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Der 17. Mai. Abend. Volksfest. Ein Waldplatz in der Nähe des Gutshofes. Musik und Tanz im Hintergrund; bunte Lampen an den Bäumen. In der Mitte, ein wenig nach hinten, ein Rednerpult; rechts der Eingang zu einem großen Restaurationszelte; davor ein Tisch mit Bänken. Auf der anderen Seite im Vordergrund ein zweiter, mit Blumen geschmückter und von Lehnstühlen umgebener Tisch.
Große Menge Volks. Lundestad, mit der Komiteeschleife im Knopfloch, steht am Rednerpult. Ringdal, ebenfalls mit der Komiteeschleife, am Tische links.
Lundestad. – – Und darum, verehrte Mitbürger, – ein Hoch unserer Freiheit! Wie wir sie von unseren Vätern ererbt haben, so wollen wir sie uns und unseren Söhnen erhalten! Ein Hoch dem Verfassungstag! Der siebzehnte Mai, er lebe hoch!
Die Zuhörer. Hoch! Hoch! Hoch!
Ringdal, indem Lundestad herabsteigt. Und nun ein Hoch auf Vater Lundestad!
Einzelne Stimmen. Scht! Scht!
Viele Stimmen, die Zischer übertönend. Lundestad lebe hoch! Vater Lundestad soll leben! Hoch!
Die Menge zerstreut sich. Monsen, sein Sohn Bastian, Stensgård und Aslaksen drängen sich durch den Schwarm nach vorne.
Monsen. Ja, weiß Gott, er wird alt!
Aslaksen. Er hat unseren lokalen Verhältnissen das Wort geredet! Haha!
Monsen. Die Rede hat er nun jedes liebe Jahr gehalten, solange ich denken kann. Kommen Sie her –!
Stensgård. Nein, nein, nein! Nicht da entlang, Herr Monsen! Wir verlieren ja sonst Ihre Tochter ganz aus den Augen.
Monsen. Ei was! Ragna findet uns schon wieder.
Bastian. Die ist gut aufgehoben, – Kandidat Helle ist bei ihr.
Stensgård. Helle?
Monsen. Ja, Helle. Gibt ihm einen freundschaftlichen Rippenstoß. Aber ich halte mich zu Ihnen, hähä! Und das tun wir alle miteinander. Also kommen Sie! Hier sind wir sicher vor Krethi und Plethi und können uns ein bißchen eingehender über das unterhalten, was –
Hat inzwischen an dem Tische links Platz genommen.
Ringdal tritt heran. Verzeihung, Herr Monsen, – dieser Tisch ist belegt –
Stensgård. Belegt? Für wen?
Ringdal. Für den Kammerherrn und seine Familie.
Stensgård. Ach was! Es ist ja von den Leuten keiner da.
Ringdal. Nein, aber wir können sie jeden Augenblick erwarten.
Stensgård. So sollen sie sich wo anders hinsetzen.
Nimmt einen Stuhl.
Lundestad legt seine Hand auf den Stuhl. Der Tisch bleibt frei, wie Sie gehört haben.
Monsen steht auf. Kommen Sie, Herr Stensgård; der Platz drüben ist ebenso gut. Geht nach rechts hinüber. Kellner! Hm, nicht mal ein Kellner da! Na, dafür hätte doch das Festkomitee beizeiten sorgen sollen. Ach, Aslaksen, gehen Sie mal hinein und holen Sie uns vier Flaschen Champagner. Verlangen Sie den teuersten. Sagen Sie nur, Monsen zahlt!
Aslaksen geht ins Zelt; die drei andern setzen sich.
Lundestad geht gemütlich zu ihnen hinüber und wendet sich an Stensgård. Sie dürfen es mir wirklich nicht übel nehmen –
Monsen. Übel nehmen? Gott bewahre! Kein Gedanke!
Lundestad immer noch zu Stensgård gewandt. Denn nicht ich persönlich, sondern das Festkomitee hat bestimmt –
Monsen. Versteht sich. Das Festkomitee hat zu befehlen, und wir müssen gehorchen –
Lundestad wie oben. Wir sind ja hier auf dem Grund und Boden des Kammerherrn. Er hat uns für diesen Abend Forst und Park freundlichst zur Verfügung gestellt; und so glaubten wir –
Stensgård. Wir sitzen hier ausgezeichnet, Herr Lundestad, – wenn wir nur unbehelligt sitzen bleiben, – ich meine, unbehelligt von der Volksmasse.
Lundestad freundlich. Nun, dann ist ja alles schön und gut.
Ab durch die Mitte.
Aslaksen aus dem Zelt. Der Kellner bringt den Wein gleich.
Setzt sich.
Monsen. Eigener Tisch – unter besonderer Aufsicht des Festkomitees! Und das am Freiheitstage! Da haben Sie eine Probe von der ganzen Wirtschaft.
Stensgård. Aber, Ihr lieben, guten Leute, – warum in aller Welt laßt Ihr Euch so was gefallen?
Monsen. Alter vererbter Schlendrian, sehen Sie.
Aslaksen. Sie sind noch nicht lange in unserer Gegend, Herr Stensgård. Aber würden Sie erst ein wenig unsere lokalen Verhältnisse kennen, so –
Kellner bringt Champagner. Es wurde doch hier bestellt –?
Aslaksen. Freilich. Schenken Sie nur ein!
Kellner einschenkend. Und, – nicht wahr, für Ihre Rechnung, Herr Monsen?
Monsen. Die ganze Geschichte; seien Sie unbesorgt!
Kellner ab.
Monsen stößt mit Stensgård an. Willkommen denn in unserer Mitte, Herr Obergerichtsanwalt! Es freut mich unendlich, Sie kennen gelernt zu haben; und ich darf sagen, es ist eine Ehre für den Distrikt, daß ein Mann wie Sie sich hier niederläßt. Wir haben so viel von Ihnen in den Zeitungen gelesen, bei Gelegenheit von Gesangsfesten und andern Versammlungen. Herr Stensgård, Sie haben große Rednergaben, und Sie haben ein Herz für das Gemeinwohl. Möchten Sie doch nun auch mit Lust und Liebe herzhaft eingreifen – hm, eingreifen in –
Aslaksen. – die lokalen Verhältnisse.
Monsen. Jawohl, in die lokalen Verhältnisse. Darauf wollen wir anstoßen.
Sie trinken.
Stensgård. An Lust und Liebe soll's nicht fehlen.
Monsen. Bravo! Hören Sie mal! Noch ein Glas auf dies Versprechen!
Stensgård. Nein – halt! Ich habe vorhin schon –
Monsen. Ach, Unsinn! Noch ein Glas, sage ich – es ist ein Becher der Verheißung!
