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Mein lieber Christian Friedrich!
Seit dem Tode Deiner seligen Mutter, deren allzu frühen Hintritt wir noch immer beweinen, wüßte ich nicht, daß ich mich so content und wohl befunden hätte, wie in diesen Tagen. Es gibt in jedes Menschen Leben einen Zeitpunkt, wo sich sein Wesen und seine innere Natur gleichsam verändert und in seiner Beschaffenheit wechselt. Seine Interessen bleiben dieselben, der Grad des Eifers, mit dem er seine Arbeit umfaßt, braucht nicht abzunehmen, und doch erhält er, wenn dieser Zeitpunkt eintritt, gleichsam andere Augen zum Sehen und andere Gefühle zum Empfinden.
Dieser Uebergang, den ich hier nur unvollkommen zu schildern vermocht habe, ist der unausbleibliche Uebergang von der Jugend zum Alter, und ein solcher hat sich in den letzten Jahren nach dem Tode Deiner Mutter langsam und gradweise in mir vollzogen: dank einer gnädigen Vorsehung kann ich heute sagen, daß ich mich glücklich fühle, ein alter Mann geworden zu sein. Von größter Dankbarkeit aber muß mein Herz erfüllt werden, wenn ich bedenke, wie viel mir noch an körperlicher Kraft und Gesundheit, namentlich aber auch an geistiger verve übrig geblieben ist, so daß noch nichts von dem, was bisher meine geistigen Kräfte in Anspruch nahm und beschäftigte, mir fremd oder gleichgültig geworden ist. Nur ist mehr Ruhe in meinen Sinn gekommen, mein Gehirn ist befähigter geworden, seine functiones auszuführen, da es von Leidenschaften unberührt ist; der oft etwas übereilte Eifer der Jugend ist von der ruhigen Besonnenheit des vollgereiften Mannes abgelöst worden.
»Ich schreibe Dir heute ausführlicher, mein lieber Sohn, und über verschiedene Angelegenheiten, die wir gewöhnlich nicht zum Gegenstand unserer correspondance machen, teils weil ich wünsche, Dich mit Verhältnissen bekannt zu machen, denen Du selbst näher treten wirst, teils weil ich hoffe, daß dieser Brief einer der letzten sein wird, die wir auf so weiter distance wechseln. Denn es ist jetzt und fürderhin mein Wunsch und mein väterlicher Wille, daß Du in Gemäßheit früherer Abrede zwischen uns zum kommenden Frühjahr nach Hause zurückkehrst, wobei ich Dir selbst die Entscheidung überlasse, ob Du auf Deiner Rückreise von Paris den Weg über Kopenhagen einschlagen willst oder ob Du es vorziehst, nach England zu gehen und von da mit einem der ersten Hummerkutter hierher zu kommen. Es wird mir eine sehr große Freude bereiten, Dich hier in gutem Wohlsein wieder zu sehen, und ich hoffe, daß andererseits auch Du Dich in diesen Umgebungen und durch die Arbeit in unserem Geschäft zufrieden und glücklich fühlen werdest. Freilich habe ich es nicht aus meinem Gedächtnis verloren, daß mir, als ich selber in Deinem Alter nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Auslande zurückkehrte, Sandsgaard wie ein abgelegener, staubiger Winkel der großen Welt vorkam. Die Erfahrung meines Lebens hat mich aber darüber belehrt, daß der Mann, welcher eine vernünftige Lebensphilosophie und tüchtige Grundsätze besitzt, sich überall leicht zurechtfinden wird, wo auch immer das Schicksal ihn placieren möchte. Auch darf ich hoffen, daß, selbst wenn Du nun direkt von Paris zurückkommst, Sandsgaard in seiner jetzigen Gestalt Dir doch nicht als ein so ganz unwürdiger Aufenthaltsort erscheinen werde, da ich nämlich in der letzteren Zeit das ganze Hauptgebäude habe aufputzen und dekorieren lassen, so daß es mir vorkommt, als ob jetzt nur eine Schar junger und froher Menschen fehle, um wieder jene Zeiten herbeizuzaubern, bei denen ich noch immer in der Erinnerung so gern verweile – wenn sie auch von Sehnsucht und Wehmut halb verschleiert ist. Doch wozu wieder den Kummer heraufbeschwören, der für ewig einen Schatten auf mein Leben werfen wird! Wenden wir lieber den Blick der Zukunft zu.
