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Szene: Wald vor der Höhle des heimlichen Gerichts.
Der Graf vom Strahl (tritt auf, mit verbundenen Augen, geführt von zwei Häschern, die ihm die Augen aufbinden, und alsdann in die Höhle zurückkehren – Er wirft sich auf den Boden nieder und weint). Nun will ich hier, wie ein Schäfer liegen und klagen. Die Sonne scheint noch rötlich durch die Stämme, auf welchen die Wipfel des Waldes ruhn; und wenn ich, nach einer kurzen Viertelstunde, sobald sie hinter den Hügel gesunken ist, aufsitze, und mich im Blachfelde, wo der Weg eben ist, ein wenig daran halte, so komme ich noch nach Schloß Wetterstrahl, ehe die Lichter darin erloschen sind. Ich will mir einbilden, meine Pferde dort unten, wo die Quelle rieselt, wären Schafe und Ziegen, die an dem Felsen kletterten, und an Gräsern und bittern Gesträuchen rissen; ein leichtes weißes linnenes Zeug bedeckte mich, mit roten Bändern zusammengebunden, und um mich her flatterte eine Schar muntrer Winde, um die Seufzer, die meiner, von Gram sehr gepreßten, Brust entquillen, gradaus zu der guten Götter Ohr empor zu tragen. Wirklich und wahrhaftig! Ich will meine Muttersprache durchblättern, und das ganze, reiche Kapitel, das diese Überschrift führt: Empfindung, dergestalt plündern, daß kein Reimschmied mehr, auf eine neue Art, soll sagen können: ich bin betrübt. Alles, was die Wehmut Rührendes hat, will ich aufbieten, Lust und in den Tod gehende Betrübnis sollen sich abwechseln, und meine Stimme, wie einen schönen Tänzer, durch alle Beugungen hindurch führen, die die Seele bezaubern; und wenn die Bäume nicht in der Tat bewegt werden, und ihren milden Tau, als ob es geregnet hätte, herabträufeln lassen, so sind sie von Holz, und alles, was uns die Dichter von ihnen sagen, ein bloßes liebliches Märchen. O du – – – wie nenn ich dich? Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Käthchen, Mädchen, Käthchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Warum kann ich dich nicht aufheben, und in das duftende Himmelbett tragen, das mir die Mutter, daheim im Prunkgemach, aufgerichtet hat? Käthchen, Käthchen, Käthchen! Du, deren junge Seele, als sie heut nackt vor mir stand, von wollüstiger Schönheit gänzlich triefte, wie die mit Ölen gesalbte Braut eines Perserkönigs, wenn sie, auf alle Teppiche niederregnend, in sein Gemach geführt wird! Käthchen, Mädchen, Käthchen! Warum kann ich es nicht? Du Schönere, als ich singen kann, ich will eine eigene Kunst erfinden, und dich weinen. Alle Phiolen der Empfindung, himmlische und irdische, will ich eröffnen, und eine solche Mischung von Tränen, einen Erguß so eigentümlicher Art, so heilig zugleich und üppig, zusammenschütten, daß jeder Mensch gleich, an dessen Hals ich sie weine, sagen soll: sie fließen dem Käthchen von Heilbronn! – – – Ihr grauen, bärtigen Alten, was wollt ihr? Warum verlaßt ihr eure goldnen Rahmen, ihr Bilder meiner geharnischten Väter, die meinen Rüstsaal bevölkern, und tretet, in unruhiger Versammlung, hier um mich herum, eure ehrwürdigen Locken schüttelnd? Nein, nein, nein! Zum Weibe, wenn ich sie gleich liebe, begehr ich sie nicht; eurem stolzen Reigen will ich mich anschließen: das war beschloßne Sache, noch ehe ihr kamt. Dich aber, Winfried, der ihn führt, du Erster meines Namens, Göttlicher mit der Scheitel des Zeus, dich frag ich, ob die Mutter meines Geschlechts war, wie diese: von jeder frommen Tugend strahlender, makelloser an Leib und Seele, mit jedem Liebreiz geschmückter, als sie? O Winfried! Grauer Alter! Ich küsse dir die Hand, und danke dir, daß ich bin; doch hättest du sie an die stählerne Brust gedrückt, du hättest ein Geschlecht von Königen erzeugt, und Wetter vom Strahl hieße jedes Gebot auf Erden! Ich weiß, daß ich mich fassen und diese Wunde vernarben werde: denn welche Wunde vernarbte nicht der Mensch? Doch wenn ich jemals ein Weib finde, Käthchen, dir gleich: so will ich die Länder durchreisen, und die Sprachen der Welt lernen, und Gott preisen in jeder Zunge, die geredet wird. – Gottschalk!
Gottschalk. Der Graf vom Strahl.
Gottschalk (draußen). Heda! Herr Graf vom Strahl!
Der Graf vom Strahl. Was gibts?
Gottschalk. Was zum Henker! Ein Bote ist angekommen von Eurer Mutter.
Der Graf vom Strahl. Ein Bote?
Gottschalk. Gestreckten Laufs, keuchend, mit verhängtem Zügel; mein Seel, wenn Euer Schloß ein eiserner Bogen und er ein Pfeil gewesen wäre, er hätte nicht rascher herangeschossen werden können.
Der Graf vom Strahl. Was hat er mir zu sagen?
Gottschalk. He! Ritter Franz!
Ritter Flammberg tritt auf. Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl. Flammberg! – Was führt dich so eilig zu mir her?
Flammberg. Gnädigster Herr! Eurer Mutter, der Gräfin, Gebot; sie befahl mir den besten Renner zu nehmen, und Euch entgegen zu reiten!
Der Graf vom Strahl. Nun? Und was bringst du mir?
Flammberg. Krieg, bei meinem Eid, Krieg! Ein Aufgebot zu neuer Fehde, warm, wie sie es eben von des Herolds Lippen empfangen hat.
Der Graf vom Strahl (betreten). Wessen? – Doch nicht des Burggrafen, mit dem ich eben den Frieden abschloß? (Er setzt sich den Helm auf.)
Flammberg. Des Rheingrafen, des Junkers vom Stein, der unten am weinumblühten Neckar seinen Sitz hat.
Der Graf vom Strahl. Des Rheingrafen! – Was hab ich mit dem Rheingrafen zu schaffen, Flammberg?
Flammberg. Mein Seel! Was hattet Ihr mit dem Burggrafen zu schaffen? Und was wollte so mancher andere von Euch, ehe Ihr mit dem Burggrafen zu schaffen kriegtet? Wenn Ihr den kleinen griechischen Feuerfunken nicht austretet, der diese Kriege veranlaßt, so sollt Ihr noch das ganze Schwabengebirge wider Euch auflodern sehen, und die Alpen und den Hundsrück obenein.