Sie stoßen nochmals an und trinken; während des folgenden füllt Bastian fleißig die Gläser.
Monsen. Übrigens, – da wir nun mal auf das Thema gekommen sind –, so muß ich sagen, es ist nicht eigentlich der Kammerherr, der hier alles niederhält. Nein, wer dahinter steht und die Drähte zieht, Sie, – das ist Vater Lundestad.
Stensgård. Das habe ich von mehreren Seiten gehört. Ich begreife nicht, wie ein so freisinniger Mann –
Monsen. Lundestad? Anders Lundestad nennen Sie einen freisinnigen Mann? Allerdings gab er sich dafür aus in seinen jungen Jahren, als es galt, Karriere zu machen. Deshalb hat er auch den Reichstagssitz beim Tode seines Vaters geerbt. Lieber Himmel, alles erbt sich hier jetzt fort!
Stensgård. Aber diesem ganzen Unfug müßte man doch ein Ende machen können.
Aslaksen. Donnerwetter ja, Herr Rechtsanwalt, – machen Sie ein Ende!
Stensgård. Ich sage ja nicht, daß ich –
Aslaksen. Ja, gerade Sie! Sie sind der Mann dazu. Sie haben das Maul auf dem rechten Fleck, wie man zu sagen pflegt; und noch mehr, Sie verstehen mit der Feder umzugehen. Meine Zeitung steht Ihnen zur Verfügung, das wissen Sie.
Monsen. Aber, soll etwas geschehen, so müßte es recht bald geschehen. Die Urwahl ist nächster Tage.
Stensgård. Und Ihre vielen Privatangelegenheiten würden Ihnen kein Hindernis sein, wenn die Wahl auf Sie fiele?
Monsen. Meine Privatangelegenheiten würden allerdings darunter leiden; aber wofern man der Ansicht ist, daß die Bedürfnisse der Kommune es erfordern, so müßte ich mich natürlich darein finden, persönliche Rücksichten hintanzusetzen.
Stensgård. Ja, ja, – so ist's brav. Und eine Partei haben Sie schon, das habe ich wohl bemerkt.
Monsen. Ich schmeichle mir, daß der größte Teil der jungen tatenlustigen Generation –
Aslaksen. Hm, hm; da schnüffelt was herum!
Daniel Hejre aus dem Zelt; kurzsichtig, späht er umher und kommt näher. Ach, dürft' ich wohl um einen leeren Stuhl bitten? Ich möchte mich gern dadrüben hinsetzen.
Monsen. Hier sind feste Bänke, wie Sie sehen; aber wollen Sie nicht hier am Tisch Platz nehmen?
Hejre. Da? An dem Tisch? Ja, warum nicht. Setzt sich. Ei, ei, Champagner!
Monsen. Ja. Trinken Sie vielleicht ein Glas mit?
Hejre. Nein, danke! Der Champagner, den Madam Rundholmen liefert –; na, ein Gläschen kann ich ja wohl zur Gesellschaft mittrinken; – hm, hm, wenn man nur ein Glas hätte!
Monsen. Bastian, geh und hol' ein Glas!
Bastian. Ach, Aslaksen, gehen Sie und holen Sie ein Glas!
Aslaksen ab ins Zelt. Pause.
Hejre. Die Herren genieren sich doch nicht meinetwegen? Ich möchte wirklich nicht –! Danke, Aslaksen! Begrüßt Stensgård. Ein fremdes Gesicht. Noch nicht lange hier. Vermutlich der Herr Obergerichtsanwalt Stensgård, wenn mich nicht alles täuscht.
Monsen. Ganz recht. Vorstellend. Obergerichtsanwalt Stensgård, Herr Daniel Hejre –
Bastian. Kapitalist.
Hejre. Richtiger gesagt: ehemaliger. Jetzt habe ich mich der ganzen Geschichte entledigt, – habe darauf Verzicht geleistet, könnte man sagen. Jawohl, kein Bankerotteur! Kreuzschwerenot, das müssen Sie nicht glauben.
Monsen. Trinken Sie, trinken Sie, so lange er noch schäumt!
Hejre. Aber Schuftereien, sehen Sie; Ränke und so weiter – genug! Na ja, ich will hoffen, es ist nur vorübergehend. Wenn ich meine älteren Prozesse und einige andere Affären los bin, so werde ich mir den hochwohlgeborenen Herrn Reineke eines Tages schon vornehmen. Prost! Stoßen Sie nicht mit drauf an? Was?
Stensgård. Darf ich mir zunächst die Frage erlauben, wer der hochwohlgeborene Herr Reineke ist?
Hejre. Hähä! Sie brauchen kein so verlegenes Gesicht zu machen. Sie glauben doch nicht etwa, ich spielte auf Herrn Monsen an? Herrn Monsen kann man doch nicht hochwohlgeboren nennen. Nein, ich meine den Kammerherrn Bratsberg, mein lieber junger Freund.
Stensgård. Was denn? In geschäftlicher Beziehung ist der Kammerherr doch gewiß ein Ehrenmann.
Hejre. So, meinen Sie, junger Mann? Hm, genug! Rückt näher. Vor einigen zwanzig Jahren war ich eine Tonne Goldes wert. Hatte ein großes Vermögen von meinem Vater geerbt. Sie haben wohl von meinem Vater gehört? Nein? Vom alten Matz Hejre? Sie nannten ihn Goldmatz. Er war Schiffsreeder; verdiente ein Heidengeld in der Privilegienzeit; ließ seine Fensterrahmen und Türpfosten vergolden; hatte die Mittel dazu; genug – deshalb nannten sie ihn Goldmatz.
Aslaksen. Vergoldete er nicht auch seine Schornsteine?
Hejre. Nein, das ist bloß 'ne Zeitungslüge – die ist übrigens lange vor Ihrer Zeit entstanden. Aber Geld verputzte er; und das hab' ich denn auch getan. Eine kostspielige Reise nach London –; haben Sie nicht von meiner Londoner Reise gehört? Ich nahm einen förmlichen Hofstaat mit; – haben Sie wirklich nie davon gehört? Nein? – Und was habe ich nicht weggeworfen für Kunst und Wissenschaft! Und wie hab' ich nicht junge Talente unterstützt!
Aslaksen steht auf. Besten Dank, meine Herren!
Monsen. Wie? Sie wollen fort?
Aslaksen. Ich will mir ein bißchen Bewegung machen. Ab.
Hejre mit gedämpfter Stimme. Das ist auch so einer. Dankt mir's wie alle andern, hähä! Wissen Sie wohl, daß ich ihn ein ganzes Jahr habe studieren lassen?
Stensgård. Wirklich? Aslaksen hat studiert?
