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Was gäbe ich doch darum, so recht zusammenhängend und schlechtweg erzählen zu können, wie andre ehrliche protestantische Dichter und Zeitschriftsteller die groß und herrlich dabei werden, und für ihre goldenen Ideen goldene Realitäten eintauschen. Mir ists nun einmal nicht gegeben, und die kurze simple Mordgeschichte hat mich Schweiß und Mühe genug gekostet, und sieht doch immer noch kraus und bunt genug aus.
Ich bin leider in den Jugendjahren und gleichsam im Keime schon verdorben, denn wie andere gelehrte Knaben und vielversprechende Jünglinge es sich angelegen sein lassen immer gescheuter und vernünftiger zu werden, habe ich im Gegentheile stets eine besondere Vorliebe für die Tollheit gehabt, und es zu einer absoluten Verworrenheit in mir zu bringen gesucht, eben um, wie unser Herrgott, erst ein gutes und vollständiges Chaos zu vollenden, aus welchem sich nachher gelegentlich, wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zusammen ordnen ließe. – Ja es kommt mir zu Zeiten in überspannten Augenblicken wohl gar vor, als ob das Menschengeschlecht das Chaos selbst verpfuscht habe, und mit dem Ordnen zu voreilig gewesen sei, weshalb denn auch nichts an seinen gehörigen Platz zu stehen kommen könne, und der Schöpfer bald möglichst dazu thun müsse die Welt, wie ein verunglücktes System auszustreichen und zu vernichten.-
Ach, diese fixe Idee ist mir übel genug bekommen, und hätte mich selbst beinahe einmal um mein Nachtwächteramt gebracht, indem es mir in der lezten Stunde des Säkulums einfiel mit dem jüngsten Tage vorzuspuken und statt der Zeit die Ewigkeit auszurufen, worüber viele geistliche und weltliche Herren erschrocken aus ihren Federn fuhren und ganz in Verlegenheit kamen, weil sie so unerwartet nicht darauf vorbereitet waren.
Drollig genug machte sich die Szene bei diesem falschen jüngsten Tages Lerm, wobei ich den einzigen ruhigen Zuschauer abgab, indeß alle Anderen mir als leidenschaftliche Akteurs dienen mußten. – O man hätte sehen sollen was das für ein Getreibe und Gedränge wurde unter den armen Menschenkindern und wie der Adel ängstlich durch einanderhef, und sich doch noch zu rangiren suchte vor seinem Herrgott; eine Menge Justiz und andere Wölfe wollten aus ihrer Haut fahren und bemüheten sich in voller Verzweiflung sich in Schaafe zu verwandeln, indem sie hier den in feuriger Angst umherlaufenden Wittwen und Waisen große Pensionen aussezten, dort ungerechte Urtheile öffentlich kassirten und die geraubten Summen wodurch sie die armen Teufel zu Bettlern gemacht hatten, sogleich nach Ausgang des jüngsten Tages zurück zu zahlen gelobten. So manche Blutsauger und Vampyre denunciirten sich selbst als Hängens und Köpfens würdig und drangen darauf, daß noch in der Eile hier unten ihr Urtheil an ihnen vollzogen würde, um die Strafe von höherer Hand von sich abzuwenden. Der stolzeste Mann im Staate stand zum erstenmale demüthig und fast kriechend mit der Krone in der Hand und komplimentirte mit einem zerlumpten Kerl um den Vorrang, weil ihm eine hereinbrechende allgemeine Gleichheit möglich schien.
Ämter wurden niedergelegt, Ordensbänder und Ehrenzeichen eigenhändig von ihren unwürdigen Besitzern abgelöset; Seelenhirten versprachen feierlich künftighin ihren Heerden neben den guten Worten noch obendrein ein gutes Beispiel in den Kauf zu geben, wenn der Herrgott nur diesesmal es noch beim Einsehen bewenden ließe.
O was kann ichs beschreiben wie das Volk vor mir auf der Bühne in und durcheinander lief und in der Angst betete und fluchte und jammerte und heulte; und wie jeglicher Maske auf diesem zusammengeblasenen großen Balle, die Larve von dem Antlitze fiel und man in Bettlerkleidem Könige und umgekehrt, in Ritterrüstungen Schwächlinge und so fast immer das Gegentheil zwischen Kleid und Mann entdeckte.
