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Ein kleines Haus in Valmondois

Bereits im Jahre 1869 war Daumier aufs Land gezogen, nach Valmondois bei Paris, Ein langes Menschenleben voll Arbeit hatte er hinter sich, stolze Jahre des Kampfes und bittere Jahre der Enttäuschung, oft nur aufgehellt von der ruhigen Schönheit seiner Ehe mit einer stillen, über alles geliebten Frau.

Und jetzt war das Alter gekommen.

Daumier spürte, wie seine Augen ihre Schärfe verloren. Er war auf das Land gezogen, um sich zu erholen. Und Valmondois war ja nicht weit weg von Paris, wo der Platz seines Schaffens war. Durfte er jetzt müde werden? Jetzt, nach dem entsetzlichsten Triumph, den die Reaktion je erfochten hatte!

Sollte das alte grausame Spiel immer wieder von neuem beginnen? Das Militär hatte die Bourgeosie gerettet. Die dritte Republik betete die Kommuneschlächter an, und das Resultat war, daß die Militärs die Herren der Nation wurden. Thiers trat wieder einmal vom Schauplatz der Politik ab, diesmal für immer, und der Marschall Mac Mahon wurde Präsident der Republik. Der Feldherr eines verlorenen kaiserlichen Krieges als Chef einer bürgerlichen Republik – die Geschichte liebt solche kapriziösen Seitensprünge!

Erschüttert und verwirrt hatte sich der alte Daumier nach den blutigen Pariser Ereignissen zurückgezogen. Mit Bitterkeit sah er, wie die bürgerliche Republik abermals vor dem Stiefel des Soldaten kroch. Ein Offizierkorps mit allen Vollmachten der absoluten Herrschaft in der Republik bedeutet stets die Reorganisation der Monarchie. Und wirklich, die Monarchie wagte sich wieder hervor. Mac Mahon spielte mit der Volksvertretung Schindluder. Die Republikaner in Beamtenstellen wurden schikaniert und entlassen und Monarchisten auf ihre Posten gesetzt.

Wieder eine Monarchie? Sollte das Jahrhundert enden, wie es angefangen? Daumier erhob sich noch einmal gegen diesen Unsinn der Geschichte. Er kämpfte jetzt um den Sinn seines ganzen Lebens und Schaffens. Ja, er war alt und krank, seine Augen machten nicht mehr mit, seine zitternde Hand hatte nicht mehr die kräftige Kühnheit, aber die Gefahr einer neuen Monarchie rief ihn auf den alten Kampfplatz.

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Die Monarchie mit bräutlichen Gelüsten

Zahlreiche Lithographien stellen sich der monarchistischen Propaganda entgegen: Die Monarchie tritt im Brautstaat, mit Schleier und Gebetbuch, an einen Mann in der Bluse heran, ein werbendes Lächeln um den zahnlosen Mund. Aber der Blusenmann verschränkt die Hände hinter dem Rücken und bedankt sich für die alte Vettel. »Alt und ausgespielt!« ruft Daumier der Monarchie zu und zeichnet die Republik als jungen, geradegewachsenen Baum und daneben die Monarchie als verkrüppelten, windschiefen Stumpf, fast zu schlecht für die Axt, weil die Fäulnis bald die Baumruine von selbst umlegen wird. – Die Monarchie als Leiche. Daumier riß noch einmal seine ganze Kraft zusammen, dieses Blatt, das wie ein Abschluß ist, zu zeichnen. Mumienhaft zusammengeschrumpft und abstoßend häßlich liegt die tote Monarchie im offenen Sarg. Sogar das Leichentuch kann nicht verbergen, daß ihr Körper längst verfallen war.

Diese letzten Lithographien stammen aus dem Jahre 1872. Fünf Jahre später siegte die Republik trotz der heftigen Propaganda und Beeinflussung durch royalistische Beamte und Geistliche, die Wahlen ergaben eine Mehrheit für die Republik, und Mac Mahon mußte zurücktreten. Die bürgerliche Republik stand fest. Sie wurde der Sockel eines neuen gesellschaftlichen Gebäudes, die Stufe für die nächste historische Phase, für die moderne Arbeiterbewegung. Das Blutbad, das die Kommune ausgelöscht hatte, konnte den Sozialismus nicht aus der Welt schaffen. Bereits ein Jahr nach dem Massenmord erhoben sich die Proletarier wieder. Sie hatten aus der Vergangenheit gelernt, sie organisierten sich, die ersten großen gewerkschaftlichen Verbände und politischen Arbeiterparteien entstanden.

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Die Monarchie

Den Beginn dieser neuen historischen Epoche konnte Daumier nicht mehr erfassen. Eine Ahnung des Todes hatte ihre Hand auf seine Augen gelegt. Er wurde allmählich blind.

Die Einsamkeit ist das Schicksal des Genies.

Die Augen bedeuteten Daumier alles: Leben, Schaffen, Brot. Alles wurde ihm mit dem Licht seiner Augen genommen. Das größte Genie unter den bildenden Künstlern Frankreichs hätte in seinen letzten Jahren kein Obdach gehabt, wenn ihm nicht Freunde helfend beigesprungen wären. Corot schenkte ihm ein kleines Haus in Valmondois.

Daumier zu ehren und zu unterstützen, veranstalteten seine Freunde eine Kollektivausstellung seiner Bilder. Einflußreiche Personen setzten sich für die Sache ein. Aber das Publikum zeigte sich wenig interessiert. Nicht einmal die Ausgaben wurden gedeckt.

Am 11. Februar 1879 starb Daumier. Es war ein trauriges Begräbnis. Zehn Personen standen an der Grube.

Thiers war zwei Jahre vor Daumier gestorben. Nicht als Hungerleider, sondern, wie es sich für einen Volkstribun geziemt, als vermögender Mann.

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Ein Staatsbegräbnis

Daumier liegt auf dem Père Lachaise begraben, auf dem bekanntesten Friedhof Frankreichs und der ganzen Welt. Er ruht unter derselben Erde, die das Massengrab der Kommunekämpfer deckt.

Unvergänglich wie ihr Opfertod für die Revolution ist auch sein Schaffen. Ihr Vermächtnis an die Nachwelt ist das seine.

Auf seinem Grabstein, der einfach ist wie das Leben, das er abschließt, steht ein schlichter Satz:

Leute, hier ruht Daumier, der wahrhaft gute Mensch, der große Künstler und der große Republikaner.

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