Johann Heinrich Jung-Stilling
Henrich Stillings Wanderschaft / 1
Johann Heinrich Jung-Stilling

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nicht weit vom Ufer war ein Wirtshaus, Stilling mit seinem Kameraden ging da hinein, und in die Stube, welche voller Stroh gespreitet war. Dort in der Ecke lag ein vortrefflicher ansehnlicher Mann. Eine Strecke von demselben ein Soldat. Wieder einen Schritt weiter ein junger Mensch, der einem versoffenen Kauz von Studenten so ähnlich sahe als ein Ei dem andern. Der erste hatte eine baumwollene Mütze über die Ohren gezogen, und einen Mantelrock auf der Schulter hangen, sein russischer Frack war um die Füße gewickelt. Der andre hatte sein Schnupftuch um den Kopf gebunden und den Soldatenrock über sich her, und schnarchte. Der dritte lag da mit bloßem Haupt im Stroh, und ein englischer Frack lag quer über ihn her; er richtete sich auf, sah überquer in die Welt, wie einer, der den vorigen Abend zuviel ins Brannteweinglas geguckt hatte. Hinten im Eck lag etwas, man wußte nicht was es war, bis es sich regte und zwischen Tüchern und Kissen hervorguckte: nun entdeckte Stilling, daß es eine Gattung von Weibsmenschen war.

Stilling betrachtete diese herrliche Gruppe eine Weile mit Freuden, endlich fing er an: »Meine Herren, ich wünsche Ihnen allerseits einen glückseligen Morgen, und gute Reise!« – Alle drei richteten sich auf, gähneten, räusperten sich, und was dergleichen erste Morgensverrichtungen mehr sind; sie guckten auf, sahen da einen langen lächelnden Mann mit einem muntern Knaben bei sich stehen; sie sprungen alle auf, machten ein Kompliment, ein jeder auf seine Weise, und dankten freundlich.

Der vornehmste Herr war ein Mensch von einer hohen und edlen Gesichtsbildung, dieser trat vor Stilling und sagte: »Wie kommen Sie so früh her?« Stilling erzählte kurz und gut, wie es ihm ergangen war. Mit einer edlen Miene fing dieser Herr an: »Sie sind doch wohl kein Kaufmann, Sie kommen mir so nicht vor!« – Stilling verwunderte sich über diese Rede, er lächelte und sagte: »Sie müssen sich gut auf die Physiognomie verstehn, ich bin auch kein Kaufmann, ich studiere Medizin!« Der fremde Herr sah ihn ernst an, und versetzte: »Sie studieren also in der Mitte Ihres Lebens, da müssen wohl ehe Berge zu übersteigen gewesen sein, oder Sie haben spät gewählt!« – Stilling erwiderte: »Beides hat bei mir Platz. Ich bin ein Sohn der Vorsehung, ohne ihre sonderbare Leitung wär' ich entweder ein Schneider oder ein Kohlenbrenner!« Stilling sagte dieses mit Nachdruck und Herzensbewegung, wie er immer tut, wenn er auf diese Materie kommt. Der Unbekannte fuhr fort: »Sie erzählen uns wohl unterwegens Ihre Geschichte!« »Ja«, sagte Stilling »von Herzen gern!« Nun klopfte ihn jener auf die Schulter, und sagte: »Sein Sie wer Sie wollen, Sie sind ein Mann nach meinem Herzen.«

Ihr, die ihr meinen Bruder Lavater so peitscht, woher kam's, daß dieser vornehme Fremde Stillingen im ersten Anblick liebgewann? und welches ist die Sprache, welches sind die Buchstaben, die er so geschickt zu lesen und zu studieren wußte? –

