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Harst sprach nicht ein Wort während dieser anderthalb Stunden. Es war sechs Uhr, als wir St. Moritz-Dorf erreichten. Die Sonne stand bereits hinter den schroffen Zacken des Piz Nair, und der See schimmerte smaragdgrün und geheimnisvoll und schien von den Wintersportfesten zu träumen, wenn auf seiner blanken Fläche die Eislaufmeisterschaften unter dem Jubel von Tausenden ausgetragen wurden.
Ich war hungrig und müde, und es war mir ganz recht, daß Harald vorschlug, wir sollten uns im Salon Deister noch schnell zur Erfrischung die durchschwitzten Häupter waschen und massieren lassen.
Als wir die Diele mit den Korbmöbeln betraten, tauchte vor uns dasselbe grobknochige, große Weib auf, das uns mittags im Treppenhause begegnet war. Im übrigen war der Raum leer. In der Luft hing der fade Geruch von Seifen, Parfüm und Qualm von Brennscheren, die einem Bubikopf die ersehnten Wellen verleihen. Die grauhaarige Frau musterte uns flüchtig und lächelte kriecherisch.
Harst trat ganz dicht auf sie zu. »Frau Deister, es wundert mich, daß Kommissar Gepp Sie noch nicht verhaften ließ,« sagte er ganz leise. »Sie haben Gepp hier oben im Mansardenstübchen niedergeschlagen. Sie hätten auch uns beide kaum wieder ins Freie gelassen, wenn wir Gepp nicht gefunden hätten.«
Die Frau wurde totenbleich. Sie öffnete den Mund, aber nur ein heiseres Lächeln kam über ihre fahlen Lippen. Ihr verzweifelter, hilfloser Blick irrte zu einer der Kabinen hin, zu dem geschlossenen Vorhang, und es war wie höllische Ironie, als aus jener Kabine nun des schönen Natzi ölige Stimme ertönte: »Der Flapperkopf wird sich niemals durchsetzen, gnädige Frau. Ihm fehlt das Eigenartige, ihm fehlt die Möglichkeit der persönlichen Note.«
Harald gab mir einen Wink. Ich ließ Frau Deister nicht aus den Augen. Er selbst ging zu dem Vorhang, streckte die Hand in die Kabine hinein, und diese Hand hielt etwas, das dem schönen Natzi einen kurzen Schrei entlockte.
In dem Frisierstuhl saß eine Dame im weißen Frisiermantel. Das Brillantkreuz auf ihrer Brust schillerte in allen Farben.
»Haben Sie bereits einen Wachsabdruck von dem Brillantkreuz genommen?« fragte Harst in die Kabine hinein. »Oder war die Imitation dieses Schmuckes bereits fertig, Herr Ignatz? Hatte Ihr Vater, der frühere Goldarbeiter, sie schon in der Talmifabrik auf dem Geisterberg hergestellt, damit Sie Echt gegen Unecht hier bei Ihrer Arbeit vertauschen könnten?! – Es sind ja niemals Diebe in die Zimmer des Albana eingedrungen. Das hatten die Diebe gar nicht nötig. Beim Herrichten schöner Frauenköpfe ließ sich bei einiger Fingerfertigkeit so leicht Talmi gegen Gold, Platin und Diamanten auswechseln. Ich glaube, Lady Gwendolyin Hooys Anhänger war der Anfang der Dinge, Herr Deister Junior. Nun – Immerhin entbehrt Ihr Gaunertrick nicht der Eigenart und hat bestimmt eine persönliche Note. Vielleicht können Sie Ihren Trick in der Zurückgezogenheit einer Gefängniszelle noch vervollkommnen ... – Schraut, rufe die Polizei an ... – Man sollte diesen Salon besser Salon Geisterberg taufen.«
Die verstörten Gesichter der Angestellten bildeten Spalier, als der zappelige Polizeichef mit seiner Garde die drei Deisters nach Numero Sicher brachte. –
»Mylady hat zwei Herren als Gäste zu Tee ...« erklärte der Herr Ober. »Aber ich werde Sie sofort anmelden, Herr Harst ...«
Als wir Gwendolyn Hooys Salon betraten und sie uns liebenswürdig entgegenkam, glänzte auf ihrer Brust in mildem Feuer au einem Platinkettchen ein bläulicher, wundervoller Stein.
Harst vergaß fast eine Verbeugung, so angestrengt blickte er auf den herrlichen Schmuck. Ich als Nebenfigur vergaß die Verneigung tatsächlich.
Gwendolyn lächelte etwas müde.
»Die Herren kennen sich ja ... – sie deutete auf ihre Gäste, die sich erhoben hatten.
Mir flimmerte es vor den Augen: Der eine war Mr. Giles Tirom mit dem Monokel, der andere aber war bis ins Einzelne ... die verkleidete Lady Palmyra, die wir doch droben in dem Steinhäuschen zurückgelassen hatten. Und diese Lady Palmyra sagte nun mit einer uns nur zu bekannten, wohllautenden Männerstimme: »Lieber Harst, Sie dürfen mir den kleinen Scherz nicht verargen. Ich wußte, daß Sie den Geisterberg erklimmen würden, ich stellte mich schlafend, ich glaubte, mein Gelächter würde Sie stutzig machen. Was Sie vom Schemel aufnahmen, war nur eine zweite Imitation des Blauen Hooy. Den echten Hooy hatte ich bereits Lady Palmyra abgenommen, die jetzt schon auf dem Wege in eine Heilanstalt ist, denn sie ist zweifellos geistig nicht normal, sie hat die Deisters bestochen gehabt, von ihr stammte der Plan zu den Diebstählen, sie wollte Lady Gwendolyn eben von ihrem Gatten trennen, und die anderen Diebstähle des schönen Natzi sollten den Tatbestand nur verwirren.«
Alarich Gepp streckte Harst die Hand hin. »Also – nichts für ungut, lieber Harst ... Ich habe Ihnen ja den Triumph gegönnt, das Deisternest auszuheben.«
»Danke verbindlichst,« meinte Harald lachend und klopfte dann Mr. Tirom auf die Schulter. »Es bleibt mir außerdem noch ein Trost, nämlich der, daß ich in Ihnen, Mr. Tirom, sofort Freund Moritz Seligfeld erkannt habe. Ihr Name Giles Tirom glich von rückwärts doch zu sehr unserem lieben Moritz Seligfeld. Wie heißen Sie nun eigentlich mit richtigem Namen?«
Da sagte Gepp sehr entschieden: »Mag's bei Giles Tirom bleiben ...! Genau so wenig, wie ich mein wahres Gesicht jemandem zeige, soll mein bester Mitarbeiter seinen wahren Namen der Oeffentlichkeit preisgeben. – Lady Hooy, Sie gestatten, daß Giles und ich uns verabschieden ... Unser Zug geht um sieben Uhr dreißig ab ...«
Als die Tür zugefallen war, meinte Gwendolyn Hooy, indem sie jedem von uns eine Hand hinstreckte: »Heute speisen wir drei gemeinsam an einem Tische, meine Herren. Und übermorgen ... kommt mein Mann, mein Percy ...«
In ihren Augen glomm ein warmer Schimmer auf, und diese Augen schweiften hinaus zu dem in rosige Glut getauchten Gipfel des Piz Rosatsch.