Hejre. Wie der junge Monsen; – wurde nie was Ordentliches; – und wie – doch genug! Was ich sagen wollte, – ich mußte ihn aufgeben; bemerkte schon früh jenen unseligen Hang zu Spirituosen –
Monsen. Aber Sie sind ja ganz davon abgekommen, was Sie Herrn Stensgård über den Kammerherrn erzählen wollten.
Hejre. Ja, das ist 'ne weitläufige Historie. Als mein Vater auf dem Gipfel seines Glückes stand, da ging es bergab mit dem alten Kammerherrn, – dem Vater des jetzigen, verstehen Sie; denn der war auch Kammerherr –
Bastian. Natürlich; alles erbt sich hier fort.
Hejre. Und alle angenehmen Eigenschaften mit. Genug! Geldnot, – Unvorsichtigkeiten, Scherereien, die er sich Anno 1816 und später zuzog, zwangen ihn, sich seiner Ländereien stückweise zu entäußern –
Stensgård. Und Ihr Vater hat sie gekauft?
Hejre. Hat sie gekauft und bezahlt. Na, was geschieht? Ich trete die Erbschaft an, – mache tausenderlei Verbesserungen –
Bastian. Natürlich.
Hejre. Prost! – Tausenderlei Verbesserungen, wie gesagt; ich mache es in den Wäldern ein bißchen luftiger; eine Reihe von Jahren vergeht; – da kommt mein Herr Urian, – ich meine den jetzigen, – und macht den Handel wieder rückgängig!
Stensgård. Aber, verehrtester Herr Hejre, das hätten Sie doch verhindern können.
Hejre. Nicht so leicht! Er behauptete, ein paar kleine Formalitäten wären vergessen worden. Außerdem befand ich mich damals in momentaner Geldverlegenheit, die später allmählich chronisch wurde. Und wie weit kommt man wohl heutzutage ohne Kapitalien?
Monsen. Bei Gott, ein wahres Wort! Ja, in gewisser Beziehung kommt man auch mit Kapitalien nicht weit. Das habe ich fühlen müssen. Ja, selbst meine unschuldigen Kinder –
Bastian schlägt auf den Tisch. Vater, – hätte ich gewisse Leute hier!
Stensgård. Ihre Kinder, sagen Sie?
Monsen. Na ja; sehen Sie, zum Beispiel Bastian. Hat er nicht etwa was Tüchtiges gelernt?
Hejre. In drei Fächern! Zuerst als Student; dann als Maler; und dann um – nein, ist ja wahr – Zivilingenieur, das ist er ja.
Bastian. Jawohl, das bin ich, Donnerwetter!
Monsen. Jawohl, das ist er; das kann ich beweisen durch Rechnungen wie durch Examensatteste! Aber wer hat die städtischen Arbeiten gekriegt? Wer hat bei uns die Straßenbauten gekriegt, – zumal in den zwei letzten Jahren? Ausländer haben sie gekriegt – oder doch jedenfalls Fremde, – kurzgesagt, Leute, von denen man nichts weiß!
Hejre. Ja, es geht hier in allen Verhältnissen schandbar zu. Als man zu Neujahr einen Sparkassenverwalter brauchte, überging man Herrn Monsen und wählte ein Subjekt, das sich darauf verstand – hustet – das sich darauf verstand, den Daumen auf den Geldbeutel zu halten, was man unserm splendiden Wirt bekanntermaßen nicht nachsagen kann. Handelt es sich um ein Vertrauensamt in der Gemeinde, – genau dasselbe! Niemals Monsen, immer einer, der Vertrauen genießt – bei den Machthabern! Na, commune suffragium! wie es im römischen Rechte heißt; das will sagen, die Kommunalsachen gehen dabei in die Brüche. Pfui Teufel! Prost!
Monsen. Danke! Doch um auf etwas anderes zu kommen, – was machen denn Ihre vielen Prozesse?
Hejre. Die schweben noch immer; mehr kann ich Ihnen für den Augenblick nicht sagen. Ja, welchen Schikanen bin ich nicht deswegen ausgesetzt! Nächste Woche bin ich leider genötigt, den ganzen Magistrat vor die Vergleichskommission laden zu lassen.
Bastian. Ist es wahr, was die Leute sagen, daß Sie einmal sich selbst vor die Vergleichskommission geladen haben?
Hejre. Mich selbst? Ja, aber ich bin nicht erschienen.
Monsen. Haha! Sie sind nicht erschienen?
Hejre. Ich hatte einen gesetzlichen Abhaltungsgrund. Mußte Grönsund passieren, und das war unglücklicherweise in dem Jahr, wo Bastian die Brücke gebaut hatte; – Sie wissen ja, – plumps! – und sie ging ad undas –
Bastian. Da schlage doch ein Donnerwetter –!
Hejre. Ruhig Blut, junger Mann! Hier gibt's so viele, die den Bogen spannen, bis er bricht, – den Brückenbogen meine ich; alles erbt sich ja fort, – genug!
Monsen. Hahaha! Genug, – jawohl! Trinken Sie mal, – genug! Zu Stensgård. Sie hören, Herr Hejre hat unbeschränkte Redefreiheit.
Hejre. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist auch das einzige staatsbürgerliche Recht, auf das ich Wert lege.
Stensgård. Schade nur, daß die Gesetze dies Recht beschränken.
Hejre. Hähä! Dem Herrn Obergerichtsanwalt wässert vielleicht der Mund nach einem Injurienprozesse? Was? Lassen Sie die Hand davon, Verehrtester! Ich bin ein alter Praktikus!
Stensgård. Betreffs Injurien?
Hejre. Verzeihen Sie, junger Mann! Der Unwille, den Sie empfinden, macht Ihrem Herzen alle Ehre. Ich bitte Sie zu vergessen, daß ein alter Mann freimütig über Ihre abwesenden Freunde gesprochen hat.
Stensgård. Meine abwesenden Freunde?
Hejre. Der Sohn ist gewiß aller Ehre wert, – genug! Die Tochter auch. Und wenn ich beiläufig mich unterstand, den Charakter des Kammerherrn aufs Korn zu nehmen –
Stensgård. Des Kammerherrn? Den Kammerherrn und seine Familie, die nennen Sie meine Freunde?
Hejre. Ja, – denn bei seinen Feinden macht man doch keine Visiten, sollte ich meinen.
Bastian. Visiten?
Monsen. Was ist das?
Hejre. O weh, o weh! Da hab' ich gewiß was verraten, das –!
Monsen. Sie haben dem Kammerherrn eine Visite gemacht?
Stensgård. Unsinn! Verleumdung!
