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Der Geiger lag droben in der Kammer der Herberge zum Güldenen Anker, anscheinend hart erkrankt darnieder. Wilde Zorn- und Fluchreden hatte er noch geführt und um sich geschlagen. War dann in tiefen, schweren Schlummer gesunken, um sich bald wieder von bunten Fiebergesichten umtreiben zu lassen. Da hatte er ohn' Ende von seiner Geige, ihren Rubinen und ihrer edlen Perle, von den weißen, zarten Brüsten des tanzenden, seligen Weibes, dem schwarzen Schmied, den er anflehte, ihn mit seinem Todeshammer zu erschlagen, hatte von dem bleichen Meister drunten in Wien, dem blutigen Fechter in Mainz, dem Gehenkten im Weidenbaum, und gar von der silberfarbenen Wolkensaumweise gefabelt. Der Bakkalaureus war nicht von seinem Lager gewichen; des machten der Ankerwirt und sein Weib groß Rühmens von seinem gutem Herzen – und obenein noch »so einem« zu lieb! War aber nicht Erbarmen und Menschenliebe, was ihn da oben in der Kammer so treulich festhielt: er mußte von Grund aus dahinterkommen, was diese feine, starke Seele erlebt und geschaut! Und was er aus seinen Fieberreden auffing und staunend aneinander reihte, machte ihn nur noch neugieriger und erpichter, die Wunder, in denen jener zu wandeln gewürdigt war, ganz zu wissen und zu deuten. Es war, als müsse er seinen Feind, der schon im Mutterschoße sein Widersacher gewesen, recht kennen lernen, mit all seinen Geheimnissen und seines Wesens Gewalten. Auch war's ihm wie grausame Lust, an den seltsamen Leiden des Seltsamen sich zu weiden, gleich als könnten dessen Leiden ihm ein Trost sein.

Am zweiten Abend kam der Kranke zu sich und fand erschrocken den Weggenossen an seinem Bett. Der beugte sich mit teilnehmender Geberde über ihn. »Wo bin ich?« – »Ihr seid krank, lieber Freund – krank gewesen, wollen wir hoffen. Ich hab' bei Euch gewacht und ein wenig den Samariter gemacht. Wie fühlt Ihr Euch, Lieber?« – »Ihr – Ihr bei mir?« – »Warum nicht?« – Peter schloß die Augen und bewegte das Haupt leise, war's ein Kopfschütteln? Nach langer Zeit schaute er wieder auf: »Verzeiht, Freund, ich tat Euch Unrecht, und – ich dank Euch. So sind wir Menschen, so ungut: weil Eure Art ein wenig anders als die meine! ... bin überhaupt ein Narr – ein großer, trauriger Narr – ein unheilbarer!« Da kam ein bitterlich Weinen über ihn. Endlich richtete er sich auf, trocknete die Tränen, lächelte wehmütig und streckte dem Fremden treuherzig die Hand hin: »Denkt nicht schlechter von mir, bin sonst nicht gar weichgebacken – hab' nur Übermächtiges erlebt, Übermächtiges! – lassen wir's. Nun aber auf, das Ränzel geschnürt und weiter. Ich darf nicht rasten.« – »Lieber Bruder, die Nacht bricht herein. Jetzt werdet Ihr Euch fein stärken durch ein kräftig Süpplein, vielleicht einen herzhaften Schoppen drauf. Alsdann schlaft Ihr Euch rund und gesund und möget morgen den Stecken weiter setzen.«

So geschah's. – Ich hab' ihm wirklich schwer Unrecht getan, dachte der gute Peter bei sich, wie sich der Student um sein Bett her im Dämmerschein des Lämpchens mit Hühnerbrüh und Pfannekuchen und Zuspruch und Scherzrede über die Maßen betulich und niedlich machte.

Es waren gar trauliche, behagliche Abendstunden, dem Geiger war lange nicht so wohl gewesen. Sie aßen zusammen, tranken zusammen, plauderten, und der Gesell in den sieben freien Künsten war schier zum Küssen gesprächig und unterhaltsam, dabei drollig und lieb, recht wie ein guter Junge, daß dem gläubigen Geiger das Herz warm und weit ward und er bei sich sprach: »Wo hatt' ich nur meine Augen? Ist das denn derselbe Mensch noch?«

Es ward dunkler und heimlicher. Und mählich lenkte der Bakkalaureus das Gespräch auf dunkle und geheimnisvolle Dinge, als da sind die weiße und die schwarze Magie, Wahrsagerei und Liebeszauber, die Wunder des roten Leun und der silbernen Lilie, Höllenzwang und clavicula Salomonis, dergleichen dermalen an den hohen Schulen mehr denn gut und gedeihlich herumspukte. Der wundersüchtige Geiger tat gar gelehrig beide Ohren auf. Das war ein Gespräch, wie er sich's lange gewünscht hatte; da war manches, davon er hie und da hatt' läuten hören, wußt' nur nicht, wo die Glocken hangen; hier war er, schien's, an einen geraten, der seiner Wißbegier Rede stehn konnte. Hei, war das gruselig-schön, schade nur, daß es nicht im Ofen bullerte und der Sturm nicht um die Hausecken tobte! Doch auch der dämmerige Raum hier, spärlich erhellt von dem einen Lämpchen, der Fremdling vor ihm mit dem schönen, fremdländischen Antlitz und der vollen, weichen und, wenn er leis gewichtig sprach, seltsam bebenden Stimme, das schien alles gar fein aufeinander gestimmt und gab zusammen einen geheimen Ton ergreifenden Zaubers.