Der Graf vom Strahl. Es ist nicht möglich! Fräulein Kunigunde –
Flammberg. Der Rheingraf fordert, im Namen Fräulein Kunigundens von Thurneck, den Wiederkauf Eurer Herrschaft Stauffen; jener drei Städtlein und siebzehn Dörfer und Vorwerker, Eurem Vorfahren Otto, von Peter, dem ihrigen, unter der besagten Klausel, käuflich abgetreten; grade so, wie dies der Burggraf von Freiburg, und, in früheren Zeiten schon ihre Vettern, in ihrem Namen getan haben.
Der Graf vom Strahl (steht auf). Die rasende Megäre! Ist das nicht der dritte Reichsritter, den sie mir, einem Hund gleich, auf den Hals hetzt, um mir diese Landschaft abzujagen! Ich glaube, das ganze Reich frißt ihr aus der Hand. Kleopatra fand einen, und als der sich den Kopf zerschellt hatte, schauten die anderen; doch ihr dient alles, was eine Ribbe weniger hat, als sie, und für jeden einzelnen, den ich ihr zerzaust zurücksende, stehen zehn andere wider mich auf. – Was führt' er für Gründe an?
Flammberg. Wer? Der Herold?
Der Graf vom Strahl. Was führt' er für Gründe an?
Flammberg. Ei, gestrenger Herr, da hätt er ja rot werden müssen.
Der Graf vom Strahl. Er sprach von Peter von Thurneck – nicht? Und von der Landschaft ungültigem Verkauf?
Flammberg. Allerdings. Und von den schwäbischen Gesetzen; mischte Pflicht und Gewissen, bei jedem dritten Wort, in die Rede, und rief Gott zum Zeugen an, daß nichts als die reinsten Absichten seinen Herrn, den Rheingrafen, vermöchten, des Fräuleins Sache zu ergreifen.
Der Graf vom Strahl. Aber die roten Wangen der Dame behielt er für sich?
Flammberg. Davon hat er kein Wort gesagt.
Der Graf vom Strahl. Daß sie die Pocken kriegte! Ich wollte, ich könnte den Nachttau in Eimern auffassen, und über ihren weißen Hals ausgießen! Ihr kleines verwünschtes Gesicht ist der letzte Grund aller dieser Kriege wider mich; und so lange ich den Märzschnee nicht vergiften kann, mit welchem sie sich wäscht, hab ich auch vor den Rittern des Landes keine Ruhe. Aber Geduld nur! – Wo hält sie sich jetzt auf?
Flammberg. Auf der Burg zum Stein, wo ihr schon seit drei Tagen Prunkgelage gefeiert werden, daß die Feste des Himmels erkracht, und Sonne, Mond und Sterne nicht mehr angesehen werden. Der Burggraf, den sie verabschiedet hat, soll Rache kochen, und wenn Ihr einen Boten an ihn absendet, so zweifl' ich nicht, er zieht mit Euch gegen den Rheingrafen zu Felde.
Der Graf vom Strahl. Wohlan! Führt mir die Pferde vor, ich will reiten. – Ich habe dieser jungen Aufwieglerin versprochen, wenn sie die Waffen ihres kleinen schelmischen Angesichts nicht ruhen ließe wider mich, so würd ich ihr einen Possen zu spielen wissen, daß sie es ewig in einer Scheide tragen sollte; und so wahr ich diese Rechte aufhebe, ich halte Wort! – Folgt mir, meine Freunde!
(Alle ab.)
Szene: Köhlerhütte im Gebirg. Nacht, Donner und Blitz.
Burggraf von Freiburg und Georg von Waldstätten treten auf.
Freiburg (in die Szene rufend). Hebt sie vom Pferd herunter! – (Blitz und Donnerschlag.) – Ei, so schlag ein wo du willst; nur nicht auf die Scheitel, belegt mit Kreide, meiner lieben Braut, der Kunigunde von Thurneck!
Eine Stimme (außerhalb). He! Wo seid Ihr?
Freiburg. Hier!
Georg. Habt Ihr jemals eine solche Nacht erlebt?
Freiburg. Das gießt vom Himmel herab, Wipfel und Bergspitzen ersäufend, als ob eine zweite Sündflut heranbräche. – Hebt sie vom Pferd herunter!
Eine Stimme (außerhalb). Sie rührt sich nicht.
Eine andere. Sie liegt, wie tot, zu des Pferdes Füßen da.
Freiburg. Ei, Possen! Das tut sie bloß, um ihre falschen Zähne nicht zu verlieren. Sagt ihr, ich wäre der Burggraf von Freiburg und die echten, die sie im Mund hätte, hätte ich gezählt. – So! bringt sie her.
(Ritter Schauermann erscheint, das Fräulein von Thurneck auf der Schulter tragend.)
Georg. Dort ist eine Köhlerhütte.
Ritter Schauermann mit dem Fräulein, Ritter Wetzlaf und die Reisigen des Burggrafen. Zwei Köhler. Die Vorigen.
Freiburg (an die Köhlerhütte klopfend). Heda!
Der erste Köhler (drinnen). Wer klopfet?
Freiburg. Frag nicht' du Schlingel, und mach auf.
Der zweite Köhler (ebenso). Holla! Nicht eher bis ich den Schlüssel umgekehrt habe. Wird doch der Kaiser nicht vor der Tür sein?
Freiburg. Halunke! Wenn nicht der, doch einer, der hier regiert, und den Szepter gleich vom Ast brechen wird, ums dir zu zeigen.
Der erste Köhler (auftretend, eine Laterne in der Hand). Wer seid ihr? Was wollt ihr?
Freiburg. Ein Rittersmann bin ich; und diese Dame, die hier todkrank herangetragen wird, das ist –
Schauermann (von hinten). Das Licht weg!
Wetzlaf. Schmeißt ihm die Laterne aus der Hand!
Freiburg (indem er ihm die Laterne wegnimmt). Spitzbube! Du willst hier leuchten?
Der erste Köhler. Ihr Herren, ich will hoffen, der größeste unter euch bin ich! Warum nehmt ihr mir die Laterne weg?
Der zweite Köhler. Wer seid ihr? Und was wollt ihr?
Freiburg. Rittersleute, du Flegel, hab ich dir schon gesagt!
Georg. Wir sind reisende Ritter, ihr guten Leute, die das Unwetter überrascht hat.