Nun wurde auch der Student munter, er war auch ein wackerer Mann, er grüßte Stillingen, desgleichen auch der Soldat. Stilling fragte: ob die Herren frühstückten? »Ja«, sagten sie alle: »Wir trinken Kaffee!« »Ich auch«, setzte Stilling hinzu; er lief hinaus und bestellte. Als er wieder hereinkam, fragte er: »Kann ich wohl die Ehre haben, mit meinem Gefährten von Dero angenehmen Gesellschaft bis Köln zu profitieren?« Alle sagten einmütig, ja! es würde ihnen Ehre und Freude machen. Stilling bückte sich. Nun kleideten sie sich alle an, und das Frauenzimmer dahinten legte auch sehr schamhaft ein Stück nach dem andern an. Sie war Haushälterin bei einem geistlichen Herrn in Köln, und folglich sehr behutsam in Gesellschaft fremder Mannsleute, wiewohl sie das gar nicht nötig hatte, denn sie war über alle Maßen häßlich.

Der Kaffee kam, Stilling setzte sich vor den Tisch, zog den Kranen der Kaffeekanne vor sich und fing an zu zapfen; er war aufgeräumt, und in seiner Seelen vergnügt, warum? weiß ich nicht. Der fremde Herr setzte sich neben ihn, und klopfte ihn wieder auf die Schulter, der Soldat setzte sich auf seine andere Seite und klopfte ihn da auf die Schulter, die beiden jungen Leute aber setzten sich hinter den Tisch, und das Frauenzimmer saß dahinten, und trank aus einem Kännchen allein.

Nach dem Frühstück setzte man sich in den Nachen, und Stilling merkte, daß niemand den fremden Herrn kannte. Dieser drung Stilling, daß er seine Lebensgeschichte erzählen möchte. Sobald sie durch das Bingerloch gefahren waren, fing er damit an, und erzählte alles ohne das mindeste zu verschweigen, sogar seine Verlöbnis, und das Schicksal seiner jetzigen Reise sagte er aufrichtig. Der Unbekannte ließ zuweilen helle Tränen fallen, der Soldat desgleichen, und beide wünschten von Herzen, zu vernehmen, ob und wie er seine Verlobte angetroffen habe. Alle beide waren nun vertraut mit ihm, und nun fing auch der Soldat an:

»Ich bin aus dem Zweibrückschen, und von geringen Eltern geboren, doch wurde ich fleißig zur Schule gehalten, um durch Wissenschaft zu ersetzen, was mir an Erbschaft mangelte. Nachdem ich von der Schulen kam, nahm mich ein gewisser Beamter zum Schreiber bei sich. Ich war da einige Jahre: seine Tochter war mir geneigt, und wir wurden gute Freunde, sogar daß wir uns fest verlobten, und uns verbanden, nie zu heuraten, wenn man uns etwas in den Weg legen würde. Meine Herrschaft entdeckte dieses bald, und nun wurde ich fortgejagt. Doch fand ich noch ein Stündchen mit meiner Verlobten allein zu reden, bei welcher Gelegenheit wir unser Band noch fester knüpften. Darauf ging ich nach Holland und ließ mich zum Soldaten annehmen; ich schrieb sehr oft an meine Geliebte, bekam aber nie Antwort, denn man hatte alle Briefe aufgefangen. Ich wurde darüber so verzweifelt, daß ich oft den Tod suchte, doch hatt' ich noch immer Abscheu vor dem Selbstmord.

Bald darauf wurde unser Regiment nach Amerika abgeschickt; die Kannibalen hatten Krieg gegen die Holländer angefangen, ich mußte also mit. Wir kamen in Surinam an, und meine Kompanie lag in einem sehr abgelegenen Fort. Ich war noch immer bis auf den Tod betrübt, und wünschte nichts mehr, als daß mich doch endlich einmal eine Kugel treffen möchte, nur schauderte ich vor der Gefangenschaft, denn wer will wohl gerne aufgefressen werden! Ich hielte deswegen beständig bei unserm Kommandanten an: er möchte mir doch einige Mannschaft mitgeben, um gegen die Kannibalen zu streifen; dieses geschah, und da wir immer glücklich waren, so machte er mich zum Sergeanten.

