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Erstes Kapitel

Der Bär von Château-Thierry

Ich brauche euch nicht zu sagen, daß Château-Thierry ein hübsches Städtchen ist, an dem rechten Ufer der Marne, etwa zwanzig Stunden von Paris; daß es sich amphitheatralisch an den Ufern des Flusses erhebt; daß zahlreiche Schiffe, welche ununterbrochen mit Mundvorräthen an seiner Mauer vorbei nach Paris segeln, ihm das heitere Aussehen einer Handelsstadt verleihen; endlich daß der berühmte Fabeldichter, Johann von Lafontaine, der seinen Geist unter einer Thiermaske verbarg (darin sehr verschieden von unseren modernen Schriftstellern), daraus entsprossen ist. Das wißt ihr Alles so gut wie ich, und für den Fall, daß ihr es nicht wüßtet, könnt ihr es in jedem geographischen Handlexikon nachschlagen.

Was man euch jedoch nicht zumuthen kann, zu kennen, das ist die Gesellschaft von Château-Thierry; wenn ihr aber schon in einer kleinen Provinzialstadt gelebt habt, so könnet ihr euch leicht eine Idee davon machen: das Gemälde ist bis auf eine Kleinigkeit, bei allen das nämliche. Man ist dort neugierig, geschwätzig, schmähsüchtig; Adelige, wenn es welche gibt, gehen nur mit einander um; der Beamtenstand ladet nur reiche Leute oder die sogenannten besseren Bürger, welche die zweite Klasse bilden, zu sich ein; die dritte Klasse besteht aus geringen Leuten, Künstlern und Proletariern (ein Wort, welches seit einigen Jahren Glück macht). Jede dieser drei Klassen hält sich streng abgeschlossen von der andern, beneidet sie und ist entzückt, wenn irgend eine Geschichte, ein Geschwätz in Umlauf kommt, bei dem man der Verleumdung den Zügel schießen lassen kann. Die Aristokratie herrscht übrigens dermaßen darin, daß sich zwei Nachbarn einander nicht grüßen, wenn sie nicht dieselbe Gesellschaft besuchen. Der Adelige würde fürchten, seiner Würde zu vergeben, wenn er einen Bürgerlichen grüßte, und dieser würde die gleiche Besorgniß haben, wenn er mit einem Proletarier spräche. Ihr werdet zugeben, daß es so in der großen Welt einer kleinen Stadt zugeht; ich kenne übrigens einige größere nicht weit von Paris, wo man sich auch recht lächerlich macht, und sein Quartier der hohen Gesellschaft hat, wie Paris sein Faubourg Saint-Germain.

Die arme Aristokratie, welche man mit der Wurzel ausrotten, in ihren Grundfesten erschüttern wollte, welche man in Anklagestand versetzte, dann ins Lächerliche zu ziehen suchte, möge man thun, was man will, sie ist eben immer wieder da; man findet sie im Palast wie in der Mansarde; in der Stadt wie im Dorfs. Das Wort kann man streichen, die Sache bleibt.

Scheint sie euch im Salon eines Herzogs oder eines Marquis despotisch zu regieren, so werdet ihr sie in gleicher Weise im Hause des Banquiers wiederfinden, wo der große Kapitalist den Kleinhändler über die Achsel ansieht, wo die Frau des Wechselagenten mit ihrer Toilette die Frau des Waarensensals niederschmettert; ihr werdet sie endlich wieder in dem Saale des Spießbürgers finden, wo der Bureauchef eine Protektorsmiene gegen den Assistenten annimmt, wo die Gattin eines Spekulanten mit der Künstlersfrau kein Wort wechseln mag. Unter Kaufleuten blickt der Magazinbesitzer den Krämer verächtlich an; unter Künstlern will der, welcher ein gutes Kleid anhat und einen gespickten Beutel besitzt, das große Wort führen und angehört sein wie ein Orakel; kurz, selbst bis zur Portiersfrau herab schleicht sich die Aristokratie ein: Die Köchin der ersten Etage, die ihre vierhundert Franken Gage hat (man bittet deutsche Köchinnen, sich nicht an dieser Summe zu stoßen), will den besten Platz am Ofen haben; wenn sie erscheint, rückt Jedermann achtungsvoll zur Seite, und die Haushälterin des fünften Stockes ist oft genöthigt, stehend zu klatschen, weil ihr die andern Ritterinnen vom Kochlöffel keinen Sitz anbieten. Und so wird unter den Menschen stets das Bedürfniß zu befehlen, vorwärts zu kommen, sich in die Höhe zu schwingen, stattfinden. Bleiben welche zurück, so geschieht es, weil sie aus Mangel an Muth und Geschick nicht anders können. Von jener Gleichheit, von der man so viel spricht, habe ich noch nirgends etwas wahrgenommen. Doch halt! in den Omnibussen ... aber nein, auch hier drücken die Großen die Kleinen zusammen.

Kehren wir jedoch nach Château-Thierry zurück und gehen wir in den Salon der Frau Blanmignon. Das ist eine reiche Rentnerin, bei welcher sich nur was für die Crême der guten Gesellschaft in der Stadt gilt, einfindet. Madame Blanmignon ist Wittwe eines Anwalts, der sein Departement in der Kammer vertrat; sie hat fünfzehntausend Franken jährliches Einkommen und neunundvierzig Jahre auf dem Rücken; da sie aber zugleich gefärbte Haare und gefärbte Augenbrauen, geschminkte Wangen und pomadisirte Lippen hat, so ist es schwierig, ihr Alter genau zu errathen. Darum geben ihr Einige sechszig, Andere nur dreißig Jahre. Thatsache ist allein, daß Madame Blanmignon einem stark aufgetragenen Aquarellgemälde gleicht.