»Ihr haltet, scheint's, nur wenig von unserer occulta philosophia, Freund Geiger – ich denke des Tons, in dem Ihr scherzweis von meiner achten Kunst, die nur die verrufene Passauer sein könne, sprachet ...« – »Aber Ihr verkennt mich gar sehr, Lieber!« eiferte der im Bette, »Ihr ahnt gar nicht, wie arg Ihr mich verkennt, da ich ja selber so ein halber ... nein, das klänge wohl zu anmaßend, bin ich doch aller gelehrten Kenntnis bar; ich meine nur, der Mirakel und seltsamen Abenteuer hat's mehr denn genug in meinem Leben, also, daß ich mich selber oft nicht versteh ...« Er verstummte in Sinnen.

Des Fremden Auge ruhte still beobachtend auf seinem Angesicht. Der Schelm, er verkannte ihn mit nichten, hatte ja genug aus seinen Fieberreden erlauscht und wußte nur zu gut, wie diese Seele von Wundern und Geheimnissen ganz umstrickt war – fürwahr, höheren Wundern und Geheimnissen, als sie seine Passauer Gaukeltasche barg! – Aber sie sollte noch tiefer hinein! – zu was Ende, das sah er selber noch nicht recht ab, nur das dunkle Gefühl leitete ihn, er könne vielleicht mit seinen unsauberen Künsten, seinem Zauberblendwerk, dieser Seele Herr und Meister werden; das reizte ihn seltsam, wie den Rohen ein Frevel am Heiligen reizt. Ja, erniedrigen mußte er ihn, wenn nicht mehr, der sich so über ihn erheben wollte!

So sprach er listig: »Ihr könnet Euch leichtlich denken, daß ich, als jung-lüsternes Wisserlein in die Welt der Wunder losgelassen, alsobald um die schwarze Küche und alle Stätten, wo nur ein blasser Kerl mit hohlen Augen Geheimnisse aus jener Welt feilzuhalten vorgab, herumzuschnüffeln anhub. Jede Krähe auf kahlem Ast hielt ich für Doktor Faustens schwarzen Raben – item, ich hab neben meinem Studiis doch mancherlei von der magischen Kunst profitiert und darf wohl mitreden. Aber Ihr trinkt ja nicht! Laßt uns anklingen auf Eure Gesundheit, und daß Ihr ein Herzbezwinger werdet auf Eurer edlen Geigen! Ein feuriger Tropfen, wie er sich für ein kleines Kollegium zweier gescheiter Männer ziemt! – Wenn's Euch nicht langweilt, erzähl' ich weiter: In Krakau war's, wo ein Nekromant, vor dem ich nie recht aufgehört hatte, mich zu fürchten – ich glaub' auch, es war nicht richtig mit ihm, er konnt' zuviel, was Ungrades war gewißlich dabei! – wo dieser Teufelsbraten mich ein wenig das grasse Handwerk lehrte. Kindische Neubegier war's, und heut weiß ich gar wohl, was von dem allen zu halten sei: wohl kann man Heil und Segen damit schaffen, doch gar zu leicht auch Fluch und heilloses Verderben.«

Er streckte dem aufmerksamen Hörer bieder die Rechte hin und sprach in warmem Herzenstone: »Seht, und Heil bringen möcht' ich Euch mit meiner Kunst! Wollet mir nur willig gehorchen. Ihr krankt an einem Hirngespinst, Lieber, an einem gefährlichen, mein' ich! Just wie der unselige Mann, über den wir zwei insgeheim uns noch aussprechen wollten, der Meister zu Wien. Ein Zauber, und gewiß kein guter, ist auch Euch angetan: Ihr hoffet der silberweißen Wolkensaumweise habhaft und Herr zu werden, und seid auf dem besten Wege, an diesem Wahn zugrunde zu gehn.«

»Ich hoffe? – Ich bin ihrer Herr! Ich hab' sie! Aber habt Ihr denn gestern nicht ...?« – »Papperlapapp! es ist weit schon mit Euch gediehen, armer Gesell.«

Es mußt' ein Meister in der Kunst sein, Ton und Geberde zu beherrschen, der soeben dem Geiger auf sein großes Wort so leichthin über den Mund fahren konnte: denn ihn hatte es getroffen wie ein Schlag aufs Herz! Der andere legte verzweifelt und erschöpft das Haupt ins Kissen zurück und klagte: »Er glaubt's nicht, er glaubt's nicht! Wer glaubt mir's wohl auf der ganzen weiten Welt?!« – Des Bakkalaureus Gedanken sprangen wie angstgehetzt krause Zickzackwege: das hatte er gleich empfunden, daß nicht alles eitel Hirngespinst, was der Fieberirre gesprochen, hatte sich auch schleunigst überzeugt, dass die seltsam schönen, schier unbezahlbaren Kleinode, von denen der geschwärmt, kein versiegend Traumgut seien, dass sie in Wahrheit im Besitz des armen Teufels waren. Und nun – was war das? – »Wo habt Ihr eigentlich die funkelnden Edelsteine und die herrliche Perle her, dergleichen ich in Ost und West noch nimmer sah? Ein närrisch Geschmuck auf einer Fiedel! Die wären nicht zu gering, die Krone des heiligen Römischen Reichs zu zieren.« –

