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Der Kormak, von dem hier erzählt werden soll, war der Sohn von Ogmund, Kormaks Sohn, und wohnte zu der Zeit, zu der die Erzählung beginnt, am Midfjord auf Island mit seinem Bruder Thorgils bei Dalla, ihrer Mutter. Agmund war damals gestorben, und Dalla bewirtschaftete den Hof, da sie aber alt war, so lastete der Betrieb hauptsächlich auf den Söhnen.
Thorgils, der Ältere, war schweigsam und verschlossen, hatte den rechten Griff für die Arbeit und auch Lust dazu, wurde hierin auch nicht von Kormak gehindert, der lieber an dem Brettspiel saß, als Vieh großzog, lieber mit Frauen sprach als mit Knechten und mehr daran dachte, was entschwundene Zeiten an Sagen und Liedern gebracht hatten, als was die kommenden an Ertrag und Fang bringen würden. Er war überhaupt anders als die meisten Leute zu jener Zeit, und von ihm galt in Wahrheit das Wort, daß er den Frieden nur als Mangel an Streit und schlichte Worte als Mißwuchs in Liedern kannte.
Eines Tages geschah es, daß Thorgils ihn bat, in die Berge zu gehen, um einige weggelaufene Hammel zu suchen. Kormak ging und kam zur Schlafenszeit nach Gnupsdal. Er wurde gut aufgenommen und in eine große Stube geführt, wo ein Feuer brannte. Davor setzte er sich hin und sah in die Flammen hinein, während er ein altes Lied vor sich hinsummte. Wie er nun so dasaß, ging Stengerde, die Tochter von Thorkel auf Tunge, der sie zur Erziehung hierhergesandt hatte, mit ihrer Magd an der Stube vorüber. Sie sahen, daß es hell da drinnen war, und die Magd sagte:
»Was für Fremde mögen das sein? Gelüstet es dich nicht, einmal nachzusehen?«
Stengerde antwortete, sie habe schon früher Leute gesehen. Trotzdem ging sie an eine Luke, die zu einer dunklen Ecke in der Stube führte und von außen geöffnet werden konnte. Sie sah hinein, und obwohl sie sehr gut wußte, daß man sie nicht sehen konnte, ward sie doch bange davor und trat von der Luke weg. Die Magd sah nun hinein und sagte: »Wenig Ergötzliches ist hier zu sehen; aber bist du nicht bange vor ihm, so wäre es doch immerhin ein Zeitvertreib, wenn du mit ihm scherztest; er reitet sicher morgen wieder fort und kommt dir wahrscheinlich nie wieder vor die Augen.«
Stengerde sah hinein: »Der Mann ist schön.«
Die Magd erwiderte: »Mir deucht er häßlich und schwarz.«
»Wenig verstehst du dich auf Schönheit«, sprach Stengerde erzürnt.
Kormak hatte ihre Rede gehört, erhob den Kopf und sang:
»Mancher Mädchenmund
Rühmte Kormak schon.
Jetzt glaubt er zu gleichen
Odins jüngstem Sohn;
Solche schöne Stimme
Muß von Freya quellen.
Die am besten kann
Schönheitsurteil fällen.«
Stengerde sprach: »Es ist doch ein Fehler, daß dir das Haar in die Augen hängt.«
Kormak sang:
»Heidekraut des Scheitels
Deckt des Denkens Feld,
Zweier Nattern Höhlen
Es verborgen hält,
Daß sie nicht umspannen
Junger Mägde Herzen
Und in ihnen zünden
Kranker Liebe Schmerzen.«
Stengerde sagte nun: »Schöner bist du als die meisten und gewandt in der Wahl der Worte; indes Schönheit und schöne Worte sind doch nur wenig.«
Hierzu sang Kormak:
»Deinen Busen fürcht ich
Mehr als Sturmes Harm,
Mehr als Druck von Schilden,
Jungfrau, deinen Arm,
Mehr als Wogendröhnen,
Deinen Laut, den klaren,
Und dein lichtes Auge
Mehr als Spukgefahren.«
Stengerde ergriff das Wort: »Sehr furchtsam mußt du sein, wenn du fürchten kannst, was du niemals gesehen hast und niemals zu sehen bekommen wirst.« Damit wollte sie sich von der Luke entfernen; da aber sang Kormak:
»Fackeln will ich nehmen,
Deinen Leib zu sehn,
Denn bei seinem Leuchten
Wird der Brand vergehn.
