Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nr. 76
[Briefkopf: Gasthof Emma, Meran, Pragserwildsee]
[Stempel: Meran – 6. IV. 20]
Liebe Ottla, müde vom Wohnungssuchen, es gibt soviele Wohnungen, die Grundfrage ist: große Hotelpension (z.B. die wo ich jetzt recht gut lebe, vegetarisch gut, nicht gerade sehr durchdacht, aber immerhin) oder kleine Privatpension. Erstere hat den Nachteil daß sie teuerer ist (ich weiß allerdings nicht wie viel es ausmachen wird, ich esse nicht in Pension) vielleicht nicht so gute Liegemöglichkeit gibt, wie die kleine Pension, auch wird man wohl in der kleinen persönlich interessierter behandelt, worauf ein Vegetarianer vielleicht mehr angewiesen ist, als ein anderer aber einen großen Vorteil hat sie, es sind die großen freien Räume, das Zimmer selbst, der Speisesaal, die Vorhalle, selbst wenn man Bekannte hat, ist man frei, unbedrückt, die kleine Pension hat dagegen etwas von einer Familiengruft, nein das ist falsch, etwas von einem Massengrab. Sei das Haus noch so gut instand gehalten (ist es das nicht, auch solche sah ich, dann möchte man sich gleich hinsetzen und über die Vergänglichkeit weinen) es ist doch notwendig eng, die Gäste sitzen aneinander, man schaut einander immerfort in die Augen, es ist eben wie bei Stüdl, nur daß allerdings Meran unvergleichlich freier, weiter, mannigfaltiger, großartiger, luftreiner, sonnenstärker als Schelesen ist. Das ist also die Frage. Was hältst Du z.B. von der Ottoburg, dem einzigen brauchbaren Ergebnis des Nachmittags (des dritten Meraner, und des ersten unverregneten Nachmittags) Preis 15 Lire, der gewöhnliche Preis der Privatpensionen, reines Haus, die Wirtin eine fröhliche sehr dick- und rotbackige Frau des Buchhändlers Taussig, erkennt sofort mein Prager Deutsch, interessiert sich sehr für meinen Vegetarianismus, zeigt dabei aber völligen Mangel vegetarischer Phantasie; das Zimmer ist recht gut, der Balkon gestattet alle Nacktheit, dann führt sie mich in den gemeinsamen Speisesaal, ein hübscher Saal, aber doch niedrig, so sitzt man beisammen, die gebrauchten Servietten in den Ringen bezeichnen die Plätze, Schneewittchen hätte keine Lust gehabt, hier Späße zu machen. Nun? Ehe Deine Antwort kommt dürfte ich mich schon entschieden haben, versprochen habe ich, daß ich morgen vormittag schon komme.
Die Reise war sehr einfach, der Südamerikaner war nur ein Mailänder, aber dafür ein liebenswürdiger, rücksichtsvoller, schöner, eleganter, im Körper eleganter Mensch, ich hätte nicht besser wählen können und man kann gewiß für dieses im Grunde abscheuliche enge Beisammensein, es war auch sehr kalt, gelegentlich sehr schlecht wählen. Die Francs habe ich nicht gebraucht, es werden offenbar wenn sich die Reisenden an ein bestimmtes System gewöhnt haben, sofort neue Systeme eingeführt, die weitere Karte war in österr. Kronen zu zahlen; wieviel kostet die Karte von der Grenze bis Innsbruck? An 1300 K, soviel hatte ich allerdings nicht. Die Lire waren in Innsbruck ganz leicht zu wechseln.
Vorläufig genug, ich muß noch (nach meiner Vorschrift) Orangenlimonade trinken gehn. Schreibe mir ausführlich von Dir, besonders von Sorgen, wenn Du willst auch Träumen, in die Ferne hat auch das Sinn. Grüße alle, auch Max oder Felix, wenn Du sie sehen solltest.
