Eduard von Keyserling
Die schwarze Flasche – 1
Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling

Die schwarze Flasche

Drama in einem Aufzug


Personen:

Max, Student, 23 Jahre alt.

Milli, Musikschülerin, 18 Jahre.

Kellner.

Stubenmädchen.


Ein Hotelzimmer. In der Mitte und rechts Türen. Links ein Sofa mit einem Tisch davor und Sessel; an der Wand eine Waschkommode und ein Vorhang, der einen Alkoven verbirgt. Über dem Tisch eine elektrische Lampe, deren Licht durch einen Schleier gedämpft werden kann. An der Mitteltüre ein Stuhl. Rechts ein kleines Sofa und ein kleiner Tisch. Bei dem Aufgehen des Vorhangs ist die Szene leer und dunkel. Durch die Mitte treten auf der Kellner, ein übernächtigtes, weißes, trauriges Gesicht, müde Bewegungen, tiefe feierliche Stimme; Max, 23 Jahre alt in Paletot und Hut. Das Gesicht sehr bleich und hübsch. Bart und Haar dunkel, angeordnet, wie wir es auf den Porträts von Theodor Körner sehen; hohe Krawatte, langer Rock, modernster Biedermeierschnitt; Milli, 18 Jahre alt, ein hübsches, keckes Gesichtchen, auch ein wenig bleich, sehr modern frisiert und gekleidet. Anfangs in Hut und Mantel.

Der Kellner dreht das elektrische Licht auf.

Kellner
mit seiner tiefen Grabesstimme

Ist dieses Zimmer den Herrschaften recht. Es ist ein gutes Zimmer.

Milli hat sich müde und teilnahmslos auf den Stuhl an der Türe gesetzt.

Max

Ja – o ja. Es ist gut. Nicht Milli?

Milli

Von mir aus!

Max

Gut also. Es wird uns genügen. Er legt Hut und Paletot ab. Ja – und dann zu speisen wünschen wir.

Kellner
zieht einen Speisezettel aus der Brusttasche und reicht ihn Max.

Hier – bitte.

Max
den Speisezettel studierend

– Was – was empfehlen Sie denn?

Kellner
ergeben und traurig

Nierenbraten ist frisch, Roastbeaf, schönes Paprikaschnitzel.

Milli

Ja... aber was hat er?

Max

Wer denn?

Milli

Der Mann. Zum Kellner Sie – was haben Sie? Ich weiß nicht – Sie sprechen – so – so – Is' Ihnen nich lieb, daß wir...

Max

Laß doch, Milli.

Milli

Wirklich,

Kellner
wendet sich ernst und verachtungsvoll ab

Filet Mignon mit Champignons ist sehr gut.

Max

Ja, das wird das richtige sein – wie Milli?

Milli

Mir ist alles egal. Ich kann doch nich essen.

Max
bestimmt

Du wirst essen. Also zweimal Filet mit Champignons – eine Flasche Sekt – Kupferberg Gold – nicht zu kalt –

Kellner

Wie –

Max

Nicht zu kalt. Man trinkt den Sekt nicht mehr kalt.

Kellner

Sehr wohl.

Milli

Du – die Schwämme lassen wir besser weg.

Max

Ja – warum – was hast Du –?

Milli

Die werden nach Zuhause schmecken – und so –

Max
nervös

Ach bitte – laß das – ja?

Kellner

Mehlspeis gefällig? Cremeschnitten sind da.

Milli

Cremeschnitten –, nee wenn die – kommen – dann – dann verantwort ich für nichts.

Max
sehr ungeduldig

Unsinn!

Kellner

Sehr wohl!

Max

Ja – und die Rechnung können Sie gleich beilegen –, das – vereinfacht die Sache.

Kellner durch die Mitte ab

Milli

Gott! – ist der Mann gruselig. Wie er sagt – Filet Mignon – als ob – als ob – schon einer gestorben wär'. S' wird einem ganz kalt dabei.

Max geht zu Milli, nimmt ihr Hut und Mantel ab

Max
zieht sie an sich.

Komm. Du bist nicht so wie ich Dich will.

Milli

Ich weiß – aber – naja – was kann ich dafür. Sie lehnt sich an ihn und weint.

Max

Weine nicht! Was wir tun –, wir tun es doch – weil wir wollen. Nicht? Weil wir nicht anders können. Nicht wahr? Und – wir tun's gerne – sag

Milli schluchzend

Ja – aber – aber – wir tun – mir so furchtbar leid.

Max

Möchtest Du denn zurück – dort? mit einer Bewegung zum Fenster

Milli

Nein – nein – ich weiß, das geht nich'. So is' ja gut. Wo ich ihnen nu durchgebrannt bin –, und nochmal solche Augen sehn, wie der Vater das erste Mal machte – und das hören – ne – ne – das ist aus!

Max

Nun siehst Du.

Milli

Und Du – ohne Dich kann ich doch nich sein, und wenn sie Dich nu kriegen wegen dieses fürchterlichen Wechsels und einstecken.