Doch für mich wird niemals
Dunkle Nacht mehr grauen.
Denn die schöne Jungfrau
Werd ich immer schauen.«
»Es dürfte wohl anders werden«, sagte Stengerde und entfernte sich von der Luke; aber Kormak machte sich ein brennendes Scheit zurecht und sang:
»Schönheit barg sich niemals
Noch vor hellem Licht,
Dunklen Schlupf nur suchen
Riese, Troll und Wicht.
Doch hat eine Hexe
Zauberei getrieben.
Glücklich wäre Kormak,
Wär er heimgeblieben!«
Darauf nahm er das brennende Scheit und trat vor die Luke; aber Stengerde hatte das Lied gehört und war dahin gegangen, und als Kormak kam, stand sie in der Luke vor ihm: ihre Lippen bebten, doch der Busen wogte ruhig, ihre Wangen glühten, doch der Blick war scharf, wenn auch das Weinen nicht fern war. Aber Kormak ließ das brennende Scheit fallen und sagte: »Eben wurde Kormaks Zukunft geboren.«
In jener Nacht gewann der Schlaf nur wenig Macht über zweie auf Gnupsdal, am wenigsten über Kormak, denn alle seine Gedanken strebten vorwärts und bauten an seinem Schicksal; aber wenn sie es aus Glück und schimmernden Hoffnungen zusammengefügt hatten und Kormak sich so recht an seiner Wunderlichkeit erfreuen wollte, da fuhren sie mit dem Glück von dannen und löschten eine Hoffnung nach der andern aus, so daß nur eitel Leere und Finsternis zurückblieb. So verging denn die Nacht, aber gegen Morgen wurde er ruhiger, und nach dem Morgenimbiß ging er hinaus.
Stengerde sah ihn von der Frauenstube aus und sprach zu ihm hinab: »Reitet Ihr jetzt von Gnupsdal fort?«
»Lieber bliebe ich und spielte Brettspiel mit Euch!« antwortete Kormak.
»Dem Gast muß man zu Willen sein«, sprach Stengerde.
So setzten sie sich denn an das Brettspiel in die gute Stube. Sie spielten eine Stunde schweigend.
»Eine holde Begegnung«, begann Kormak, »hatte ich gestern in dieser Stube; aber kurz nur währte sie, doch war das meine eigene Schuld.«
»Wie schiedet Ihr denn?«
»Das ists ja, was ich nicht weiß; sie ging wohl im Zorn.«
»Es war eine Frau – Frauenzorn ist wie Sommerfrost, er währt eine Nacht, und dann ist er vorbei.«
»Aber der Sommerfrost kann die Schößlinge töten, die liebliche Blumen und reiche Frucht hätten tragen können.«
»Das geschieht wohl; ist aber der Tag milde und warm, so macht er den Schaden der Nacht wohl wieder gut.«
»Aber die Pflanze bekommt doch nie wieder richtiges Wachstum.«
»Oft gedeiht gerade das am allerbesten, dem übel mitgespielt wird, solange es noch jung ist.«
»Aber, Stengerde, wenn da nun keine Schößlinge waren?«
»Dann erlitt nichts Schaden.«
»Stengerde! waren da Schößlinge?«
»Werden sie gedeihen?«
»Wenn sie gut gehütet werden!«
»Werden sie gut gehütet werden?«
»Das wird der Tag zeigen.«
»Dann ist Kormak nicht ängstlich.«
Damit nahm er Abschied und ritt an den Midfjord; aber es verlautet nichts darüber, ob Thorgils seine Hammel wiederbekam.