Der Salon ist groß und elegant möblirt; daß ein Piano darin steht, versteht sich von selbst. Von jetzt ab ist ein Salon ohne Piano wie eine hübsche Dame ohne Korsett. Die Stühle sind im Kreise um den Kamin gestellt; Frauen und Fräuleins sitzen, die Herren stehen oder lehnen sich auf die Stühle der Damen; es gibt da kuriose Gesichter, jedoch auch hübsche. Die Moden sind die Pariser, und werden sogar mit viel größerer Strenge nachgemacht, als in der Hauptstadt, aber nicht mit jener Grazie, jener Koketterie und liebenswürdigen Zwanglosigkeit getragen, wie man sie nur in Paris findet. Hier herrscht die Etikette, die Zeremonie mit ihrem ganzen langweiligen Gefolge. Die Männer sprechen mit halber Stimme und lächeln nur mit der Mundspitze; die Damen messen und bekritteln sich und lachen gar nicht; die jungen Mädchen wagen kein Wort zu sagen ohne Genehmigung ihrer Mamas, und mitten in dieser Steifheit lächelt, grüßt, heißt sitzen, bietet Fußschemel an die Dame des Hauses, Madame Blanmignon, was immer eine Erörterung von fünf Minuten nach sich zieht.

»O nein, Madame, ich nehme keinen an.« – Ei, ja doch, ich bitte ;... – »Ich brauche aber keinen.« – Doch, doch, es ist bequemer. – »Ihr Teppich ist schon weich genug.« – Sie müssen durchaus Ihre Füße auf diesen Schemel stellen. – »Wahrhaftig, Madame Blanmignon, Sie verderben mich, ich bin so in Verlegenheit.« – O, Madame, bei Ihnen kann man nie zu besorgt sein ... hier ... stellen Sie die Füße darauf ... ist er hoch genug? – »Vollkommen recht.«

Nach diesem Muster einer Unterredung wegen eines Schemels kann man sich denken, daß nur interessante Gegenstände die Gesellschaft den Abend über beschäftigen werden. Das schien sich auch in einer Gruppe von Männern, die sich in einer Ecke des Salons aufs Lebhafteste besprachen, anzukündigen. Madame Blanmignon, welche wünschte, daß die Unterhaltung allgemein würde, erhob deßhalb auch ihre Stimme und sagte: »Mein Gott! Ihr Herren, mit welcher Wärme debattiren Sie da miteinander! Wollen Sie uns nicht auch sagen, was Sie so sehr in Anspruch nimmt? ... Allons, Herr Vadevant, Sie hatten ja eben das Wort ... Sie werden die Neugierde der Damen befriedigen.«

Herr Vadevant ist ein Mann von mittlerem Alter, kleiner Statur, die übrigens nicht so übel wäre, wenn sein Bauch nicht schon über die Regeln des Ebenmaßes hinauszugehen drohte. Sein Gesicht sieht einem frischen, rosabäckigen Puppenkopf so auf's Haar ähnlich, daß ein Kind es mit Entzücken küssen würde. Herr Vadevant hat ein stehendes Lächeln auf den Lippen, aber dieses Lächeln ist halb und halb spöttisch, und seine kleinen, aber ziemlich lebhaften Augen glänzen fortwährend von einem Ausdruck von Neugierde, die in eure Seele, in eure Gedanken oder zum wenigsten in eure Taschen dringen zu wollen scheint ... Herr Vadevant war der Sohn eines reichen Kaufmanns in Troyes, und befand sich nach dem Tode seines Vaters im Besitze eines hübschen Vermögens. Er gedachte dasselbe durch Spekulationen zu vergrößern und ging deßhalb nach Paris, wo er sein Geld in Assekuranzen, in Runkelrübenzuckerraffinerien und sogar in eine Unternehmung von geruchlosen Abtritten steckte.

Aber der junge Vadevant hatte kein Glück in seinen Unternehmungen. Sein neugieriger und spöttischer Geist leistete ihm in der Hauptstadt, wo er auf Leute stieß, die ihn weit übersahen, keine guten Dienste. Nach einem Dutzend Jahre, die er in Paris zugebracht, hatte er zwei Dritttheile seines Vermögens eingebüßt und fühlte nun, daß es Zeit sei, sich zurückzuziehen; er ließ sich in Château-Thierry nieder, wo er mit fünftausend Franken Rente, welche ihm noch geblieben waren, eine anständige Rolle spielen und in den ersten Gesellschaften erscheinen konnte. Dazu kommt noch, daß er Junggeselle war, ein Stand, welcher in der Provinz, wo alle Mädchen von nichts als vom Heirathen träumen und folglich alle heirathsfähigen Männer auf eine sehr herausfordernde Weise ansehen, sehr viel werth ist.

Aufgefordert von Madame Blanmignon, wandte sich Herr Vadevant gegen die Damen, lächelte auf eine Weise, die seine zweiunddreißig sehr weißen und sorgfältig gepflegten Zähne sichtbar werden ließ, wiegte sich auf seinen Hüften und erwiderte: Mein Gott! meine Damen, der Gegenstand, der uns beschäftigt, verdient es vielleicht sehr wenig. Wir sprachen vom Bären ... ha! ha! ha! Sie wissen, der Bär ;...«

Nun begann das Lachen, die Damen lachten mit; eine einzige rief aus: »Was ist es denn mit diesem Bären? ... Mein Gott! ist denn einer in der Stadt?«

»Ach!« sagte Vadevant, Madame Dubouchet ist nicht unterrichtet, weil sie längere Zeit von hier abwesend war. So erfahren Sie denn, schöne Frau, daß wir unter dem Bären einen Fremden verstehen ... einen Unbekannten, der sich vor etwa drei Jahren hier niedergelassen hat, und den man seit dieser ganzen Zeit nicht besser kennt, als am Tage seiner Ankunft.«