Dein F
Nr. 77
[Meran,] 17. April [1920]
Meine liebe Ottla, was ich von den Sorgen schrieb, habe ich natürlich nicht so ernsthaft gemeint, ein guter Kopf hat keine Sorgen und ein schlechter wird sie nie los, aber in der Ferne bekommt man so eine besondere Beziehung zum Zuhause, man ist dem Fernen gegenüber, das man in seinen Einzelnheiten also gerade in seinem Gefährlichen nicht mehr sieht, besonders mächtig und klardenkend, man glaubt, wenn Du z. B. eine Sorge hättest, müßte man sie von hier aus mit einem geraden Strich beseitigen können und deshalb, also nicht Deiner Sorgen wegen sondern um meiner Macht willen wollte ich, daß Du mir alle Sorgen schreibst. Gut daß Du keine hast, mein Strich wäre wohl auch in Wirklichkeit nicht scharf genug. (Jetzt ruft draußen in den Gärten irgendjemand »Halloh« mit einer Stimme, die der Maxens erstaunlich ähnlich ist)
Sehr deutlich ist in Deinem Brief, wie der Vater meine Karte zum zweitenmal liest, dieses zweite Lesen, wenn er so zufällig nach dem Spiel nach irgendetwas auf dem Tisch sich herumtreibendem Geschriebenem greift ist ja viel wichtiger als das erste Lesen. Wenn man sich nur immer der Verantwortung bewußt bliebe, wenn man schreibt. Als ob ich z. B. den Vater jemals mündlich um eine Zuckersendung bitten würde, aber geschrieben wird es ohne weiters und sinnlos. »Da hast Du Deinen Herrn Sohn. In was für eine Spelunke er da wieder gekrochen ist, nicht einmal Zucker haben sie dort«. So oder ähnlich. Nun wäre mir ja nicht eingefallen um Zucker zu schreiben, wenn mir nicht den Abend vorher Frau Fröhlich gesagt hätte, daß sie sich schon öfters aus Prag Zucker hat schicken lassen, und wenn ich dann nicht gleich nächsten Morgen das abscheuliche Sacharin bekommen hätte. Also ich schrieb nicht aus Not sondern aus Zufall und Gedankenlosigkeit, auch war es in jenen ersten Tagen, wo ich an Limonaden mich nicht satt trinken konnte und diese eben das Ehepaar mit dem eigenen Zucker selbst machte. Um in dieser Sache ganz vollständig zu sein: im Hotel war genug Zucker schlechter aber, weil dieses pauschale Zuteilung bekommt, während die Pension genau rationiert ist und den Zucker für Mehlspeisen braucht. Soviel Zucker wie Böhmen hat ja kaum ein anderes Land in Europa. Also das ist die lange Geschichte. Aber wie gesagt auch den Zucker brauche ich nicht mehr. Honig ersetzt ihn und an Limonaden habe ich mich für Wochen sattgetrunken.
Sonst ist aber meine Pension großartig und wenn ich jetzt vom Tisch aus durch die ganz offene Balkontür in den Garten hinausschaue, lauter voll blühende mächtige baumartige Sträucher knapp am Geländer und weiterhin das Rauschen großer Gärten – übertrieben, es ist nur die Eisenbahn – so kann ich mich nicht erinnern einen ähnlichen Prospekt im Teater (durch das elektrische Licht hat es jetzt teaterähnliche Beleuchtung) gesehen zu haben, außer wenn die Wohnung eines Prinzen oder wenigstens einer sehr hohen Persönlichkeit glaubhaft gemacht werden sollte.
Und das Essen, das ist eben für mich viel zu reichlich. Das Nachtmahl, das ich gestern der Mutter beschrieben habe, hat mich z. B. weil ich mich in ekelhafter, äußerlich allerdings gar nicht auffälliger Weise übernommen habe, fast den ganzen Schlaf der letzten Nacht und sonstige Unannehmlichkeiten gekostet. Um Mißdeutungen vorzubeugen: ich habe heute schon wieder sehr viel gegessen. Daß man gerade dem Magen des Andern nicht glaubt und der Lunge z. B. ohne weiters und beides ist doch objektiv in gleicher Weise festzustellen. Niemand sagt: Wenn Du mich ein bischen lieb hast, hör auf zu husten. Andererseits ist es ja ein ganz feines und verläßliches Gefühl, das z.B. im Vegetariersein (es bekommt in fremden Augen leicht etwas Berufsmäßiges: von Beruf Vegetarianer) etwas sich Vereinsamendes, etwas Wahnsinnsverwandtes wittert, nur vergißt man in schrecklicher Oberflächlichkeit, daß hiebei der Vegetarianismus eine ganz unschuldige Erscheinung ist, eine kleine von tieferen Gründen hervorgebrachte Begleiterscheinung und daß man sich also gegen diese tieferen aber wahrscheinlich unzugänglichen Gründe wenden müßte.
So gesprächig bin ich also geworden, weil mein letzter Brief statt Dir Spaß, der Mutter Sorge gemacht hat und davon wie es mir sonst geht habe ich nicht viel gesagt. Nächstens. Letzthin habe ich im Traum einen Aufsatz von Dir in der Selbstwehr gelesen. Überschrieben war es: »Ein Brief«, vier lange Spalten, sehr kräftige Sprache. Es war ein an Marta Löwy gerichteter Brief, der sie über eine Krankheit des Max Löwy trösten sollte. Ich verstand nicht eigentlich, warum er in der Selbstwehr stand, aber ich freute mich doch sehr. Alles Gute!
Franz
Hat Felice schon geantwortet? Wenn nicht, wird man ihr wohl noch einmal unter voller Adresse schreiben müssen. Daß ich es nicht noch zu sagen vergesse: Du mußt ja jetzt wirklich sehr viel zu tun haben, das Frl. allerdings auch und vor allem. Keine Bedienerin?
