Friedrich Maximilian Klinger
Die Zwillinge
Friedrich Maximilian Klinger

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Fünfter Aufzug.

Erster Auftritt.

(Ein düsteres Zimmer.)

(Ferdinandos Leichnam liegt auf einem Bette, Amalia ,und Kamilla netzen ihn mit Thränen, zu seinem Haupt stehend. Der alte Guelfo steht in einiger Entfernung. Stiller, heftiger Ausdruck des Schmerzes.)

Alter Guelfo (nach einer langen Pause) Wollt Ihr Leichen auf Leichen häufen? Weiber! Weiber! weg! erbarmt Euch!

Amalia. Leichen auf Leichen, Vater! Ich will mit meinem Ferdinando gehen, das soll mir niemand wehren. Ich will mich an seine blutigen Locken hängen, er wird mich mitnehmen. Nimm mir diese runde Locken! nimm mir sie, Alter! Meine Hände sind an den Todten gewachsen. Meiner erbarmt er sich; nimm mir ihn!

Alter Guelfo. So häuft Leichen auf Leichen, und ich stehe im öden Haus verwaist, meine Kronen heruntergerissen! Mein graues Haar in sein Blut getaucht, steh ich allein! – Ha! so überschwemmt ihn mit Euren Thränen, daß ich den Holden nie mehr erkenne! – Weiber! Weiber! laßt den seligen Geist zur Ruh!

Kamilla. Bring' mich hier weg, Vater! Meine Hände sind warm, meine Liebe heiß, und meine Thränen – steh' auf, mein Ferdinando! Oh! wir Weiber wollen sein Leben erwärmen! – Und sieh', seine blasse Wangen leben! Weile nicht, mein Bräutigam! Weile nicht! die Braut harrt Deiner.

Amalia. Faß' ihn fest, und letz' ihn! – Ha! wenn ich ihm über die Stirne streich', wenn ich seine blutigen Locken um meine Hände winde, zuckt er nicht, und sein grosses Aug' öfnet sich?

Kamilla. Horch! ich küßte seine Lippen – horch! rufts nicht?

Amalia. Schlägt sein Herz nicht? Die Mutter erwärmts. Horch!

Alter Guelfo. Wehe! Wehe! Verflucht die Hand, die's that! Verflucht die Hand, die dem Greis den Sohn, der Braut den Bräutigam erschlug! Wehe! Wehe! Ich stehe da verwaist! Niemand erbarmt sich meiner, da mein Bester erschlagen liegt.

Amalia. Der Liebe liegt nicht erschlagen. Braut, faß' ihn! Unsre Liebe wird den Kalten erwecken. Er hat uns noch kein Lebewohl gesagt – so geht Ferdinando nicht.

Alter Guelfo. Wehe! Wehe! Laßt den seligen Geist zum Himmel, daß er den Mörder anklage, rufe Rache und Weh! –

Amalia. Du willst mich von ihm reissen, mich, die ich ihn gebar? – Ich gebar sie mit Angst; als ich sie schreyen hörte, schwand alles. Ich hub die Knäblein auf, dankte, benedeyte sie mit meinen Thränen. Laß mich nun diesen benedeyen! meinen Sohn wiederrufen!

Alter Guelfo. Ich will mich niederlegen, und sterben. Gott! Du hast mich zerschlagen! Du ließt den Einzigen erschlagen, ließt ihn vom Bruder erschlagen! Heiliger, rette mich! rette diese aus naher Verzweiflung! Vom Bruder erschlagen liegt er!

Amalia. Vom Bruder nicht erschlagen! Gott! nein! – Ha! Du willst sagen, er thats! Du willst, daß ich die Stunde verfluche, in welcher ich zwey rüstige Knaben gebar?

Alter Guelfo. Du sollst die Stunde der Geburt verfluchen, die den Mörder brachte. Von ihm erschlagen liegt er! Kein Mensch auf Erden schlägt solche Todeswunden als Guelfo.

