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Erstes Kapitel

Die Luft, die unter den Kronen der Lindenbäume lag, hatte sich über die braune Heide und die dürftigen Äcker hingewiegt; sie war von der Sonne durchglüht und von den Wegen bestäubt; aber jetzt war sie von dem dichten Laubgehänge gereinigt, gekühlt von den frischen Lindenblättern, und der Duft der gelben Lindenblüten hatte sie feucht gemacht und ihr Fülle verliehen. Jetzt lag sie da und blinzelte selig hinauf in die lichtgrüne Wölbung, geliebkost von leise zitternden Blättern und von dem flimmernden Flügelschlag weißgelber Schmetterlinge.

Die Menschenlippen, die diese Luft einatmeten, waren schwellend und frisch, der Busen, den sie hob, war jung und zart. Der Busen war zart, und der Fuß war zart, die Taille schmal, der Wuchs schlank, und es lag eine gewisse magere Kraft in der ganzen Gestalt. Üppig war nur das weiche, dunkelgüldene Haar, das zur Hälfte aufgebunden war und zur Hälfte lose herabhing; denn die kleine, dunkelblaue Sammethaube war heruntergeglitten und hing am Halse an ihren geknoteten Kinnbändern gleich einer kleinen Mönchskapuze auf den Rücken hinab. Sonst war nichts Klösterliches an der Kleidung; ein breiter und gerade geschnittener Linnenkragen fiel auf ein lavendelfarbenes Zwillichkleid mit kurzen und weiten, aufgeschlitzten Ärmeln herab; daraus hervor brauste ein Paar großer Bauschärmel aus seinem, holländischem Linnen. Eine hochrote Schleife saß auf der Brust, und hochrote Schleifen schmückten die Schuhe.

Sie ging, die Hände auf dem Rücken und mit vornübergebeugtem Kopf. Mit spielenden, zierlichen Schritten ging sie langsam den Steig hinauf, aber nicht geradeaus, sie ging in Windungen; bald war sie im Begriff, auf der einen Seite gegen einen Baum zu stoßen, bald war sie nahe daran, zwischen die Bäume auf der andern Seite zu geraten. Hin und wieder stand sie einmal still, schüttelte das Haar von den Wangen und sah zu dem Licht empor. Der gedämpfte Schein verlieh ihrem kinderweißen Gesicht einen mattgüldenen Ton, der die bläulichen Schatten unter den Augen weniger sichtbar machte; die roten Lippen wurden purpurbraun, und die großen blauen Augen wurden fast schwarz. Sie war wirklich allerliebst: eine gerade Stirn, eine schwachgebogene Nase, eine kurze, scharfgeschnittene Unterlippe und ein festes, rundes Kinn, seingerundete Wangen und ganz kleine Ohren und rein und scharf gezeichnete Brauen ... Sie lächelte im Gehen, leicht und gedankenlos, dachte an nichts und lächelte in Harmonie mit allem um sie her. Sie kam an das Ende des Steiges, blieb stehen und begann, sich auf dem Absatz herumzuschwingen, halb nach rechts und halb nach links, beständig mit den Händen auf dem Rücken, den Kopf gerade, den Blick emporgewandt, und sie summte eintönig und abgebrochen, im Takt mit ihrem Schwingen.

Es lagen zwei Granitfliesen da und bildeten Treppenstufen nach dem Garten hinab, nach dem Garten und dem grellen weißen Sonnenlicht. Der wolkenfreie, bläulichweiße Himmel sah gerade in ihn hinab, und das bißchen Schatten, das da war, hielt sich dicht an den Fuß der beschnittenen Buchsbaumhecken. Es blendete, selbst die Hecke stand da und sprühte das Licht aus ihren blanken Blättern in scharfen, weißen Blitzen von sich. Das Ambra schleppte sich in weißen Schnörkeln aus und ein, hin und her um durstige Balsaminen, Boberellen, Goldlack und Nelken, die dastanden und die Köpfe zusammensteckten wie Schafe auf offnem Felde. Die Erbsen und die Bohnen dort an der Lavendelreihe waren nahe daran, vor Wärme von den Stangen zu fallen; die Ringelblumen hatten den Widerstand aufgegeben und standen da und sahen der Sonne gerade ins Gesicht, aber die Mohnblüten hatten ihre großen, roten Blumenblätter abgeworfen und standen mit den kahlen Stengeln da.