Einsmals kommandierte ich funfzig Mann; wir durchstrichen einen Wald, und kamen weit von unserer Festung ab; wir hatten alle unsre Musketen mit gespannten Hahnen unter dem Arm. Indem fiel ein Schuß auf mich; die Kugel pfiff mein Ohr vorbei. Nach einer kleinen Pause geschah das wieder. Ich schaute hin, und sah einen Wilden wieder laden. Ich rief ihm, zu halten, und richtete das Gewehr auf ihn. Er war nah bei uns. Er stand, und wir fingen ihn. Dieser Wilde verstand holländisch. Wir zwangen ihn, daß er uns ihr Oberhaupt verraten, und zu demselben hinführen mußte. Es war nicht weit bis dahin. Wir fanden einen Trupp Wilden, die in guter Ruhe lagen. Ich hatte das Glück, ihr Oberhaupt selber zu fangen. Wir trieben ihrer so viel vor uns her, als wir ihrer erhalten konnten, viele aber entwischten.

Hierdurch hatte nun der Katzenkrieg ein Ende. Ich wurde Leutnant zur See, und kam mit meinem Regiment wieder nach Holland. Nun reiste ich mit Urlaub nach Hause, und fand meine Braut noch so, wie ich sie verlassen hatte. Da ich nun mit Geld und Ehre versehen war, so fand ich keinen Widerstand mehr, wir wurden getraut, und nun haben wir schon fünf Kinder zusammen.«

Diese Geschichte ergötzte die Reisegesellschaft. Nun hätten sowohl der Leutnant, als auch Stilling gern des Unbekannten nähere Umstände gewußt, allein er lächelte und sagte: »Verschonen Sie mich damit, meine Herren! ich darf nicht.«

So verfloß dieser Tag unter den angenehmsten Gesprächen. Gegen Abend bekamen sie Sturm, und fuhren deswegen zu Leitersdorf unterhalb Neuwied ans Land, wo sie über Nacht blieben. Der liederliche Bursche, den sie bei sich hatten, war ein Straßburger, und seinen Eltern entlaufen. Dieser machte mit dem kleinen Passagier bald Freundschaft. Stilling warnte letztern höchlich, besonders seinen Wechsel nicht sehen zu lassen, allein das alles half nicht. Er hörte hernach, daß der Knabe um all sein Geld gekommen, und der Straßburger sich aus dem Staube gemacht hatte.

Des Abends, als man schlafen gehen wollte, fanden sich nur drei Betten für fünf Personen. Sie losten, welche zwei und zwei beisammen schlafen sollten, und da fielen die zween Burschen zusammen, der Leutnant auf eins allein, und der fremde Herr mit Stillingen bekamen das beste. Hier bemerkte nun Stilling die geheimen Kostbarkeiten seines Schlafgesellen, die etwas sehr Hohes anzeigten. Er konnte diese Art zu reisen, mit einem so hohen Stand nicht zusammenreimen, er begonn bald, Verdacht zu schöpfen; doch, als er merkte, daß der Fremde vertraut mit Gott war, so schämte er sich seines Verdachts und war ruhig. Sie schliefen unter allerhand vertraulichen Gesprächen ein, und des andern Morgens reisten sie wieder ab, und kamen des Abends gesund und wohl zu Köln an. Hier wurde der Fremde tätig. Es gingen in allem Geheim vornehme Leute bei ihm ab und zu. Er besorgte sich ein paar Bediente, kaufte Kostbarkeiten ein, und was dergleichen Umstände mehr waren. Sie logierten alle zusammen im »Geist«. Ungeachtet nun Betten genug daselbst vorrätig waren, so wollte doch der Fremde wieder bei Stilling schlafen. Dieses geschah auch.

