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Das junge Mädchen war fort, der junge Mann blieb starr wie eine Bildsäule stehen und der alte Alexandrin holte indessen Zwetsche um Zwetsche aus dem Säckchen, wobei er zu ihm sagte:
»Mein lieber Freund, man muß sich seiner Bestimmung nie widersetzen; wenn man eine entschiedene Neigung zu einer Sache hat, so beweist das auch ein großes Talent dafür. Betrachten Sie mich selbst! ich bin zum Autor geboren ... und wäre ich nicht, um mein Leben zu fristen, genöthigt, Schreibstunden zu geben, so wäre mein Name bereits berühmt, allein das wird noch kommen!
»O die schönen Künste! Der Künstler muß sich von dem Feuer hinreißen lassen, welches in seinen Adern rollt; außerdem: naturam expellas furca, tamen usque recurret ... Allein, entschuldigen Sie, ich spreche lateinisch mit Ihnen und das ist nicht Ihre Sache ... Ihre Zwetschen sind vortrefflich, ich könnte ein Pfund davon essen, ohne daß ich es merkte.«
Der junge Gewürzkrämer merkte auch nicht, daß man seinen Sack leerte, er hörte kaum, was der alte Herr zu ihm sagte; durch Fräulein Jenny's Erklärung niedergeschmettert, war er lange nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen.
Nachdem er endlich einen schweren Seufzer ausgestoßen und seine Augen mit der Hand ausgewischt hatte rief er aus: »Möge sie glücklich sein, das ist mein innigster Wunsch ... Ich war der Meinung, sie hätte es an der Spitze eines guten, vorteilhaften Handelsgeschäftes werden können, da sie aber keine Lust dazu hat, kann sie es halten wie sie will. Leben Sie wohl mein Herr!«
Damit entfernte sich der junge Fanfan Benoît rasch, zum großen Bedauern des alten Poeten, der dem Zwetschensack gerne noch mehr zugesprochen hätte. Fräulein Jenny kehrte bald wieder zurück; sie brachte mehrere Theaterstücke, suchte Rollen aus und recitirte die ihr bereits bekannten; endlich gab ihr der alte Alexandrin die erste Stunde und verließ sie mit dem Versprechen, am folgenden Tage wieder zu kommen, um mit dem Unterrichte fortzufahren.
Der kleine Greis hielt sein Versprechen; vierzehn Tage lang ging er alle Morgen zu der jungen Coloristin, welche Cendrillon und den ewigen Juden zu illuminiren vernachlässigte, um Vaudevilles und Dramen einzustudiren.
»Es wird schon gehen,« sprach der alte Schriftsteller, »Sie machen Fortschritte; Ihre Aussprache bessert sich, Sie drücken mehr Feuer, mehr Empfindung aus! Noch ein Jahr Unterricht und Sie werden im Stande sein, in der Straße Chantereine zu debutiren; dort beginnt jetzt aller dramatische Ruhm seine Laufbahn.« – »Noch ein Jahr!« rief Jenny aus, »ach! das ist zu lang, so lang will ich nicht warten ... Ein Jahr! warum soll denn aber die Zeit meines Auftretens so weit hinausgeschoben werden?« – »Nehmen Sie sich in Acht, mein Kind; durch Voreiligkeit könnten Sie Ihre Zukunft auf's Spiel setzen.« – Haben Sie nicht selbst gesagt, ich hätte ein für das Theater passendes Aeußere? – »Ja, Ihr Aeußeres ist sehr empfehlend; das genügt aber noch nicht! Schönheit macht bei einer Schauspielerin viel aus, aber sie ersetzt das Talent nie ganz. Ich könnte Ihnen zum Belege meiner Behauptung eine Masse Beispiele anführen, aber ich unterlasse es, weil ich mich mit keiner Schauspielerin schlecht stellen will, besonders mit keiner hübschen.«
Fräulein Jenny setzte ein großes Vertrauen in sich und hielt sich bereits für ebenso stark wie ihren Lehrer, als der alte Alexandrin, welcher eines Tages von einem heftigen Rheumatismus ergriffen wurde, sich genöthigt sah, das Zimmer zu hüten, statt Stunden zu geben.
Ein Monat verstrich, ohne daß es dem kleinen Greise möglich gewesen wäre, sein bescheidenes Logis zu verlassen. Glaubet aber nicht, daß diese Zeit dem armen Schreiblehrer lange geworden wäre: in einem abscheulichen Lehnsessel von Stroh in der Ecke eines Kamines sitzend, der rauchte statt zu heizen, machte der alte Alexandrin Entwürfe zu allen möglichen Stücken, verfertigte Verse, schrieb Scenen oder dichtete ein Lied.
Die Musen verließen ihn nicht, sie leisteten ihm treu Gesellschaft, und in ihrer Nähe langweilt man sich nie. Nähren sie auch nicht immer den Leib, so beschäftigen sie doch den Geist, und selbst diejenigen, die von ihnen am meisten mißhandelt werden, fühlen sich noch glücklich, in einiger Gemeinschaft mit ihnen zu stehen; es sind Geliebte, welche oft strenge gegen uns verfahren, obgleich wir ihnen die größten Opfer bringen, die wir uns aber deßhalb doch nicht entschließen können, zu verlassen, da selbst in den Qualen, die sie uns verursachen, noch Reiz für uns liegt.
Sobald Herr Alexandrin wieder im Stande war, aus dem Hause zu gehen, begab er sich in die Harfen-Straße in die Wohnung der hübschen Coloristin.