Freiburg (unterbricht ihn). Kriegsmänner, die von Jerusalem kommen, und in ihre Heimat ziehen; und jene Dame dort, die herangetragen wird, von Kopf zu Fuß in einem Mantel eingewickelt, das ist –
(Ein Gewitterschlag.)
Der erste Köhler. Ei, so plärr du, daß die Wolken reißen! – Von Jerusalem, sagt ihr?
Der zweite Köhler. Man kann vor dem breitmäuligen Donner kein Wort verstehen.
Freiburg. Von Jerusalem, ja.
Der zweite Köhler. Und das Weibsen, das herangetragen wird –?
Georg (auf den Burggrafen zeigend). Das ist des Herren kranke Schwester, ihr ehrlichen Leute, und begehrt –
Freiburg (unterbricht ihn). Das ist jenes Schwester, du Schuft, und meine Gemahlin; todkrank, wie du siehst, von Schloßen und Hagel halb erschlagen, so daß sie kein Wort vorbringen kann: die begehrt eines Platzes in deiner Hütte, bis das Ungewitter vorüber und der Tag angebrochen ist.
Der erste Köhler. Die begehrt einen Platz in meiner Hütte?
Georg. Ja, ihr guten Köhler; bis das Gewitter vorüber ist, und wir unsre Reise fortsetzen können.
Der zweite Köhler. Mein Seel, da habt ihr Worte gesagt, die waren den Lungenodem nicht wert, womit ihr sie ausgestoßen.
Der erste Köhler. Isaak!
Freiburg. Du willst das tun?
Der zweite Köhler. Des Kaisers Hunden, ihr Herrn, wenn sie vor meiner Tür darum heulten. – Isaak! Schlingel! hörst nicht?
Junge (in der Hütte). Hei sag ich. Was gibts?
Der zweite Köhler. Das Stroh schüttle auf, Schlingel, und die Decken drüberhin; ein krank Weibsen wird kommen und Platz nehmen, in der Hütten! Hörst du?
Freiburg. Wer spricht drin?
Der erste Köhler. Ei, ein Flachskopf von zehn Jahren, der uns an die Hand geht.
Freiburg. Gut. – Tritt heran, Schauermann! hier ist ein Knebel losgegangen.
Schauermann. Wo?
Freiburg. Gleichviel! – In den Winkel mit ihr hin, dort! – – Wenn der Tag anbricht, werd ich dich rufen.
(Schauermann trägt das Fräulein in die Hütte.)
Die Vorigen ohne Schauermann und das Fräulein.
Freiburg. Nun, Georg, alle Saiten des Jubels schlag ich an: wir haben sie; wir haben diese Kunigunde von Thurneck! So wahr ich nach meinem Vater getauft bin, nicht um den ganzen Himmel, um den meine Jugend gebetet hat, geb ich die Lust weg, die mir beschert ist, wenn der morgende Tag anbricht! – Warum kamst du nicht früher von Waldstätten herab?
Georg. Weil du mich nicht früher rufen ließest.
Freiburg. O, Georg! Du hättest sie sehen sollen, wie sie daher geritten kam, einer Fabel gleich, von den Rittern des Landes umringt, gleich einer Sonne, unter ihren Planeten! Wars nicht, als ob sie zu den Kieseln sagte, die unter ihr Funken sprühten: ihr müßt mir schmelzen, wenn ihr mich seht? Thalestris, die Königin der Amazonen, als sie herabzog vom Kaukasus, Alexander den Großen zu bitten, daß er sie küsse: sie war nicht reizender und göttlicher, als sie.
Georg. Wo fingst du sie?
Freiburg. Fünf Stunden, Georg, fünf Stunden von der Steinburg, wo ihr der Rheingraf, durch drei Tage, schallende Jubelfeste gefeiert hatte. Die Ritter, die sie begleiteten, hatten sie kaum verlassen, da werf ich ihren Vetter Isidor, der bei ihr geblieben war, in den Sand, und auf den Rappen mit ihr, und auf und davon.
Georg. Aber, Max! Max! Was hast du –?
Freiburg. Ich will dir sagen, Freund –
Georg. Was bereitest du dir, mit allen diesen ungeheuren Anstalten, vor?
Freiburg. Lieber! Guter! Wunderlicher! Honig von Hybla, für diese vom Durst der Rache zu Holz vertrocknete Brust. Warum soll dies wesenlose Bild länger, einer olympischen Göttin gleich, auf dem Fußgestell prangen, die Hallen der christlichen Kirchen von uns und unsersgleichen entvölkernd? Lieber angefaßt, und auf den Schutt hinaus, das Oberste zu unterst, damit mit Augen erschaut wird, daß kein Gott in ihm wohnt.
Georg. Aber in aller Welt, sag mir, was ists, das dich mit so rasendem Haß gegen sie erfüllt?
Freiburg. O Georg! Der Mensch wirft alles, was er sein nennt, in eine Pfütze, aber kein Gefühl. Georg, ich liebte sie, und sie war dessen nicht wert. Ich liebte sie und ward verschmäht, Georg; und sie war meiner Liebe nicht wert. Ich will dir was sagen – Aber es macht mich blaß, wenn ich daran denke. Georg! Georg! Wenn die Teufel um eine Erfindung verlegen sind: so müssen sie einen Hahn fragen der sich vergebens um eine Henne gedreht hat, und hinterher sieht, daß sie, vom Aussatz zerfressen, zu seinem Spaße nicht taugt.
Georg. Du wirst keine unritterliche Rache an ihr ausüben?
Freiburg. Nein; Gott behüt mich! Keinem Knecht mut ich zu, sie an ihr zu vollziehn. – Ich bringe sie nach der Steinburg zum Rheingrafen zurück, wo ich nichts tun will, als ihr das Halstuch abnehmen: das soll meine ganze Rache sein!
Georg. Was! Das Halstuch abnehmen?
Freiburg. Ja Georg; und das Volk zusammen rufen.
Georg. Nun, und wenn das geschehn ist, da willst du –?
Freiburg. Ei, da will ich über sie philosophieren. Da will ich euch einen metaphysischen Satz über sie geben, wie Platon, und meinen Satz nachher erläutern, wie der lustige Diogenes getan. Der Mensch ist – – Aber still: (Er horcht.)
Georg. Nun! der Mensch ist? –
Freiburg. Der Mensch ist, nach Platon, ein zweibeinigtes ungefiedertes Tier; du weißt, wie Diogenes dies bewiesen; einen Hahn, glaub ich, rupft' er, und warf ihn unter das Volk. – Und diese Kunigunde, Freund, diese Kunigunde von Thurneck, die ist nach mir – – – Aber still! So wahr ich ein Mann bin: dort steigt jemand vom Pferd!