Kormak kam nun oft nach Gnupsdal. Dies kam unter die Leute und gelangte zu Thorkel auf Tunge. Er war nur wenig erfreut darüber und nahm Stengerde heim. Nun währt es eine Weile, bis sie sich wiedersehen; endlich wird es Kormak zu lange, und er reitet nach Tunge.
Als er nun des Weges daherkommt, steht Stengerde im Krautgarten und neckt ihre Hühner mit Blumen, die sie vom Erdwall abreißt. Kormak schleicht sich darunter und fängt mit der Hand einen großen Haufen von den Blumen auf, die sie hinüberwirft.
Er singt:
»Schöne Blumenwelle
Übertrat den Deich,
Dem der Gruß gegolten,
Muß sich fühlen reich.
Hinterm Deiche sei er,
Will er mehr erlangen,
Süße Lippenbeeren,
Augenblumen fangen.«
Darauf sprang er über den Erdwall; aber Stengerde hatte sich hinter einen Holunderbusch verborgen. Kormak sah lange nach ihr; da lachte sie und rief: »Du hättest mit dem Singen warten sollen, bis du über den Wall gekommen warst.«
Sie sprachen lange miteinander; dann sagte Stengerde: »Gehst du jetzt zu Thorkel hinein?«
»Es gibt solche, die mich lieber sehen als er«, antwortete Kormak.
»Dennoch mußt du mit ihm reden, denn er ist der, so über mich herrschet«, sagte Stengerde und sah Kormak fest an.
Er verstand den Gedanken, der den Blick getragen hatte; der verursachte ihm Schmerz. Er stand hastig auf, ging zu Thorkel hinein, freiete, wie es Sitte war, und alsdann einigten sie sich wohl darüber.
Nun sagte er zu Stengerde die Worte, daß es ihm scheinen wolle, als habe er bisher jenseits des Erdwalls gesungen und sei erst heute hinübergekommen; aber noch immer sähe er sie nicht. Und so ritt er denn wieder heim.
Am Midfjord sagte er alsdann, daß er mit Thorkel geredet habe. Das war nicht recht nach ihrem Sinn. Dalla sagte ihm, daß er und Stengerde nur wenig zueinander paßten, und Thorgils meinte, es sei viel zu früh, um sich zu binden. Kormak hörte das an und bat dann Thorgils nach Tunge zu reiten und alles zwischen Thorkel und ihm zu bereden. Er selber nimmt sich nun des Gehöfts an, ist immer im Felde bei der Arbeit, redet wenig und singt niemals, und allen, die ihn kennen, ist es, als sei er ein ganz anderer geworden.
So vergeht die Zeit, und es ist nicht mehr lange bis zur Hochzeit.
Da geschieht es eines Nachts, daß große Wärme in der Luft ist, und Kormak legt sich oben auf den Heuboden, um kühl zu schlafen.
Was nun über ihn gekommen ist, ob er von irrleitenden Träumen heimgesucht ist, oder ob böse Geister ihm Schaden zugefügt haben, wird nicht leicht zu ergründen sein; aber das ist fast zu glauben nach dem wunderlichen Gesang, den er zuweilen, wenn sein Sinn schwer war, Thorgils hören ließ.
Dies ist nun der Anfang des Liedes:
»In der engen Luke
Hielten Augen Wacht,
Sahen Bäche glänzen
In der lauen Nacht.
Schauten Nebelwellen
An den Wiesen nagen,
Und in weiter Ferne
Gnupdals Berge ragen.
Namenloses Schweigen
War in meiner Brust,
Drin das Herz, ein Zwerglein,
Kannte keine Lust;
Alle die Gedanken
Lagen dunstgebunden,
Jeder reichen Hoffnung
Feuer war geschwunden.