Das Kind in der Lindenallee sprang über die Stufen hinab, lief durch den sonnenheißen Garten, mit gesenktem Kopf, so wie man bei Regenwetter über einen Hofplatz läuft. Sie stürzte auf ein Dreieck von dunklen Taxusbäumen zu, schlüpfte hinter ihnen herum und ging dann in die große Laube, die ein Überbleibsel aus der Zeit der Belows war. Einen weiten Rundkreis von Rüstern hatten sie oben zusammengeflochten, soweit die Zweige reichten, und das runde Loch in der Mitte hatten sie mit Latten und Sparren vergittert. Schlingrosen und welsche Kaprifolien wuchsen üppig empor zwischen dem Laubwerk der Rüstern und dichteten gut, aber auf der einen Seite waren sie mißraten, und der Hopfen, der nachgepflanzt war, hatte die Zweige der Rüstern verkrüppelt und vermochte selber nicht, das Loch zu schließen.

Vor dem Eingang zu der Laube lagen zwei weißbemalte Meerpferde; drinnen standen eine lange, hölzerne Bank und ein Tisch. Die Platte des Tisches war aus Stein; groß und oval war sie gewesen, jedoch das meiste davon lag an der Erde in drei Stücken, nur ein kleines viertes lag lose über der einen Ecke des Tischrahmens. Daran setzte sich das Kind, zog die Beine auf die Bank herauf, lehnte sich zurück und kreuzte die Arme. Sie schloß ihre Augen und saß ganz still; es traten ein paar kleine Runzeln auf die Stirn, von Zeit zu Zeit bewegte sie die Augenbrauen und lächelte leicht:

»In dem Gemach mit den roten Purpurteppichen und dem vergoldeten Alkoven liegt Griseldis zu den Füßen des Markgrafen, aber er stößt sie von sich; eben hat er sie von dem warmen Lager in die Höhe gezerrt, jetzt öffnet er die schmale rundbogige Tür, und die kalte Luft strömt herein auf die arme Griseldis, die an der Erde liegt und weint, und es ist nichts zwischen dem kalten Nachthauch und ihrem warmen, weißen Leibe als das dünne, dünne Linnen. Doch er jagt sie hinaus und verschließt die Tür hinter ihr. Und sie preßt die nackte Schulter gegen die kalte, glatte Tür und schluchzt und hört ihn weich gehen dadrinnen auf den Teppichen des Fußbodens, und durch das Schlüsselloch kommt das Licht von der duftenden Kerze und setzt sich wie eine kleine, runde Sonne auf ihren entblößten Busen. Und sie schleicht sich fort und steigt die dunkle Marmortreppe hinab, und es ist ganz still, sie hört nichts weiter als den weichen, klappenden Laut ihrer nackten Füße auf den durchfrorenen, steinernen Stufen. Und dann kommt sie hinaus. Der Schnee ... nein, es regnet, es regnet in Strömen, und das schwere, kalte Wasser plätschert ihr auf die Schultern nieder; das Linnen klebt fest an ihrem Leibe, und das Wasser treibt herab an ihren nackten Beinen, und sie tritt mit den zarten Füßen in den weichen, kalten Schlamm, der unter der Fußsohle zur Seite gleitet. Und der Wind ... die Büsche zerren an ihr und zerreißen ihr Kleid ... nein, sie hat ja kein Kleid an ... wie sie meinen braunen Rock zerrissen! – Es muß gewiß schon Nüsse im Fastruper Hain geben, alle die Nüsse, die auf dem Viborger Markt waren ... Gott weiß, ob Ane Ruhe in ihren Zähnen bekommen hat ... Nein! Bruhnhilde! – Das wilde Roß sprengt dahin ... Bruhnhilde und Grimmild – Königin Grimmild winkt den Männern zu, wendet sich um und geht davon. Und sie schleppen Königin Bruhnhilde herbei, und ein untersetzter, schwarzer Bursch mit dicken, langen Armen, so einer wie Bertel im Schlagbaumhaus, nimmt ihren Gürtel und zerreißt ihn, und er streift ihr das Gewand und das Unterkleid ab, und mit seinen schwarzen Fäusten streicht er ihr die goldenen Ringe von den weißen, weichen Armen, und ein großer, halbnackter, brauner und zottiger Gesell legt seinen behaarten Arm um ihre Taille, und mit seinen plumpen, breiten Füßen tritt er ihr die Sandalen ab, und Bertel wickelt ihre langen, schwarzen Locken um seine Hand und zieht mit ihr davon, und sie folgt ihm mit vornübergebeugtem Leibe, und der Große legt seine schweißigen Handflächen auf ihren nackten Rücken und schiebt sie vorwärts, vorwärts hin zu dem schwarzen, schnaubenden Hengst, und sie werfen sie nieder in den grauen Staub des Weges, und sie knüpfen den langen Schweif des Pferdes um ihre Knöchel ...«

Und dann kamen die Runzeln wieder und blieben lange da, sie schüttelte den Kopf und sah immer verdrießlicher aus, und endlich schlug sie die Augen auf, richtete sich halb in die Höhe und sah müde und mißmutig um sich.