Es wird ohne Zweifel Deine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben, daß ich in der letzteren Zeit in meiner correspondance mit einer bestimmten Intention mich bestrebt habe, Dir eine so ausgedehnte Kenntnis von unserem Geschäft beizubringen, wie sich dies ohne zu große Weitläufigkeit machen ließ. Ich betrachte Dich nämlich schon jetzt als meinen Gehilfen und associé, und nach Deinen Briefen und der Abfassung Deiner Rechnungen, sowie nach den Berichten Deiner Vorgesetzten über Dich während Deines Aufenthalts an verschiedenen Stellen im Auslande, darf ich mich der Hoffnung hingeben, daß Du dazu nicht ungeeignet oder gar unwürdig sein wirst. Es wird Dir demnach bekannt sein, daß unser Haus gute Zeiten gehabt hat; es ist dies allerdings eine Sache, von der ein Kaufmann nicht gern spricht, aber unter uns kann ich es wohl sagen: Das Haus hat ganz außerordentlich gute Zeiten gehabt. Du wirst deshalb, wie ich hoffe, mit froher Ueberraschung wahrnehmen, daß mehrere Zweige des Geschäfts, die ich eine Zeitlang aus Mangel an ressourcen nicht genügend zu cultivieren imstande war, jetzt wie Pflanzen unter einem reichlichen Regenstrom, wegen des größeren Vorrats von kontanten Geldern zu einem erfreulichen Wachstum gediehen sind. Du wirst also bei Deiner Ankunft in der Heimat ein weites Feld für Deine jüngeren Kräfte vorfinden, und Du wirst von der Beängstigung und der Unruhe befreit bleiben, wovon ich viele Jahre hindurch, ohne daß Du oder sonst jemand darum wußte, heimgesucht worden bin.
Ich komme jetzt zu einem Punkte in meinem Briefe, der wohl als der Haupt- oder Kardinalpunkt desselben bezeichnet werden muß, nämlich unser Verhältnis zu Worse. In unserer correspondance haben wir niemals sonderlich auf diese Sache Rücksicht genommen; nichtsdestoweniger habe ich zu bemerken geglaubt, daß nur Deine kindliche Ehrerbietung Dich davon abhielt, mein Verhalten bei der Aufnahme von Jakob Worse in die Firma einer strengeren critique zu unterwerfen. Ich will aus diesem Grunde Dir, mein lieber Christian Friedrich, bei dieser Gelegenheit ein für allemal gerade heraus sagen: Es war unseres Hauses Rettung, ni plus ni moins. Mag es so sein, daß für uns etwas Demütigendes darin liegt; aber ich meinesteils kann zu keiner anderen Ueberzeugung kommen, als daß es für uns weit demütigender und für unseren Kredit weit schädlicher gewesen wäre, wenn wir unter der Hand und halb insgeheim eine subvention von einem unserer eigenen Schiffer angenommen hätten. Deshalb verlangte ich aus freien Stücken die Veränderung der Firma, indem ich der Ansicht war, daß ein solches Verfahren nicht nur mit unserer eigenen Würde, sondern auch mit den in der soliden Handelswelt geltenden Grundsätzen am besten harmoniere, obwohl ich keineswegs leugnen will, daß es mir selbst schwer ankam, den alten Familiennamen meines Vaters zu verändern und ich mich durchaus nicht dagegen verschließe, daß Verwickelungen aus dieser Verbindung resultieren können. Diese Dinge habe ich in der letzteren Zeit reiflich überlegt und es ist meine Absicht, Dich durch diesen Brief mit dem Stand der Sache im gegenwärtigen Augenblick bekannt zu machen, sowie Dir in kurzen Umrissen einen Ueberblick über den Plan mitzuteilen, den ich für die Zukunft zu verfolgen gedenke und hoffentlich realisieren werde,
Unser alter Jakob Worse ist zur Zeit sehr krank, und nach dem Besuch, den ich vor einigen Tagen an seinem Krankenbette abstattete, kann ich leider nicht im Zweifel darüber sein, daß seine Tage gezählt sind; seine Ehe gereichte ihm, wie ich es mir denken konnte und auch vorhersagte, nur zu geringem Glücke. Denn wie Du wohl weißt, gehört seine Gattin zu den religiösen Schwärmern und es ist ihr, im Verein mit ihrer Mutter und der übrigen heiligen Schar in diesen wenigen Jahren gelungen, unseren alten Worse in einem solchen Grade zu verderben und zu ruinieren, daß ich dies Papier nicht damit verunstalten will, seine traurige decadence auszumalen; ich ziehe es vielmehr vor, meinen Gram und meine Entrüstung zurückzuhalten und mich nur mit dem Geschäftlichen zu befassen.
