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Erstens ist erforderlich, daß Du nicht den Spiegel ansiehst, den Spiegel betrachtest, sondern Dich selbst im Spiegel siehst.
Dieses scheint so einleuchtend, daß man glauben sollte, es brauchte kaum gesagt zu werden. Doch thut es gewiß not; und was mich in dieser Meinung bestärkt, ist dies, daß diese Bemerkung nicht von mir selber ist, auch nicht von einem, den wir heutzutage einen frommen Mann nennen würden, einem Manne, der etwa einige fromme Stimmungen hat, sondern von einem Wahrheitszeugen, einem Blutzeugen, und solche Herrliche sind wohl unterrichtet.
Er warnt gegen das Versehen, daß man den Spiegel betrachte, statt sich selbst im Spiegel zu sehen. Ich benutze nur die Bemerkung und frage Dich dann, m. Z., ist sie nicht wie auf unsere Zeiten und unsere Verhältnisse, und überhaupt auf die späteren Zeiten der Christenheit gemünzt?
Denn »das Wort Gottes« ist ja der Spiegel: aber, aber – – o, unübersehbare Weitläufigkeit! wie viel gehört im strengeren Sinne zum »Worte Gottes«, welche Bücher sind echt, sind sie auch von den Aposteln, und sind diese auch glaubwürdig, haben sie alles selbst gesehen, oder vielleicht Verschiedenes doch nur von anderen gehört? und nun die Lesarten, 30,000 verschiedene Lesarten! und dann dieser Zusammenlauf und dies Gedränge von Gelehrten und von Meinungen, von gelehrten und ungelehrten Meinungen darüber, wie die einzelne Stelle zu verstehen sei ... nicht wahr, das sieht etwas weitläufig aus! Das Wort Gottes ist der Spiegel – ich soll, indem ich lese oder höre, mich im Spiegel sehen: aber sieh, die Geschichte mit dem Spiegel verwirrt sich so, daß ich wohl nie dazu komme, mich zu spiegeln – wenigstens nicht, wenn ich den Weg einschlage. Fast könnte man versucht werden, anzunehmen, daß hier ein Teil menschlicher Arglist mit im Spiele sei, ach, und wahr ist es, wir Menschen sind im Verhältnis zu Gott und dem Göttlichen und der gottesfürchtigen Wahrheit so arglistig; es verhält sich gar nicht so, wie wir wohl zu einander sprechen: daß wir so gern den Willen Gottes thun wollten, wenn wir ihn nur erfahren könnten; fast also könnte man versucht werden, anzunehmen, daß dies Arglist sei, daß wir Menschen nicht gern daran wollen, uns in jenem Spiegel zu sehen, und daß wir darum alles dies erfunden haben, was den Spiegel unbrauchbar zu machen droht, alles dies, was wir dann mit dem lobpreisenden Namen gelehrten und gründlichen und ernstlichen Forschens und Sinnens ehren.
M. Z., wie hoch hältst Du das Wort Gottes? Sage nun nicht, Du haltest es so hoch, daß kein Ausdruck es bezeichnen könne; denn man kann auch in so hohen Ausdrücken reden, daß man gar nichts sagt. Laß uns daher, damit wir zu etwas kommen, ein einfaches menschliches Verhältnis nehmen; hältst Du Gottes Wort höher, um so viel besser.
Denke Dir einen Liebenden, der von der Geliebten einen Brief empfangen hat – so teuer wie dieser Brief dem Geliebten ist, nehme ich an, daß Dir das Wort Gottes sei; wie der Liebende diesen Brief liest, so nehme ich an, daß Du lesest, und daß Du meinest, das Wort Gottes lesen zu müssen.
Doch vielleicht sagst Du: »ja, aber die Heilige Schrift ist in einer fremden Sprache geschrieben«. Es sind doch wohl eigentlich zunächst die Gelehrten, welche die Heilige Schrift in der Grundsprache zu lesen brauchen; aber willst Du's nicht anders, willst Du daran festhalten, daß Du die Schrift in der Grundsprache lesen mußt: nun wohl, wir können gut bei dem Bilde von dem Briefe der Geliebten bleiben, nur fügen wir eine kleine Bestimmung hinzu.
Ich nehme denn an, daß dieser Brief von der Geliebten in einer Sprache geschrieben sei, die der Liebende nicht versteht; und es ist keiner an dem Orte, der ihm denselben übersetzen könnte, und vielleicht würde er nicht einmal solche Hilfe wünschen, um nicht einen Fremden in seine Geheimnisse einzuweihen. Was thut er? Er nimmt ein Wörterbuch, begibt sich daran, den Brief durchzubuchstabieren, schlägt jedes Wort auf, um darauf eine Übersetzung zuwege zu bringen. Laß uns annehmen, daß wie er mit dieser Arbeit beschäftigt ist, ein Bekannter zu ihm hereinkommt. Er weiß, daß dieser Brief gekommen ist; indem er auf den Tisch hinsieht, sieht er ihn da liegen und sagt: »nun, Du sitzest und liesest den Brief, den Du von Deiner Geliebten bekommen hast« – was meinst Du, daß der andere sagen werde? Er antwortet: »bist Du von Sinnen? glaubst Du, das heiße einen Brief von der Geliebten lesen! Nein, mein Freund, ich sitze hier in Mühe und saurem Schweiß, um mit Hilfe eines Wörterbuches ihn zu übersetzen; mitunter bin ich nahe daran vor Ungeduld zu vergehen, das Blut steigt mir zu Kopf, daß ich das Wörterbuch auf die Diele werfen möchte – und das nennst Du lesen, willst Du meiner spotten! Nein, bald bin ich, Gott sei Dank, mit der Übersetzung fertig, und dann, ja dann, dann will ich daran, den Brief der Geliebten zu lesen, das ist etwas ganz anderes – doch, mit wem rede ich ... dummer Mensch, geh mir aus den Augen, ich mag Dich nicht sehen, daß Du darauf verfallen konntest, in dem Grade die Geliebte und mich zu beleidigen, daß Du das einen Brief von ihr lesen nanntest! Und doch, bleibe, bleibe, Du weißt wohl, es ist nur mein Scherz, ja ich sähe sogar sehr gerne, daß Du bliebest, aber, aufrichtig gesprochen, ich habe keine Zeit, es ist noch etwas übrig zu übersetzen, und mich verlangt mit solcher Ungeduld danach, zum Lesen zu kommen – darum, werde nicht böse, aber geh, daß ich fertig werde«.
Also, der Liebende macht in Beziehung auf den Brief der Geliebten einen Unterschied zwischen Lesen und Lesen, zwischen dem Lesen mit Wörterbuch und dem Lesen des Briefes der Geliebten. Das Blut steigt ihm zu Kopf vor Ungeduld, wenn er sitzt und sich abmüht bei dem Lesen mit dem Wörterbuch, er wird wie rasend, da sein Freund wagt, dies gelehrte Lesen ein Lesen des Briefes der Geliebten zu nennen. Nun ist er fertig mit der Übersetzung – nun liest er den Brief der Geliebten. Er betrachtete diese ganze, wenn Du so willst, gelehrte Vorarbeit als ein notwendiges Übel, um dazu kommen zu können – den Brief der Geliebten zu lesen.
Laß uns nicht zu früh dies Bild aufgeben. Laß uns annehmen, dieser Brief der Geliebten enthielte nicht bloß, wie solche Briefe gewöhnlich thun, den Ausdruck eines Gefühles, sondern es wäre ein Wunsch darin ausgesprochen, etwas, wovon die Geliebte wünschte, daß der Liebende es thun solle. Es wäre, laß uns das annehmen, viel, was von ihm gefordert würde, sehr viel, es wäre, würde jeder Dritte sagen, guter Grund vorhanden, sich zu bedenken: aber der Liebende – in derselben Sekunde eilt er davon, um den Wunsch der Geliebten zu erfüllen! Laß uns annehmen, daß nach Verlauf einiger Zeit die Liebenden zusammenträfen, und die Geliebte sagte: »aber, Lieber, das hatte ich ja gar nicht von Dir verlangt, Du mußt das Wort verkehrt verstanden oder verkehrt übersetzt haben« – glaubst Du, es würde den Liebenden nun verdrießen, daß er, anstatt gleich in derselben Sekunde zu eilen, dem Wunsche nachzukommen, nicht zuerst sich einige Bedenken gemacht hatte, und dann vielleicht noch ein paar Wörterbücher zu Rat gezogen, dann mehr Bedenken bekommen, und dann vielleicht das Wort richtig übersetzt hatte, und also frei gewesen wäre – glaubst Du, dieses sein Versehen würde ihn verdrießen, glaubst Du, er würde der Geliebten weniger gefallen? Denke Dir ein Kind, recht ein solches, welches man einen wackeren und tüchtigen Schüler nennt; nachdem der Lehrer den Kindern eines Tages die Lektion für den nächsten Tag aufgegeben hat, sagt er: laßt mich nun sehen, daß ihr morgen Eure Sachen gut könnt. Auf unsern wackeren Schüler macht das einen tiefen Eindruck. Er kommt von der Schule nach Hause, – flugs an die Arbeit! Aber er hat nicht ganz genau nachgehört, wie viel ihnen aufgegeben ist; was thut er? Diese Ermahnung des Lehrers ist es, die auf ihn Eindruck gemacht hat, er lernt wohl doppelt so weit, als ihm, wie es sich zeigt, wirklich aufgegeben ist: glaubst Du, der Lehrer wird ihn weniger gern haben, weil er eine doppelt so große Lektion ganz ausgezeichnet weiß? Denke Dir einen anderen Schüler: er hörte auch des Lehrers Ermahnung, er hatte auch nicht genau zugehört, wieviel ihnen aufgegeben sei. Als er nach Hause kam, sagte er: ich muß erst erfahren, wie viel uns aufgegeben ist. So ging er denn zu einem seiner Kameraden, der war nicht zu Hause; dann zu einem anderen, der war auch nicht zu Hause, dagegen kam er ins Gespräch mit einem älteren Bruder desselben – und so kam er nach geraumer Zeit nach Hause, und da war die Zeit vergangen, und aus dem Arbeiten wurde gar nichts!