Doch jetzt wankt mein Auge
Auf bekanntem Steg:
Büsche, die es gleitend
Traf auf seinem Weg,
Waren Liebeszeichen,
Die noch nicht geschwunden;
Und der reichen Hoffnung
Feuer war gefunden.
Meine Gnupdalslieder
Klangen mir im Sinn:
›Liebesflug wir fliegen
Nicht zum Ziele hin,
Unter Freyas Decke
Wir auf Schwingen weilen,
Alle Jubeltöne
Uns entgegeneilen.‹
Antwort kam von Tunge
Schwer mir in den Sinn:
›Liebesflug wir fliegen
Zu dem Ziele hin,
Jubelnd Freyas Decke
Ich mit dir durchgleite.
Weil das Glück uns winket
Auf der andern Seite.‹«
Und dann folgen Verse, deren sich nur wenige ganz erinnern und die niemand völlig erfaßt, aber eines scheinen sie doch alle zu melden: daß er entweder träumte oder sich einbildete, er sähe Stengerde in ihrer ganzen Schönheit, und daß sein Blut heiß aufwallte, so daß er sie kränkte, und dann glitt der Traum oder das Gesicht von ihm, und die Reue senkte sich auf ihn hinab, und er ward so sonderbar und benommen, daß er sich Stengerdes Züge nicht entsinnen konnte, wieviel er auch daran dachte.
Wie dem auch sein mag, das ist gewiß, daß er viele Nächte und Tage auf Bergen und in den Lavawüsten umherstreifte, und als er wieder heimkehrte, gebärdete er sich wie jemand, der seiner Sinne nur halb mächtig war. Sowohl Leiden als auch Nachdenken waren wie durch Zauber von ihm genommen, und erst nach Wochen ward er wieder ein Mann.
In die Tage, während welcher er irre in den Bergen umherschweifte, fällt die Hochzeit; aber es kommt kein Bräutigam weder den ersten noch den zweiten Tag, und darüber war nun Stengerdes ganze Sippe einig, daß dies eine große Schmach war, die man ihnen allen wie auch ihr angetan hatte.
Zu jener Zeit saß am Hrutafjord ein Mann Namens Holmgangs-Berse als Witwer. Berses Umgang war nur wenig gesucht, denn so heftig und streitlustig war er, daß nur allein, wenn man mit ihm sprach, es war, als umfriedige man einen Platz zum Kampf. Von der Skaldenkunst gefielen ihm nur Schmähweisen, und die Gesetze betrachtete er nur als unsinnige Gebräuche, die sich der Lust der Menschen in den Weg legten. Dem ließ Thorkel Stengerde anbieten, und da er wußte, daß Kormak sie hatte haben sollen, meinte er, daß der Schmuck, der einem Mann aus den Händen geglitten war, in eines andern Mannes Hand einen üblen Schein haben würde, und so wurde denn der Handel abgeschlossen, und die Hochzeit fand statt.
Aber Tod und Heirat sind Sprengelgerüchte, und liebende Herzen sind allemal Nachbarn, so konnte denn diese Sache nicht unbemerkt an Kormak vorübergehen. Er stand gerade da und besserte eine Lehmwand aus, als es ihm vermeldet wurde. Eine Weile setzte er die Arbeit fort, aber auf einmal stemmte er beide Hände gegen die Wand und drückte sie ein, dann kehrte er sich dem zu, der das Gerücht überbracht hatte, und sang:
»Nicht ist Zeit zu bessern
Jetzt zerrißnes Haus,
Kormaks Glück, das schöne,
Sank in wirren Graus.
Wenig gibt es Freude,
Warm bei Wand zu weilen,
Während draußen Räuber,
Mit der Beute eilen.«
Thorgils kam herzu und sprach, jetzt müßten sie wohl ihre Schwerter hervorholen, da Kormak seinen Gesang wiedergefunden habe. Kormak sang:
»Wohl in jedem Winkel
Ruhte diese Mär,
Müde von dem Kummer,
Den sie trug umher.