Die Mücken tanzten dort vor der Öffnung zwischen den Hopfenranken, und von da draußen, vom Garten her, trieb stoßweise ein Duft von Krauseminze und Melisse und hin und wieder ein Duft von Dill und Anis herein. Eine kleine närrische, gelbe Spinne lief kribbelnd über ihre Hand hin und veranlaßte sie, von der Bank aufzuspringen. Sie ging auf den Eingang zu und langte nach einer Rose, die oben in dem Laubwerk saß, konnte sie aber nicht erreichen. Dann ging sie hinaus und pflückte von den Schlingrosen; je mehr sie pflückte, um so eifriger wurde sie, und bald hatte sie den Rock voll. Sie trug sie in die Laube und setzte sich an den Tisch. Eine nach der andern nahm sie aus dem Schoß und legte sie auf die Steinplatte, dicht nebeneinander, und bald war der Stein verborgen unter einer rosenfarbenen, duftenden Schicht.

Die letzte Rose war genommen; sie glättete die Falten des Rockes, und die losen Blütenblätter und die grünen Blätter, die sich in die Wolle des Kleides festgesetzt hatten, strich sie ab und blieb dann sitzen, die Hände im Schoß, und betrachtete den Rosenflor.

Dieser Blütenton, der sich in Licht und Schatten kräuselte, vom Weiß, das errötet, bis zum Rot, das blaut, vom feuchten Rosa, das fast schwer ist, bis zu einem Lila so leicht, daß es kommt und geht, als schwebe es in der Luft. – Jedes einzelne, gerundete Blütenblatt, anmutig gewölbt, weich im Schatten, doch im Licht mit tausenden kaum sichtbaren Funken und Blitzen; mit all seinem holden Rosenblut, in Adern gesammelt und in die Haut zerstreut ... und dann der schwere, süße Duft, der treibende Brodem des roten Nektars, der auf dem Kelchgrunde der Blume braut.

Schnell streifte sie ihre Ärmel auf und tauchte die nackten Arme in die milde, feuchte Kühle der Rosen hinein.

Sie wühlte damit in den Rosen herum, die mit losgelösten Blättern zur Erde flatterten, dann sprang sie auf und fegte mit einer Bewegung alles das weg, was auf dem Tische war, und ging in den Garten hinaus, an ihren Ärmeln zupfend. Mit glühenden Wangen und hastigen Schritten ging sie die Steige hinab und hinaus, und langsam an dem Gartenwall entlang, auf den Fahrweg zu. Auf dem war, kurz vor der Einfahrt zum Hofe, ein Fuder Heu umgestürzt; mehrere Fuder hielten dahinter und konnten nicht vorwärts kommen. Der Verwalter prügelte den Kutscher mit einem braunen Stock, dessen Politur in der Sonne glänzte.

Der Laut der Schläge machte einen unheimlichen Eindruck auf das Kind; sie hielt sich die Ohren zu und ging hastig nach dem Hof hinauf. Die Kellertür zum Brauhaus stand offen; sie schlüpfte da hinein und schlug die Tür hinter sich zu.

Das war die vierzehnjährige Marie Grubbe, die Tochter von Herrn Erik Grubbe auf dem Tjeler Edelhof.


Das blaue Licht der Dämmerung lag über Tjele. Der Tau war gefallen und hatte dem Heueinfahren ein Ende gemacht. Die Mägde des Hofes waren im Stall und molken; die Knechte rumorten im Wagenschuppen und in der Geschirrkammer herum; die Fronbauern standen in Scharen vor dem Tor und warteten darauf, zum Abendbrot zusammengeläutet zu werden.

In dem offenen Fenster stand Erik Grubbe und sah auf den Hofplatz hinaus; langsam und eines nach dem andern kamen die Pferde, ganz frei von Geschirr und Halfter, zur Stalltür heraus und gingen nach dem Wassertrog. Mitten auf dem Hofe stand ein Junge mit roter Mütze an einem der Portalsteine und setzte neue Zähne in seinen Rechen, und hinten in einer Ecke spielten zwei junge Windhunde Haschen zwischen dem hölzernen Pferd und dem großen Schleifstein.