Also, der Liebende machte in Beziehung auf den Brief der Geliebten einen Unterschied zwischen Lesen und Lesen, ferner verstand er es mit dem Lesen so, daß, wenn ein Wunsch im Briefe ausgesprochen war, er sogleich anfangen müßte, ihn zu erfüllen, und daß nicht eine Sekunde zu verlieren wäre.
Nun denke an das Wort Gottes. Wenn Du das Wort Gottes gelehrt liesest – wir setzen nicht die Gelehrsamkeit herab, nein ganz und gar nicht – aber erinnere dich wohl: wenn Du das Wort Gottes gelehrt liesest, mit Wörterbuch u. s. w., so liesest Du nicht das Wort Gottes – erinnere Dich an den Liebenden, der da sagte: »das heißt nicht den Brief der Geliebten lesen«. Bist Du denn nun ein Gelehrter, so hüte Dich doch ja, daß Du nicht über all dies gelehrte Lesen, was nicht Gottes Wort lesen heißt, vergissest, das Wort Gottes zu lesen. Bist Du nicht gelehrt, o, beneide jenen nicht, freue Dich, daß Du gleich daran kommen kannst, das Wort Gottes zu lesen! Und ist da nun ein Wunsch, ein Gebot, ein Befehl, so – erinnere Dich an den Liebenden! – flugs von dannen, um danach zu thun! »Aber, sagst Du vielleicht, es sind so viele dunkle Stellen in der Heiligen Schrift, ganze Bücher, die fast wie Rätsel sind«. Hierauf würde ich antworten: wenn ich mich auf diese Einwendung einlassen sollte, müßte sie von einem gemacht werden, dessen Leben ausdrückt, daß er genau allen den Stellen nachgekommen wäre, die leicht zu verstehen sind; ist dies der Fall mit Dir? Doch so würde der Liebende es mit dem Briefe machen, wenn dunkle Stellen, aber auch deutlich ausgesprochene Wünsche in ihm wären; er würde sagen: »ich muß flugs dem Wunsche nachkommen, dann will ich sehen, wie es mit den dunkeln Stellen wird; aber wie könnte ich mich wohl hinsetzen und über die dunkeln Stellen grübeln und den Wunsch unerfüllt lassen, den Wunsch, den ich deutlich verstand!« Das heißt, wenn Du das Wort Gottes liest: was Dich verpflichtet, sind nicht die dunkeln Stellen, sondern das, was Du verstehst, und dem hast Du augenblicklich nachzukommen. Wäre es nur eine einzige Stelle, die Du in der ganzen Heiligen Schrift verstündest, wohl, so hast Du zuerst das zu thun; aber nicht hast Du zuerst Dich hinzusetzen und über die dunkeln Stellen zu grübeln. Gottes Wort ist Dir gegeben, daß Du danach handeln sollst, nicht, daß Du Dich üben sollst, dunkle Stellen zu erklären. Liesest Du das Wort Gottes nicht so, daß Du bedenkst, daß das geringste, was Du verstehst, Dich augenblicklich verpflichtet, danach zu thun: so liesest Du nicht das Wort Gottes. So meinte der Liebende: »wenn ich, statt augenblicklich zu der Erfüllung des Wunsches zu eilen, den ich verstehe, mich hinsetzen will und über das grübeln, was ich nicht verstehe, so lese ich nicht den Brief der Geliebten. Ich kann mit gutem Gewissen vor die Geliebte hintreten und sagen: es waren einige dunkle Stellen in Deinem Briefe; in Hinsicht dieser habe ich gesagt: kommt Zeit, kommt Rat; aber es war ein Wunsch da, den ich verstand, den habe ich augenblicklich erfüllt. Dagegen kann ich nicht mit gutem Gewissen vor sie hintreten und sagen: es waren einige dunkle Stellen in Deinem Briefe, die ich nicht verstand, über die setzte ich mich hin zu grübeln, und in Hinsicht Deines Wunsches, den ich wohl verstand, sagte ich: kommt Zeit, kommt Rat«. – Aber vielleicht fürchtest Du, daß es Dir mit dem Worte Gottes gehen möchte, wie es dem Liebenden mit dem Briefe ging, daß Du, doch diese Furcht ist gewiß ungegründet gegenüber der Forderung Gottes, daß Du dazu kommen möchtest, zu viel zu thun, daß Du durch Aufschlagen in noch einem anderen Wörterbuch sehen würdest, daß doch nicht so viel gefordert sei: o, mein Freund, mißfiel dieses denn der Geliebten, daß der Liebende dazu gekommen war, zu viel zu thun? Und was, meinst Du, würde der Liebende davon sagen, eine solche Furcht zu hegen? Er würde sagen: »Wer eine solche Furcht empfindet, daß er etwa zu viel thue, der liest nicht den Brief der Geliebten«; und ich würde sagen: der liest auch nicht das Wort Gottes.
Lassen wir dies Bild von dem Brief der Geliebten noch nicht fahren. Als er saß und damit beschäftigt war, denselben mit Hilfe eines Wörterbuchs zu übersetzen, wurde er gestört, indem ein Bekannter zu ihm eintrat. Er wurde ungeduldig, »aber«, würde er gewiß sagen, »bloß weil ich aufgehalten wurde, denn sonst war es einerlei, ich las ja damals den Brief nicht. Ja, wäre jemand zu mir gekommen, während ich saß und den Brief las, das wäre etwas ganz anderes, das wäre eine Störung gewesen. Doch dagegen will ich mich schon sichern; ehe ich hiermit anfange, schließe ich meine Thür ab und bin nicht zu Hause. Denn ich will allein sein, ungestört mit dem Brief allein; bin ich das nicht, so lese ich auch den Brief der Geliebten nicht«.
Er will allein sein, ungestört mit dem Brief allein; – »sonst«, sagte er, »lese ich nicht den Brief der Geliebten«.
Und so mit dem Worte Gottes; wer nicht mit dem Worte Gottes allein ist, liest nicht Gottes Wort.
Mit dem Worte Gottes allein! M. Z., laß mich hier ein Bekenntnis über mich selbst ablegen: ich wage noch nicht recht, ganz mit dem Worte Gottes allein zu sein, so daß kein Sinnenbetrug sich unterschiebt. Und erlaube mir dann, eins zu sagen: ich hab nie jemand gesehen, von dem ich glauben durfte, daß er Aufrichtigkeit und Mut genug hatte, um mit dem Worte Gottes allein zu sein, so daß kein, gar kein Sinnenbetrug sich unterschob.
Wunderbar! Wenn in der Gegenwart ein stark bewegter Mann hervortritt, der den Preis des Christseins nur ein Fünftel so hoch bestimmt, wie das Evangelium: so ruft man »hütet Euch vor dem Menschen, leset nicht, was er schreibt, am allerwenigsten in der Einsamkeit, redet nicht mit ihm, am allerwenigsten einsam, er ist ein gefährlicher Mensch«. Aber die heilige Schrift! Ja, fast jeder Mensch besitzt sie, man trägt kein Bedenken, jedem Konfirmanden, also im gefährlichsten Alter, dies Buch zu schenken. In Wahrheit, es muß viel Sinnenbetrug dabei sein, man muß dadurch verwöhnt sein, daß dies Buch nun einmal existiert, man muß es auf eine ganz eigene Weise lesen – am wenigsten so, daß man mit demselben allein ist.
Mit der Heiligen Schrift allein sein! Ich wage es nicht! Wenn ich nun in derselben aufschlüge: die erste beste Stelle – sie fängt mich augenblicklich; sie fragt mich, ja, es ist, als wäre es Gott selber, der mich fragt: hast Du gethan, was Du da liest? Und dann, dann ... ja dann bin ich gefangen. Dann entweder gleich zum Handeln, oder augenblicklich ein demütigendes Geständnis.
O, mit der heiligen Schrift allein sein – und wenn nicht, so liesest Du nicht die heilige Schrift.