Nr. 78
[Meran, ca. 1. Mai 1920]
Meine liebste Ottla, ich glaube, daß das eine Verwechslung ist. Gewiß, er wird Dir durch seine Arbeit sehr entzogen, durch das Sokoltum, durch die Politik; von mir aus würde ich jedes auch nicht so gut begründete Fernbleiben gut verstehn (F. war zum erstenmal in Prag, ich hätte leicht Urlaub haben können, faulenzte aber lieber im Bureau, war nur Nachmittag bei ihr und erkannte eigentlich erst den Fehler, als sie viel später in Berlin mir ihn vorhielt, aber Lieblosigkeit war es nicht gewesen, Furcht vor dem Beisammensein vielleicht) von ihm aus verstehe ich es allerdings nicht ganz. Aber auf das alles kommt es glaube ich nicht so sehr an. Diese Arbeit und diese Interessen wären kein eigentliches Fernbleiben, wenn Du imstande wärest sie wenigstens teilweise auf Dich zu beziehn, sie wären dann für Dich geleistet, das Fernsein würde dann im Nahesein förmlich gerechtfertigt. Ich kann nur wieder ein F.-Beispiel vorbringen: sie wäre z. B. zweifellos imstande gewesen sich für die Arbeiterunfallversicherung auf das äußerste, mit Verstand und Herz zu interessieren, ja sie wartete wahrscheinlich ungeduldig auf die Einladung hiezu, auf ein flüchtiges Wort nur; als es ewig nicht kam, wurde sie freilich müde, sie wollte immer tätig sein, suchte einen Weg, aber da war keiner. Aber hier ist es doch anders, ihn freut sein Beruf, er lebt unter seinem Volk, ist fröhlich und gesund, im Wesentlichen (auf das Nebenbei kommt es nicht an) mit Recht mit sich zufrieden, mit seinem großen Kreis zufrieden, mit Recht (es ist nicht anders auszudrücken, so wie eben ein Baum auch mit Recht in seinem Boden steht) und in ganz bestimmten Richtungen mit den andern unzufrieden – ich weiß nicht, es ist aber gewissermaßen fast das »Gut« das Du Dir seit langem wünschst, der feste Boden, der alte Besitz, die klare Luft, Freiheit. Alles das unter der Voraussetzung allerdings, daß Du es erwerben willst. Was Du so oft sagst vom: »er braucht mich nicht« »es geht ihm besser ohne mich« ist Spaß, ernst war daß Du gezögert hast. Das Zögern hast Du nun aufgegeben, ein Rest aber ist noch geblieben und der besteht im Trauern um seine mit Fremden – warum Fremden? – hingebrachte Zeit, besteht in dem Unnatürlichen – warum Unnatürlichen? – der Bureaubeleuchtung, von der Moldau aus gesehn. Gewiß es wäre möglich, daß er zwischen Sonntag und Donnerstag von sich hören läßt und ich verstehe nicht, warum er es nicht tut, aber wichtiger ist das andere und gut daß er durch sein Verhalten, ohne Absicht allerdings, Dich darüber belehrt.
Ist es zu streng, was ich sage? Ich bin nicht streng zu Dir, Ottla, wie könnte ich streng zu Dir sein, da ich doch schon mir gegenüber windelweich bin. Eher bin ich heute ein wenig nervös, ich schlafe nicht gut, das hat natürlich auch die Gewichtszunahme schlecht beeinflußt, immerhin ist sie noch leidlich: 6. IV.: 57.40, 14. IV.: 58.70, 16. IV.: 58.75, 24. IV.: 59.05, 28. IV.: 59.55 (beim letzten hatte ich durch ein vorher getrunkenes Glas Milch nachgeholfen) Dabei geht es mir in allen Einzelnheiten ausgezeichnet, nichts könnte eigentlich besser sein, nur der Schlaf zeigt, daß etwas fehlt, aber frag ihn, wenn er nicht da ist. Jedenfalls, Fleisch und Sanatorium könnten dem Schlaf eher schaden als nützen, beim Doktor aber war ich gestern, er findet meine Lunge ausgezeichnet d. h. er findet dort überhaupt fast nichts Störendes, gegen das Vegetarische hat er nichts, einige Ratschläge für das Essen hat er mir gegeben, gegen Schlaflosigkeit (es ist nicht Schlaflosigkeit, ich wache nur fortwährend auf) Baldrianthee, also Baldrianthee hat mir gefehlt. Übrigens ein guter teilnehmender Arzt, Dr. Josef Kohn aus Prag.
Ich träumte heute von Dir, es war das obige Thema. Wir saßen zu dritt und er machte eine Bemerkung die mir, wie das im Traum so geht, außerordentlich gefallen hat. Er sagte nämlich nicht, daß das Interesse der Frau für die Arbeit und das Wesen des Mannes selbstverständlich oder erfahrungsgemäß sei sondern es »sei historich nachgewiesen«. Ich antwortete, durch das Interesse für das Allgemeine der Frage von dem besondern Fall ganz abgelenkt: »Ebenso das Gegenteil«.
Wege willst Du haben? Heute zwei, erstens die Schwimmschulkarte und zweitens bestell für Dich auf meine Rechnung bei Taussig Memoiren einer Sozialistin von Lilli Braun Verlag Langen, 2 Bände, gebunden. Über einen dritten Weg, zum Direktor, schreibe ich Dir nächstens, ich werde nämlich vielleicht doch länger als 2 Monate bleiben, wenns mir weiter gut geht und der Schlaf besser wird.
