Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Dr. Oelhafen und das medizinische Chaussieren – Trauer-Administration – der rettende Totenkopf – Friedrich II. und Standrede
Leibgeber quartierte vor allen Dingen die Leidtragende unten beim Haarkräusler ein, um dem Toten den mittlern Zustand nach dem Tode bequemer zu machen: »Sie sollen«, sagt' er zu ihr, »vor den traurigen Denkmälern um uns her so lange auswandern, bis der Selige weggebracht ist.« Sie gehorchte aus Gespensterfurcht; er konnte also dem Erblaßten leicht zu essen geben: er verglich ihn mit einer eingemauerten Vestalin, die in ihrem Erbbegräbnis eine Lampe, Brot, Wasser, Milch und Öl vorfand, nach dem Plutarch im Numa: »wenn du nicht (setzt' er hinzu) dem Ohrwurm gleichst, der sich, wenn er entzweigeschnitten ist, umkehrt, um seinen eignen Wrack zu verzehren.« – Er heiterte – wenigstens wollt' ers – durch solche Scherze die wolkige und herbstliche Seele seines Lieblings auf, um dessen Auge lauter Trümmern des vorigen Lebens lagen, von den Kleidern der verwitibten Lenette an bis zu ihrem Arbeitzeug. Den Haubenkopf, den er unter dem Gewitter geschlagen, mußte man in einen unsichtbaren Winkel stellen, weil er ihm, wie er sagte, gorgonische Gesichter schnitte.
Am Morgen hatte der gute Leibgeber, der Leichenbesorger, die Arbeiten eines Herkules, Ixions und Sisyphus miteinander. Es kam ein Kongreß und Pikett nach dem andern, um den Erblasser zu sehen und zu loben – denn man beklatschet die Menschen und die Schauspieler bloß im Weggehen und findet den Toten moralisch-, wie Lavater ihn physiognomisch-verschönert; aber er trieb das Volk von der Leichenkammer ab: »Mein sel. Freund«, sagt' er, »hat sichs in seinem Letzten ausgebeten.«
Dann trat die Zofe des Todes auf, die Leichenfrau, und wollte ihn abscheuern und anputzen; Heinrich biß sich mit ihr herum und bezahlte und exilierte sie. – Dann mußt' er sich vor der Witwe und dem Pelzstiefel anstellen, als stell' er sich an, als woll' er sein blutendes Herz mit einem äußern Entsagen bedecken; »ich sehe aber (sagte der Rat) leichtlich hindurch, und er affektiert den Philosophen und Stoiker nur, da er kein Christ ist.« – Stiefel meinte jene eitle Härte der Hof- und Welt-Zenos, die jenen hölzernen Figuren gleichen, denen eine angeschmierte Rinde von Steinstaub die Gestalt von steinernen Statuen und Säulen verleiht. – Ferner wurde die Leichenkuxe und Ausbeute oder Dividende aus der Leichenkasse erhoben, die vorher einen Pfennigmeister mit dem sammelnden Teller unter den Interessenten und Teilhabern der Körperschaft herumgejagt hatte. – Dadurch erfuhrs auch der Obersanitätrat Oelhafen, als zahlendes Mitglied. Dieser benützte seinen zur Kranken-Runde bestimmten Vormittag und verfügte sich ins Trauerhaus, um seinen Kunstbruder, Leibgeber, ungewöhnlich zu erbosen. Er stellte sich daher, als sei ihm von der Todes-Post nichts zu Ohren gekommen, und erkundigte sich zuerst nach des Kranken Befinden. – »Es hat sich nach dem neuesten Befundzettel (sagte Heinrich) ausbefunden: er ist selig eingeschlafen, Hr. Protomedikus Oelhafen – im August, März, September hat der Tod seinen Preßgang, seine Weinlese.« – »Das Temperierpulver«, versetzte der rachsüchtige Arzt, »hat, wie es scheint, die Hitze hinlänglich temperiert, da er kalt ist.« – Es tat Leibgebern weh, und er sagte: »Leider, leider! Inzwischen taten wir, was wir konnten, und brachten ihm Ihr Brechpulver hinunter – er gab aber nichts von sich als die schlimmste Krankheitmaterie des Menschen, die Seele. Sie sind, Hr. Protomedize, Zent- oder Fraisherr, mit dem Gericht über Blutrunst oder mit der hohen Frais beliehen; da ich aber als Advokat nur die niedere Gerichtbarkeit ausübe: so durft' ich auf keine Weise etwas wagen, am wenigsten das Leben des Mannes, oder was würde er sonst nicht für ein Gesicht dazu gemacht haben.«