Wie die Zeit vorrückte, kamen die Knechte immer häufiger in den Stalltüren zum Vorschein, sahen sich um und zogen sich pfeifend oder trällernd zurück, eine Magd mit gefülltem Milcheimer kam in schnellem, kleinschrittigem Stapfen über den Hof, und die Fronbauern begannen, sich in das Tor hineinzuschieben, als wollten sie die Abendbrotglocke zur Eile antreiben. Unten aus der Küche schallte ein stärkeres Tummeln und Rasseln mit Eimern, Schüsseln und Bricken, dann wurden ein paar kräftige Züge an der Glocke getan, und sie schüttelte zwei Abteilungen rostiger Töne von sich, die jedoch bald erstarben in dem Holzschuhgeklapper und dem Geräusch von Türen, die gegen die Rahmen schurrten. Und dann war der Hof leer, nur die beiden Hunde standen da und kläfften um die Wette zum Tor hinaus.

Erik Grubbe zog das Fenster zu und setzte sich bedächtig nieder. Er saß in der Winterstube. Die benutzten sie im Sommer wie im Winter sowohl als Wohnstube als auch als Eßstube, sie hielten sich fast nie in anderen Räumen als in diesem auf. Es war ein geräumiges, zweifenstriges Zimmer mit hohem Brustpaneel aus dunklem Eichenholz, die Wände waren mit einer Täfelung aus holländischen Steingutfliesen bekleidet, sie waren glasiert, weiß im Grunde und mit großen, blauen Rosen bemalt. Der Kamin war aus gebrannten Mauersteinen aufgemauert, eine Truhe war vor die Öffnung gestellt, sonst würde es ziehen, wenn man durch die Türen ging. Ein Tisch aus poliertem Eichenholz mit zwei großen, halbrunden Klappen, die fast bis auf den Fußboden hinabhingen, einige hochlehnige Stühle mit Sitzen aus hartem, blankgeschlissenem Leder und ein kleiner, grüngemalter Schrank, der hoch oben an der Wand hing, – weiter war nichts dadrinnen.

Wie Erik Grubbe jetzt in der Dämmerung dasitzt, kommt seine Haushälterin, Ane Jensdatter, mit einem Licht in der einen Hand und einem Stüberchen euterwarmer Milch in der andern, herein. Das Stüberchen stellt sie vor ihn hin, sie selbst setzt sich an den Tisch, und das Licht stellt sie vor sich hin, doch läßt sie den Leuchter nicht los, sondern sitzt da und dreht ihn herum mit ihrer großen, roten Hand, die von vielen Ringen und großen Steinen glitzert.

»Ach ja, ja ja, ja ja!« sagte sie, während sie sich setzte.

»Nun, was gibts?« fragte Erik Grubbe und sah sie an.

»Na, man dörpt doch woll stöhnen, wenn man sick afmaracht hät, dat man knapp miehr bi Sinn un Verstand is!«

»Ja, geschäftige Zeiten! – Die Leute müssen in den Sommermonaten die Wärme erjagen, mit der sie in den Wintermonaten warm dasitzen wollen.«

»Ja! Ji hewt god snaken! Äwersens allens hät sine Grenzen. De Räders in' Grawen und de Diksel in't Gras führen, dat is 'n slichtes Führen. Ick möt allens sülwst dohn. De Dirns sünd alltohop to nix nich' to bruken; Lewesgeschichten und Dörpsnak, ja, dorup verstahn se sik; dohn se wat, denn maken se dat verkiehrt, un' dahn warden möt dat und zworstens gründlich; un wer anners möt dat denn dohn as ick. Wulburg is krank, und Stine und Buel, de Dammeldirns, de stahn dor un' rackern sich af, dat se sweten ward, un kamen dorbi doch nich ut de Stell. Man künn ja doch ok 'n beten Hülp von Mari hebben, wenn Ji man mit ehr snaken wullt, owers de dörpt jo nix nich anfaten.«

»Nun, nun; du redest dich ja von Atem und Verstand und um die Landessprache obendrein. Beklag dich nicht über mich, klage dich lieber selbst an; hättest du diesen Winter Geduld mit Marie gehabt und sie recht glimpflich angelernt und ihr den rechten Griff für alles gezeigt, dann würdest du jetzt Nutzen von ihr gehabt haben; aber du hattest keine Geduld, du warst heftig, und sie ward trotzig, ihr waret ja kurz davor, euch bei lebendigem Leibe zu zerreißen. Es ist, weiß Gott, mehr als Dank wert, daß die Sache jetzt ein Ende hat.«

