Jean Paul
Auswahl aus des Teufels Papieren
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Ernsthafter Anhang,
In den ich gegen das Ende einen poetischen gemischt habe

Am Ende sind alle Aehnlichkeiten, die der Witz zwischen Vorstellungen aufdeckt, eben so wahr als die, die der Scharfsinn unter ihnen auskundschaftet. Denn der Witz unterscheidet sich vom Scharfsinn nicht durch den kleinern Grad der entdeckten Aehnlichkeiten – weil Aehnlichkeit als solche, blos Gleichheit von wenigern Theilen und mithin ohne Grade ist – sondern, durch die kleinere Zahl derselben, die sich meistens noch auf Gestalt, Farbe etc. beziehen. Daher gewährt oft beim ersten Anblick eine scharfsinnige Erfindung das Vergnügen einer witzigen, weil man an ihr noch nicht alle die Aehnlichkeiten ansichtig geworden, die sie zu einer scharfsinnigen erheben. Daher sehen vielleicht höhere Wesen das buntfärbige Band womit der Witz spielend unähnliche Dinge zusammennäht, mit beiden Enden um die halbe Schöpfung laufen und sich schlingen; daher mag ihnen oft unser Scharfsinn, Witz und unser Witz, Scharfsinn düncken.

Ich und ein gewisser Stoiker wir führen fast einen siebenjährigen Krieg über die Frage: ob die Tugend von Vorstellungen oder ob sie von Trieben abhänge? Ich weis, dieses Gedrukte flammt den Krieg nur noch mehr an: denn zwei Disputanten vereinen sich selten, nicht weil der eine die Gründe des andern nicht besiegen kan, sondern weil sich seine Meinung auf etwas mehr als diese besiegten Gründe stützt, da sie mit seinen übrigen Ideen und seinem ganzen Wesen verwachsen und zusammen gewurzelt ist. Eine solche seltene Auswurzelung ackert den halben Kopf um.

Der Stoiker behauptete nämlich: blos von der Vernunft hänge die Tugend ab. Um iemand zu bessern, brauche man ihn nur aufzuhellen. Um ihn vom Zorn abzuführen, brauche man ihm seinen Feind nur an Epiktets Lampe zu zeigen: denn sobald er begreiffe, der Feind verdiene keinen Haß, so heg' er auch keinen. Der Mensch müsse das Gute, das Nützliche begehren: nur muste es ihm erst als solches erscheinen. Die Leidenschaft erobere unsere Seele blos durch das Werfen der Dampfkugeln, mit denen sie alle Begriffe umnebele und einhülle.

Ich behaupte nicht das Gegentheil, sondern nur etwas anders. Etwas sich vorstellen heisset darum nicht es wollen. Freilich ist's einerlei, wenn wir uns dieses etwas als gut, oder als das Bessere vorstellen: aber dann hat sich eben in die Vorstellung das Begehren schon gemischt, und die subjektive Güte einer Sache können wir doch nie von unserer leeren Vorstellung, sondern von dem Verhältniß in dem diese Vorstellung mit unseren Neigungen etc. steht, also von diesen erfahren. Die Wirksamkeit einer Idee misset sich also nicht blos nach der Deutlichkeit derselben, sondern auch nach der Stärcke oder Schwäche der Triebe, deren Gegenstand sie ist. Wäre das Willenssystem bei allen Menschen das nämliche gute: dann könnte man ihre Besserung und ihre Aufhellung für einerlei ansehen und umgekehrt. Es ist der Lehnsfehler der heutigen Philosophie gegen die Menschheit, daß sie alles was schon im Menschen war, erst von aussen hineinerklären will, – blos weil sie nicht begreift, wie es schon darin sitzt.