Des Morgens eilte Stilling fort. Er und der Fremde umarmten und küßten sich. Letzterer sagte zu ihm: »Ihre Gesellschaft, mein Herr! hat mir außerordentliches Vergnügen gemacht. Fahren Sie nur fort in Ihrem Lauf, so werden Sie's in der Welt weit bringen, ich werde ihrer nie vergessen.« Stilling äußerte noch einmal sein Verlangen, zu wissen, mit wem er gereist habe. Der Fremde lächelte, und sagte: »Lesen Sie die Zeitung fleißig, wenn Sie nach Hause kommen und wenn Sie den Namen *** finden werden, so denken Sie an mich.«

Stilling reiste nun zu Fuß fort, er hatte noch acht Stunden bis Rasenheim. Unterwegens besann er sich auf den Namen des Fremden, er war ihm bekannt, und doch wußte er nicht, wo er mit ihm hin sollte. Nach acht Tagen las er in der Lippstädtischen Zeitung folgenden Artikel:
 

Köln, den 19ten Mai.

Der Herr von *** Ambassadeur des **** Hofes zu **** ist in größtem Geheim heute hier durch nach Holland gereist, um wichtige Angelegenheiten zu besorgen.
 

Des zweiten Pfingsttags also am Nachmittag kam Stilling zu Rasenheim an. Er wurde mit tausend Freudentränen empfangen. Christine aber war sich ihrer selbst nicht bewußt, denn sie redete irre, daher als Stilling bei sie kam, stieß sie ihn weg, denn sie kannte ihn nicht. Er ging ein wenig auf ein ander Zimmer, indessen erholte sie sich, und man brachte ihr bei, daß ihr Bräutigam angekommen sei. Nun konnte sie sich nicht mehr halten. Man rief ihn; er kam. Hier ging nun die zärtlichste Bewillkommung vor, die man sich nur denken kann, aber sie kam Christinen teuer zu stehen; sie geriet in die heftigsten Konvulsionen, so daß Stilling in äußerster Traurigkeit drei Tage und drei Nächte an ihrem Bette, ihren letzten Stoß abwartete. Doch gegen alles Vermuten erholte sie sich wieder, und binnen vierzehn Tagen war sie ziemlich besser, so daß sie zuweilen am Tage etwas aufstand.

Nun wurde diese Verlöbnis überall bekannt. Die besten Freunde rieten Herrn Friedenberg, beide kopulieren zu lassen. Dieses wurde bewilliget, und Stilling nach vorhergegangenen gewöhnlichen Formalitäten 1771 den 17ten Junius am Bette mit seiner Christinen zum Ehestand eingesegnet.

In Schönenthal wohnte ein vortrefflicher Arzt, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und Wirksamkeit, noch immer mehr und mehr die Natur zu studieren, dabei war er ohne Neid und hatte das beste Herz von der Welt. Dieser teure Mann hatte Stillings Geschichte zum Teil von seinem Freunde, dem Herrn Troost, gehört. Stilling hatte ihn auch bei dieser Gelegenheit verschiedenemal besucht, und sich seine Freundschaft und Unterricht ausgebeten. Dieser hieß Dinkler, und bediente eine weitläuftige Praxis.

Herr Doktor Dinkler also und Herr Troost wohnten Stillings Kopulation bei; und bei dieser Gelegenheit schlugen sie ihm beide vor, daß er sich in Schönenthal niederlassen möchte, besonders weil eben just ein Arzt daselbst gestorben war. Stilling wartete abermal auf einen nähern Wink von Gott daher sagte er; er wolle sich darauf bedenken. Allein die beiden Freunde, Herr Doktor Dinkler und Herr Troost, gaben sich alle Mühe, eine Wohnung in Schönenthal für ihn auszuspähen, und diese fanden sie auch, noch ehe Stilling wieder verreiste; auch versprach der Herr Doktor, seine Christine während seiner Abwesenheit öfters zu besuchen, und für ihre Gesundheit zu sorgen.

