Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI

Es ist jammerschade, daß Kedrils Hochzeitsfest, das so glänzend und in großem Stil verlief, mit einer kläglichen Dissonanz endete: Chikel, das Lazarett, geladen mit Wut über sein freiwilliges Martyrium, fing wegen nichts Streit an. Die Hochzeitsgesellschaft knäulte sich zu einer unheilvollen Wolke zusammen, aber da fegte Madame Chikel wie ein Sturmwind hinter der Bar vor. Das Blut stieg ihr in den Kopf, sie bekam ihren Anfall von Raserei und warf uns alle zur Türe hinaus. Die Papageien erwachten bei dem Lärm und schrien aus vollen Lungen: Dieb, Lump, Dieb, Dieb –

So endete Kedrils Ehrentag.

Ich lachte noch auf dem Heimweg. Ich bellte vor Lachen, denn ich war vollkommen heiser. Hoho, wie wir alle zur Türe hinausflogen und über die Heide rollten! Kedril rollte mit einer Flasche, die er hoch hielt. Yann, Yann, wo bist du so plötzlich hingekommen? Das war nicht das langweilige, vorsichtige Europa, das waren Leute aus der Steinzeit, die alles auf Leben und Tod taten!

So sehr erschütterte mich das Lachen, daß es mir unmöglich war mich aufzurichten. Ich kroch auf allen vieren dahin und da ich dazu bellte, hielt mich Poupoul für seinesgleichen. Er tanzte wie närrisch vor mir herum und zuweilen leckte er mir das Gesicht ab. Ich drehte bei und lauschte. Dahinten gröhlte das Dorf. Es kühlte nur langsam ab. Die Nacht war schwarz wie ein Kohlenbergwerk; Creach stand mitten darin wie ein glühendes Gespenst, das Feuer durch alle Knochen spie.

Da hielt Poupoul an. Er stellte sich auf die Hinterfüße und legte mir die Pfoten auf die Schultern und kläffte. Ich umarmte und küßte ihn: »Poupoul, Seele, nun da wir beide Hunde sind!«

Und Poupoul leckte mit seiner saugenden Zunge mein Gesicht von unten bis oben ab. Aber er ging nicht weiter. Da bemerkte ich, daß wir vor einem Abgrund abgestoppt hatten: das war die Schlucht, die sie Poupons Schlucht nannten.

Meine Stirn wurde eisigkalt. Ich schwang die Zunge zwischen den Zähnen und dachte angestrengt nach. Lange. Ja! Weshalb sollte ich eigentlich auf allen vieren kriechen? Das war es. Ich stand auf. Aber da entglitt die Insel unter meinen Füßen wie eine Drehscheibe und ich verwandelte mich wieder in einen Vierfüßler. Dagegen war nichts zu tun. Ich hatte die Durchschlagskraft von Chikels Getränken unterschätzt, das war alles. Im übrigen, gingen nicht meine Vorfahren ebenfalls auf allen vieren, als sie noch der Einfachheit halber Haare trugen? Vielleicht würde es mir bei einiger Propaganda gelingen, diese Art von Fortbewegung wieder in Mode zu bringen? Die Menschen waren ja für jede Neuheit zu haben. Wie? En route, Poupoul!

Als ich den Mönch passierte, der dastand und den Sauriern predigte, erfaßte mich eine seelische Erschütterung. Ich sagte: »Ich nahe mich in Ehrfurcht, auf den Knien, Hochwürdiger.« Aber der Mönch holte mit dem Arm aus und schmetterte mich zu Boden. Lange lag ich leblos und Poupoul stellte verzweifelte Wiederbelebungsversuche an.

Wie lange brauchten wir, Poupoul, bis wir nach Hause kamen? Aber schließlich lag ich auf dem Bett. Da kam einer von den Sauriern auf der Heide herein, ergriff das Bett mit dem Rüssel und schleuderte es hoch in die Luft. Es tanzte und wirbelte herab zur Erde, wo es krachend aufschlug. Ich erwachte. Aber da sauste ein brennendroter Komet heran und zerplatzte vor meinem Gesicht. Hehehe! Zweitausend Grillen saßen in meinem Kopf und schrillten: gib mir doch, gib mir doch – da zog mich die Melodie langsam im Kreise und ich schlief ein.

Doch ich fand keine Ruhe. Mein Blut kochte. Der Schweiß rann in Strömen über mein Gesicht. Ich stand auf. Die Türe war offen. Es war kühl, ja bei Gott, das war eine Nacht wie ein kühles Leintuch. Ich ging hinaus und fühlte wie mein Kopf kühl und klar wurde. Das Mondlicht lag auf der Heide, dick wie Schnee, und zwischen den Gräsern schwebten zarte, silberne Lichtgespinste, die zerflossen, wenn man weiter ging. Ich stieg hinab zum Meer.