So giebt sie Genie, Tugend, Neigungen für Fabrikwaren und Emanazionen des Zufalls, der äussern Lage, der Erziehung etc. aus und vermengt Anlas mit Ursache. Das Schellengeklingel der Maulesel reisset oft auf den Schweitzergebirgen einige Schneeflocken los, die im Herunterrollen sich einen erdrückenden Berg von Schnee anballen: aber machen denn die Schellen die Lavine und setzen sie sie nicht vielmehr voraus? Viele bringen die Sklavenstirne schon auf die Welt und – wie das Kameel – die Brustschwiele, auf der sie niederliegend ihre Beladung erwarten: andere hingegen saugen den ersten Athem an eine große weite Brust, in der kein ängstliches lungensüchtiges Harren auf Befehle sondern Dürsten nach Freiheitslust pocht. Keine Kunst erzieht die Roußeau's, die Sidnei's; und keine verzieht sie. Eben so giebt es gewissermassen auch ein Genie zur Tugend; vom Himmel fallen sie herab, nicht aus Nilschlam keimen sie herauf, iene Menschen, die ohne den gewöhnlichen Hunger nach dem irdischen Köder, ohne Hablust, ohne Eitelkeit, ohne gebieterische Leidenschaft für irgend etwas, mit vielleicht übermächtiger Phantasie in der Welt weniger das Vergnügen suchen als verbreiten, und die Erde nicht als Stof der Freude, sondern als Stof der Tugend achten und unter der gefrornen Verpuppung Flügel für einen fremden Frühling nähren. Ich besorge nichts von dem Fallen solcher Menschen: sie kriechen nicht lange auf dem schmuzigen, schwarzen und mit Blumen überwebten Boden neben den Insekten fort, sondern heben bald die edle Brust und das grosse Auge wieder in den Aether über ihnen. Eben solche Menschen schreiben den bessernden Eindruck, den deutliche Vorstellungen auf ihren Willen machen, blos den Vorstellungen, die doch an andern Köpfen ohne Eindruck abprallen, und nicht ihren Neigungen zu. Die, die nach Maximen zu handeln denken, haben schon ohne Maximen eben so gehandelt und eben aus der oft bemerkten Handlungsweise sich selbige abgezogen. Die Empfindungen und Neigungen erhellen und verfinstern unsern Verstand und sind mehr seine Lehrer als seine Schüler. Nicht durch die Verdunklung der Begriffe (- d. h. durch zu grelle und prismatische aber parziale Beleuchtung derselben –,) die sich eben so gut zu den grösten Thaten gesellet, werden wir zu schlimmen hingetrieben, sondern durch die leidenschaftliche Kraft, die eben einer Vorstellung ienen verdunkelnden blendenden Glanz ertheilen konnte; und hier hilft also nicht sowol Schwächung des übermässigen Lichts als iener übermässigen Kraft. Der Mensch mus sich selbst erziehen, wie er sein Kind erzieht – nicht durch vieles Vormoralisiren, sondern durch fremdes Beispiel, durch gewählte gute Lagen, durch Angewöhnung. Wie wir nicht schlimm geworden sind durch Worte, durch Anmahnungen zum Laster und durch Fehltritte des Verstandes: so wird man auch schwerlich auf diese Art, oder durch schnellere Schritte wieder gut. Wer hingegen von der Schnelle, mit der sein Verstand sich iezt über die Tugend aufklärt, eine ähnliche daraus folgende Schnelle erwartet, mit der er sie dann üben werde; wer also an den noch ungebändigten Wiederstand der bösen Triebe nicht denkt: dem entsinkt alsdann beim wiederholten Siege, den die ungebesserten Triebe über den gebesserten Verstand erringen, der Muth zur Besserung und zum langwierigen Kampfe.

Ich hätte noch anmerken sollen, daß es uns oft mitten in der Leidenschaft nicht an deutlichen Begriffen fehle, die gegen sie ankämpfen: allein sie sind völlig gelähmt und ohne Kraft, d. i. der gegen iene ringende Trieb ist ohne Kraft.
 

Man sollte mit Personen von zarter und warmer Empfindung nur in den Minuten umgehen, worin man selber zärter und wärmer empfindet als sonst, so wie man die zerbrechlichen Kanarienvögel nur mit warmen Händen anzufassen wagt.
 