Eine Weile lag der Geiger stumm, es kam ihn hart an, davon zu sprechen. Endlich sagte er leise und feierlich, die ernsten Augen, wie um Andacht bittend, auf des Lauschenden Gesicht geheftet: »Soll ich's Euch denn vertrauen? Eben dort wurden sie mein, wo ich die seligste Weise gewann, eben dort! Und so wahr jene Kleinode in meinem Besitze sind, so wahr ist das noch herrlichere Kleinod jener heiligen Weise mein! Mehr darf ich Euch nicht sagen. Aber Ihr wisset es doch sehr wohl!« ... – »Ich versteh Euch nicht, Freund« – es klang fremd und heiser. »Ihr gehört doch nicht zu dem trunkenen, blöden Pack, das ehegestern nacht mit uns gezecht hat! Warum wollt Ihr's nicht wahr haben, dass Ihr's wisset?« –

Der Bakkalaureus, der mit mächtig ausgreifenden Schritten, wie ein Tigertier den Käfig, den Raum durchmessen, stund jetzo zu Häupten des Geigers, der sich seines Schweigens wunderte. Sein Gesicht war verzerrt, seine Faust geballt: Der Narr! Der Hund! Wie er glaubte! An sich glaubte! Was ihn das Spiel des Künstlers nicht gelehrt, jetzt mußte er's dem Augenschein jener schimmernden Zier, mußte er's der Stimme der Wahrheit glauben, die gar zu vernehmlich sprach, die er nimmer verkennen konnte. Und daß er, er selber vorgestern nicht imstande gewesen, das Wunder mitzuerleben, zu erkennen die heilige Weise, das ließ ihn nun gar unversöhnlich ergrimmen: Jawohl! Du sagst es, argloses Geigerlein: er fühlte sich verworfen, zum Pack gestoßen, zum dumpfen, unheiligen, zum ewiglich unerlösten. Dort schimmerte seine Laute durch die Dämmerung. Zerschmettern, zertreten hätt' er sie mögen; Schwindel und Trug, was ihn des ewigen Verlustes zu getrösten schien! Wie könnte ihn der billige Beifall der Brüder Nachbarn, Gevattern und Zunftgenossen, wie könnten ihn die beschämenden Komödiantensiege schadlos halten für das ewig verlorene Gut? Ein Versagen galt's hier bekennen, ein schnödes: Ich kann nicht, ich reiche nicht hinauf! Ob das brannte und sehrte! Der Ratsschreiber mag gern und neidlos bekennen, daß seiner stubenblassen Hand nicht möglich ist, was des Meisters Schmied sehnige Faust vermag, und der mag ohn' Weh und Beschämung des Federgeübten kunstvolle Schnörkel bewundern. Hier galt's einen Kranz, den er nicht ohne wütende Scham in des andern Händen sehen durfte, als ging's ihn nicht an und hätt' jeder sein Gewerb und seine Kunst für sich! Der Simpel, der ungelehrte Tölpel, der sollte es haben, was ihm ewig unerreichbar? Er knirschte, durchdrungen wie nie von seiner Gemeinheit, Verlorenheit, erfüllt wie nie von Neid und Haß wider seiner Seele unglückliche Liebe, das Hohe, Edle, Geistige. Ehrt doch im Hasse der Teufel das Heilige. Wenn sie, die ihn bewundernd strahlen sahen in seinen selbstzufriedenen Stunden, in seine einsamen Stunden hineinschauen dürften, der Zwiesprach lauschen, die er mit sich selber hält, wann seine Eitelkeit mit seiner Klugheit Verstecken spielt!

»Warum schweigt Ihr so?« fragte nach langer, langer Weile, in der ein jeder der zwei so ganz anderes durchdacht und durchlitten hatte, Peter den bösen Feind zu seinen Häupten. – »Ich bedaure Euch, armer Freund, und sinne, wie Euch zu helfen sei.« – »Ich bedaure Euch nicht minder,« sprach der im Bette, und gar nicht feindlich und spitzig war's gemeint, sondern in redlichem Wehgefühl, traf aber gleichwohl wie giftiger, grimmer Hohn. O! Verwirren diese klare Seele, erschüttern, zermalmen! – »Darf ich Euch heilen, lieber Gesell?« – »Heilen? Wüßt fürwahr nicht, wovon!« – »Von Eurem verderblichen Wahn. Wollt Ihr den Wiener Meister schauen und von ihm Wahrheit hören, dem ewig-verlorenen, dem Opfer des gleichen Wahns?« – »Torheit, laßt mich in Frieden mit Hokuspokus. Dergleichen ist mal zum Plaudern gut für 'ne Schummerstunde, sonst aber Hand vom Sack! Was soll das auch hier?« – »Er hat gestrebt wie Ihr, hat dem Teufel drum seine Seele verschrieben!« ... » Darum – dem Teufel! Haha! Wahrlich, zum Lachen wär's, so dumm ist's, wenn's nicht zum Grausen wäre. Seht Ihr, Bakkalaureus, seht Ihr, da liegt's, ein Kind kann's fassen und deuten: er war vom Volke unreiner Lippen!«

Der wackere Geiger saß erregt im Bette auf, das Licht beglückten Erkennens strahlte aus seinen klaren, redlichen Augen: » Nur rein muß die Hand sein, die sich nach dem ewigen Gute streckt! Meinem Schöpfer Dank und meinem toten Mütterlein, daß ich das große Wort sonder Scheu und Furcht aussprechen darf! Selig sind, die reines Herzens sind. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Groß sein wollen im Gemeinen dieser Welt, nimmer sein Herz läutern mögen – doch zugleich auch nach jener Krone streben: seht Ihr's nicht ein? das ist ein Unding, ist tollster, frechster Wahnwitz! Wo das anginge, Freund, was wär' alles Unrecht der unvollkommenen Welt gegen solches Unrecht! An dem könnt nur Satan, der Vater der Lüge, seinen Spaß haben. Am Tag, da solches wahr würde und ein Unheiliger Gott schaute, müßt ja der Bau der Welt brechen, noch einmal, wie's in der Schrift steht, die Sonne ihren Schein verlieren und des Tempels Vorhang mitten entzwei reißen!« – Seine Wange glühte. Gleich wie Bast stund der dunkeläugige Feind, immer trotziger, leidenschaftlicher, ingrimmiger sich in den schwarzen Satansmantel tödlichen Hasses und Neides hüllend. Mit einer jähen Bewegung warf er den Kopf empor, ergriff die Lampe und schritt stracks hinaus.