Über die Wahlen habe ich nur wenig aus dem Večer erfahren, der hier im Einzelverkauf zu haben ist. Felix schickt mir die Selbstwehr nicht, trotzdem ich ihn darum gebeten habe. Max fuhr nach München, wie ich von Dr. Kohn gehört habe, der ihn auf der Reise gesehen hat. Gibt es Familien- und Geschäftsneuigkeiten?
Leb wohl!
Dein Franz
Meinen letzten Brief hast Du inzwischen wohl bekommen?
Nr. 79:
An Julie, Hermann und Ottla Kafka
[Meran, 4. Mai 1920]
Liebe Eltern, besten Dank für Euere Nachrichten. Das Wetter war nun allerdings paar Tage sehr schön, sehr heiß, so daß ich schon mit dem Gedanken gespielt habe, irgendwohin höher in die Berge zu fahren, heute aber gießt es wieder und ist stürmisch, ich bleibe also noch ein Weilchen hier, es ist auch sehr gut für mich gesorgt. – Ich habe zwei Monate Krankenurlaub, die wären Ende Mai zuende, nun habe ich aber noch den Anspruch auf den gewöhnlichen 5 Wochenurlaub, den ich erst im Herbst ausnützen wollte. Nun scheint es mir aber, da ich nun schon einmal hier bin, besser, auch den regulären Urlaub gleich mitzuverwenden, ganz oder wenigstens zum Teil. Der Doktor hält es auch für besser, Ihr wohl auch? Allerdings muß das zuerst die Anstalt erlauben das zu erwirken will ich jetzt Ottla bitten.
Liebe Ottla, also krank? Vorläufig will ich es so nehmen, wie es die Mutter schreibt, nämlich, daß es »Halsentzündung « ist, am 30. IV. »schon viel besser« war, heute am 4. V. also schon vorüber ist. Aber merkwürdig ist es, daß Du zwar mir schreibst, aber nichts von der Krankheit. Nun von der Ferne ist leicht alles merkwürdig, nur verliert es durch diese Erkenntnis nichts von der Merkwürdigkeit. Schreib mir bald. Meine 2 Briefe hast Du wohl bekommen?
Den Weg zum Direktor werde ich Dir jedenfalls gleich beschreiben, geh aber natürlich erst hin, bis Du ganz gesund bist. Es ist im Grunde sehr einfach, die Bitte wird auch sicher bewilligt werden, nur will ich es formell einwandfrei machen, da der Direktor sich schon einmal in einem ähnlichen Fall wegen einer Formlosigkeit über mich geärgert hat. Es handelt sich um folgendes. Ich bekam 2 Monate Krankenurlaub und außerdem wurde mir vom Direktor ausdrücklich der normale 5 wöchentliche Urlaub zugesagt, den ich aber erst im Herbst nehmen wollte, da ich damals nur an Meran dachte, wo man im Juni angeblich schon zu sehr unter der Hitze leidet, und nicht an die Berge. Nun möchte ich aber doch lieber den Urlaub im ganzen nehmen, das wird auch beim Direktor keine Schwierigkeiten machen denn erstens hat er mir selbst einmal unter dem starken Eindruck des ärztlichen Gutachtens gesagt: »wenn es Ihnen dort gut geht, schreiben Sie an die Anstalt und Sie können auch länger als 2 Monate dort bleiben« d. h. der Krankenurlaub kann ( unbeschadet des normalen Urlaubs) verlängert werden zweitens verlange ich ja gar nicht die Verlängerung des Krankenurlaubs sondern nur die Bewilligung den normalen Urlaub gleich im Anschluß an den Krankenurlaub verwenden zu dürfen, was die Direktion ohne weiters ohne erst den Vorstand zu fragen sofort bewilligen kann. Ich habe also das beiliegende von Dir noch zu korrigierende Gesuch geschrieben, ganz kurz erstens weil ich die Geschichte nicht allzusehr aufbauschen will, zweitens weil meine Sprachkenntnisse gegenüber dem unfehlbaren Tschechisch des Direktors zum Aufbauschen nicht ausreichen und drittens weil Du einen Weg willst. Willst Du nicht hingehn kannst Du es auch schicken und die Antwort abholen. Ich denke es mir so: Du gehst hin zum großen Fikart, beratest Dich mit ihm ob Du den Direktor nicht gerade störst und läßt je nach dem Ergebnis der Beratung entweder das Gesuch dort (mit der Drohung daß Du in 1, 2 Tagen um die Erledigung kommst) oder gehst zum Direktor, überreichst ihm das Gesuch mit einem ehrerbietigen Knicks (ich habe Dir ja solche Knickse schon öfter vorgemacht) und sagst, daß ich mich ihm schön empfehle (einen Brief, allerdings einen deutschen, habe ich ihm geschickt) daß es mir recht gut geht, daß ich bis jetzt täglich 10 dkg zugenommen habe, daß bis jetzt recht schlechtes Wetter war, daß der Arzt es für besser hält, wenn ich die Kur ununterbrochen fortsetze (auch der Anstaltsarzt hat ja eine 3 monatliche Kur empfohlen) daß es bei dem jetzigen Stand der Lira hier verhältnismäßig nicht sehr teuer ist (allerdings habe ich nicht sehr vorteilhaft gekauft und die günstigsten Kauftage schon vorübergehen lassen) im Herbst jedenfalls viel teuerer sein wird, daß ich nun schon einmal die Reise hinter mir habe, u. dgl. Das Gesuch habe ich nicht direkt an die Anstalt geschickt weil es mir darauf ankommt baldige Antwort (telegraphiere mir dann vielleicht »bewilligt«) zu bekommen, damit ich mich rechtzeitig danach einrichten kann. Dank, alles Gute und herzliche Grüße dem Fräulein.
