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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Die Freibillete des Verfassers

Wir befinden uns in der Vendômestraße bei Herrn Mondigo, dem Schriftsteller, der nicht so weitläufig und prächtig logirt ist wie sein Bruder, der Banquier, aber doch in einer dritten Etage ein zwar kleines aber hübsch ausgestattetes und mit einer gewissen Eleganz möblirtes Quartier inne hat.

Die schöne Clementine sitzt auf einer Causeuse, von wo sie sich in einem Spiegel betrachtet, in dem sie von Zeit zu Zeit eine Locke ihrer blonden Haare ordnet, die sich nicht unter ein kleines, kokettes, höchst anmuthiges Häubchen schmiegen will, welches ihr vorzüglich steht; dann wirft sie einen Blick auf ihr Kleid und ihre Fußbekleidung, gleichsam um sich zu überzeugen, daß nichts an ihrer Toilette fehle.

Herr Mondigo geht von einem Zimmer in das andere, läuft in sein Cabinet, sieht auf seinem Schreibtisch nach, kommt in den Salon zurück, überliest seine Schreibtafel und ruft immer dabei aus: »Habe ich Niemand vergessen? ... Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht ... diesen Abend ... diesen Abend meine erste Vorstellung! ... Mein Gott, es war mir doch, als hätte ich noch Einiges wegzustreichen ... meinem ersten Liebhaber noch einige Bemerkungen mitzutheilen ... aber wenn ich diesen Morgen in's Theater gehe, so habe ich nimmermehr Zeit, meine Billete zu verschenken! ... Grausame Lage! Ich soll zwanzig Personen besuchen und weiß nicht, bei welcher anfangen. Ha! welch' gräßlicher Tag, der Tag einer ersten Vorstellung! ... Dabei ist es von höchster Wichtigkeit, beim Verschenken seiner Billete die gehörige Auswahl zu treffen ...«

Die schöne Blondine lächelte, indem sie mit bedauerlicher Miene sagte: »Mein Gott, lieber Freund, mache Dir doch nicht so viel böses Blut, es könnte Deine Gesundheit angreifen! Du bist doch gar zu gutmüthig, Dir mit dem Verschenken Deiner Billete so viel Mühe zu geben. Warum machst Du es nicht wie alle Deine Collegen, welche einen Gewinn daraus ziehen, und dabei noch die Mühe sparen, sich damit beschäftigen zu müssen?«

»Ich meine Billete verkaufen! Ei, warum nicht gar! Nie, Madame, nie! ... Ich ziehe es vor, Freunde in meinem Stück zu haben ... gute Freunde, welche mein Werk applaudiren werden! welche, geschmeichelt durch ihre Verbindung mit dem Verfasser, mein Stück überall anpreisen, citiren und bei ihren Bekannten en vogue bringen werden; ich glaube, theure Freundin, daß das mehr werth ist und mehr einträgt, als seine Billete zu verschachern.«

Madame Mondigo antwortet nichts; sie hat so eben eine kleine Unordnung an ihrem Kopfputz entdeckt und hört nicht mehr auf ihren Gemahl.

Man hat viel geschrieen, man hat die Verfasser von Theaterstücken beschimpfen und in dem Koth herumziehen wollen, weil sie seit ungefähr 20 Jahren, um sich des Aergers, der Sorgen, der Gänge, der Ungewißheit und des Zeitverlustes zu entschlagen, welcher ihnen aus dem Unterbringen oder vielmehr Verschenken ihrer Billete erwuchs, den Anträgen nachgaben, welche ihnen in ihrem Interesse gemacht wurden, und diesen Theil ihrer Autorrechte an Leute verpachteten, welche einen öffentlichen Handel damit treiben, d. h. den Theaterfreunden die Billete des Verfassers um einen etwas geringeren Preis, als man an der Kasse zahlen muß, verkaufen.

Vor Allem sind diese Billete, deren Absatz die Theaterverwaltungen den Autoren, wenn man ihre Stücke spielt, rechtlich und contraktlich einräumen, das vollkommene Eigenthum dieser letztern, welche nach ihrem Gutdünken darüber verfügen können; das ist gar keine Frage mehr. Das ist so vollständig anerkannt, daß mehrere Theaterdirektionen den Verfassern ihre Billete abkauften; es gibt auch Theater, wo die Verfasser keine Billete auszugeben haben; dann aber wurden sie für dieses Recht entschädigt. Das ist eine freiwillige Uebereinkunft von beiden Seiten, die niemals Veranlassung zu Streitigkeiten gegeben hat. Kommen wir nun zu den Vorwürfen, welche man den dramatischen Dichtern macht, daß sie interessirt, habsüchtig, jüdisch geworden, daß sie von einem zu kaufmännischen Geist angesteckt seien und mit einem Wort aus Allem Geld machen wollen. Zuerst könnten wir antworten, daß wir in einem Jahrhundert leben, wo diese Geldliebe, dieser Gelddurst ein allgemeiner geworden ist, daß somit die dramatischen Autoren nicht mehr zu tadeln sind als andere Menschenkinder, wenn sie von ihrer Arbeit so viel wie möglich Nutzen ziehen wollen; ja am allerwenigsten sie, die so vielen Unfällen ausgesetzt sind und oft an einem Abend, in ein Paar Stunden und bisweilen in noch kürzerer Zeit die Frucht von zwei Monat Nachtwachen und einsamer Arbeit dahinschwinden sehen müssen.

Aber ihr habt keine Waare, keine Kapitalien in die Schanze geschlagen! werden gewisse Leute rufen. Was verlieret ihr also? Höchstens gewinnet ihr nichts. Was ich verliere, ich, ein dramatischer Schriftsteller, wenn mein Stück durchfällt? Ei, ich verliere die ganze Zeit, die ich auf diese Arbeit verwendet, und diese Arbeit, die euch ein Spiel, eine Kleinigkeit, ein Spaß scheint, weil sie bestimmt ist, euch in euren müßigen Augenblicken zu erheitern, diese Arbeit strengt mehr an als die des Bauern, des Handwerkers, denn sie spannt ohne Unterlaß die Fibern an, welche mit dem Gehirn im Zusammenhang stehen; sie erhitzt das Blut, reizt die Nerven auf und hält unsern Geist in unaufhörlicher Aufregung ... vorausgesetzt, daß wir einen haben! ... und muß aus demselben Grunde diejenigen noch viel mehr erschöpfen, welche wenig haben (fast hätte ich gesagt: keinen) und sich dann unerhörte Mühe geben, Etwas aus ihrem Kopfe herauszubringen, während doch nichts darin ist.

