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»Das Fest auf Solhaug« habe ich in Bergen geschrieben, im Sommer 1855, also ungefähr vor 28 Jahren.
Das Stück wurde daselbst den 2. Januar 1856 in einer Festvorstellung zur Erinnerung an den Stiftungstag der norwegischen Bühne zum ersten Mal aufgeführt.
Ich war damals Instruktor am Bergener Theater und leitete so die Einstudierung meines Stückes selber. Es erfuhr eine vorzügliche, in seltenem Maße stimmungsvolle Darstellung. Mit Lust und Hingebung wurde es gespielt und ebenso auch aufgenommen. »Die Bergener Lyrik«, die, wie verlautet, die letzten politischen Wahlen da oben entschieden haben soll, war an jenem Theaterabend in dem vollen Hause ungewöhnlich stark vertreten. Die Vorstellung endete mit zahlreichen Hervorrufen des Verfassers und der Schauspieler. Später am Abend brachte mir die von einem großen Teil des Publikums begleitete Kapelle ein Ständchen vor meinen Fenstern. Ich glaube beinahe, ich ließ mich dazu hinreißen, eine Art Ansprache an die Versammlung zu halten; jedenfalls – das weiß ich – fühlte ich mich sehr glücklich.
Ein paar Monate später wurde »Das Fest auf Solhaug« in Christiania aufgeführt. Auch dort wurde es vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen, und Björnson schrieb den Tag nach der ersten Aufführung im »Morgenblatt« einen jugendlich warmen, liebenswürdigen Artikel darüber. Es war eigentlich kein Bericht, auch keine Kritik – es war vielmehr eine stimmungsreiche, freie Phantasie, eine dichterische Improvisation über das Stück und über die Vorstellung.
Aber dann kam die richtige Kritik, besorgt von den richtigen Kritikern.
Wie wurde man zu jener Zeit – ich meine in den Jahren von 1850 bis etwa 1860 – in Christiania ein richtiger Literaturkritiker und namentlich ein richtiger Theaterkritiker?
Ja, das ging in der Regel so zu: Nach einigen vorbereitenden Übungen im »Gesellschafsblatt« und nach häufigerer Teilnahme an den Diskussionen, die nach den Theaterabenden in Treschows Café oder »bei Ingebret« gepflogen wurden, begab sich der werdende Kritiker in Johann Dahls Buchhandlung und ließ sich aus Kopenhagen ein Exemplar von J. L. Heibergs »Prosaschriften« kommen, die, wie er hatte sagen hören, eine »Über das Vaudeville« betitelte Abhandlung enthielten. Diese Abhandlung wurde dann gelesen, in grübelndem Geiste erwogen und vielleicht auch zum Teil verstanden. Durch jene Schriften wurde man des weiteren mit einer Polemik bekannt, die Heiberg seinerzeit mit Professor Oehlenschläger und dem Dichter Hauch in Sorö geführt hatte. Ebenfalls bei dieser Gelegenheit erfuhr man, daß J. J. Baggesen (der Verfasser der »Gespensterbriefe«) schon früher einen ähnlichen Feldzug gegen den großen Dichter von »Axel und Valborg« und »Hakon Jarl« eröffnet hatte.
Vieles andere noch, was einem Kritiker nützlich zu wissen war, ließ sich diesen Schriften entnehmen. Man lernte z. B. daraus, daß ein rechter Kritiker im Namen des Geschmacks verpflichtet ist, an jedem Hiatus Anstoß zu nehmen. Wurde in den Versen hier und da ein solches Ungeheuer angetroffen, so konnte man sicher sein, daß die jungen kritisierenden Hieronymusse Christianias, ganz wie Holbergs Hieronymus, ihr »Potztausend, die Welt steht nicht mehr bis Ostern!« ausriefen.
Und dann hatte damals die Kritik der norwegischen Hauptstadt noch eine besondere Eigentümlichkeit, über deren Ursprung ich mir lange den Kopf zerbrochen habe. Unsere Kritiker pflegten nämlich jedesmal, wenn ein neu auftretender Schriftsteller ein Buch herausgab oder ein kleines Theaterstück auf die Bühne brachte, in unbändigen Zorn zu geraten und sich zu gebärden, als ob durch die Herausgabe des Buches oder die Aufführung des Stückes ihnen und den Zeitungen, für die sie schrieben, eine blutige Beleidigung zugefügt würde. Wie gesagt, ich habe lange über dieses sonderbare Benehmen nachgegrübelt. Endlich wurde mir die Sache klar. Beim Lesen der dänischen »Monatsschrift für Literatur« nämlich wurde ich darauf aufmerksam, daß seinerzeit den alten Staatsrat Molbech ein schwerer Zorn zu überkommen pflegte, wenn in Kopenhagen ein junger Dichter ein Buch herausgab oder ein Schauspiel auf die Bühne brachte.