Amalia. Nein! nicht! Mein Einziger und jetzt mein Einziger thats nicht! Hat er nicht seine Mutter lieb? und sollt' ihr den Geliebten erschlagen?

Alter Guelfo. Decke die Decke des Todes über ihn! Er schlug ihn an der Stätte, wo er seinen Geist aufsteigen sah'. – Riß der Hund des Erschlagenen nicht ein Stück aus dem Gewand des Mörders? Ist seine wütende Spur nicht in Boden eingedrückt? – Decke die Decke des Todes über den Holden! Und nun laß Deinen Guelfo kommen, dem Todten vor der Stirne stehen, das Bekenntniß ablegen, den Mord abschwören, die blutige Locke in der Hand, die Todeswunde betasten, aus welcher das friedliche Leben quoll, aus welcher des Vaters Leben quoll! Laß ihn kommen, und das thun!

Amalia. Er soll nicht kommen, den Erschlagenen zu sehen. – Braut, bist Du dem Bräutigam gefolgt? läßt die Mutter?

Kamilla. Mutter, leite mich zu ihm, daß sich an seinem Haupt meine Seele löse!

Alter Guelfo. (deckt den Leichnam zu) Guelfo! Rache und Weh!

Amalia. Heil! Heil meinem Guelfo! meinem einzigen Kinde von drey Lieben! Warum willst Du mir diesen wegreissen? diesen hat der Tod gefressen; Du willst grausamer seyn, und mir beyde aufzehren? Ha! was soll der Dolch, der aus Deinem Busen blinkt? Ich will Dir ihn entreissen, und diesem folgen!

Alter Guelfo. Weib! Weib! Nähm' sich der Herr meiner nicht an, ich stieß mir ihn durchs Herz – ließ Dich allein verzweiflen! – Ich leb' wegen Deiner, Weib! Mein Herz ist mehr zerstossen, weil ich nicht dicke Thränen weinen kann, wie Ihr.

Letzter Auftritt.

Ritter Guelfo. Vorige.

Guelfo. Warum laßt Ihr mich nicht in tiefem Schlaf liegen? Was schreyt Ihr, was heult Ihr, die Hände gehoben zum Rächer? Was zittert Gewinsel durchs Haus, und zerreißt meine Seele?

Alter Guelfo. Mörder! Mörder, willst Du auch uns erschlagen?

Guelfo. Mörder Ihr! Ha!

Amalia. Guelfo, flieh! Du bist nicht Mörder! Deine Hand ist nicht blutig! Ich häng' an Deinen Knieen, Du bist nicht Mörder! Du hast ihn nicht erschlagen, hast nicht!

Guelfo. Wen erschlagen? Wer liegt erschlagen?

Kamilla. Du hast der Braut den Bräutigam erschlagen.

Guelfo. Ich habe keinen erschlagen, weiß von keinem.

Alter Guelfo. Wo ist Dein Bruder, Mann mit dem Feuerblick? Du mit dem rollenden Auge der Verzweiflung, wo ist Dein Bruder?

Guelfo. Alter! ich hatte keinen Bruder.

Alter Guelfo. Wo ist Ferdinando, Dein Bruder? Ha, Giftiger! Schüttle Deine starren gehobnen Haare! schüttle den Mord von Dir! Wo ist Ferdinando?

Guelfo. Wer heischt von mir, Ferdinando zu hüten? Hat ers verdient um mich? Ich hab ihn nicht gesehn, mag ihn nicht gesehn haben, mag ihn ewig nicht sehn!

Alter Guelfo. Hörst Du den Rächer, der im Wind daher fährt, Dich wegen Mord und Meineyd zu strafen? – Meine Kniee zittern –

Guelfo. Komme der Rächer! ich weiß nichts.

Alter Guelfo. Soll ich die Decke des Todes heben? Weh' über Dich!

