt. Man sah in seinen Schatten den zukünftigen General-Advocaten von Broë keimen, der den Sarkasmen Paul Louis Courier's verheißen war. Es gab einen falschen Chateaubriand, der Marchangy hieß, in Erwartung eines solchen Marchangy genannt d'Arlincourt. Das Institut ließ aus seiner Liste den Akademiker Napoleon Bonaparte streichen. Eine königliche Ordonnanz erhob Angoulême zur Seeschule, denn da der Herzog von Angoulême Groß-Admiral war, mußte offenbar die Stadt Angoulême Anspruch auf alle Eigenschaften eines Seehafens haben, sonst wäre das monarchische Princip gefährdet gewesen. Alle jungen Mädchen sangen den Eremiten von Saint-Avelle, Text von Edmund Géraud. Der gelbe Zwerg verwandelte sich in den Spiegel. Das Café Lemblin hielt für den Kaiser gegen das Café Valois, das für die Bourbonen hielt. Man hatte mit einer Prinzessin von Sicilien den Herzog von Berry verheirathet, auf welchem schon aus dem Hintergrunde des dunkelsten Schattens Louvel blickte. Die großen Zeitungen waren ganz klein. Das Format war beschränkt, aber die Freiheit groß. Der Constitutionnel war constitutionell. Die Minerva nannte Châteaubriand Chateaubriant. Dieses »t« erregte großes Gelächter bei den Bürgern, auf Kosten des großen Châteaubriand. In erkauften Journalen beschimpften herabgewürdigte Journalisten die Proscribirten von 1815. Es ist Niemand unbekannt, daß sehr selten an einen Exilirten durch die Post adressirte Briefe ihm zukamen, da die Polizei sich eine religiöse Pflicht daraus machte, sie aufzufangen. Die Thatsache ist nicht neu. Da David in einer belgischen Zeitung einigen Verdruß darüber geäußert hatte, die Briefe nicht zu empfangen, die man ihm schrieb, erschien dies den royalistischen Blättern, welche dabei gelegentlich den Verbannten beschimpften, lächerlich. Zu sagen: die Königsmörder oder zu sagen die Stimmenden, zu sagen, die Feinde oder zu sagen die Alliirten, zu sagen Napoleon oder zu sagen Buonaparte, das trennt zwei Menschen mehr als ein Abgrund. Alle Menschen von gesundem Verstande kamen darin überein, daß die Aera der Revolution für immer durch den König Ludwig XVIII. geschlossen sei, welcher den Beinamen erhielt: »Der unsterbliche Urheber der Charte.«
Die Führer der Rechten sagten bei ernsten Conjuncturen: »Man muß an Bacot schreiben.« Die Herren Canuel, O'Mahony und de Chappedelaine entwarfen ein Werk, durch Monsieur gebilligt, das, was später die »Verschwörung vom Ufer des Wassers« werden sollte. Chateaubriand, der jeden Morgen an seinem Fenster der No. 27. der rue Saint-Dominique stand, in Strumpfhosen und Pantoffel, die grauen Haare umwunden mit einem Madras, die Augen auf einen Spiegel geheftet, ein vollständiges Zahnarztbesteck offen vor sich stehend, stocherte sich die Zähne, da er sehr schöne hatte, und dictirte dabei die Monarchie nach der Charte dem Herrn Pilorge, seinem Secretair. Die Scheidung war abgeschafft, die Lyceen nannten sich Collegien. Die Collegianer, welche am Kragen mit einer goldenen Lilie geschmückt waren, pufften sich wegen des Königs von Rom. Die Stadt Paris ließ auf ihre Kosten den Dom der Invaliden neu vergolden. Der Schauspieler Picard, der zu der Akademie gehörte, zu welcher der Schauspieler Molière nicht hatte gelangen können, ließ die beiden Philibert im Odeon aufführen, auf dessen Front die ausgerissenen Buchstaben noch deutlich lesen ließen: Theater der Kaiserin. Der Buchhändler Pélicier gab eine Ausgabe des Voltaire heraus, unter dem Titel: Werke Voltaires, von der französischen Akademie. »Das lockt die Käufer an,« sagte dieser naive Verleger. Die allgemeine Meinung war, daß Herr Charles Loyson das Genie des Jahrhunderts sein würde; der Neid begann ihn zu beißen, ein Zeichen des Ruhmes, und man machte auf ihn den folgenden Vers:
»Selbst wenn Loyson fliegt, fühlt man seine Pfoten.«
Der Cardinal Fesch weigerte sich, abzudanken, Herr von Pins, Erzbischof von Amasie, verwaltete die Diöcese Lyon. Der Streit des Dappenthales begann zwischen der Schweiz und Frankreich durch eine Denkschrift des Kapitain Dufour, der seitdem General geworden ist. Saint-Simon, der noch unbekannt war, entwarf seinen erhabenen Traum. Es gab bei der Akademie der Wissenschaften einen berühmten Fourier, den die Nachwelt vergessen hat, und auf irgend einem Boden einen unbekannten Fourier, dessen die Zukunft sich erinnern wird. Der Abbé Caron sprach mit Lob in dem kleinen Comité der Seminaristen der Sackgasse Feuillantines von einem unbekannten Félicité Robert, der später Lamennais wurde. Ein Ding, welches auf der Seine mit dem Geräusch eines schwimmenden Hundes dampfte und klapperte, fuhr unter den Fenstern der Tuilerien von dem Pont Royal bis zum Pont Louis XV. auf und nieder, es war ein Mechanismus, der zu nicht viel taugte, eine Art Spielwerk, die Träumerei eines hohlköpfigen Erfinders, ein Utopien. Ein Dampfboot. Die Pariser betrachteten dieses unnütze Ding mit Gleichgültigkeit. Herr von Vaublanc, Reformator des Instituts durch Staatsstreich, Ordonanz und Schub, der ausgezeichnete Urheber mehrerer Akademiker, konnte selbst keiner werden, nachdem er so viele gemacht hatte. Die Vorstadt Saint Germain und der Pavillon Maran wünschten Herrn Delavau wegen seiner Frömmigkeit zum Polizeipräfekten. Cuvier, ein Auge auf die Genesis und das andere auf die Natur gerichtet, strengt sich an, der bigotten Reaction zu gefallen, indem er die Fossilien mit dem Bibeltexte in Uebereinstimmung brachte und Moses durch die Mastodonten schmeicheln ließ. Der Abbé Grégoire, ehemaliger Bischof, ehemaliges Conventsmitglied, ehemaliger Senator, war in der royalistischen Polemik zum nichtswürdigen Grégoire geworden. Unter dem dritten Bogen des Pont de Jena konnte man an seiner Weiße noch den neuen Stein erkennen, mit welchem zwei Jahre zuvor das Minenloch ausgefüllt worden war, welches Blücher hatte machen lassen, um die Brücke zu sprengen. Die Justiz forderte vor ihre Schranken einen Menschen, der, als er den Grafen d'Artois in Notre-Dame eintreten sah, laut gesagt hatte: Sapristi! Ich beklage die Zeiten, zu denen ich Bonaparte und Talma Arm in Arm den Ball Sauvage betreten sah. Eine aufrührerische Aeußerung. Sechs Monate Gefängniß.
Verräther zeigten sich mit offener Brust. Menschen, die den Tag vor einer Schlacht zum Feinde übergegangen waren, verbargen nicht die Belohnung, die sie dafür empfingen und zeigten sich schamlos bei hellem Sonnenschein in dem Cinismus der Reichthümer und der Würden. Deserteure von Ligny und Quatre-Bras legten in der schamlosen Entblößung ihrer bezahlten Nichtswürdigkeit ihre monarchische Ergebenheit ganz nackt dar. Sie vergaßen, was in England über die innere Mauer der öffentlichen Abtritte geschrieben ist: Man bittet die Kleidung in Ordnung zu bringen, ehe man diesen Ort verläßt.
Das ist bunt untereinander. Alles, was verworren im Jahre 1817 oben auf schwamm, jetzt vergessen. Die Geschichte vernachlässigt beinahe alle diese Einzelnheiten und kann nichts anderes thun; das Unendliche trägt den Sieg davon. Diese Einzelnheiten jedoch, die man mit Unrecht klein nennt – es giebt weder kleine Thatsachen in der Menschheit, noch kleine Blätter in der Vegetation – sind nützlich. Aus der Physiognomie der Jahre besteht das Antlitz des Jahrhunderts.
Im Jahre 1817 führten vier junge Pariser eine hübsche Posse auf.
*