Die philosophischen Trostgründe vermindern nicht sowol unsere Leiden als sie unsere Freuden vermehren, indem sie uns im Glück die Hofnung seiner Dauer und sorgenfreien Genuß gewähren und die Furcht des Uebels durch das Versprechen seiner leichten Erduldung abweisen.
 

Der Stoizismus im eigentlichen Sinne, der den ganzen Menschen stärkt und hebt, macht selbstsüchtig und giebt dem moralischen Unkraut neue feste Wurzeln, wenn es nicht schon vorher weggeschaft worden. So werden auch vom Arzt vor dem Gebrauche stärkender Mittel allezeit abführende verordnet.
 

Ist der Mensch nicht frei: so ist die Moral keine Richtschnur für ihn, sondern blos für das Wesen, das ihn mit seinem Geh- und Schlagwerk zusammensezte; so wie nicht die neuen Rechenmaschinen dem Rechenbuche gehorchen, sondern die Herren Hahn und Müller, ihre Baumeister.
 

Die meisten Gründe gegen den Haß z. B. der Grund von der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, der Grund daß der Bösewicht als Seelenkrüpel Mitleid verdiene, oder der daß wir uns nur an die Stelle des andern setzen sollen, oder der von den vielen Versuchungen zur Beleidigung – diese Gründe sind wahr, wenn sie den Has mindern und zügeln sollen, und sind unrichtig und schädlich, wenn sie ihn auswurzeln sollen. Sie sind schädlich, weil man schlechterdings einmal fühlt, daß alle Gründe, die moralische Häslichkeit in bloße psychologische oder physiologische veredeln, umgekehrt auch alle moralische Liebenswürdigkeit in psychologische oder physiologische verwandeln, und daß mit dem Hasse gegen iene die Liebe gegen diese wegfalle. Z. B. verdient der Bösewicht als Seelenkrüpel und Unglücklicher blos Mitleid: so verdient der Tugendhafte als Glücklicher blos Mitfreude und weiter nichts; setz ich mich an die Stelle des Beleidigers und mindere dadurch seine Schuld: so setz' ich mich auch an die Stelle des Freundes und mindere dadurch sein Verdienst und so weiter. Ich zwang mich sonst zum Glauben an ein Fatum bei schlimmen Handlungen, aber nicht bei guten und machte mir also wissentlich eine Lüge weis: allein die Achselträgerei, selbst die bestgemeinte ist erbärmlich und erniedrigend. Die obigen Gründe sagen nicht sowol, man solle nicht hassen, als, man solle den und ienen nicht hassen; sie verwandeln uns den Gegenstand des Hasses in einen Gegenstand des Mitleidens und lassen uns noch immer unverwehrt, unsern Haß für einen seiner würdigern Gegenstand aufzusparen. Oder wenn sich so ein moralisch schlimmes Wesen als unser Haß träumt und nicht sieht, wirklich fände: dürften wir dann wieder keinen hegen? Wieder nicht: denn die Moralisten sagen, am Teufel muß man nur das Laster, nicht die Person hassen. Allein warum lieben wir denn den Tugendhaften selbst; und nicht seine abstrackten Vollkommenheiten? Warum dürfen wir hier Subiekt und Beschaffenheit vermengen? Ueberhaupt wenn ich nicht das unmoralische Subiekt hassen soll: so giebts nichts mehr zu hassen; denn das physische oder Aeusserliche oder psychologische an unmoralischen Handlungen ist weder hassens-, noch liebenswerth. Mann wend' es nur auf sich selbst an und probiere, ob man an seinem Ich Laster verabscheuen kann, ohne dieses Ich selbst mit zu verabscheuen und zu hassen. Das Gegentheil wär' eben so viel als wenn ich eines Mannes Verstand in abstracto, aber nicht den Mann selbst bewundern wollte. Indeß soll diese Vertheidigung unsers so unbesieglichen Hasses gegen den Lasterhaften nichts mit der Vertheidigung der Rache zu thun haben, die unsere persönliche Verletzung zu einer moralischen verkehrt, noch die duldende Sanftmuth ausschließen, die ohne übertreibendes Aufbrausen ieden so lang trägt und beglückt als sie nicht strafen muß.
 