Ferner: Ist denn die Zeit, welche auf ein Stück verwendet oder dabei verloren wird, für gar nichts zu rechnen? Die Zeit ist doch wahrlich der einzige reelle Werth, alle anderen sind nur relative, durch Übereinkunft bestimmte Werthe. Mit Gold, Silber, Diamanten, kurz mit allen unter den Menschen festgesetzten Werthen könnt ihr kein Jahr, keinen Monat, keinen Tag von euerm Geburtsschein wegbringen; ihr könnt nie noch einmal umkehren und euch die Zeit zurückgeben lassen, die ihr gut oder schlecht angewendet habt.

Kehren wir zu unseren Autorenbilleten zurück. In Paris gibt es einige Kaffeehäuser, einige Kram- oder Friseursläden, wo solche Billete abgegeben werden. Das thut dem gewöhnlichen Verkehr des Etablissements keinen Abbruch, im Gegentheil zieht es manche Leute an; denn es liegt nichts Unrechtes darin, ein Theaterbillet zu kaufen, und man braucht sich nicht zu verstecken, wenn man eine Vorderloge im Vaudeville, eine Loge im Gymnase, einen Platz auf die erste Galerie im Variétéstheater kauft.

Wollt ihr jetzt wissen, warum die Verfasser darauf verfielen, sich ihrer Billete zu entledigen? Ihr sollt einige der Plackereien kennen lernen, zu denen diese Billete Veranlassung gaben, und zwar der reinen Wahrheit gemäß; denn im Allgemeinen ist die Wahrheit unterhaltender als die Uebertreibung.

Mondigo, der diesen Abend ein neues Stück von mehreren Akten spielen läßt, kann für die erste Vorstellung über dreißig Plätze und für die beiden nächsten über ebenso viel verfügen. Aber von Freunden und Bekannten ist er wenigstens um Hundert angegangen worden. Er hat seine Liste für die erste Vorstellung gemacht; er hat es versucht, die Sache zu Jedermanns Zufriedenheit zu arrangiren; er hat die besten Plätze für Personen, die er hochachtet, oder für Freunde, auf welche er besonders rechnet, vorbehalten. Es ist ihm sogar manchmal begegnet, seinem Bruder oder seinen Neffen ein weiteres Billet zu verweigern, um eine Person, welche in journalistischen Verzweigungen steht, nicht vor den Kopf zu stoßen.

»Nun, jetzt muß ich aber in meine letzte Probe gehen!« ruft Mondigo, nachdem er zum zwanzigsten Male seine Billete nachgezählt hat. »Clementine, sieh hier die Billete, welche ich versprochen; ich habe auf jedes Paquet den Namen der Person geschrieben, für die es bestimmt ist; verwechsle doch ja keines mit dem andern, theure Freundin.« – Ich hoffe, daß ich eine Loge für mich habe,« sagte die schöne Blondine, ohne ein Auge von dem Spiegel zu verwenden.

»Ja, ja, ganz gewiß.« – Der Bühne gegenüber. – »Ja, Madame, der Bühne gegenüber.« – Und im ersten Rang. – »Versteht sich von selbst.« – Hast Du Deinem Bruder und seiner Frau eine Loge gegeben? – »Allerdings; schon gestern.« – Auf der gleichen Galerie wie wir? – »Ich glaube, ja.« – Dann, Herr Gemahl, gehe ich heute Abend nicht in Ihr Stück! – »Wie, Clementine! was sagst Du da? Du willst dem Triumphe Deines Gatten nicht beiwohnen? denn ich hege die süße Hoffnung, daß es ein Triumph sein wird! Aber was müßte man über eine solche Gleichgültigkeit von Dir denken?« – Mag man davon denken, was man will, Herr Gemahl, das gilt mir gleich; aber da Ihre Schwägerin, die Frau St. Godibert, mich fortwährend mit ihrem Reichthum, ihrem Luxus, ihrer Kleiderpracht, ihren Diamanten niederdonnert, so ist es recht und billig, daß ich mir bisweilen eine kleine Genugthuung verschaffe und als Gemahlin des Verfassers des neuen Stückes einen ausgezeichneteren Platz einnehme als sie. Es ist dies eine Ehre, Herr Gemahl, die ich Ihnen erzeigt wissen will; man muß diesen Leuten, welche nur dem Gelde ein Verdienst zuerkennen, von Zeit zu Zeit zeigen, daß der Geist auch zuweilen den Vorzug hat. – »Ruhig, Clementine, ruhig! Ich erinnere mich so eben, daß die Loge meiner Schwägerin im zweiten Rang und nicht im ersten ist.« – Aber auch gewiß? – »Ganz gewiß.« – Nun wohl, dann gehe ich. – »Ach! hier ist ein Billet für Dernesty ... ich denke, er wird es selbst abholen.« – Wozu ihm einen besonderen Platz geben? Er soll in unsere Loge kommen, das ist viel natürlicher. – »In unsere Loge? Aber es ist nur für Viere Platz.« – Nun? – »Nun, ich glaubte, Herr und Frau Marmodin würden mit Dir kommen.« – Nein; Herr Marmodin würde aus Veranlassung Ihres Stückes auf seine Römer zu sprechen kommen. Und seine Frau schwatzt immer, bewegt sich immer, spricht oder lacht so laut, daß sie die Aufmerksamkeit des ganzen Saals auf sich und von Deinem Stücke abzieht. Ich habe vorgezogen, Herrn und Fräulein Soufflat mitzubringen. – »Schon recht, theure Freundin. Aber was fangen wir mit Marmodin und seiner Frau an?« – Ich habe ihnen die Billete für Soufflats gegeben. – »Ganz gut. Ich eile nun in meine Probe, verwechsle nur die Billete nicht.«

Mondigo begibt sich in das Theater, wo die Probe seines Stückes stattfindet. Kaum ist er über die Schwelle getreten, so sieht er sich von Schauspielern, Schauspielerinnen, Autoren, Angestellten des Theaters und Stammgästen des nächsten Kaffeehauses umringt. Alles verlangt Billete von ihm; zehn Plätze hat er noch zurückbehalten, aber wie soll er damit alle ihn Bestürmenden befriedigen? Er will Billete zu Gunsten der Künstler, welche in seinem Stücke spielen, behalten; aber es gibt so rücksichtslose, so zudringliche Menschen, wenn sie einmal Etwas haben wollen! ... Von allen Seiten posaunt man ihm in die Ohren:

»Ah! Mondigo, zwei Plätze für diesen Abend.« – Mir können Sie das nicht abschlagen. – »Sie sind doch noch ein Mann, der seine Billete herschenkt! Sie sind nicht wie die andern Autoren! ... Sie sind artig, Sie sind nobel.« – Herr Mondigo, Sie haben mir gestern Abend zwei Plätze versprochen. – »Bester Freund, ich muß nothwendig zwei haben für meine Mutter und meine Frau; sie zählen darauf.« – Geben Sie mir welche, ich commandire über zwölf tüchtige Fäuste!«

Der unglückselige Autor ist auf die Bühne hinaufgegangen; er sucht dieser Menge von Bewerbern, welche ihn umlagert, zu entrinnen; aber er wird von Coulisse zu Coulisse verfolgt, umringt, umgarnt, blockirt; unfähig, sich länger zu vertheidigen, gibt er seine zurückbehaltenen Billete Leuten, die er kaum kennt, und kann denen keine mehr geben, welchen er versprochen hatte. Diese sind sehr mißvergnügt über den Autor und beklagen sich über seine Wortbrüchigkeit; die Künstler, welche in seinem Stücke spielen, schneiden ihm Gesichter, und der arme Mondigo, der nicht mehr weiß, was er denen antworten soll, die Billete von ihm verlangen, ergreift den Ausweg, sich aus dem Theater zu flüchten und kommt heim, indem er zu sich sagt: »Alle diese Leute werden noch machen, daß ich des Teufels werde mit meinen Billeten.«

Beim Nachhausekommen fragte Mondigo, ob man die zurückgelassenen Billete abgeholt habe. Seine Frau deutet mit dem Finger auf alle die kleinen Pakete hin, indem sie antwortet: »Nein ... nur Ihr Zuckerbäcker ist erschienen, um zwei abzuholen. Sie geben also Ihrem Zuckerbäcker Billete, Herr Gemahl?« – Warum denn nicht, wenn er gut applaudirt? Diese Leute haben derbe Hände und dann weiß ich, daß er in das Schauspiel ganz vernarrt ist. Er hat mir letzthin, während ich Nelsontörtchen in seinem Laden aß, gesagt, er und seine Frau hätten wie Kälber geweint in meinem letzten Drama. Jetzt kannst Du Dir denken, daß ich ihm zwei Plätze für diesen Abend versprach. Ah! ich wußte wohl, daß er nicht vergessen würde, darum bitten zu lassen, er ... aber alle die Andern da, die ihre Billete nicht abholen ... das ist unbegreiflich!«

Mondigo sitzt nieder, wartet, wird ungeduldig. Er möchte seine Billete nicht verloren sein lassen, zumal, nachdem er so vielen Personen, die so begierig darnach schienen, solche abgeschlagen hatte.

So oft man an der Thüre läutet, läuft der Autor hinaus, um zu erfahren, ob man Billete abholen lasse.

Endlich eilte Herr Doguin, für welchen er eine sehr gute Loge aufbewahrt hatte, mit hastigem hochvergnügtem Wesen herbei.

»Guten Morgen, Herr Mondigo; Madame, ich lege mich zu Füßen,« sagt Herr Doguin, in die Stube des Schriftstellers tretend.

»Ah, da sind Sie endlich ... Herr Doguin? So kommen Sie doch!« sagte Mondigo, indem er nach seinen Paketchen eilte. »Sie kommen, Ihre Loge abzuholen ... da, hier ist sie ... eine offene Loge, vier Plätze, Sie werden herrlich aufgehoben sein.« – Ei, du lieber Gott! mein werther Herr Mondigo, wir können ja leider Ihre Gefälligkeit nicht mehr benützen. Der Pathe meiner Kleinen, ein alter Papa, der das Schauspiel nicht leiden kann, weil er es für ungesund erklärt, ist auf Besuch bei uns eingetroffen und wir müssen ihm Gesellschaft leisten. Sie werden uns ein anderes Mal eine Loge geben ... ei, da fällt mir ein, z.B. nächsten Samstag; an diesem Tage habe ich keine Abendgesellschaften und weiß nie, was ich mit mir anfangen soll. – »Ei, das hätten Sie mich doch wenigstens diesen Morgen wissen lassen sollen!« – Ich hatte daran gedacht ... da wurde ich gestört ... und erst jetzt fiel mir Ihre Loge ein. Sie können sich denken, daß ich andere Dinge im Kopfe habe! ... Der Pathe meiner Kleinen ist ganz versessen auf Gansleberpastete, und da zerbreche ich mir den Kopf, wo man in diesem Stadtviertel gute bekommen kann. – »Verzeihung, Herr Doguin, aber heute gehen mir andere Sachen im Kopfe herum als Gänse ... wenn man ein neues Stück aufführen läßt und gar ein dreiaktiges ...« – Da fällt mir gerade ein, auf dem Boulevard hier neben, gibt es, glaube ich, einen Eßwaarenladen, da will ich gleich hingehen. Wenn ich nun aber statt einer Pastete eine Terrine von Nerak nähme; was halten Sie davon? Würden Sie die Terrine vorziehen? – »Ei, mein Gott! nehmen Sie Nerak oder Pontak! Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll!« – Nun, wir wollen sehen. Adieu, Herr Mondigo ... Madame, meine achtungsvollste Empfehlung. Also nächsten Samstag geben Sie mir eine Loge; wenn es meiner Frau nicht recht sein sollte, würde ich Ihnen die Billete wieder zurückschicken. – »Ja! ja! rechne nur darauf, dummer Kerl!« rief der Autor aus, nachdem sich Herr Doguin entfernt hatte. »Ach, wie sehr bedaure ich, ihm diese Loge aufbewahrt zu haben! Das ist doch höchst widerwärtig.«

Noch sind keine fünf Minuten verflossen, seit Herr Doguin weggegangen, so bringt der Portier zwei Briefe an Herrn Mondigo herauf, welcher sie schleunigst erbricht.