Es lag wie flüssiges Silber, bebte und flimmerte, in der Nähe aber war es schwarz und glatt wie Pech. Es atmete verstohlen wie ein Dieb im Versteck und bei jedem verstohlenen Atemzug ringelte sich eine silberne Schlange im Sand. Meine Sohlen glühten, ich watete hinein und meine Füße wühlten in gleißendem Silber. Das Silber stieg mir bis an die Brust, an das Kinn – ah, nun berührte es meine Lider, es schlug über mir zusammen. Nun war es dunkel um mich her, ich aber gleißte von oben bis unten. Wie ein schimmerndes Gespenst bewegte ich mich im schwarzen Meer. Silberne Perlen stiegen unter meinen Sohlen auf. Ich nieste, und ich nieste Silber, einen Sprühregen feiner silberner Tropfen, die rasch in die Höhe stiegen. Ich blickte nach oben. Dort lag das Silber wie eine dicke Schicht. All die schweren Silberkugeln, die meine Schritte aufrührten, tanzten blitzschnell in die Höhe und vereinigten sich mit ihr.

»Das ist das Mondlicht auf dem Meere,« sagte ich und ging weiter. Wie wunderbar ging es sich doch auf dem Grund des Meeres!

War vorhin Lärm gewesen? Nein. Aber doch war es jetzt tausendmal stiller. Solch eine Stille! Ich blieb stehen und lauschte. Diese Stille ergriff mich. Da stand ich auf dem Grund des Meeres, den Kopf geneigt, und lauschte und war glücklich. »Das ist das Nirwana!« sagte ich und nickte. »Da sind wir nun –«

Lächelnd ging ich weiter. Es ging über endlose Dünen, Sand, Sand, mein Fuß sank ein. Das Meer war schwarzgrün wie die Urwälder, in die keine Sonne dringt. Dann durchwanderte ich einen Wald hoher geisterhafter Eisblumen. Wie bleiche Flammen standen sie und rührten sich nicht. Plötzlich aber schwankten sie, teilten sich und ich sah zwei große runde Fenster vor mir glänzen. Etwas mahlte, und nun sah ich, daß die großen runden Fenster die Augen eines Ungetüms von einem Fisch waren, der mich neugierig anstarrte und die Kiefer hin- und herschob. Hehe! Ich schnippte mit den Fingern. Das Ungetüm spreizte seine Rückenflosse, manöverierte und zog sich zurück.

Der Wald der Eisblumen war zu Ende und ich stand wieder vor einer endlosen Sandebene.

Ich suchte etwas. Was, im Namen Gottes, suchte ich doch? Da stieß ich an etwas Hartes. Es war eine kleine Schiffskanone, die im Sande lag. Sie war dick mit Grünspan bedeckt, ich pickte daran, siehe da, ganze Stücke ließen sich abbrechen. Ich ging weiter. Was suchte ich doch hier? Ich schüttelte den Kopf, ich wußte es nicht. Im Sande lag ein kleiner toter Fisch. Ich sah ihn lange an. Geheimnisvoll lag er da und sein weißer Bauch schien mir zu sagen, daß er lange auf mich gewartet habe, zu lange. Ich grub ein kleines Loch, bettete den Fisch hinein, wie es sich gehört, und schüttete Sand darüber. Oben auf das kleine Grab legte ich eine Muschel. Alles mußte seine Ordnung haben.

Dann ging ich wieder. Unruhe ergriff mich. Ich blickte um mich, ich sah in die Höhe. Ringsum war das dunkle unendliche Meer. Und plötzlich packte mich eine fürchterliche Angst, weil ich hier unten im großen Meer irrte, klein wie ein Sandkorn, und nicht wußte, warum. Ich fing an zu laufen. Das Grauen jagte mich. Die Hände ausgestreckt, mit vor Entsetzen wehenden Haaren stürzte ich durchs Meer dahin und schrie.

Plötzlich aber hielt ich inne und staunte und wurde ganz ruhig im Herzen: vor mir lag ein Wrack, grünlichgrau wie das Meer selbst.

Es war ein haushohes altes Kauffahrteischiff, bauchig, mit einer Flucht viereckiger Luken, plumpen Verdeckbauten und zersplitterten Maststumpen. Von oben bis unten war es mit einer schleimigen Lehmschicht überzogen und grüne Moosbärte hingen überall herab. Neugierig ging ich um das Wrack herum. Am Bug war eine verstümmelte Holzfigur, am Heck stand der Name: Maria A. D. 1730.

