Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Tugendlehre Erster Teil.
Ethische Elementarlehre

Erstes Buch.
Von den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst

Erstes Hauptstück.
Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, als ein animalisches Wesen

 

5

Die, wenn gleich nicht vornehmste, doch erste Pflicht des Menschen gegen sich selbst in der Qualität seiner Tierheit ist die Selbsterhaltung in seiner animalischen Natur.

Das Widerspiel derselben ist der willkürliche physische Tod, welcher wiederum entweder als total oder bloß partial gedacht werden kann. – Der physische, die Entleibung ( autochiria), kann also auch total ( suicidium) oder partial, Entgliederung (Verstümmelung), sein, welche wiederum in die materiale, da man sich selbst gewisser integrierenden Teile als Organe beraubt, d. i. sich verstümmelt, und die formale, da man sich (auf immer oder auf einige Zeit) des Vermögens des physischen (und hiemit indirekt auch des moralischen) Gebrauchs seiner Kräfte beraubt.

Da in diesem Hauptstücke nur von negativen Pflichten, folglich von Unterlassungen nur die Rede ist, so werden die Pflichtartikel wider die Laster gerichtet sein müssen, welche der Pflicht gegen sich selbst entgegen gesetzt sind.

 

Des ersten Hauptstücks erster Artikel.
Von der Selbstentleibung

6

Die willkürliche Entleibung seiner selbst kann nur dann allererst SELBSTMORD ( homicidium dolosum) genannt werden, wenn bewiesen werden kann, daß sie überhaupt ein Verbrechen ist, welches entweder an unserer eigenen Person oder auch durch dieser ihre Selbstentleibung an anderen begangen wird (z. B. wenn eine schwangere Person sich selbst umbringt).

a) Die Selbstentleibung ist ein Verbrechen (Mord). Dieses kann nun zwar auch als Übertretung seiner Pflicht gegen andere Menschen (Eheleute, Eltern gegen Kinder, des Untertans gegen seine Obrigkeit, oder seine Mitbürger, endlich auch gegen Gott, dessen uns anvertrauten Posten in der Welt der Mensch verläßt, ohne davon abgerufen zu sein) betrachtet werden; – aber hier ist nur die Rede von Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst, ob nämlich, wenn ich auch alle jene Rücksichten bei Seite setzte, der Mensch doch zur Erhaltung seines Lebens bloß durch seine Qualität als Person verbunden sei und hierin eine (und zwar strenge) Pflicht gegen sich selbst anerkennen müsse.

Daß der Mensch sich selbst beleidigen könne, scheint ungereimt zu sein ( volenti non fit iniuria). Daher sah es der Stoiker für einen Vorzug seiner (des Weisen) Persönlichkeit an, beliebig aus dem Leben (als aus einem Zimmer, das raucht), ungedrängt durch gegenwärtige oder besorgliche Übel, mit ruhiger Seele hinaus zu gehen: weil er in demselben zu nichts mehr nutzen könne. – Aber eben dieser Mut, diese Seelenstärke, den Tod nicht zu fürchten und etwas zu kennen, was der Mensch noch höher schätzen kann, als sein Leben, hätte ihm ein um noch so viel größerer Bewegungsgrund sein müssen, sich, ein Wesen von so großer, über die stärkste sinnliche Triebfedern gewalthabenden Obermacht, nicht zu zerstören, mithin sich des Lebens nicht zu berauben.

Der Persönlichkeit kann der Mensch sich nicht entäußern, so lange von Pflichten die Rede ist, folglich so lange er lebt, und es ist ein Widerspruch die Befugnis zu haben sich aller Verbindlichkeit zu entziehen, d. i. frei so zu handeln, als ob es zu dieser Handlung gar keiner Befugnis bedürfte. Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponieren, heißt die Menschheit in seiner Person ( homo noumenon) abwürdigen, der doch der Mensch ( homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertrauet war.

Sich eines integrierenden Teils als Organs berauben (verstümmeln), z. B. einen Zahn zu verschenken oder zu verkaufen, um ihn in die Kinnlade eines andern zu pflanzen, oder die Kastration mit sich vornehmen zu lassen, um als Sänger bequemer leben zu können, u. dgl. gehört zum partialen Selbstmorde; aber nicht ein abgestorbenes oder die Absterbung drohendes und hiemit dem Leben nachteiliges Organ durch Amputation, oder, was zwar ein Teil, aber kein Organ des Körpers ist, z. E. die Haare, sich abnehmen zu lassen, kann zum Verbrechen an seiner eigenen Person nicht gerechnet werden; wiewohl der letztere Fall nicht ganz schuldfrei ist, wenn er zum äußeren Erwerb beabsichtigt wird.

 

Kasuistische Fragen

Ist es Selbstmord, sich (wie Curtius) in den gewissen Tod zu stürzen, um das Vaterland zu retten? – oder ist das vorsetzliche Märtertum, sich für das Heil des Menschengeschlechts überhaupt zum Opfer hinzugeben, auch wie jenes für Heldentat anzusehen?

Ist es erlaubt dem ungerechten Todesurteile seines Oberen durch Selbsttötung zuvor zu kommen? – selbst wenn dieser es (wie Nero am Seneca) erlaubte zu tun?

Kann man es einem großen unlängst verstorbenen Monarchen zum verbrecherischen Vorhaben anrechnen, daß er ein behend wirkendes Gift bei sich führte, vermutlich damit, wenn er in dem Kriege, den er persönlich führte, gefangen würde, er nicht etwa genötigt sei, Bedingungen der Auslösung einzugehn, die seinem Staate nachteilig sein könnten; denn diese Absicht kann man ihm unterlegen, ohne daß man nötig hat, hierunter einen bloßen Stolz zu vermuten?

Ein Mann empfand schon die Wasserscheu, als Wirkung von dem Biß eines tollen Hundes, und nachdem er sich darüber so erklärt hatte: er habe noch nie erfahren, daß jemand daran geheilt worden sei, brachte er sich selbst um, damit, wie er in einer hinterlassenen Schrift sagte, er nicht in seiner Hundewut (zu welcher er schon den Anfall fühlte) andere Menschen auch unglücklich machte; es frägt sich, ob er damit unrecht tat.

Wer sich die Pocken einimpfen zu lassen beschließt, wagt sein Leben aufs Ungewisse, ob er es zwar tut, um sein Leben zu erhalten, und ist so fern in einem weit bedenklicheren Fall des Pflichtgesetzes, als der Seefahrer, welcher doch wenigstens den Sturm nicht macht, dem er sich anvertraut, statt dessen jener die Krankheit, die ihn in Todesgefahr bringt, sich selbst zuzieht. Ist also die Pockeninokulation erlaubt?