Herr Friedenberg fand nun auch eine Quelle für ihn an Geld zu kommen, und nachdem nun alles angeordnet war, so rüstete sich Stilling wieder zur Abreise nach Straßburg. Des Abends vor diesem traurigen Tage ging er auf die Kammer seiner Gattin. Er fand sie da mit gefaltenen Händen auf den Knien liegen. Er trat bei sie, und sahe sie an: Sie war aber starr wie ein Stück Holz. Er fühlte an ihren Puls, der ging ganz ordentlich. Er hob sie auf, redete ihr zu, und brachte sie endlich wieder zurechte. Die ganze Nacht verging unter beständigen Trauren und Kämpfen.

Des andern Morgens blieb Christine auf ihrem Angesicht im Bette liegen. Sie faßte ihren Mann um den Hals, weinte und schluchzte beständig. Er riß sich endlich mit Gewalt von ihr. Seine beiden Schwäger begleiteten ihn bis Köln. Noch des andern Tages, ehe er sich in den Postwagen setzte, kam ein Bote von Rasenheim und brachte die Nachricht, daß sich Christine nun beruhigt habe.

Dieses machte Stillingen Mut, er fühlte nun eine große Erleichterung, und er zweifelte nicht, er würde seine getreue liebe Christine gesund wiederfinden. Er empfahl sie und sich in die Vaterhände Gottes, nahm Abschied von seinen Brüdern, und fuhr fort. –

Binnen sieben Tagen kam er, ohne Gefahr, oder sonst etwas Merkwürdiges erfahren zu haben, wieder gesund und wohlbehalten in Straßburg an. Sein erster Gang war zu Goethe. Der Edle sprang hoch in die Höhe, als er ihn sahe, fiel ihm um den Hals und küßte ihn: »Bist du wieder da, guter Stilling!« rief er, »und was macht dein Mädchen?« Stilling antwortete: »Sie ist mein Mädchen nicht mehr, sie ist nun meine Frau.« »Das hast du gut gemacht«, erwiderte jener; »du bist ein exzellenter Junge.« Diesen halben Tag verbrachten sie vollends in herzlichen Gesprächen und Erzählungen.

Der bekannte sanfte Lenz war auch nun daselbst angekommen. Seine artige Schriften haben ihn berühmt gemacht. Goethe, Lenz, Leose und Stilling machten jetzt so einen Zirkel aus, in dem es jedem wohl ward, der nur empfinden kann, was schön und gut ist. Stillings Enthusiasmus für die Religion hinderte ihn nicht, auch solche Männer herzlich zu lieben, die freier dachten als er, wenn sie nur keine Spötter waren.

Nun setzte er seine medizinische Studien mit allem Eifer fort, und ließ nichts aus, was nur zum Wesen dieser Wissenschaft gehört. Den folgenden Herbst disputierte Herr Goethe öffentlich, und reiste nach Hause. Er und Stilling machten einen ewigen Bund der Freundschaft zusammen. Leose reiste auch ab nach Versailles, Lenz aber blieb da.

Den folgenden Winter las Stilling, mit Erlaubnis des Herrn Professor Spielmanns, ein Kollegium über die Chymie, präparierte auf der Anatomie vollends durch, was ihm noch fehlte, repetierte noch ein und anders, und darauf schrieb er seine lateinische Probeschrift selbsten, ohne jemandes Beistand. Diese dedizierte er auf spezielle höchste Erlaubnis, Ihro Kurfürstl. Durchl. zu Pfalz, seinem gnädigsten Landesfürsten, ließ sich examinieren, und rüstete sich zur Abreise.

Hier war nun abermal viel Geld nötig, er schrieb das nach Hause. Herr Friedenberg erschrak darüber. Des Mittags über Tisch wollte er seine Kinder einmal probieren. Sie saßen da alle groß und klein. Der Vater fing an: »Kinder! euer Schwager hat noch so viel Geld nötig, was dünkt euch, wolltet ihr ihm das wohl schicken, wenn ihr's hättet?« Sie antworteten alle einhellig. »Ja! und wenn wir auch unsre Kleider ausziehen, und versetzen sollten!« Das rührte die Eltern bis zu den Tränen, und Stilling schwur ihnen ewige Liebe und Treue, sobald er's hörte. Mit einem Wort, es kam ein Wechsel nach Straßburg, der hinlänglich war.

Nun disputierte Stilling mit Ruhm und Ehre. Herr Spielmann war Dekanus. Als ihm der nach geendigter Disputation die Lizenz gab, so brach er in Lobsprüche aus und sagte: daß er lange niemand die Lizenz freudiger gegeben habe, als gegenwärtigem Kandidaten, denn er habe mehr in so kurzer Zeit getan, als viele andere in fünf bis sechs Jahren, usw.

Stilling stand da auf dem Katheder; die Tränen flossen ihm häufig die Wangen herunter. Nun war seine Seele lauter Dank gegen den, der ihn aus dem Staube hervorgezogen, und zu einem Beruf geholfen hatte, worinnen er, seinem Trieb gemäß, Gott zu Ehren und dem Nächsten zum Nutzen, leben und sterben konnte.

Den 24sten März 1772 nahm er von allen Freunden zu Straßburg Abschied, und reiste fort. Zu Mannheim überreichte er seinem Durchlauchtigsten Kur- und Landesfürsten seine Probeschrift, desgleichen auch allen denen Herren Ministern. Er wurde bei dieser Gelegenheit Korrespondent der Kurpfälzischen Gesellschaft der Wissenschaften, und darauf reiste er bis nach Köln, wo ihn Herr Friedenberg mit tausend Freuden empfing; unterwegens begegneten ihm auch seine Schwäger zu Pferde und holten ihn ab. Den 5ten April kam er, in Gesellschaft gemeldeter Freunde, zu Rasenheim an. Seine Christine war oben auf ihrem Zimmer. Sie lag mit dem Angesicht auf dem Tisch und weinte mit lauter Stimme. Stilling drückte sie an seine Brust, herzte und küßte sie. Er fragte, warum sie jetzt weine? »Ach!« antwortete sie: »ich weine, daß ich nicht Kraft genug habe, Gott für alle seine Güte zu danken.« »Du hast recht, mein Engel!« versetzte Stilling: »aber unser ganzes Leben in Zeit und Ewigkeit soll lauter Dank sein. Freue dich nun, daß uns der Herr bis dahin geholfen hat!«

Den ersten Mai zog er mit seiner Gattin nach Schönenthal in sein bestimmtes Haus, und fing seinen Beruf an. Herr Doktor Dinkler und Herr Troost sind daselbst die treuen Gefährten seines Gangs und Wandels.

Bei der ersten Doktorpromotion zu Straßburg empfing er durch einen Notarium den Doktorgrad, und dieses war nun auch der Schluß seines akademischen Laufs. Seine Familie im salenschen Land hörte das alles mit entzückender Freude. Wilhelm Stilling aber schrieb im ersten Brief an ihm nach Schönenthal:

»Ich hab gnug, daß mein Sohn Joseph noch lebt, ich muß hin, und ihn sehen, ehe ich sterbe.«

Dir nah ich mich – nah mich dem Throne;
    Dem Thron der höchsten Majestät!
Und mische zu dem Jubeltone
    Des Seraphs auch mein Dankgebet.

Bin ich schon Staub – ja Staub der Erden,
    Fühl ich gleich Sünd' und Tod in mir,
So soll ich doch ein Seraph werden.
    Mein Jesus Christus starb dafür.

Wort ist nicht Dank. – Nein! edle Taten,
    Wie Christus mir das Beispiel gibt,
Vermischt mit Kreuz, mit Tränensaaten,
    Sind Weihrauch den die Gottheit liebt.

Dies sei mein Dank, wozu mein Wille
    Sei jede Stunde Dir geweiht!
Gib, daß ich diesen Wunsch erfülle
    Bis an das Tor der Ewigkeit!


 << zurück