Max
würdig

Milli, – sprich nicht von solchen Sachen. Jetzt bin ich – sehr – sehr hoch über diese – Dinge – emporgeflogen.

Milli

Na ja. Natürlich müssen wir sterben. Ich will auch. Es ist auch nur, weil der Kellner so gruselig war. Ach Max! Sie umarmt ihn.

Max

Sei fröhlich Milli. Wir feiern unser Fest –, unser eigenstes Fest...

Milli

Ja – ja – Das wirst Du hernach sagen – wenn's so weit is. Ach! Ich glaub', ich werd' nich essen können! und Du bestellst noch die Schwämme und den Sekt. Wenn's einem so gut geht, dann will man doch nicht gleich – – so – – so – fort.

Max

Gerade! Das Leben soll uns – zu unserem Todesfest das Beste liefern –, was es hat – Speise und Trank und Blumen und Liebe...

Milli

Gut – gut. Aber die in der Zeitung haben's auch nich so gemacht.

Max

Doch.

Milli
eifrig

Gewiß nicht. Ich weiß doch. Sie setzt sich an den Tisch, zieht ein Zeitungsblatt aus der Tasche und liest: »Das unglückliche Paar – hatte – bevor es in den Tod ging – ein frugales Mahl eingenommen. Eine halbgeleerte Flasche Wein stand noch auf dem Tisch.« Siehst Du! Frugal und von Sekt steht auch nichts drin.

Max
setzt sich auf das Sofa und zieht Milli zu sich heran.

Das ist ja gleich – Ein jeder hat seine Art. Keine Liebe gleicht der anderen und kein Tod gleicht dem anderen.

Milli

Du, Max, wenn Du willst, daß ich was essen soll, dann mußt Du nicht jetzt schon anfangen – – so poetisch zu reden.

Max

Milli – meine süße, kleine Milli, – sei heut in unserer großen Nacht – unserer ewigen Liebesnacht – sei – auf der Höhe Deines Wesens.

Milli

Wie is das denn?

Max

Sei froh, wie ein Kind, das ein Fest feiert. Freue Dich auf das große – das Unsagbare...

Milli

Na ja – besser is' schon, als wenn sie Dich wegen'n Wechsel einstecken – und –

Max
heftig

Milli – wieder. All' meine Nerven zittern – Alles ist wund in mir –, nur weiche – kühle Unendlichkeitsluft kann ich vertragen – und Du sprichst – von von – dem niedrigsten –

Milli

Ach ja! Von diesen dummen Sachen wollen wir nicht reden.

Max

Was ist uns das Leben! Wir retten unsere Liebe hinüber dort...

Milli

Und sprechen jetzt von anderen Dingen. lacht. Ja – wovon sollen wir denn sprechen – jetzt?

Max
umfaßt sie leidenschaftlich

Nicht sprechen – nicht denken – nur fühlen –, hineinhorchen in die Unendlichkeit, nicht mehr leben – nur blühen...

Milli

Ach so – blühen...

Max

Und selig welken.

Milli

Ja – ja. Ob ich das kann – –? Na, man wird ja seh'n. Noch haben wir viel Zeit. Nicht wahr? Jetzt Max – – – sei gut mit mir – ich lieb Dich so stark. leise Du – hast Du die Flasche?

Max

Ja – natürlich. Er zieht ein dunkles Fläschchen aus der Tasche und stellt es auf den Tisch. Das ist unser ernster dunkler Freund.

Milli

Ach so! Na – das sieht nicht besonders gruselig aus. Unsere Köchin hatte so etwas als sie Zahnreißen hatte.

Der Kellner erscheint mit den Speisen, er ordnet sie auf dem Tisch, schenkt den Wein ein. Milli wendet sich ab.

Milli

Ach! Wieder der traurige Mensch – er trägt das Essen ja wie'n Toten – ich mag ihn nicht sehen.

Kellner

Wünsche wohl zu speisen.

Milli

Schon gut – gehn Sie nur. Kellner ab. Als ob das alles Gift wäre, so wünscht er das. Gott sei Dank, daß er fort ist! Sie trinkt. Du, das ist gut. Wie's einem in die Nase steigt. Hi – hi. So stark ist das!

Max
ergreift sein Glas

Komm – Schatz – stoß mit mir an.

Milli

Worauf denn?

Max

Auf – das.

Milli

Ich weiß. Sag's schon lieber nich'. Sie stoßen mit den Gläsern an. Und nu essen. Fein riecht's. Sie essen.

Max

Ja hm – gut ist's. Das Essen ist so das gemütliche Abschiedslächeln der Erde für uns, nicht Schatz?

Milli

Ja – überhaupt die Schwämme. Aber Du, – Von Gemütlichkeit brauchst Du heute nicht viel zu sprechen. Sie wirft Messer und Gabel fort und lehnt sich zurück – weinerlich. Ich sag's ja, wie soll man essen, wenn die eklige, schwarze Flasche dasteht!