Der Geiger lag im Dunkeln. Schräg schielte der Mond in die Kammer und legte einen schmalen Streif bläulich-weißen Lichtes auf die Diele. Das Bett ward ihm heiß. Eine seltsame Beklommenheit faßte ihn. Was sollte hier werden? Der fremde Mensch, der ihm auf einmal wieder unheimlich wurde, war er wirklich sein Freund? oder – war er sein Widersacher, der's auf die Sicherheit seines Innern, die Einheit seines Gefühls abgesehen hatte? Er sprang auf, warf eine Decke um den bloßen Leib und eilte zum Fenster, das er tief eratmend aufstieß. Die Nacht war duftig und klar. Der Atem blühender Linden wehte auf den flaumigen Schwingen eines leisen Nachtwindes. Die hohen Häusergiebel schnitten schwarz in den tiefblauen, monddurchlichteten Himmel. Aller Häuser Augen fast schienen im Schlaf geschlossen, alles Leben in der Stadt zur Ruh gegangen, nur hie und da blinkte ein Fensterlein in mattgelber Helle: Da wachte wohl ein Kranker, sang eine Mutter ihr weinendes Kindlein wieder in Schlaf. Drüben vom Markte her klang und plätscherte eines Brünnleins Rieselstrahl, ins mondflimmernde Wasserbecken fallend, gar verträumt und behaglich durch die Stille. In der Ferne verklang des Wächters Ruf in den einsamen Gassen.

Die Stille tat unserem Freunde wohl. Jetzt wandern durch die mondklare, leiswehende Nacht! Nach dem dunklen Bilde nächtig geballter Wipfel sehnte er sich, den herzvertrauten Flüsterstimmen der Waldnacht.

Da ging die Tür auf. Der Fahrtgeselle trat ein. Er kam ohne Licht und trug etwas, etwas Schweres in den beiden Händen. In der halben Finsternis erkannte Peter, daß er den Kopf in eine schwarze Kapuze geborgen hatte. Er setzte was auf den Boden. Es klirrte metallen. Dann winkte er mit großer Geberde dem unwillig Staunenden, beiseit zu treten. Dem stockte das Wort im Halse, er wollte wehren: »Was soll das? Bringt Licht und laßt mich ungeschoren!« Es blieb ihm beklemmend auf der Brust liegen. Er setzte sich auf die ächzende Bettstatt und starrte, halb geängstigt, halb neugierig-gespannt, ins Dunkle, wo er die hohe, schwarze Gestalt des Fremden sich rätselhaft beugen, neigen und wenden sah.

Ein bläulich Licht quoll dem mit leisem Zischen unter den Händen auf, ein scharfer Ruch versetzte Petern den Atem, wieder klang's wie ein Metallbecken, wenn du's leise rührst; das zitternde blaue Licht hob aus der Nacht ringsum ein paar wundersam bewegte, wie Phosphor leuchtende Hände heraus, lebendige, zuckende, schwebende Leichenhände, zu denen der Leib und die Arme zu fehlen schienen. Ein Murmeln, Raunen, Sprechen in einer Sprache, die keine ist, ein tolles, aberwitziges Kauderwelsch – Peter wollte aufspringen: »Ich bin nicht Euer Narr, hört auf!« Da stieg ein weingelber, stinkender, würgender Qualm brausend zur Decke, stieß droben gegen das Gebälk, senkte sich in schweren, fetten Wolken brodelnd hernieder und füllte die ganze Kammer, daß sich Peter wie erstickend zum Halse griff, röchelte und schreien wollte – »Still! In Satans Namen, still! Ihr verderbt alles! – Jetzt! – Er ist da!« raunte die heisere Stimme des unsichtbaren Beschwörers.

Fahles, bläuliches Licht schoß auflebend von unten her durch den wallenden Brodem, drin sich jetzt Umrisse zitternd bewegten, fester fügten, und da stund das Bild, nur leis überflimmert wie von heißer Luft, und von Rauchstreifen und -Fäden durchzogen – eines Mannes Gestalt, oben schon klar und deutlich das unvergessene Gesicht des geheimnisvollen Meisters aus der Donaustadt, aschgrau, erloschenen Blicks, die Augensterne tot und blind wie die weißen Augen eines gesottenen Fisches. Und in dem greulichen Leichengesicht schwammen die Züge des Musikus, des adligen Wallonen und des gehenkten Strolches erschreckend ineinander! Petern erstarrte das Herz, wie er um den dünnen Hals des Phantoms den seltsamen Schmuck eines niederbaumelnden Strickes erblickte.