Hejre. In der Tat, höchst fatal! Aber wie konnte ich auch wissen, daß es ein Geheimnis ist? Zu Monsen. Übrigens dürfen Sie meine Worte nicht allzu buchstäblich nehmen. Wenn ich Visite sage, so meine ich nur eine Art formellen Besuch; – allerdings in Frack und mit gelben Glacés; aber was –
Stensgård. Und ich sage Ihnen, ich habe kein Sterbenswort mit der ganzen Familie gesprochen!
Hejre. Ist's möglich? Wurden Sie auch das zweite Mal nicht angenommen? Denn das erste Mal ließ man sich verleugnen, das weiß ich wohl.
Stensgård zu Monsen. Ich hatte ihm von jemand in Christiania ein Schreiben zu überbringen, – das ist alles.
Hejre aufstehend. Die Geschichte ist weiß Gott empörend! Kommt da ein junger, vertrauensseliger, unweltläufiger Mensch; sucht den erprobten Weltmann in seinem Haus auf; wendet sich an ihn, der sein Schäfchen im Trockenen hat, und möchte – genug! Der Weltmann schlägt ihm die Tür vor der Nase zu; man ist nicht zu Hause; – nein, man ist niemals zu Hause, wenn es gilt, – genug! Mit Heftigkeit. Aber obendrein ist es auch noch die schändlichste Grobheit!
Stensgård. Ach, hören Sie jetzt mit der langweiligen Geschichte auf.
Hejre. Nicht zu Hause! Er, der zu sagen pflegt: für anständige Leute bin ich immer zu Hause!
Stensgård. Sagt er das?
Hejre. Solch ein Maulheld. Herr Monsen wird auch nie angenommen. Aber ich begreife nicht, wodurch Sie sich seinen Haß zugezogen haben. Ja, Haß; denn wissen Sie, was ich gestern gehört habe?
Stensgård. Ich will nicht wissen, was Sie gestern gehört haben.
Hejre. Also Punktum! Die Äußerung hatte übrigens für mich nichts auffallendes, – im Munde des Kammerherrn Bratsberg! Ich kann nur nicht begreifen, weshalb er »Wühler« hinzusetzte.
Stensgård. Wühler?
Hejre. Wenn Sie mich denn durchaus zwingen, so muß ich gestehen, daß der Kammerherr Sie einen Wühler und Glücksritter genannt hat.
Stensgård aufspringend. Was denn?
Hejre. Wühler und Glücksritter, – oder Glücksritter und Wühler; ich kann mich nicht dafür verbürgen, in welcher Reihenfolge die Worte fielen.
Stensgård. Und das haben Sie selbst gehört?
Hejre. Ich? Wäre ich zugegen gewesen, Herr Rechtsanwalt, so würde Ihnen sicher nicht die Verteidigung gefehlt haben, die Sie verdienen.
Monsen. Da sehen Sie, was dabei herauskommt, wenn –
Stensgård. Wie kann der unverschämte Mensch sich erdreisten –?
Hejre. Na, na, na! Nicht so hitzig! Es war figürlich gemeint, – meinen Kopf zum Pfande. Vielleicht nur eine scherzhafte Wendung. Morgen können Sie sich ja eine Erklärung ausbitten. Sie sind doch zu dem großen Diner geladen, was?
Stensgård. Ich bin nirgendswo zum Diner geladen.
Hejre. Zwei Visiten und doch keine Einladung –!
Stensgård. Wühler und Glücksritter! Was kann er damit gemeint haben?
Monsen. Sehen Sie dorthin! Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit. Komm, Bastian!
Monsen und Bastian ab.
Stensgård. Was sollte denn das heißen, Herr Hejre?
Hejre. Kann Ihnen wirklich nicht mit einer Antwort dienen. – Sie leiden? Ihre Hand, junger Mann! Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit meinem Freimut verletzt habe. Glauben Sie mir, Sie haben noch manche bittere Erfahrung auf Ihrer Lebensbahn zu machen. Sie sind jung; Sie sind vertrauensselig und ohne Arg. Das ist schön, das ist sogar rührend; aber, aber, – Arglosigkeit ist Silber, Welterfahrung ist Gold; – das ist ein Sprichwort von meiner eigenen Erfindung, mein Bester. Gott befohlen! Ab.
Kammerherr Bratsberg, seine Tochter und Doktor Fjeldbo kommen von links.
Anders Lundestad am Rednerpult, schlägt mit dem Hammer auf, um sich Gehör zu verschaffen. Herr Ringdal hat das Wort!
Stensgård ruft: Herr Lundestad, ich verlange das Wort!
Lundestad. Später!
Stensgård. Nein, jetzt! Sofort!
Lundestad. Jetzt können Sie das Wort nicht bekommen. Herr Ringdal hat es.
Ringdal am Rednerpult. Geehrte Versammlung! In diesem Augenblicke haben wir die Ehre, den Mann mit dem warmen Herzen und der offenen Hand in unserer Mitte zu sehen, – ihn, zu dem wir seit langen Jahren wie zu einem Vater aufzuschauen gewohnt sind; – ihn, der immer bereit ist zu Rat und Tat; – ihn, dessen Tür sich niemals einem ehrenhaften Mitglied unserer Gesellschaft verschließt; – ihn – ihn –. Unser geschätzter Ehrengast liebt keine langen Reden, und deshalb ein Hoch und Hurra dem Kammerherrn Bratsberg und seiner Familie! Sie leben hoch! Hoch! Hurra!
Die Menge. Hoch! Hoch! Hurra!
Stürmischer Jubel; man umringt den Kammerherrn, der dankt und denen, die ihm zunächst stehen, die Hände drückt.
Stensgård. Habe ich jetzt das Wort?
Lundestad. Bitte. Das Rednerpult steht Ihnen zur Verfügung.
Stensgård auf den Tisch springend. Ich schaffe mir mein eigenes Rednerpult!
Die Jüngeren scharen sich um ihn. Hurra!
Der Kammerherr. Wer ist der unmanierliche Mensch?
Fjeldbo. Rechtsanwalt Stensgård.
Der Kammerherr. So, der!
Stensgård. Hört mich, Ihr festlich gestimmten Brüder und Schwestern! Hört mich, die Ihr des Freiheitstages Jubel und Sang, wenn auch noch gefesselt, in Euren Herzen habt. Ich bin ein Fremdling unter Euch –
Aslaksen. Nein!
Stensgård. Meinen Dank für dieses Nein! Ich nehme es als ein Zeugnis der Sehnsucht und des Strebens auf. Gleichwohl – ein Fremdling bin ich; aber geschworen sei's: hier stehe ich, und mein Herz schlägt stark und frisch für Euer Leid und Eure Lust, für Euren Kampf und Sieg. Fürwahr, hätte ich einige Macht darüber, so – so –
Aslaksen. Die haben Sie, Herr Rechtsanwalt!