»Wirklich! O, das ist sehr sonderbar ... sehr seltsam ;...« – Herr Boullardin hat ihm den Spitznamen Bär aufgebracht, und, auf Ehre, noch nie war ein Name besser verdient.«

Herr Boullardin, ein großer, dicker Fünfziger, welcher sich für einen der Schöngeister des Städtchens hält, weil er auf der Mairie beim Geburtseintragsbureau angestellt ist, brummte mit einer rauhen und hohlen Stimme, welche von einem Bauchredner zu kommen schien:

»Meiner Treu'! ich habe ihn einen Bären genannt, ohne darüber nachzudenken! ... Ich hätte ebensowohl Kameel sagen können ;...«

»Wie boshaft, wie satirisch dieser Herr Boullardin ist!« erwiderte Vadevant, sich mit einem spöttischen Blick gegen den dicken Beamten wendend, welcher, sehr zufrieden mit dem, was er so eben gesagt hatte, sich die Hände rieb und seine Frau ansah.

»Aber, meine Herren, was hat es denn mit diesem Bären für eine Bewandtniß, weil wir doch einmal einen Bären haben,« sagte Madame Dubouchet; »Sie müssen doch etwas über seine Person, über seine Art, zu leben, wissen ... Sehen Sie mich doch auf's Laufende, ich weiß ja noch gar nichts.«

»Reden Sie, Herr Vadevant,« sprach die Frau vom Hause; »denn Sie sind am besten unterrichtet, wie ich glaube.«

»Ich ... o nein, ich weiß nicht mehr als diese Herren ... Indessen, wenn Sie es wünschen, schöne Frau, will ich sagen, was ich beobachtet und gesammelt habe.«

Herr Vadevant tritt hierauf in den Kreis ein, welcher sich um ihn schließt. Die Männer umstellen ihn ebenfalls und jeder scheint sogar mit Vergnügen das noch einmal hören zu wollen, was er schon weiß. Der Bär war aber auch der Gegenstand der Neugierde für alle Bewohner von Château-Thierry, und jedesmal, wenn die Rede von ihm war, war Alles ganz Ohr, in der Hoffnung, etwas Neues über diesen geheimnißvollen Mann zu erfahren.

Herr Vadevant, nachdem er seine Blicke huldvoll auf allen Damen herumlaufen lassen und sich mit dem Rücken an den Kamin gelehnt hatte, begann seine Erzählung folgendermaßen: »Vor ungefähr drei Jahren ... ja, es war im Jahr 1831 ... ich glaube, es war gerade auch im Monat März ;...«

»Nein, es war im Februar,« sagte Herr Boullardin ... »die ganze Stadt machte Fastnachtküchlein ... o! o! ;...«

Und der dicke Mann streichelte sich, entzückt über das, was er so eben gesagt, wohlgefällig das Kinn.

»Nun ja, im Februar ... es ist möglich,« erwiderte Vadevant; »ja, ich entsinne mich, daß ich als Spanier maskirt auf dem Balle des Herrn Unterpräfekten war ... einem sehr glänzenden Balle, wo man mit Gefrorenem in Hülle und Fülle bedient wurde! Doch um Vergebung, ich komme auf meinen Bären zurück, wie es in einem Stücke, ich weiß nicht gleich in welchem, des Théâtre des Variétés in Paris heißt.«

»Im Pourceaugnac vielleicht?« versetzte Boullardin.

»Ach mein lieber Herr Boullardin! ... Sie versündigen sich gegen Ihre Kenntnisse, Sie wissen doch gewiß, daß Pourceaugnac von Molière ist? ;...«

»O! ich, ich bringe das Alles untereinander ... Pourceaugnac, Herr von Crac! ... Die weiße Frau! ... Ich liebe das Schauspiel nicht, ich schlafe dabei ein ... meine Frau auch ... nicht wahr, Madame Boullardin? ;...«

Madame erwiderte durch ein Nicken des Kopfes, und Herr Vadevant, der lächelnd die Tölpeleien des Beamten anhörte, nahm wieder das Wort: »Ich wollte Ihnen also sagen, Madame, daß es im Februar 1831 war; ein Reisender kam in einem Postwagen mit einem großen Manne ... ohne Zweifel seinem Bedienten, an. Der Reisende erkundigte sich sogleich, ob in der Stadt ein kleines Haus zu miethen wäre. Man nannte ihm mehrere, unter andern auch das des Herrn Tricot, welches am äußersten Ende der Stadt liegt. Der Fremde besah sich das Haus, dessen fast ganz isolirte Lage ihm zu gefallen schien; auf der Stelle miethete er diese Wohnung, welche ganz möblirt war, und zahlte die Miethe auf ein Jahr voraus ;...«

»Zahlte er wirklich auf ein ganzes Jahr voraus?« sagte ein alter, ganz magerer Herr, mit einem abgezehrten Gesicht, welcher, in einem Winkel des Salons sitzend, bis jetzt den Mund noch nicht geöffnet hatte.

»Ja, Herr Benoit, er zahlte ... O! ich weiß das ganz gewiß! ich weiß es von Herrn Tricot selbst; und seit dieser Zeit hat er immer sehr regelmäßig sechs Monate voraus bezahlt ... er miethete das Haus um 800 Franken, das weiß ich ebenfalls.«

»Er ist also reich, dieser Unbekannte?«

»Ach! Das ist die Frage: Ist er reich? ... und wenn er Vermögen hat, wo hat er es verdient? ... Das weiß Niemand. Man erwartete, der Neuangekommene werde bei seinen Nachbarn ... bei den Beamten ... bei den Honoratioren der Stadt seine Aufwartung machen, er werde einige Empfehlungen haben und sich Zutritt in unsere Gesellschaften zu verschaffen suchen ... Nichts von Allem: Mein Fremder schließt sich ein und empfängt Niemand, geht nur aus, um außerhalb der Stadt spazieren zu gehen, spricht mit keinem Menschen, und antwortet, wenn man ihn anzureden versucht, in einem so barschen, trockenen Tone, daß man keine Lust hat, noch einmal anzufangen, weil man sich leicht einem Aerger oder gar einem Streite aussehen könnte, und Sie leicht begreifen, daß man sich mit einem Unbekannten nicht compromittiren mag! ... Deßhalb ist der Name Bär, den ihm Herr Boullardin so scharfsinnig beigelegt hat, bei ihm ganz am Platze.«

»Bär! ... Brummbär! ... ja, so habe ich ihn genannt,« wiederholte Herr Boullardin, indem er seine Frau ansah.