Es freute mich daß sie lange vor übergroßer Angst das Zögern der himmlischen Kriminaljustiz gar nicht bemerkten, und die ganze Stadt Zeit hatte, alle ihre Tugenden und Laster aufzudecken und sich gleichsam vor mir, ihrem lezten Mitbürger, völlig zu entblößen. Das einzige geniale Stückchen verübte ein satirischer Bube, der schon vorher aus Langerweile entschlossen war in das neuen Säkulum nicht mit hinüberzuwandern, und jezt in der letzten Stunde des alten sich erschoß, um den Versuch zu machen ob in diesem Indifferenzmomente zwischen Tod und Auferstehen, das Sterben noch auf einen Augenblick möglich sei, damit er nicht mit der ganzen übergroßen Lebenslangeweile in die Ewigkeit ohne weiteres hinübermüsse.
Außer mir gab es übrigens nur noch eine ruhige Person, und zwar den Stadtpoeten, der aus seinem Dachfenster trotzig in das Michel Angelos Gemälde hinabschauete, und auf seiner poetischen Höhe auch das Weltende poetisch nehmen zu wollen schien.
Ein Astronom nahe bei mir merkte endlich an, daß dieser große actus solennis sich doch etwas zu lange verzögere und daß das feurige Schwerdt im Norden, statt des Gerichtsschwertes auch wohl nur als ein bloßer Nordschein zu nehmen sei. In diesem entscheidenden Momente, da schon einige von den Schächern die Köpfe wieder empor recken wollten, hielt ichs für nüzlich, sie wenigstens während einer kurzen erbaulichen Rede noch in ihrer Zerknirschung festzuhalten zu suchen, und ich hub folgender Gestalt an:
»Theuerste Mitbürger!
Ein Astronom kann in diesem Falle nicht als ein kompetenter Richter angesehen werden, indem ein so wichtiges Phänomen, das über uns am Himmel heraufzuziehen scheint, keinesweges wie ein unbedeutender Komet berechnet werden kann, und nur einmal während der ganzen Weltgeschichte erscheint; laßt uns darum unsere feierliche Stimmung nicht so leichtsinnig aufgeben, sondem vielmehr einige für unsern Standpunkt wichtige und zweckmäßige Betrachtungen anstellen.
Was liegt uns wohl am Weltgerichtstage näher als ein Rückblick auf den unter uns wankenden Planeten, der nun mit seinen Paradiesen und Kerkern mit seinen Narrenhäusem und Gelehrten Republiken zusammenstürzen soll; laßt uns deshalb in dieser lezten Stunde, da wir die Weltgeschichte abschließen wollen, nur kurz und summarisch überschauen, was wir, seit dieser Erdball aus dem Chaos hervorgestiegen, auf ihm getrieben und ausgeführt haben. Es ist seit Adam her eine lange Reihe von Jahren – wenn wir nicht gar die Zeitrechnung der Chineser als die gültige annehmen wollen – was haben wir aber darin vollbracht? – Ich behaupte: Gar Nichts!
Staunet mich nicht so an; der heutige Tag ist eben nicht dazu eingerichtet sich wichtig zu machen, und es thut Noth daß wir uns über Hals und Kopf noch ein wenig mit der Bescheidenheit zu beschäftigen suchen.
Sagt mir, mit was für einer Mine wollt ihr bei unserm Herrgott erscheinen, ihr meine Brüder, Fürsten, Zinswucherer, Krieger, Mörder, Kapitalisten, Diebe, Staatstbeamtenjuristen, Theologen, Philosophen, Narren und welches Amtes und Gewerbes ihr sein mögt; denn es darf heute keiner in dieser allgemeinen Nationalversammlung ausbleiben, ob ich gleich merke, daß mehrere von euch sich gern auf die Beine machen möchten um Reisaus zu nehmen.