Daß aber dies Alleinsein mit dem Worte Gottes eine gefährliche Sache sei, das ist auch gerade von tüchtigeren Menschen stillschweigend zugestanden. Es war vielleicht einer da, ein tüchtigerer, ein ernsterer Mensch, ob wir auch nicht seinen Entschluß loben können, der zu sich selber sagte: »ich tauge nicht dazu, etwas halb zu thun – und dieses Buch, das Wort Gottes, ist ein äußerst gefährliches Buch für mich, und es ist ein herrschsüchtiges Buch, gibt man ihm nur einen Finger, so nimmt es die ganze Hand, gibt man ihm die ganze Hand, so nimmt es den ganzen Mann und wandelt vielleicht plötzlich mein ganzes Leben in ungeheurem Maße. Nein, ohne mir, was ich verabscheue, ohne mir ein einziges spottendes oder herabsetzendes Wort über dieses Buch zu erlauben: ich lege es beiseite, ich will nicht mit demselben allein sein.« Wir billigen das nicht; aber es ist doch immerhin etwas darin, was wir billigen, eine gewisse Redlichkeit.
Aber man kann sich auch auf eine ganz andere Weise gegen das Wort Gottes wehren, darauf trotzend, daß man sehr wohl wagt, mit demselben allein zu sein, was doch nicht wahr ist. Denn nimm die Heilige Schrift – schließe Deine Thür, aber dann nimm zehn Wörterbücher, fünf und zwanzig Auslegungen: dann kannst Du es ebenso ruhig und ungeniert lesen, wie Du die Zeitung liesest. Fällt es Dir dann, wunderlich genug, ein, gerade wenn Du am allerbesten sitzest und eine Stelle liesest, zu fragen: habe ich dies gethan, handle ich danach? es ist natürlich in einem zerstreuten Augenblicke, wo Du nicht im gewöhnlichen Ernste gesammelt bist, daß Du auf so etwas verfällst, so ist die Gefahr doch nicht so groß. Denn sieh, vielleicht sind da verschiedene Lesarten, und vielleicht wird jetzt gerade eine neue Handschrift gefunden und dann ist Aussicht zu neuen Lesarten, und vielleicht sind fünf Ausleger der einen Meinung, und sieben der andern, und zwei haben eine merkwürdige Meinung, und drei schwanken oder haben gar keine Meinung, und »ich selbst bin nicht ganz mit mir einig über den Sinn dieser Stelle, oder, um meine Meinung zu sagen, ich bin derselben Meinung wie die drei Schwankenden, die keine Meinung haben« u. s. w. Ein solcher kommt dann nicht in die Verlegenheit, wie ich: entweder gleich nach dem Worte thun, oder doch ein demütigendes Geständnis ablegen zu müssen. Nein, er ist ruhig, er sagt: »es ist von meiner Seite nichts im Wege, ich will schon danach thun, wenn es nur erst mit der Lesart in Ordnung gebracht wird, und die Ausleger einigermaßen einig werden«. Aha! Damit hat es nämlich gewiß gute Wege. Dagegen erreichte der Mann, daß es ungewiß bleibt, ob der Fehler nicht in ihm steckt, daß er es ist, der nicht Lust hat, Fleisch und Blut zu verleugnen und nach dem Worte Gottes zu thun. O trauriger Mißbrauch der Gelehrsamkeit, o daß es den Menschen so leicht gemacht wird, so sich selbst zu betrügen!
Denn wäre nicht so viel Sinnenbetrug und Selbstbetrug da, so würde gewiß jeder bekennen, wie ich es thue: ich wage kaum, mit dem Worte Gottes allein zu sein!
Mit dem Worte Gottes allein muß man sein, wie der Liebende mit dem Briefe sein wollte, denn sonst hieße es nicht den Brief der Geliebten lesen – und sonst heißt es nicht Gottes Wort lesen, oder sich im Spiegel sehen. Und das war es ja, was wir sollten und was wir zuerst sollten, wenn wir zum Segen uns in dem Spiegel des Worts betrachten wollten, wir sollten nicht den Spiegel ansehen, sondern uns im Spiegel sehen. Bist Du gelehrt, denke daran, daß, wenn Du Gottes Wort nicht anders liesest, es Dir geschehen wird, daß Du, nachdem Du Dein ganzes Leben hindurch viele Stunden alle Tage im Worte Gottes gelesen hast, Du doch niemals – Gottes Wort gelesen hast. Mache dann den Unterschied, so daß Du dazu kommst, außer dem gelehrten Lesen doch auch Gottes Wort zu lesen, oder gestehe Dir wenigstens selbst, daß Du, ungeachtet des täglichen gelehrten Lesens darin, nicht Gottes Wort liesest, daß Du überhaupt damit nichts zu thun haben willst. Bist Du ungelehrt: desto weniger bist Du wohl veranlaßt, fehl zu sehen; also flugs zur Sache, keine Verzögerung mit dem Betrachten des Spiegels, sondern flugs daran, Dich im Spiegel zu betrachten!
Doch wie wird das Wort Gottes wohl in der Christenheit gelesen? Sollten wir in zwei Klassen geteilt werden – denn auf einzelne Ausnahmen kann hier nicht Rücksicht genommen werden – so müßte man wohl sagen: ein größerer Teil liest nie das Wort Gottes, ein kleinerer Teil liest es auf die eine oder andere Weise gelehrt, d. h., liest doch nicht Gottes Wort, sondern betrachtet den Spiegel. Oder, um dasselbe auf andere Weise zu sagen: ein größerer Teil betrachtet das Wort Gottes als eine veraltete Schrift aus dem Altertume, die man beiseite legt; ein kleinerer Teil betrachtet es als eine äußerst merkwürdige Schrift aus dem Altertume, worauf man einen erstaunlichen Fleiß und Scharfsinn u. s. w. verwendet – den Spiegel betrachtend.
Denke Dir ein Land. Es ergeht ein Königsgebot an alle Beamte, Unterthanen, kurz an die ganze Bevölkerung. Was geschieht? Es geht mit allen eine bemerkenswerte Veränderung vor: alles verwandelt sich in Ausleger, die Beamten werden Schriftsteller, alle Tage kommt eine Auslegung nach der anderen heraus, die eine gelehrter, scharfsinniger, geschmackvoller, tiefsinniger, geistreicher, wunderbarer, schöner und wunderbar schöner als die andere; die Kritik, welche die Übersicht bewahren soll, kann kaum diese ungeheure Litteratur im Auge behalten, ja die Kritik selbst wird eine so weitläufige Litteratur, daß es nicht möglich ist, den Überblick über die Kritik zu bewahren: alles ist Auslegung – aber keiner las das Königsgebot so, daß er danach that. Und nicht bloß dies, daß alles Auslegung geworden ist, nein, man verrückte zugleich den Gesichtspunkt für das, was Ernst ist, und machte die Beschäftigung mit der Auslegung zum eigentlichen Ernste. Denke Dir, dieser König sei nicht ein menschlicher König – denn ein solcher würde zwar auch wohl verstehen, daß man ihn eigentlich zum besten hält, indem man die Sache auf die Weise wendet; aber da ein menschlicher König abhängig ist, besonders von sämtlichen Beamten und Unterthanen, so würde er wohl genötigt werden, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und zu thun, als wenn dies in der Ordnung wäre, so daß der geschmackvollste Ausleger zur Belohnung in den Adelsstand erhoben, der tiefsinnigste mit einem Orden geehrt würde u. s. w. Denke Dir, dieser König sei ein allmächtiger, der also nicht in Verlegenheit kommt, ob auch alle Beamten und Unterthanen gegen ihn falsch spielen wollten. Was, glaubst Du, wird dieser allmächtige König von so etwas denken? Wird er nicht sagen: daß sie dem Gebote nicht nachkommen, das könnte ich noch verzeihen; ferner, wenn sie vereinigt mit einer Bittschrift bei mir einkämen, daß ich Geduld mit ihnen haben oder vielleicht sie ganz mit diesem Gebote verschonen möchte, welches ihnen so schwer wird: das könnte ich ihnen verzeihen. Aber das kann ich nicht verzeihen, daß man sogar den Gesichtspunkt für das, was Ernst ist, verrückt?
