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Linientaufe. – Triton kommt an Bord. – Aufzug Neptuns. – Der Astronom. – Der Heidenpriester. – Der Barbier. – Die Polizisten. – Begrüßungsreden. – Ordensverleihungen. – Die Taufe. – Die Spritzenschläuche. – Festbowle. – Cap Frio. – Rio de Janeiro. – Beschreibung der Stadt. – Die Land-Haifische. – Drei Matrosen vermißt. – Der kleine Quadutter auf der Suche. – Rettung der drei Matrosen. – Die Bestrafung der Menschenhändler. – »Der kleine Quadutter ist doch ein Mordskerl!« – »Mein Freund Pittman!« – Klampe's Englisch. – Hölz und Health. – Klampe ist plötzlich allein.
An Bord der »Moltke« herrscht zeitweise eine geheimnisvolle Tätigkeit. Maate und ältere Matrosen sind manchmal vollständig verschwunden, ja sie fehlen sogar hier und da beim Dienst. Wenn man sie wieder auftauchen sieht, haben sie ernste Gesichter, als hätten sie ein schreckliches Geheimnis zu bewahren. Dabei gelten die Vorbereitungen etwas sehr Lustigem, nämlich der bevorstehenden Linientaufe, beim Passieren des Äquators. Der erste Offizier, der von Allem Kenntnis haben muß, was an Bord vorgeht, ist mit im Geheimnis. Es handelt sich bei der Linientaufe nicht nur um einen alten Seemannsbrauch, nicht nur um einen großen Wasser-Ulk, sondern auch um ein gutes Mittel zur Förderung der Kameradschaftlichkeit und des Zusammenlebens an Bord. Wir geben daher die Schilderung nach der Fassung einer Autorität, wie Admiral B. von Werner ist:
»Der Tag neigt sich zu Ende, die Nacht breitet ihre Fittiche über das Meer, aus welchem gar fröhliche Menschen mit ihrem Schiff schwimmen. Sie wissen nach dem Schrecken der Calmen die wohltätige Trockenheit auf dem Deck und den kühlenden Wind, sowie die nunmehr wieder regelmäßigen Bewegungen des Schiffes zu würdigen. Auch die Sicherheit, mit welcher die Mannschaft nunmehr ihre Freizeit genießen kann, ohne darauf vorbereitet sein zu müssen, in jedem Augenblick an die Brassen gerufen zu werden, begeistert sie zu heiterm Gesang. Ganz sind wir aus dem Gebiet der Überraschungen aber doch noch nicht hinaus, da wir uns in dem Meeresgebiet befinden, wo Neptun auch heutzutage noch seinen Spuk treibt. Eben in dem Augenblick, wo die Lorelei mit so viel Gefühl gesungen wird, wie nur der Matrose bei diesem Lied abgeben kann, und wo die einzelnen Töne so weit getragen werden, daß sie gar kein Ende finden wollen, ertönt von der Außenseite des Schiffes aus des Meeres Tiefe im tiefsten Baß der dumpfe Ruf ›Schiff ahoi!‹ worauf sofort der Gesang verstummt. Der Wachtoffizier ruft zurück ›Ai, ai!‹ (gleichbebedeutend mit ›Wer da?‹), worauf die Antwort kommt:
›Triton, der Adjutant Neptuns‹
In kurzer Wechselrede, welcher auch der vorher über den Zeitpunkt des Besuchs verständigte Kommandant beiwohnt, fragt Triton nach Name und Bestimmung des Schiffs, woher es kommt, wohin es geht, und bittet dann beizudrehen, damit er an Bord kommen könne, um einen für dieses Schiff bestimmten Brief seines Herrn abzugeben. Diesem Wunsch wird auf Befehl des Kommandanten entsprochen, und die vorher so sorglos singenden Matrosen müssen dem Kommandoruf folgen und die Brassen bedienen. Wird das Schiff auch nicht tatsächlich beigedreht, so werden doch die Segel des Großmastes vorübergehend back gebraßt, um hiermit die Uneingeweihten, welche in der Mehrzahl sind, zu täuschen und sie mit dem Zauber des Geheimnisvollen vorübergehend zu fesseln. Es ist ein alter Seemannsscherz, welcher wohl so bald noch nicht aussterben wird. Sobald die Segel back gelegt sind, hört man hinten am Schiff an der Leeseite Begrüßungsworte und die Mannschaft sieht im Schein einiger Laternen eine stattliche Erscheinung in weißem Bart, mit grünem Laubkranz auf dem Haupt, sich über die Reling schwingen und dann die Kommandobrücke betreten, um den Kommandanten zu begrüßen und diesem unter Hersagen einiger Knittelverse einen großen Brief zu überreichen. Die Verse, welche so laut gesprochen werden, daß man sie überall auf dem Deck gut hören kann, besagen ungefähr dasselbe, was der Brief enthält: sie künden den Besuch Neptuns an, welcher am Nachmittag des nächstfolgenden Tages auf dem Schiff die Linientaufe abhalten will, und schließen mit dem Reim:
Und damit Sie vergessen den Triton nicht,
Geh' jetzt von Bord ich mit Feuer und Licht.
Sobald Triton die Kommandobrücke verläßt, werden, um seinen Abgang zu maskieren, die Segel wieder vollgebraßt, und nach dem Manöver sieht man im Kielwasser des Schiffs sein feuerspeiendes Boot, eine brennende, mit Teer und sonstigen Brennstoffen gefüllte Tonne, treiben. Wohl mancher Neuling, der den Scherz noch nicht kennt, wird mit abergläubischem Empfinden in die dunkle Nacht dem feurigen Spuk nachschauen, welcher in immer weitere Ferne rückt, bis er verlöschend verschwindet.