So, oder doch ungefähr so, war der Gerichtshof beschaffen, der sich nun in der Tagespresse vornahm, »Das Fest auf Solhaug« vor die Schranken der Kritik zu stellen. Er war zum größten Teil aus jungen Leuten zusammengesetzt, die im Betrachte der Kritik gemeinhin auf Borg lebten. Ihre kritischen Gedanken waren längst von anderen gedacht und ausgesprochen, ihre Meinungen längst anderswo formuliert worden. Geborgt war ihre ganze ästhetische Theorie; geborgt war ihre ganze kritische Methode; geborgt war von Anfang bis Ende, im Großen wie im Kleinen die polemische Taktik, deren sie sich bedienten. Ja sogar ihre Gemütsstimmung, sie war geborgt. Geborgt, geborgt war alles. Das einzige Originale dabei war, daß sie das Geborgte immer und ewig verkehrt und zur Unzeit anbrachten.
Daß dieses Kollegium, dessen Mitglieder ihr Dasein von Anlehen fristeten, bei mir als Dichter etwas Ähnliches voraussetzen zu müssen glaubte, kann niemand wundernehmen. Eine Zeitung oder zwei da oben, möglicherweise auch mehr, fanden denn auch ganz prompt heraus, daß ich dies und das Henrik Hertzens Schauspiel »Svend Dyrings Haus« entlehnt hätte.
Diese kritische Behauptung ist grundlos und unzutreffend. Offenbar hat die Anwendung des Versmaßes der Kaempeviser in beiden Stücken sie veranlaßt. Aber bei mir ist der sprachliche Ton ganz anders als bei Hertz; die Ausdrucksweise hat in beiden Stücken ein ganz verschiedenes Klanggepräge. Über dem Rhythmischen in meinem Stücke weht eine leichte Sommerluft; über dem Rhythmischen bei Hertz lastet es wie Herbstwetter.
Auch was die Charaktere, die Handlung oder überhaupt den tatsächlichen Inhalt angeht, so findet sich keine andere oder doch keine größere Ähnlichkeit als die, die notwendig daraus folgt, daß der Stoff beider Stücke dem engen Vorstellungskreis der Kaempeviser entnommen ist.
Mit ebensoviel oder wohl noch mit größerem Recht könnte man behaupten, Hertz habe in »Svend Dyrings Haus« hier und da etwas, und zwar gar nicht so wenig, Heinrich von Kleists »Käthchen von Heilbronn« entlehnt, das zu Beginn dieses Jahrhunderts geschrieben worden ist. Käthchens Verhältnis zum Grafen Wetter vom Strahl deckt sich in allem Wesentlichen mit Ragnhilds Verhältnis zum Ritter Stig Hvide. Ebenso wie Ragnhild wird auch Käthchen von einer rätselhaften, unerklärlichen Macht getrieben, dem Manne, den sie liebt, auf allen seinen Wegen zu folgen, ihm heimlich nachzuschleichen, sich willenlos in seiner Nähe hinzulegen und zu schlafen, mit Naturnotwendigkeit zu ihm zurückzukehren, so oft sie auch fortgejagt wird. Auch sonst greift das Übernatürliche bei Kleist wie bei Hertz noch auf mancherlei Weise ein.
Aber zweifelt jemand daran, daß es mit einigem guten oder bösen Willen nicht möglich wäre, in der noch älteren dramatischen Literatur ein Schauspiel aufzutreiben, von dem behauptet werden könnte, ihm habe Kleist Verschiedenes für sein »Käthchen von Heilbronn« entnommen? Ich zweifle jedenfalls nicht daran. Doch dergleichen nachzuweisen wäre müßig. Das, was ein Kunstwerk zum geistigen Eigentum seines Urhebers macht, ist der Stempel seiner eigenen Persönlichkeit, den er dem Werke aufdrückt. Ich meine deshalb, daß trotz der angedeuteten Ähnlichkeiten »Svend Dyrings Haus« ebenso unbestritten und ausschließlich ein Originalwerk Henrik Hertzens, wie »Käthchen von Heilbronn« ein Originalwerk Heinrich von Kleists ist.