Und nun das Wort Gottes! »Mein Haus ist ein Bethaus, aber Ihr habt es zu einer Mördergrube gemacht«. Und Gottes Wort, was ist es nach seiner Bestimmung, und wozu haben wir es gemacht? All dies Auslegen und Auslegen und Wissenschaft und neue Wissenschaft, die unter der feierlichen, ernsten Form vorgebracht wird: es sei, um recht das Wort Gottes zu verstehen – sieh näher zu, und Du wirst sehen, es ist, um sich gegen das Wort Gottes zu wehren. Es ist nur allzuleicht, die Forderung, die in dem Worte Gottes enthalten ist, zu verstehen: »verkaufe, was Du hast, und gib es den Armen«, »so Dir jemand einen Streich gibt auf Deinen rechten Backen, dem biete den anderen auch dar«, »so jemand mit Dir rechten will und Deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel«, »seid allezeit fröhlich«, »achtet es eitel Freude, wenn Ihr in mancherlei Anfechtungen fallet« u. s. w., alles dies ist ebenso leicht zu verstehen, wie die Bemerkung »es ist heute gutes Wetter«, eine Bemerkung, welche zu verstehen nur dann schwierig werden könnte, wenn eine Litteratur entstünde, um sie auszulegen; nicht der eingeschränkteste arme Tropf kann in Wahrheit leugnen, die Forderung verstehen zu können – aber es hält schwer für Fleisch und Blut, sie verstehen und danach thun zu wollen. Und es ist, nach meinen Gedanken, menschlich, daß ein Mensch sich dabei windet, das Wort recht über sich Macht gewinnen zu lassen – will niemand anders das gestehen, ich gestehe, daß ich es thue. Es ist menschlich, Gott zu bitten, Geduld zu haben, wenn man nicht gleich kann, was man soll, indem man gelobt doch zu streben; es ist menschlich, Gott zu bitten, Mitleid zu haben, die Forderung krankhafte Eitelkeit ist! Pfui, sollte ich denn so eitel sein! Denn an sich selbst zu denken und zu sagen, das Subjektive; und das Subjektive, das ist Eitelkeit; o diese Eitelkeit, nicht ein Buch – Gottes Wort! – lesen zu können, ohne zu meinen, daß ich es sei, von dem es handelt! Sollte ich nicht verabscheuen, so eitel zu sein! Und sollte ich denn so dumm sein, es nicht zu thun, wenn ich mich dadurch zugleich sichere, daß Gottes Wort nicht dazu kommen kann, mich zu erfassen, weil ich mich nicht in ein persönliches (subjektives) Verhältnis zum Worte stelle, sondern dagegen – o welcher Ernst, wegen dessen ich dann von den Menschen hoch gepriesen werde! – das Wort zu etwas Unpersönlichem (dem Objektiven, einer objektiven Lehre u. dergl.) mache, wozu ich – der sowohl Ernste als Gebildete! – mich objektiv verhalte, so daß ich also nicht ungebildet und eitel bin, meine Persönlichkeit mit ins Spiel zu bringen, und zu glauben, daß ich es sei, zu dem geredet werde, ich – und in einem fort – ich, von dem geredet werde. Ei, fern sei von mir eine solche eitle Ungebildetheit – und fern von mir sei auch, was ja sonst so leicht geschehen könnte, daß das Wort mich faßte, gerade mich, Macht über mich gewänne, so daß ich mich nicht dagegen wehren könnte, so daß es fortführe mich zu verfolgen, bis ich entweder, der Welt entsagend, danach thäte, oder doch bekennte, daß ich es nicht thäte – die gerechte Strafe eines jeden, der sich erlaubt, auf so ungebildete Weise mit dem Worte Gottes umzugehen.
Nein, nein, nein! Dieses, wenn Du das Wort Gottes liesest, dann bei allem, was Du liesest, beständig zu Dir selbst zu sprechen: ich bin es, zu dem, ich bin es, von dem geredet wird, das ist der Ernst, gerade das ist der Ernst. Auch hat kein einziger unter denen, welchen die Sache des Christentums in höherem Sinne anvertraut gewesen ist, vergessen, dies wieder und immer wieder als das Entscheidende einzuschärfen, als unbedingte Bedingung, wenn Du dazu kommen sollst, Dich im Spiegel zu sehen. Also dies ist's, was Du thun sollst: Du sollst in einem fort beim Lesen zu Dir selber sprechen: zu mir, von mir wird geredet.
Von jenem mächtigen Kaiser des Ostens, dessen Zorn sich das kleine, mannhafte Volk zugezogen hatte, wird erzählt, daß er einen Sklaven hatte, der jeden Tag zu ihm sagte: gedenke, Rache zu nehmen. Das war auch etwas, was des Gedankens wert war: mir scheint, es wäre besser gewesen, einen Sklaven zu haben, der ihn jeden Tag daran erinnert hätte, zu vergessen, welches doch auch nicht gut ist: denn müßte man jeden Tag daran erinnert werden, zu vergessen, so wird es ja nicht ernst mit dem Vergessen. Aber jedenfalls verstand dieser Herrscher sehr richtig, gerade weil er zornig war, und Zorn ist eine Bestimmung der Persönlichkeit, wenn auch keine lobenswerte, wie man verfährt, wenn auf jemanden persönlich gewirkt werden soll.
Aber noch besser als dieser Herrscher wurde doch der König David bedient – das versteht sich, das gehört zu der Art Bedienung, die man selten selbst aus freiem Willen wünscht, man ist eher versucht, sie als eine der größten Unbequemlichkeiten des Lebens zu betrachten.
Die Geschichte, worauf ich anspiele, ist bekannt. Der König David sah Bathseba. Sie zu sehen – und zu sehen, daß ihr Mann ihm im Wege stand, war eins. Er muß also fort. Und das geschah auch; man weiß nicht recht, wie es geschah, es muß eine Schickung gewesen sein, er fiel in der Schlacht, doch »das Schwert frißt jetzt diesen, jetzt jenen« sagt der König, er hatte vermutlich in Tollkühnheit selbst einen so gefährlichen Posten gewählt, daß der Tod gewiß war – ich sage nur, war jemand da, der ihn aus der Welt wünschte, so hätte er, wenn er über solches Herr war, es nie besser machen können, als ihn auf den Posten zu stellen, welcher der sichere Tod war. Nun ist er aus dem Wege. Das ging sehr leicht. Und nun ist also nichts mehr im Wege, um in gesetzmäßigen Besitz seiner Gattin zu kommen. Etwas im Wege – da sprichst Du wunderlich, es ist ja sogar eine in hohem Grade edle, hochherzige, echt königliche Handlung, die den ganzen Kriegerstand begeistern wird, daß der König die Witwe des für das Vaterland gefallenen Kriegers zur Ehe nimmt.
So kommt nun eines Tages ein Prophet hinauf zum König David. Laßt uns die Sache uns recht vergegenwärtigen und sie ein wenig modernisieren. Der eine ist der König, der höchststehende Mann des Volkes, der andere der Prophet, ein angesehener Mann des Volkes, beide natürlich gebildete Männer, und man kann also versichert sein, daß ihr Umgang, ihr Gespräch unbedingt das Gepräge der Bildung tragen wird. Außerdem sind sie beide, besonders der eine von ihnen, berühmte Schriftsteller, der König David der namhafte Dichter, und, was zugleich folgt, ein Kenner, ein geschmackvoller Richter über den guten Geschmack, der die Darstellung zu würdigen weiß und die Wahl der Ausdrücke, und die Anlage eines Gedichtes und die Sprachform und die Tonart und den guten oder schlechten Einfluß desselben auf die Sitten u . s. w.
Und es trifft sich recht glücklich, das ist gerade der rechte Mann für solche Sachen; denn der Prophet hat eine Novelle gedichtet, eine Erzählung, die er die Ehre haben wird, Seiner Majestät, dem gekrönten Dichter und Kenner von Dichterwerken, vorzutragen.
»Es waren zwei Männer in einer Stadt, einer reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viel Schafe und Rinder, aber der Arme hatte nichts, als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte; und er nährte es, daß es groß ward bei ihm und bei seinen Kindern zugleich; es aß von seinem Bissen und trank von seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt es wie eine Tochter. Da aber dem reichen Mann ein Gast kam, schonte er zu nehmen von seinen Schafen und Rindern, daß er dem Gaste etwas zurichtete, der zu ihm kommen war, und nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es zu dem Manne, der zu ihm kommen war.«
Ich denke mir, David hat aufmerksam zugehört, hat darauf seine Meinung zu erkennen gegeben, natürlich nicht seine Persönlichkeit (Subjektivität) eingemischt, sondern unpersönlich (objektiv) diese niedliche kleine Arbeit gewürdigt. Es ist vielleicht eine Einzelnheit da gewesen, von der er meinte, daß sie anders sein könnte, einen glücklicher gewählten Ausdruck hat er vielleicht vorgeschlagen, vielleicht auch einen kleinen Fehler in der Anlage nachgewiesen, hat den meisterhaften Vortrag des Propheten, seine Stimme, sein Mienenspiel gelobt, kurz, sich so ausgesprochen, wie in unseren Zeiten wir Gebildeten eine Predigt für die Gebildeten, das heißt, eine Predigt, die auch selbst objektiv ist, zu beurteilen pflegen.
Da spricht der Prophet zu ihm: Du bist der Mann.
Sieh, die Erzählung, die der Prophet vortrug, das war eine Geschichte; aber dies: Du bist der Mann, das war eine andere Geschichte – das war der Übergang zum Subjektiven.
