Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

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XXXVIII.

Die Nacht war eben angebrochen. Ein kalter Wind pfiff um den verfluchten Thurm, und die Pforten der Ruinen von Vygla erzitterten in ihren Angeln, als ob derselbe Arm sie alle zumal geschüttelt hätte.

Die rohen Thurmbewohner, der Henker und seine Familie, saßen um das Feuer, das in der Mitte des Zimmers brannte und seinen röthlich flackernden Schein auf ihre finstern Gesichter und scharlachenen Gewänder warf. In den Gesichtszügen der Kinder lag etwas Wildes, wie das Lachen ihres Vaters, und etwas Grasses, wie der Blick ihrer Mutter. Die Augen des Weibes und der Kinder waren auf Orugix gerichtet, der, auf einem hölzernen Schemel sitzend, auszuschnaufen schien, und dessen mit Staub bedeckte Füße verriethen, daß er einen langen Weg gemacht habe.

»Weib, höre! Kinder, hört!« sprach er. »Ich bin nicht umsonst zwei Tage abwesend gewesen und bringe keine schlechte Nachrichten mit. Wenn ich nicht, ehe ein Monat vergeht, königlicher Vollstrecker der hohen Gerichtsbarkeit bin, so soll man von mir sagen, ich wisse keine Schleife an einen Strick zu machen und könne kein Beil führen. Freut Euch, Ihr jungen Wölflein, Euer Vater hinterläßt Euch vielleicht sogar das Schaffot von Kopenhagen zum Erbe.«

»Nychol,« fragte Bechlie, »was gibt es denn?«

»Und Du, meine alte Zigeunerin,« fuhr Nychol mit seinem schwerfälligen Lachen fort, »freue Dich, auch Du kannst ein Halsband von blauen Glaskorallen kaufen, um damit Deinen Storchenhals zu schmücken. Unsere eheliche Verpflichtung ist bald zu Ende; wenn Du mich aber in einem Monat mit der Würde eines ersten Henkers beider Königreiche bekleidet siehst, so wirst Du gerne einen zweiten Krug mit mir zerbrechen.«

»Was gibt es denn? Was gibt es denn?« fragten die Jungen, deren ältester mit einer blutigen Zange spielte, während der jüngste einen kleinen Vogel lebendig rupfte.

»Was es gibt, meine Kinder? . . . Bringe doch diesen Vogel um, Haspar, er schreit wie eine schlechte Säge, und überhaupt man muß nicht grausam sein. Bringe ihn um . . . Was es gibt? Nichts, gar wenig, außer, Dame Bechlie, daß, ehe acht Tage vergehen, der Exkanzler Schuhmacher, der zu Kopenhagen bereits mein Gesicht in der Nähe gesehen hat, und der berüchtigte isländische Räuber Han von Klipstadur, mir vielleicht beide zumal in die Hände fallen werden.«

Das verstörte Auge des Weibes nahm einen Ausdruck neugierigen Staunens an.

»Schuhmacher! Han der Isländer! Wie kommt das, Nychol?«

»Ich will Euch Alles sagen. Ich begegnete gestern Morgens auf der Straße von Skongen, auf der Brücke von Ordals, dem Regiment der Arquebusiere von Munckholm, das in triumphirendem Aufzug nach Drontheim zurückkehrte. Ich befragte einen der Soldaten, der mich einer Antwort würdigte, weil er ohne Zweifel nicht wußte, warum ich ein rothes Kleid trage, und ich erfuhr, daß die Soldaten aus den Schluchten des schwarzen Pfeilers zurückkamen, wo sie die Banden der rebellischen Bergleute in Stücke gehauen hatten. Nun mußt Du wissen, Zigeunerin Bechlie, daß diese Rebellen sich für Schuhmacher empörten und von Han dem Isländer befehligt waren. Ferner mußt Du wissen, daß diese Empörung Han den Isländer des Verbrechens des Aufruhrs gegen die königliche Gewalt, und Schuhmacher des Verbrechens des Hochverraths schuldig macht, welche beide Verbrechen zum Galgen oder auf das Schaffot zu führen pflegen. Füge nun zu diesen zwei prächtigen Hinrichtungen, deren jede mir wenigstens fünfzehn Dukaten eintragen muß, und mir in den Königreichen zur höchsten Ehre gereichen wird, noch einige andere hinzu, die zwar nicht ebenso wichtig sind . . .«

»Wie!« unterbrach ihn das Weib, »Han der Isländer ist also gefangen?«

»Warum unterbrichst Du Deinen Herrn und Meister, verdammtes Weib? Allerdings, dieser berüchtigte, ungreifbare Han der Isländer ist gefangen, und mit ihm einige andere Anführer der Rebellen, deren jeder mir ebenfalls zwölf Thaler eintragen wird, ohne zu rechnen, was ich aus den Leichnamen erlösen werde. Er ist gefangen, sage ich Dir, und ich habe ihn selbst gesehen, wie er in den Reihen der Soldaten ging . . .«

Das Weib und die Kinder traten staunend näher zu Orugir.