»Ja, so is dat nu! Nehmt Ji man Mari in' Schutz, Ji west jo ok de nächste dorto; äwersten, wenn Ji ehr in' Schutz nehmt, denn nehm ik min in' Schutz, Ji mögt det nu krumm nehmen oder dohn, wat Ji willt, weten sallt Ji dat doch, dat dor mihr Obstinatschigkeit in Mari is, as womit se dörch de Welt kamen kann. Äwer dat is nur ehr Sak, blots dat se so boshaft is – ja! Ji seggt nee, äwerst se is boshaft, nie nich kann se de lütt Ane in Ro laten, nie nich; se föhrt öwer ehr her mit Knuffen und Puffen un böse Wühr, solang as de Dag is; dat arme Göhr künn sik würklich wünschen, det se nie up de Welt kamen wier, un det künn ick mi ok man wünschen, un ick wünsch mi dat ok, so bedrövelich as dat ok is. Ach, du leewe Herrgott, seh in Gnaden up uns dahl. Ji west nich de sülwig Vadder för de beiden Kinners, öwers dat versteiht sich, allens wat recht is, de Vadder ehre Sünden sall'n heimsöcht warden an de Kinners bet in't drürre un vierte Glied, un de Mudder ehre Sünden likerwelts, un de lütt Ane is ja man blots 'n Hurenkind, – ja! ick sägg dat grad herut, se is 'n Hurenkind, 'n Hurenkind vör Gott un Minschen; – öwers Ji, da Ji ehr Vadder wesen deit, Ji süllt Jug schämen, dat süllt Ji – ja, det segg ick, un' wenn Ji dorüm ok Hand an mi leggen wullt, as den Micheliabend for twe Johr, Ji sallt Jug wat schämen, ja, pfui, schämen sallt Ji Jug, dat egen Kind föhlen laten, dat se in Sünden empfangen is, un Ji lat ehr dat föhlen, Ji und Mari ok, Ji lat' ehr un mi dat föhlen, ja, un wenn Ji mi ok slagen doht, – Ji lat ehr dat föhlen ...«

Erik Grubbe sprang auf und stampfte hart auf den Fußboden.

»Schandpfahl und Rad! sag ich, bist du denn ganz von Sinn und Verstand, Weib? – Du bist betrunken, das bist du, raus mit dir und leg dich auf dein Bett und schlaf dir den Rausch und die Galle weg! Du verdientest, daß ich dich hinter die Ohren schlüg, du wütig Weibsbild! – nein, kein Wort mehr! – Marie soll fort, morgen am Tage soll sie von hier fort – Frieden will ich haben in diesen Friedenszeiten!«

Ane schluchzte laut.

»Ach Gott, ach Gott! dat mi dat passieren möt! Ne ewige Schand. Mi dat Supen beschülligen! Bün ick ok man een Mal in all de Tid, dat wi uns kennt heben un all de Tid vörher mit 'n dußeligen Kopp in de Köck rümgahn? Häwt Ji mi ok man een Mal tüderigen Kram snaken hürt? Wo is de Stell, wo Ji mi duhn hewt liggen sehn? Dat is de Dank, den man hat! Ick mi 'n Swips wegslapen! – Ja, Gott gew, dat ick inslapen künn, Gott gew, dat ick dor vor Jug henfallen dehr, vör Jug, de Ji Spott und Scham öwer mi bringen doht ...«

Die Hunde da draußen auf dem Hofe schlugen an, und unter den Fenstern ertönte Hufschlag.

Ane trocknete hastig ihre Augen, und Erik Grubbe öffnete das Fenster und fragte, wer da sei.

»Ein reitender Bote aus Fovsing«, antwortete einer von den Knechten des Hauses.

»Dann nimm sein Pferd und laß ihn hier hereinkommen«, und damit wurde das Fenster geschlossen.

Ane setzte sich im Stuhl zurecht und beschattete die rotgeweinten Augen mit der Hand.