Der Graf vom Strahl und Ritter Flammberg treten auf.
Nachher Gottschalk. – Die Vorigen.
Der Graf vom Strahl (an die Hütte klopfend). Heda! Ihr wackern Köhlersleute!
Flammberg. Das ist eine Nacht, die Wölfe in den Klüften um ein Unterkommen anzusprechen.
Der Graf vom Strahl. Ists erlaubt, einzutreten?
Freiburg (ihm in den Weg). Erlaubt, ihr Herrn! Wer ihr auch sein mögt dort –
Georg. Ihr könnt hier nicht einkehren.
Der Graf vom Strahl. Nicht? Warum nicht?
Freiburg. Weil kein Raum drin ist, weder für euch noch für uns. Meine Frau liegt darin todkrank, den einzigen Winkel der leer ist mit ihrer Bedienung erfüllend: ihr werdet sie nicht daraus vertreiben wollen.
Der Graf vom Strahl. Nein, bei meinem Eid! Viel mehr wünsche ich, daß sie sich bald darin erholen möge. – Gottschalk!
Flammberg. So müssen wir beim Gastwirt zum blauen Himmel übernachten.
Der Graf vom Strahl. Gottschalk sag ich!
Gottschalk (draußen). Hier!
Der Graf vom Strahl. Schaff die Decken her! Wir wollen uns hier ein Lager bereiten, unter den Zweigen.
(Gottschalk und der Köhlerjunge treten auf.)
Gottschalk (indem er ihnen die Decken bringt). Das weiß der Teufel, was das hier für eine Wirtschaft ist. Der Junge sagt, drinnen wäre ein geharnischter Mann, der ein Fräulein bewachte: das läge geknebelt und mit verstopftem Munde da, wie ein Kalb, das man zur Schlachtbank bringen will.
Der Graf vom Strahl. Was sagst du? Ein Fräulein? Geknebelt und mit verstopftem Munde? – Wer hat dir das gesagt?
Flammberg. Jung! Woher weißt du das?
Köhlerjunge (erschrocken). St! – Um aller Heiligen willen! Ihr Herren, was macht ihr?
Der Graf vom Strahl. Komm her.
Köhlerjunge. Ich sage: St!
Flammberg. Jung! Wer hat dir das gesagt? So sprich.
Köhlerjunge (heimlich nachdem er sich umgesehen). Habs geschaut, ihr Herren. Lag auf dem Stroh, als sie sie hineintrugen, und sprachen, sie sei krank. Kehrt ihr die Lampe zu und erschaut, daß sie gesund war, und Wangen hatt als wie unsre Lore. Und wimmert' und druckt' mir die Händ und blinzelte, und sprach so vernehmlich, wie ein kluger Hund: mach mich los, lieb Bübel, mach mich los! daß ichs mit Augen hört und mit den Fingern verstand.
Der Graf vom Strahl. Jung, du flachsköpfiger; so tus!
Flammberg. Was säumst du? Was machst du?
Der Graf vom Strahl. Bind sie los und schick sie her!
Köhlerjunge (schüchtern). St! sag ich. – Ich wollt, daß ihr zu Fischen würdet! – Da erheben sich ihrer drei schon und kommen her, und sehen, was es gibt? (Er bläst seine Laterne aus.)
Der Graf vom Strahl. Nichts, du wackrer Junge, nichts.
Flammberg. Sie haben nichts davon gehört.
Der Graf vom Strahl. Sie wechseln bloß um des Regens willen ihre Plätze.
Köhlerjunge (sieht sich um). Wollt ihr mich schützen?
Der Graf vom Strahl. Ja, so wahr ich ein Ritter bin; das will ich.
Flammberg. Darauf kannst du dich verlassen.
Köhlerjunge . Wohlan! Ich wills dem Vater sagen. – Schaut was ich tue, und ob ich in die Hütte gehe, oder nicht? (Er spricht mit den Alten, die hinten am Feuer stehen, und verliert sich nachher in die Hütte.)
Flammberg. Sind das solche Kauze? Beelzebubs-Ritter, deren Ordensmantel die Nacht ist? Eheleute, auf der Landstraße mit Stricken und Banden an einander getraut?
Der Graf vom Strahl. Krank, sagten sie!
Flammberg. Todkrank, und dankten für alle Hülfe!
Gottschalk. Nun wart! Wir wollen sie scheiden.
(Pause.)
Schauermann (in der Hütte). He! holla! Die Bestie!
Der Graf vom Strahl. Auf, Flammberg; erhebe dich!
(Sie stehen auf.)
Freiburg. Was gibts?
(Die Partei des Burggrafen erhebt sich.)
Schauermann. Ich bin angebunden,! Ich bin angebunden!
(Das Fräulein erscheint.)
Freiburg. Ihr Götter! Was erblick ich?
Fräulein Kunigunde von Thurneck im Reisekleide, mit entfesselten Haaren. – Die Vorigen.
Kunigunde (wirft sich vor dem Grafen vom Strahl nieder).
Mein Retter! Wer Ihr immer seid! Nehmt einer
Vielfach geschmähten und geschändeten Jungfrau
Euch an! Wenn Euer ritterlicher Eid
Den Schutz der Unschuld Euch empfiehlt: hier liegt sie
In Staub gestreckt, die jetzt ihn von Euch fordert!
Freiburg.
Reißt sie hinweg, ihr Männer!
Georg (ihn zurückhaltend). Max! hör mich an.
Freiburg.
Reißt sie hinweg, sag ich; laßt sie nicht reden!
Der Graf vom Strahl.
Halt dort ihr Herrn! Was wollt ihr!
Freiburg. Was wir wollen?
Mein Weib will ich, zum Henker! – Auf! ergreift sie!
Kunigunde.
Dein Weib? Du Lügnerherz!
Der Graf vom Strahl (streng). Berühr sie nicht!
Wenn du von dieser Dame was verlangst,
So sagst dus mir! Denn mir gehört sie jetzt,
Weil sie sich meinem Schutze anvertraut. (Er erhebt sie.)
Freiburg.
Wer bist du, Übermütiger, daß du
Dich zwischen zwei Vermählte drängst? Wer gibt
Das Recht dir, mir die Gattin zu verweigern?
Kunigunde.
Die Gattin? Bösewicht! Das bin ich nicht!
Der Graf vom Strahl.