Der Äquator ist passiert, wir befinden uns auf der südlichen Erdhalbkugel, wo die Welt ebenso aussieht, wie auf der nördlichen. Es ist zwei Uhr nachmittags, und das Schiff ist bereit, Neptun zu empfangen. Die leichtern Segel sind festgemacht, damit das Schiff auch stärkere Böen vertragen kann; der routinemäßige Dienst fällt für den Rest des Tages aus; große Bütten stehen auf dem Achterdeck für den Taufakt bereit, die Spritzenschläuche liegen auch schon da, denn Neptun gebraucht viel Wasser. Hornsignaltöne, welche sich bald mit einem musikalischen Geräusch vermischen, kündigen den hohen Besuch an. Der Zug kommt.
Voran schreitet das Musikkorps und spielt einen Marsch. Dahinter folgt ein von sechs Negern gezogener Wagen, auf welchem Neptun thront; ein siebenter Neger trägt ihm die Schleppe. Die Neger haben nur Badehosen an und sind sonst mit Pottlot schön blank gewichst, haben große blecherne Ringe in den Ohren und einige rote Malereien auf ihrem schwarzen Körper. Neptun selbst trägt ein weißwollenes Unterhemd, gestrickte Unterhosen, weiße Strümpfe, eine Krone auf dem Kopf und eine Harpune in der Hand, er hat einen langen weißen Bart und als Obergewand ein prächtiges Gemisch von bunten Flaggen. Hinter diesem König der Meere erscheint sein Gefolge, es sind ein heidnischer Priester, Triton, der Astronom Neptuns, der Aktuar, ein Barbier mit seinem Gehilfen und vier Polizisten. Triton ist noch bevorzugt in seinem Anzug, denn eine blecherne Halbkrone schmückt sein Haupt, und ein weißer Bart verleiht seinem Gesicht die entsprechende Würde; der Anzug besteht ebenfalls in gestricktem Unterzeug, nur daß er blaue Strümpfe und nette blanke Schuhe trägt, da er nicht wie Neptun fahren kann, sondern gehen muß; sein besonderes Abzeichen ist ein großes papiernes Fernrohr. Der Astronom hat gewöhnlich Zivilkleidung an und sieht aus wie ein junger Bauer in seinem Sonntagsstaat. Der Priester ist wie ein Pope gekleidet. Der Aktuar macht den Eindruck eines altmodisch gekleideten Müllers, hat einen weißen Bart und auf dem Kopf einen riesigen Zylinderhut aus weißem Papier. Der Barbier ist ein Lump mit zerrissenen Kleidern und Stiefeln, mit einem Pflaster vor dem einen Auge, mit schiefem Rücken, und ist bewaffnet mit Instrumenten von ungeheuerlichen Dimensionen; diese sind Schere, Rasiermesser, Zahnzange und eine Flasche mit Lebenselixier, welches ein Gemisch aus Seewasser und Essig ist. Der Gehilfe des Barbiers hat das Äußere eines italienischen Fischers; seine Kopfbedeckung besteht in einem langen, blauwollenen Strumpf, sein Handwerkszeug ist ein Eimer mit Meerschaum, welcher aus Sodalauge und grüner Seife hergestellt ist. Was der Barbier und sein Gehilfe haben, ist mithin alles von grober Art. Die Polizisten sind in einer Phantasieuniform, mit Säbeln und Knuten bewaffnet, um die widerspenstigen Täuflinge zur Stelle zu bringen.
Der Zug hält vor der Kommandobrücke, und Triton besteigt dieselbe, um das Schiff durch die Privatgefilde Neptuns hindurchzuführen, er läßt ›Alle Mann auf‹ pfeifen und die Untersegel wegnehmen. Darauf hält Neptun seine würdevolle Ansprache, in deren Abfassung die Unteroffiziere in der Regel Meister sind, freut sich, ein Schiff des mächtigen Deutschen Reichs wieder begrüßen zu können, und bringt ein dreifaches donnerndes Hoch auf den deutschen Kaiser aus. Im weitern Verlauf begrüßt er Kommandant und Offiziere, sagt die allgemeine Taufe an und verspricht, dafür das Schiff auf seiner ferneren Reise beschützen zu wollen.
Um einen Begriff von der Dichtart unserer deutschen Seeleute zu geben, wollen wir eine solche Ansprache hier folgen lassen:
Allgemeine Begrüßungsrede Neptuns.
Seid mir gegrüßt, ihr biedern deutschen Brüder,
Willkommen mir in meines Reiches Mitte,
Von ferne schon vernahm ich eure Lieder,
Begleitet mit der heimatlichen Bitte.
Die Freude thront auf eurem Angesicht,
Mutvoll erheben sich die Augenlider,
Euch seh' ich gerne, euch vergeß' ich nicht,
Denn ich erkenn' in euch die alten Deutschen wieder,
Die nie sich beugten unter fremdes Joch.
Wenn sie der Übermacht auch unterlagen,
Stets flatterten Germanias Banner hoch.
Denn ihr seid nicht gewohnt, ein fremdes Joch zu tragen.
Bleibt stets dieselben, gilt's das Vaterland,
Zu seinem Schutz reicht willig eure Hand.
Ihr seid die Zeugen einer großen Zeit,
Geeinigt ist das Deutsche Reich erstanden,
Das Blut von tausend Brüdern hat den Bund geweiht
Und fest gekittet eurer Fürsten Banden.
Jüngst mein Triton kam mir zu berichten:
›Die »Moltke« schwimmt auf meine Hauptstadt zu.‹
Sogleich gab ich Befehl, der Hofstaat soll sich rüsten
Und seine Pflicht ein jeder eifrig tun.