In dem einen schreibt man ihm: »Mein Junge ist heute aus seiner Schule in die Vakanz gekommen; statt ihn in das Theater zu führen, wo man Ihr Stück spielt, wollen wir lieber mit ihm in das chinesische Schattenspiel gehen, das wird ihn mehr ergötzen.«

In dem andern steht: »Verfügen Sie für heute über Ihre Billete; aber ein anderes Mal rechnen wir auf Ihre Gefälligkeit.«

Der Verfasser zerknittert diese Briefe in seiner Hand und wünscht die Schreiber derselben zum Henker. Er nimmt seinen Hut, seine Billete und schickt sich zum Ausgehen an.

»Du gehst noch einmal aus?« fragte Clementine; »aber es ist ja schon spät und Du hast gesagt, Du wünschtest heute frühzeitig zu Mittag zu essen.« – Ei! lieber Gott! ich muß doch suchen, meine Billete an den Mann zu bringen. Du siehst ja, daß mir mehr als zwölf Plätze übrig bleiben! – »Aber, mein Freund, Du bist bereits durch Deine Proben und die vielen Gänge ermüdet, welche Du noch gestern gemacht hast, um Billete zu versprechen; denn die guten Freunde nehmen sich nicht einmal die Mühe, zu kommen und darum zu bitten: man muß ihnen ins Haus nachlaufen und sie anbieten. Wenn man es aber natürlicher findet, ihren Besuch abzuwarten, so sagen sie nach einiger Zeit: »,Sie sind sehr liebenswürdig, man hat ein neues Stück von Ihnen gespielt und Sie haben mir nicht einmal ein Billet gegeben/« – Das weiß ich Alles, liebe Freundin, aber es ist bald vier Uhr und ich möchte diese Plätze doch nicht verloren gehen lassen ... ich werde mich beeilen.«

Der Autor geht hinaus und begibt sich schleunigst zu einem alten, ihm befreundeten Sachwalter, der 15,000 Franken Rente bezieht, aber seine Frau niemals ins Theater führt, als wenn man ihm die Billete dazu schenkt.

»Es ist Niemand zu Hause,« sagte der Portier zu Mondigo. »Herr und Frau speisen auswärts.« – Das ist ein Vergnügen!« seufzte der Autor. »Je nun, sehen wir anderwärts. Ah, da Hab' ich's! Zu Badoureau ... er und seine Frau gehen oft ins Schauspiel ... es wird ihnen großes Vergnügen machen, bei meinem Erstling gegenwärtig zu sein ... wenn sie nur nicht auch auswärts speisen!«

Damit machte sich Mondigo wieder auf die Beine. Er kommt im Hause seines Freundes Badoureau an: hier trifft er die Leute daheim. Er tritt mit der Miene eines Mannes ein, der Freude zu machen überzeugt ist, und bietet eine Loge für den Abend an.

»Was wird zu Ihrem Stück gegeben?« fragte der Herr. – »Ah! wahrhaftig ... ich besinne mich nicht mehr darauf, ich habe wenig Achtung gegeben. – »Julie! Suche mir doch die Zeitung, damit ich sehe, was man diesen Abend zu Mondigo's Stück spielt.«

Die Dame bringt ihrem Manne die Zeitung; dieser sieht hinein, schüttelt den Kopf und murmelt: »Just zwei Stücke, die wir schon kennen; nicht wahr, Julie?« – Ach! ja, und die zum Sterben langweilig sind! – »Mein theurer Mondigo, behalten Sie Ihre Loge, wir gehen diesen Abend nicht; wir warten lieber, bis man zu Ihrem Stück Werke gibt, die wir noch nicht kennen; ich werde Ihnen zu wissen thun, welche wir zu sehen Lust haben.«

Der Autor geht mit einer weit weniger freundlichen Miene weg, als er hereinkam, und nimmt sich fest vor, Herrn und Frau Badoureau keine Billete mehr anzubieten.

Unten an der Stiege fragt er sich, wohin er jetzt seine Billete schleppen soll; er hat zwar viele Bekanntschaften, aber ein Theil wohnt sehr weit weg, Andere können abwesend sein, und es ist höchst unangenehm, unnöthige Gänge zu machen, wenn man ohnehin schon ermüdet ist.

Die Stunde rückt vor. Mondigo entschließt sich, ein Cabriolet zu nehmen und läßt sich zu einem jungen Kaufmann führen, der ihn schon hundertmal um Theaterbillete angegangen hat. Er findet den jungen Mann und beeilt sich, ihm eine Loge für diesen Abend anzubieten.

Der Kaufmann macht einen Freudensprung in die Höbe, indem er ausruft: »Ah, wie liebenswürdig, ah, wie artig sind Sie! ... Vier Plätze ... hätten Sie nicht noch zwei?« – Doch, da sind sie. – »O! das ist herrlich! ... Ich speise mit Freunden zu Mittag ... ach! aber wir sind unserer Acht ... hätten Sie nicht noch zwei Plätze?« – Doch, doch, ich kann Ihnen noch zwei geben ... hier! – »Sie sind ein Muster von einem Autor ... das laß ich mir gefallen! Sie verschenken Billete, Sie! ... Es versteht sich, daß ich Alle, mit denen ich speise, mitbringen werde.« – Ah! Sie speisen nicht zu Hause? – »Nein, im Palais-Royal. Wir haben uns auf sechs Uhr, halb sieben Uhr in die Rotunde bestellt.« – Der Teufel! aber mein Stück fängt präcis acht Uhr an! – »O! seien Sie ruhig, wir erscheinen gewiß! Wir essen schnell und eilen sofort, Ihnen Beifall zu klatschen, für Sie zu wirken! ... für unsern lieben Mondigo! ... o, Sie sollen sehen! wir sind Freunde! Es wird gut gehen! Es soll sich nur Niemand beikommen lassen, zu pfeifen: wir schlagen ihm Arm und Beine entzwei! ... Wir werden deßhalb Stöcke mitbringen.«

Der Autor ist genöthigt, den Feuereifer seines jungen Freundes zu mäßigen; diesmal jedoch geht er befriedigt weg mit der Ueberzeugung, daß seine acht Plätze von ihm wohlgeneigten Leuten werden eingenommen werden.