Lundestad. Keine Unterbrechung! Sie haben nicht das Wort.
Stensgård. Sie noch weniger! Ich setze das Festkomitee ab! Freiheit am Freiheitstage, Kinder!
Die Jüngeren. Die Freiheit hoch!
Stensgård. Man will Euch die Zunge binden! Ihr habt es gehört. Man will Euch den Mund verbieten! Weg mit solcher Gewaltherrschaft! Ich will nicht hier stehen und Reden halten vor einem mundtot gemachten Haufen! Ich will sagen, was ich auf dem Herzen habe. Und das sollt Ihr auch. Wir wollen frei von der Leber weg reden.
Die Menge unter wachsendem Jubel. Hurra!
Stensgård. Nicht mehr diese leeren, zeremoniellen Festversammlungen! Eine goldne, tatenschwangere Saat soll künftig aus der Feier des siebzehnten Mai hervorsprießen. Mai! Das ist ja die Zeit des Keimens; das ist des Jahres junger, schwellender Jungfernmond. Am ersten Juni werden es gerade zwei Monate, daß ich mich hier unter Euch niedergelassen habe. Und was habe ich nicht Großes und Kleines, Häßliches und Tüchtiges hier gesehen!
Der Kammerherr. Wovon spricht er eigentlich, Doktor?
Fjeldbo. Von den lokalen Verhältnissen, wie Buchdrucker Aslaksen sagt.
Stensgård. Ich habe tief unten im Volke Fähigkeiten glänzen und leuchten sehen. Aber ich habe auch den Geist des Verderbens erblickt, der über diesen Fähigkeiten erdrückend lastet und sie nicht an die Oberfläche kommen läßt. Ja, ich habe junge, warme, vertrauensvolle Herzen herbeistürmen sehen, – aber auch Leute, die engherzig ihre Tür verschlossen haben!
Thora. O Gott!
Der Kammerherr. Was meint er damit?
Stensgård. Ja, Brüder und Schwestern in fröhlicher Zuversicht! Es liegt im Wetter, in der Luft ein Bann, ein Gespenst aus verwitterten Tagen, das Schwüle und Finsternis da verbreitet, wo Licht und freier Aufschwung sein sollten. In die Erde zurück mit dem Gespenst!
Die Menge. Hoch! Hoch der siebzehnte Mai!
Thora. Komm, Vater –!
Der Kammerherr. Was in aller Welt ist das für ein Gespenst? Doktor, wovon spricht er?
Fjeldbo hastig. Je nun, von – Flüstert ihm etwas ins Ohr.
Der Kammerherr. Aha! So? In der Tat?
Thora leise. Dank!
Stensgård. Will kein anderer den Drachen zerschmettern, so will ich es! Aber wir müssen zusammenhalten, Kinder!
Viele Stimmen. Ja! Ja!
Stensgård. Wir sind die Jugend. Wir gehören der Zeit; aber die Zeit gehört auch uns. Unser Recht ist unsere Pflicht! Die Ellenbogen frei für jeden Tatendrang, jeden Willen, dessen Ursprung Kraft ist! Hört mich! Wir wollen einen Bund stiften. Der Geldsack hat aufgehört zu herrschen in dieser Gegend!
Der Kammerherr. Bravo! Zum Doktor. Der Geldsack, sagte er; also doch wirklich –!
Stensgård. Ja, Kinder, wir, wir sind die Valuta, so wahr Erz in uns ist. Unser Wille, der ist das klingende Silber, das zwischen Mann und Mann gelten wird. Krieg und Niederlage jedem, der uns hindern will, uns auszumünzen!
Die Menge. Hurra!
Stensgård. Man hat mir soeben hier ein höhnisches Bravo ins Gesicht geschleudert –
Stensgård. Gleichviel! Weder Dank noch Drohung kümmert den, der da will, was er will. Und somit Gott befohlen! Ja, ihm! In seinem Geiste gehen wir ja doch an unser junges, vertrauensvolles Werk. Hinein denn in die Restauration! Noch in dieser Stunde wollen wir unsern Bund stiften!
Die Menge. Hurra! Tragt ihn! Tragt ihn! Man hebt ihn auf die Schultern.
Stimmen. Reden! Weiter! Weiter!
Stensgård. Halten wir zusammen, sage ich! Mit dem Bund der Jugend steht die Vorsehung im Bunde. Es liegt bei uns, ob wir die Welt regieren wollen – hier im Distrikt!
Er wird unter stürmischem Jubel ins Zelt getragen.
Madam Rundholmen wischt sich die Augen. Nein, was hat der Mann für ein Mundwerk am Leibe! War er nicht zum Küssen, Herr Hejre?
Hejre. Nein, ihn küssen, das möchte ich nun gerade nicht.
Madam Rundholmen. Sie! Das glaub' ich gern.
Hejre. Möchten Sie ihn vielleicht küssen, Madam Rundholmen?
Madam Rundholmen. Ach, Sie Abscheulicher!
Ab ins Zelt; Hejre folgt ihr.
Der Kammerherr. Gespenst – und Drache – und Geldsack! Das war schrecklich grob – aber es stimmte!
Lundestad nähert sich. Ich bedaure von ganzem Herzen, Herr Kammerherr –
Der Kammerherr. Ja, wo hatten Sie Ihre Menschenkenntnis? Na, na – das kann jedem passieren. Gute Nacht, Herr Lundestad, und vielen Dank für den heutigen Abend! Wendet sich zu dem Doktor und Thora. Aber zum Kuckuck, – gegen den prächtigen jungen Mann bin ich recht unhöflich gewesen.
Thora. Die Visite, meinst Du –?
Der Kammerherr. Zwei Visiten. Aber nur Lundestad ist Schuld; er hatte ihn mir als einen Glücksritter geschildert und als – als etwas, das ich vergessen habe. Na, glücklicherweise kann ich's wieder gut machen.
Thora. Wie –?
Der Kammerherr. Komm, Thora; wir wollen noch heut Abend –
Fjeldbo. Ach nein, Herr Kammerherr, lohnt es sich wohl –?
Thora leise. Pst!
Der Kammerherr. Hat man sich verhauen, so muß man's wieder gutmachen; das ist nur Pflicht und Schuldigkeit. Gute Nacht, Doktor! So habe ich doch noch eine vergnügte Stunde gehabt. Das ist mehr, als Sie mir heute bereitet haben.
Fjeldbo. Ich, Herr Kammerherr?
Der Kammerherr. Ach ja, ja, ja; – Sie und andere –
Fjeldbo. Dürfte ich fragen, was ich –?
Der Kammerherr. Herr Doktor, – keine Zudringlichkeit! Ich bin niemals zudringlich. Nun, übrigens in Gottes Namen, – gute Nacht!