Daß ihr jetzt angelangt in meiner Hauptstadt Kreisen,
Wird niemand doch von euch in Zweifel ziehn,
Sonst kann ich's euch auch mit der Tat beweisen,
Der Astronom sofort die Höhe nehm':
›Ich schwör's bei meinem Bart,
Es ist genau der nullte Grad.‹
Daß gut und echt die Instrumente sind,
Besagt die Firma ohne Zweifel,
Bei mir macht sie fast jedes kleine Kind,
Sonst hole sie gleich allesamt der Teufel.
Ein jeder fast, der auf der Reise
Hier jetzt den nullten Grad passiert,
Der wird getauft nach alter Weise
Und ihm der Bart glatt abrasiert.
Mein Triton wird die Taufe leiten
Und euch zum Taufstein hin geleiten.
Doch ehe wir zu dieser Handlung schreiten,
Halten wir erst große Cour,
Denn gegen alten Brauch wird doch wohl niemand streiten,
Man stelle mir die Herren alle vor.
An den Kommandanten.
Ihr waret lange nicht hier,
Doch ich weiß gewiß, Ihr waret stets gern in meinem Revier.
Ihr durchfuhrt schon sehr oft das Meer,
Doch führte der Weg Euch selten hierher.
Und jetzt hier als Kommandant von diesem Schiff
Bringt ich Euch die besten Wünsche dar,
Zu wahren Eures Schiffes Kiel vor jedem Riff,
Steht zu Gebot Euch stets meine ganze Schar.
Fahret noch lange zu Deutschlands Schutz und Wehre,
Durch Euren Mut erwerbt Ihr stets Ruhm und Ehre.
Und da Ihr Euch stets brav bewährt,
Sei Euer der Orden vom Fisch mit dem Schwert.
An den ersten Offizier.
Endlich wieder da.
Ich habe mich schon längst nach Euch gesehnt;
Doch Jahre sind verflossen, daß ich Euch nicht sah,
Obgleich ich mich sehr an Euch gewöhnt.
Denn wer, wie Ihr, stets strebt, Recht zu üben,
Den muß jedermann stets ehren, achten, lieben.
Dem Verdienst geb' ich gern seine Krone
Und Euch den Orden vom Delphin zum Lohne.
An den Navigationsoffizier.
Ich hatte schon längst das Verlangen,
Euch auch einmal in meinem Reich zu fangen;
Doch Jahre und Jahre verflogen
Und immer noch wiegtet Ihr Euch auf Baltiks Wogen.
Meinen Triton, den wollt' es zuletzt verdrießen,
Daß Ihr nicht kommt, die Freuden meines Hofs zu genießen,
Er zog Euch deshalb zum Süden hin,
Und ich hoffe, es gereiche Euch zum Gewinn.
Als Zeichen meiner Gewogenheit
Sei Euch der Orden vom Hai bereit.
An den Stabsarzt.
Persönlich Euch Beifall zu geben
War lange mein Wunsch, mein eifriges Streben,
Denn Achtung dem Manne, der Gutes erstrebt,
Der nicht für sich selbst, der für die Menschheit auch lebt.
Drum mir ein Rezept,
Das bitter nicht schmeckt,
Und dann Eure Verdienste würdig zu lohnen,
Sei euer das Hauskreuz der Tritonen.
usw.
An die Kadetten.
Die Kadetten alle zusammen
Haben gewiß ein großes Verlangen,
Noch recht oft hier zu erscheinen,
Und ich will's auch stets gut mit ihnen meinen.
An die Besatzung.
Ihr andern alle, groß und klein,
Die ihr hier um mich steht,
Ihr müßt recht fromm und artig sein,
Wenn ihr zur heiligen Taufe geht.
Nun lebet wohl, bleibt treu und brav und tapfer,
Steht fremden Nationen stets als Vorbild da,
Dem Vaterland bringt willig jedes Opfer,
Seid stolz auf eure Flagge hier und da,
Dann wird Neptun euch stets als Freunde grüßen,
Bis ihr die große Lebensreise werdet beschließen.
An den ersten Offizier.
Ihr werdet mir doch die Freude machen
Und die Taufe der Herren Offiziere überwachen?
Ich selber kann es heute nicht,
Da mir dazu die Zeit gebricht.
Danach kommandiert Neptun ›Posten ablösen‹, und Leute aus seinem Gefolge besetzen die verschiedenen Posten, damit die abgelösten Mannschaften an der Taufe teilnehmen können.