Jetzt auf flinken Fohlen
Müssen schnell wir fahren.
Und die schon versäumte
Zeit zusammensparen.«
So ritten sie denn mit großem Gefolge nach Tunge. Aber Berse saß schon wohlbehalten mit Stengerde auf seinem Gehöft. Da sang Kormak:
»Berse wird umfangen
Lichte Maid mit Lust,
Mich wird schwarzer Kummer
Drücken an die Brust,
Schön wird ihre Stimme
Seinen Sinn betören,
Häßlich muß ich später
Reue Stimme hören.«
Dann ritten sie wieder nach Hause.
Wie Berse vermutet hatte, brachte ihm Stengerde eine große Mitgift von Streit, und nun folgt viel Unfriede zwischen ihm und Kormak und beider Sippen. Damit vergeht dann die Zeit.
Da trifft es sich eines Tages so, daß Stengerde draußen in den Bergen ist, um Kräuter zum Färben zu sammeln, und Kormak begegnet. Es folgt nun ein langer Wortwechsel.
Da sagt Stengerde: »Welche Abhaltung hattest du an unserm Hochzeitstage?«
»Das wirst du kaum verstehen, und es ist schwer für mich, davon zu reden, denn was damals für mich hohe Berge waren, ist mir jetzt wie lose Sandhaufen.«
»Kormak! wolltest du mich nicht ehelichen?«
»Das wollte ich, Stengerde; aber ich konnte es nicht ertragen, daß du davon sprachest, und viel zogen die Worte über mich herab.«
»Skalden sind wohl zerbrechliche Ware!«
»Welcher Art ist Berse?«
»Er ist kein Skalde.«
Kormak stand nun eine Weile schweigend da und sah Stengerde an, dann sang er:
»Sammelt Odin aller
Asenfrauen Blut:
Weckte draus mit Runen
Eine Jungfrau gut,
Sollte sie als schönste
Götterwunsch erfüllen,
Deinen Leib sie nähme,
In ihn sich zu hüllen.
Milde Nornen hatten
Mich zur Maid gesandt,
Nornensinn sich ändert,
Berse zu ihr fand.
In der Zukunft sollte
Frühling mich beglücken,
Herbst ist es geworden,
Seine Nebel drücken.
Doch, wie hier ich stehe,
Matt und ohne Mut,
Macht und Siege brüten
Mir im Skaldenblut,
Denn wenn eines andern
Arme dich auch nahmen,
Ewig meine Lieder
Einen unsere Namen.
Dank für starke Freude,
Dank für Kummer bleich,
Dank für deine Liebe,
Für Verrat zugleich!
Dank für reiche Töne
Ungeborner Lieder,
Dank für jede Ehre,
Die ich finde wieder!«
Darauf entfernte er sich schnell, und sie stand lange da und sah ihm nach. Gleich darauf kam Berse herzu und setzte sich in einiger Entfernung; er hatte Kormak gesehen und sagte: »Habt ihr von eurer Hochzeit gesprochen? Armer Bursche! wenig Freude liegt in der Erinnerung an das Schaf, das der Wolf genommen hat.«
»Schweig, Berse!« sprach Stengerde, »er ist ein beßrer Mann als du!«
»Ja, Lieder zu ersinnen.«
»Freilich, Berse, aber es ist etwas Großes, Skalde zu sein!«
»Wohl ist es das! – du bist klüger als du denkst: – und schön bist du! Komm zu mir her!«
»Du bist alt, Berse!«
»Warum sagst du das? Komm zu mir her!«
»Du bist alt, Berse, und ich will dich pflegen und gut gegen dich sein.«
»Dafür will ich dich lieben.«
»Nein, dann lebe wohl, Berse!«
»Aber hast du denn Kormak noch lieb, nach allem, was er dir angetan hat?«
»Er und ich haben uns nun einmal verfehlt; aber noch können wir einander zurufen.«
»Hat er dich denn weggeschwatzt?«
»Dir, ja; aber nicht zu sich hin.«
So ging sie denn von Berse heim nach Tunge, und Thorkel mußte sehen, alles auf die beste Weise mit Berse zu ordnen.