Franz
Vielleicht grüßt Du bei der Gelegenheit Hr. Treml von mir und siehst nach, ob dort irgendwelche Post für mich ist
Nr. 81
[Meran, Mitte Mai 1920]
Liebe Ottla, Dank für die zwei Briefe und das Telegramm. Ich hätte Dir schon früher geantwortet, aber die Schlaflosigkeit, die eine Zeitlang fast unmerklich war, ist seit einiger Zeit wieder abscheulich ausgebrochen, was Du daraus beurteilen kannst, daß ich zur Bekämpfung allerdings fast mit Gegenerfolg einmal Bier getrunken, einmal Baldriantee getrunken und heute Brom vor mir stehen habe. Nun es wird wieder vorübergehn (vielleicht ist übrigens die Meraner Luft daran mitschuldig, Bädecker behauptet es) aber man wird manchmal unfähig zu schreiben. Als ich Dir den Brief mit den Belehrungen schrieb, fiel mir natürlich nicht ein, zu denken, sie könnten noch aktuell sein, wenn sie ankämen, ich hielt es bloß nicht für ausgeschlossen daß sie wieder aktuell geworden sein könnten. Es waren übrigens gar nicht Belehrungen sondern nur Fragen.
Wegen Deiner Krankheit war ich deshalb einen Augenblick erschrocken, weil ich kurz nach dem Lesen Deines damaligen Briefs Herrn Fröhlich, der mir, sicher in Übertreibungen von einer Blatternepidemie in Prag erzählte. Ich bin überzeugt daß naturgemäße Lebensweise Blattern übersteht, aber ich will nicht daß der Beweis von Dir geführt wird.
Daß die Hochzeit im Juli sein wird – wie sollte mich das überraschen? Ich dachte vielmehr, sie werde Ende Juni sein. Du sprichst manchmal davon, wie wenn Du mir damit ein Unrecht tätest, während es doch das Gegenteil ist. Beide sollten wir nicht heiraten, das wäre abscheulich und da Du von uns beiden dazu gewiß die geeignetere bist, tust Du es für uns. Das ist doch einfach und die ganze Welt weiß es. Dafür bleibe wieder ich ledig für uns beide. Ich werde wohl noch im Juni kommen und vom Urlaub noch ein Stück mir aufheben, gar wenn die Schlaflosigkeit mir in den Kurerfolg hineinfährt. Zuletzt hatte ich 3.50 zugenommen, jetzt habe ich mich einige Tage nicht gewogen. Jene Beruhigung hast Du sehr gut ausgeführt, ich schreibe recht regelmäßig, aber da war wohl doch eine Lücke. Den Eltern danke bitte für ihren lieben Brief, ich schreibe ihnen bald, auch an die dort angegebenen Adressen. Wann fahren die Eltern ins Bad oder verschieben sie es wegen der Hochzeit? Kommt Onkel Alfred?
Das Wetter ist jetzt sehr schön, der früher gefürchtete Regen wird jetzt gewünscht und kommt auch regelmäßig zu seiner Zeit. Ich bin den größten Teil des Tages fast nackt und kann den Leuten die von 2 nahen Balkonen manchmal zufällig herüberschauen, nicht helfen, denn es ist wirklich sehr heiß. Vielleicht übersiedle ich für die paar Wochen noch nach einem andern Ort, aber nicht wegen der Hitze, sondern wegen der Schlaflosigkeit, es tut mir leid, denn eine so gute Pension und Behandlung finde ich nicht wieder. Allerdings dachte ich das im Hotel Emma auch. Der Vater würde sagen: »Wenn man ihn nicht prügelt und hinauswirft, ist es eine großartige Pension«. Er hat recht, aber ich auch.
Warst Du schon bei Oskar? Grüß ihn vielmals von mir und erkläre ihm, warum ich noch nicht geschrieben habe. Allerdings hast Du jetzt vielleicht wegen der Vorarbeiten gar keine Zeit. Brief an Felice?
Grüße auch sonst alle und das Fräulein besonders. Wir haben noch immer kein Dienstmädchen?