Wenn Jakob Worse jetzt mit Tode abgeht – und bei seinem gegenwärtigen Zustande können wir ihm nur einen raschen und sanften Hintritt wünschen – wird also eine Erbteilung zwischen seiner Witwe und seinem Sohne erster Ehe stattfinden müssen und daraus können leicht Verwickelungen für unsere Firma entstehen. Um solche wo möglich zu vermeiden, habe ich den Entschluß gefaßt, wenn der Zeitpunkt kommt, dem jungen Herrn Romarino Worse den Austritt aus der Firma gegen eine kontante Abfindung vorzuschlagen und ich habe Ursache zu glauben, daß er dies Anerbieten annehmen wird, einmal, weil ich ihm eine bedeutende Summe zu offerieren gedenke, und dann, weil er – nach der freilich nur oberflächlichen Bekanntschaft, die ich mit ihm gemacht habe – Wert darauf legen wird, eine große Summe in kontantem Gelde oder leicht umzusetzenden Papieren zu erhalten. Ich kenne, wie gesagt, den jungen Mann nicht genau; aber ich habe doch den Eindruck erhalten, daß Herr Romarino Worse nicht eine Person ist, mit der ich zusammen arbeiten möchte. Denn obgleich ich wohl glaube, daß ich, solange die Vorsehung mir die Kraft verleiht an der Spitze dieses Geschäftes zu stehen, ihm die Stange halten könnte, so will ich Dir doch nicht einen compagnon aufbürden, zu dem wir kein volles Vertrauen haben könnten.
Diese Veränderung hoffe ich bis zu Deiner Zurückkunft bewerkstelligt zu haben, wie ich denn auch hoffe, daß sie Deinen Beifall findet. Ich räume ein, daß diese kurze Verbindung mit Worses ihre unangenehmen Seiten hatte; aber wir dürfen nie vergessen, daß wir durch Jakob Worses Geld gerettet wurden. Ich mache es Dir daher zur Pflicht, diese Familie im Auge zu behalten; wir sind es ihr schuldig, ihr stets mit Rat und That beizustehen. Ist diese affaire einmal geordnet, so wird mein Sinn vollkommen ruhig werden, und ich hoffe, daß wir dann noch eine hübsche Reihe von Jahren vor uns haben, um gemeinschaftlich in der Firma »Garman und Worse« zu arbeiten.
Wenn Du schon, wie ich es nach Deinem letzten Briefe vermuten muß, in Paris angekommen bist, wirst Du ohne allen Zweifel die Freude gehabt haben, mit Deinem Bruder Richard bei unserer Gesandtschaft, wohin ich auch diesen Brief adressiere, zusammenzutreffen. Ich bin davon überzeugt, daß Ihr gegenseitig viel Nutzen und Vergnügen von Eurem Zusammensein in der großen Stadt haben werdet. Dein Bruder Richard wird vermöge seiner Verbindungen imstande sein, Dir Zutritt in Kreise zu verschaffen, in die Du sonst als Fremder schwerlich würdest kommen können, während ich andererseits durchaus nicht bezweifle, daß Deine Gegenwart auf mancherlei Weise für Deinen jüngeren Bruder ersprießlich sein kann.
»Die carrière, welche Richard gewählt hat, führt ganz gewiß größere expensen und eine luxurieusere Lebensweise mit sich, als sie für einen Kaufmann erforderlich oder auch nur schicklich wäre, nichtsdestoweniger will ich Dir ans Herz legen, ob Du nicht durch brüderliche Ermahnung Richard zu einer größeren Mäßigung im Gebrauch von Geld bewegen könntest. Ich bitte Dich, mich nicht mißzuverstehen, als ob es meine Meinung wäre, daß Du Euer kurzes Zusammensein damit verderben solltest, ihm strenge lectiones zu geben, gleichwie ich auch nicht wünsche, daß Du ihm irgend eine Mitteilung zukommen ließest, woraus er irgend welches Mißfallen meinerseits abnehmen könnte. Ich wünsche vielmehr, daß Ihr beide Euren Aufenthalt in Paris benutzet, um frohe und schöne Eindrücke zu sammeln, wozu diese Stadt treffliche Gelegenheit bietet – in einem Umfang und mit solchem Aufwand, wie es sich für gentlemen unseres Standes geziemt, wobei Ihr Euch von aller unnötigen Verschwendung, die nur ein Zeugnis ist von der eitlen Lust minder gut cultivierter Personen zu prahlerischer ostentation, fern haltet.
»Da Deines Bruders Aufenthalt in Paris wahrscheinlich von längerer Dauer sein wird, als der Deinige, will ich die accreditive, welche das Haus Euch von hier mit ebenderselben Post sendet, auf Richards Ordre ausstellen lassen. Während ich von Deinem Bruder spreche, will ich nicht unterlassen, Dir in aller Vertraulichkeit eine Mitteilung zu machen. Du wirst nach meinem Tode kein conto für Richard finden. Seine Erziehung ist aus vielen Gründen kostbarer gewesen, als die Deinige; nichtsdestoweniger ist es mein Wille, daß Ihr als gute Brüder gleichmäßig teilet; dabei will ich Dir jedoch raten, daß Du Deinem Bruder nur portionsweise das überreichst, was ihm zukommt, und Dich bitten, daß Du ihm nie die letzte Portion überreichst.