»Das ist aber ein ungezogener Mensch ... ein Vieh, dieser Unbekannte.«

»Man kann nicht gerade sagen, daß er einem Vieh ähnlich sieht ... Er ist ein Mann, der seine fünfzig Jahre haben muß.«

– O! nein ;... – »O ja ... eher noch mehr ;...« – Ich wette, daß er noch nicht achtundvierzig hat ;... – »Sie haben also nicht bemerkt, daß seine schwarzen Haare grau sind? ;...«

– Das beweist gar nichts! In meinem zwanzigsten Jahre fand ich einmal ein weißes Haar auf meinem Kopfe.«

»Ich,« sagte eine kleine, alte, sehr kokett gekleidete Dame, »ich habe durch einen Schrecken weiße Haare bekommen ... ich hatte Haare wie Ebenholz ... aber eines Abends ... auf der Straße ... wagte es ein Unverschämter, mich zu beleidigen ... meine Taille zu umfassen ... ich fiel in Ohnmacht, und als ich wieder zu mir kam, war ich grau!«

»O!« sagte Herr Boullardin mit gedämpfter Stimme, »wenn sich alle Frauen gebleicht hätten, die ich umfaßt und ;...«

Ein strenger Blick seiner Frau unterbrach den Redefluß des Beamten, und er schluckte das Ende seiner Rede hinab.

»Unser Bär,« fuhr Vadevant fort, »hat durchaus keine schlechte Haltung ;...« – Ist er häßlich?«

»Nein ;...« – O! da muß ich um Verzeihung bitten! ... er ist abscheulich ... ein zurückschreckendes und unheilverkündendes Aeußere ;... – »Durchaus nicht, sein Gesicht ist im Gegentheil sehr schön.« – Und ich sage Ihnen, er steht wie ein Verschworener aus ;... – »Er ist vielleicht einer ;...«

»Ich,« sagte ein ganz junger Mann, »ich habe ihn nur einmal gesehen, und das bei Nacht, wo man ihn nicht sehen konnte, aber es schien mir, als glänzten seine Augen wie die eines Katers ;...«

»Es ist vielleicht ein Vampyr!« ... sagte der alte, abgezehrte Herr. – »Viel eher siehst Du selbst einem gleich,« murmelte Vadevant vor sich hin, indem er sich abwandte, um zu lachen.

»O! mein Gott! Herr Benoit, reden Sie hier nicht von solchen Dingen ... wir haben sonst eine schlaflose Nacht! Aber die Polizei sollte doch ihre Augen auf dieses Ungeheuer richten!«

»Ich,« versetzte Madame Blanmignon, »wenn ich ihm Abends begegnete, bin überzeugt, daß ich Nervenanfälle bekäme, obgleich ich ihn noch nie gesehen ... aber die Vorstellung, die ich mir von ihm mache, ist schrecklich. Ein Mensch, der Niemand empfängt, zu Niemand geht, mit Niemand spricht, muß irgend ein großer Verbrecher sein, der sich verbirgt.«

»Wie nennt er sich denn?« sagte Madame Dubouchet, »er muß doch Herrn Tricot seine Quittungen unterzeichnen.«

»Er unterschreibt Guerreville,« sagte Vadevant.

»Guerreville ... Das ist seltsam! Der Name klingt ziemlich vornehm! ;...« – Es ist ohne Zweifel nur ein falscher Name, den er angenommen hat.«

»Ich wette, daß er Abrakadabra heißt ... ha! ha!« sagte Herr Boullardin, in ein rohes Gelächter ausbrechend.

»Wissen Sie aber auch, meine Herren, daß es für unsere Stadt sehr unangenehm ist, daß ein so verdächtiges Individuum sie zu seinem Aufenthalt gewählt hat? ... Könnte man nicht den Versuch machen, diesen Herrn aus unserer Stadt zu vertreiben?«

»Ganz gewiß macht er uns keine Ehre,« sagte Vadevant, indem er sich in dem Spiegel über dem Kamine betrachtete und seine zweiunddreißig Zähne gegen sich hinbleckte.

»Dieser Tage,« sagte ein Herr, der bisher nur zugleich mit den Andern gesprochen hatte, und jetzt schon deßhalb erröthete, weil er den Versuch machte, etwas allein zu sprechen, »dieser Tage ... ging ich aus, in der Absicht, frische Luft zu schöpfen ... und stehe da ... ich erblickte ... oder ich glaubte zu erblicken ... ich wollte sagen, ich glaube, daß ich beinahe dem Unbekannten, genannt der Bär ... begegnet wäre.«

»Wie artig das ist, was uns Herr Desboulleaux so eben erzählt hat,« sagte Herr Vadevant, sich gegen eine ziemlich hübsche Dame wendend, die sich in die Lippen biß, um nicht vor Lachen zu zerplatzen. Während dem zog sich der junge Mann, den es so große Anstrengung gekostet, sich öffentlich hören zu lassen, so schnell als möglich hinter die Andern zurück, indem er zwei dicke Schweißtropfen abtrocknete, die ihm von der Stirne fielen.