Hoch reckte sich jetzt der Bakkalaureus vor dem Spukbilde empor und erschien wie ein Riese in seinem schwarzen Gewande. Er hielt hoch in seiner Rechten die Geige Peters, der, zu Tode erschrocken, aufspringen und sie ihm entreißen wollte. Nur ein Zauber nagelte ihn an seinen Sitz und lähmte alle seine Glieder. Drohend und höhnend hielt der Nekromant die geweihte Geige dem Gespenste hin, und die Rubinen leuchteten in zauberischem Glanze und schossen sichtbarlich Blitze in das stinkende Qualmgewölk hinein – da trat Bewußtsein und Leben in die blicklosen Leichenaugen und war ein Erkennen voller Grauen, Qual und Entsetzen! Beide Arme lösten sich aus dem gestaltlosen Dunkel, über dem nur das Haupt erschimmert war, sie reckten sich mit gespreizten, zukrallenden Fingern nach der Geige, die jener in satanischem Hohn vor dem Verlorenen schwenkte – dabei begann das Wesen wie ein todwundes Tier zu schreien! – zu schreien! zu heulen, zu plärren! – ein Ton war's, wie er nirgends in der Schöpfung erhört ward, von so grauenhafter Häßlichkeit, daß dem Geiger die Haare auf dem Schädel wie Binsen stunden. »Kennst du die?« schrie jauchzend der Bakkalaureus – »Der hat sie! Glaubst du's, armer Kerl, glaubst du's?« – »Der sei verflucht, der sei verflucht!« schrie das Gespenst. »Freikaufen sollst du mich, du Hund, erlösen! Mit deiner Geige – mit deiner Seele! Frei, frei! Ist sie dir heute feil? Hier den Strick dafür!«

Die Gestalt wuchs und schwoll, Schritt um Schritt wich der Bakkalaureus, immer die Geige hoch in der Rechten, vor dem drohenden Wallen und Wogen des Dunstgebildes rückwärts, Petern näher, der plötzlich mit einem Ruck ihm sein Eigen entriß.

Auf dem Tischlein am Bette lag der Bogen, dort hatte ihn der Nekromant bei seinen Zurüstungen niedergelegt – bedrohlicher, entsetzlicher wuchs und bäumte sich das zerdehnte, zerzerrte Grauenbild des Unseligen ihm entgegen, über ihn her, wie um ihn zu erdrücken – Da, als hätte ein frommer Beschwörer dem Teufelsspuk den Namen des Heilands zugerufen, ein leuchtend Bild des Gekreuzigten in die Nacht des Grauens gereckt, also geschah's: Was war's? Nicht fromme Bannworte, kein Schimmer der Gnade von oben her, und doch eine Helle aus jener Welt: Wie silberne Lichtstrahlen schnitten selig-starke Siegesklänge in das düstere, wüste Schrecknis der magischen Stunde, lichte, warme, reine, himmelgläubig jubelnde Klänge! Wie ins Herz getroffen schrie das Gespenst auf und stürzte sich wutwinselnd auf den Bakkalaureus, den es würgte, den es wie einen toten Balg zu Boden warf: »Satan! Tückischer denn Satan!«

Das Fenster flog auf, frischer Wind blies herein, der Qualm schlug wolkend hinaus, zitternd durchleuchtet vom lieben Lichte des Mondes, und in immer helleren, lerchenhaft steigenden Siegesweisen jubelte die Geige. Unten pfiff einer, dann rief eine kräftige Stimme: »Heda, da heroben Ihr! Ist bei Euch fein Mord und Totschlag? Scharwache, ho!«

Die Tür stund offen, längst, davon war das Fenster, das vordem Peter nur angelehnt hatte, aufgeflogen. Längst stund da luftschnappend, zitternd der Wirt, eine Lampe flackernd in der Hand, und rang um ein Wort: Was war das? Dort der Geiger, halbnackt, seine Geige noch in der Hand, mit unnennbarem Ausdruck im Gesichte, halb sinnverwirrt und entsetzt, halb mit der Miene eines Verzückten, Verklärten, eines Siegers! Am Boden auf seinem Angesicht, wie zu Tode gefällt, der liebe, prächtige, kurzweilige Gesell, der Bakkalaureus! Ihn überdeckte der schwarze Mantel, dessen Kapuze sein Haupt verhüllte, wie ein Bahrtuch! Neben dem Hingeschmetterten ein Kohlenbecken, der ganze Raum voller Stunks und giftiger Dünste, daß man kaum zu atmen wagte. »Was habt Ihr ihm angetan, heimtückischer Schelm? Ihr verdächtiger Landstreicher, Zigeuner und Bettelmusikante, verdächtiger!« zitternd vor Wut schrie es der Ankerwirt. – »Ihr bringt mir mein Haus in Unehr', das ist ein christlich Haus, daß Ihr's wisset! Was habt Ihr ihm angetan?« – »Mäßigt Eure Zunge, Wirt! Fragt ihn selber. Er ist ein Teufelsbeschwörer und Finsterling. Vielleicht hat ihm der Spuk, den er frevelnd beschworen, den Kragen umgedreht. Ich weiß es nicht.«