Mondigo machte in seinem Cabriolet noch verschiedene vergebliche Kreuz- und Querfahrten und vertheilte zuletzt die ihm übrigen Billete an Leute, welche er kaum kannte; er gab sogar seinem Thürsteher davon. Endlich kehrte er nach Hause zurück, todmüde, geärgert, und fand auf seinem Schreibtisch zwei geschlossene Balkonlogen, welche ihm ein Freund mit der Bemerkung zurückgeschickt hatte, daß er diesen Abend in ein Concert gehe.

»Zwei geschlossene Balkonlogen! Prächtige, numerirte Plätze! ... und sie sollen jetzt verloren sein?« sagte der Schriftsteller zu sich, indem er sich abquälte, was er damit anfangen sollte.

»Mein Freund, das Mittagessen ist schon lange parat; es ist halb sechs Uhr,« sagte Madame Mondigo. – »Ah, Madame, noch einen Augenblick und ich stehe zu Diensten! – »Wir speisen nie so spät zu Mittag ... ich habe sehr Hunger!« – Und vollends ich, Madame, ich könnte auch essen wie ein Wolf! ... Aber diese Balkonplätze liegen mir im Magen ... – Die Köchin sagt, es werde Alles verdorben sein.« – Wem Teufels sie schicken? ... Ah! da kommt mir ein Gedanke! ... Herr und Frau von Mesange, sehr ausgezeichnete Personen! die mir schon oft wiederholt haben, sie gehen so gerne in die ersten Vorstellungen, wenn sie einen guten Platz haben; das kommt ganz geschickt für sie; sie werden in Entzücken gerathen! – »Wie, Herr Gemahl. Sie wollen noch einmal ausgehen?« – Nein, nein; aber ich lasse einen Comissionär holen, während ich ihnen hier ein paar Worte schreibe ... – »Aber das Mittagessen!« – Es ist das Werk eines Augenblicks.«

Mondigo läuft an seinen Schreibtisch: er schreibt ein gar liebenswürdiges Briefchen, legt die beiden Billete hinein und gibt es dem Commissionär, welcher eben anlangt.

Der arme Autor setzt sich endlich zu Tische. Während er seinen Braten anschneidet, kommt der Commissionär zurück und Mondigo läßt ihn eintreten.

»Nun, habt Ihr sie angetroffen?« fragt der Autor. – »Ja, mein Herr; o, ich habe sie gleich gefunden. – »Habt Ihr meinen Brief abgegeben?« – Ja, Herr. – »Was hat man Euch an mich ausrichten heißen?« – Man hat mir gesagt, schon recht, weiter nichts. – »Wie! sonst hat man nichts gesagt?« – Das heißt, doch! die Dame hat zum Herrn gesagt: »›Das wird vielleicht wieder eine rechte Dummheit sein, sein Stück ... ‹« Und der Herr hat geantwortet: »›Ah bah! man muß es riskiren! Es gibt Autoren, die nicht immer schlechtes Zeug schreiben ... und ...‹« – »Schon gut ... genug, genug! ... Nun, auf was wartet Ihr noch?« – Ich warte auf meine Bezahlung. – »Wie! hat man Euch nicht bezahlt in dem Hause, wohin Ihr meinen Brief getragen habt?« – Keinen Sou hat man mir gegeben! der Herr kann sich erkundigen. – »Ha! alle Wetter! das ist zu stark! Ich schicke den Leuten Billete und muß noch den Commissionär bezahlen!«

Der Autor gibt dem Briefträger fünfzehn Sous und Clementine kann sich des Lachens nicht enthalten, als sie das Gesicht sieht, das ihr Mann macht; dann sagt sie halblaut: »O! wie angenehm ist es doch, Billete zum Verschenken zu haben und Glückliche machen zu können!«

Was Mondigo betraf, so war er über Alles, was ihm begegnete, so verstimmt, daß er nicht mehr essen konnte und sogar genöthigt war, mehrere Gläser Zuckerwasser zu trinken, um die Verdauung des Wenigen, was er genossen, zu befördern.

Aber die Stunde des Schauspiels hat geschlagen und der Autor vergißt alle seine Widerwärtigkeiten, um nur noch an sein Stück zu denken. Er überzählt die Billete, die er ausgetheilt hat, und sagt zu sich: »Es wird gehen ... wenn einige schwache Stellen darin sind, so habe ich meine Freunde da, um das Stück zu halten, um Beifall zu klatschen! ... Ich rechne sehr auf meinen jungen Kaufmann, dem ich acht Billete zugestellt habe: er sprach von Stöcken, die man mitnehmen wolle, um den Auspfeifern Arm und Bein entzwei zu schlagen ... wenn er sich nur von seinem Freundeseifer nicht zu weit hinreißen läßt und sich Unannehmlichkeiten zuzieht! ... Wir müssen uns auf den Weg machen,« sagt Mondigo jetzt zu seiner Frau; »man gibt nur eine einaktige Pièce vor meinem Stück und ich denke, meine Theure, Du wirst den Anfang sehen wollen.« – O! gewiß; aber Fräulein Soufflat und ihr Vater sind noch nicht da; ich muß dieselben erwarten, da sie mich abholen wollen. – »Das ist wieder schön! Ich wette, sie lassen lange auf sich warten! ... Und Dernesty?« – O! der wird unsere Loge erfragen und im Theater zu uns kommen. – »Ganz recht! Ebenso hätte man es mit den Soufflats machen sollen, statt auf sie zu warten.« – Lieber Freund, sie haben mir gesagt: »›Wir werden Sie abholen ... warten Sie auf uns.‹« Da konnte ich ihnen doch nicht antworten: Nein, ich will nicht warten ... das wäre unanständig gewesen. – »So sollten sie auch präcis sein ... es ist bereits halb acht Uhr.« – Ich hatte ihnen gesagt, sie sollten sich um sieben Uhr einfinden. – »Nun, da siehst Du, wie diese Leute ein Versprechen halten. Es ist weit von hier bis ins Theater.« – Was liegt daran! Wir nehmen doch einen Wagen? – »Ja, aber auch mit einem Wagen braucht man Zeit. Ich meinerseits muß dort sein, ehe der Vorhang aufgezogen wird, um zu sehen, wie meine Schauspieler costümirt sind. Das ist hochwichtig! ... In meinem letzten Stück hatte sich mein edler Alter in eine Nankinghose und blauen Ueberrock gesteckt: er sah auf und nieder aus wie ein Maurerpolir! Glücklicher Weise kam ich noch zu rechter Zeit, um ihn die Hosen wechseln zu lassen! und mein Stück machte Glück.« – Und ohne das, denkst Du, daß es durchgefallen wäre? – »Meine Theure, ein falsches Costüm verwirrt alle Vorstellungen der Zuschauer: sie nehmen eine Person für Etwas, was sie nicht ist, und das kann dem Werke sehr viel schaden. Gott! wie schlecht mir zu Muthe wird! ... Bald drei Viertel auf acht Uhr! ... Da begleite man Freunde ins Theater! Sollten sie nicht selbst einsehen, daß ich dort sein muß?« – Aber, lieber Freund, so gehe doch allein ... breche auf. – »Wenn dann aber die Leute gar nicht kommen, und Du allein im Theater und in Deiner Loge ankommen würdest! ... Das ginge nicht, das wäre unschicklich.« – Nun, so habe ein wenig Geduld. – »Du wirst mir aber doch zugeben müssen, daß es abscheulich ist, einen Autor, von dem man ein Stück spielen wird, warten zu lassen! ... Ach, wie dumm ist es, Leute mit zu bringen! ... Wenn ich in diesem Augenblick neben Soufflat stände, so gäbe ich ihm mit Vergnügen einen Hundstritt, um ihn vorwärts zu treiben. Madame, wenn sie in drei Minuten nicht da sind, so gehen wir.« – Wie Du willst, mein Lieber.«