Gebt der Wahrheit die Ehre, was habt ihr vollbracht, das der Mühe werth wäre? Ihr Philosophen z.B. habt ihr bis jetzt etwas Wichtiges gesagt, als dass ihr nichts zu sagen wüsstet? – das eigentliche und am meisten einleuchtende Resultat aller bsiherigen Philosophien! – Ihr Gelehrten, was hat eure Gelehrsamkeit anders bezwekt als eine Zersezung und Verflüchtigung des menschlichen Geistes um zulezt mit Muße und einfältiger Wichtigkeit an das übriggebliebene caput mortuum euch zu halten. Ihr Theologen, die ihr so gern zur göttlichen Hofhaltung gezählt werden möchtet, und indem ihr mit dem Allerhöchsten liebäugelt und fuchsschwänzt, hier unten eine leidliche Mördergrube veranstaltet und die Menschen statt sie zu vereinigen in Sekten auseinander schleudert und den schönen allgemeinen Brüder- und Familienstand als boshafte Hausfreunde auf immer zerrissen habt – Ihr Juristen, ihr Halbmenschen, die ihr eigentlich mit den Theologen nur eine Person ausmachen solltet, statt dessen euch aber in einer verwünschten Stunde von ihnen trenntet um Leiber hinzurichten, wie jene Geister. Ach nur auf dem Rabensteine reicht ihr Brüderseelen vor dem armen Sünder auf dem Gerichtsstuhle euch nur noch die Hände und der geistliche und weltliche Henker erscheinen würdig neben einander! –
Was soll ich gar von euch sagen, ihr Staatsmänner, die ihr das Menschengeschlecht auf mechanische Prinzipien reduzirtet. Könnt ihr mit euern Maximen vor einer himmlischen Revision bestehen, und wie wollt ihr, da wir jezt in einen Geisterstaat überzugehen im Begriffe sind, jene ausgeplünderten Menschengestalten placiren, von denen ihr gleichsam nur den abgestreiften Balg, indem ihr den Geist in ihnen ertödtetet, zu benuzen wußtet. – O, und was drängt sich mir nicht noch alles auf über die einzeln stehenden Riesen, die Fürsten und Herrscher, die mit Menschen statt mit Münzen bezahlen, und mit dem Tode den schändlichen Sklavenhandel treiben. –
O es hat mich toll und wild gemacht, und wie ich die Erdenbrut jezt vor mir herum kriechend erblicke mit ihren Verdiensten und Tugenden, so mögte ich nur auf Stunde bei diesem allgemeinen Weltgerichte der Teufel sein, blos um euch eine noch kräftigere Rede zu halten! –
Die feierliche Handlung zögert noch immer, wie ich sehe, und es wird euch zur Bekehrung noch Raum gegeben, so betet und heult denn, ihr Heuchler, wie ihr es kurz vor dem Tode zu machen pflegt, wenn ihr euer verpfuschtes Leben nicht besser anzuwenden wißt, und unfähig geworden seid, länger zu sündigen.
Hinter Euch liegt die ganze Weltgeschichte wie ein alberner Roman, in dem es einige wenige leidliche Karakirre, und eine Unzahl erbärmlicher giebt. Ach, euer Herrgott hat es nur in dem einzigen versehen, daß er ihn nicht selbst bearbeitete, sondem es euch überlies daran zu schreiben. Sagt mir, wird er es jezt wohl der Mühe werth halten, daß verpfuschte Ding in eine höhere Sprache zu übersetzen, oder muß er nicht vielmehr, wenn er es in seiner ganzen Seichtigkeit vor sich hegen sieht, es im Ingrim zerreißen, und euch mit euren ganzen Planen, der Vergessenheit überantworten? Ich seh's nicht anders ein! denn ihr alle, wie ich euch hier erblicke, könnt ihr wohl mit Recht auf den Himmel oder die Hölle Anspruch machen? Für jenen seid ihr zu schlecht, für diese zu langweilig!
Die Gerichtsanstalten ziehen sich noch in die Länge, doch rathe ich euch werdet nicht etwa beruhigter, rafft euch vielmehr zusammen, um, bis es unter uns kracht noch einige hübsche Fortschritte in der Zerknirschung gemacht zu haben. Ich will mit den triftigsten Gründen losbrechen: der Herr verschonte einst Sodom und Gomorra um eines einzigen Gerechten willen, doch könntet ihr frech genug sein zu folgern, daß er einiger leidlich Frommen wegen einen ganzen Erdball voll Heuchler bei sich beherbergen werde. Thue jemand unter euch auch nur einen einzigen vernünftigen Vorschlag, wohin man euch plaziren soll! Schon der seehge Kant hat es euch dargethan, wie Zeit und Raum nur bloße Formen der sinnlichen Anschauung sind; nun wißt ihr aber daß beide in der Geisterwelt nicht mehr vorkommen; jezt bitte ich euch, die ihr nur allein in der Sinnlichkeit lebt und webt, wie wollt ihr Raum finden, da wo es keinen Raum mehr giebt? – Ja, was wollt ihr gar beginnen, wenn es mit der Zeit zu Ende geht? Selbst auf eure größten Weisen und Dichter angewandt, bleibt die Unsterblichkeit zulezt doch auch nur ein uneigentlicher Ausdruck, was soll sie für euch arme Teufel bedeuten, die ihr keine andere Handlung ausgeübt habt, als die, mit Waaren, und keinen andern Geist kennt, als den Weingeist, durch den eure Poeten ein Analogon von Begeisterung in sich hervorbringen. – Da gebe nur jemand einen leidlichen Rath –, ich wenigstens weiß beim Teufel nicht wo ich mit euch hin soll!«
Hier bemerkte ich eine Unruhe in der Versammlung vor mir, und ich hörte auch ganz deutlich, wie einige junge Freigeister, welche jetzt Synonyma mit Geistlosen isnd, keklich behaupteten, dass das ganze nur ein falscher Lerm gewesen. Der eine aus der Versammlung hatte auch beseits wieder seine Krone aufgesezt, und der erste Rathsstand, der sich selbst vorhin denunciirte, äußerte erboßt: daß es strenge Ahndung verdiene mit einer ganzen respectiven Stadt Komödie zu spielen, und daß man sich an mich als den ersten Lermstifter halten müsse.