Und wer bist du, Nichtswürdiger, daß du
Sie deine Gattin sagst, verfluchter Bube,
Daß du sie dein nennst, geiler Mädchenräuber,
Die Jungfrau, dir vom Teufel in der Hölle,
Mit Knebeln und mit Banden angetraut?
Freiburg.
Wie? Was? Wer?
Georg. Max, ich bitte dich.
Der Graf vom Strahl. Wer bist du?
Freiburg.
Ihr Herrn, ihr irrt euch sehr –
Der Graf vom Strahl. Wer bist du, frag ich?
Freiburg.
Ihr Herren, wenn ihr glaubt, daß ich –
Der Graf vom Strahl. Schafft Licht her!
Freiburg.
Dies Weib hier, das ich mitgebracht, das ist –
Der Graf vom Strahl.
Ich sage Licht herbeigeschafft!
(Gottschalk und die Köhler kommen mit Fackeln und Feuerhaken.)
Freiburg. Ich bin –
Georg (heimlich).
Ein Rasender bist du! Fort! Gleich hinweg!
Willst du auf ewig nicht dein Wappen schänden.
Der Graf vom Strahl.
So, meine wackern Köhler; leuchtet mir!
(Freiburg schließt sein Visier.)
Der Graf vom Strahl.
Wer bist du jetzt, frag ich? Öffn' das Visier.
Freiburg.
Ihr Herrn, ich bin –
Der Graf vom Strahl. Öffn' das Visier.
Freiburg. Ihr hört.
Der Graf vom Strahl.
Meinst du, leichtfertger Bube, ungestraft
Die Antwort mir zu weigern, wie ich dir?
(Er reißt ihm den Helm vom Haupt, der Burggraf taumelt.)
Schauermann.
Schmeißt den Verwegenen doch gleich zu Boden!
Wetzlaf.
Auf! Zieht!
Freiburg. Du Rasender, welch eine Tat!
(Er erhebt sich, zieht und haut nach dem Grafen; der weicht aus.)
Der Graf vom Strahl.
Du wehrst dich mir, du Afterbräutigam?
(Er haut ihn nieder.)
So fahr zur Hölle hin, woher du kamst,
Und feire deine Flitterwochen drin!
Wetzlaf.
Entsetzen! Schaut! Er stürzt, er wankt, er fällt!
Flammberg (dringt vor).
Auf jetzt, ihr Freunde!
Schauermann. Fort! Entflieht!
Flammberg. Schlagt drein!
Jagt das Gesindel völlig in die Flucht!
(Die Burggräflichen entweichen; niemand bleibt als Georg, der über den Burggrafen beschäftigt ist.)
Der Graf vom Strahl (zum Burggrafen).
Freiburg! Was seh ich? Ihr allmächtgen Götter!
Du bists?
Kunigunde (unterdrückt). Der undankbare Höllenfuchs!
Der Graf vom Strahl.
Was galt dir diese Jungfrau, du Unsel'ger?
Was wolltest du mit ihr?
Georg. – Er kann nicht reden.
Blut füllt, vom Scheitel quellend, ihm den Mund.
Kunigunde.
Laßt ihn ersticken drin!
Der Graf vom Strahl. Ein Traum erscheint mirs!
Ein Mensch wie der, so wacker sonst, und gut.
- Kommt ihm zu Hülf, ihr Leute!
Flammberg. Auf! Greift an!
Und tragt ihn dort in jener Hütte Raum.
Kunigunde.
Ins Grab! Die Schaufeln her! Er sei gewesen!
Der Graf vom Strahl.
Beruhigt Euch! – Wie er darnieder liegt,
Wird er auch unbeerdigt Euch nicht schaden.
Kunigunde.
Ich bitt um Wasser!
Der Graf vom Strahl. Fühlt Ihr Euch nicht wohl?
Kunigunde.
Nichts, nichts – Es ist – Wer hilft? – Ist hier kein Sitz?
- Weh mir! (Sie wankt.)
Der Graf vom Strahl. Ihr Himmlischen! He! Gottschalk! hilf!
Gottschalk.
Die Fackeln her!
Kunigunde. Laßt, laßt!
Der Graf vom Strahl (hat sie auf einen Sitz geführt). Es geht vorüber?
Kunigunde.
Das Licht kehrt meinen trüben Augen wieder. –
Der Graf vom Strahl.
Was wars, das so urplötzlich Euch ergriff?
Kunigunde.
Ach, mein großmütger Retter und Befreier,
Wie nenn ich das? Welch ein entsetzensvoller,
Unmenschlicher Frevel war mir zugedacht?
Denk ich, was ohne Euch, vielleicht schon jetzt,
Mir widerfuhr, hebt sich mein Haar empor,
Und meiner Glieder jegliches erstarrt.
Der Graf vom Strahl.
Wer seid Ihr? Sprecht! Was ist Euch widerfahren?
Kunigunde. O Seligkeit, Euch dies jetzt zu entdecken!
Die Tat, die Euer Arm vollbracht, ist keiner
Unwürdigen geschehen; Kunigunde,
Freifrau von Thurneck, bin ich, daß Ihrs wißt;
Das süße Leben, das Ihr mir erhieltet,
Wird, außer mir, in Thurneck, dankbar noch
Ein ganz Geschlecht Euch von Verwandten lohnen.
Der Graf vom Strahl.
Ihr seid? – Es ist nicht möglich? Kunigunde
Von Thurneck? –
Kunigunde. Ja, so sagt ich! Was erstaunt Ihr?
Der Graf vom Strahl (steht auf).
Nun denn, bei meinem Eid, es tut mir leid,
So kamt Ihr aus dem Regen in die Traufe:
Denn ich bin Friedrich Wetter Graf vom Strahl!
Kunigunde.
Was! Euer Name? – Der Name meines Retters? –
Der Graf vom Strahl.
Ist Friedrich Strahl, Ihr hörts. Es tut mir leid,
Daß ich Euch keinen bessern nennen kann.
Kunigunde (steht auf).
Ihr Himmlischen! Wie prüft ihr dieses Herz?
Gottschalk (heimlich).
Die Thurneck? hört ich recht?
Flammberg (erstaunt). Bei Gott! Sie ists!
(Pause.)
Kunigunde.
Es sei. Es soll mir das Gefühl, das hier
In diesem Busen sich entflammt, nicht stören.
Ich will nichts denken, fühlen will ich nichts,
Als Unschuld, Ehre, Leben, Rettung – Schutz
Vor diesem Wolf, der hier am Boden liegt. –
Komm her, du lieber, goldner Knabe, du,
Der mich befreit, nimm diesen Ring von mir,
Es ist jetzt alles, was ich geben kann:
Einst lohn ich würdiger, du junger Held,
Die Tat dir, die mein Band gelöst, die mutige,
Die mich vor Schmach bewahrt, die mich errettet,
Die Tat, die mich zur Seligen gemacht!