Die drei Minuten waren abgelaufen, Herr Soufflat und sein Töchterlein noch nicht angelangt. Mondigo hieß seine Frau ihren Hut aufsetzen und eilte, einen Fiaker zu holen.

Eben verließ unser Paar das Zimmer, als man läuten hörte. Es waren die nicht mehr Erwarteten.

»Ei! kommen Sie endlich!« rief der Autor aus, »Sie haben sich sehr verspätet.« – Guten Abend, mein lieber Mondigo ... Madame, ich küsse die Hand ... stellen Sie sich nur vor, es ist nicht unser Fehler: im Augenblick, wo wir weggehen wollten, langte Stöpsel an, um mit meiner Tochter ein Musikstück, das sie morgen spielen sollen, zu wiederholen. Stöpsel hatte sein Instrument bei sich und Sie begreifen, daß es sehr unangenehm für ihn gewesen wäre, wenn er es unbenützt hätte wieder mit zurücknehmen müssen! Uebrigens haben sie ihre Sache nur dreimal mit einander gemacht. Nicht wahr, liebe Tochter?« – Viermal, Papa. – »Ich glaube, Du irrst Dich. Nur dreimal.« – Doch, Papa, viermal.«

Mondigo drängte Herrn Soufflat und seine Tochter zur Thüre, indem er ausrief: »Drei oder viermal! ... mein Gott, was liegt daran! Aber ich bitte flehentlich: fort! fort!«

Die Gesellschaft steigt in den Fiaker. Auf der ganzen Fahrt ins Theater fände es der Autor, der nur an sein Stück denkt, ganz natürlich, daß man darüber spräche, aber Herr Soufflat schwatzt nur von dem Stück, das seine Tochter mit Herrn Stöpsel repetirt hat, und als Herr Mondigo rief: »Heute Abend ist der entscheidende Augenblick!« – antwortete Herr Soufflat: »Nein, erst Morgen. Aber ich glaube, es wirb gut gehen; übrigens wirb Stöpsel die Sache morgen früh noch einmal mit meiner Tochter vornehmen.«

Mondigo sagte nichts mehr; er begnügte sich, mit seiner Frau einen Blick zu wechseln, welcher bedeutete: »Was das liebenswürdige Leute sind und welches Interesse sie an meiner ersten Vorstellung nehmen!«

Man ist im Theater angekommen: das neue Stück hat noch nicht begonnen; der Zwischenakt dauert noch fort. Der Autor läuft auf die Bühne. Madame Mondigo nimmt mit ihren Begleitern in ihrer Loge Platz. Im Augenblick, wo sich Fräulein Soufflat auf den Vorderplatz der Loge neben Clementinen setzt, läßt sich ein Gemurmel im Saal vernehmen; es ist die Nase des Fräuleins, welche diese Wirkung hervorbringt.

Herrn Soufflat Vater stellt sich mehr als je auf die Zehen und streckt seinen Kopf zur Loge heraus, indem er sagt: »Was gibt's, was ist das? Ein Wortwechsel? eine Schlacht?« – O! gar nichts,« antwortete lächelnd die schöne Blondine.

Madame Mondigo ist keineswegs ärgerlich über den von ihrer Nachbarin bewirkten Effekt, und es läßt sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie ihr nur darum den Vorzug vor Madame Marmodin gegeben hat, weil sie zum Voraus den unermeßlichen Vortheil berechnete, der für sie daraus erwuchs, daß sie die Nase des Fräuleins Soufflat an ihrer Seite hatte, statt des lieblichen Gesichts von Fränzchen. Die Weiber denken an alle diese Kleinigkeiten.

Herr und Frau St. Godibert thronen in ihrer Loge, die sich im zweiten Seitenrang befindet, über ihrer Schwägerin, welche sich auf ihrer Vorderloge im ersten Rang breit macht.

Die stämmige Angelika, nicht sehr erbaut über die hohe Stellung, die man ihr angewiesen, sagt zu ihrem Manne: »Ihr Bruder hätte uns doch wohl auch einen Platz auf der ersten Galerie geben können, uns! Er hätte uns doch wenigstens auf denselben Rang fetzen können wie sich.« – Wahrscheinlich wird er nicht gekonnt haben. – »Ich sage Ihnen, ich, er hat es mit Fleiß gethan: diese Schriftsteller sind voller Eitelkeit ... trotz dem läßt er es sich recht gut bei uns schmecken.« – Du weißt nicht, liebe Frau, daß die Autoren nicht so viele Billete erhalten, als sie haben möchten, ich weiß das von meinem Bruder; ich bin sehr gespannt auf das Stück meines Bruders