Dasselbe Recht nehme ich auch für mein »Fest auf Solhaug« in Anspruch. Ich hoffe nicht minder, man wird in Zukunft jeden der drei Namensvettern ungeschmälert im Besitz dessen lassen, was ihm zu Recht gehört.
Georg Brandes hat gelegentlich das Verhältnis des »Festes auf Solhaug« zu »Svend Dyrings Haus« so dargestellt, als sei mein Stück zwar nicht auf irgend einem Anlehen aufgebaut, aber doch unter einer Einwirkung, einem Einfluß des älteren Dichters auf den jüngeren entstanden. Seine Äußerungen über meine Arbeit sind im übrigen so wohlwollend, daß ich allen Grund habe, ihm dafür, wie für so vieles andere, dankbar zu sein.
Nichtsdestoweniger aber muß ich daran festhalten, daß die Sache in Wirklichkeit sich auch nicht so verhält, wie Brandes sie aufgefaßt hat. Henrik Hertz hat als dramatischer Dichter mich niemals sonderlich angesprochen. Es will mir darum nicht in den Kopf, daß er, mir unbewußt, irgend welchen Einfluß auf meine eigene dramatische Produktion ausgeübt haben könnte.
An diesem Punkt und in Verbindung hiermit könnte ich mich darauf beschränken, auf Dr. Valfrid Vasenius, Dozenten der Ästhetik an der Universität Helsingfors, hinzuweisen. Sowohl in seiner Doktordissertation »Henrik Ibsens dramatiska diktning i dess första skede« (1879) als auch in seinem Werke »Henrik Ibsen, ett skaldeporträtt« (343 Seiten. Jos. Seligmann & Comp., Stockholm 1882) hat er seine Grundanschauung über das hier behandelte Schauspiel entwickelt, - in der letztgenannten Schrift noch unter Berücksichtigung dessen, was ich ihm vor drei Jahren bei einem Zusammensein zu München in aller Kürze mitgeteilt habe. Hierauf könnte ich, wie gesagt, hinweisen.
Aber der Ordnung halber will ich doch selbst auf den folgenden Blättern die Entstehungsgeschichte des »Festes auf Solhaug« in großen Zügen erzählen.
Hier ist sie:
Ich habe diese Vorrede mit der Erklärung eingeleitet, daß das Stück im Sommer 1855 verfaßt worden ist.
Im Jahre vorher hatte ich »Frau Inger auf Oestrot« geschrieben. Die Arbeit an diesem Drama hatte mich genötigt, mich literarisch und historisch in das norwegische Mittelalter, namentlich in dessen spätere Epoche zu vertiefen. Ich versuchte, so gut es ging, mich in die Sitten und Gebräuche jener Zeiten einzuleben, in das Gefühlsleben ihrer Menschen, in ihre Denkungsart und Ausdrucksweise.
Diese Periode ist jedoch nicht ansprechend genug, um lange bei ihr zu verweilen; sie bietet auch nicht sonderlich viel Stoff, der sich zu dramatischer Behandlung eignete.
Ich flüchtete denn auch bald zur eigentlichen Sagazeit hinüber. Aber die Königssagas und überhaupt die strengeren historischen Überlieferungen aus diesem fernen Zeitalter fesselten mich nicht; ich konnte damals für meine dichterischen Zwecke von den Streitigkeiten zwischen Königen und Häuptlingen, zwischen Parteien und Gefolgschaften als Dramatiker keinen Gebrauch machen. Das sollte erst später kommen.
In reichem Maße dagegen fand ich in den isländischen Familiensagas, was ich zur menschlichen Einkleidung der Stimmungen, Vorstellungen und Gedanken brauchte, die mich damals erfüllten oder mir doch mehr oder minder klar vorschwebten. Diese altnordischen literarischen Beiträge zur Personalgeschichte unserer Sagazeit hatte ich bisher nicht gekannt, kaum noch nennen hören. Da fiel mir durch einen Zufall N. M. Petersens hinsichtlich des sprachlichen Tons jedenfalls vortreffliche Übersetzung in die Hände. Aus diesen Familienchroniken mit ihren wechselnden Verhältnissen und Auftritten zwischen Mann und Mann, zwischen Weib und Weib, überhaupt zwischen Menschen und Menschen schlug mir ein persönlicher, voller, lebendiger Lebensgehalt entgegen; und aus diesem meinem Zusammenleben mit all jenen abgeschlossenen, einfachen, persönlichen Naturen entstand in meinem Geiste der erste rohe, unbestimmte Entwurf zu den »Helden auf Helgeland«.