Madame Dubouchet, noch nicht zufrieden mit dem, was sie erfahren, richtete neue Fragen an ihre Nachbarn und an Herrn Vadevant.

»Ich begreife nicht, daß man noch nichts Bestimmteres über diesen Mann weiß,« sagte sie, »es muß schlecht angegriffen worden sein. Sicherlich hat er Domestiken ... die bringt man zum Sprechen.«

»Unmöglich, Madame. Erstens hat er keinen andern Diener, als den, welchen er mitgebracht hat. Eine andere Art von Bären, der wahrscheinlich seinen Herrn nachäffen will; ein großer vierschrötiger Kerl, der sich wie ein Kosak Jeden vom Leibe hält ... der mit Niemand spricht, nicht einmal mit den Kammermädchen im Viertel, der nie ins Weinhaus geht, und dessen ganzes Vergnügen in Rauchen, auf der steinernen Bank vor ihrer Wohnung, besteht.

»Ich wette, es sind Republikaner,« versetzte der alte Benoit, mit wichtiger Miene auf seine Dose klopfend.

»Ich,« sagte Vadevant, »glaubte mich schon einmal auf dem Punkt, etwas zu erfahren ... der Bediente hatte sich rauchend vor seine Thüre gesetzt; ich spazierte vorüber ... Ich glaube sogar, daß ich mit Absicht vor dem Hause des Bären vorüberging. Indem ich den Diener so sitzen sah, kam mir ein ziemlich schlauer Gedanke in den Kopf ... Ich thue während des Gehens, als machte ich einen Fehltritt, hätte mir den Fuß verrenkt, und könne nicht weiter gehen; darauf lasse ich mich auf der Bank, neben dem Diener nieder ... Das war doch gewiß schlau, was denken Sie davon?«

»Sehr schlau ... sehr sinnreich! ;...«

»Gut, der Tölpel, anstatt sich zu beeifern, mir das Anerbieten zu machen, bei seinem Herrn einzutreten, oder mir auf irgend eine Art Beistand zu leisten, stand auf, klopfte seine Pfeife aus, und ging in das Haus zurück, dessen Thüre er auf eine unverschämte Weise hinter sich schloß.«

»Abscheulich!« schrie Madame Blanmignon, »das sieht nur einem Kannibalen ähnlich.«

»Und nach dem Sprüchwort: Wie der Herr, so der Diener, zog ich den Schluß, daß der Herr eben so wenig Menschlichkeit besitze, als sein Diener ... Und dann, wozu alle diese Geheimnisse? ... Das Essen wird ihnen vom Speisewirth Godard zubereitet und täglich ins Haus gebracht ... Der Bediente bezahlt die Rechnung und gibt dem Burschen das Trinkgeld ... Unlängst hatte sich Margarethe, die Köchin der Madame Dechaland, auf mein Anrathen vorgestellt, und unter dem Vorwande, sie habe gegenwärtig keinen Dienst, gefragt, ob man sie nicht annehmen wolle ... der Diener war allem Anscheine nach ausgegangen, und der sogenannte Herr Guerreville öffnete Margarethen die Thüre. Aber wissen Sie, wie er sie aufnahm? ... Ach! das arme Mädchen wird daran denken! ... Er ließ ihr kaum Zeit, sich zu erklären, jagte sie hinaus, und erlaubte sich sogar, sie an den Schultern fortzustoßen, weil sie ihm nicht schnell genug fortging.«

»Oh! das ist schrecklich.« – »Das ist entsetzlich!«

»Es ist sogar gemein!« sagte Boullardin, seine Frau ansehend.

»Die arme Margarethe zu mißhandeln ... welche so gute Citronen-Crême macht.«

»Bei weitem nicht so gut wie meine Köchin,« brummte der alte Benoit.

»Meine Herren,« sagte Madame Blanmignon, »wir müssen eine Coalition, eine Liga stiften, um die Stadt von diesem abscheulichen Bären zu befreien. Ist das nicht auch Ihre Ansicht?«

»Doch, doch!« riefen alle Männer, die Hände wie zu einem Schwure erhebend, während die Damen beifällig nickten.

»Aber was machen wir, welches Mittel wenden wir an, um diesen Menschen zu verscheuchen? ... Wir wollen sehen ... man muß sich besinnen ;...«

»Wenn man alle Tage unter seinen Fenstern mit einem verstimmten Horn bliese?« – O! das würde auch die Bewohner der benachbarten Häuser belästigen.«

»Wenn man ihm Steine in die Fenster würfe?« sagte ein junger Schüler lachend.

»Nein, das geht auch nicht,« sagte Madame Blanmignon; »wir dürfen nur erlaubte Mittel anwenden.«

Der Herr, welcher schon dicke Tropfen geschwitzt hatte, weil er etwas hatte sagen wollen, streckte den Kopf aus dem Kreise hervor und stotterte: »Wenn ... man ... ja, wenn ... man ;...«

Aller Augen richteten sich nun auf den Redner; er wurde scharlachroth und verbarg sich schnell hinter den Andern, indem er murmelte: »Nein, das geht doch nicht.«

»Nun gut!« sagte Herr Boullardin, indem er ein lautes Gelächter aufschlug; »es gibt ein sehr natürliches Mittel ... man legt unanständige Dinge vor seine Thüre ... ha! ha!«

»O Pfui! Pfui! Herr Boullardin, wie mögen Sie an dergleichen Dinge denken! ... wir sind nicht mehr im Fasching.«

»Ich hab's gefunden ... ich hab' ein Mittel!« schrie Vadevant, indem er sich auf den Bauch, an die Stirne und in die Hände schlug.

»Lassen Sie hören ... lassen Sie schnell hören!« schrie man von allen Seiten, sich um den kleinen Herrn drängend.