F
Nr. 83
[Meran, Ende Mai 1920]
Liebe Ottla, das hast Du also ausgezeichnet gemacht, allerdings hätte ich an Deiner Stelle die Gesundung des Herrn Fikart abgewartet aus dem Grunde weil er es mir vielleicht übelnehmen wird ihn übergangen zu haben. Aber trotzdem bin ich froh noch ein wenig hierbleiben zu können. Vielleicht fahre ich dann im Juni des Übergangs halber noch auf paar Tage nach Böhmen irgendwohin, aber nicht eigentlich weil es mir hier zu heiß wäre. Zum arbeiten allerdings ist sehr heiß, man klagt sogar in den Zeitungen über vorzeitige Hitze, nicht einmal am Abend (nur am Morgen) halte ich es aus eigentlich im Garten zu arbeiten (ganz leichtes natürlich Unkraut durchhacken, Kartoffeln behäufeln, Rosen beschneiden, eine tote Amsel begraben u. dgl.) aber für das Daliegen ist es im Durchschnitt kühl und schön, nicht wärmer als in Prag. Und an der Passer, die aus dem Hochgebirge kommt und kalte Luft mitgerissen bringt, gibt es eine quergestellte Bank, wo es einen in der größten Mittagshitze fast kalt durchweht.
Daß der Direktor Dich nicht viel angeschaut hat, beweißt kein Mißfallen, ich hätte Dich darauf vorbereiten sollen. Es ist das eher ein rhetorischer Effekt oder richtiger ein Verzicht auf das Auskosten der Wirkung. Der gute Redner oder der welcher es zu sein glaubt, verzichtet in seinem Selbstbewußtsein auf das Ablesen der Wirkung vom Gesicht des andern, vielmehr er muß gar nichts ablesen, ist tief von der Wirkung überzeugt, braucht diese Anregung nicht. Übrigens spricht doch der Direktor wirklich außerordentlich gut, bei so formellen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht so zur Geltung gekommen.
Ich danke Dir auch noch nachträglich für die Zeitungen, an dem Tag, als ich sie bekam war ich so unausgeschlafen, daß ich nicht begreifen konnte, daß eine solche Menge Zeitungen ohne einen bestimmten Zweck etwa gar zur Unterhaltung gelesen werden könnten. Später habe ich doch manches Interessante in ihnen gefunden. Die Rundschau hebe mir auf, ich brauche sie hier nicht.
Aus den Worten des Direktors könnte man annehmen, daß er sehr bereit wäre mich zu pensionieren. Es ist doch sinnlos einen Beamten zu halten, den man für so erholungsbedürftig hält, daß man immer wieder ihm Urlaub geben will. Oder ist es das Zeichen weiteren Weltuntergangs? Letzthin erzählte einer von einem Gespräch von früheren Heereslieferanten. Sie klagten über die Menge Kriegsanleihe, die sie liegen haben. Nur einer, gerade der welcher am meisten geliefert hatte, sagte, er habe keine. Er erklärte das damit, er habe sich gleich gesagt bei den Preisen, die er mache, könne kein Staat auf die Dauer bestehn, deshalb habe er nicht gezeichnet. Könnte das nicht mancher auch der Welt gegenüber sagen?
Wilder Kopf? Nun es ist schon lange und der Kopf ist wieder gut geworden.
Der General – ich habe von ihm schon geschrieben, nicht? – hat heute im Biergarten (ja, ich ich habe ein kleines Bier zwischen den Fingern gedreht) seine feste Überzeugung ausgesprochen, daß ich heiraten werde und hat auch meine künftige Frau beschrieben. Er kennt nämlich mein Alter nicht und hält mich für etwas ganz Junges, bei ihm ist es angenehm, ich habe ihn gern und sage ihm mein Alter nicht. Dabei ist er viel jünger und ich könnte nicht in Weisheit sein Großvater sein. Er ist 63 Jahre alt, hat aber eine so schlanke, straffe, beherrschte Gestalt, daß er z. B. im Halbdunkel des Gartens, im kurzen Überzieher, die eine Hand an der Hüfte, die andere auf der Zigarette am Mund wie ein junger Wiener Lieutenant aus den alten österreichischen Zeiten aussieht. Alles Gute
Franz
Grüß doch einmal ganz besonders Elli und Valli ordentlich von mir. Und dann in anderem Ton das Fräulein natürlich. Oskar? Felice? Memoiren einer Socialistin? Schwimmschule?
Fräulein besonders grüßen! Was könnte ich ihr mitbringen? Brief an Felice? Hanne? Schwimmschulkarte? Memoiren? Onkel Alfred?
Bestelle bitte bei Taussig von der Berliner Zeitschrift: Die Weltbühne das Heft Nr. 23. Herausgeber Jakobsohn.
Nr. 88
[Matliary, ca. 21. Dezember 1920]
Liebe Ottla, also der Bericht, er ist natürlich auch für die Eltern bestimmt, ich schicke ihn aber lieber Dir, damit Du, wenn etwas Anstößiges darin stehn sollte, es bei der Weitergabe milderst.