Der Kammerherr und Thora entfernen sich nach links; Fjeldbo blickt ihnen gedankenvoll nach.
Aslaksen aus dem Zelte. He, Kellner! Tinte und Feder! Nun geht's los, Herr Doktor!
Fjeldbo. Was geht los?
Aslaksen. Stensgård stiftet den Bund. Er ist schon so gut wie gestiftet.
Lundestad hat sich sachte genähert. Unterschreiben viele?
Aslaksen. Wir haben jetzt ungefähr 37 Unterschriften, von Witwen und dergleichen abgesehen. Feder und Tinte, sage ich! Kein Kellner zu finden – daran sind die lokalen Verhältnisse Schuld.
Ab ins Zelt.
Lundestad. Puh, das war ein heißer Tag.
Fjeldbo. Ich fürchte, es wird noch heißere geben.
Lundestad. Glauben Sie, daß der Kammerherr sehr böse war?
Fjeldbo. Ach, durchaus nicht; das haben Sie doch gesehen. Aber was sagen Sie zu dem neuen Bunde?
Lundestad. Hm, ich sage nichts. Was soll man dazu sagen?
Fjeldbo. Aber das ist ja der Anfang zu einem Kampfe um die Macht hier im Distrikte.
Lundestad. Ja, ja! Kampf ist gut. Er ist ein Mann von großen Fähigkeiten, dieser Stensgård.
Fjeldbo. Und ein Mann, der vorwärts will.
Lundestad. Die Jugend will immer vorwärts. Ich wollte auch vorwärts, als ich jung war. Dagegen läßt sich nichts sagen. Aber man könnte vielleicht hineingehen –
Hejre aus dem Zelt. Nun, Herr Lundestad, wollen Sie hinein und interpellieren? Was? Opposition machen? Hähä! Dann müssen Sie sich beeilen.
Lundestad. Ich komme wohl noch immer früh genug.
Hejre. Zu spät, Liebster! Wenn Sie nicht Gevatter stehen wollen. Hurrarufe aus dem Zelte. Da singen die Küster Amen; nun ist der Taufakt vorüber.
Lundestad. Man darf doch wohl zuhören? Ich werde mich ruhig verhalten.
Geht hinein.
Hejre. Das ist auch so einer von den fallenden Stämmen! Viele andere noch werden zu Fall kommen! Es wird hier bald aussehen wie in einem Walde nach dem Sturm. Ei, das ist famos – famos ist das!
Fjeldbo. Aber sagen Sie mir, Herr Hejre, was kann Sie das eigentlich interessieren?
Hejre. Mich interessieren? Ich bin kein interessierter Mensch, Herr Doktor! Wenn ich mich freue, so freue ich mich, um meiner Mitbürger willen. Hier wird's jetzt Leben, Inhalt, Stoff geben! Für mich persönlich – das versteht sich – für mich kann es gleichgültig sein; ich sage, wie der Großtürke von dem Kaiser von Österreich und dem König von Frankreich sagte: »Es ist mir einerlei, ob das Schwein den Hund frißt oder der Hund das Schwein.«
Ab durch die Mitte rechts.
Die Menge im Zelte. Rechtsanwalt Stensgård soll leben! Er lebe hoch, hoch! Ein Hoch dem Bund der Jugend! Wein! Punsch! Heda, Wirtschaft! Bier! Hoch!
Bastian Monsen aus dem Zelte. Gott segne Sie und alle Menschen! Mit tränenerstickter Stimme. O, Doktor, ich fühle mich heute abend so stark. Ich muß etwas tun!
Fjeldbo. Genieren Sie sich nicht! Aber was wollen Sie tun?
Bastian. Ich denke, ich gehe auf den Tanzboden und prügle ein paar von meinen Freunden durch.
Ab hinter dem Zelt.
Stensgård kommt aus dem Zelte, ohne Hut und sehr aufgeregt. Lieber Fjeldbo, Du bist's?
Fjeldbo. Zu Diensten, Herr Volkstribun! Du bist doch wohl gewählt –?
Stensgård. Natürlich; aber –
Fjeldbo. Und was wird es nun weiter abwerfen? Welches Vertrauensamt in der Gemeinde? Den Posten eines Bankverwalters? Oder vielleicht –?
Stensgård. Ach, red' mir von so was nicht! Du meinst das ja gar nicht so. Du bist nicht so arm und leer an Gemüt, wie Du Dir gern den Anschein gibst.
Fjeldbo. Also schieß los!
Stensgård. Fjeldbo! Sei mir ein Freund wie früher! Es ist eine Entfremdung zwischen uns eingetreten. Du hattest so viel Unheimliches an Dir, – Spaß und Spott, – was mich abgestoßen hat. Ach, es war doch unrecht von mir! Umarmt ihn. O Gott, wie glücklich ich bin!
Fjeldbo. Du auch? Ich ebenfalls! Ich ebenfalls!
Stensgård. Müßte ich nicht die elendeste Kreatur auf Erden sein, wenn all der Segen mich nicht gut und brav machte? Womit habe ich das alles verdient, Du? Was habe ich sündiger Wicht getan, daß ich so reich begnadet worden bin?
Fjeldbo. Hier meine Hand! Wahrhaftig! Heut abend gefällst Du mir!
Stensgård. Ich danke Dir! Sei aufrichtig und treu. Auch ich werde es sein. – Ja, ist es nicht ein unbeschreibliches Glück, die große Menge so mit sich fortreißen zu können? Muß man nicht schon aus Dankbarkeit ein guter Mensch werden? Und wie muß man nicht alle Menschen lieben! Mir ist, als könnte ich sie alle an mein Herz drücken und sie weinend um Verzeihung bitten, weil Gott so parteiisch gewesen ist, mir mehr als ihnen zu geben.
Fjeldbo leise. Ja, so unaussprechlich viel wird dem einzelnen gegeben. Keinen Wurm, kein grünes Blatt am Wege könnte ich heute zertreten.
Stensgård. Du?
Fjeldbo. Punktum! Davon ist nicht die Rede. Ich will nur sagen, daß ich Dich verstanden habe.
Stensgård. Was für eine herrliche Nacht! Die Musik und der Jubel klingen weit über die Flur hinaus. Dort unten ist es stille. – Ja, der Mann, dessen Leben nicht von solch einer Stunde seine Weihe empfängt, verdient nicht auf Gottes Erde zu leben.
Fjeldbo. Ja, aber nun sag' mir, – was wollt Ihr jetzt weiter bauen, – morgen und so alltags weiter?