Er sehnte sich nach dem Anblicke seiner Schülerin, von welcher er seit seiner Krankheit nicht hatte sprechen hören; er konnte übrigens das junge Mädchen hinsichtlich seiner nicht der Gleichgültigkeit anklagen, denn da er nie daran gedacht hatte, ihr seine Adresse zu geben, so war es ihr unmöglich gewesen, sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Herr Alexandrin stieg die sechs Stockwerke hinauf; das Haus hatte keinen Portier, er mußte also auf's Gerathewohl selbst nachsehen, ob er Jemand treffe. Er klopfte an Jenny's Thüre an.
Man machte auf, aber statt der jungen, hübschen Coloristin trat ein dürrer Mann in einer Schürze an die Thüre, der ein Paar Beinkleider und eine Nadel in der Hand hatte.
»Was wünschen Sie?« fragte der dürre Mann, den alten Alexandrin. – »Was ich wünsche ... ei! der Tausend, die Bewohnerin dieses Zimmers möchte ich sprechen.« – »Frau! komm einmal da her, da ist ein alter Mann, der Dich zu sprechen wünscht; Hast Du ihm vielleicht während meiner Abwesenheit ein Paar Hosen oder einen Rock angemessen? Er scheint in der That eines neuen Anzuges zu bedürfen.«
Ein altes, unfreundliches Weib näherte sich hierauf der Thüre, betrachtete den kleinen Greis und rief aus:
»Ich kenne diesen Herrn nicht und habe ihn nie gesehen. Was will er von mir? Was verlangen Sie, mein Herr?«
Herr Alexandrin ist ganz bestürzt, er besieht noch einmal die Thüre und Treppe und murmelt:
»Bin ich denn nicht hier im sechsten Stocke?« – »Doch, allerdings, und zwar beim Schneider Witschmann, Mannsschneider für neue und alte Kleider. Was wünschen Sie gemacht zu haben?« – »Ei der Tausend, ich begreife gar nicht: als ich vor ungefähr einem Monat hier war, bewohnte ein junges Frauenzimmer, eine Coloristin Namens Jenny, diese Stube.« – »Ach ja ... es ist richtig, vor einem Monat wohnte Jemand anders hier, jetzt aber ich, der Schneider Witschmann; nun! brauchen Sie einen Ueberrock, einen Frack?« – »O! gewiß würde mir ein Ueberrock oder ein Frack ganz gut anstehen, aber ich wiederhole Ihnen: ich suche keinen Schneider, sondern Fräulein Jenny, die Coloristin.«
– »Sie hören ja, daß Sie schon seit wenigstens vierzehn Tagen ausgezogen ist.« – »Wo logirt sie denn jetzt? Sie hat doch gewiß ihre Adresse zurückgelassen; junge Mädchen haben ja keine Schulden, sie können also ungescheut angeben, wo sie hinziehen.« – »Es ist wahr, sie hat sie zurückgelassen. Frau, wo hast Du die Adresse des jungen Mädchens hingethan, welches früher hier wohnte?« – »Wie ... was? ... habe ich diese Adresse gehabt?« – »Ich hatte sie auf eine Karte, auf die Carreau-Dame geschrieben, ich erinnere mich genau.« – Auf die Carreau-Dame? o weh! die habe ich gestern der Toni zum Spielen gegeben; sie hat einen Kapuziner daraus gemacht und diesen dann verbrannt.« – »Sie hören, mein Herr, daß unsere Tochter einen Kapuziner aus der uns gegebenen Adresse gemacht hat ... es thut mir sehr leid! dies hindert mich aber nicht, Ihnen einen gutconditionirten Rock zu machen, wenn Sie es wünschen.« – »Nein, ich will keinen!« rief der alte Lehrer ärgerlich, die Treppe hinabgehend, aus. »Wenn man eine Adresse hat, verliert man sie nicht und gibt sie auch nicht seinem Kinde, daß es einen Kapuziner daraus macht ... Wo soll ich jetzt meine Schülerin finden? Dieses Paris ist so groß! Das arme junge Mädchen! Ohne meinen Unterricht wird sie keine Fortschritte machen; das ist recht Schade! Ich interessire mich für diese hübsche kleine Jenny so sehr. Der Teufels-Schneider! ... warum gab er auch die Carreau-Dame seinem Kinde?«
Der kleine Greis suchte einige Erkundigungen in dem Quartier einzuziehen; aber in Paris sind vierzehn Tage vierzehn Jahrhunderte! Die Zeit führt dort so schnell Veränderungen, neue Ereignisse und Glückswendungen herbei, daß eine Person, welche man seit vierzehn Tagen nicht gesehen hat, oft schon ein vergessenes Wesen ist, dessen man sich kaum mehr erinnern kann.
Da der alte Schreiblehrer nicht erfahren konnte, was aus der hübschen Coloristin geworden war, so dachte er bei sich: »Wir wollen die ganze Sache als einen Traum ansehen und nicht mehr an dieses junge Mädchen denken; wenn Etwas vollständig vorbei ist, kann man es immer wie einen Traum betrachten!«
Fünf weitere Monate verstrichen, während welcher der kleine Greis fortfuhr, zu seinem Lebensunterhalte Schreibstunden zu geben, und in seiner übrigen Zeit zur Unterhaltung Theaterstücke zu dichten.
Allein seine Leidenschaft für die schönen Wissenschaften störte seine Vorliebe für die Blumen keineswegs, und das Veilchen war ihm immer die liebste; auch vertrug sich diese Neigung am besten mit der Mäßigkeit seiner Mittel, und er konnte ihr somit am leichtesten Genüge leisten.