(Sie wendet sich zum Grafen.)
Euch, mein Gebieter – Euer nenn ich alles,
Was mein ist! Sprecht! Was habt Ihr über mich beschlossen?
In Eurer Macht bin ich; was muß geschehn?
Muß ich nach Eurem Rittersitz Euch folgen?
Der Graf vom Strahl (nicht ohne Verlegenheit).
Mein Fräulein – es ist nicht eben allzuweit.
Wenn Ihr ein Pferd besteigt, so könnt Ihr bei
Der Gräfin, meiner Mutter, übernachten.
Kunigunde.
Führt mir das Pferd vor!
Der Graf vom Strahl (nach einer Pause). Ihr vergebt mir,
Wenn die Verhältnisse, in welchen wir –
Kunigunde.
Nichts, nichts! Ich bitt Euch sehr! Beschämt mich nicht!
In Eure Kerker klaglos würd ich wandern.
Der Graf vom Strahl.
In meinen Kerker! Was! Ihr überzeugt Euch –
Kunigunde (unterbricht ihn).
Drückt mich mit Eurer Großmut nicht zu Boden! –
Ich bitt um Eure Hand!
Der Graf vom Strahl. He! Fackeln! Leuchtet! (Ab.)
Szene: Schloß Wetterstrahl. Ein Gemach in der Burg.
Kunigunde, in einem halb vollendeten, romantischen Anzuge, tritt auf, und setzt sich vor einer Toilette nieder. Hinter ihr Rosalie und die alte Brigitte.
Rosalie (zu Brigitten). Hier, Mütterchen, setz dich! Der Graf vom Strahl hat sich bei meinem Fräulein anmelden lassen; sie läßt sich nur noch die Haare von mir zurecht legen, und mag gern dein Geschwätz hören.
Brigitte (die sich gesetzt). Also Ihr seid Fräulein Kunigunde von Thurneck?
Kunigunde. Ja Mütterchen; das bin ich.
Brigitte. Und nennt Euch eine Tochter des Kaisers?
Kunigunde. Des Kaisers? Nein; wer sagt dir das? Der jetzt lebende Kaiser ist mir fremd; die Urenkelin eines der vorigen Kaiser bin ich, die in verflossenen Jahrhunderten, auf dem deutschen Thron saßen.
Brigitte. O Herr! Es ist nicht möglich? Die Urenkeltochter –
Kunigunde. Nun ja!
Rosalie. Hab ich es dir nicht gesagt?
Brigitte. Nun, bei meiner Treu, so kann ich mich ins Grab legen: der Traum des Grafen vom Strahl ist aus!
Kunigunde. Welch ein Traum?
Rosalie. Hört nur, hört! Es ist die wunderlichste Geschichte von der Welt! – – Aber sei bündig, Mütterchen, und spare den Eingang; denn die Zeit, wie ich dir schon gesagt, ist kurz.
Brigitte. Der Graf war gegen das Ende des vorletzten Jahres, nach einer seltsamen Schwermut, von welcher kein Mensch die Ursache ergründen konnte, erkrankt; matt lag er da, mit glutrotem Antlitz und phantasierte; die Ärzte, die ihre Mittel erschöpft hatten, sprachen, er sei nicht zu retten. Alles, was in seinem Herzen verschlossen war, lag nun, im Wahnsinn des Fiebers, auf seiner Zunge: er scheide gern, sprach er, von hinnen; das Mädchen, das fähig wäre, ihn zu lieben, sei nicht vorhanden; Leben aber ohne Liebe sei Tod; die Welt nannt er ein Grab, und das Grab eine Wiege, und meinte, er würde nun erst geboren werden. – Drei hintereinander folgende Nächte, während welcher seine Mutter nicht von seinem Bette wich, erzählte er ihr, ihm sei ein Engel erschienen und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, vertraue! Auf der Gräfin Frage: ob sein Herz sich, durch diesen Zuruf des Himmlischen, nicht gestärkt fühle? antwortete er: »Gestärkt? Nein!« – und mit einem Seufzer setzte er hinzu: »doch! doch, Mutter! Wenn ich sie werde gesehen haben!« – Die Gräfin fragt: und wirst du sie sehen? »Gewiß!« antwortet er. Wann? fragt sie. Wo? – »In der Silvesternacht, wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr führen.« Wer? fragt sie, Lieber; zu wem? »Der Engel«, spricht er, »zu meinem Mädchen« – wendet sich und schläft ein.
Kunigunde. Geschwätz!
Rosalie. Hört sie nur weiter. – Nun?
Brigitte. Drauf in der Silvesternacht, in dem Augenblick, da eben das Jahr wechselt, hebt er sich halb vom Lager empor, starrt, als ob er eine Erscheinung hätte, ins Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt: »Mutter! Mutter! Mutter!« spricht er. Was gibts? fragt sie. »Dort! Dort!« Wo? »Geschwind!« spricht er. – Was? – »Den Helm! Den Harnisch! Das Schwert!« – Wo willst du hin? fragt die Mutter. »Zu ihr«, spricht er, »zu ihr. So! so! so!« und sinkt zurück; »Ade, Mutter ade!« streckt alle Glieder von sich, und liegt wie tot.
Kunigunde. Tot?
Rosalie. Tot, ja!
Kunigunde. Sie meint, einem Toten gleich.
Rosalie. Sie sagt, tot! Stört sie nicht. – Nun?
Brigitte. Wir horchten an seiner Brust: es war so still darin, wie in einer leeren Kammer. Eine Feder ward ihm vorgehalten, seinen Atem zu prüfen: sie rührte sich nicht. Der Arzt meinte in der Tat, sein Geist habe ihn verlassen; rief ihm ängstlich seinen Namen ins Ohr; reizt' ihn, um ihn zu erwecken, mit Gerüchen; reizt' ihn mit Stiften und Nadeln, riß ihm ein Haar aus, daß sich das Blut zeigte; vergebens: er bewegte kein Glied und lag, wie tot.
Kunigunde. Nun? Darauf?