Stensgård. Bauen? Zuerst gilt es niederzureißen. – Du, Fjeldbo, mir hat einmal geträumt, – vielleicht sah ich es auch; – doch nein, ich träumte, aber so lebhaft! Mir war, als sei der Tag des Gerichtes auf Erden gekommen. Ich konnte das ganze Erdenrund sehen. Keine Sonne war da; nur ein gelbes Gewitterlicht. Da brach ein Sturm los; er fegte von Westen daher und fegte alles vor sich her; zuerst fegte er das dürre Laub fort, dann fegte er die Menschen mit sich fort; – aber sie hielten sich doch auf den Beinen. Die Mäntel umflatterten sie dicht, als sie wie in wilder Flucht dahinstoben! Zuerst sahen sie aus wie Bürgersleute, die im Winde ihren Hüten nachlaufen; aber als sie näher kamen, da waren es Kaiser und Könige; und was sie da im Laufe zu erhaschen suchten und nie erhaschten, so nahe daran sie auch immer waren, das waren Kronen und Reichsäpfel. Ach, zu Hunderten und aber Hunderten jagten sie vorbei, und niemand wußte, was vorgehe; aber viele jammerten und fragten: »Woher kommt nur dieser schreckliche Sturm!« Da erscholl die Antwort; eine Stimme sprach, und diese einzige Stimme weckte solchen Widerhall, daß dadurch der Sturm erregt wurde!
Fjeldbo. Wann hattest Du diesen Traum?
Stensgård. Ach, irgend einmal, – ich weiß nicht mehr recht; vor mehreren Jahren.
Fjeldbo. Es war gerade irgendwo in Europa Revolution, und da hattest Du schwer zu Abend gegessen und nachher die Zeitungen gelesen.
Stensgård. Denselben Schauder, der damals mir eiskalt den Rücken hinunterlief, den habe ich heut empfunden. Ja, ich werde tun, was meines Amtes ist. Ich will die Stimme sein –
Fjeldbo. Hör', lieber Stensgård, Du solltest Dir die Sache ruhig noch einmal überlegen. Du willst die Stimme sein, sagst Du. Gut! Aber wo willst Du die Stimme sein? Hier in der Vogtei? Oder, wenn es hoch kommt, im Amtsbezirke! Und wer soll das Echo sein, dessen Schall den Sturm erweckt? Leute wie Gutsbesitzer Monsen und Buchdrucker Aslaksen und das fettwanstige Genie, der Herr Bastian! Und statt der fliehenden Kaiser und Könige werden wir Herrn Lundestad sehen können, wie er seinem Reichstagsmandate nachläuft. Was wird dann die ganze Geschichte? Es wird, was es im Anfang Deines Traumes schien, – Spießbürger im Winde!
Stensgård. In nächster Nähe, ja! Aber niemand weiß, wie weit ein Gewitter einschlägt.
Fjeldbo. Hör' mir auf mit Deinem Gewitter! Und wenn es dahin kommt, daß Du, blind und verführt und mißleitet, wie Du bist, Deine Waffen gerade wider die Ehrenhaften und Tüchtigen unter uns kehrst –
Stensgård. Das ist nicht wahr!
Fjeldbo. Es ist wahr! Monsen auf Storli hat Dich mit Beschlag belegt, gleich nachdem Du hier ins Land gekommen; und machst Du Dich nicht von ihm frei, so wird es Dein Unglück sein. Kammerherr Bratsberg ist ein Ehrenmann; darauf kannst Du Dich verlassen. Weißt Du, weshalb Monsen ihn mit seinem Haß verfolgt? Nun, weil –
Stensgård. Kein Wort weiter! Kein einziges Wort, das meine Freunde kränkt!
Fjeldbo. Frag' ehrlich Dich selbst, Stensgård! Ist Herr Mons Monsen wirklich Dein Freund?
Stensgård. Der Gutsbesitzer Monsen hat mir mit größter Zuvorkommenheit sein Haus geöffnet –
Fjeldbo. Er öffnet vergebens sein Haus den Besseren hier am Orte.
Stensgård. Pah! Wen nennst Du die Besseren? Ein paar großmäulige Beamte! Ich weiß das wohl. Aber was mich betrifft, so hat man mich auf Storli mit einer Liebenswürdigkeit und Anerkennung aufgenommen –
Fjeldbo. Anerkennung; ja leider, – da sind wir bei dem Kernpunkte.
Stensgård. Durchaus nicht! Ich bin Manns genug, um unbefangen zu sehen. Monsen hat Fähigkeiten, ist belesen, hat Sinn für die öffentlichen Angelegenheiten.
Fjeldbo. Fähigkeiten? Nun ja, in seiner Art. Auch ist er belesen – er hält Zeitungen und hat sich daraus gemerkt, welche Reden Du gehalten und was für Artikel Du geschrieben hast. Und daß er Sinn für die öffentlichen Angelegenheiten hat, das hat er natürlicherweise dadurch bekundet, daß er Deinen Reden wie Deinen Zeitungsartikeln beipflichtet.
Stensgård. Sieh, Fjeldbo, da tritt wieder Deine innerste Natur hervor. Kannst Du denn gar nicht Deinen Gedankengang von diesem Schmutz reinhalten? Weshalb immer schlechte oder lächerliche Beweggründe voraussetzen? Aber nein, Du meinst das ja gar nicht so! Jetzt siehst Du wieder so treuherzig aus. Nun sollst Du das Beste hören – den wirklichen Kernpunkt. Kennst Du Ragna?
Fjeldbo. Ragna Monsen ? Ja, – gewissermaßen aus zweiter Hand.
Stensgård. Sie kommt zuweilen in das Haus des Kammerherrn.
Fjeldbo. In aller Heimlichkeit. Sie und Fräulein Bratsberg sind Freundinnen seit der Konfirmationszeit.
Stensgård. Nun, und was hast Du für einen Eindruck von ihr?
Fjeldbo. Nach allem, was ich von ihr gehört habe, muß sie ein ganz vortreffliches Mädchen sein.
Stensgård. O, Du solltest sie daheim sehen. Sie hat keinen andern Gedanken als ihre beiden kleinen Geschwister. Und wie soll sie erst ihre Mutter gepflegt haben! Du weißt, die Mutter war in ihren letzten Lebensjahren gemütskrank.
Fjeldbo. Ja, gewiß; ich war da selber eine Zeitlang Arzt. Aber sag', lieber Freund, Du bist doch wohl nicht –
Stensgård. Ja, Fjeldbo, ich liebe sie wirklich; Dir kann ich es sagen. Ich begreife recht gut Dein Erstaunen. Du findest es auffällig, daß ich so schnell, nach – nicht wahr, Du weißt, daß ich in Christiania verlobt gewesen bin?
Fjeldbo. Man hat es mir erzählt.