 

Zweiter Artikel.
Von der wohllüstigen Selbstschändung

7

So wie die Liebe zum Leben von der Natur zur Erhaltung der Person, so ist die Liebe zum Geschlecht von ihr zur Erhaltung der Art bestimmt; d. i. eine jede von beiden ist Naturzweck, unter welchem man diejenige Verknüpfung der Ursache mit einer Wirkung versteht, in welcher jene, auch ohne ihr dazu einen Verstand beizulegen, diese doch nach der Analogie mit einem solchen, also gleichsam absichtlich Menschen hervorbringend gedacht wird. Es fragt sich nun, ob der Gebrauch des letzteren Vermögens in Ansehung der Person selbst, die es ausübt, unter einem einschränkenden Pflichtgesetz stehe, oder ob diese, auch ohne jenen Zweck zu beabsichtigen, den Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften der bloßen tierischen Lust zu widmen befugt sei, ohne damit einer Pflicht gegen sich selbst zuwider zu handeln. – In der Rechtslehre wird bewiesen, daß der Mensch sich einer anderen Person dieser Lust zu gefallen ohne besondere Einschränkung durch einen rechtlichen Vertrag nicht bedienen könne; wo dann zwei Personen wechselseitig einander verpflichten. Hier aber ist die Frage: ob in Ansehung dieses Genusses eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst obwalte, deren Übertretung eine Schändung (nicht bloß Abwürdigung) der Menschheit in seiner eigenen Person sei. Der Trieb zu jenem wird Fleischeslust (auch Wohllust schlechthin) genannt. Das Laster, welches dadurch erzeugt wird, heißt Unkeuschheit, die Tugend aber in Ansehung dieser sinnlichen Antriebe wird Keuschheit genannt, die nun hier als Pflicht des Menschen gegen sich selbst vorgestellt werden soll. Unnatürlich heißt eine Wohllust, wenn der Mensch dazu nicht durch den wirklichen Gegenstand, sondern durch die Einbildung von demselben, also zweckwidrig, ihn sich selbst schaffend, gereizt wird. Denn sie bewirkt alsdann eine Begierde wider den Zweck der Natur und zwar einen noch wichtigern, als selbst der der Liebe zum Leben ist, weil dieser nur auf Erhaltung des Individuum, jener aber auf die der ganzen Spezies abzielt. –

Daß ein solcher naturwidrige Gebrauch (also Mißbrauch) seiner Geschlechtseigenschaft eine und zwar der Sittlichkeit im höchsten Grad widerstreitende Verletzung der Pflicht wider sich selbst sei, fällt jedem zugleich mit dem Gedanken von demselben sofort auf, erregt eine Abkehrung von diesem Gedanken, in dem Maße, daß selbst die Nennung eines solchen Lasters bei seinem eigenen Namen für unsittlich gehalten wird, welches bei dem des Selbstmords nicht geschieht; den man mit allen seinen Greueln (in einer species facti) der Welt vor Augen zu legen im mindesten kein Bedenken trägt; gleich als ob der Mensch überhaupt sich beschämt fühle, einer solchen ihn selbst unter das Vieh herabwürdigenden Behandlung seiner eigenen Person fähig zu sein: so daß selbst die erlaubte (an sich freilich bloß tierische) körperliche Gemeinschaft beider Geschlechter in der Ehe im gesitteten Umgange viel Feinheit veranlaßt und erfordert, um einen Schleier darüber zu werfen, wenn davon gesprochen werden soll.

Der Vernunftbeweis aber der Unzulässigkeit jenes unnatürlichen und selbst auch des bloß unzweckmäßigen Gebrauchs seiner Geschlechtseigenschaften als Verletzung (und zwar, was den ersteren betrifft, im höchsten Grade) der Pflicht gegen sich selbst ist nicht so leicht geführt. – Der Beweisgrund liegt freilich darin, daß der Mensch seine Persönlichkeit dadurch (wegwerfend) aufgibt, indem er sich bloß zum Mittel der Befriedigung tierischer Triebe braucht. Aber der hohe Grad der Verletzung der Menschheit in seiner eigenen Person durch ein solches Laster in seiner Unnatürlichkeit, da es der Form (der Gesinnung) nach selbst das des Selbstmordes noch zu übergehen scheint, ist dabei nicht erklärt. Es sei denn, daß, da die trotzige Wegwerfung seiner selbst im letzteren, als einer Lebenslast, wenigstens nicht eine weichliche Hingebung an tierische Reize ist, sondern Mut erfordert, wo immer noch Achtung für die Menschheit in seiner eigenen Person Platz findet, jene, welche sich gänzlich der tierischen Neigung überläßt, den Menschen zur genießbaren, aber hierin doch zugleich naturwidrigen Sache, d. i. zum ekelhaften Gegenstande, macht und so aller Achtung für sich selbst beraubt.

 

Kasuistische Fragen

Der Zweck der Natur ist in der Beiwohnung der Geschlechter die Fortpflanzung, d. i. die Erhaltung der Art; jenem Zwecke darf also wenigstens nicht zuwider gehandelt werden. Ist es aber erlaubt, auch ohne auf diesen Rücksicht zu nehmen, sich (selbst wenn es in der Ehe geschähe) jenes Gebrauchs anzumaßen?

Ist es z. B. zur Zeit der Schwangerschaft – ist es bei der Sterilität des Weibes (Alters oder Krankheit wegen), oder wenn dieses keinen Anreiz dazu bei sich findet, nicht dem Naturzwecke und hiemit auch der Pflicht gegen sich selbst an einem oder dem anderen Teil eben so wie bei der unnatürlichen Wohllust zuwider, von seinen Geschlechtseigenschaften Gebrauch zu machen; oder gibt es hier ein Erlaubnisgesetz der moralisch-praktischen Vernunft, welches in der Kollision ihrer Bestimmungsgründe etwas an sich zwar Unerlaubtes doch zur Verhütung einer noch größeren Übertretung (gleichsam nachsichtlich) erlaubt macht? – Von wo an kann man die Einschränkung einer weiten Verbindlichkeit zum Purism (einer Pedanterei in Ansehung der Pflichtbeobachtung, was die Weite derselben betrifft) zählen und den tierischen Neigungen mit Gefahr der Verlassung des Vernunftgesetzes einen Spielraum verstatten?

Die Geschlechtsneigung wird auch Liebe (in der engsten Bedeutung des Worts) genannt und ist in der Tat die größte Sinnenlust, die an einem Gegenstande möglich ist; – nicht bloß sinnliche Lust, wie an Gegenständen, die in der bloßen Reflexion über sie gefallen (da die Empfänglichkeit für sie Geschmack heißt), sondern die Lust aus dem Genusse einer anderen Person, die also zum Begehrungsvermögen und zwar der höchsten Stufe desselben, der Leidenschaft, gehört. Sie kann aber weder zur Liebe des Wohlgefallens, noch der des Wohlwollens gezählt werden (denn beide halten eher vom fleischlichen Genuß ab), sondern ist eine Lust von besonderer Art ( sui generis), und das Brünstigsein hat mit der moralischen Liebe eigentlich nichts gemein, wiewohl sie mit der letzteren, wenn die praktische Vernunft mit ihren einschränkenden Bedingungen hinzu kommt, in enge Verbindung treten kann.

 

Dritter Artikel.
Von der Selbstbetäubung durch Unmäßigkeit im Gebrauch der Genieß- oder auch Nahrungsmittel

8

Das Laster in dieser Art der Unmäßigkeit wird hier nicht aus dem Schaden, oder den körperlichen Schmerzen (solchen Krankheiten), die der Mensch sich dadurch zuzieht, beurteilt; denn da wäre es ein Prinzip des Wohlbefindens und der Behaglichkeit (folglich der Glückseligkeit), wodurch ihm entgegen gearbeitet werden sollte, welches aber nie eine Pflicht, sondern nur eine Klugheitsregel begründen kann: wenigstens wäre es kein Prinzip einer direkten Pflicht.