Aber meinst Du denn nicht, daß David vorher selbst sehr gut gewußt habe, wie abscheulich es ist, eines Weibes Mann totschlagen zu lassen, um sie zur Ehe zu nehmen; glaubst Du nicht, daß David, der große Dichter, leicht im stande gewesen sei, es selbst (mit Beredsamkeit, schreckend, erschütternd) darzustellen? Und demnächst, glaubst Du nicht, daß David sich sehr wohl bewußt gewesen, daß, und was er verschuldet hatte? Und doch, doch, doch bedurfte es jemandes von außen, der zu ihm sagte: Du!
Du siehst daraus, wie wenig mit diesem Unpersönlichen, dem Objektiven, einer Lehre, Geschichte, Wissenschaft u. dgl. geholfen ist, wenn sogar ein im übrigen so frommer und gottesfürchtiger Mann wie David, und Frömmigkeit und Gottesfurcht sind ja Formen der Persönlichkeit, des Subjektiven, wenn sogar er in Beziehung darauf, daß er eine so abscheuliche Unthat verübt hat (und vorher fand er – objektiv genug! – nichts im Wege, nicht das Gewissen im Wege, den Urias töten zu lassen, nichts im Wege, nicht das Gewissen im Wege, Bathseba zu ehelichen), wenn sogar er, nachdem es geschehen ist, so viel Unpersönlichkeit (Objektivität) bewahren kann, daß er dahin leben kann und thun als ob nichts geschehen, daß er die Erzählung des Propheten hören kann und thun, als ob nichts geschehen – bis dann der Prophet, müde dieser in unserem Jahrhundert als Bildung und Ernst so gepriesenen Unpersönlichkeit oder Objektivität, seine Gewalt braucht und sagt: Du bist der Mann.
Du siehst daraus zugleich, welche Tiefe der Schlauheit und Arglist es ist, wenn eine weltliche Bildung in der Christenheit, benutzend, was unleugbar wahr ist, daß es Eitelkeit sei, selbstsüchtig überall sein Ich und seine Persönlichkeit anzubringen, nun das zur Eitelkeit gestempelt hat, was gerade gegenüber dem Worte Gottes der Ernst ist, so daß man sich von dem Ernste und der Anstrengung des Ernstes freispricht und gerade dadurch sich als dem Ernsten und Gebildeten das Ansehen sichert. O Tiefe der Arglist! Man macht das Wort Gottes zu etwas Unpersönlichem, Objektiven, zu einer Lehre – anstatt daß es Gottes Stimme ist, die Du hören sollst; so hörten es die Väter, hörten die schreckende Stimme Gottes, nun klingt es objektiv wie Kattun! Und man verhält sich unpersönlich (objektiv) zu diesem Unpersönlichen; und auf der Höhe weltlicher Bildung, an der Spitze des gebildeten Publikums und der Wissenschaft trotzt man darauf, dies sei Ernst und Bildung, man bedauert wo möglich jene persönlichen (subjektiven) armen Tröpfe, bis sie sich in den Winkel verkriechen! O Tiefe der Arglist! Denn diese Unpersönlichkeit (Objektivität) – gegenüber dem Worte Gottes wird es uns Menschen nur allzuleicht, sie zu bewahren, – ist in der That eine angeborene Genialität, die wir alle besitzen, etwas, was wir umsonst bekommen – durch die Erbsünde, da diese gepriesene Unpersönlichkeit (Objektivität) weder mehr noch weniger ist, als Gewissenlosigkeit. Und das versteht sich, Gewissenlosigkeit natürlich nicht so, daß sie sich, was thöricht, dumm und unklug wäre, als Polizeivergehen äußerte, nein, nein, mit Maßen, bis zu einem gewissen Grade und dann mit Geschmack und Bildung, die macht das Leben bequem und genußreich – aber ist es doch nicht zu viel, sie für Ernst und Bildung auszugeben?
Nein, wenn Du das Wort Gottes lesen willst, um Dich im Spiegel zu sehen, so mußt Du in einem fort beim Lesen zu Dir selbst sagen: ich bin es, zu dem, ich bin es, von dem geredet wird.
Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn, und gingen davon, und ließen ihn halb tot liegen – wenn Du nun liesest: »es begab sich aber von ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog, und da er ihn sah, ging er vorüber«, so sollst Du Dir selbst sagen »das bin ich«, Du sollst nicht Ausflüchte suchen, noch weniger witzig werden, denn in der weltlichen Welt kann ein Witz ja allerdings selbst die größte Niederträchtigkeit aufwiegen, aber so ist es nicht, wenn Du das Wort Gottes liesest, Du sollst nicht sagen »das bin ich nicht, es war ja ein Priester, und ich bin nicht Priester, wogegen ich es von dem Evangelium vortrefflich finde, es einen Priester sein zu lassen, denn die Pfaffen sind die allerärgsten«. Nein, wenn Du das Wort Gottes liesest, soll es Dir Ernst sein, und Du sollst zu Dir selbst sagen: »dieser Priester bin ich«. Ach, daß ich so unbarmherzig sein konnte und ich, der ich mich doch einen Christen nenne – und insofern bin ich ja auch Priester, wissen wenigstens wir sonst wohl das geltend zu machen, wenn es heißt, uns von den Geistlichen freizumachen, denn dann sagen wir: im Christentum sind alle Priester. Ach, daß ich so unbarmherzig sein konnte, solches zu sehen, und ich sah es, es steht im Evangelium »da er ihn sah, ging er vorüber«, und es ungerührt zu sehen! – Desselben gleichen auch ein Levit, »da er kam an die Stätte und sah ihn, ging er vorüber«. Hier sollst Du sagen: »das bin ich, o, daß ich so hartherzig sein konnte, und daß das, wenn es mir einmal früher passiert ist, mir dann noch einmal soll passieren können, daß ich nicht besser geworden bin!« – Und es kam ein Bürgersmann desselben Weges, und da er in die Nähe kam, sagte er zu sich selbst: »was ist das, da liegt ein halbtoter Mensch, es ist wohl nicht wert, daß ich desselben Weges gehe, das könnte ja eine Polizeisache werden, oder die Polizei könnte vielleicht im selben Augenblick kommen und mich als den Thäter ergreifen« – dann sollst Du zu Dir selbst sagen: »das bin ich, o, daß ich so schmutzig klug sein konnte, und nicht bloß das, sondern, daß ich dann hinterher mich darüber freuen konnte, ja daß ich, da ich es einem meiner Bekannten erzählte, mich darüber freuen konnte, daß er es als klug und praktisch von mir pries!« – Und es kam einer in tiefen Gedanken an nichts denkend desselben Weges, der sah gar nichts und ging vorbei – dann sollst Du zu Dir selbst sagen: »das war ich, ich Dummkopf, daß ich so gehen kann und schlendern, ohne zu sehen, daß da ein halbtoter Mensch liegt«; und so würdest Du doch zu Dir selber sprechen, wenn ein großer Schatz auf dem Wege gelegen hätte, und Du vorbeigegangen wärest, ohne ihn zu sehen. – »Ein Samariter aber reisete und kam dahin.« Um nicht zu müde zu werden, indem Du fortwährend sagst: »das bin ich«, kannst Du hier zur Abwechslung sagen: »das war nicht ich, ach nein, so bin ich nicht!« – Wenn dann die Parabel endigt und Christus zum Pharisäer sagt: »gehe hin und thue desgleichen«, dann kannst Du zu Dir selbst sagen: »ich bin es, zu dem geredet wird, flugs daran«. Du sollst nicht Ausflüchte suchen, noch weniger Dich im Witz versuchen, denn in göttlichen Sachen wiegt ein Witz wahrlich nichts auf, sondern schärft nur das Gericht, Du sollst nicht sagen: »ich kann auf Ehre versichern, daß der Fall mir nie im Leben vorgekommen ist, daß ich eines Weges gekommen sei, wo ein halbtoter Mensch lag, der von Räubern überfallen war; überhaupt sind Räuber bei uns eine Seltenheit«. Nein, so sollst Du nicht sprechen; Du sollst sagen: »ich bin es, zu dem das Wort gesagt wurde: gehe hin und thue desgleichen«. Denn Du verstehst das Wort sehr gut. Und trafst Du nie auf Deinem Wege einen, der von Räubern überfallen war: es sind auf Deinem Wege, wie auf meinem, Unglückliche genug. Oder um ein Beispiel zu nehmen was doch immerhin mit jenem in dem Evangelium Ähnlichkeit hat: kamst Du nie eines Weges, wo, wenn nicht buchstäblich, so doch in Wahrheit einer lag, den Afterreden und Verläumdung überfallen und nackt ausgezogen und halb tot hatten liegen lassen? Und es kam ein Priester desselben Weges und er ging vorbei – das heißt, er hörte zuerst, was die Verleumdung von dem Menschen erzählte, und dann ging er weiter – und erzählte die Geschichte weiter, und dieser Priester, sollst Du zu Dir selber sagen, ja, ob Du auch Bischof oder Probst wärest, Du sollst gleich wohl zu Dir selber sagen: dieser Priester war ich! Und es kam ein Levit desselben Weges, und er ging vorbei – das heißt, nachdem er zuerst im Vorbeigehen die Neuigkeit zu wissen bekommen hatte, dann ging er vorbei und nahm die Neuigkeit mit; und dieser Levit, sollst Du zu Dir selber sagen, das war ich. Und dann kam ein Bürgersmann vorbei; er hörte auch die Geschichte, und dann ging er damit fort, und sagte: »das ist recht eine Schande, daß man – was ich jetzt thue! – das und das von dem Mann erzählt; und dieser Bürgersmann, sollst Du zu Dir selber sagen, das war ich! Ich war's, – o, das ist ärger als jene Geschichte im Evangelium, denn weder der Priester noch der Levit waren doch dabei beteiligt, den Mann halbtot zu schlagen, aber hier sind die Mitschuldigen der Räuber«.