»Nun gut! Eine Katzenmusik! ... Machen wir dem Bären eine, machen wir ihm zwei ... zehn, zwanzig, wenn es nöthig ist. Dieser Herr liebt die Ruhe, die Einsamkeit, die Stille; er muß die Charivari's verabscheuen; die unsrigen werden sehr schnell ihren Zweck erreichen, und müde, sie anzuhören, wird der Bär seine Höhle verlassen und anderswo eine suchen.«

»Bravo! Bravo!« – Vortrefflich erdacht!« rief es von alle Seiten. »O, dieser Herr Vadevant ist ein ausgezeichneter Mann, er hat Verstand für Viere.«

»Wenn es vier von der Gattung Desboulleaux' wären, so wollte das noch nicht viel sagen.«

»Nun gut! Wann soll die Katzenmusik sein, meine Herren?« fragte Madame Blanmignon, welche sehr gegen den Stadtbären erbittert zu sein schien.

»Noch diesen Abend,« erwiderte Vadevant; »das Wetter ist schön ... wir sind bei einander und bilden mit diesen Herren ein ansehnliches Häufchen ... während die Damen Thee trinken, oder ihr Spielchen machen, wollen wir unser erstes Concert unter freiem Himmel geben und dann sogleich zurückkehren, um denselben das Resultat mitzutheilen. Sind Sie der gleichen Ansicht, meine Herren?«

»Ja, ja!« rief die Mehrzahl der Männer. Nur Herr Boullardin zögerte mit der Antwort, weil er als städtischer Beamter Bedenken trug, sich bei einer Katzenmusik zu betheiligen.

»Nun handelt es sich nur noch darum, uns die nöthigen Instrumente zu verschaffen,« versetzte Vadevant. »Madame Blanmignon, wollen Sie vielleicht Ihre Küchengeräthschaften zu unserer Verfügung stellen?«

»O mit größtem Vergnügen, meine Herren; nehmen Sie bei mir Alles, was Ihnen tauglich scheint, um diesen häßlichen Menschen zu betäuben und ihm das Trommelfell zu zerreißen, damit er recht bald abreise.«

»Bravo! Madame Blanmignon ... Ich stimme für eine Dankadresse an Madame Blanmignon, wegen des Patriotismus, den sie bei dieser Gelegenheit an den Tag legt ... ich mache mich anheischig, ihr ein Gedicht über diesen Gegenstand zu widmen ... Doch nun zu den Waffen, meine Herren, zu den Waffen!«

Alle wiederholen den Ruf von Vadevant und folgen ihm in die Küche. Der alte Benoit, Herr Boullardin und zwei andere Herren, welche nicht mehr in dem Alter waren, um an einem Charivari Theil zu nehmen, blieben bei den Damen im Salon zurück; aber bald kommen die Musiker aus dem Stegreif mit ihren Instrumenten zurück, und nun brach ein so schallendes Gelächter aus, wie man es lange nicht in dem Salon der Madame Blanmignon gehört hatte.

Der Eine hatte eine Kohlpfanne, auf welche er mit einem Schaumlöffel klopfte; der Andere zwei Bügeleisen, deren er sich als Cymbeln bediente. Dieser paukte mit einer Feuerzange auf eine Schaufel; jener klapperte mit Tellerscherben als Castagnetten; der furchtsame Desboulleaux rasselte wie besessen mit den Ketten eines Bratspießes, die er um seinen Leib geschlungen hatte; der junge Schüler trommelte mit einem Kochlöffel auf eine Bratkachel; Vadevant endlich hatte sich eines großen Bettwärmers bemächtigt, in welchen er Nägel und Eisenstücke hinein gethan, so daß er, wenn er ihn schüttelte, einen höllischen Lärm hervorbrachte.

»Herrlich! prächtig!« riefen die Damen; »mit solchen Mitteln könnte man ja alle Bären von Bern in die Flucht jagen! es wäre sehr fatal, wenn uns das nicht mit dem von Château-Thierry gelänge.«

»Allons, meine Herren, vorwärts!« sagte Vadevant; »ich mache auf die Ehre Anspruch, an Ihrer Spitze zu marschiren und das Zeichen zum Conzert zu geben; aber gehen wir vor Allem ganz leise durch die Stadt, bis wir die Wohnung des Bären erreicht haben. Er muß wie vom Blitze getroffen werden ... das wird viel mehr Wirkung machen ... vorwärts!«

Alle Charivaristen schickten sich an, Vadevant zu folgen, als plötzlich die Hausglocke ertönte ;...

»Wer kann noch so spät kommen?« sprach Madame Blanmignon.

»Wer es auch sein mag, ich stehe dafür, er wird sich uns anschließen,« sagte Vadevant.

In diesem Augenblicke ward die Thüre des Salons geöffnet und der Bediente meldete: »Herr Doktor Jenneval.«

Es trat ein Mann von sechsunddreißig Jahren ein, von angenehmem, geistreichem Aeußeren, gewandtem und feinem Benehmen; er begrüßte die Frau vom Hause und die übrigen Damen, ohne noch die kuriose Bewaffnung der Herren bemerkt zu haben.