»Nu, er hat auch eins dazu gemacht, und ein langes, das hippokratische«, versetzte nicht ohne Witz der Arzt; – freundlich erwiderte jener: »Ich muß es Ihnen glauben, da ich als Laie dergleichen Gesichter selten zu sehen kriege, Ärzte aber die hippokratische Physiognomik täglich bei ihren Kranken treiben können; wie denn der Arzt von Praxis sich durch einen gewissen Scharfblick auszeichnet, womit er den Tod seiner Patienten voraussagt; eine Unmöglichkeit für jeden andern, der kein Heilkünstler ist und nicht viele hat abfahren sehen.«
»Sie als ein so exzellenter Kunstverständiger«, fragte Oelhafen, »haben natürlicherweise Senfpflaster dem Kranken auf die Füße appliziert; nur daß sie freilich nicht mehr zogen?«
»Auf die Gedanken und Sprünge – versetzte Leibgeber – kam ich wohl, dem Seligen kunstgemäß die Füße mit Senf und Sauerteig zu besohlen und die Waden mit Zugpflastern zu tapezieren; aber der Patient, von jeher, wie Sie wissen, ein spöttischer Patron, nannte dergleichen das medizinische Chaussieren und dabei uns Ärzte die Schuster des Todes, die dem armen Kranken, wenn die Natur schon ihm zugerufen: ›gare, Kopf weg!‹ noch spanische Fliegen als spanische Stiefel anlegten, Senfpflaster als Kothurne, Schröpfköpfe als Beinschellen, als wenn ein Mann nicht ohne diese medizinische Toilette und ohne rote Absätze von Senf-Fersen und ohne rote Kardinalstrümpfe von Zugpflastern in die zweite Welt einschreiten könnte. Dabei stieß der Selige mit den Füßen künstlich nach meinem Gesicht und dem Pflaster; und verglich uns Kunstverständige mit Stechfliegen, die sich immer an die Beine setzen.«
»Er mag wohl bei Ihnen mit der Stechfliege recht gehabt haben; auch Ihrem Kopfe – caput tribus insanabile – könnte ein Schuster des Todes unten etwas anmessen«, versetzte der Doktor und verfügte sich schleunigst davon.
Ich habe oben etwas von dessen Brechmitteln fallen lassen; diesem füg' ich nun bei: richtet er wirklich mit ihnen hin, so bleibt immer der Unterschied zwischen ihm und einem FuchsPlin. H. N. VIII. 30. daß dieser von weitem, nach den alten Naturforschern, sich – um Hunde zu locken und anzufallen – anstellt, als vomiere ein Mensch. Gleichwohl muß der größte Freund der Ärzte gewisse Einschränkungen ihres peinlichen Gerichts oder Königsbannes anerkennen. Wie nach dem europäischen Völkerrecht kein Heer das andere mit gläsernen oder giftigen Kugeln niederschießen darf, sondern bloß mit bleiernen; wie ferner keines in feindliche Lebenmittel und Brunnen Gift einwerfen darf, sondern nur Dreck: so verstattet die medizinische Polizei einem (die obere Gerichtbarkeit) ausübenden Arzte zwar narcotica, drastica, emetica, diuretica und die ganze Heilmittellehre zu seinem freien Gebrauch, und es wäre sogar polizeiwidrig, wenn man ihn nicht machen ließe; – hingegen wollt' es der größte Stadt- und Landphysikus wagen, seinem Gerichtbezirke statt der Pillen ordentliche Giftkugeln, statt heftiger Brechpulver Rattenpulver einzugeben: so würde es von den obersten Justizkollegien ernsthaft angesehen werden – er müßte denn den Mausgift bloß gegen das kalte Fieber verschreiben –; ja ich glaube, ein ganzes medizinisches Kollegium würde nicht von aller Untersuchung frei bleiben, sucht' es einem Menschen, dem es mit Lanzetten jede Stunde die Adern öffnen darf, solche mit dem Seitengewehr zu durchstechen und ihn mit einem Instrument, das ein kriegerisches, aber kein chirurgisches ist, über den Haufen zu stoßen – so findet man auch in den Kriminalakten, daß Ärzte nicht durchkamen, die einen Menschen von einer Brücke ins Wasser stürzten – anstatt in ein kleineres, entweder mineralisches oder anderes Bad.