Nach Tunge kamen oft Leute aus Sunnudal, da sie viel Sippschaft dort hatten. Der reichste Mann im Tale war Thorvald, der Wurm, und der kehrte immer bei Thorkel ein. Thorvald war ein weit berühmter Skalde. Seine Lieder waren sehr angesehen, aber wenige konnten sich ihrer erinnern; sein Gehöft war das schönste in weitem Umkreis, und in seiner Halle standen köstliche Becher aus Gold, die er von Königen und Jarlen als Skaldenlohn erhalten hatte. Seine Freunde waren alles alte Leute, und sie lobten ihn höchlich um seiner Klugheit und Besonnenheit willen; aber die jungen im Tal sagten von ihm, daß er ginge, als habe er Röcke um die Beine, und daß er von Waffen so viel verstünde, daß er glaube, man umfasse die Spitze des Schwertes und schlage mit dem Knauf.
Thorvald traf oft mit Stengerde zusammen, sprach immer lange mit ihr und sagte ihr seine Lieder. Da freite er eines Tages bei Thorkel um sie. Thorkel sagte, es sei ihm recht, verwies ihn aber an sie selber.
Stengerde saß am Webstuhl und sang. Als Thorvald zu ihr eintrat, hielt sie inne und sagte: »Thorvald! ist es etwas Großes, Skalde zu sein, und ist Skaldentum mehr als Männlichkeit?«
Thorvald erwiderte hastig: »Du kennst ja das Lied:
In ewiges Grab
Versinkt die Zeit,
Schaut Skaldenblick
Nicht ihren Schritt.«
»Ja! – Wie denkst du über Kormak?«
»Daß er tapfer ist.«
»Ja! – aber wie hoch schlägst du sein Skaldentum an?«
»So hoch wie das, wovon er singt.«
»Das ist so hoch wie ich.«
»Nein! – Das war nicht mein Gedanke.«
»Rechnest du deine Lieder für gleichwertig mit dem, was sie besingen?«
»Dann steht also deine Kunst so viel über der seinen, wie Könige und Jarle über mir!«
»Nein! – Das war nicht mein Gedanke.«
»Was denkst du denn?«
»Daß keine Gleichheit ist zwischen meinen und Kormaks Liedern, daß Könige Könige sind und du die schönste aller Frauen bist!«
»Willst du freien?«
»Ja! Das ist mein Gedanke!«
»Ist es dein einziger?«
»Es ist mein nächster.«
»Was ist denn dein zweiter?«
»Hochzeit, Stengerde!«
»Bist du so groß mit mir, wie Kormak ohne mich?«
»Mit dir oder ohne dich ist meine Größe dieselbe.«
»Dieselbe?«
»Nicht aber mein Glück!«
»Dann rede mit Thorkel!«
»Das habe ich getan.«
»Dich verstehe ich! – und Skalde bist du?«
»Ein größerer als Kormak!«
Und dann folgt die Hochzeit, und sie ziehen nach Sunnudal.
Währenddes hat nun Kormak beschlossen, daß er mit Thorgils nach Norwegen ziehen will; er hat deswegen vieles zu beschaffen und zieht weit umher, um der Sippschaft Lebewohl zu sagen, so daß alle diese Nachrichten erst spät zu ihm gelangen. Gleich reitet er nach Sunnudal und trifft Stengerde auf dem Anger. Er bleibt auf dem Pferd und singt, ehe es noch ganz still steht:
»Jetzt, Stengerde, wünsche
Ich dir Sklavenstand,
Daß du gingst als Ware
Um von Hand zu Hand,
Deine reiche Schönheit
So gering du achtest,
Daß an jeden Bettler
Du sie fortverpachtest.«
Stengerde spricht: »Großes Unrecht begehst du, indem du stets hinter mir herläufst. Wohl glaubte ich, nun sei die Zeit gekommen, daß ich für immer von dir befreit sei.«
Da singt Kormak:
»Niemals, nein, Stengerde,
Trennst von dir du mich,
Mehr als gleiches Lager
Bindet mich an dich.