Herr St. Godibert sprach die letzten Worte mit einem besondern Nachdruck, indem er dabei umherblickte, um die Leute darauf aufmerksam zu machen, daß er der Bruder des Autors sei. Seine Frau schnitt dazu ein Gesicht und murmelte: »Sie sollten nach Ihrer Gewohnheit beisetzen: »›mein Bruder, das Genie!‹« das wäre noch hübscher. Aber bei alle dem sehe ich unsern Sohn Julian nicht; wo hat man ihn denn eingepfercht? Man wird ihm doch kein Billet auf das Paradies gegeben haben? Das fehlte noch!« – Nein ... siehst Du, Angelika, unser Sohn ist hinter jener schönen Brünette auf dem Balkon ... Aber da sehe ich Fräulein Soufflat mit ihrem Vater in der Loge meiner Schwägerin; ich will sogleich hingehen, sie zu grüßen. – »Nein, Herr, das verbiete ich Ihnen! Es hätte das Aussehen, als ob Sie Madame Mondigo Ihre Aufwartung machten, weil sie auf der ersten Galerie ist, und das leide ich nicht.« – Aber, liebe Frau ... – »Ich sage Ihnen ein für allemal, daß ich es nicht leide.«

Während dies Gespräch in dieser Loge vorfiel, hatte sich Friedrich hinter Madame Marmodin gestellt, welche mit ihrem Gemahl auf der ersten Galerie saß. Der Gelehrte machte seine Frau auf eine sehr elegante Dame mit einem äußerst geschmackvollen Armband aufmerksam und sagte zu ihr: »Ich wette, daß Du nicht erräthst, ob das ein Psellion oder ein Brachionistes, ein Elydone oder ein Dextrocherium ist?«

Das muthwillige Fränzchen wendete lachend ihren Kopf um, indem sie Friedrich sehr weiße und schön gereihte Zähne zeigte, ohne auch nur an eine Antwort für ihren Gemahl zu denken. Aber zu dem großen jungen Mann sagte sie: »Sie kommen, das Stück Ihres Oheims zu sehen? Das ist sehr schön.« – Ach! ich wünschte, es hätte zwölf Akte und dauerte zehn Stunden! – »Ei, wirklich? Sie lieben also das Schauspiel sehr?« – Ja, wenn ich in Ihrer Nähe bin. – »Aber, Sie müssen nicht so viel mit mir sprechen ... Knecht Ruprecht könnte sich erzürnen! Er macht schon gräuliche Augen, weil Sie da sind.« – Wer ist denn der Knecht Ruprecht? – »Wie! Sie errathen nicht? ...«

Damit warf das schelmische Fränzchen einen Seitenblick auf ihren Mann. Friedrich brach jetzt in ein unbändiges Lachen aus, das er in seinem Schnupftuch zu ersticken suchte.

In dem Gang der zweiten Galerie spazierte der Vetter Brouillard, der eben angekommen war, auf und ab, indem er zu den Logengittern hineinsah und sagte: »Seht einmal, es sind doch einige Leute gekommen! ... Das ist erstaunlich! Man scheint demnach nicht zu wissen, daß das neue Stück von Herrn Mondigo ist! ... Ah! dort sitzen St. Godiberts! Sie sehen aus, als zankten sie sich! ... Wo ist doch die zärtliche Clementine? Halt, da seh' ich sie auf der ersten Galerie, der Bühne gegenüber! ... Was ist denn das für eine Nase bei ihr? ... Ach! Fräulein Soufflat! Und dahinter? O, beim Blitz! Dernesty ... immer Dernesty hinter meiner Base! ... Armer Mondigo! der Comödien macht, worin er über geprellte Ehemänner spottet! ... Und der hält sich für einen Mann von Geist! ... Auf der Galerie bemerke ich Friedrich bei Madame Marmodin ... schaut einmal, das macht sich gut! das macht Fortschritte! ... Zum Glück weiß der Gelehrte, wie Kuckuk auf lateinisch heißt ... und Herr Roquet ... ich werde ihn nicht gewahr ... Schließerin! ... he da, Schließerin! aufgemacht, wenn's gefällig ist ... man wird gleich anfangen.«

Die Schließerin betrachtet das Billet des Herrn Brouillard und antwortet: »Mein Herr, Sie gehören nicht hieher, einen Stock höher.« – Wie, höher? Mein Billet lautet auf das Amphitheater! – »Ja, mein Herr, das ist hier oben.« – Also im Hühnerstall hat mir mein Vetter einen Platz gegeben ... einen jener Plätze, den man seiner Haushälterin, seinem Portier gibt? – »Mein Herr, Sie werden nicht gar zu schlimm aufgehoben sein!« – Nein, nicht zu sehr, aber gerade hinlänglich! Ah! man schickt mich da hinauf! ganz gut, mehr braucht's nicht ... Nun kann ich meine Meinung äußern, wie es mir convenirt.«

Herr Brouillard steigt ins Amphitheater hinauf, wo er nur noch einen Platz in der letzten Reihe findet, weil viele Leute da sind. Er setzt sich mit wüthender Miene darauf, und im Augenblick, wo das Stück beginnen soll, schnäuzt er sich viermal hintereinander, als ob er das Posthorn nachahmen wolle.

Der erste Akt von Mondigos Stück verläuft ohne Unterbrechung, aber kalt. Mitten in einer Scene, welche Eindruck machen sollte, veranlaßte ein Streit am Eingang zum Orchester die Spielenden einen Augenblick, den Dialog zu unterbrechen. Es ist Herr Roquet, der eintreten wollte, als der Vorhang bereits aufgezogen war und seinen Platz besetzt fand; das Individuum, welches sich desselben bemächtigt hat, verweigert, ihn ihm abzutreten. Herr Roquet lauft zu einem Inspektor, dann zu dem Commissar ... das Alles macht einen Lärm, der am Zuhören hindert und der Wirkung des ersten Aktes bedeutend schadet.

Nachdem der Vorhang gefallen, eilt Mondigo auf die Bühne und schaut durch das Guckloch des Vorhangs in den Saal, um sich nach allen Denjenigen umzusehen, welchen er Billete geschenkt hat; denn er begreift nicht, daß sein erster Akt nicht mehr beklatscht worden ist. Inzwischen sieht er einige bekannte Gesichter. Aber Herr Roquet ist noch in seinem Wortwechsel begriffen; Herr Marmodin rollt seine Augen umher wie eine Nachteule; sein Bruder und dessen Frau verziehen den Mund; sein Neffe Julian scheint sehr beschäftigt mit einer hübschen Brünette, die vor ihm sitzt; sein anderer Neffe neigt sich, um Fränzchen ins Ohr zu flüstern, und Dernesty scheint Clementinen mit vielem Feuer zu unterhalten.