Denn Dein Bruder Richard hat bei allen seinen Gaben und herrlichen Eigenschaften, wie ich befürchte, nur ein geringes Talent zur Ansammlung und Bewahrung irdischer Güter. Deshalb sollst Du, mein lieber Christian Friedrich, der Du von einer günstigen Natur diese Gabe erhalten hast, Deinem Bruder ein brüderlicher Vormund sein. Grüße den lieben Jungen sehr herzlich von mir; und dann bitte ihn, unter Beihilfe eines musikkundigen Individuums aus seinem Bekanntschaftskreise, im Verein mit Dir einen guten Flügel bei Erard auszusuchen, Du übernimmst dann die Sorge für gute Einpackung und Versendung oder nimmst das Instrument selbst mit, wenn Du zum Frühling hierher kommst. Das alte Klavier erfüllt nicht mehr die Forderungen der Jetztzeit wegen eines starken Tones, und nach dem Tode Deiner Mutter ist es mir auch peinlich, die alten Töne zu hören, die mich nur zu bitter an meinen großen unersetzlichen Verlust erinnern.
Hier hat es in der letzten Woche stark und anhaltend gestürmt und wir haben mehrfach Nachrichten von Schiffbrüchen und Seeschäden, die an der Küste stattgefunden haben, erhalten. Glücklicherweise befindet sich gegenwärtig keines unserer Fahrzeuge in diesen Gewässern; aber für mehrere der Stadt angehörige Schiffe, die von der Ostsee nach Hause erwartet werden, ist man, wie es heißt, in großer Besorgnis. Du wirst übrigens erstaunen, wenn Du sehen wirst, welch großen Aufschwung der Handel und die Schiffahrt unserer guten Stadt in den letzten Jahren genommen haben, und ich vermute auch, daß Du vieles von dem, was hier vorgeht und vorgenommen wird, nicht minder seltsam finden werdest, als ich es thue. Was ganz hauptsächlich sowohl meine Verwunderung als meine Besorgnis hervorruft, ist der Umstand, daß die religiöse Schwärmerei, die in meiner Jugend nur bei Bauern und ganz ungebildeten Personen Eingang fand, heutzutage, weit entfernt sich zu verlieren und aufzuhören, was man hätte vermuten und hoffen sollen, sich vielmehr auszubreiten und auch in den Klassen der Bevölkerung, von denen man doch hätte erwarten können, daß sie durch vernünftige Aufklärung vor solcher Thorheit beschützt seien, Anhänger findet. Es ist mir sogar zu Ohren gekommen, daß junge Prediger sich dazu herbeigelassen haben sollen, diese durchaus unverständige und höchst schädliche sogenannte »Erweckung« nicht nur zu billigen, sondern sich ihr anzuschließen. Dies muß jeder gute und aufrichtige Vaterlandsfreund in hohem Grade bedauern. Denn wie nützlich eine vernünftige religiöse Aufklärung für den gemeinen Mann ist, so schädlich, ja verderblich ist es, wenn Heuchler und durchaus ungebildete Subjekte sich über die heilige Schrift hermachen, die sie weder zu deuten noch richtig anzuwenden vermögen. Und sollte es sich nun wirklich so verhalten – was ich doch kaum zu glauben vermag –, daß selbst die Geistlichkeit sich zu pietistischer Urkunde und unvernünftigem Grübeln und Schwärmen will zurückführen lassen, so befürchte ich sehr, daß dies unserem geliebten Vaterlande zu großem Schaden gereichen werde. Du weißt aber, daß in gewissen Stücken eine weite Strecke Weges zwischen der Stadt und Sandsgaard liegt, und daher will ich hoffen, daß Du die Luft hier draußen ebenso frei und rein finden wirst wie früher.
Und nun, mein lieber Sohn, will ich schließen mit einem herzlichen Gruß an Dich und Richard von mir selber und Deinen beiden Tanten. Die guten Damen haben gerade Hoftrauer – wie Jakob Worse in früherer Zeit sagte; nichtsdestoweniger freuen sie sich innig darauf, Dich wiederzusehen, und ich habe sie im Verdacht, daß sie Dich sofort verheiraten wollen, denn sie haben ein großes Verlangen nach kleinen Kindern. Und auch ich sehne mich, aufrichtig gesagt, stark nach neuem Leben mit Lachen und kleinen trippelnden Schritten in dem alten Hause.
Dein Dich liebender Vater
Morten W. Garman.