Ich gab jezt klein zu, und bat nur noch, indem ich mich in den Mann mit der Krone wandte, um einen Augenblick Gehör; worauf ich folgendes bemerkte: »Wie ein solches Gerichtstagansagen, selbst wenn es blos blinder Lerm doch von einigem Nutzen sein könne, und es sogar zu wünschen wäre, daß durch physikalische Experimente und einige Centner Beerlappenmehl, um von den Anhöhen und Thürmen damit herabzublitzen, regelmäßig, von Staats wegen, ein solcher Vorspuk gemacht werden mögte, damit der Mann mit der Krone, der in Keinem Falle allwissend, dann und wann dadurch eine allgemeine Staatsrevision veranstalten, und den Staat selbst in puris naturalibus mit allen seinen Gebrechen erblicken könnte, da er ihm sonst nur immer in Galla und täuschend durch die Staatsschneider oder Beschneider, die Günstlinge und Räthe ausgeschmükt, vorgeführt würde. Ja, ich trüge selbst darauf an, mir als erstem Erfinder dieses Staatsexperiments ein Patent über meine Erfindung auszufertigen, bloß um die Nebensporteln die an einem solchen pseudojüngsten Tage vorfielen, als z.B. B. die Seegenswünsche der vielen wieder emporgeholfenen armen Teufel, die Flüche der gestürzten Heiligen u. d. g. in meinen Säkel zu ziehen.«
Ja ich wagte zulezt, durch die Todtenstille um mich her kühner gemacht, zu bemerken, »wie ich selbst heute schon eine solche Revision durch meinen Feuerlärm veranstaltet hätte, und es nicht übel gerathen sei gleich jezt an eine mäßige Reparatur zu gehen, und das verschobene Staatsgebäude wieder leidlich durch einige Ämterentsetzungen, Hinrichtungen u. s. w. einzurücken.«
Keiner redete, als ich ausgesprochen, ein Wort, und der Mann schob die Krone auf dem Haupte hin und her. als wenn er mit sich unschlüssig wäre; das endliche Resultat war indeß, daß meine Erfindung als unanwendbar verworfen wurde, und ich aus höchster Gnade nur als ein Narr angesehen werden, und für diesesmal noch mit der Amtsentsetzung gegen mich innegehalten werden solle.
Damit indeß ein ähnlicher Lerm nicht wieder für die Folge zu besorgen, so wurden durch eine Kabinetsordre die von Samuel Day erfundenen watchmanns noctuaries eingeführt, wodurch ich von einem singenden und blasenden Nachtwächter auf einen stummen reduzirt wurde*, wobei man zum Grunde anführte, daß ich durch mein Blasen und Rufen mich den Nachtdieben verriethe, und es deshalb als unzweckmäßig abgeschafft werden müsse.
Die Tagdiebe waren so mit einemmale meiner Aufsicht entzogen, und ich wandle jezt stumm und traurig durch die öden Straßen, um in jeder Stunde meine Karte die Nachtuhr zu schieben. O es ist unglaublich, was seitdem der Schlaf befördert ist, und wie so mancher, der seinen geheimen Sünden nichts als den jüngsten Tag fürchtete seitdem meine Gerichtsposaune zerbrochen ist ruhig und fest in seinen Kissen hegt.
* Anm: :Diese Nachtuhren sind so eingerichtet, daß der Nachtwächter jedesmal in ein bis dahin verstektes Loch, das erst bei der bestimmten Stunde hervorrükt, einen Zettel stekt, zum Belege, daß er regelmäßig umhergegangen ist. Am Morgen schließt dann ein Polizeyoffizier die Uhr auf, um zu sehen, ob in jedem einzelnen Loche der Zettel sich vorfindet.