Wie viel von den Einzelheiten sich damals in mir ausgestaltet hat, weiß ich heute nicht mehr anzugeben. Aber erinnere ich mich recht wohl, daß die zwei Gestalten, die zuerst meinen Blick auf sich zogen, die beiden Frauen waren, aus denen später Hjördis und Dagny wurden. Ein großes Festgelage mit aufreizenden Reden und verhängnisvollem Zusammenstoß sollte in dem Stücke vorkommen. Im übrigen wollte ich von Charakteren, Leidenschaften und gegenseitigen Verhältnissen all das aufnehmen, was mir als am meisten typisch für das Leben der Sagazeit erschien. Mit einem Wort, – ich wollte einfach, was in der Völsungensaga episch umgedichtet worden war, dramatisch wiedergeben.
Irgend einen vollständigen, zusammenhängenden Plan habe ich damals wohl nicht entworfen. Doch stand es klar vor mir, daß ein solches Schauspiel das erste sein müßte, was nun geschrieben würde.
Allein da kam mancherlei dazwischen. Das meiste davon, und vermutlich das zunächst und am stärksten Entscheidende, war wohl persönlicher Natur; aber ich glaube doch, es war nicht ganz ohne Bedeutung, daß ich eben damals Landstads Sammlung »Norwegischer Volkslieder«, die ein paar Jahre vorher erschienen war, eingehend studierte. Die Stimmungen, in denen ich mich damals befand, vertrugen sich besser mit der literarischen Romantik des Mittelalters als mit den Tatsachen der Sagas, besser mit der Versform als mit dem Prosastil, besser mit dem sprachmusikalischen Element der Kaempevise als mit dem charakterisierenden der Saga.
So geschah es, daß sich der formlos gärende Entwurf zu der Tragödie »Die Helden auf Helgeland« vorläufig in das lyrische Drama »Das Fest auf Solhaug« umgesetzt hat.
Die beiden Frauengestalten der geplanten Tragödie, die Pflegeschwestern Hjördis und Dagny, wurden in dem ausgeführten lyrischen Drama zu den Schwestern Margit und Signe. Die Abstammung dieses zuletzt genannten Paares von den Frauen der Saga wird leicht in die Augen fallen, wenn man erst darauf aufmerksam geworden ist. Die Familienähnlichkelt ist unverkennbar. Der damals nur flüchtig gezeichnete Held der Tragödie, der weitgereiste und an fremden Königshöfen wohl aufgenommene Häuptling, der Wiking Sigurd, formte sich in den Rittersmann und Sänger Gudmund Alfsön um, der auch lange in fremden Landen umhergezogen war und am Hof des Königs gelebt hatte. Seine Stellung zu den beiden Schwestern wurde gemäß dem Wandel der Zeitumstände und Verhältnisse geändert; aber die Stellung beider Schwestern ihm gegenüber blieb im wesentlichen dieselbe wie in der ursprünglich geplanten und später ausgeführten Tragödie. Das verhängnisvolle Festgelage, an dessen Schilderung mir bei meinem ersten Entwurf so viel gelegen war, wurde in dem Drama der Schauplatz, auf dem die Personen durchweg auftraten. Es bildete den Hintergrund, von dem sich die Handlung abhob, und teilte dem Gesamtbilde die Grundstimmung mit, die ich beabsichtigt hatte. Der Schluß des Stückes wurde natürlich seiner Art gemäß, als der eines Dramas und nicht einer Tragödie, gedämpft und gemildert; aber unter strenggläubigen Ästhetikern dürfte gleichwohl darüber gestritten werden können, ob in diesem Schluß nicht ein Zug von unvermittelter Tragik zurückgeblieben ist, als ein Zeugnis von des Dramas Ursprung.
Hierauf werde ich jedoch nicht weiter eingehen. Ich habe nur aufrecht erhalten und feststellen wollen, daß das vorliegende Schauspiel, ebenso wie alle meine übrigen dramatischen Arbeiten, ein naturnotwendiges Ergebnis meines Lebensganges an einem bestimmten Punkte ist. Es ist von innen heraus entstanden und nicht irgendwie durch äußeren Ansporn oder Einfluß.
So und nicht anders verhält es sich mit der Entstehung des »Festes auf Solhaug.«
Rom, im April 1883
HENRIK IBSEN