Und dann kam der Bote herein und brachte Gruß und Freundschaft von dem Stiftsamtmann Christian Skeel auf Fovsing und Odden, der vermelden ließ, daß er heute eine Stafette erhalten habe, daß der Krieg unter dem ersten Juni erklärt sei; derohalben sei es notwendig, daß er um verschiedener Ursache willen nach Aarhus ziehe und von dort möglicherweise nach Kopenhagen, und er lasse nun dieserhalb fragen, ob Erik Grubbe ihm das Geleite geben wolle, soweit die Umstände die Fahrt bestimmen würden, sie könnten alsdann die Sache zu Ende führen, die sie gemeinsam gegen ein paar Aarhuser Leute anhängig gemacht hätten, und in Bezug auf Kopenhagen, so wisse der Stiftsamtmann, daß Erik Grubbe dort mehr als genug Geschäfte habe. Auf alle Fälle wolle er, Christian Skeel, gegen vier Uhr nach Mittag auf Tjele sein. Erik Grubbe sagte hierauf, daß er zur Reise bereit sein werde.

Mit dem Bescheid ritt dann der Bote heim.

Nun redeten Ane und Erik Grubbe lange darüber, was geschehen sollte, während er abwesend war, und es wurde denn auch bestimmt, daß Marie mit nach Kopenhagen reisen und dort bei ihrer Vaterschwester Rigitze ein Jahr oder auch zwei verbleiben sollte.

Der nahe bevorstehende Abschied hatte sie beide ruhiger gestimmt, aber der alte Zwist war nahe daran, wieder zu entstammen, als sie darauf zu sprechen kamen, welche von den Schmucksachen und Kleidern ihrer seligen Mutter Marie mit sich führen sollte; das wurde jedoch in Güte geordnet, und Ane ging früh schlafen, da es wohl notwendig sein konnte, daß der morgende Tag so lang wie möglich gemacht wurde.

Nach einer Weile meldeten die Hunde neue Gäste.

Diesmal war es jedoch kein anderer als der Gemeindepfarrer von Tjele und Vinge: Herr Jens Jensen Paludan.

Mit einem: »Guten Abend allhie!« trat er ein.

Er war ein breitschulteriger, starkknochiger Herr mit langen Gliedern und gebeugtem Kopf; rundrückig war er auch, und sein Haar war dicht wie ein Krähennest, graugesprenkelt und verfilzt, und sein Gesicht hatte eine wunderlich starke, gleichmäßige und zugleich reine, blaßrote Farbe, die nicht gar gut zu den groben, knolligen Gesichtszügen und den buschigen Brauen paßte.

Erik Grubbe bat ihn, sich zu setzen, und fragte, wie es mit seiner Heuernte stehe. Die Unterhaltung drehte sich dann eine Weile um die wichtigsten Feldarbeiten der Jahreszeit und erstarb in einem Seufzer über den schlechten Kornertrag des vergangenen Jahres.

Der Pfarrer saß da und schielte eifrig nach dem Stüberchen hinüber und sagte dann: »Ew. Wohlgeboren sind immer sonderlich mäßig! halten sich immer an natürliche Getränke. – Ist auch das gesundeste; frisch gemolkene Milch ist ein Segen des Himmelreichs, das ist es, für einen schwachen Magen wie auch für eine enge Brust.«

»Freilich! Gottes Gaben sind alle gut, mögen sie uns zugemolken oder gezapft werden. – Ihr sollt jetzt eine Tonne echter Mumme kosten, so wir letzthin aus Viborrig hereinkommen ließen; sie ist sowohl gut als auch deutsch, wiewohl ich nicht entdecken kann, daß der Zöllner sie gestempelt hat.«

Bierkrüge und eine große Schneppenkanne aus Ebenholz und mit silbernen Ringen verziert, wurden aufgetragen.

Und dann tranken sie einander zu.

»Heydenkamper! echter, adeliger Heydenkamper!« rief der Pfarrer mit einer Stimme aus, die vor Begeisterung und Rührung zitterte; und als er sich selig in den Stuhl zurücklegte, hatte er fast Tränen in den Augen.

»Ihr seid ein Kenner, Herr Jens!« schmunzelte Erik Grubbe.