Brigitte. Darauf, nachdem er einen Zeitraum so gelegen, fährt er auf, kehrt sich, mit dem Ausdruck der Betrübnis, der Wand zu, und spricht: »Ach! Nun bringen sie die Lichter! Nun ist sie mir wieder verschwunden!« – gleichsam, als ob er durch den Glanz derselben verscheucht würde. – Und da die Gräfin sich über ihn neigt und ihn an ihre Brust hebt und spricht: Mein Friedrich! Wo warst du? »Bei ihr«, versetzt er, mit freudiger Stimme; »bei ihr, die mich liebt! bei der Braut, die mir der Himmel bestimmt hat! Geh, Mutter geh, und laß nun in allen Kirchen für mich beten: denn nun wünsch ich zu leben.«
Kunigunde. Und bessert sich wirklich?
Rosalie. Das eben ist das Wunder.
Brigitte. Bessert sich, mein Fräulein, bessert sich, in der Tat; erholt sich, von Stund an, gewinnt, wie durch himmlischen Balsam geheilt, seine Kräfte wieder, und ehe der Mond sich erneut, ist er so gesund wie zuvor.
Kunigunde. Und erzählte? – Was erzählte er nun?
Brigitte. Ach, und erzählte, und fand kein Ende zu erzählen: wie der Engel ihn, bei der Hand, durch die Nacht geleitet; wie er sanft des Mädchens Schlafkämmerlein eröffnet, und alle Wände mit seinem Glanz erleuchtend, zu ihr eingetreten sei; wie es dagelegen, das holde Kind, mit nichts, als dem Hemdchen angetan, und die Augen bei seinem Anblick groß aufgemacht, und gerufen habe, mit einer Stimme, die das Erstaunen beklemmt. »Mariane!« welches jemand gewesen sein müsse, der in der Nebenkammer geschlafen; wie sie darauf, vom Purpur der Freude über und über schimmernd, aus dem Bette gestiegen, und sich auf Knieen vor ihm niedergelassen, das Haupt gesenkt, und: mein hoher Herr! gelispelt; wie der Engel ihm darauf, daß es eine Kaisertochter sei, gesagt, und ihm ein Mal gezeigt, das dem Kindlein rötlich auf dem Nacken verzeichnet war, – wie er, von unendlichem Entzücken durchbebt, sie eben beim Kinn gefaßt, um ihr ins Antlitz zu schauen: und wie die unselige Magd nun, die Mariane, mit Licht gekommen, und die ganze Erscheinung bei ihrem Eintritt wieder verschwunden sei.
Kunigunde. Und nun meinst du, diese Kaisertochter sei ich?
Brigitte. Wer sonst?
Rosalie. Das sag ich auch.
Brigitte. Die ganze Strahlburg, bei Eurem Einzug, als sie erfuhr, wer Ihr seid, schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief: sie ists!
Rosalie. Es fehlte nichts, als daß die Glocken ihre Zungen gelöst, und gerufen hätten: ja, ja, ja!
Kunigunde (steht auf). Ich danke dir, Mütterchen, für deine Erzählung. Inzwischen nimm diese Ohrringe zum Andenken, und entferne dich.
(Brigitte ab.)
Kunigunde und Rosalie.
Kunigunde (nachdem sie sich im Spiegel betrachtet, geht gedankenlos ans Fenster und öffnet es. – Pause.)
Hast du mir alles dort zurecht gelegt,
Was ich dem Grafen zugedacht, Rosalie?
Urkunden, Briefe, Zeugnisse?
Rosalie (am Tisch zurück geblieben). Hier sind sie.
In diesem Einschlag liegen sie beisammen.
Kunigunde.
Gib mir doch – (Sie nimmt eine Leimrute, die draußen befestigt ist, herein.)
Rosalie. Was, mein Fräulein?
Kunigunde (lebhaft). Schau, o Mädchen!
Ist dies die Spur von einem Fittich nicht?
Rosalie (indem sie zu ihr geht).
Was habt ihr da?
Kunigunde. Leimruten, die, ich weiß
Nicht wer? an diesem Fenster aufgestellt! –
Sieh, hat hier nicht ein Fittich schon gestreift?
Rosalie. Gewiß! Da ist die Spur. Was wars? Ein Zeisig?
Kunigunde.
Ein Finkenhähnchen wars, das ich vergebens
Den ganzen Morgen schon herangelockt.
Rosalie.
Seht nur dies Federchen. Das ließ er stecken!
Kunigunde (gedankenvoll).
Gib mir doch –
Rosalie. Was, mein Fräulein? Die Papiere?
Kunigunde (lacht und schlägt sie).
Schelmin! – Die Hirse will ich, die dort steht.
(Rosalie lacht, und geht und holt die Hirse.)
Ein Bedienter tritt auf. Die Vorigen.
Der Bediente. Graf Wetter vom Strahl, und die Gräfin seine Mutter!
Kunigunde (wirft alles aus der Hand). Rasch! Mit den Sachen weg.
Rosalie. Gleich, gleich! (Sie macht die Toilette zu und geht ab.)
Kunigunde. Sie werden mir willkommen sein.
Gräfin Helena, der Graf vom Strahl treten auf. Fräulein Kunigunde.
Kunigunde (ihnen entgegen).
Verehrungswürdge! Meines Retters Mutter,
Wem dank ich, welchem Umstand, das Vergnügen,
Daß ihr mir Euer Antlitz schenkt, daß Ihr
Vergönnt, die teuren Hände Euch zu küssen?
Gräfin.
Mein Fräulein, Ihr demütigt mich. Ich kam,
Um Eure Stirn zu küssen, und zu fragen,
Wie Ihr in meinem Hause Euch befindet?
Kunigunde.
Sehr wohl. Ich fand hier alles, was ich brauchte.
Ich hatte nichts von Eurer Huld verdient,
Und Ihr besorgtet mich, gleich einer Tochter.
Wenn irgend etwas mir die Ruhe störte
So war es dies beschämende Gefühl;
Doch ich bedurfte nur den Augenblick,
Um diesen Streit in meiner Brust zu lösen.
(Sie wendet sich zum Grafen.)
Wie stehts mit Eurer linken Hand, Graf Friedrich?
Der Graf vom Strahl.
Mit meiner Hand? mein Fräulein! Diese Frage,
Ist mir empfindlicher als ihre Wunde!
Der Sattel wars, sonst nichts, an dem ich mich
Unachtsam stieß, Euch hier vom Pferde hebend.
Gräfin.
Ward sie verwundet? – Davon weiß ich nichts.
Kunigunde.
Es fand sich, als wir dieses Schloß erreichten,
Daß ihr, in hellen Tropfen, Blut entfloß.
Der Graf vom Strahl.
Die Hand selbst, seht Ihr, hat es schon vergessen.
Wenns Freiburg war, dem ich im Kampf um Euch,
Dies Blut gezahlt, so kann ich wirklich sagen:
Schlecht war der Preis, um den er Euch verkauft.