Der Astronom stellt nunmehr seine Beobachtungen an, erzählt, was er alles kann, und gibt schließlich den Zeitpunkt an, wann das Schiff für das heutige Fest den Äquator überschreitet. Der Heidenpriester besteigt ein leeres Faß und verliest eine längere salbungsvolle Rede, die namentlich auf die Hauptschmierfinken des Schiffes gemünzt ist und worin diesen versprochen wird, daß heute die Taufe sie endlich einmal rein waschen wird; im übrigen werden der Mannschaft recht gut gehaltene Lehren erteilt. Der Aktuar verliest hierauf die Namen der noch nicht Getauften und verleiht im Namen Neptuns einige Orden. So den ›Schweineorden mit Miststrahlen‹ an den unsaubersten Mann, den Orden der ›Schlauheit‹ an den Dümmsten; das letztere Schaustück zeigt einen weißen Rand der Unschuld mit der Photographie des Besitzers in der Mitte. Nachdem endlich der Barbier noch seine Künste angepriesen hat, geht die eigentliche Taufe vor sich. Die noch nicht getauften Offiziere werden von ihren Kameraden zwar tüchtig, aber immer noch zart abgebadet; dann folgen die Deckoffiziere, diesen die Unteroffiziere und am Schluß die Mannschaften; und es wird immer gröber. Der Täufling wird über einem großen Waschfaß auf ein Brett gesetzt, das Faß ist voll Seewasser. Je nach seinem früheren Betragen wird er härter oder milder angefaßt. Die mildeste Form ist, daß er eingeseift und rasiert wird, dann fühlt er das Brett unter sich schwinden und wird zwei- bis dreimal untergetaucht. Andern werden mit der großen hölzernen Schere noch die Haare verschnitten, beziehungsweise ausgerupft; Zähne ausgezogen, das heißt mit der Zange in die Zunge gekniffen; oder aber sie erhalten Magentropfen, indem ihnen die Nase zugehalten und die Flasche mit Seewasser und Essig in den Mund gehalten wird, so daß sie das Zeug trinken müssen; auch müssen sie durch ein Sprachrohr den Namen des Schiffes rufen, wobei gleichzeitig in das andere Ende des Sprachrohrs ein Eimer mit Wasser gegossen wird. Während dieser verschiedenen Späße, welche gewiß nicht zart sind, aber doch beiden Teilen viel Spaß machen, sind fortgesetzt zwei Spritzenpumpen in Bewegung, an welchen die Leute in der Hitze mit wahrer Todesverachtung sich halb zu Tode arbeiten und sich dabei einbilden, daß sie sich ganz wundervoll amüsieren.
Das von den Spritzen gewonnene Wasser ist in der Weise für die Delinquenten bestimmt, daß die Mundstücke der Schläuche oben in den Rücken, von unten in die Hemdsärmel und unten in die Hosenbeine gesteckt werden und unter das Zeug soviel Wasser gespritzt wird, als die Pumpen schaffen können. Das ganze Schiff ist ein See, und nur die wenigen Personen auf der Kommandobrücke bleiben trocken. Es ist der ewig neue, alte Spaß, es wird viel gelacht, und sobald die Sache anfängt zu bunt zu werden, schickt der Kommandant den Herrn Neptun mit seinem Gefolge nach Haus. Der mit so vielem Pomp herangekommene Zug ordnet sich wieder; Meeresgötter und Zuschauer können kaum noch jappen, so haben sie sich abgearbeitet. Die Musikanten sind naß und können nicht mehr recht, die Neger sind zu Schecken geworden, die Würdenträger sind ohne Würde, und so zieht die Gesellschaft wie die naß gewordenen Pudel wieder ab. Abends gibt es Grog, die Offiziere trinken eine Bowle, und gegen zehn Uhr ist alles wieder in der gewohnten Ordnung, nur das Schiff führt ausnahmsweise wenig Segel, da die vielen kleinen Räusche, welche der Grog doch zurückgelassen hat, diese Vorsicht wünschenswert erscheinen lassen.
Eine solche althergebrachte Sitte hat immer einen großen Nutzen. Was die letzten zwei Monate nicht zustande bringen konnten, hat dieser eine Nachmittag bewirkt: die sich vielfach noch fremd gegenüberstehenden Leute der Mannschaft sind auf einmal miteinander bekannt, es weht ein ganz anderer Geist durch das Schiff, welcher den dienstlichen Verhältnissen auch nur Vorteil bringen kann.«
In der Nacht zum 3. Oktober nähert man sich Kap Frio, einem Vorgebirge, auf dem ein Leuchtturm steht, der den Weg in die Bucht von Rio de Janeiro weist. Trotzdem es schon Mitternacht ist, schlafen verhältnismäßig wenig Leute auf dem Schiffe. Der Kommandant steht auf der Kommandobrücke, neben ihm der Navigationsoffizier, der sich in begreiflicher Unruhe befindet, denn nach seiner Berechnung muß zu bestimmter Stunde das Leuchtfeuer von Kap Frio auftauchen, wenn er sich bisher nicht geirrt hat.
An die Ankunft in Rio de Janeiro knüpfen Offiziere und Mannschaften viele Hoffnungen. Die Verheirateten erwarten Briefe und Nachrichten von zu Hause, die Unverheirateten erwarten Zeitungssendungen, die Mannschaften freuen sich auf den Landurlaub und auf die Genüsse, welche die ehemalige Hauptstadt des Kaisertums Brasilien ihnen bringen soll.
Pünktlich auf die Minute erscheint das Leuchtfeuer von Kap Frio, und als am Morgen die Sonne aufgeht, liegt die schönste Bucht der Welt, der Hafen von Rio de Janeiro, vor den Augen der Besatzung der »Moltke«.
Amerigo Vespucci schrieb 1504, als er zu der Entdeckung auszog, um derentwillen nach ihm Amerika den Namen erhielt, von der Bucht von Rio de Janeiro:
»Wenn es in der Welt ein Paradies gibt, so kann es nicht fern von dieser Gegend sein.«
Die Bai von Rio de Janeiro ist umrahmt von wechselvollen Höhenzügen, die den Blicken des Reisenden bald schroffe kahle Felsen, bald mit tropischer Vegetation bedeckte Anhöhen bieten.