»Ach was Kenner! wir sind von gestern und wissen nichts,« murmelte der Pfarrer geistesabwesend; »übrigens denke ich daran,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »ob es wohl seine Richtigkeit mit dem haben sollte, was ich mir von dem Brauhaus der Heydenkamps habe erzählen lassen. – Ein Freimeister hat es mir erzählt, einmal dort oben in Hannover, zu der Zeit, als ich mit Junker Jörgen reiste. Seht! er sagte, sie begönnen mit ihrem Brauen immer in einer Freitagsnacht, aber ehe irgend jemand Erlaubnis erhalte, Hand an irgend etwas zu legen, müsse er zu dem Altgesellen gehen und seine Hände auf das große Gewicht legen und bei Feuer und Blut und Wasser schwören, daß er keine gehässigen und bösen Gedanken mit sich herumtrüge, denn dieses würde dem Bier Schaden tun. Er erzählte auch, daß am Sonntagmorgen, wenn die Kirchenglocken zu gehen anhüben, sie alle Türen und Fenster und Luken weit öffneten, damit es über das Bier hinläuten könne; das Fürnehmste aber, das werde getan, wenn das Bier hingesetzt wäre, um zu gären; dann käme der Meister selbst mit einer prächtigen Lade, aus selbiger zöge er schwere, goldene Ringe und Ketten und köstliche Steine, auf denen eigenartige Zeichen seien, und das würde alles in das Bier hineingelegt; und das kann man sich ja denken, daß solcherlei edle Reichtümer dem Trunk Los und Anteil an den geheimen Kräften geben müssen, so von Natur an in ihnen wohnen.«

»Ja, darüber kann man nicht gut etwas wissen,« meinte Erik Grubbe, »ich habe nun mehr Glauben zu dem Braunschweiger Hopfen und dem andern Kräuterwerk, so sie hinzusetzen.«

»Hm!« sagte der Pfarrer ernsthaft und schüttelte den Kopf, »das dürfen wir nicht sagen, da ist viel Verdecktes in dem Reich der Natur, das ist ganz sicher. Jedes Ding, tot wie lebendig, hat sein Mirakulum in sich, es kommt nur darauf an, daß man Geduld hat zu suchen und offne Augen zu finden, – ach, in alten Tagen, als noch nicht so lange Zeit verflossen war, seit Gott der Herr seine Hände von der Erde genommen hatte, da war jedes Ding so angefüllet von Gottes Kraft, daß Heilung und alles Gute, ewig wie zeitlich, aus ihm entsprang; jedoch jetzt, wo das Erdreich nicht mehr fein noch neu ist und entheiliget von den Sünden mannigfaltiger Geschlechter, jetzt machen sie sich nur bei besonderen Gelegenheiten bemerkbar, zu gewissen Stunden und an gewissen Stätten, wann merkwürdige Himmelszeichen zu gewahren sind; das sagte ich auch vorhin zu dem Schmied, als wir dastanden und von dem gräulich stammenden Schein redeten, so in den letzten Nächten ringsum an dem halben Himmel zu sehen gewesen ist. – Übrigens kam damals gerade eine reitende Stafette an uns vorüber – hier hinauf, glaube ich!«

»So war es, Herr Jens.«

»Er ritt wohl mit nichts anderem, als was gut war?«

»Er ritt damit, daß der Krieg jetzt erkläret ist.«

»Herr Jesus, nein wirklich! – ja, ja, einmal mußte es ja kommen.«

»Ja, aber haben sie so lange gewartet, hätten sie auch warten können, bis die Leute ihre Ernte geborgen haben.«

»Es sind wohl die Schooninger, die es beschleunigt haben; sie spüren noch den sauren Schmerz von dem letzten Krieg und erwarten, daß sie das süße Jucken in diesem fühlen werden.«

»Ach, es sind nicht die Schooninger allein, die Seelandsfahrer wollen allzeit Krieg, sie wissen ja wohl, daß sie immer verschonet bleiben, – ja, es sind gute Zeiten für Schelme und Toren, wenn die Räte des Reichs alle miteinander toll sind.«

»Sie sagen ja freilich, daß der Marschall nur ungern daran wollte.«

»Ja, das glaub der Teufel! – es kann ja freilich doch sein; aber man spürt es nur sehr schwach, wenn Ruhe in einem Ameisenhaufen gepredigt wird, – nun, Krieg haben wir, und da gilt es, daß ein jeder das Seine hütet. Da ist genug zu tun nach allen Richtungen hin.«

Das Gespräch kam dann auf die bevorstehende Reise und drehte sich nun eine Zeitlang um die schlechten Wege, kehrte nach Tjele zurück zu Mastvieh und Stallfütterung und ging wieder auf Reisen. Sie hatten währenddes keineswegs die Kanne vernachlässigt, das Bier war ihnen arg zu Kopf gestiegen, und Erik Grubbe, der gerade von seiner Fahrt nach Ceylon und Ostindien mit der »Perle« erzählte, hatte Mühe, durch sein eigenes Lachen hindurchzukommen, jedesmal, wenn ihm eine neue Possierlichkeit einfiel.