Kunigunde.
Ihr denkt von seinem Werte so – nicht ich.
(Indem sie sich zur Mutter wendet.)
- Doch wie? Wollt Ihr Euch, Gnädigste, nicht setzen?
(Sie holt einen Stuhl, der Graf bringt die andern. Sie lassen sich sämtlich nieder.)
Gräfin.
Wie denkt Ihr, über Eure Zukunft, Fräulein?
Habt Ihr die Lag, in die das Schicksal Euch
Versetzt, bereits erwogen? Wißt Ihr schon,
Wie Euer Herz darin sich fassen wird?
Kunigunde (bewegt).
Verehrungswürdige und gnädge Gräfin,
Die Tage, die mir zugemessen, denk ich
In Preis und Dank, in immer glühender
Erinnrung des, was jüngst für mich geschehn,
In unauslöschlicher Verehrung Eurer,
Und Eures Hauses, bis auf den letzten Odem,
Der meine Brust bewegt, wenns mir vergönnt ist,
In Thurneck bei den Meinen hinzubringen. (Sie weint.)
Gräfin.
Wann denkt Ihr zu den Euren aufzubrechen?
Kunigunde.
Ich wünsche – weil die Tanten mich erwarten,
- Wenns sein kann, morgen, – oder mindestens –
In diesen Tagen, abgeführt zu werden.
Gräfin.
Bedenkt ihr auch, was dem entgegen steht?
Kunigunde.
Nichts mehr, erlauchte Frau, wenn Ihr mir nur
Vergönnt, mich offen vor Euch zu erklären.
(Sie küßt ihr die Hand; steht auf und holt die Papiere.)
Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom Strahl.
Der Graf vom Strahl (steht auf).
Mein Fräulein! Kann ich wissen, was es ist?
Kunigunde.
Die Dokumente sinds, den Streit betreffend,
Um Eure Herrschaft Stauffen, die Papiere
Auf die ich meinen Anspruch gründete.
Der Graf vom Strahl.
Mein Fräulein, Ihr beschämt mich, in der Tat!
Wenn dieses Heft, wie Ihr zu glauben scheint,
Ein Recht begründet: weichen will ich Euch,
Und wenn es meine letzte Hütte gälte!
Kunigunde.
Nehmt, nehmt, Herr Graf vom Strahl! Die Briefe sind
Zweideutig, seh ich ein, der Wiederkauf,
Zu dem sie mich berechtigen, verjährt;
Doch wär mein Recht so klar auch, wie die Sonne,
Nicht gegen Euch mehr kann ichs geltend machen.
Der Graf vom Strahl.
Niemals, mein Fräulein, niemals, in der Tat!
Mit Freuden nehm ich, wollt Ihr mir ihn schenken,
Von Euch den Frieden an; doch, wenn auch nur
Der Zweifel eines Rechts auf Stauffen Euer,
Das Dokument nicht, das ihn Euch belegt!
Bringt Eure Sache vor, bei Kaiser und bei Reich,
Und das Gesetz entscheide, wer sich irrte.
Kunigunde (zur Gräfin).
Befreit denn Ihr, verehrungswürdge Gräfin,
Von diesen leidgen Dokumenten mich,
Die mir in Händen brennen, widerwärtig
Zu dem Gefühl, das mir erregt ist, stimmen,
Und mir auf Gottes weiter Welt zu nichts mehr,
Lebt ich auch neunzig Jahre, helfen können.
Gräfin (steht gleichfalls auf).
Mein teures Fräulein! Eure Dankbarkeit
Führt Euch zu weit. Ihr könnt, was Eurer ganzen
Familie angehört, in einer flüchtigen
Bewegung nicht, die Euch ergriff, veräußern.
Nehmt meines Sohnes Vorschlag an und laßt
In Wetzlar die Papiere untersuchen;
Versichert Euch, Ihr werdet wert uns bleiben,
Man mag auch dort entscheiden, wie man wolle.
Kunigunde (mit Affekt).
Nun denn, der Anspruch war mein Eigentum!
Ich brauche keinen Vetter zu befragen,
Und meinem Sohn vererb ich einst mein Herz!
Die Herrn in Wetzlar mag ich nicht bemühn:
Hier diese rasche Brust entscheidet so!
(Sie zerreißt die Papiere und läßt sie fallen.)
Gräfin. Mein liebes, junges, unbesonnes Kind,
Was habt Ihr da getan? – – Kommt her,
Weils doch geschehen ist, daß ich Euch küsse.
(Sie umarmt sie.)
Kunigunde.
Ich will daß dem Gefühl, das mir entflammt,
Im Busen ist, nichts fürder widerspreche!
Ich will, die Scheidewand soll niedersinken,
Die zwischen mir und meinem Retter steht!
Ich will mein ganzes Leben ungestört,
Durchatmen, ihn zu preisen, ihn zu lieben.
Gräfin (gerührt).
Gut, gut, mein Töchterchen. Es ist schon gut,
Ihr seid zu sehr erschüttert.
Der Graf vom Strahl. – Ich will wünschen,
Daß diese Tat Euch nie gereuen möge.
(Pause.)
Kunigunde (trocknet sich die Augen).
Wann darf ich nun nach Thurneck wiederkehren?
Gräfin.
Gleich! Wann Ihr wollt! Mein Sohn selbst wird Euch führen!
Kunigunde.
So seis – auf morgen denn!
Gräfin. Gut! Ihr begehrt es.
Obschon ich gern Euch länger bei mir sähe.
Doch heut bei Tisch noch macht Ihr uns die Freude?
Kunigunde (verneigt sich).
Wenn ich mein Herz kann sammeln, wart ich auf. (Ab.)
Gräfin Helena. Der Graf vom Strahl.
Der Graf vom Strahl.
So wahr, als ich ein Mann bin, die begehr ich
Zur Frau!
Gräfin. Nun, nun, nun, nun!
Der Graf vom Strahl. Was, Nicht?
Du willst, daß ich mir eine wählen soll;
Doch die nicht? Diese nicht? Die nicht? Was willst du?
Gräfin.
Ich sagte nicht, daß sie mir ganz mißfällt.
Der Graf vom Strahl.
Ich will auch nicht, daß heut noch Hochzeit sei –
- Sie ist vom Stamm der alten sächsschen Kaiser.
Gräfin.
Und der Silvesternachttraum spricht für sie?
Nicht? Meinst du nicht?
Der Graf vom Strahl. Was soll ichs bergen: ja!
Gräfin.
Laß uns die Sach ein wenig überlegen. (Ab.)