Guelfo. Hebe die Decke des Todes und der Hölle!

Alter Guelfo. Tritt herbey! – Hast Du nicht diesen erschlagen? (hebt die Decke) Hast Du nicht Vater, Mutter, Braut erschlagen mit diesem? Lege Deine Hände auf ihn! schwör!

Guelfo. Ich lege meine Hände nicht auf diesen. Den erschlug ich, der auf mich blickt mit starrem kalten Auge, der seine blutigen Locken schüttelt und Tod. Mit starker Faust erschlug ich ihn an der Eiche. – Blick' auf mich, Blutiger! Blicke Tod! – Ha! ich reiß ihn von mir, und aller Tod auf Dich! – Verflucht sey er und Ihr! – Ich erschlug ihn, daß Ihr ihn mit Eurer Liebe aufwecken mögt. Ha! habt Ihr keine Liebe, den Einzigen zu erwecken? Verflucht Ihr und ich! Ich sang ihm das Brautlied, kränzte den Bräutigam, sang, sang – Fluch Euch!

Amalia. Erbarmen! Erbarmen! Fluch' der Mutter nicht!

Alter Guelfo. Fluchst Du dem Vater, da Du ihm den Besten erschlugst?

Guelfo. Er hat mir die Erstgeburt gestohlen, hat mich verdorben und Ihr! Er hat mir diese gestohlen, die bleich da liegt. Ich erschlug ihn, da er mir das Meinige nicht geben wollte.

Alter Guelfo. Ich will Dein Gewissen nicht foltern mit Entdeckungen Deiner Verblendung, von Gott Verfluchter! Geh mit Brudermord zur Hölle! Weh' über Dich!

Amalia. Erbarm Dich seiner, er mordet uns! Tod blickt aus ihm.

Guelfo. Rufet Rache und Weh!

Amalia. Flieh', Guelfo! flieh! Ich will mich vor Dich stellen, Dein Schild seyn.

Alter Guelfo. Deine Spur sey ausgetilgt auf Erden! ausgetilgt hier! Verflucht!

Amalia. Decke die Decke des Todes! Der Blutige steigt auf.

Guelfo. Steig' er auf! – Rächer! Rächer! – Ich hab' ausgeredt. (verhüllt sich.)

Alter Guelfo. Sang nicht der Schwan seinen Todtensang? sah' in der Ferne seinen Geist aufsteigen, wo der Verfluchte den Scheitel des Gerechten schmetterte? Horcht' er nicht den Todtenruf an der Braut Seite und zitterte? – Du hast ausgesungen Dein Lied! Du hast verlassen Vater und Mutter im Jammer! Du liegst erschlagen vom Bruder der Verdammung! – Gott erbarm' dich seiner! Gezeugt zum Fluch – Fluch! Fluch! Erbarm' dich seiner! Hier steht er verhüllt, bebt, Rächer, entgegen der Rache!

Amalia. Rächer, strafe die Mutter! schone hier und dort!

Alter Guelfo. Ich stehe da, wie Adam, als ihm der Gerechte erschlagen ward. Eva heult, die Braut klagt, Kain flucht den Alten – – Rache und Weh! – – Gott! ich danke dir, daß du mein Gefühl starr machst, daß du den Ermordeten jetzt aus meinem Herzen reißt mit dem Mörder – – (zieht einen Dolch.)

Amalia. Was willst Du?

Alter Guelfo. Weib! wenn er lebt, soll ihm der Blutrichter das Haupt abschlagen vor Deinen Augen? Soll er irren, doppelt verdammt, unstätt und flüchtig? – sterben durch den Henker, Guelfos Sohn? – – Der Blutige ruft Rache! – Rächen will ich Vater Guelfos Sohn! erretten von der Schande Guelfos Sohn! leben im Jammer verwaist – (stößt ihn nieder.)

Ende des fünften Aufzuges.


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