Ein begeisterter Brasilianer beginnt die Schilderung der Landeshauptstadt mit den Worten:
»Denkt euch die Stadt am Rand eines hundertvierzig Kilometer im Umfang messenden Meerbusens liegend, der, voll von Buchten, Häfen, grünenden Inseln, belebt wird durch große Auswandererschiffe, Dampfer, flache Transportkähne, Schaluppen, mit Reisenden gefüllte Landungsboote, – ein geschützter, sicherer Hafen, auf dem Wege nach zwei Weltteilen gelegen, und sowohl den nach La Plata und den vom Stillen Ozean bespülten Küstenstädten Amerikas bestimmten Schiffen, wie den Dampfern, die nach Australien und New-Orleans fahren, zum Rastort dienend. Eine tropische Landschaft, die in gleichmäßigem Wechsel Hügel und fruchtbare, pittoreske Gebirgszüge trägt, ein Sammelplatz regen Handels, kultiviert, obwohl ein Urwald bis auf einige Meilen nahe, lässig und geschäftig Kaffee in Millionen von Säcken in den Handel bringt und gleichwohl voll Liebe für Kunst, für Bücher und Politik, scheint sie ganz Byzanz zu gleichen, eine unregelmäßige Stadt wie ein antikes Gemeinwesen, tätig wie ein Sitz der Yankees, voller Leben und leichtem Sichgehenlassen: Neuyork, San Francisco und Paris in eins verschmolzen.«
Kommt man an Land, so gelangt man zuerst in die Geschäftsviertel der Stadt. Mit ihren engen, krummen Straßen, den noch schmäleren, finsteren Gäßchen, den niedrigen Häusern, einer erstickenden Luft voll widriger Dünste und Gerüche macht diese Stadt einen recht ungünstigen Eindruck, aber in den Vorstädten herrscht dafür ein ganz modernes Leben. Hier stehen Villen, hier gibt es prachtvolle Gärten mit schlanken Palmen und stachligen Kakteen, mit riesigen Bambuspflanzen und der ganzen üppigen Flora der Tropen. Hier jagen die Straßenbahnen an uns vorüber, deren Führer ununterbrochen zur Warnung ihre Pfeifen ertönen lassen. Hier umtönt uns das Geschrei der ambulanten Verkäufer, hier bieten die Nigger ihre Bonbons und Zuckerwaren aus, hier rufen die Blumenhändler und die Verkäufer von Zeitungen uns an, und außer der Menge der Pferdebahnen fallen dem Besucher auch die zahlreichen Telephonverbindungen auf, die man allenthalben, selbst in den gewöhnlichen Restaurants, findet. In den Warenhäusern lagern tausende von Säcken Kaffee, denn Rio ist der erste Stapelplatz für diese wichtige Ware.
Wer aber die feine Gesellschaft von Rio de Janeiro kennen lernen will, muß sich auf die Ouvidorstraße begeben, ein langer Straßenzug mit den prachtvollsten Läden, aber so schmal, daß Wagen hier nicht fahren dürfen. So bleibt den Fußgängern der Platz zwischen den Häusern überlassen, und hier geht man spazieren, hier sammeln sich Bekannte und Freunde, um Nachrichten und Klatsch auszutauschen, hier gehen die Damen hin, um zu sehen und gesehen zu werden.
Die Genüsse, welche sich die Besatzung der »Moltke« in Rio de Janeiro leisten konnte, waren nur gering an Zahl, denn Rio de Janeiro ist eine der teuersten Städte der Welt, und wer hier große Ausflüge machen oder in den Theatern und Gesellschaftslokalen, in guten Restaurants verkehren will, muß gewaltig tief in seinen Beutel greifen. Der Matrose mit seinem bescheidenen Börseninhalt muß sich darauf beschränken, die Stadt zu bewundern und unter den Schönheiten vor allem die aus Palmen bestehende lange Allee anzustaunen, die nach dem weltberühmten botanischen Garten von Rio de Janeiro führt. Ist doch diese mit Palmen rechts und links besetzte Straße selbst ein Weltwunder.
Hier erlebte ein Teil der Besatzung der »Moltke« ein Abenteuer, dessen Held schließlich der kleine Quadutter wurde, der sich bei dieser Gelegenheit im besten Sinne des Wortes mit Ruhm bedeckte. Als die Urlauber von einem Landgange abends nach dem Schiffe abgeholt werden sollten, fehlten fünf Mann. Zwei von diesen Fehlenden fanden sich am nächsten Morgen ein und wurden sofort mit Arrest sowie Entziehung jeglichen Landurlaubs für mehrere Monate bestraft. Drei Mann kamen aber auch im Laufe des nächsten Tages nicht zurück. Der Kommandant und der erste Offizier waren außer sich. Die drei Matrosen, welche fehlten, waren sehr tüchtige Leute, es war daher nicht anzunehmen, daß sie desertiert seien.
Es geschieht ja selten, daß von einem deutschen Kriegsschiffe Leute desertieren, aber es kommt doch vor, es gibt eben Leute, die es nirgend aushalten, die einen derartigen Drang nach Abenteuern haben, daß sie des Schiffsdienstes schon nach einiger Zeit müde werden und sich ordentlich danach sehnen, Fährlichkeiten durchzumachen und Erlebnisse zu haben, vor denen jeder andere solide Mensch zurückschrecken würde. Solche Deserteure sehen meist schon nach kurzer Zeit ein, welche Torheit sie begangen haben. Sie werden gewissermaßen heimatlos, nicht nur in bezug auf Deutschland, sondern für alle Städte mit lebhaftem Verkehr, in denen sich ein deutscher Konsul befindet. Solche Städte dürfen die Deserteure, wenn sie Dienst auf einem anderen Schiff nehmen wollen, nicht zu betreten wagen, weil ihnen jedesmal die Gefangennahme durch den deutschen Konsul droht. Sie müssen auf den erbärmlichsten, schlechtesten Schiffen bleiben und kommen schließlich dazu, sich freiwillig beim deutschen Konsulate zu melden. Sie werden auf Kosten des Deutschen Reiches nach der Heimat zurückgeschickt, und hier erhalten sie schwere Strafen: Degradation, Festungshaft und Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes, und außerdem müssen sie nach der Entlassung von der Festung unter höchst erschwerenden Umständen doch ihre volle Dienstzeit nachleisten.