Da sah ich oben eine graue Gestalt, die sich über die Reling beugte, und mich anrief: »Hallo, bist du hier, alter Leichenschänder?« Und der Mann lachte.

Am Lachen erkannte ich ihn. Es war Kerhuel, ein Fischer, der vor einigen Wochen mit zwei anderen ertrunken war.

»Ah, Kerhuel, du bist es!«

»Komm an Bord! Hast du Tabak bei dir? Hier ist die Leiter, Achtung!« Eine Strickleiter hüpfte herab.

Ich geriet in große Erregung. »Ich habe Tabak, Kerhuel!« rief ich und stieg rasch an der schleimigen Wand des Wracks empor.

»Vorwärts!« schrie Kerhuel, dessen Augen unnatürlich hell waren. »Alle sind hier, Leman, Bec, eine tolle Wirtschaft. Rosseherre wartet schon lange auf dich!«

Rosseherre! Ach, ich war ja ausgezogen um Rosseherre zu suchen! Wie dumm – nun fiel es mir ein. Du wirst Rosseherre suchen, sagte ich zu mir, als ich ins Meer stieg.

»Hallo!« heulte Kerhuel, die Hände am Mund. »Patron! Ein Neuer ist gekommen! Hallo, Rosseherre, der Hochzeiter ist da!« Von allen Seiten tauchten verwilderte Köpfe aus den Luken.

Ich sah eine Pyramide von grauen Haaren vor mir. Das war der Patron. Sein Haupthaar, seine Brauen, sein Bart hingen wie Moos bis aufs Deck herab. Sein Schnauzbart flatterte, sein Bart wehte, er hatte die Lippen schon lange wieder geschlossen, als ich verstand, was er sagte: »Willkommen auf dem Meeresgrund!«

Hundert Hände streckten sich mir zum Gruße entgegen, hundert neugierige Gesichter, leuchtend von kindlicher Freude, umdrängten mich. Sie alle hatten helle weitgeöffnete Augen und die Haare hingen ihnen wie nasser Tang über die fahlen Gesichter. »Willkommen auf dem Meeresgrund!«

Ich erkannte Leman, wie immer hatte er den kurzen Stumpen einer Gipspfeife im Mund, Bec mit der Hasenscharte – hallo! Zwei Fischer, Vater und Sohn, die ich nie gesehen hatte, schüttelten mir derb die Hand.

»Das ist Rosseherres Vater und das hier ist dein Schwager, umarme sie!« rief Kerhuel.

»Rosseherre ist hier!« sagten die zwei und küßten mich auf beide Wangen.

Hier war ich gut aufgehoben, ich fühlte mich zu Hause. Da spürte ich einen kleinen Schlag auf der Schulter und drehte mich augenblicklich um. Das war Rosseherre! Sie sah mich an und lachte wie jemand, der sich versteckt hatte und den man endlich aufstöberte.

»Hast du den Weg doch gefunden?« fragte sie. »Wo sind die Ringe?«

Ich antwortete ihr nicht. Ich war gelaufen durch Tangwälder, Wüsten und über Wurzelberge und nun war sie da. Ich stieß einen wilden Schrei aus, ergriff sie und hob sie hoch über den Kopf empor. Dann begann ich zu laufen. Ich rannte die schmale Treppe hinauf aufs Achterdeck, um die Taubündel herum, hinunter, an der Reling entlang, hinauf aufs Vorderdeck. Ich lief wie ein Teufel, und hinter mir her tobte die wilde Jagd. Rosseherre hielt sich an meinen Haaren fest und stieß einen durchdringenden jauchzenden Schrei aus. Ich sprang mit ihr in eine Luke hinein, kletterte blitzschnell die steilen Stufen hinab und eilte durch einen schmalen Gang. Ein Schwarm aufgescheuchter winziger Fische schoß vor uns her. Die wilde Jagd hinter uns heulte, daß es brauste. Ich rannte mit Rosseherre auf den Armen durch ein Labyrinth von Gängen und Gemächern und endlich fing ich mich in einem großen Raum am Heck. Es gab keinen Ausweg mehr. Die wilde Jagd brach tobend herein. Ich keuchte.

»Hochzeit, Hochzeit!« schrien sie und schwangen die Mützen, indem sie uns umringten.

»Wollt ihr nicht ein wenig Platz machen!« sagte ich lachend und wischte den Schweiß vom Gesicht.

Nein, das wollten sie nicht. »Reißt ihnen die Kleider vom Leib, ho! ho!« Sie heulten und drängten näher. Kopf an Kopf standen sie, hundert neugierige fahle Gesichter mit nassen. Haaren und hellen Glasaugen. Sie wollten alles sehen –


 << zurück weiter >>