Die Fahrt war sehr einfach, in Tatra Lomnitz war allerdings der Koffer nicht da, aber man erklärte es glaubwürdig, er werde den nächsten Tag kommen, er ist auch gekommen und fehlerlos.
Der Schlitten erwartete mich, die Fahrt bei Mondschein durch den Schnee- und Bergwald, das war noch sehr schön, dann kamen wir zu einem großen, hotelartigen, hellerleuchteten Gebäude, hielten aber nicht dort, sondern fuhren ein kleines Stückchen weiter zu einem recht dunklen, verdächtig aussehenden Haus. Ich stieg aus, im kalten Flur (wo ist die Centralheizung?) niemand, lange muß der Kutscher suchen und rufen, endlich kommt ein Mädchen und führt mich in den ersten Stock. Es sind zwei Zimmer vorbereitet, ein Balkonzimmer für mich, das Zimmer nebenan für Dich. Ich trete in das Balkonzimmer und erschrecke. Was ist hier vorbereitet? Eingeheizt ist zwar aber der Ofen stinkt mehr, als er wärmt. Und sonst? Ein Eisenbett, darauf ohne Überzug ein Polster und eine Decke, die Tür im Schrank ist zerbrochen, zum Balkon führt nur eine einfache Tür und selbst die sitzt nicht fest, wie es mir überhaupt vorkommt, daß »durch alle Fugen der Wind heult«. Das Mädchen, das ich zum Zimmer rechne und deshalb auch nicht leiden kann, sucht mich zu trösten, z. B. wozu brauche ich eine doppelte Balkontür? Bei Tag liege ich doch draußen und in der Nacht schlafe ich bei offener Tür? Das ist richtig, denke ich, am besten wäre es, auch noch die letzte Tür wegzunehmen. – Und Ofenheizung sei doch viel besser als Centralheizung? Centralheizung ist nur drüben in der jetzt vollbesetzten Hauptvilla. »Aber hier ist doch nicht einmal Ofenheizung« wende ich ein. Das sei nur heute so, weil in diesem Zimmer noch nicht geheizt war. – So verteidigt sich das Mädchen immerfort, unnötigerweise, denn ich weiß ja, daß sie nicht imstande ist, mir etwa das feste und warme Zimmer aus der Villa Stüdl herzuzaubern.
Aber es kam noch ärger, denn schließlich hatte mich ja bis jetzt nur das Zimmer enttäuscht, den Lockbrief der Besitzerin hatte ich aber noch in der Tasche. Nun kam sie selbst, um mich zu begrüßen, eine große Frau (keine Jüdin) in langem schwarzen Samtmantel, unangenehmes Ungarisch-Deutsch, süßlich aber hart. Ich war sehr grob, ohne es genau zu wissen, natürlich; aber das Zimmer schien mir zu arg. Sie immer überfreundlich, aber ohne jede Lust oder Fähigkeit zu helfen. Hier ist Dein Zimmer, hier wohne. Nach Weihnachten werden in der Hauptvilla Zimmer frei. Ich hörte dann gar nicht mehr darauf hin, was sie sagte. Auch was sie über das Essen sagte, war beiweitem nicht so schön wie der Brief. Sie war mir so unleidlich, daß ich sehr bedauerte, ihr den Gepäckschein anvertraut zu haben (sie wollte nächsten Tage bei der Bahn anfragen lassen, ob der Koffer schon gekommen sei) Der einzige Lichtpunkt war, daß im Ort ein Arzt sein sollte, ja er sollte sogar auf dem gleichen Gang, nur paar Türen weiter, wohnen, das schien mir allerdings sehr unglaubwürdig.
Jedenfalls hatte ich, als sie fortgegangen war, meinen Plan fertig: die Nacht werde ich mit meinem Fußsack und meiner Decke hier irgendwie verbringen, vormittag telephoniere ich nach Smokovec (hoffentlich ist der Ausnahmezustand schon vorüber und Telephongespräche schon erlaubt) und nachmittag wenn der Koffer da ist, zahle ich Reugeld wieviel man will, gebe mich nicht erst mit der Elektrischen ab, sondern nehme einen Schlitten und fahre hin über Berg und Tal. Immerfort hatte ich die tröstliche Vorstellung, wie ich mich morgen abend aufatmend auf das feine gefederte Kanapee in Smokovec hinwerfen werde.
Ich glaube, Du wärest diesem ersten Schrecken ebenso erlegen, vielleicht hättest Du aber den Schlitten schon abend zu nehmen versucht.
Da kam dem Mädchen ein Einfall; ob ich mir nicht, wenn mir dieses Zimmer so mißfalle, das (für Dich vorbereitete) Nebenzimmer anschauen wolle, liegen könne ich ja auf diesem Balkon und nebenan wohnen. Ich ging ohne jede Hoffnung hinüber, aber da ich gar nicht mehr verwöhnt war, gefiel es mir ausgezeichnet. Es war auch wirklich viel besser, größer, besser beheizt, besser beleuchtet, ein gutes Holzbett, ein neuer Schrank, das Fenster weit vom Bett, da blieb ich.