»O! unser lieber Doktor!« rief Vadevant aus; »hatte ich nicht Recht, als ich sagte, der Ankommende würde einer der Unsrigen sein? ... Allons Doktor, schnell, nehmen Sie eine Kasserolle, oder wenigstens ein paar Lichtputzenschalen.«

»Wie! was bedeuten alle diese Anstalten, meine Herren?« sagte der Doktor, indem er die Gegenstände genau betrachtete, welche die Musiker in den Händen hielten; »wollen Sie ein Räthsel, ein Sprüchwort, eine Symphonie aufführen? ;...«

»Mehr als das; wir wollen ein Charivari bringen, welches im ganzen Lande Aufsehen machen wird.«

»Ein Charivari?«

»Ja wohl ... schnell, nehmen Sie doch ein Instrument und kommen Sie mit uns.«

»Aber zuerst möchte ich doch wissen, wem Sie das Charivari bringen wollen?«

»O! wären Sie nicht so spät gekommen, Doktor,« sagte Madame Blanmignon, »so wären Sie von Allem unterrichtet ... Aber man kann Sie gar nicht mehr haben ;...«

»Verzeihen Sie, Madame, ich mußte Herrn Guerreville besuchen, der sich nicht wohl befand, und ;...«

»Herr Guerreville!« schrie man von allen Seiten; »Sie kommen von Herrn Guerreville ... dem Fremden ... dem Unbekannten ... dem Bären?«

»Ja, meine Damen,« erwiderte der Doktor lächelnd, »und ich war sogar schon mehrmals dort.«

»O, das ist zu komisch,« sagte Vadevant, »und gerade diesem wollten wir ein Charivari bringen.«

»Dem?«

»Ja, Doktor; denn er ist ein ganz abscheulicher Mensch, nicht wahr? ... so eine Art von einem Wilden ... von unanständigem und rohem Benehmen ... von ungeselligem Wesen ... der die Köchinnen zur Thüre hinauswirft ... Niemand auf der Straße grüßt ... kurz und gut ein Bär!«

»Ich glaube, daß Sie sich im Irrthum befinden, Herr Vadevant; nach dem Wenigen, was ich gesehen, urtheile ich ganz anders über Herrn Guerreville. Man kann in der Einsamkeit zu leben wünschen, ohne deßhalb alle diese Fehler zu haben.«

»Der Doktor spaßt! ich bin dessen gewiß ... und bleibe doch bei dem, was ich über den Bären ... den Unbekannten gesagt habe ... und ich beharre bei meinem Vorhaben, ihm ein Charivari zu bringen ... Nicht wahr, meine Herren?«

Die Herren, welche sich nicht umsonst mit einer Feuerzange oder einer Pfanne bewaffnet haben wollten, waren sehr geneigt, Vadevant zu folgen, welcher schon gegen die Thüre marschirte und seinen Bettwärmer wie eine Fahne empor hielt.

Der Doktor betrachtete sie lächelnd und begnügte sich, ihnen zu sagen: »Meine Herren, ich widersetze mich Ihrem Charivari nicht, nur ersuche ich Sie, noch einige Minuten zu warten, damit der Herr Unterpräfekt, den ich bei ihm zurückgelassen habe, Zeit habe, ihn zu verlassen ... denn ich setze voraus, daß Sie diesem nicht auch ein Charivari bringen wollen.«

Es ist kaum möglich, die Wirkung zu beschreiben, welche diese Worte hervorbrachten; die Gesichter verlängerten, die Stirnen runzelten, die Mäuler verzogen sich; es war ein allgemeines Erstaunen, eine allgemeine Betäubung; die Herren blieben erstarrt und wie vom Blitze getroffen, während sie noch ihre Pfanne oder ihren Kessel in der Luft hielten.

Madame Blanmignon empfand eine solche Erschütterung, daß sich ihre Augbrauen entfärbten und von einer ihrer Wangen aller Zinnober herabfiel; sie suchte zwar sich wieder zu sammeln, aber ihre Stimme war sehr bewegt, indem sie zu dem Doktor sagte: »Ist es möglich? ... Täuschen Sie sich nicht, mein lieber Herr Jenneval? Wie! der Herr Unterpräfekt geht ... zu diesem Unbekannten?«

»Ja, Madame; ich habe die Ehre, Ihnen zu wiederholen, daß ich sie so eben zusammen verlassen habe; und so viel ich aus ihrer Unterhaltung, aus der sie gar kein Geheimniß machten, entnehmen konnte, muß Herr Guerreville mit unserem Unterpräfekten früher in sehr enger Verbindung gestanden sein; sie sind alte Freunde, sind sich zufällig dieser Tage auf der Promenade begegnet, haben sich erkannt, und daher kommt es, daß der Eine den Andern besucht hat.«

Während dieser Erklärung des Doktors mußte man die Charivaristen sehen, wie sie verstohlen die Instrumente ablegten, die sie ergriffen hatten: der Eine schob seine Pfanne unter einen Sopha, der Andere legte seine Kasserolle auf einen Lehnstuhl, ein Dritter praktizirte seine Zange unter das Piano, dieser steckte die Bügeleisen in seine Tasche, kurz, in wenig Minuten waren die Hände der Herren frei, Vadevant ausgenommen, der, als Träger des gewaltigen Bettwärmers, noch kein Mittel gefunden hatte, ihn irgendwo unterzubringen, und nicht einmal wagte, ihn zu sehr zu rütteln, weil das Eisenzeug, das er in die kupferne Büchse gethan, bei der geringsten Bewegung ein Geräusch machte, das nun Jedermann sehr unangenehm fand.

»Das ist sehr sonderbar ... ganz erstaunlich!« begann Madame Blanmignon; »es scheint also, daß wir uns geirrt haben, daß wir über diesen Herrn Guerreville falsch berichtet wurden ... Da der Herr Unterpräfekt sein Freund ist, ihn besucht, muß er doch ein sehr ausgezeichneter Mann sein ... nicht wahr, Doktor?«

»Madame, das ist auch meine Meinung. Zu Herrn Guerreville gerufen, weil er krank war, habe ich ihn noch nicht mehr als fünf- bis sechsmal gesehen, aber das genügt, um zu erkennen, daß er ein ganz anständiger Mann ist, der Kenntnisse und Verstand hat. In der That ist der erste Eindruck seiner Persönlichkeit nicht besonders angenehm: Herr Guerreville ist von Natur barsch und, wie ich glaube, auffahrend; ich vermuthe bei ihm einen tiefen Gram, der sein Gemüth verbittern konnte; kennt man ihn aber nur ein wenig näher, unterhält man sich mit ihm, so ist leicht zu ersehen, daß unter dieser starren Außenseite eine gefühlvolle Seele und ein edelmüthiges Herz verborgen sind.«

»Der arme Mann! ... Sie glauben, daß er einen geheimen Kummer hat?« riefen mehrere Personen.