Berg auf Berg gehäufet,
Ist nur kleines Hinder,
Wie der Wogen Schäumen,
Wurmes Arm noch minder.«
»Leicht ist es, sich in Liedern zu ergehen! Geh jetzt!« sprach Stengerde zornig. Kormak aber singt:
»Lebe wohl, dem Wurme
Gabst du Küsse hin.
Deine holde Stimme
Freute seinen Sinn;
Doch nur Kormak gelten
Still vergoßne Tränen,
Mutige Gedanken
Und dein starkes Sehnen.«
»Teuer soll dir dein Hohn zu stehen kommen, und das sollst du wissen, daß Thorvald hoch über dir steht, sowohl was seine Lieder betrifft, als auch in meinem Herzen!« So spricht Stengerde, und damit scheiden sie.
Als die Brüder am nächsten Morgen in aller Frühe aus dem Fjord hinaussegelten, stand Kormak im Steven und sang:
»Nacht ist jetzt vorbei,
Schlaf wie Friede endet,
Kampfgebot der Sonne
Strahlenbogen sendet.
Auf zu frischem Streit,
Tages-Schild hat Klang,
Wenn er jetzt auch klingt
Nur wie Vogelsang.
Seht, wie Ymers Blut
In der Sonne leuchtet.
Wie wenn es noch jetzt
Schenkelbogen feuchtet!
Wie es wild sich wiegt,
Wie es hoch sich hebt,
Wie wenn immer noch
Adern es durchbebt.
Himmelslicht und Glanz
Über fernem Firne,
Träume, die die Glut
Weckt in seinem Hirne,
Können nur umfassen
Svalins Runenzug,
Können nicht behausen
Stolzer Worte Flug.
Größre Pracht dem Wurme
Wurde zugewogen,
Traumes Rose lebt
Hinter weißen Wogen,
Knospen seiner Maid
Schöne Wangen schmücken,
Und auf ihrem Mund
Rosen ihn entzücken.«
Der Wind war ihnen günstig und trägt sie schnell dahin. Dann kommen sie nach Norwegen und werden gut aufgenommen. Aber lange halten sie sich nicht zurzeit an einem Ort auf; weit schweifen sie umher auf Wikingerzügen; bei Tagesgrauen betreiben sie Strandraub, des Abends bessern sie Segel aus; legen sie das Ruder hin, so nehmen sie das Schwert zur Hand, und bereiten sie den Feinden die eine Nacht Ungemach mit Siegesrufen, so heulen sie verwundet in der nächsten Nacht. Auf diese Weise tummeln sie sich zween Jahre, landen wieder in Norwegen; es sind ihrer weniger, die sie die Beute teilen, als da sie auszogen, um sie zu gewinnen.
Nun verweilen die Brüder eine Zeitlang am Königshofe, aber dann sagt Kormak, daß er lieber als ein Geächteter auf Island frieren als in Norwegen dem König und dem Feuer zunächst sitzen will.
Darauf antwortet Thorgils, daß wenig Männer so gierig nach ihrem Erbanteil laufen wie Kormak hinter dem Unglück dreinläuft.
Kormak spricht: »Ich kenne nur ein Glück, und das besitzet der Wurm.«
»Das hättest du ergreifen sollen, als es dir gereicht wurde«, sagt Thorgils.
»Reich es mir jetzt«, erwidert Kormak.