Die tierische Unmäßigkeit im Genuß der Nahrung ist der Mißbrauch der Genießmittel, wodurch das Vermögen des intellektuellen Gebrauchs derselben gehemmt oder erschöpft wird. Versoffenheit und Gefräßigkeit sind die Laster, die unter diese Rubrik gehören. Im Zustande der Betrunkenheit ist der Mensch nur wie ein Tier, nicht als Mensch zu behandeln; durch die Überladung mit Speisen und in einem solchen Zustande ist er für Handlungen, wozu Gewandtheit und Überlegung im Gebrauch seiner Kräfte erfordert wird, auf eine gewisse Zeit gelähmt. – Daß sich in einen solchen Zustand zu versetzen Verletzung einer Pflicht wider sich selbst sei, fällt von selbst in die Augen. Die erste dieser Erniedrigungen, selbst unter die tierische Natur, wird gewöhnlich durch gegorene Getränke, aber auch durch andere betäubende Mittel, als den Mohnsaft und andere Produkte des Gewächsreichs, bewirkt und wird dadurch verführerisch, daß dadurch auf eine Weile geträumte Glückseligkeit und Sorgenfreiheit, ja wohl auch eingebildete Stärke hervorgebracht, Niedergeschlagenheit aber und Schwäche und, was das Schlimmste ist, Notwendigkeit dieses Betäubungsmittel zu wiederholen, ja wohl gar damit zu steigern eingeführt wird. Die Gefräßigkeit ist sofern noch unter jener tierischen Sinnenbelustigung, daß sie bloß den Sinn als passive Beschaffenheit und nicht einmal die Einbildungskraft, welche doch noch ein tätiges Spiel der Vorstellungen, wie im vorerwähnten Genuß der Fall ist, beschäftigt; mithin sich dem des Viehes noch mehr nähert.

 

Kasuistische Fragen

Kann man dem Wein, wenn gleich nicht als Panegyrist, doch wenigstens als Apologet einen Gebrauch verstatten, der bis nahe an die Berauschung reicht: weil er doch die Gesellschaft zur Gesprächigkeit belebt und damit Offenherzigkeit verbindet? – Oder kann man ihm wohl gar das Verdienst zugestehen, das zu befördern, was Seneca vom Cato rühmt: virtus eius incaluit mero? – Der Gebrauch des Opium und Branntweins sind als Genießmittel der Niederträchtigkeit näher, weil sie bei dem geträumten Wohlbefinden stumm, zurückhaltend und unmitteilsam machen, daher auch nur als Arzneimittel erlaubt sind. – Wer kann aber das Maß für einen bestimmen, der in den Zustand, wo er zum Messen keine klare Augen mehr hat, überzugehen eben in Bereitschaft ist? Der Mohammedanism, welcher den Wein ganz verbietet, hat also sehr schlecht gewählt, dafür das Opium zu erlauben.

Der Schmaus, als förmliche Einladung zur Unmäßigkeit in beiderlei Art des Genusses, hat doch außer dem bloß physischen Wohlleben noch etwas zum sittlichen Zweck Abzielendes an sich, nämlich viel Menschen und lange zu wechselseitiger Mitteilung zusammen zu halten: gleichwohl aber, da eben die Menge (wenn sie, wie Chesterfield sagt, über die Zahl der Musen geht) nur eine kleine Mitteilung (mit den nächsten Beisitzern) erlaubt, mithin die Veranstaltung jenem Zweck widerspricht, so bleibt sie immer Verleitung zum Unsittlichen, nämlich der Unmäßigkeit, der Übertretung der Pflicht gegen sich selbst; auch ohne auf die physischen Nachteile der Überladung, die vielleicht vom Arzt gehoben werden können, zu sehen. Wie weit geht die sittliche Befugnis, diesen Einladungen zur Unmäßigkeit Gehör zu geben?

 

Zweites Hauptstück.
Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als ein moralisches Wesen

Sie ist den Lastern: Lüge, Geiz und falsche Demut (Kriecherei) entgegen gesetzt.

 

I.
Von der Lüge

9

Die größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge ( aliud lingua promtum, aliud pectore inclusum gerere). Daß eine jede vorsetzliche Unwahrheit in Äußerung seiner Gedanken diesen harten Namen (den sie in der Rechtslehre nur dann führt, wenn sie Anderer Recht verletzt) in der Ethik, die aus der Unschädlichkeit kein Befugnis hernimmt, nicht ablehnen könne, ist für sich selbst klar. Denn Ehrlosigkeit (ein Gegenstand der moralischen Verachtung zu sein), welche sie begleitet, die begleitet auch den Lügner wie sein Schatten. Die Lüge kann eine äußere ( mendacium externum), oder auch eine innere sein. – Durch jene macht er sich in Anderer, durch diese aber, was noch mehr ist, in seinen eigenen Augen zum Gegenstande der Verachtung und verletzt die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person; wobei der Schade, der anderen Menschen daraus entspringen kann, nicht das Eigentümliche des Lasters betrifft (denn da bestände es bloß in der Verletzung der Pflicht gegen Andere) und also hier nicht in Anschlag kommt, ja auch nicht der Schade, den er sich selbst zuzieht; denn alsdann würde es bloß als Klugheitsfehler der pragmatischen, nicht der moralischen Maxime widerstreiten und gar nicht als Pflichtverletzung angesehen werden können. – Die Lüge ist Wegwerfung und gleichsam Vernichtung seiner Menschenwürde. Ein Mensch, der selbst nicht glaubt, was er einem Anderen (wenn es auch eine bloß idealische Person wäre) sagt, hat einen noch geringeren Wert, als wenn er bloß Sache wäre; denn von dieser ihrer Eigenschaft etwas zu nutzen, kann ein Anderer doch irgend einen Gebrauch machen, weil sie etwas Wirkliches und Gegebenes ist; aber die Mitteilung seiner Gedanken an jemanden durch Worte, die doch das Gegenteil von dem (absichtlich) enthalten, was der Sprechende dabei denkt, ist ein der natürlichen Zweckmäßigkeit seines Vermögens der Mitteilung seiner Gedanken gerade entgegengesetzter Zweck, mithin Verzichttuung auf seine Persönlichkeit und eine bloß täuschende Erscheinung vom Menschen, nicht der Mensch selbst. – Die Wahrhaftigkeit in Erklärungen wird auch Ehrlichkeit und, wenn diese zugleich Versprechen sind, Redlichkeit, überhaupt aber Aufrichtigkeit genannt.

Die Lüge (in der ethischen Bedeutung des Worts), als vorsetzliche Unwahrheit überhaupt, bedarf es auch nicht Anderen schädlich zu sein, um für verwerflich erklärt zu werden; denn da wäre sie Verletzung der Rechte Anderer. Es kann auch bloß Leichtsinn, oder gar Gutmütigkeit die Ursache davon sein, ja selbst ein wirklich guter Zweck dadurch beabsichtigt werden, so ist doch die Art ihm nachzugehen durch die bloße Form ein Verbrechen des Menschen an seiner eigenen Person und eine Nichtswürdigkeit, die den Menschen in seinen eigenen Augen verächtlich machen muß.