Du liesest von jenem Obersten, einem Mitgliede des hohen Rats, daß er bei der Nacht zu Christo kam. Du sollst nicht Deine Aufmerksamkeit zerstreuen, nicht einmal dadurch, daß Du die doch vielleicht richtige Bemerkung machst, daß es wunderlich von ihm war, die Zeit zu wählen, denn was hilft es doch, wenn man verborgen sein will, daß man wählt, in der Nacht zu gehen, wenn man zu dem geht, der das Licht ist, wie im Psalm steht (139, 11): »Finsternis möge mich decken, so muß die Nacht auch Licht um mich sein, denn auch Finsternis nicht finster ist vor Dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag«. Nein, so sollst Du nicht sprechen, ach, denn Du verstehst nur allzu gut, weshalb er die Nacht wählte: ob nämlich auch Christus »der Weg« ist, in der Mitwelt war er – und wenn er wieder käme, wäre er es wohl wieder – der verbotene Weg.
Wenn Du denn davon liesest, von ihm, auf den Christus doch einen Eindruck gemacht hatte, aber nur so, daß er sich weder ganz hingeben noch ganz losreißen konnte, weshalb er die Nacht wählte, sich bei der Nacht zu ihm hinzustehlen: dann sollst Du zu Dir selber sagen »das war ich«. Du sollst nicht Ausflüchte suchen, nicht ungehörige Sachen einmischen, Du sollst überhaupt in der Stunde ruhig sitzen, Du sollst nicht sagen: »das war einer von den Vornehmen, und so sind die Vornehmen, großthuerisch, und so feig und treulos, wie sollte auch das Evangelium, das für die Armen ist, für die Vornehmen sein können!« Nein, so sollst Du nicht sprechen. Wenn Du das Wort Gottes liesest, so hast Du nichts mit jenen Vornehmen oder mit den Vornehmen im allgemeinen zu thun, oder sie anzuklagen: denn wärest Du auch selbst einer von den Vornehmen, Du hast doch nur mit Dir selbst zu thun. Nein, Du sollst sagen: »ich bin es«. Und mußt Du Dir selbst gestehen, daß Du wirklich im Begriff warst, diese Bemerkung über die Vornehmen zu machen, so sollst Du nicht bloß sagen: »ich war es«, sondern hinzufügen: »ich bin es, der dann obendrein Ausflüchte suchen wollte, der ich noch einmal, wie wenig es auch nützt, wenn ich vor dem bin, der das Licht ist, mich im Dunkel der Nacht verbergen wollte in der Ausflucht und Entschuldigung, als verstünde ich nicht das Wort Gottes, als wären es nur die Vornehmen, von denen geredet würde. Nein, ich war es. O daß ich so erbärmlich, ein solcher Lump sein konnte, weder kalt noch warm, weder das eine noch das andere!«
Auf die Weise, dies sind nur ein paar Beispiele, sollst Du das Wort Gottes lesen; und wie man nach dem, was der Aberglaube berichtet, dadurch, daß man Beschwörungsformeln liest, Geister zu sich herbeschwören kann: so wirst Du, und das ist das, was zuerst not thut, wenn Du nur einige Zeit fortfährst, das Wort Gottes auf diese Weise zu lesen, Du wirst eine Furcht und ein Zittern in Deine Seele hereinlesen, daß es Dir mit Gottes Beistand glückt, ein Mensch, eine Persönlichkeit zu werden, erlöst von diesem schrecklichen Unding, wozu wir Menschen – geschaffen nach dem Bilde Gottes! – verzaubert sind, einem unpersönlichen objektiven Dinge. Es wird, wenn Du Gottes Wort auf diese Weise liesest, es wird – ob es Dir auch furchtbar sein wird, aber denke daran, es ist die Bedingung des Heils! – Dir glücken das Geforderte: Dich selbst im Spiegel des Wortes zu betrachten. Nur so glückt es.
Denn ist das Wort Gottes für Dich nur eine Lehre, etwas Unpersönliches, Objektives, so ist es kein Spiegel – eine objektive Lehre kann nicht ein Spiegel genannt werden; es ist ebenso unmöglich, sich in einer objektiven Lehre zu spiegeln, wie in einer Mauer. Und willst Du Dich unpersönlich (objektiv) zum Worte Gottes verhalten, so kann nicht davon die Rede sein, daß dies heißen sollte, sich selbst im Spiegel zu betrachten, denn um sich zu spiegeln, wird doch wohl eine Persönlichkeit, ein Ich erfordert; eine Mauer kann in einem Spiegel gesehen werden, aber nicht sich spiegeln, oder sich selbst im Spiegel betrachten. Nein, Du mußt beim Lesen des Wortes Gottes in einem fort zu Dir selbst sprechen: zu mir, von mir ist's, daß geredet wird.
Endlich darfst Du, wenn Du zu wahrem Segen Dich selbst im Spiegel des Worts betrachten willst, nicht gleich vergessen, wie Du aussahst, nicht der vergeßliche Hörer (oder Leser) sein, von dem der Apostel spricht: er beschaute sein leibliches Angesicht in einem Spiegel, aber vergaß sogleich wie er gestaltet war.
Dieses ist nun einleuchtend genug; denn sich in einem Spiegel zu sehen und dann gleich zu vergessen, das ist ja wie in den Sand oder in's Wasser schreiben, oder wie in die Luft zeichnen.
Das Richtigste ist daher, daß Du gleich zu Dir selber sagst: ich will alsbald anfangen, mich am Vergessen zu hindern, gleich, noch in diesem Augenblicke, ich gelobe es mir selbst und Gotte; ob's denn auch nur für die nächste Stunde oder für den heutigen Tag wäre, so lange soll's doch gewiß sein, daß ich es nicht vergesse. Das ist das Richtigste, glaube mir, und Du weißt wohl, ich soll ein wenig ein Seelenkundiger sein, und was Du nicht weißt, ach das weiß ich, in wie vielen Leiden, in wie bitteren Erfahrungen ich es geworden bin, wenn ich's anders geworden bin. So zu verfahren, ist weit richtiger, als gleich den Mund zu voll zu nehmen und schnell zu sagen: »ich will es nie vergessen«. O, mein Freund, es ist viel besser, daß Du nie vergessest, sogleich Dich des zu erinnern, als daß Du gleich sagst: ich will es nie vergessen. Ernst ist es gerade, diesen redlichen Argwohn gegen sich selbst zu haben, mit sich selbst wie mit einem Verdächtigen umzugehen, wie ein Geldmann mit einem, der nicht sicher ist, zu dem er sagt: »ja diese großen Versprechungen helfen nicht viel, ich will lieber einen kleinen Teil der Summe gleich haben«. Und so auch hier. O, es sieht so ärmlich aus, wenn man sich selbst gelobt hat, nie zu vergessen, – dann gerade gleich in der nächsten Stunde anfangen zu sollen, sich zu erinnern! Und doch, diese nächste Stunde entscheidet vielleicht alles; die nächste Stunde nach einer sogenannten stillen Stunde, diese nächste ist die kritische Stunde. Lässest Du sie hingehen und sagst: »ich habe gelobt, nie zu vergessen, also mein ganzes Leben ist dem Erinnern geweiht, welche Kleinigkeit dann, es mit dieser nächstliegenden Stunde so genau zu nehmen« – sagst Du das: so ist es eigentlich entschieden, daß Du der vergeßliche Hörer oder Leser wirst. Denke Dir einen, der einer Leidenschaft ergeben gewesen ist und noch ist. Es kommt nun ein Augenblick (und der kommt für jeden, vielleicht viele Mal, ach, vielleicht viele Mal vergebens!), ein Augenblick, wo er wie gehemmt ist; ein guter Entschluß erwacht. Denke Dir dann, daß er, laß es z. B. einen Spieler sein, zu sich selber eines Morgens sagte: »so gelobe ich hoch und heilig, daß ich niemals mehr mich mit dem Spielen befassen will, nie mehr – heute abend soll's das letzte Mal sein«, o, mein Freund, er ist verloren! Ich darf eher auf das Entgegengesetzte trauen, wie wunderlich es auch scheinen mag: wenn da ein Spieler wäre, der in einem solchen Augenblick zu sich selber sagte: »nun wohl, Du magst Erlaubnis haben, Dein ganzes übriges Leben alle Tage zu spielen – aber heute abend willst Du es lassen«; und wenn er es thäte: o, mein Freund, er ist gewiß gerettet! Denn der Entschluß jenes ersten ist ein Gaunerstreich der Lust, der des anderen heißt: die Lust prellen; der eine wird von der Lust geprellt, der andere prellt die Lust. Die Lust ist nur stark im Augenblick, bekommt sie nur im Augenblick ihren Willen, so wird von ihrer Seite nichts im Wege sein, daß sie nicht ein Versprechen für das ganze Leben geben sollte. Aber das Verhältnis umkehren und sagen: »nein, bloß heute nicht, aber morgen, übermorgen u. s. w.«, das heißt die Lust prellen; denn soll gewartet werden, so verliert die Lust die Lust; wird sie nicht augenblicklich und vor jedem anderen eingelassen, wenn sie sich meldet, heißt es, daß ihr erst morgen Zutritt verstattet werden kann, so versteht die Lust, schneller, als der schmeichlerische und geschmeidige Hofmann oder das listigste Weib es verstehen, was es zu bedeuten hat, wenn dies ihnen im Vorgemach passiert, die Lust versteht, daß sie nicht mehr eins und alles ist, das heißt, daß sie nicht mehr »die Lust« ist. So ist es mit dem Achtgeben, daß man nicht gleich vergesse; gelobe nicht nie vergessen zu wollen, wenn Du dann nur davon freigesprochen seist, in der nächsten Stunde Dich gleich erinnern zu sollen; nein, kehre lieber das Verhältnis um, sage: Dies ist ja nicht etwas um mein lebenlang daran zu denken, aber ich gelobe, daß ich daran denken will gleich in der nächsten Stunde, und das will ich halten.