Sobald der Friseur von dem Einlaufen der Leichenlotterie-Gelder in den Nothafen vernommen hatte: so kam er herauf und erbot sich, seinem entschlafnen Hausmann einige Locken und einen Zopf zu machen und ihm den Kamm und die Pomade mit unter die Erde verabfolgen zu lassen. Leibgeber mußte für die arme Witwe sparen, die ohnehin unter so vielen Freßzangen und Geierfängen und Fangzähnen der Leichendienerschaft schon halb entfiedert dastand, – und er sagte, er könne nichts, als ihm den Kamm abkaufen und in die Westentasche des Erblaßten stecken, dieser könne sich damit die Frisur nach seinem Gefallen machen. Dasselbe sagte er auch dem Bader und fügte noch bei, im Grabe, worin bekanntlich die Haare fortwachsen, trüge ohnehin die ganze geheime und fruchtbringende Gesellschaft, gleich 60jährigen Schweizern, schöne Bärte. Diese beiden Haar-Mitarbeiter, die sich als zwei Uranus-Trabanten um die nämliche Kugel bewegen, zogen mit verkürzten Hoffnungen und verlängerten Gesichtern und Beuteln ab, und der eine wünschte, er hätte jetzt im Gefühle der Dankbarkeit den Leichenbesorger Heinrich zu balbieren, und der andere, ihn zu frisieren. Sie murmelten auf der Treppe: so wär' es nachher kein Wunder, daß der Tote im Grabe nicht ruhte, sondern herumginge und schreckte.
Leibgeber dachte an die Gefahr, den Lohn der langen Täuschung einzubüßen, wenn jemand, während er nur etwan in der nächsten Stube sei – denn bei jedem längern Ausgang schloß er die Tür ab –, nach dem sel. Herrn sehen wolle. Er ging daher auf den Gottesacker und steckte aus dem Beinhause einen Totenkopf unter den Überrock. Er händigte ihn dem Advokaten ein und sagte ihm: wenn man den Kopf unter das grüne Gitterbette – worin defunctus lag – schöbe und mit einem grünen Seidenfaden in Verbindung mit seiner Hand erhielte, so könnte der Kopf doch wenigstens im Finstern als eine Bélidorsche Druckkugel, als ein Eselkinnbacke gegen Philister hervorgezogen werden, die man zurückzuschrecken hätte, wenn sie warme Tote in ihrer Ruhe stören wollten. Freilich im höchsten Notfall wäre Siebenkäs aus seiner langen Ohnmacht wieder zu sich gekommen und hätte – wobei noch dazu den medizinischen Systemen ein Gefallen geschehen wäre – den Schlagfluß zum dritten Male repetiert; – indessen war doch der Totenkopf besser als der Schlag. Firmian hatte eine wehmütige Empfindung beim Anblick dieser Seelen-Mansarde, dieses geistigen, kalten Brütofens, und sagte: »Der MauerspechtDieser macht bekanntlich als eine größere Psyche in Schädel sein Nest. hat sicherer darin ein weicheres, ruhigeres Nest als der ausgeflogene Paradiesvogel.«