Und damit begann die Wendung zum Guten (die ich zum Teil Dir verdanke, denn hättest Du Dich nicht angemeldet, wäre das Zimmer nicht geheizt gewesen und wäre es nicht geheizt gewesen, wäre es dem Mädchen kaum eingefallen mich hinzuführen). Ich ging dann in die Hauptvilla zum Essen, auch dort gefiel es mir ganz gut, einfach (ein neuer großer Speisesaal wird erst morgen eröffnet) aber rein, gutes Essen, die Gesellschaft ausschließlich ungarisch (wenig Juden) sodaß man schön im Dunkel bleibt. Und erst am nächsten Tag sah alles noch viel besser aus. Die Villa in der ich wohne (Tatra heißt sie) war plötzlich ein hübsches Gebäude, es gab weder Wind noch Fugen, der Balkon lag genau in der Sonne. Als man mir für die nächste Woche ein Zimmer in der Hauptvilla anbot, hatte ich nicht die geringste Lust mehr dazu, denn die »Tatra« hat große Vorteile gegenüber der Hauptvilla: vor allem ist man gezwungen dreimal zum Essen hinüberzugehn (oder vielmehr man ist nicht dazu gezwungen, man kann es sich auch bringen lassen) und wird nicht so faul und unbeweglich, wenn man wie z. B. in Schelesen im gleichen Haus wohnt und ißt und immer nur aus dem ersten Stock ins Parterre stiefelt und wieder zurück. Dann ist die Hauptvilla wie man mir bestätigt hat sehr lärmend, immerfort läuten die Glocken, die Küche macht Lärm, die Restauration macht Lärm, die Fahrstraße, die dort eng vorüberführt, eine Rodelbahn, alles macht Lärm. Bei uns ist es ganz still, ich glaube, nicht einmal die Glocke läutet (sie läutet ja gewiß nur habe ich sie noch nicht gehört) Dann ist drüben eigentlich nur eine gemeinsame Liegehalle und selbst die liegt nicht so in der Sonne wie mein Balkon. Endlich ist auch die Ofenheizung viel besser. Es wird zweimal eingeheizt, früh und abend, nur mit Holz, so daß ich nachlegen kann, wie viel ich will. Jetzt am abend ist z. B. so warm, daß ich ohne Kleider halb nackt dasitze. Und, wenn man auch das als Vorteil ansehn will der Arzt wohnt tatsächlich auf meinem Gang, links, drei Türen weiter.
Auch Frau Forberger war am nächsten Tag ganz anders, mit dem Samtmantel (oder war es Pelz?) hatte sie alles Böse abgelegt und war sanft und freundlich bei der Sache. Das Essen ist genug erfindungsreich, ich erkenne die Dinge, aus denen es zusammengesetzt ist, gar nicht auseinander; es wird zum Teil eigens für mich gekocht, trotzdem an 30 Gäste da sind. Auch der Arzt gibt seine Ratschläge dazu. Zuerst wollte er natürlich eine Arsenkur anfangen, dann besänftigte ich ihn durch einen Pauschalvertrag, wonach er mich täglich – 6 K kostet es – besucht. Ich soll vorläufig 5 mal täglich Milch und 2 mal Sahne trinken, kann es aber nur bei größter Anstrengung 2 1/2 hinsichtlich der Milch und 1 mal hinsichtlich der Sahne.
Jedenfalls wären also alle äußeren Voraussetzungen für ein gutes Gelingen gegeben; bleibt nur der Feind im Kopf. Denkt der Vater wirklich daran herzukommen? Wohlfühlen würde er sich hier sicher nur wenn die Mutter mitkäme und selbst dann erst wenn die Tage länger werden. Es sind hier nämlich kaum 1, 2 Herren die für ihn in Betracht kämen, sonst nur Frauen, Mädchen und junge Männer, die meisten können Deutsch sprechen aber am liebsten ungarisch (Auch die Zimmer-Küchenmädchen, Kutscher u.s.f. Gut slowakisch glaube ich bisher nur einmal – allerdings fuhr ich ja zweiter Klasse – in der Eisenbahn von zwei jungen Mädchen haben sprechen hören, sie sprachen sehr eifrig und rein, bis dann allerdings die eine auf eine erstaunliche Mitteilung hin, welche ihr die andere machte, ausrief: oĭoĭoĭoī!) Das wäre also für den Vater nichts. Sonst aber könnte sich Matliary jetzt vor ihm sehen lassen, die heute neu eröffneten Säle (Speise-Billard und Musiksaal) sind geradezu »hochelegant«.
Und was machst Du? Honig? Turnen? Schwindel bei Aufstehn? Zeitunglesen für mich? Viele Grüße Dir und Deinem Mann (dem ich den guten Platz im Coupé verdanke) und allen andern, jedem besonders, bis zum Wurm hinunter.
Warst Du bei Max?
Dein Franz
Den Eltern mußt du den Brief gar nicht zeigen, ich schreibe ihnen ja häufig