»Sie sind Alle mit meinem Stück beschäftigt!« sagte der Autor zu sich, in dem gutmüthigen Glauben, man denke an ihn. Dann schaut er in eine Loge, die er Zweien seiner Freunde gegeben, um ihre Frauen dahin zu führen: dort erblickte er eine Kindsmagd mit vier Kindern. Die Plätze, für die er seinem jungen Kaufmann die Billete gebracht hat, sind noch unbesetzt. In der Ecke einer Galerie endlich, wo er den Pastetenbäcker mit seiner Frau zu finden hofft, bemerkt er zwei Lehrjungen in ihrem weißen Wamms.

Mondigo geht unbefriedigt hinter die Coulissen zurück. Sein zweiter Akt beginnt. Während eines sehr langen Monologs vergißt sich Herr Marmodin mit so starkem Gähnen, daß der ganze Saal zusammenlacht. Bald ertönt ein scharfer Pfiff von dem Amphitheater, wo der Vetter Brouillard sitzt. Statt dasselbe mit Bravos zu ersticken, lassen die Freunde die Ohren hängen oder sehen sich lächelnd mit einer Miene an, welche sagen will: »Es ist nichts an dem Stück! ... ich begreife sehr wohl, daß man pfeift.«

Der zweite Akt schwankt zwischen Lachen und Pfeifen hindurch. Aber Friedrich wäre sehr in Verlegenheit, etwas über das Stück zu sagen, weil er gar nicht darauf gehört hat; Julian und Herr Dernesty befinden sich in dem gleichen Fall. Herr St. Godibert, dem es nun sehr leid thut, daß er laut geäußert hat, das Stück sei von seinem Bruder, ist mäuschenstill, während seine Frau mit höhnischer Miene auf ihre Schwägerin herabsieht. Eines der vier Kinder weint überlaut; einer der Lehrjungen läßt seine Mütze in das Parterre hinabfallen.

Was Herrn Soufflat betrifft, so sagt er ganz leise zu seiner Tochter: »Ich meine, Du hättest eben so gut gethan, daheim zu bleiben und Dich noch einmal mit Herrn Stöpsel einzuexerziren.«

Der dritte Akt wird unter fortwährendem Getöse, welchem Niemand Einhalt zu thun sucht, ausgespielt; man läßt den Vorhang fallen und der Verfasser wird nicht gerufen.

In dem Augenblick, wo er sich durch den Gang schleicht, um seine Frau abzuholen, begegnet Mondigo dem jungen Kaufmann, der jetzt erst mit sieben Personen ankommt und ihm entgegenschreit: »Da sind wir, da sind wir Alle! ... Wo hält man? ... Jetzt wollen wir Feuer in die Leute bringen!«

»Eben ist es aus!« antwortete Mondigo, sich rasch entfernend, aber nicht rasch genug, um dem Vetter Brouillard zu entrinnen, der ihm zuruft: »Was das für ein Zischen war! ... Haben sich's die einmal angelegen sein lassen! ... wenn ich nur mein nervöses Kopfweh nicht wieder bekomme! ... Indeß erhalten Sie vielleicht ein andermal Genugthuung ... es kann auch wieder besser gehen. Aber wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so machen Sie sich nicht mehr an spanische Stoffe ... das bringt Ihnen Unglück ... schon mehrere Stücke dieser Art waren nicht glücklich.«

Bald darauf wird der arme Autor von einem der Lehrjungen angehalten, der ihm sagt: »Herr, mein Meister hat nicht kommen können, aber wir haben uns sehr verlustirt, es war einige Male zum Todlachen, besonders wo sich der Eine auf dem Boden herumwälzte und Grimassen schnitt; wir haben den Schauspieler erkannt, der den dummen Peter machte ...« – O! mein Drama! ... Don Pedro, Dummkopf! – »Nun meinethalben, Dummkopf, ich wußte eben, daß etwas Dummes dabei war; es ist einer von unsern Abnehmern, und er hatte uns schon gestern gesagt, das Stück werde lustig werden.«

Mondigo entledigte sich aller dieser Leute, welche ihren Spott mit seiner Ungeduld zu treiben schienen und gelangte endlich in die Loge seiner Frau. Er fand dort nur noch Herrn Soufflat und seine Tochter.

»Wo ist denn Clementine?« fragte der Autor. – »Der Lärm im Saale hat ihr wehe gethan, sie fühlte sich unwohl und ist kurz vor dem Ende mit Herrn Dernesty weggegangen,« antwortete Herr Soufflat.

»Ach! die arme Clementine! ... Ich kann es mir denken, sie ist so reizbar, so empfindsam, so eindrucksfähig! Ach, sie mußte sehr leiden! ... Welche Cabale! welch höllische Cabale! ... He! was sagen Sie dazu?«

Herr Soufflat drückte seine Lippen zusammen, machte ein sehr unentschiedenes Gesicht und stammelte: »Hm! ... hm! ... wer mich je wieder in einer ersten Vorstellung trifft ...«

Wenig erbaut von dieser Antwort, grüßte der Autor und ging, indem er zu sich sagte: »So sind die Leute! Drei Viertheile davon haben keine andere Meinung, als die man ihnen auf dem Teller präsentirt: unfähig, selbst zu urtheilen, warten sie mit ihrem Ausspruch, bis ein Kühnerer anfängt. Ist sein Ausspruch günstig für Einen, so theilen sie ihn; ist er ungünstig, so theilen sie ihn wieder.«

Mondigo fuhr nach Hause und gestand sich: »Meine Frau hatte Recht: ich war ein Esel mit meinen Billeten ... fortan werde ich es machen wie die Andern. Welch' peinlicher Tag! Seine Zeit mit Warten auf die Eingeladenen zubringen, zwei unnöthige Gänge machen; Cabriolete nehmen, Commissionäre zahlen, Plätze an Leute verschenken, die sie Andern geben, oder erst kommen, wenn Alles vorbei ist, oder sie gar zurückschicken, dabei noch schlechte Complimente hören müssen ... danke schön, daran habe ich genug.«

Begreifet ihr jetzt, warum die Autoren keine Freibillete mehr geben? Dabei muß ich indeß die ersten drei Vorstellungen ihrer Werke ausnehmen, wo sie dieselben gewissen rüstigen Händen des Parterres überlassen oder solchen Freunden schenken, welche sich die Mühe nehmen, sie zu holen oder abholen zu lassen.


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