Max

Die gehört doch zu uns!

Milli

Ich will aber nich', daß sie hier steht. Sie soll mir nich' in den Mund gucken. Stell' sie weg.

Max
erhebt sich und stellt die Flasche auf den Tisch rechts

Milli, Du – mußt nicht so sein.

Milli

Ich bin mal nicht anders. Das kommt davon, eben schmeckt's mir so gut – und nu – die Flasche und wieder so'ne Wehmut.

Max

Die Wehmut gehört auch zu uns, Schatz – aber eine frohe Wehmut.

Milli

Wie froh kann die denn doch sein! Sie trinkt. So – jetzt is besser. Sie macht sich wieder an das Essen. Und sprich was Gutes – so was – Neutrales.

Max

Von fernen, friedlichen Dingen wollen wir sprechen – fern – so – so – wie kleine, weiße Sommerwolken in einem leeren blauen Himmel. Sie schwimmen – schwimmen.

Milli

Sei still, sonst fang' ich zu weinen an. Nein, sprechen wir davon, wie's wäre, wenn wir viel, viel Geld hätten.

Max

Geld! Pfui!

Milli

Gerade! Ein Haus würd' ich uns kaufen und Deine Wechsel würd' ich bezahlen – und Deine Gedichte würd' ich drucken lassen –

Max stolz

O! Die werden schon gedruckt werden – sei ohne Sorge.

Milli

So? Er hat sie doch zurückgeschickt der Verleger – der schändliche Kerl. Sag, sind Verleger immer so schlechte Menschen?

Max

Sie sind eben das Seelenlose – an das wir Seelen gekettet sind. Aber – wenn wir erst fort sind... die Nachwelt.

Milli
seufzt und trinkt

Ja – die! Maxchen – Du – Du bist groß – und so süß dabei. Sie lacht. Vom Wein wird einem ganz schwindelig. Weißt Du – zuhause – an Zuhause muß ich denken –; das sind die Schwämme; – ich sagt's gleich –. Ja –, zuhause – auf'm Lande – als ich noch klein war –, am Abend weißt Du –, wenn's schon schummerig war – dann badeten wir, die Male und ich, in den Nachtviolen sie kichert Meiner Seele! Wir sprangen mit den nackten Beinen in das Nachtviolenbeet rein, un' da war alles voll Tau, Gott, wie kalt das an die Beine schlug, bis hier herauf – und süß duftete das – süß – süß –, ganz betrunken wurden wir davon. Schön war's doch.

Max

Ferne, schöne Zeiten. Aber in solch einer kühlen Dunkelheit wollen wir auch baden. Komm Herz, setzen wir uns dort hinüber.

Milli

Jetzt – jetzt schon. Ach wir Armen! Hör.

Es wird an die Mitteltüre geklopft.

Max
ungeduldig

Herein!

Das Stubenmädchen, eine derbe, frische Person tritt mit einem Wasserkruge ein.

Mädchen

Die Herrschaften – entschuldigen. Wasser hab' ich gebracht. Ich war aus und das andere Mädchen hat's vergessen.

Max

Die Person – jetzt!

Milli

So laß doch! Sie is' sehr nett. Zu dem Mädchen Wohl – weil heute Sonntag ist, haben Sie – frei gehabt?

Mädchen

Ja, heute hatte ich aus.

Milli

Das war wohl schön?

Mädchen
seufzt

Schön war's schon. Am Land sind wir gewesen.

Milli

Nicht allein? Sie allein mein' ich?

Mädchen
kichert

Ne – allein. Wo wird man alleine.

Milli

Mit dem Schatz – nich?

Mädchen
lacht

Wie das Fräulein spaßig ist. No ja, die Mannsleute sind doch da für den Sonntag.

Milli

Und im Wald waren Sie – und Sie hielten sich an den Händen?

Mädchen

Den Arm hat er mir gereicht.

Milli

Und dann – dann setzen Sie sich – nicht wahr – dort, dort, wo die Tannennadeln ganz glatt und braun auf der Erde liegen – und sie sind ganz warm von der Sonne.

Mädchen

Wie das Fräulein das alles wissen.

Milli

Ja und dann. Ach! Erzählen Sie doch!

Mädchen
läuft kichernd hinaus

Is das Fräulein aber spaßig.

Milli
lehnt sich an Max

Damit is nu auch vorbei.

Max

Komm – wir setzen uns dort auf das Sofa. Eng umschlungen erheben sie sich. Max nimmt Geld aus der Tasche und legt es auf den Tisch. Das letzte Mal, daß ich dieses verfluchte Geld berühre.

Milli

Warum denn so viel? So viel kostet's ja nicht!

Max

Laß nur. Was liegt uns daran?

Milli

Und noch für den gruseligen Kerl! Ne – . Sie nimmt einen Teil des Geldes. Das is ja schade.

Max zuckt mit den Achseln, dann zieht er den Schleier über die Lampe und führt Milli zum Sofa rechts, wo sie sich setzen.


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