Die Wirklichkeit mancher INNEREN Lüge, welche die Menschen sich zu Schulden kommen lassen, zu beweisen, ist leicht, aber ihre Möglichkeit zu erklären, scheint doch schwerer zu sein: weil eine zweite Person dazu erforderlich ist, die man zu hintergehen die Absicht hat, sich selbst aber vorsetzlich zu betrügen einen Widerspruch in sich zu enthalten scheint.

Der Mensch als moralisches Wesen ( homo noumenon) kann sich selbst als physisches Wesen ( homo phaenomenon) nicht als bloßes Mittel (Sprachmaschine) brauchen, das an den inneren Zweck (der Gedankenmitteilung) nicht gebunden wäre, sondern ist an die Bedingung der Übereinstimmung mit der Erklärung ( declaratio) des ersteren gebunden und gegen sich selbst zur Wahrhaftigkeit verpflichtet. – Wenn er z. B. den Glauben an einen künftigen Weltrichter lügt, indem er wirklich keinen solchen in sich findet, aber indem er sich überredet, es könne doch nicht schaden, wohl aber nutzen, einen solchen in Gedanken einem Herzenskündiger zu bekennen, um auf allen Fall seine Gunst zu erheucheln. Oder wenn er zwar desfalls nicht im Zweifel ist, aber sich doch mit innerer Verehrung seines Gesetzes schmeichelt, da er doch keine andere Triebfeder, als die der Furcht vor Strafe bei sich fühlt.

Unredlichkeit ist bloß Ermangelung an Gewissenhaftigkeit, d. i. an Lauterkeit des Bekenntnisses vor seinem inneren Richter, der als eine andere Person gedacht wird, wenn diese in ihrer höchsten Strenge betrachtet wird, wo ein Wunsch (aus Selbstliebe) für die Tat genommen wird, weil er einen an sich guten Zweck vor sich hat, und die innere Lüge, ob sie zwar der Pflicht des Menschen gegen sich selbst zuwider ist, erhält hier den Namen einer Schwachheit, so wie der Wunsch eines Liebhabers lauter gute Eigenschaften an seiner Geliebten zu finden ihm ihre augenscheinliche Fehler unsichtbar macht. – Indessen verdient diese Unlauterkeit in Erklärungen, die man gegen sich selbst verübt, doch die ernstlichste Rüge: weil von einer solchen faulen Stelle (der Falschheit, welche in der menschlichen Natur gewurzelt zu sein scheint) aus das Übel der Unwahrhaftigkeit sich auch in Beziehung auf andere Menschen verbreitet, nachdem einmal der oberste Grundsatz der Wahrhaftigkeit verletzt worden. –

 

Anmerkung

Es ist merkwürdig, daß die Bibel das erste Verbrechen, wodurch das Böse in die Welt gekommen ist, nicht vom Brudermorde (Kains), sondern von der ersten Lüge datiert (weil gegen jenen sich doch die Natur empört) und als den Urheber alles Bösen den Lügner von Anfang und den Vater der Lügen nennt; wiewohl die Vernunft von diesem Hange der Menschen zur Gleisnerei ( esprit fourbe), der doch vorher gegangen sein muß, keinen Grund weiter angeben kann: weil ein Akt der Freiheit nicht (gleich einer physischen Wirkung) nach dem Naturgesetz des Zusammenhanges der Wirkung und ihrer Ursache, welche insgesamt Erscheinungen sind, deduziert und erklärt werden kann.

 

Kasuistische Fragen

Kann eine Unwahrheit aus bloßer Höflichkeit (z. B. das ganz gehorsamster Diener am Ende eines Briefes) für Lüge gehalten werden? Niemand wird ja dadurch betrogen. – Ein Autor fragt einen seiner Leser: wie gefällt Ihnen mein Werk? Die Antwort könnte nun zwar illusorisch gegeben werden, da man über die Verfänglichkeit einer solchen Frage spöttelte; aber wer hat den Witz immer bei der Hand? Das geringste Zögern mit der Antwort ist schon Kränkung des Verfassers; darf er diesem also zum Munde reden?

In wirklichen Geschäften, wo es aufs Mein und Dein ankommt, wenn ich da eine Unwahrheit sage, muß ich alle die Folgen verantworten, die daraus entspringen möchten? Z. B. ein Hausherr hat befohlen: daß, wenn ein gewisser Mensch nach ihm fragen würde, er ihn verleugnen solle. Der Dienstbote tut dieses: veranlaßt aber dadurch, daß jener entwischt und ein großes Verbrechen ausübt, welches sonst durch die gegen ihn ausgeschickte Wache wäre verhindert worden. Auf wen fällt hier die Schuld (nach ethischen Grundsätzen)? Allerdings auch auf den letzteren, welcher hier eine Pflicht gegen sich selbst durch eine Lüge verletzte; deren Folgen ihm nun durch sein eigen Gewissen zugerechnet werden.

 

II.
Vom Geize

10

Ich verstehe hier unter diesem Namen nicht den habsüchtigen Geiz (der Erweiterung seines Erwerbs der Mittel zum Wohlleben über die Schranken des wahren Bedürfnisses): denn dieser kann auch als bloße Verletzung seiner Pflicht (der Wohltätigkeit) gegen Andere betrachtet werden; auch nicht den kargen Geiz, welcher, wenn er schimpflich ist, Knickerei oder Knauserei genannt wird, aber doch bloß Vernachlässigung seiner Liebespflichten gegen Andere sein kann; sondern die Verengung seines eigenen Genusses der Mittel zum Wohlleben unter das Maß des wahren eigenen Bedürfnisses; dieser Geiz ist es eigentlich, der hier gemeint ist, welcher der Pflicht gegen sich selbst widerstreitet.

An der Rüge dieses Lasters kann man ein Beispiel von der Unrichtigkeit aller Erklärung der Tugenden sowohl als Laster durch den bloßen Grad deutlich machen und zugleich die Unbrauchbarkeit des Aristotelischen Grundsatzes dartun: daß die Tugend in der Mittelstraße zwischen zwei Lastern bestehe.

Wenn ich nämlich zwischen Verschwendung und Geiz die gute Wirtschaft als das Mittlere ansehe, und dieses das Mittlere des Grades sein soll: so würde ein Laster in das ( contrarie) entgegengesetzte Laster nicht anders übergehen, als durch die Tugend, und so würde diese nichts anders, als ein vermindertes, oder vielmehr verschwindendes Laster sein, und die Folge wäre in dem gegenwärtigen Fall: daß von den Mitteln des Wohllebens gar keinen Gebrauch zu machen die ächte Tugendpflicht sei.

Nicht das Maß der Ausübung sittlicher Maximen, sondern das objektive Prinzip derselben muß als verschieden erkannt und vorgetragen werden, wenn ein Laster von der Tugend unterschieden werden soll. – Die Maxime des habsüchtigen Geizes (als Verschwenders) ist: alle Mittel des Wohllebens in der Absicht auf den Genuß anzuschaffen und zu erhalten. – Die des kargen Geizes ist hingegen der Erwerb sowohl, als die Erhaltung aller Mittel des Wohllebens, aber ohne Absicht auf den Genuß (d. i. ohne daß dieser, sondern nur der Besitz der Zweck sei).