Es war, wie gesagt, nicht anzunehmen, daß die drei Mann desertiert waren. Der zweite Tag verging und der erste Offizier begab sich zum Kommandanten in dessen Kajüte, um über diese Angelegenheit mit ihm zu sprechen.
»Gestatten der Herr Kommandant, daß ich Nachforschungen an Land nach den Vermißten anstellen lasse.«
»Tun Sie das nur,« sagte der Kommandant, »aber ich fürchte, es wird nichts helfen. Der Vorfall ist mir im höchsten Grade unangenehm, um der vorgesetzten Behörde und um der ganzen Schiffsdisziplin willen. Welch ein schlechtes Beispiel geben doch diese Deserteure den Schiffsjungen, und wie viel Schreibereien werden wir von der Sache haben!«
»Herr Kommandant verzeihen, aber ich möchte fast annehmen, daß die Leute nicht desertiert, sondern daß sie in die Hände von Landhaifischen gefallen sind.«
»Dann sind sie auch für uns verloren, wenigstens als tüchtige Leute. Die Landhaifische werden sie zurückbehalten, bis die Leute der Desertion schuldig sind, und werden sie uns dann für die übliche Prämie ausliefern. Im übrigen habe ich nichts dagegen, daß Sie noch einen Versuch machen, die Leute zu entdecken und wieder auf das Schiff zurückzubringen.«
Die Landhaifische, von denen der Kommandant hier sprach, sind Gauner, welche sich in vielen großen überseeischen Hafenstädten vorfinden und hier einen wahren Menschenhandel treiben. Der Kriegsschiffmatrose, besonders der deutsche, ist vertrauensselig, weil er selbst ein offener, ehrlicher Mensch ohne Tücke und Hinterhalt ist. Diese sogenannten Haifische locken die Matrosen in Schenken, geben ihnen hier berauschende Medikamente in Bier oder Wein zu trinken und schleppen die ihrer Sinne nicht mehr Mächtigen in Verstecke, wo sie sie einschließen. Wenn der Matrose länger als drei Tage vom Schiff ohne Urlaub fortbleibt, wird er zum Deserteur. Die Haifische wissen das wohl, und auch, daß der Schiffskommandant nach drei Tagen Prämien auf das Wiedereinfangen der Deserteure aussetzt, gewöhnlich werden pro Mann sechzig Mark geboten. Dann liefern eventuell die Haifische die durch ihre Nichtswürdigkeit zu Deserteuren und unehrlichen Soldaten gewordenen Matrosen gegen Bezahlung aus, worauf die Unglücklichen natürlich auf dem Schiffe die schwere Strafe wegen Desertierens erhalten. In vielen Fällen aber verkaufen die Haifische die Leute, die sie in ihre Gewalt bekommen haben, entweder an Plantagenbesitzer im Innern des Landes, wo die Unglücklichen zu weißen Sklaven werden und für schlechte Bezahlung die schwersten Arbeiten verrichten müssen, oder die durch künstliche Mittel Betäubten finden ihre Sinne auf irgendeinem Walfischfahrer wieder, der längst den Hafen verlassen hat und dem Südpol zustrebt.
Ein anständiger Seemann nimmt auf einem Walfischfahrer keinen Dienst. Die Besatzung eines solchen besteht aus den schlechtesten Elementen, aus verkommenen Subjekten, sehr oft aus Verbrechern, die sich vor der sie suchenden Polizei verbergen wollen. Dann ist das Auskochen der Walfische, die monatelange Beschäftigung mit dem Tran sehr unangenehm, Kost und Behandlung sind so miserabel, daß freiwillig ein tüchtiger Seemann niemals auf einen solchen »Waler« geht. Man bringt daher die Berauschten an Bord, und die Landhaifische bekommen natürlich von den Führern der Waler für jeden bewußtlosen Mann, den sie mit List an Bord bringen, anständige Bezahlung. Ist der Unglückliche erst wieder zu Verstande gekommen, wenn sich das Schiff weit ab vom Lande befindet, dann hilft ihm sein Jammern ebensowenig wie sein Trotz. Den letzteren bricht man eventuell durch barbarische Behandlung und durch die schrecklichsten Prügel und Verwundungen. Vorläufig muß der gepreßte Matrose doch bis zum Ende der Fahrt aushalten, und auf jeden Fall ist er Deserteur geworden und wird von seiner Heimatsbehörde steckbrieflich verfolgt.
Bootsmanns-Maat Rättmann, genannt der kleine Quadutter, hatte sich bei dem ersten Offizier freiwillig gemeldet.
»Herr Korvettenkapitän,« sagte der kleine Quadutter, »ich glaube, ich weiß, wo unsere Leute sind und ich möchte einen Versuch machen, sie zu holen, bevor die drei Tage abgelaufen sind.«
Der erste Offizier sah sich den kleinen Quadutter sehr genau und prüfend an.