Stensgård. Das ganze Verhältnis war ein Irrtum. Ich mußte es lösen; es war für alle Teile das beste. Glaub' mir, ich habe genug darunter gelitten; ich fühlte mich gedrückt und gequält –. Na, Gott sei Dank, jetzt bin ich aus der Geschichte heraus. Das war auch der Grund, warum ich von dort weggezogen bin.
Fjeldbo. Und Ragna Monsen gegenüber bist Du Deiner selbst sicher?
Stensgård. Ja, das bin ich! Hier ist keine Täuschung möglich.
Fjeldbo. Nun denn, mach' in Gottes Namen Ernst! Das ist ein großes Glück! O, ich könnte Dir so vieles sagen –
Stensgård. Wirklich, das kannst Du? Hat sie etwas geäußert? Vielleicht zu Fräulein Bratsberg?
Fjeldbo. Du verstehst mich nicht. Aber wie ist es möglich, daß Du bei alledem hingehen und in politischen Orgien schwelgen kannst? Daß der Stadtklatsch Eingang findet in ein Gemüt, das –
Stensgård. Und warum nicht? Der Mensch ist doch keine so durchaus einseitige Maschine. Ich bin's jedenfalls nicht. Überdies, – eben durch diese Kämpfe und Balgereien geht der Weg zu ihr.
Fjeldbo. Ein verflucht trivialer Weg!
Stensgård. Fjeldbo, ich bin ehrgeizig; das weißt Du. Ich muß vorwärts in der Welt. Wenn ich daran denke, daß ich dreißig Jahr alt bin und noch am Anfang meiner Laufbahn stehe, so fühle ich den Zahn des Gewissens in mir nagen.
Fjeldbo. Aber es ist nicht sein Weisheitszahn.
Stensgård. Es ist zwecklos, mit Dir davon zu reden. Du hast nie diesen Stachel, diesen aufreizenden Trieb gefühlt. Du bist Dein Lebtag ein ganz phlegmatischer Mensch gewesen, – als Student, beim Examen, im Auslande, und jetzt hier –
Fjeldbo. Ach ja, vielleicht; aber jedenfalls habe ich mich sehr wohl dabei befunden. Und es folgt keine Erschlaffung nach, wie man sie empfindet, wenn man vom Tisch heruntersteigt, nachdem –
Stensgård. Alles lass' ich Dir hingehen, – nur das nicht! Du verübst eine schlechte Tat mit solchen Reden. Du raubst mir die gehobene Stimmung –
Fjeldbo. Weißt Du was, – wenn Deine gehobene Stimmung so locker sitzt –
Stensgård. Hör' auf, sage ich! Was für ein Recht hast Du, in mein Glück einzubrechen? Hältst Du mich etwa nicht für ehrlich?
Fjeldbo. Weiß Gott, ich halte Dich dafür!
Stensgård. Na, was soll denn das heißen, daß Du mich verzagt und verdrießlich und mißtrauisch gegen mich selbst machst? Lärm und Hochrufe im Zelt. Hör' nur, höre! Sie trinken meine Gesundheit! Was so viele packen kann, beim Allmächtigen, das muß wahr sein!
Fräulein Bratsberg, Fräulein Monsen und Kandidat Helle von links; sie gehen über den freien Platz in der Mitte.
Helle zu Fräulein Bratsberg. Sehen Sie, Fräulein! Da steht Herr Stensgård gerade.
Thora. So, dann verlass' ich Sie. Gute Nacht, Ragna! Gute Nacht! Gute Nacht!
Helle und Fräulein Monsen. Gute Nacht! Gute Nacht!
Rechts ab.
Thora nähertretend. Ich bin die Tochter des Herrn Bratsberg. Ich habe einen Brief an Sie von Papa.
Stensgård. An mich?
Thora. Bitte sehr, hier ist er.
Will gehen.
Fjeldbo. Darf ich Sie nicht begleiten?
Thora. Nein, danke; begleiten Sie mich nicht! Gute Nacht!
Ab nach links.
Stensgård liest bei einer Papierlaterne. Was heißt das!
Fjeldbo. Nun, mein Lieber? Was schreibt der Kammerherr?
Stensgård bricht in Lachen aus. Das hätte ich in der Tat nicht erwartet!
Fjeldbo. Aber so sag' doch –?
Stensgård. Der Kammerherr Bratsberg ist doch ein erbärmlicher Kerl!
Fjeldbo. Und das wagst Du –
Stensgård. Jämmerlich, jämmerlich! Das kannst Du jedem wieder sagen, der's hören will. Übrigens, laß gut sein. Steckt den Brief ein. Es bleibt unter uns!
Die Gesellschaft kommt aus dem Zelt.
Monsen. Herr Vorsitzender! Wo ist Herr Stensgård?
Die Menge. Da steht er! Hoch!
Lundestad. Herr Obergerichtsanwalt haben Ihren Hut vergessen.
Reicht ihm den Hut.
Aslaksen. Bitte schön, – hier ist Punsch! Eine ganze Bowle!
Stensgård. Danke – ich habe genug.
Monsen. Und die Mitglieder wollen, bitte, nicht vergessen, daß wir uns morgen bei mir auf Storli versammeln, um –
Stensgård. Morgen? Es war doch nicht morgen –
Monsen. Ja, gewiß; um das Rundschreiben zu genehmigen, das –
Stensgård. Morgen paßt es mir wirklich nicht –. Vielleicht übermorgen oder den Tag drauf. Na, gute Nacht, meine Herren! Herzlichen Dank für den heutigen Tag, und ein Hoch auf die Zukunft!
Die Menge. Hoch! Wir begleiten ihn nach Hause!
Stensgård. Danke, danke! Sie sollen wirklich nicht –
Aslaksen. Wir gehen alle mit!
Stensgård. Sei es denn! Gute Nacht, Fjeldbo; Du gehst nun wohl nicht mit?
Fjeldbo. Nein, aber das sage ich Dir: was Du über den Kammerherrn Bratsberg geäußert hast –
Stensgård. Pst, Pst! Es war übertrieben im Ausdruck. Schwamm drüber! – Also, meine verehrten Freunde, wollt Ihr mit, so kommt! Ich gehe voran!
Bastian. Sänger, stimmt an! Etwas recht Patriotisches!
Die Menge. Gesang! Gesang! Musik!
Ein Volkslied wird gespielt und gesungen. Der Zug marschiert rechts nach dem Hintergrunde ab.
Fjeldbo zu Lundestad, der zurückgeblieben ist. Eine stattliche Gefolgschaft!
Lundestad. O ja. Aber auch ein stattlicher Führer!
Fjeldbo. Und wohin gehen Sie, Herr Lundestad?
Lundestad. Ich? Ich gehe nach Haus und lege mich aufs Ohr.
Er grüßt und geht. Fjeldbo bleibt allein zurück. Der Vorhang fällt.