Also ist das eigentümliche Merkmal des letzteren Lasters der Grundsatz des Besitzes der Mittel zu allerlei Zwecken, doch mit dem Vorbehalt, keines derselben für sich brauchen zu wollen und sich so des angenehmen Lebensgenusses zu berauben: welches der Pflicht gegen sich selbst in Ansehung des Zwecks gerade entgegengesetzt ist. Der Satz: man soll keiner Sache zu viel oder zu wenig tun, sagt so viel als nichts; denn er ist tautologisch. Was heißt zu viel tun? Antw. Mehr als gut ist. Was heißt zu wenig tun? Antw. Weniger tun, als gut ist. Was heißt: ich soll (etwas tun oder unterlassen)? Antw. Es ist nicht gut (wider die Pflicht) mehr oder auch weniger zu tun, als gut ist. Wenn das die Weisheit ist, die zu erforschen wir zu den Alten (dem Aristoteles), gleich als solchen, die der Quelle näher waren, zurückkehren sollen: virtus consistit in media, medium tenuere beati, est modus in rebus, sunt certi denique fines, quos ultra citraque nequit consistere rectum, so haben wir schlecht gewählt, uns an ihr Orakel zu wenden. – Es gibt zwischen Wahrhaftigkeit und Lüge (als contradictorie oppositis) kein Mittleres: aber wohl zwischen Offenherzigkeit und Zurückhaltung (als contrarie oppositis), da an dem, welcher seine Meinung erklärt, Alles, was er sagt, wahr ist, er aber nicht die ganze Wahrheit sagt. Nun ist doch ganz natürlich von dem Tugendlehrer zu fordern, daß er mir dieses Mittlere anweise. Das kann er aber nicht; denn beide Tugendpflichten haben einen Spielraum der Anwendung ( latitudinem), und was zu tun sei, kann nur von der Urteilskraft nach Regeln der Klugheit (den pragmatischen), nicht denen der Sittlichkeit (den moralischen), d. i. nicht als enge ( officium strictum), sondern nur als weite Pflicht ( officium latum) entschieden werden. Daher der, welcher die Grundsätze der Tugend befolgt, zwar in der Ausübung im Mehr oder Weniger, als die Klugheit vorschreibt, einen Fehler ( peccatum) begehn. aber nicht darin, daß er diesen Grundsätzen mit Strenge anhänglich ist, ein Laster ( vitium) ausüben, und Horazens Vers: insani sapiens nomen habeat aequus iniqui, ultra quam satis est virtutem si petat ipsam, ist, nach dem Buchstaben genommen, grundfalsch. Sapiens bedeutet hier wohl nur einen gescheuten Mann ( prudens), der sich nicht phantastisch Tugendvollkommenheit denkt, die als Ideal zwar die Annäherung zu diesem Zwecke, aber nicht die Vollendung fordert, als welche Forderung die menschlichen Kräfte übersteigt und Unsinn (Phantasterei) in ihr Prinzip hinein bringt. Denn gar zu tugendhaft, d. i. seiner Pflicht gar zu anhänglich, zu sein, würde ungefähr so viel sagen als: einen Zirkel gar zu rund, oder eine gerade Linie gar zu gerade machen. Verschwendung und Kargheit sind also nicht durch den Grad, sondern spezifisch durch die entgegengesetzte Maximen von einander unterschieden.

 

Kasuistische Fragen

Da hier nur von Pflichten gegen sich selbst die Rede ist und Habsucht (Unersättlichkeit im Erwerb), um zu verschwenden, eben so wohl als Knauserei (Peinlichkeit im Vertun) Selbstsucht ( solipsismus) zum Grunde haben, und beide, die Verschwendung sowohl als die Kargheit, bloß darum verwerflich zu sein scheinen, weil sie auf Armut hinaus laufen, bei dem einen auf nicht erwartete, bei dem anderen auf willkürliche (armselig leben zu wollen), – so ist die Frage: ob sie, die eine sowohl als die andere, überhaupt Laster und nicht vielmehr beide bloße Unklugheit genannt werden sollen, mithin nicht ganz und gar außerhalb den Grenzen der Pflicht gegen sich selbst liegen mögen. Die Kargheit aber ist nicht bloß mißverstandene Sparsamkeit, sondern sklavische Unterwerfung seiner selbst unter die Glücksgüter, ihrer nicht Herr zu sein, welches Verletzung der Pflicht gegen sich selbst ist. Sie ist der Liberalität ( liberalitas moralis) der Denkungsart überhaupt (nicht der Freigebigkeit ( liberalitas sumptuosa), welche nur eine Anwendung derselben auf einen besonderen Fall ist), d i. dem Prinzip der Unabhängigkeit von allem anderen außer von dem Gesetz, entgegengesetzt und Defraudation, die das Subjekt an sich selbst begeht. Aber was ist das für ein Gesetz, dessen innerer Gesetzgeber selbst nicht weiß, wo es anzuwenden ist? Soll ich meinem Munde abbrechen, oder nur dem äußeren Aufwande? im Alter, oder schon in der Jugend? oder ist Sparsamkeit überhaupt eine Tugend?

 

III.
Von der Kriecherei

11

Der Mensch im System der Natur ( homo phaenomenon, animal rationale) ist ein Wesen von geringer Bedeutung und hat mit den übrigen Tieren, als Erzeugnissen des Bodens, einen gemeinen Wert ( pretium vulgare). Selbst, daß er vor diesen den Verstand voraus hat und sich selbst Zwecke setzen kann, das gibt ihm doch nur einen äußeren Wert seiner Brauchbarkeit ( pretium usus), nämlich eines Menschen vor dem anderen, d. i. ein Preis, als einer Ware, in dem Verkehr mit diesen Tieren als Sachen, wo er doch noch einen niedrigem Wert hat, als das allgemeine Tauschmittel, das Geld, dessen Wert daher ausgezeichnet ( pretium eminens) genannt wird.

Allein der Mensch, als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher ( homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten innern Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem Anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit schätzen kann.

Die Menschheit in seiner Person ist das Objekt der Achtung, die er von jedem anderen Menschen fordern kann; deren er aber auch sich nicht verlustig machen muß. Er kann und soll sich also nach einem kleinen sowohl als großen Maßstabe schätzen, nachdem er sich als Sinnenwesen (seiner tierischen Natur nach), oder als intelligibles Wesen (seiner moralischen Anlage nach) betrachtet. Da er sich aber nicht bloß als Person überhaupt, sondern auch als Mensch, d. i. als eine Person, die Pflichten auf sich hat, die ihm seine eigene Vernunft auferlegt, betrachten muß, so kann seine Geringfähigkeit als Tiermensch dem Bewußtsein seiner Würde als Vernunftmensch nicht Abbruch tun, und er soll die moralische Selbstschätzung in Betracht der letzteren nicht verleugnen, d. i. er soll sich um seinen Zweck, der an sich selbst Pflicht ist, nicht kriechend, nicht knechtisch ( animo servili), gleich als sich um Gunst bewerbend, bewerben, nicht seine Würde verleugnen, sondern immer mit dem Bewußtsein der Erhabenheit seiner moralischen Anlage (welches im Begriff der Tugend schon enthalten ist), und diese Selbstschätzung ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst.