Nicht das Unglück selbst sondern die dazwischen fallenden kleinen Erquickungen und Hofnungen erweichen und entmannen den standhaften Muth, so wie nicht der harte Winter sondern die warmen Tage die ihn ablösen, die Gewächse aufreiben... Unser Geschrei über ieden Stich des Schmerzes muß höhern Wesen im unausmeslichen Tempel der Natur so vorkommen, wie uns in der Kirche unter dem Nachdenken über große Wahrheiten das Geschrei eines Kindes... Das Leiden das einen großen Mann zertrümmert, ist ein Donerschlag in einen Tempel.
 

Das Schicksal gab allen oder einigen menschlichen Wesen auf ihrem Wege zum Grabe eine Wolke zur Begleitung; iedes geht mit einer andern Wolke umhüllet. Ueber und durch sie hinaus sieht keiner und sie lagert sich beständig zwischen ihm und der Wahrheit. Ist sie schwarz wie eine Wetterwolke: so ist er unglücklich und von ihr umschattet glaubt er mitten im Sonnenschein der Natur, es sei Nacht; ist sie erleuchtet und wie Abendroth glimmend, so ist er glücklich und freuet sich, wie es in der Wolke so schön untereinander wallet und flimmert und sieht auf iedem bunten Dunstkügelgen Erde und Himmel gemalt. Sie liegt, diese Wolke, über dem weiten Grabe der Menschen, in das sich wie ein Wasserfall der herabziehende Menschenstrom verstäubt und scheinet es zu füllen durch ihre blinkende Dünste. Bethöret tritt der Mensch hinein und nun zieht sich die lügende Wolke auf und entblösset auf einmal den fressenden Schlund und die hellen weiten Gefilde der Wahrheit und Tugend, vor denen er mit einem Seufzer einsinkt.
 

Die Barbarei und Verfinsterung des Menschen läuft wie der Riesenschatte des Mondes bei der Sonnenfinsternis über die Erde und verhüllet fliehend ein Volk um das andere.
 

Der Mensch hat die schwere Doppelrolle auf der Erde zu machen, daß er seinen Geist erhebt indem er seine Bedürfnisse abfüttert und gleich den Gemsen am Berge aufwärts klettert indem er frisset – oder auch die, daß er das Erdenleben in das künftige einwebt, wie der Mond indem er um diese kothige Erde läuft, doch auch mit die Sonne umschift.
 

Gleich den nachgemachten Ruinen in den englischen Gärten, scheinen manche für diese Welt zu gute Menschen die nachgemachten Ruinen aus einer grössern zu sein.
 

Wir irrende Menschen gleichen solchen, die in Staubwolken gehen: ieder von ihnen glaubt, hart um ihn fliege der dünste Staub oder gar keiner, nur um die in einiger Entfernung von ihm, sei er dicht und erstickend; und diese denken wieder wie er.
 

Gleich einen Morgentraume wird das Leben immer heller und geordneter und auseinander gerückter, ie länger seine Dauer ist und ie näher sein Ende.
 

Die Todten sind eingelegtes Bildwerk der Erde, die Lebendigen erhobenes.
 

Die Menschen sind Bilder, welche die Zeit gleich einer Bilderuhr bei iedem Zeigerschlage aus der Nacht herausrückt und wieder zurückreisset.
 

Und warum soll ich in dieses mit ernsthaften Betrachtungen bemalte Trauerzimmer nicht auch diese Grabschrift auf einen Jüngling schreiben: »sein Herz gieng unter die Erde ohne die unendliche Wunde des Menschen: denn niemand, den es liebte, starb vor ihm?« Ach! wir werden alle viel traurigere Grabschriften bekommen.


 << zurück weiter >>