Er begann sich eiligst anzukleiden, der Wirt starrte ihn ganz verdattert an, bis er schließlich losbrach: »Lüg du und der Teufel! Das lustige, feine Herrlein dort ein Nigromant? Sucht Euch einen Dümmeren aus, der Euch solches glaube, verstanden? Ihr mit Eurem heimlichen Getu wart uns ehegestern schon nicht geheuer!« – »Respekt, Herr Wirt, Ihr seid ein gewiegter Menschenkenner, haha!« lachte Peter. »So mag's dabei bleiben!« rief er gebieterisch-stark, »und ich rat Euch in Treuen, Ihr Schlaukopf, laßt mich fein ungeschoren von hinnen, oder Ihr kommt auf die Nase zu liegen wie der da, und der rote Hahn springt Euch aufs Dach. Ihr wisset, ich kann mehr denn Brot essen!« Er lachte wild und toll: »So muß man Euch kommen, frech und falsch! Lustige Welt!« Der Wirt zog erschrocken das Käppel: »Halten zu Gnaden ...« – »Meine Schuldigkeit jetzt, Ankerwirt! dann will ich hinaus hier, Bäume muß ich ums Haupt rauschen hören, alle heiligen Stimmen der Gotteswelt, gesunden von all eurem Wust, eurer Dummheit und Niedertracht! Meine Schuldigkeit!« – »Die paar Heller, werter Herr, die paar Heller ...« stammelte der Furchtschlotternde. Peter warf ein Goldstück auf den Tisch – weiß der Himmel, er hatte doch was von einem hohen Herrn! woher nur? – Der Golddukaten sprang klingend auf, rollte über die Diele, verkroch sich unter dem bahrtuchmäßigen, schwarzen Mantel, der breit die regunglose Gestalt des Bakkalaureus deckte. Vorsichtig und wie von weitem schob der Wirt eine lange Hand unter den einen Zipfel; als er den Goldfuchs glücklich erfingert hatte, durfte er sich sein geziemend Ach und Weh über das schwarzverhüllte Unglück vergönnen: »Mein Gott, was mach ich nur mit dem da? Wenn er nun tot ist? Er wird doch nicht, gelt, er wird doch nicht? – Herr Bakkalaureus, he! – Er hört nicht, er ist am Ende wirklich ... o du blutiger Heiland! – Herr Bakkalaureus, Herr Doktor! So tut mir doch die einzige Liebe ... Meint Ihr, Herr Geiger, es sei aus mit ihm?« – »Kann sein, Wirt! red't ihm halt nochmal gut zu«, sprach Peter und fuhr in die Stiefel. – »Red't Ihr 'nem Menschen zu, der maustot ist! O du blutiger Heiland! Mein Haus, mein Geschäft – die Obrigkeit – der Burgemeister – ich bin ein geschlagener Mann!« Plötzlich schlug der Jammerton in zornig Poltern um: »Da kommen sie daher, Gott weiß, woher, und suchen sich mein christlich Haus aus und schlagen sich tot. Sie haben ihren Spaß, und ich hab die Schmutzerei!«

Der Bakkalaureus rührte sich. Seine Hände fuhren beide an seinen Hals. Er gurgelte und röchelte. Es klang wie Worte – »Verspielt!« glaubte der Geiger zu vernehmen. Dann hub er sich in den Knieen auf, reckte starr den Leib empor, sein Gesicht glich dem eines Wahnsinnigen: Weit offen starrten die großen Augen auf den Geiger, starrten und staunten, offen hing sein Mund wie eines, dem wüste Trunkenheit oder ekle Todesangst das Sehnenband, so das Kinn festhält, gelähmt, und die hangende, blasse Unterlippe zitterte wie vor Frost; mit zuckenden Händen wiesen die ausgestreckten Arme auf den Geiger: »Der!« winselte er, zähneklappend, – »der kleine – arme Geiger – ist stärker! besser! – ist gut, ist rein! – Ich Hund, ich Vieh! Er besitzt sie, ich erkenne sie nicht, nie, nie! Ich Verworfener, ich Wegwurf, Auswurf! Ich Lügner – Lügner! Er – ist ausgewählt unter Tausenden, Gottes Liebling! Beuge dich, trotziger, frecher Nacken, beuge dich!« Und er schlug mit der Stirn hart auf den Boden. Dem Geiger tat das Herz weh, heiß Erbarmen stieg in ihm auf. Der Wirt bekreuzte sich und zog wieder in ängstlicher Ehrfurcht vorm Geiger die Kappe. »Beuge dich, tiefer!« murmelte durch die Zähne der Gebrochene. Er sprach das alles wie im Traum, unwissend, in dunklem Müssen – »tiefer, Lump, noch tiefer!« und schlug immer wieder grausamlich mit der stolzen Stirn den Boden. Peter mocht's nicht fürder ertragen, er packte den Traumbefangenen bei den Schultern und rüttelte ihn: »Seid ganz von Sinnen, Bakkalaureus! Wacht auf, hört Ihr! – Seht, welches Unheil Ihr hättet anrichten können mit Euren vermaledeiten Künsten! Habt Ihr nun genug davon? Gott sei Euch gnädig und lenke Euer arges Herz. Herr Wirt, gehabt Euch wohl.«

Die Tür schlug hinter ihm zu. Mochten die zwei sich abfinden miteinander und dem, was geschehen; was ging's ihn an? Er eilte die knarrende Stiege hinab, schritt durch das dunkle Haus. Dis Tür war noch offen, hatt' eben der letzte Gast die Schenkstube wankend verlassen.