Das Bewußtsein und Gefühl der Geringfähigkeit seines moralischen Werts in Vergleichung mit dem GESETZ ist die Demut ( humilitas moralis). Die Überredung von einer Größe dieses seines Werts, aber nur aus Mangel der Vergleichung mit dem Gesetz, kann der Tugendstolz ( arrogantia moralis) genannt werden. – Die Entsagung alles Anspruchs auf irgend einen moralischen Wert seiner selbst in der Überredung, sich eben dadurch einen geborgten zu erwerben, ist die sittlich-falsche Kriecherei ( humilitas spuria).

DEMUT in Vergleichung mit anderen Menschen (ja überhaupt mit irgend einem endlichen Wesen, und wenn es auch ein Seraph wäre) ist gar keine Pflicht; vielmehr ist die Bestrebung in diesem Verhältnisse Andern gleich zu kommen oder sie zu übertreffen mit der Überredung sich dadurch auch einen inneren größeren Wert zu verschaffen Hochmut ( ambitio), welcher der Pflicht gegen Andere gerade zuwider ist. Aber die bloß als Mittel zu Erwerbung der Gunst eines Anderen (wer es auch sei) ausgesonnene Herabsetzung seines eigenen moralischen Werts (Heuchelei und Schmeichelei) Heucheln (eigentlich häuchlen) scheint vom ächzenden, die Sprache unterbrechenden Hauch (Stoßseufzer) abgeleitet zu sein; dagegen Schmeichlen vom Schmiegen, welches als Habitus Schmiegeln und endlich von den Hochdeutschen Schmeicheln genannt worden ist, abzustammen. ist falsche (erlogene) Demut und als Abwürdigung seiner Persönlichkeit der Pflicht gegen sich selbst entgegen.

Aus unserer aufrichtigen und genauen Vergleichung mit dem moralischen Gesetz (dessen Heiligkeit und Strenge) muß unvermeidlich wahre Demut folgen: aber daraus, daß wir einer solchen inneren Gesetzgebung fähig sind, daß der (physische) Mensch den (moralischen) Menschen in seiner eigenen Person zu verehren sich gedrungen fühlt, zugleich Erhebung und die höchste Selbstschätzung, als Gefühl seines inneren Werts ( valor), nach welchem er für keinen Preis ( pretium) feil ist und eine unverlierbare Würde ( dignitas interna) besitzt, die ihm Achtung ( reverentia) gegen sich selbst einflößt.

 

12

Mehr oder weniger kann man diese Pflicht in Beziehung auf die Würde der Menschheit in uns, mithin auch gegen uns selbst in folgenden Beispielen kennbar machen.

Werdet nicht der Menschen Knechte: – laßt euer Recht nicht ungeahndet von Anderen mit Füßen treten. – Macht keine Schulden, für die ihr nicht volle Sicherheit leistet. – Nehmt nicht Wohltaten an, die ihr entbehren könnt, und seid nicht Schmarotzer, oder Schmeichler, oder gar (was freilich nur im Grad von dem Vorigen unterschieden ist) Bettler. Daher seid wirtschaftlich, damit ihr nicht bettelarm werdet. – Das Klagen und Winseln, selbst das bloße Schreien bei einem körperlichen Schmerz ist euer schon unwert, am meisten, wenn ihr euch bewußt seid ihn selbst verschuldet zu haben: daher die Veredlung (Abwendung der Schmach) des Todes eines Delinquenten durch die Standhaftigkeit, mit der er stirbt. – Das Hinknien oder Hinwerfen zur Erde, selbst um die Verehrung himmlischer Gegenstände sich dadurch zu versinnlichen, ist der Menschenwürde zuwider, so wie die Anrufung derselben in gegenwärtigen Bildern; denn ihr demütigt euch alsdann nicht unter einem Ideal, das euch eure eigene Vernunft vorstellt, sondern unter einem Idol, was euer eigenes Gemächsel ist.

 

Kasuistische Fragen

Ist nicht in dem Menschen das Gefühl der Erhabenheit seiner Bestimmung, d. i. die Gemütserhebung ( elatio animi) als Schätzung seiner selbst, mit dem Eigendünkel ( arrogantia), welcher der wahren Demut ( humilitas moralis) gerade entgegengesetzt ist, zu nahe verwandt, als daß zu jener aufzumuntern es ratsam wäre; selbst in Vergleichung mit anderen Menschen, nicht bloß mit dem Gesetz? oder würde diese Art von Selbstverleugnung nicht vielmehr den Ausspruch Anderer bis zur Geringschätzung unserer Person steigern und so der Pflicht (der Achtung) gegen uns selbst zuwider sein? Das Bücken und Schmiegen vor einem Menschen scheint in jedem Fall eines Menschen unwürdig zu sein.

Die vorzügliche Achtungsbezeigung in Worten und Manieren selbst gegen einen nicht Gebietenden in der bürgerlichen Verfassung – die Reverenzen, Verbeugungen (Komplimente), höfische – den Unterschied der Stände mit sorgfältiger Pünktlichkeit bezeichnende Phrasen, – welche von der Höflichkeit (die auch sich gleich Achtenden notwendig ist) ganz unterschieden sind – das Du, Er, Ihr und Sie, oder Ew. Wohledlen, Hochedeln, Hochedelgebornen, Wohlgebornen ( ohe, iam satis est!) in der Anrede – als in welcher Pedanterei die Deutschen unter allen Völkern der Erde (die indische Kasten vielleicht ausgenommen) es am weitesten gebracht haben, sind das nicht Beweise eines ausgebreiteten Hanges zur Kriecherei unter Menschen? ( Hae nugae in seria ducunt.) Wer sich aber zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, daß er mit Füßen getreten wird.

 

Des Zweiten Hauptstücks Erster Abschnitt.
Von der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, als den angebornen Richter über sich selbst

13

Ein jeder Pflichtbegriff enthält objektive Nötigung durchs Gesetz (als moralischen, unsere Freiheit einschränkenden Imperativ) und gehört dem praktischen Verstande zu, der die Regel gibt; die innere Zurechnung aber einer Tat, als eines unter dem Gesetz stehenden Falles, ( in meritum aut demeritum) gehört zur Urteilskraft ( iudicium), welche als das subjektive Prinzip der Zurechnung der Handlung, ob sie als Tat (unter einem Gesetz stehende Handlung) geschehen sei oder nicht, rechtskräftig urteilt; worauf denn der Schluß der Vernunft (die Sentenz), d. i. die Verknüpfung der rechtlichen Wirkung mit der Handlung (die Verurteilung oder Lossprechung), folgt: welches alles vor Gericht ( coram iudicio), als einer dem Gesetz Effekt verschaffenden moralischen Person, Gerichtshof ( forum) genannt, geschieht. – Das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen (»vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen«) ist das GEWISSEN.