»Ich hoffe, Sie wollen mir nichts vorkohlen,« meinte er, »um ein paar Tage Extralandurlaub herauszuschlagen. Sie wissen, daß Sie es mit mir auf immer verderben, wenn Sie solche Geschichten machen.«
»Nein, Herr Korvettenkapitän, ich habe eine bestimmte Vermutung, daß unsere Leute in einer Pulqueria, in der abscheulichen Vorstadt, die von Niggern bewohnt ist, festgehalten werden. Ich möchte mir von einem der Herren Deckoffiziere einen Zivilanzug borgen, und wenn ich dann noch einen Revolver und einiges Geld bekäme, will ich alles versuchen, unsere Leute zurückzubringen.«
»Sehen Sie zu, daß Sie einen Anzug zusammenstoppeln, der Ihnen einigermaßen paßt,« sagte der erste Offizier, »ich will Ihnen meinen Revolver borgen, aber seien Sie vorsichtig damit, daß Sie nicht selbst zu Schaden oder gar ums Leben kommen, und machen Sie keine Dummheiten, die uns bei der Polizei von Rio in Unannehmlichkeiten bringen.«
»Ich werde mein Bestes tun,« versicherte der kleine Quadutter, und am Morgen des dritten Tages, seitdem die drei Matrosen verschwunden waren, ging er mit der Dampfbarkasse an Land. Er hatte von den Matrosen der »Moltke«, die er beim ersten Landurlaub getroffen hatte, gehört, daß in einer bestimmten Pulqueria Niggerlieder und Niggertänze vorgeführt werden sollten. Die Matrosen sehen sich sehr gern diese Tänze an, weil sie sie nachzuahmen versuchen.
Eine Pulqueria ist ein Ort, wo Pulque, das heißt der sehr berauschende, gegorene Saft der Agavepflanze, ausgeschenkt wird. In den Pulquerien untergeordneten Ranges verkehrt fast ausnahmslos Gesindel.
Der kleine Quadutter fand die Pulqueria, sah auch hier eine Anzahl von wenig vertrauenerweckenden Gästen männlichen und weiblichen Geschlechts, konnte aber sonst Verdächtiges nicht entdecken. Er blieb mehrere Stunden in der Pulqueria, machte eine ganz anständige Zeche, hielt die anwesenden Gäste frei und suchte mit dem Wirt näher bekannt zu werden. Der Inhaber der Pulqueria, ein Portugiese, hatte eine Galgenphysiognomie, und der kleine Quadutter war überzeugt, daß man dem Kerl alles Böse zutrauen könne.
Nach stundenlangem Aufenthalt wollte er sich unverrichteter Sache wieder fortbegeben, um noch einige andere Lokale aufzusuchen, als er unter dem Tische ein kleines Stückchen Seidenband liegen sah, das seine Aufmerksamkeit fesselte. Es war schwarzes Band, auf dem sich die goldgestickten Buchstaben »ke« befanden. Es war also ein abgerissener Teil von einem Mützenband, auf dem höchstwahrscheinlich der Name »S. M. Schulschiff Moltke« gestanden hatte. Die Matrosen trugen solche Mützenbänder, und auf gewöhnlichem und unverdächtigem Wege konnte dieser Fetzen des Mützenbandes nicht auf den schmutzigen Boden des Hauptraumes in der Pulqueria gekommen sein.
Der kleine Quadutter tat, als habe er nichts bemerkt, verließ am Nachmittag die Pulqueria, stieg noch durch einige Straßen und kehrte dann gegen Abend wieder in der Pulqueria ein. Es war jetzt gar kein Gast vorhanden, und nachdem der kleine Quadutter etwas Wein bestellt hatte, nahm der Wirt ein Licht und einen Schlüsselbund, öffnete eine Tür hinter dem büffetartigen Raume, wo die Getränke verkauft wurden und schickte sich an, eine Treppe hinunter in den Keller zu steigen. In demselben Augenblick durchschoß das Gehirn des kleinen Quadutters ein Gedanke, nämlich daß in diesem Keller sich die drei mit Gewalt zurückgehaltenen Kameraden befinden könnten.
Der Wirt wollte soeben die Kellertür wieder hinter sich verschließen, als der kleine Quadutter mit einem einzigen Satz über den Schänktisch sprang und mit solcher Wucht auf den nichtsahnenden Gauner von Portugiesen losschoß, daß er mit ihm zusammen einige Stufen in den Keller hinunterstürzte. Der Portugiese schrie laut auf und auch der kleine Quadutter war einen Augenblick lang betäubt, dann aber raffte er sich auf, riß den Revolver aus der Tasche, hielt den harten, kalten Metalllauf an die Schläfe des Portugiesen und sagte ihm in gebrochenem Portugiesisch:
»Du hast meine Kameraden versteckt! Gib sie heraus oder ich zerschmettere dir den Schädel!«
Wahrscheinlich hätte sich der Wirt zur Wehr gesetzt, aber bei dem Sturz hatte er sich den Knöchel verstaucht, und als ihm der kleine Quadutter jetzt einen Fußtritt gab, schrie er laut auf vor Schmerz. Er schwieg aber und deshalb fing der kleine Quadutter laut an zu schreien:
»Moltke! Leute von der Moltke! Ist hier jemand von der Moltke?«
Ein schwacher Ruf antwortete, der aus einem weit entfernten Raum zu kommen schien. Der ächzende und stöhnende Wirt hatte einen Schlüsselbund bei sich. Diesen nahm ihm der kleine Quadutter ab, zündete das Licht an und ging mit gespanntem Revolver jetzt in einen langen Kellergang, von dem rechts und links Türen in abgesonderte Räume führten. Auf seinen wiederholten Ruf erhielt er endlich Antwort, schloß einen Kellerraum auf und fand hier gebunden am Boden liegend die drei unglücklichen Kameraden. So schnell wie möglich befreite er sie, aber die Leute waren von dem tagelangen Zusammenschnüren ihrer Gliedmaßen so erlahmt, daß sie sich lange nicht bewegen konnten. Der kleine Quadutter trieb sie an, sich so rasch es ging aus dem Keller zu entfernen. Er half ihnen beim Heraussteigen, rief auf der Straße den nächsten brasilianischen Polizisten an, um ihm mitzuteilen, was vorgefallen war, und brachte dann vor allem die drei Matrosen nach dem Schiffe zurück. Wie ein Triumphator erschien hier der kleine Quadutter mit den drei Kameraden.