Der Pfarrer wurde immer ernsthafter, je weiter die Zeit vorrückte; er lag zusammengesunken in dem Stuhl, aber hin und wieder schüttelte er mit dem Kopf, sah wütend vor sich hin und bewegte die Lippen, als spräche er; gestikulierte darauf mit der einen Hand, eifriger und eifriger, bis er versehentlich auf den Tisch auftrumpfte; dann sank er wieder zusammen, mit einem erschrockenen Blick zu Erik Grubbe hinüber. Endlich, als sich der bei der Schilderung eines über alle Maßen einfältigen Küchenjungen festgefahren hatte, gelang es dem Pfarrer, sich aufzurichten, und mit einer dumpfen, feierlichen Stimme begann er zu reden.

»Wahrlich,« sagte er, »wahrlich! ich will es mit meinem Mund bezeugen – mit meinem Mund – daß Ihr ein Ärgernis und ein Gegenstand des Ärgernisses seid – es wäre Euch besser, Ihr würdet ins Meer geworfen – wahrlich! mit einem Mühlstein und zwei Tonnen Malz – zwei Tonnen Malz, die schuldet Ihr mir, das bezeuge ich feierlich und mit meinem Mund, – zwei gehäufte Tonnen Malz und in meinen eigenen, neuen Säcken – denn es waren nicht meine Säcke – niemals in alle Ewigkeit – es waren Eure eigenen, alten Säcke, und meine neuen, die behieltet Ihr – und es war verdorbenes Malz, – wahrlich! sehet die Ruchlosigkeit des Verderbens, und die Säcke gehören mir, und ich will es Euch heimzahlen – die Rache ist mein, sage ich. – Zittert Ihr nicht in Eurem alten Gebein – Ihr alter Lüderjan! – christlich solltet Ihr leben – ist das christlich, mit Ane Jensdatter zu leben und sie einen christlichen Gemeindepfarrer betrügen zu lassen? – Ihr seid ein – Ihr seid ein – christlicher Lüderjan – ja –«

Erik Grubbe hatte beim Anfang der Rede des Pfarrers über das ganze Gesicht gelächelt und freundschaftlich seine Hand über den Tisch hinüber nach ihm ausgestreckt, später stieß er mit dem Ellbogen aus, als wolle er einen unsichtbaren Zuhörer in die Seite puffen, damit er sehen solle, wie unbezahlbar trunken der Pfarrer war; aber allmählich muß er eine Art Verständnis für die Rede bekommen haben, denn er wurde auf einmal kreideweiß im Gesicht und nahm die Schneppenkanne und warf sie nach dem Pfarrer, der rücklings in den Stuhl sank und von da auf den Boden niederglitt. Er fiel jedoch nur vor Schrecken, denn die Kanne erreichte ihn nicht, sie blieb am Rande der Tischplatte liegen; der Inhalt trieb über den ganzen Tisch und rann in kleinen Strömen auf den Fußboden und auf den Pfarrer herab.

Das Licht war im Leuchter niedergebrannt und flackerte, daß es bald hell im Zimmer war und bald so dunkel, daß die blaue Morgendämmerung zu den Fenstern hereinsah.

Noch immer sprach der Pfarrer. Den einen Augenblick war seine Stimme tief und drohend, den andern pfeifend und winselnd.

»Da sitzet Ihr in Gold und Purpur, und ich liege hier, und die Hunde lecken meine Schwären – und was legtet Ihr in Abrahams Schoß? – welches Opfer brachtet Ihr dar? – Ihr legtet nicht ein silbernes Achtschillingstück in den Schoß des christlichen Abraham. – Und jetzt werdet Ihr schwer gepeinigt – allein keiner soll Eurethalben seinen Finger ins Wasser tauchen,« und er schlug mit der Hand in das verschüttete Bier, »ich aber wasche meine Hände – alle beide – ich habe Euch gewarnt, – hi, – da gehet Ihr – ja, da gehet Ihr in Sack und Asche – in meinen beiden neuen Säcken – Malz...«

Er lallte noch eine Weile, dann schlief er ein, aber Erik Grubbe machte währenddes einen Versuch, sich zu rächen; er umklammerte die Stuhllehne krampfhaft, machte sich lang und stieß aus Leibeskräften gegen das Tischbein, in der Hoffnung, daß es der Pfarrer sei.

Bald regte sich nichts mehr, man vernahm nur das Schnarchen der beiden alten Herren und das einförmige Plätschern des Bieres, das noch immer von der Tischplatte heruntertropfte.


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