Jeder Mensch hat Gewissen und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt im Respekt (mit Furcht verbundener Achtung) gehalten, und diese über die Gesetze in ihm wachende Gewalt ist nicht etwas, was er sich selbst (willkürlich) macht, sondern es ist seinem Wesen einverleibt. Es folgt ihm wie sein Schatten, wenn er zu entfliehen gedenkt. Er kann sich zwar durch Lüste und Zerstreuungen betäuben oder in Schlaf bringen, aber nicht vermeiden dann und wann zu sich selbst zu kommen oder zu erwachen, wo er alsbald die furchtbare Stimme desselben vernimmt. Er kann es in seiner äußersten Verworfenheit allenfalls dahin bringen, sich daran gar nicht mehr zu kehren, aber sie zu hören, kann er doch nicht vermeiden.

Diese ursprüngliche intellektuelle und (weil sie Pflichtvorstellung ist) moralische Anlage, Gewissen genannt, hat nun das Besondere in sich, daß, obzwar dieses sein Geschäfte ein Geschäfte des Menschen mit sich selbst ist, dieser sich doch durch seine Vernunft genötigt sieht, es als auf den Geheiß einer anderen Person zu treiben. Denn der Handel ist hier die Führung einer Rechtssache ( causa) vor Gericht. Daß aber der durch sein Gewissen Angeklagte mit dem Richter als eine und dieselbe Person vorgestellt werde, ist eine ungereimte Vorstellungsart von einem Gerichtshofe; denn da würde ja der Ankläger jederzeit verlieren. – Also wird sich das Gewissen des Menschen bei allen Pflichten einen Anderen (als den Menschen überhaupt, d. i.) als sich selbst, zum Richter seiner Handlungen denken müssen, wenn es nicht mit sich selbst im Widerspruch stehen soll. Dieser Andere mag nun eine wirkliche, oder bloß idealische Person sein, welche die Vernunft sich selbst schafft. Die zwiefache Persönlichkeit, in welcher der Mensch, der sich im Gewissen anklagt und richtet, sich selbst denken muß: dieses doppelte Selbst, einerseits vor den Schranken eines Gerichtshofes, der doch ihm selbst anvertraut ist, zitternd stehen zu müssen, anderseits aber das Richteramt aus angeborener Autorität selbst in Händen zu haben, bedarf einer Erläuterung, damit nicht die Vernunft mit sich selbst gar in Widerspruch gerate. – Ich, der Kläger und doch auch Angeklagter, bin eben derselbe Mensch ( numero idem), aber als Subjekt der moralischen, von dem Begriffe der Freiheit ausgehenden Gesetzgebung, wo der Mensch einem Gesetz untertan ist, das er sich selbst gibt ( homo noumenon), ist er als ein Anderer als der mit Vernunft begabte Sinnenmensch ( specie diversus), aber nur in praktischer Rücksicht zu betrachten – denn über das Kausal-Verhältnis des Intelligibilen zum Sensibilen gibt es keine Theorie, – und diese spezifische Verschiedenheit ist die der Fakultäten des Menschen (der oberen und unteren), die ihn charakterisieren. Der erstere ist der Ankläger, dem entgegen ein rechtlicher Beistand des Verklagten (Sachwalter desselben) bewilligt ist. Nach Schließung der Akten tut der innere Richter, als machthabende Person, den Ausspruch über Glückseligkeit oder Elend, als moralische Folgen der Tat; in welcher Qualität wir dieser ihre Macht (als Weltherrschers) durch unsere Vernunft nicht weiter verfolgen, sondern nur das unbedingte iubeo oder veto verehren können.

Eine solche idealische Person (der autorisierte Gewissensrichter) muß ein Herzenskündiger sein; denn der Gerichtshof ist im Inneren des Menschen aufgeschlagen – zugleich muß er aber auch allverpflichtend, d. i. eine solche Person sein, oder als eine solche gedacht werden, in Verhältnis auf welche alle Pflichten überhaupt auch als ihre Gebote anzusehen sind: weil das Gewissen über alle freie Handlungen der innere Richter ist. – Da nun ein solches moralisches Wesen zugleich alle Gewalt (im Himmel und auf Erden) haben muß, weil es sonst nicht (was doch zum Richteramt notwendig gehört) seinen Gesetzen den ihnen angemessenen Effekt verschaffen könnte, ein solches über Alles machthabende moralische Wesen aber GOTT heißt: so wird das Gewissen als subjektives Prinzip einer vor Gott seiner Taten wegen zu leistenden Verantwortung gedacht werden müssen: ja es wird der letztere Begriff (wenn gleich nur auf dunkele Art) in jenem moralischen Selbstbewußtsein jederzeit enthalten sein.

Dieses will nun nicht so viel sagen als: der Mensch, durch die Idee, zu welcher ihn sein Gewissen unvermeidlich leitet, sei berechtigt, noch weniger aber: er sei durch dasselbe verbunden ein solches höchste Wesen außer sich als wirklich anzunehmen; denn sie wird ihm nicht objektiv, durch theoretische, sondern bloß subjektiv, durch praktische, sich selbst verpflichtende Vernunft ihr angemessen zu handeln gegeben; und der Mensch erhält vermittelst dieser nur nach der Analogie mit einem Gesetzgeber aller vernünftigen Weltwesen eine bloße Leitung, die Gewissenhaftigkeit (welche auch religio genannt wird) als Verantwortlichkeit vor einem von uns selbst unterschiedenen, aber uns doch innigst gegenwärtigen heiligen Wesen (der moralisch-gesetzgebenden Vernunft) sich vorzustellen und dessen Willen den Regeln der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Der Begriff von der Religion überhaupt ist hier dem Menschen bloß »ein Prinzip der Beurteilung aller seiner Pflichten als göttlicher Gebote«.

1. In einer Gewissenssache ( causa conscientiam tangens) denkt sich der Mensch ein warnendes Gewissen ( praemonens) vor der Entschließung; wobei die äußerste Bedenklichkeit ( scrupulositas), wenn es einen Pflichtbegriff (etwas an sich Moralisches) betrifft, in Fällen, darüber das Gewissen der alleinige Richter ist ( casibus conscientiae), nicht für Kleinigkeitskrämerei (Mikrologie) und eine wahre Übertretung nicht für Bagatelle ( peccatillum) beurteilt und (nach dem Grundsatz: minima non curat praetor) einem willkürlich sprechenden Gewissensrat überlassen werden kann. Daher ein weites Gewissen jemanden zuzuschreiben so viel heißt als: ihn gewissenlos nennen. –

2. Wenn die Tat beschlossen ist, tritt im Gewissen zuerst der Ankläger, aber zugleich mit ihm auch ein Anwalt (Advokat) auf; wobei der Streit nicht gütlich ( per amicabilem compositionem) abgemacht, sondern nach der Strenge des Rechts entschieden werden muß; und hierauf folgt

3. der rechtskräftige Spruch des Gewissens über den Menschen, ihn loszusprechen oder zu verdammen, der den Beschluß macht; wobei zu merken ist, daß der erstere nie eine Belohnung ( praemium), als Gewinn von etwas, was vorher nicht sein war, beschließen kann, sondern nur ein Frohsein, der Gefahr, strafbar befunden zu werden, entgangen zu sein, enthalte und daher die Seligkeit in dem trostreichen Zuspruch seines Gewissens nicht positiv (als Freude), sondern nur negativ (Beruhigung nach vorhergegangener Bangigkeit) ist, was der Tugend, als einem Kampf gegen die Einflüsse des bösen Prinzips im Menschen, allein beigelegt werden kann.