Nachdem er seinen Bericht beim ersten Offizier und beim Kommandanten abgestattet, die verdiente Belobigung und auch klingenden Lohn in Gestalt mehrerer Goldstücke erhalten hatte, konnte er an der Hobelbank seine Erlebnisse zum besten geben. Eine Stunde darauf wußte man bis in den letzten Winkel des Schiffes, kannte jeder Schiffsjunge die Heldentat, welche der kleine Quadutter verübt hatte.
»Der kleine Quadutter ist doch ein Mordskerl!« hieß es.
Das Schiffskommando forderte natürlich von der Polizei von Rio die strenge Bestrafung des gaunerischen Wirtes, und man hatte die Genugtuung, noch bevor das Schiff den Hafen verließ, zu erfahren, daß der Gauner mit seinen Komplizen, welche die Polizei bei ihm abfing, verhaftet sei und einer schweren Bestrafung entgegensehe.
Am dritten Tage nach der Abfahrt von Rio de Janeiro stritt man sich während der Freizeit an der Hobelbank darüber, was dem kleinen Quadutter wohl geschehen wäre, wenn der Wirt der Pulqueria, den er in den Keller warf, nicht schuldig gewesen wäre. Die Meinungen gingen weit auseinander und die sonderbarsten Ansichten wurden entwickelt, da Seeleute eben keine Rechtsgelehrten sind.
»Überhaupt,« sagte Klampe, »gibt es darüber gar keinen Streit. Was mein bester Freund ist, der tüchtigste Mann aus der englischen Marine, der Zimmermannsmaat Pittmann, hat das auch gesagt, und außerdem meinte er noch – –«
Eine Minute, nachdem Klampe diese Rede begonnen hatte, die sehr inhaltreich zu werden versprach, stand er an der Hobelbank allein. Sämtliche anderen Maate waren geflüchtet.
Warum war dieser englische Maat Pittmann für sie ein derartiger Gegenstand des Schreckens?
Um eine genügende Auskunft zu geben, müssen wir etwas weit ausholen. Klampe war ein bedeutender Engländer, was die Sprache anbelangt, und nach seiner eigenen Meinung. Es gab freilich Leute, welche das Gegenteil behaupteten und welche meinten, Klampe habe keine Ahnung von der englischen Sprache. Aber böse Menschen, Neider und Feinde gibt es eben überall! Klampe sprach natürlich Plattdeutsch und das ist ja verwandt mit dem Englischen. Dann gibt es eine Anzahl von Wörtern, die im Englischen genau so lauten, wie im Deutschen, wenn auch die Schreibweise eine verschiedene ist, zum Beispiel »good" – »gut«, »fine" – »fein«. So war allmählich bei Klampe die Überzeugung aufgedämmert, daß Englisch etwas ganz Leichtes sei, und daß man nur einen gewissen Kniff in der Aussprache anwenden müsse. Er gewöhnte sich an, deutsche Worte englisch auszusprechen und zwar a wie e, e wie i, i wie ei, o wie ö und u wie ju. Wenn er dann noch Plattdeutsch dazwischen redete, so entstand ein wunderbares Mixtum compositum von Sprache, das aus weiter Entfernung wie Englisch klang und aus dem man hin und wieder ein verständliches Wort heraushörte.
Die Bekanntschaft des englischen Zimmermannsmaaten Pittmann hatte Klampe in Plymouth gemacht. Er hatte einen ganzen Tag mit dem Manne herumgetrunken und auch ihm seine Ansicht über Holzschiffe und Dampfmaschinen mitgeteilt. Um sich besser verständlich zu machen, hatte Klampe das Wort »Holz« nach seinem Englisch »Hölz« ausgesprochen.
Dieses Wort klang fast genau so wie das englische Wort » health«, das heißt »Gesundheit«, und auf die beständige Erklärung
» Hölz very gut, Hölz very fein!«
antwortete Pittmann, der glaubte, Klampe singe ein Loblied auf die Gesundheit, immer flottweg
» Oh yes, health very fine, health very good!«
So entstand eine wunderbare Übereinstimmung zwischen den beiden, wenigstens was das Trinken anbelangte, gleich gestimmten Seelen. Wenn sie sich gegenseitig nicht verstanden, dann halfen sie sich mit dem stereotypen » oh yes« oder » oh no« aus, und am Abend des vergnügt verbrachten Tages waren Pittmann und Klampe der Überzeugung, sich großartig unterhalten zu haben. Außerdem war Klampe nun des festen Glaubens, er sei ein ausgezeichneter Engländer. Der Engländer Pittmann, den er nie wieder sah, wurde nunmehr zu einer Autorität, die er überall anführte, auch an unpassenden Orten, und schließlich verwendete er die mythische Figur Pittmanns, um alle Behauptungen, die ihm von den Kameraden an der Hobelbank nicht geglaubt wurden, zu erhärten. Da Klampe überdies sehr grob wurde, wenn man die Unfehlbarkeit des von ihm zitierten Pittmann nicht gelten lassen wollte, ließen sich die anderen Maate gar nicht mehr auf Streitigkeiten und Disputationen ein, wenn erst der berühmte Pittmann aus das Tapet kam. Lieber brachen sie das Gefecht ab und liefen davon!
Deshalb murmelte Klampe jetzt nur das Wort:
»Schafsköppe!«
und stopfte sich seine Tonpfeife.