Wenn Du nun von hier fortgehst, denn wir können uns ja denken, daß es eine gehaltene Rede wäre, so sei nicht geschäftig, die Rede oder den Redner zu kritisieren. Denn freilich kann man insofern nicht von Dir sagen, daß Du gleich die Rede vergessen hättest, aber auf die Weise erinnern, das heißt dennoch, ein vergeßlicher Hörer sein. Nein – und doch, vergiß die Rede und den Redner; aber wenn Du nach Hause kommst, so lies für Dich allein, wo möglich laut, den Text des Tages durch – o, aber thu' es gleich! Nicht wahr, das willst Du thun? Dank dafür. Und wäre einer, der vielleicht erst nach zehn Jahren, ganz von ungefähr dazu käme, diese Rede zu lesen, und sie zu Ende läse: o, Du bist es, den ich bitte, lies dann für Dich allein, wo möglich laut, den Text des Tages, o, aber thu es gleich! Nicht wahr, das willst Du thun? Dank dafür.
Und Du, o Weib, Dir ist es ja vorbehalten, das Bild des nie vergeßlichen Hörers oder Lesers des Wortes sein zu können. Du komme, wie billig, der Ermahnung des Apostels nach: das Weib soll schweigen in der Gemeinde; das ist billig. Auch befasse sie sich nicht damit, nach Hause zu gehen und zu predigen: das steht ihr nicht wohl. Nein, sie schweige; in Schweigen bewahre sie das Wort; ihr Schweigen sei der Ausdruck dafür, daß sie es tief im Herzen bewahrt. Glaubst Du nicht an das Schweigen? Ich thue es. Als Kain Abel erschlagen hatte, da schwieg Abel. Aber Abels Blut schreiet zum Himmel; es schreiet, nicht: es schrie, es schreiet zum Himmel; furchtbare Beredsamkeit, die nie verstummt; o, Macht des Schweigens! Jener königliche Mann, der den Namen des Schweigsamen trägt – bedeutete sein Schweigen nicht etwas? Die anderen haben wohl laut genug von der Rettung des Staates gesprochen und vielleicht auch davon, was sie thun wollten – nur er schwieg. Was bedeutete dieses Schweigen? Daß er der Mann war, der den Staat rettete; o, Macht des Schweigens!
So mit dem Weibe. Laß mich Dir ein solches Weib beschreiben, eine Hörerin des Worts, die das Wort nicht vergißt; aber vergiß doch nicht über dieser Beschreibung, selbst eine solche zu werden! Wie gesagt, sie redet nicht in der Gemeinde, sie schweigt; auch redet sie nicht zu Hause von der Religion, sie schweigt. Sie ist auch nicht wie eine Geistesabwesende, weit weg in anderen Gegenden: Du sitzest und sprichst mit ihr; und wie Du am allerbesten im Gespräche sitzest, sagst Du zu Dir selbst: sie schweigt – was bedeutet dieses Schweigen? Sie besorgt ihr Haus, ist ganz gegenwärtig, wie mit ihrer ganzen Seele auch bei der kleinsten, unbedeutendsten Sache, sie ist froh, manchmal voll Scherz und Munterkeit, sie ist, fast mehr als die Kinder, die Freude im Hause – und wie Du am allerbesten da sitzest und sie ansiehst, sagst Du zu Dir selbst: sie schweigt; was bedeutet dieses Schweigen? Und wenn dann selbst der, dem sie am nächsten steht, an den sie durch unauflösliche Bande geknüpft ist, den sie mit ihrer ganzen Seele liebt, und der auf ihr Vertrauen Anspruch hat – wenn es sich denken ließe, daß er geradezu zu ihr sagte: »was bedeutet dieses Schweigen, woran denkst Du; denn es ist noch etwas im Hintergrunde all des anderen, etwas was Du gleichsam immer in Gedanken haben mußt, sage mir das!«: sie sagt es nicht geradezu; ausweichend sagt sie vielleicht höchstens: »gehst Du am Sonntag mit in die Kirche?« – und redet dann von anderen Dingen; oder sie sagt: »versprich mir Sonntag eine Predigt vorzulesen!« – und dann redet sie von anderen Dingen. Was bedeutet dieses Schweigen?
Was es bedeutet? Ja, laß uns nicht weiter danach forschen; sagt sie selbst ihrem Manne nichts geradezu, so können wir andern ja nicht verlangen etwas zu erfahren. Nein, laß uns nicht weiter danach forschen, sondern bedenken, daß dieses Schweigen gerade das ist, wessen wir bedürfen, wenn Gottes Wort ein wenig Macht über die Menschen gewinnen soll.
O, falls man, wozu man christlich gewiß berechtigt ist, indem man den jetzigen Zustand der Welt und das ganze Leben betrachtet, christlich sagen müßte: es ist krank – und falls ich ein Arzt wäre: wenn dann jemand fragte: »was meinst Du, daß geschehen muß?« ich würde antworten: »das erste, die unbedingte Bedingung, damit etwas geschehen kann, also das erste, was geschehen muß, ist: schaffe Schweigen, bringe Schweigen zuwege, das Wort Gottes kann nicht gehört werden, und soll es, durch lärmende Mittel bedient, lärmend ausgerufen werden, um im Spektakel mit gehört zu werden, so wird es nicht Gottes Wort, schaffe Schweigen! O, alles lärmt; und wie man von einem hitzigen Getränke sagt, daß es das Blut aufregt, so ist in unseren Zeiten jedes, selbst das unbedeutendste Unternehmen, jede, selbst die nichtssagendste Mitteilung, nur darauf berechnet, die Sinne zu erschüttern oder die Masse aufzuregen, die Menge, das Publikum, den Lärm! Und der Mensch, dieser kluge Kopf, er ist wie schlaflos geworden, um neue, neue Mittel zu erfinden, den Lärm zu vergrößern, und mit möglichst großer Hast und nach möglichst großem Maßstabe das Lärmende und das Nichtssagende zu verbreiten. Ja, die Umkehrung ist wohl bald erreicht: die Mitteilung ist wohl bald zum niedrigsten Grade der Bedeutung heruntergebracht, und gleichzeitig haben die Mittel der Mitteilung wohl ungefähr einen höchsten Grad in Hinsicht eilender und alles überschwemmender Verbreitung erreicht; denn was eilt man wohl so sehr unter die Leute zu bringen, und was hat anderseits mehr Verbreitung, als: Geschwätz! O, schaffe Schweigen.
Und dies kann das Weib. Es wird eine ganz außerordentliche Überlegenheit erfordert, wenn ein Mann durch seine Gegenwart Männern Schweigen auferlegen soll: dagegen jedes Weib vermag dies innerhalb ihrer Grenze, in ihrem Kreise, wenn sie, nicht selbstisch sondern demütig einem Höheren dienend, es will.