 

Zweiter Abschnitt.
Von dem ersten Gebot aller Pflichten gegen sich selbst

14

Dieses ist: Erkenne (erforsche, ergründe) dich selbst nicht nach deiner physischen Vollkommenheit (der Tauglichkeit oder Untauglichkeit zu allerlei dir beliebigen oder auch gebotenen Zwecken), sondern nach der moralischen in Beziehung auf deine Pflicht – dein Herz, – ob es gut oder böse sei, ob die Quelle deiner Handlungen lauter oder unlauter, und was entweder als ursprünglich zur Substanz des Menschen gehörend, oder als abgeleitet (erworben oder zugezogen) ihm selbst zugerechnet werden kann und zum moralischen Zustande gehören mag.

Das moralische Selbsterkenntnis, das in die schwerer zu ergründende Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ist aller menschlichen Weisheit Anfang. Denn die letztere, welche in der Zusammenstimmung des Willens eines Wesen zum Endzweck besteht, bedarf beim Menschen zu allererst die Wegräumung der inneren Hindernisse (eines bösen in ihm genistelten Willens) und dann die Entwickelung der nie verlierbaren ursprünglichen Anlage eines guten Willens in ihm zu entwickeln (nur die Höllenfahrt des Selbsterkenntnisses bahnt den Weg zur Vergötterung).

 

15

Dieses moralische Selbsterkenntnis wird erstlich die schwärmerische Verachtung seiner selbst, als Mensch (seiner ganzen Gattung) überhaupt, verbannen; denn sie widerspricht sich selbst. – Es kann ja nur durch die herrliche in uns befindliche Anlage zum Guten, welche den Menschen achtungswürdig macht, geschehen, daß er den Menschen, der dieser zuwider handelt, (sich selbst, aber nicht die Menschheit in sich) verachtungswürdig findet. – Dann aber widersteht sie auch der eigenliebigen Selbstschätzung, bloße Wünsche, wenn sie mit noch so großer Sehnsucht geschähen, da sie an sich doch tatleer sind und bleiben, für Beweise eines guten Herzens zu halten ( Gebet ist auch nur ein innerlich vor einem Herzenskündiger deklarierter Wunsch). Unparteilichkeit in Beurteilung unserer selbst in Vergleichung mit dem Gesetz und Aufrichtigkeit im Selbstgeständnisse seines inneren moralischen Werts oder Unwerts sind Pflichten gegen sich selbst, die aus jenem ersten Gebot der Selbsterkenntnis unmittelbar folgen.

 

Episodischer Abschnitt.
Von der Amphibolie der moralischen Reflexionsbegriffe: Das, was Pflicht des Menschen gegen sich selbst ist, für Pflicht gegen andere zu halten

16

Nach der bloßen Vernunft zu urteilen, hat der Mensch sonst keine Pflicht, als bloß gegen den Menschen (sich selbst oder einen anderen); denn seine Pflicht gegen irgend ein Subjekt ist die moralische Nötigung durch dieses seinen Willen. Das nötigende (verpflichtende) Subjekt muß also erstlich eine Person sein, zweitens muß diese Person als Gegenstand der Erfahrung gegeben sein: weil der Mensch auf den Zweck ihres Willens hinwirken soll, welches nur in dem Verhältnisse zweier existierender Wesen zu einander geschehen kann (denn ein bloßes Gedankending kann nicht Ursache von irgend einem Erfolg nach Zwecken werden). Nun kennen wir aber mit aller unserer Erfahrung kein anderes Wesen, was der Verpflichtung (der aktiven oder passiven) fähig wäre, als bloß den Menschen. Also kann der Mensch sonst keine Pflicht gegen irgend ein Wesen haben, als bloß gegen den Menschen, und stellt er sich gleichwohl eine solche zu haben vor, so geschieht dieses durch eine Amphibolie der Reflexionsbegriffe, und seine vermeinte Pflicht gegen andere Wesen ist bloß Pflicht gegen sich selbst; zu welchem Mißverstande er dadurch verleitet wird, daß er seine Pflicht in Ansehung anderer Wesen für Pflicht gegen diese Wesen verwechselt.

Diese vermeinte Pflicht kann nun auf unpersönliche, oder zwar persönliche, aber schlechterdings unsichtbare (den äußeren Sinnen nicht darzustellende) Gegenstände bezogen werden. – Die erstere ( außermenschliche) können der bloße Naturstoff, oder der zur Fortpflanzung organisierte, aber empfindungslose, oder der mit Empfindung und Willkür begabte Teil der Natur (Mineralien, Pflanzen, Tiere) sein: die zweite ( übermenschliche) können als geistige Wesen (Engel, Gott) gedacht werden. – Ob zwischen Wesen beider Art und den Menschen ein Pflichtverhältnis und welches dazwischen statt finde, wird nun gefragt.

 

17

In Ansehung des Schönen, obgleich Leblosen in der Natur ist ein Hang zum bloßen Zerstören ( spiritus destructionis) der Pflicht des Menschen gegen sich selbst zuwider: weil es dasjenige Gefühl im Menschen schwächt oder vertilgt, was zwar nicht für sich allein schon moralisch ist, aber doch diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität sehr befördert, wenigstens dazu vorbereitet, nämlich etwas auch ohne Absicht auf Nutzen zu lieben (z. B. die schöne Kristallisationen, das unbeschreiblich Schöne des Gewächsreichs).

In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) Tötung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die martervolle physische Versuche zum bloßen Behuf der Spekulation, wenn auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind. – Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört indirekt zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Tiere, direkt aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst.

 

18

In Ansehung dessen, was ganz über unsere Erfahrungsgrenze hinaus liegt, aber doch seiner Möglichkeit nach in unseren Ideen angetroffen wird, z. B. der Idee von Gott, haben wir eben so wohl auch eine Pflicht, welche Religionspflicht genannt wird, die nämlich »der Erkenntnis aller unserer Pflichten als ( instar) göttlicher Gebote«. Aber dieses ist nicht das Bewußtsein einer Pflicht gegen Gott. Denn da diese Idee ganz aus unserer eigenen Vernunft hervorgeht und von uns, es sei in theoretischer Absicht, um sich die Zweckmäßigkeit im Weltganzen zu erklären, oder auch um zur Triebfeder in unserem Verhalten zu dienen, selbst gemacht wird, so haben wir hiebei nicht ein gegebenes Wesen vor uns, GEGEN welches uns Verpflichtung obläge: denn da müßte dessen Wirklichkeit allererst durch Erfahrung bewiesen (geoffenbart) sein; sondern es ist Pflicht des Menschen GEGEN sich selbst, diese unumgänglich der Vernunft sich darbietende Idee auf das moralische Gesetz in uns, wo es von der größten sittlichen Fruchtbarkeit ist, anzuwenden. In diesem (PRAKTISCHEN) Sinn kann es also so lauten: Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst.


 << zurück weiter >>