»Wie! Du hast ihn gesehen, Vater?« fragten die Kinder.

»Schweigt Kinder! Ihr schreit wie ein Spitzbube, der seine Unschuld betheuert. Ich habe ihn gesehen. Er ist ein Riese und die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und um den Kopf trug er eine Binde. Ohne Zweifel ist er am Kopfe verwundet worden. Aber er kann ruhig sein, in Kurzem werde ich ihn von dieser Wunde kurirt haben.«

Der Henker begleitete diese furchtbaren Worte mit einer schrecklichen Geberde und fuhr dann fort: »Hinter ihm gingen vier andere Gefangene, und man führt sie alle nach Drontheim, um mit dem Exkanzler Schuhmacher vor Gericht gestellt zu werden.«

»Vater, wie sahen die andern Gefangenen aus?«

»Zwei davon sind alte Männer, und einer von ihnen trug den Filzhut der Bergleute, und der andere die Mütze der Gebirgsbewohner. Beide waren traurig. Von den beiden andern war der eine ein junger Bergmann; er trug den Kopf hoch und pfiff; der andere . . . Erinnerst Du Dich, meine höllische Bechlie, an die Reisenden, die vor etwa zehn Tagen in diesen Thurm gekommen sind, als bei Nacht ein so heftiges Gewitter war? . . .«

»Wie Satan sich seines Falls erinnert,« antwortete das Weib.

»Erinnerst Du Dich des jungen Mannes unter den Reisenden, des Gefährten des alten närrischen Perrückenstocks, der den grünen Mantel und die schwarze Feder trug?«

»Ich sehe ihn noch vor mir stehen und höre ihn sagen: Weib, wir haben Gold!«

»Nun denn, Weib, der war der vierte Gefangene, und wenn es nicht so ist, so soll man von mir sagen, daß ich in meinem Leben Niemand die Kehle zugeschnürt habe, als einer alten Henne. Das gibt einen Spaß: neulich habe ich ihm zu essen gegeben, und jetzt werde ich ihm bald auf ewig den Mund stopfen.«

Der Henker lachte hell auf bei diesen Worten und fuhr dann fort: »Wir wollen uns freuen und trinken. Teufelsweib, schenke mir ein Glas Bier ein auf meine nahe Erhöhung. Auf die Gesundheit des Herrn Nychol Orugix, königlichen Vollstreckers der hohen Gerichtsbarkeit in spe! Ich muß Dir gestehen, alte Sünderin, daß es mich Mühe kostete, mich in den Flecken Noes zu begeben, um daselbst einen gemeinen Dieb zu hängen. Doch dachte ich, du kannst die paar Groschen auch mitnehmen, der Exkanzler und Han der Isländer entgehen dir doch nicht.«

In diesem Augenblicke ließ sich außen vor dem Thurme in drei Absätzen der Schall eines Hornes hören.

»Weib,« rief Orugix aufspringend, »das sind die Häscher des Oberrichters.«

Mit diesen Worten stieg er eilends die Treppe hinab. Bald darauf kam er zurück mit einem großen Pergament in der Hand, dessen Siegel er gelöst hatte.

»Hier Weib, das kommt vom Oberrichter. Entziffre mir das, da Du das Teufelsgeschmiere lesen kannst. Es ist vielleicht schon ein Beförderungspatent, denn da der Gerichtshof einen Großkanzler zum Präsidenten und einen Großkanzler zum Delinquenten hat, so schickt es sich nicht wohl anders, als daß ein königlicher Großhenker seinen Spruch vollziehe.«

Das Weib hatte inzwischen die Schrift durchgesehen und begann nun mit lauter Stimme zu lesen:

»Im Namen des Oberrichters von Drontheimhus! Nychol Orugix, Scharfrichter dieser Provinz, hat sich Angesichts dies, versehen mit seinem Ehrenbeil, dem Block und der schwarzen Behängung nach Drontheim zu begeben.«

»Ist das Alles?« fragte der Henker mißvergnügt. »Alles,« antwortete das Weib.

»Scharfrichter dieser Provinz« murmelte Orugir zwischen den Zähnen und warf unwillige Blicke auf den Brief.

»Nun ins Teufels Namen!« rief er endlich aus, »man muß gehorchen und sich auf den Weg machen. Verlangt man doch das Ehrenbeil und die schwarze Behängung. Weib, putze mir das Ehrenbeil blank, und bürste mir die schwarze Behängung aus. Man muß den Muth nicht sinken lassen, vielleicht wollen sie mich erst nach dieser schönen Hinrichtung befördern. Freilich werden dann die Verurtheilten der Ehre verlustig gehen, durch einen königlichen Großhenker hingerichtet zu werden.«


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