»Will denn das Glück?«
»Ja, das ists ja, was ich wissen will.«
So zogen sie denn nach Island und fanden dort ihren Ruf weit größer, als sie ihn zurückließen. Kormak begab sich bald nach Sunnndal und fand dort Stengerde allein zu Hause.
Seine ersten Worte waren die, ob sie sich sehr nach ihm gesehnt habe.
Darauf antwortet sie, daß ihre Sehnsucht stark nach ihm sei, wenn er in weiter Ferne weile, daß es ihr aber keine Freude bereite, ihn nahe zu wissen.
Dann sitzen sie lange da und sehen einander schweigend an. Da singt Kormak:
»Laß mein Lied beschwören
Längst vergangnen Tag,
Den, wo wir uns trafen
Unter Gnupdals Dach!
Schmerz von sieben Jahren
Mir dein Kuß ertöte,
Zünde neuer Liebe
Erste Morgenröte.«
Darauf antwortet Stengerde: »Schlecht geziemt es uns, unserer Ausgelassenheit zu gedenken, und nicht ist Thorvalds Frau gewöhnt, fremde junge Burschen zu küssen.«
»Und doch glaube ich, daß die Zeit kommen wird, wo wir das Lager teilen werden.«
»So hätte es sein können.«
»Stengerde, werde mein Weib!«
»Ich bin Thorvalds Gattin.«
»Er gleicht Berse so wenig, laß ihn ihm in Einem gleichen!«
»Du redest irre!«
»Es ist schwer, dich zu verlieren.«
»Das würde Thorvald finden.«
»Er hat dich nie besessen.«
»Jetzt redest du wieder ohne Verstand.«
»Aber liebst du denn Thorvald?«
»Ich sollte meinen, das sei eine Sache zwischen mir und ihm.«
»Aber du und ich denn?«
»Ich bin Thorvalds Gattin.«
Kormak singt:
»Einst erschlossest du mir
Deines Herzens Hort,
Immer geht mein Sehnen
Nach demselben Ort.
Doch so stark mein Klopfen
Und so sanft mein Flehen,
Öffnest du mir niemals,
Läßt mich draußen stehen.«
Dann wollte er gehen, aber Stengerde ergriff seine Hand; Kormat wandte sich um, aber sie ließ die Hand schnell fallen und ging davon. Dann geht auch er, und es liegen nicht viele Tage zwischen dieser Begegnung und seiner neuen Fahrt nach Norwegen.
Später wendet sich auch Stengerdes Sinn nach Norwegen, und sie und Thorvald ziehen dahin.
In Norwegen sieht nun Kormak eines Tages Stengerde auf der langen Straße dicht beim Königshofe. Er geht gerade auf sie zu und sagt: »Komm mit mir, Mädchen! lange genug bin ich ohne dich gewesen.«
»Dir sind Redensarten wohlfeil, die andere niemals gebrauchen!«
Kormak ergriff sie: »Jetzt sollst du mit mir kommen, vielsinnig Weib! Starke Liebe ist da auf beiden Seiten, und schön wird unser Zusammenleben werden; aber wer sich nicht zu dem Guten locken lassen will, der muß dazu gezwungen werden.«
Dann wollte er mit ihr von dannen ziehen. Stengerde aber begann um Hilfe zu rufen, und es kamen Leute herbei und trennten sie.
Nun zieht Thorvald mit Stengerde nach Dänemark, aber Wikinge rauben ihm Gut und Weib. Kormak und Thorgils sind auf derselben Fahrt begriffen und hören davon. Sie gewinnen beides zurück. Als sie Thorvald begegnen, spricht er ihnen warmen Dank aus und sagt: »Nimm du meine Stengerde, Kormak! Dich hat sie doch gemeint, sowohl da sie Holmgangs-Berse nahm, als auch da sie Thorvald den Skalden freite.«
»Ist das nach deinem Sinn, Stengerde?« fragte Kormak.
»Thorvald ist mir gut genug«, antwortete sie.
Dann singt Kormak: