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In der Mathematik sind nur wenig unauflösliche Begriffe und unerweisliche Sätze, in der Philosophie aber unzählige.
Der Begriff der Größe überhaupt, der Einheit, der Menge, des Raums u. s. w. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämliche ihre Zergliederung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft. Ich weiß wohl, daß manche Meßkünstler die Grenzen der Wissenschaften vermengen und in der Größenlehre bisweilen philosophiren wollen, weswegen sie dergleichen Begriffe noch zu erklären suchen, obgleich die Definition in solchem Falle gar keine mathematische Folge hat. 266 Allein es ist gewiß, daß ein jeder Begriff in Ansehung einer Disciplin unauflöslich ist, der, er mag sonst können erklärt werden oder nicht, es in dieser Wissenschaft wenigstens nicht bedarf. Und ich habe gesagt, daß deren in der Mathematik nur wenige wären. Ich gehe aber noch weiter und behaupte, daß eigentlich gar keine in ihr vorkommen können, nämlich in dem Verstande: daß ihre Erklärung durch Zergliederung der Begriffe zur mathematischen Erkenntniß gehörte; gesetzt, daß sie auch sonst möglich wäre. Denn die Mathematik erklärt niemals durch Zergliederung einen gegebenen Begriff, sondern durch willkürliche Verbindung ein Object, dessen Gedanke eben dadurch zuerst möglich wird.
Vergleicht man hiemit die Weltweisheit, welcher Unterschied leuchtet da in die Augen? In allen ihren Disciplinen, vornehmlich in der Metaphysik ist eine jede Zergliederung, die geschehen kann, auch nöthig, denn sowohl die Deutlichkeit der Erkenntniß als die Möglichkeit sicherer Folgerungen hängt davon ab. Allein man sieht gleich zum voraus, daß es unvermeidlich sei, in der Zergliederung auf unauflösliche Begriffe zu kommen, die es entweder an und für sich selbst oder für uns sein werden, und daß es deren ungemein viel geben werde, nachdem es unmöglich ist, daß allgemeine Erkenntnisse von so großer Mannigfaltigkeit nur aus wenigen Grundbegriffen zusammengesetzt sein sollten. Daher viele beinahe gar nicht aufgelöset werden können, z. E. der Begriff einer Vorstellung, das Neben einander oder Nach einander sein, andere zum Theil, wie der Begriff vom Raume, von der Zeit, von dem mancherlei Gefühle der menschlichen Seele, dem Gefühl des Erhabenen, des Schönen, des Ekelhaften u. s. w., ohne deren genaue Kenntniß und Auflösung die Triebfedern unserer Natur nicht genug bekannt sind, und wo gleichwohl ein sorgfältiger Aufmerker gewahr wird, daß die Zergliederung bei weitem nicht zulänglich sei. Ich gestehe, daß die Erklärungen von der Lust und Unlust, der Begierde und 267 dem Abscheu und dergleichen unzählige niemals durch hinreichende Auflösungen sind geliefert worden, und ich wundere mich über diese Unauflöslichkeit nicht. Denn bei Begriffen von so verschiedener Art müssen wohl unterschiedliche Elementarbegriffe zum Grunde liegen. Der Fehler, den einige begangen haben, alle dergleichen Erkenntnisse als solche zu behandeln, die in einige wenige einfache Begriffe insgesammt sich zerlegen ließen, ist demjenigen ähnlich, darin die alten Naturlehrer fielen: daß alle Materie der Natur aus den sogenannten vier Elementen bestehe, welcher Gedanke durch bessere Beobachtung ist aufgehoben worden.
Ferner liegen in der Mathematik nur wenig unerweisliche Sätze zum Grunde, welche, wenn sie gleich anderwärts noch eines Beweises fähig wären, dennoch in dieser Wissenschaft als unmittelbar gewiß angesehen werden: Das Ganze ist allen Theilen zusammen genommen gleich; zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein u. s. w. Dergleichen Grundsätze sind die Mathematiker gewohnt im Anfange ihrer Disciplinen aufzustellen, damit man gewahr werde, daß keine andere als so augenscheinliche Sätze gerade zu als wahr vorausgesetzt werden, alles übrige aber strenge bewiesen werde.
Vergleicht man hiermit die Weltweisheit und namentlich die Metaphysik, so möchte ich nur gerne eine Tafel von den unerweislichen Sätzen, die in diesen Wissenschaften durch ihre ganze Strecke zum Grunde liegen, aufgezeichnet sehen. Sie würde gewiß einen Plan ausmachen, der unermeßlich wäre; allein in der Aufsuchung dieser unerweislichen Grundwahrheiten besteht das wichtigste Geschäfte der höhern Philosophie, und diese Entdeckungen werden niemals ein Ende nehmen, so lange sich eine solche Art der Erkenntniß erweitern wird. Denn welches Object es auch sei, so sind diejenigen Merkmale, welche der Verstand an ihm zuerst und unmittelbar wahrnimmt, die Data zu eben so viel unerweislichen Sätzen, welche denn 268 auch die Grundlage ausmachen, woraus die Definitionen können erfunden werden. Ehe ich noch mich anschicke zu erklären, was der Raum sei, so sehe ich deutlich ein, daß, da mir dieser Begriff gegeben ist, ich zuvörderst durch Zergliederung diejenige Merkmale, welche zuerst und unmittelbar hierin gedacht werden, aufsuchen müsse. Ich bemerke demnach, daß darin vieles außerhalb einander sei, daß dieses Viele nicht Substanzen seien, denn ich will nicht die Dinge im Raume, sondern den Raum selber erkennen, daß der Raum nur drei Abmessungen haben könne u. s. w. Dergleichen Sätze lassen sich wohl erläutern, indem man sie in concreto betrachtet, um sie anschauend zu erkennen; allein sie lassen sich niemals beweisen. Denn woraus sollte dieses auch geschehen können, da sie die erste und einfachste Gedanken ausmachen, die ich von meinem Objecte nur haben kann, wenn ich ihn anfange zu gedenken? In der Mathematik sind die Definitionen der erste Gedanke, den ich von dem erklärten Dinge haben kann, darum weil mein Begriff des Objects durch die Erklärung allererst entspringt, und da ist es schlechterdings ungereimt, sie als erweislich anzusehen. In der Weltweisheit, wo mir der Begriff der Sache, die ich erklären soll, gegeben ist, muß dasjenige, was unmittelbar und zuerst in ihm wahrgenommen wird, zu einem unerweislichen Grundurtheile dienen. Denn da ich den ganzen deutlichen Begriff der Sache noch nicht habe, sondern allererst suche, so kann er aus diesem Begriffe so gar nicht bewiesen werden, daß er vielmehr dazu dient, diese deutliche Erkenntniß und Definition dadurch zu erzeugen. Also werde ich erste Grundurtheile vor aller philosophischen Erklärung der Sachen haben müssen, und es kann hiebei nur der Fehler vorgehen, daß ich dasjenige für ein uranfängliches Merkmal ansehe, was noch ein abgeleitetes ist. In der folgenden Betrachtung werden Dinge vorkommen, die dieses außer Zweifel setzen werden. 269