Hei, der klaren, duftigen Nacht! Aufatmend reckte und dehnt' er die Brust. Er hatte sich wieder! Überlaut hallte sein mannlicher Schritt durch die einsamen Gassen, in denen der liebe Mond allein sein stilles Wesen hatte. An das plätschernde Brünnlein trat er, schöpfte des kühlen Wassers in die hohle Hand, sich Stirn und Augen zu netzen, dann beugte er durstig sich nieder und trank die erdreine Kälte in langen Zügen. Nun voran durch die schlummernden Straßen. Gott grüß Euch, Herr Roland vorm stattlichen Rathaus, was macht Ihr im Mondlicht fürn dummes Gesicht? Mondhelle Plätze, schattige Lauben, schattenenge Gässchen. Sein Auge war neu zu freudigem Schauen erwacht, all seine Sinne stunden wieder offen den Gestalten der Welt. Du liebe, du liebende Welt, weites, warmes Vaterhaus unserer Sinne und Gedanken, traulich, tröstlich Daheim im Nahen und Fernen! Er freute sich der langen Straßen, des Lichts, das wie blinkende Feuchte von den Kupferhelmen der Türme rann; des geheimen Lebens, das die Nachthelle den steinernen Aposteln und Heiligen an den Portalen der Kirchen schenkte; der hohen Schattenwände der Häuser zur Linken, und des zackigen, bewegten Randes des schwarzen Giebelschattens, den diese Straßenseite auf seinen hellen Weg legte. Freute sich der reichen Schau zur Rechten, wie da alles in prallem Lichte lag, die kleinen Scheiben spiegelnd blinkten, die stattlichen Bürgerhäuser mannigfachen Zierat edler und großer Steinmetzarbeit, bunter Schildereien, bemalten Gebälkes, krausen, geschnitzten Figurenwerkes in der blauen Helle lichteten, die alle Farben wegtrank, alle Tiefen mit kräftigem Schwarz füllte. Alles stund groß und bedeutend da, wie in der Würde der Unvergänglichkeit. Am Tore gab's noch ein unleidlich Hin und Her mit Fragen: Wer er sei, woher und wohin der Fahrt, warum just inmitten der Nacht, die keines Menschen Freund sei, nebst manchem Kopfschütteln der Wachtmannschaft, die vom Würfeln und Karteln aufgestanden war, den närrischen Kauz zu sehen. Doch über unsern Freund war ein seltsam starkes, herzhaft und siegfrisch Wesen kommen, er blieb bei seinem mutwilligen Vorsatz und lachte aller Räuber, Strauchdiebe und gelben Tatern. »In Gottes und Sankt Jörgen Namen!« lachte schließlich der Wachthabende – »so Ihr's nit besser haben wollt!« Die Schlüssel klirrten, das Schloß knirschte und knackte, das alte, schwerbeschlagene Tor knarrte langsam und bedächtig auf, ihn umfing die Freiheit der weiten Nacht, und der Nachtwind kühlte seine Stirn und sprach: »Willkommen.« – »Willkommen daheim!« klang's in seinem Wandrerherzen. Hinter ihm hallte, brummte und summte vielstimmig von allen Türmen der alten Frankenstadt, in der er so viel Schrecknis erlebt, und zuletzt doch einen Sieg, einen schweren, fürwahr, einen ernsten, schönen Sieg – der Chorus der kleinen und großen Glocken, der hellen und dunklen, die zwölfte Stunde, klang ferner Wächterruf und verlorenes Hundegebell. Bürgerfriede, Bürgerruh' – fahr wohl! Er befahl seine Seele Gott und schritt rüstig fürbaß in die feierlich stille, dämmerlichte Weite. Kein Ungemach trat ihn an, in seiner Einsamkeit – fern von den Menschen.

Ja, fern von den Menschen!

*

Einsamkeit hieß fortan sein Dasein, heimatlose Einsamkeit. Da fand er je und je Genesen, Erstarken und Selbstgewißheit, wenn neue Berührung mit der schmerzlich geliebten Welt der Menschen ihm die Seele gesehrt, geängstet und verwirrt hatte. Und aller Enden in Dorf und Stadt, bei Laien und Klerikern, Gelehrten und Ungelehrten dies Fragen, Fragen nach der silberfarbenen Weise, das Rühmen und Preisen von ihr und dem, der ihr Meister möcht' sein. War's doch, als harre solchen Meisters die ganze Welt, ihm Palmen zu streuen und Halleluja zu singen, als sei dies Harren, Fragen und Suchen ihr dringendstes Geschäft. Und doch wußt' er nur zu gut, keiner hatte sie je vernommen, nur zu gut, daß keiner, keiner sie jemalen erkennen würde, so er sie ihm etwa vorgönnen wollte! Doch er vergunnte sie fortan keiner Mutter Sohne mehr. Sie blieb sein Hort, sein Schatz, den er kargend vergrub, und mit ihm sollt' sie dereinst verklingen und verschwinden aus dieser Welt.

Doch da ihm sein Teuerstes nicht mit den Menschen durft' gemein sein, so vermeinte er gar zu bald, Nichts sei ihm mit jenen gemein, nichts als etwa Essen, Trinken und Schlafen, nichts, davon sich zu reden verlohne. So verzieh er sich Redens ganz, schier als ob er's verlernt hätte, verschloß zu tausend Malen trutziglich den Mund, wo Redens Zeit gewesen, biß sich die Lippen wund, – war doch liebedarbend sein Herz und liebesiech – aber er gedacht bei sich herben Mutes: Wozu erst?

So wußt' und ahnte keiner, was der arme fahrende Geiger, des Gewand immer bettelhafter und zerschlissener ward, was königlichen Gutes er darunter besaß und hehlte. Er war ein Landstreicher, ein Fiedler, ein Geringer vom gehrenden Volke, geringer Gabe froh – was mehr? Und es kam eine Zeit, da Peters Herz so herb und bitter worden, daß ihm Unehr und der Welt Verachtung grimme Lust und Wonne waren: Weh aber dem, der ihm zu böser Stunde den Ärmel streifte: ob's ihn später reute und er sich schalt, nicht besser zu sein denn der gemeine Haufe – kam ihm just ein armer Spötter gelegen, so wußt' er immer noch freudiglich dreinzuschlagen gleichwie ein Streiter des Herrn. Des hatt' er Haders und leidiger Fehde genug. So war ihm allenthalben die Welt Ungnaden voll, und ward's mit Jahren und Monden und Tagen immer mehr, immer mehr!