»Ich, ich habe nie daran gezweifelt,« sagte Madame Blanmignon; »und in der Tiefe meines Herzens interessirte ich mich für ihn ... denn ich habe nie an alle die Fabeln geglaubt, die man auf seine Rechnung in Umlauf setzte.«

»So kommt es, wenn man Küchengeschwätze nacherzählt,« sagte Boullardin, zu Vadevant gewandt.

Dieser, noch immer von seinem Bettwärmer sehr belästigt, entschloß sich, denselben mitten im Salon niederzusetzen, wobei er ausrief: »Wenn ich auch einige Geschichten nacherzählt habe, welche übrigens der ganzen Welt bekannt waren ... so würde ich mir wenigstens nie erlaubt haben, diesem achtbaren Unbekannten zuerst den Beinamen Bär zu geben.«

Boullardin ist zu Boden geschmettert; denn als Mairiebeamter hält er sich für gewaltig compromittirt, einen Freund des Herrn Unterpräfekten Bär genannt zu haben; er sieht sich in Gedanken bereits abgesetzt, schlägt die Augen nieder, ohne es zu wagen, seine Frau zu betrachten; plötzlich aber, den Bettwärmer bemerkend, ruft er mit triumphirender Stimme: »Ich habe diesen ehrenwerthen Fremden einen Bären genannt ... ich gestehe es ... denn darin liegt nichts Böses. Unter Bär begriff ich keine Bestie ... ich wollte damit einen Freund der Zurückgezogenheit bezeichnen ... einen Freund der Ruhe und des Friedens ... ich hebe die Hand empor, daß ich unter Bär nie etwas Anderes verstanden habe. Was aber hinlänglich beweist, daß ich nie die Absicht hatte, diesen Herren zu beleidigen, ist, daß ich keinen Antheil an der projektirten Katzenmusik genommen habe ... ich nehme die ganze Welt zum Zeugen ... und ich habe das Charivari stets getadelt ... O! o!«

»Gut, mein Herr!« schrie Vadevant. »Wer hat in dem Charivari etwas Anderes gesehen, als einen Scherz ... eine Scene, die wir spielen wollten? ... Wer kann im Ernste glauben, daß wir, bewaffnet mit Küchengeräthschaften, durch die Stadt gezogen wären? Pfui doch! ... Ich, meine Herren, ich erkläre, daß ich mit diesem Bettwärmer, der ein erdrückendes Gewicht hat, nicht einmal die Treppe hätte hinabsteigen können.«

»Ja, ja!« rief Madame Blanmignon, »diese Herren wollten uns etwas zum Lachen geben, und das ist Alles ... Der Herr Doktor wird uns gewiß glauben, daß das Alles nur ein Spiel war, ein Scherz ;...«

»Ich, Madame, ich werde glauben, was man will,« versetzte der Doktor mit einer etwas ungläubig lächelnden Miene, »und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich schon nicht mehr an das Charivari denke.«

»Vortrefflich!« rief Vadevant, »denken wir auch nicht mehr daran. Ich schlage einen Contretanz vor ... einen Galopp ... ich erbiete mich sogar, eine Romanze zu singen.«

Das Anerbieten Vadevants wurde angenommen, und schon näherte er sich dein Piano, als ein Geklirre von Ketten, welches aus einem Winkel des Salons kam, die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf sich zog. Man horchte, man sah sich an; die Damen geriethen schon in Furcht; endlich näherte sich ein junger Mensch einem Fenstervorhange, von welchem das Geräusch herzukommen schien; er zog den Vorhang weg und zeigte den Blicken der ganzen Gesellschaft den furchtsamen Herrn Desboulleaux, der sich in der Hoffnung hierher zurückgezogen hatte, sich der Ketten des Bratenwenders zu entledigen, die er um seinen Körper gewickelt, und noch nicht hatte los werden können.

Herr Desboulleaux erröthete bis in das Weiße der Augen und verwickelte sich nur noch mehr in seine Ketten, als er sah, daß er der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit war. Alle Anwesenden wurden wieder sehr ernst, weil sie begriffen, daß die Lage dieses Herrn auf's Neue das Charivari in Erinnerung bringen würde, und Madame Blanmignon sagte zu ihm in sehr trockenem Tone: »Was machen Sie denn da, Herr Desboulleaux?«

»Madame, ich versuchte es, mich von den Ketten des Bratenwenders zu befreien, welche ich genommen hatte, um zur Verstärkung des Lärms bei der Katzenmusik mitzuwirken, welche man ;...«

»Den Bratenwender sammt der Kette nehmen! ... O mein Gott! wie kann man einen solchen Gedanken haben ... das beweist doch einen gar zu schlechten Geschmack ... Ich ersuche Sie, Herr Desboulleaux, Alles dieses wieder in meine Küche zu tragen ... Ich wünsche, daß man mein Haus künftig nicht mehr so ausplündere.«

Herr Desboulleaux verließ beschämt und fassungslos den Salon, indem er seine Ketten, wie ein Gespenst von Anna Radcliff, nachschleppte, und man kann sich wohl vorstellen, daß er nicht mehr zur Gesellschaft zurückkam. Diese versuchte nun einen Contretanz zu Stande zu bringen; aber Niemand hatte Lust zu tanzen: der Vorfall mit der Katzenmusik hatte alle Gemüther verstört, und man beeilte sich, von Madame Blanmignon Abschied zu nehmen.


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