Wahrlich, die Natur hat das Weib nicht übervorteilt, und das Christentum auch nicht. Nun, und es ist menschlich, und so auch weiblich, innerhalb seiner Grenze auf geziemende Art seine Bedeutung haben, eine Macht sein zu wollen. So kann ein Weib auf verschiedene Weise Macht üben, durch ihre Schönheit, durch ihre Anmut, durch ihre Gaben, durch ihre kühne Phantasie, durch ihren glücklichen Sinn – sie kann auch versuchen, auf lärmende Weise eine Macht zu werden: das letztere ist unschön und unwahr, das erstere doch hinfällig und unsicher. Aber willst Du eine Macht sein, o Weib, laß mich Dir anvertrauen, wie. Lerne Schweigen; und lehre Schweigen; o Du weißt ja – ja, wenn nur eine bescheidenere Lage Dir zu teil wurde, Du weißt doch, freundlich, freundlich-einladend Dein Haus, Dein Heim in aller Bescheidenheit nicht ohne bezaubernde Anmut einzurichten; und wenn ein reicheres Los Dir zu teil wurde, Du weißt, geschmackvoll, traulich-überredend Dein Haus, Dein Heim nicht ohne bezaubernde Anmut einzurichten; und wenn Überfluß Dir zu teil wurde, Du weißt, mit sinnigem Takt fast den Reichtum verbergend, gerade dadurch eine gewisse bezaubernde Anmut über Dein Haus, Dein Heim auszubreiten, indem Du Reichtum und Genügsamkeit vereinigst: mein Auge ist nicht blind dafür, ich habe vielleicht nur allzu viel Poetisches in mir; aber laß andere dieses preisen. Dagegen gibt es eines; wenn Du vergäßest, dies in Deinem Hause, Deinem Heim anzubringen, so mangelte das wichtigste: das ist Schweigen! Schweigen! Schweigen: das ist nicht etwas Bestimmtes, denn es besteht ja nicht darin, daß nicht gesprochen wird, nein, Schweigen ist wie die milde Beleuchtung in dem traulichen Zimmer, wie die Freundlichkeit in der bescheidenen Stube: es ist nicht das, wovon man spricht, aber es übt seine wohlthätige Macht aus. Schweigen ist wie eine Stimmung, die Grundstimmung, die nicht hervorgezogen wird, darum heißt sie gerade die Grundstimmung, weil sie zu Grunde liegt.
Aber dieses Schweigen kannst Du nicht so anbringen, wie Du z. B. Boten schickst nach jemanden, der Gardinen aufhängt; nein soll Schweigen angebracht werden, so hängt es ab von Deiner Gegenwart, oder davon, wie Du in Deinem Hause, Deinem Heim Dich verhältst. Und wenn Du dann durch Deine Gegenwart Jahr für Jahr stetig Schweigen in Deinem Hause eingeführt hast, so wird zuletzt auch dieses Schweigen in Deiner Abwesenheit da sein, ein Zeugnis von Dir, endlich, ach, eine Erinnerung an Dich!
Es gibt ein Beiwort, welches die eigentümliche Eigenschaft des Weibes bezeichnet: wie großer Unterschied auch in mannigfaltiger Hinsicht zwischen Weib und Weib sein kann, dieses wird von jedem Weibe gefordert, kein Überfluß verbirgt, keine Armut entschuldigt diesen Mangel; es ist hiermit wie mit dem Zeichen der Macht, welches die Obrigkeit trägt: es ist ein Unterschied zwischen den Personen, der eine ist der oberste, ein sehr hochstehender Mann in der Gesellschaft, ein anderer ist der geringste, ein sehr untergeordneter Mann in der Gesellschaft; aber eines haben sie gemein, das Zeichen der Macht. Diese Eigenschaft ist: Häuslichkeit, der Charakter des Weibes, wie es der Charakter des Mannes sein soll, ein Charakter zu sein! Die zahllose Schar von Weibern mit allen diesen mannigfaltigen und mannigfaltig verschiedenen Verschiedenheiten, eines sollen sie alle gemein haben, wie sie alle das gemein haben, Weib zu sein: und das ist Häuslichkeit. Nimm eine bescheidene Bürgersfrau – wenn mit Wahrheit von ihr gesagt werden kann, daß sie häuslich ist: Ehre sei ihr; ich bücke mich ebenso tief vor ihr, wie vor einer Königin! Und anderseits, wenn die Königin nicht Häuslichkeit besitzt, so ist sie doch nur eine mäßige Madame. Nimm ein junges Mädchen, von welchem es heißt: Sünde wäre es zu sagen, daß sie eine Schönheit sei – wenn sie, wie das junge Mädchen es sein kann, häuslich ist: Ehre sei ihr! Und anderseits, eine strahlende Schönheit, und gib ihr meinetwegen allerlei Talente als Zugabe, und laß sie meinetwegen eine Berühmtheit sein – aber sie ist nicht häuslich, ja sie hat nicht einmal Ehrerbietung davor: so ist sie doch mitsamt ihren Talenten, Schönheit und Berühmtheit ein mäßiges Frauenzimmer. Häuslichkeit! Dadurch machen wir dem Weibe das große Zugeständnis, daß sie es eigentlich ist, die das Haus schafft; das junge Mädchen, selbst wenn es nie verheiratet würde, wir bestimmen gleichwohl seinen Rang nach der weiblichen Würde: Häuslichkeit. Aber Schweigen in einem Hause angebracht, das ist die Häuslichkeit der Ewigkeit!
Doch wenn Du, o Weib, dieses Schweigen sollst einführen, sollst lehren können, so mußt Du selbst in die Schule gehen. Du mußt aufpassen, Dir Zeit schaffen, wo Du selbst, jeden Tag, Dich unter dem Eindrucke des Göttlichen sammelst. Du mußt Zeit schaffen; und hast Du auch noch so viel zu besorgen, o, Du bist ja – hier kommt's wieder – Du bist ja häuslich; und wenn man häuslich mit der Zeit umgeht, so findet man wohl Zeit. Darauf mußt Du achten. Der Mann hat so viel zu bewältigen, so viel mit dem Lärmenden zu thun und nur allzu viel; achtest Du nicht darauf, daß alles in Ordnung sei, daß das Schweigen da sei, so kommt nie das Schweigen in Dein Haus hinein.
Achte darauf wohl! Denn in diesen Zeiten lernt ein Mädchen so viel im Institut beides Englisch und Französisch und Zeichnen, und zu Hause lernt sie gewiß manche nützliche Sache: es ist nur die Frage, ob sie in diesen Zeiten das lernt, was das wichtigste ist, das, was sie später lehren soll, denn es sind doch nur einzelne, die später dazu kommen, Englisch und Französisch zu lehren, ob sie lernt: Schweigen. Ich weiß es nicht; aber Du, Du sei aufmerksam in dieser Hinsicht, es ist ja Deine Aufgabe, das Schweigen anzubringen. Denke an das Wort des Apostels von der Selbstbetrachtung im Spiegel des Wortes! Denn ein Weib, was sich viel spiegelt, wird eitel und in Eitelkeit geschwätzig! Ach, und ein Weib, was sich im Spiegel der Zeit spiegelt, wird laut und lärmend! O, aber ein Weib, was sich im Spiegel des Wortes spiegelt, wird schweigsam! Und wird sie das, so ist das vielleicht der stärkste Ausdruck dafür, daß sie nicht eine vergeßliche Leserin oder Hörerin ist. Der, welcher, nachdem er sich im Spiegel des Wortes betrachtet hatte, ein Redender wurde, – kann vielleicht dadurch bekunden, daß er nicht vergessen hat: aber der, welcher schweigsam wurde, – der hat gewiß nicht vergessen. Du weißt es ja: Der, der sich verliebte – und ein Redender wurde: nun ja! aber schweigsam werden: das ist sicherer.
Die erste Rede habe ich zwar gethan, lieber Theophile, von allem dem, das Jesus anfing, beides zu thun und zu lehren, bis an den Tag, da er aufgenommen ward, nachdem er den Aposteln (welche er hatte erwählet) durch den heiligen Geist Befehl gethan hatte; welchen er sich nach seinem Leiden lebendig erzeigt hatte durch mancherlei Erweisungen, und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang, und redete mit ihnen vom Reiche Gottes. Und als er sie versammelt hatte, befahl er ihnen, daß sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des Vaters, welche ihr habt gehört (sprach er) von mir. Denn Johannes hat mit dem Wasser getauft; ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden, nicht lange nach diesen Tagen. Die aber, die zusammen gekommen waren, fragten ihn, und sprachen: Herr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt Euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat; sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem, und in ganz Judäa und Samaria, und bis an das Ende der Erde. Und da er solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen gen Himmel fahrend, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und seht gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn habt gesehen gen Himmel fahren.
Gebet.
Herr Jesu Christe, Du, der Du Dein Schicksal vorauswußtest, und Dich doch nicht zurückzogst; Du, der Du Dich dann in Armut und Niedrigkeit geboren werden ließest, darauf in Armut und Niedrigkeit die Sünde der Welt trugst, ein Leidender, bis Du, verhaßt, verlassen, verspottet, verspeiet, endlich auch von Gott verlassen, Dein Haupt in dem schmachvollen Tode neigtest! O, Du erhobst es doch wieder, Du ewiger Siegesfürst, Du, der Du zwar nicht im Leben über Deine Feinde, aber im Tode selbst über den Tod siegtest; Du erhobst, für ewig siegreich, wieder Dein Haupt, Du gen Himmel Gefahrener! Daß wir Dir nachfolgen möchten!