Bei einem Dorfbader, um den er lange Zeit scheu und mißtrauisch herumgestrichen war wie die Katz um den heißen Brei, der aber ein schnurriger und verdrossener und, nicht eben nach Baderart, wortfauler Kauz und Knurrjack war und ihn so grade recht bedünkte für sein verschämtes Gewerb, bei dem hatte er sich einen Streifen Pflasters erstanden, den in vier Stückchen zerschnitten und auf die drei Kleinode gekleibt. Der zuwidere Kerl hatte recht schadenfroh gegrinst dazu, wie das holde Licht unter seinem häßlichen Pflasterkram elend erlosch, Petern durchschauerte es sein Herz wie ein Mord. Nun sah die edle, geweihte Geige ebenso schäbig und geflickt aus wie ihr Herr, recht wie sie 'nem Bierfiedler geziemte. Ob er wohl der starken Morgenstunde noch gedachte, da er den Sendboten vom Vogelschießen angeherrscht: »Bin ich ein Bierfiedler?« Jawohl, das hatte er eines wolkentrüben Tages begriffen, der Einsame: Besser und würdiger denn diesen Menschen von seinem Besten mitteilen, war's immer noch, ihnen zu einer dörflichen Lustbarkeit einen harmlosen Ländler aufzuspielen, ein schlicht Lied, in das sie einstimmten, oder, wenn sich's schickte, in einem Ratsaal irgendwo zu einem bunten, lustigen Geschlechtertanz mit den Stadtpfeifern und Fiedlern um die Wette einen Reigen herunterzugeigen – warum auch nicht? Das war denn das dürftige Band, das den Wortkargen, Menschen- und Weltverdrossenen allein noch den Menschenbrüdern lose verband – so brauchte er nicht Hungers zu sterben. Man weiß aber, wer so festen Stoffs, daß ihn Verkennung seines Werts nicht zermürbt und zermalmt, dem steift und stärkt der Welt Unehr den Stolz ins Maßlose, mehr denn Beifall und Sieg. Der rechte Stolz nährt sich am Darben üppiger denn am Sattessen!

Kein Wunder denn, daß der Geigenpeter kein allzugern gesehener Gast mehr war mit seiner unergründlichen, halb versonnenen, halb verachtenden Miene, seinen ernsten, traurigen Augen. »Peter, das Bier wird sauer!« schrien die Lustigen zu ihm nauf; der Brautmutter war er ein arges Zeichen zur Hochzeit ihres Töchterleins, und jedem, der in der Früh auf der Dorfstraße ihm zuerst in den Weg rannte, ein übler Angang wie ein alt Weiblein oder ein Hase. Und auch seine Fiedel, Gott weiß, woran's lag, war nicht mehr geheuer! 's hatt sein Bewenden mit der, als wär sie behext. Mocht sie muntere Weisen unter der Dorflinde ertönen lassen, so hatte sie doch so seltsam traurigen Ton, daß nur stille, glückverratene blasse Frauen ihr noch gerne lauschten, und wer eines Hügels auf dem Gottesacker nicht vergessen konnt; gebrochene, wehe Herzen fühlten sich heimisch, wo die seelenvollen, schluchzenden Töne laut wurden, verratene Liebe, verwaister Gram schlichen ihr nach und ließen sich von dieser Traurigkeit streicheln und liebkosen. Die Männer aber hieben die Faust in den Tisch und schrieen: »Der Teufel hol den Geigenpeter mit seiner Begräbnismusik und seiner Leichenbittermiene!«

Doch sollt noch einmal ein Stündlein lang durch den grauen Himmel seines Lebenstages die liebe Sonne scheinen, und das war so gekommen. War er der düstere Rattenfänger der betrübten Seelen, so war ein Mägdlein gar ihm einmal nachgelaufen mit bloßen Füßen, weit hinaus in den Wald, und wie er mittags an einer blumenbunten Waldwiese, wo regunglos der hohe Fingerhut in die wärmeflimmernde Luft ragte und bunte Falter im Sonnenglück gaukelnd sich wiegten, recht nach seinem Herzen verträumte Rast hielt, da war sie, scheu und beherzt zumal, zu ihm getreten. Er schaute sie aus Gras und Blumen wie ein Wunder großäugig an. Sie setzte sich sacht, das grobe Schürzchen über den Knieen straffend, neben ihn in den Schatten der dunklen Tannen, als sei dies nur eben ihr einzig rechter Platz auf der ganzen Welt. Demutlind ging der Ton ihrer Rede. Sie sprach von ihres Lebens Trauer und Trostlosigkeit. Ein Waisenkind war sie, und von je herumgestoßen in der lieblosen Welt, hatte niemand, niemand, der sich in Treuen ihrer annahm. Schweren Frondienst mußte sie leisten, für wenig Lohn und noch weniger Dank, bei einem herrischen und hartherzigen Bauern; die Bäuerin war ihr aufsässig, weil der Alte wie der Sohn ihr nachstiegen – so erging's ihr nun schon, kaum daß sie ein mannbar Dirnlein worden, das dritte Mal, und wieder war sie mit Schimpf und Schanden von Haus und Hof gejagt. Und nirgends Ruhe, Friede und Heimat, nirgends gütiger Zuspruch und ein herzwarmer Blick! Der Burschen kecke Blicke, die kannte und verstund sie leider gar wohl, sie wußte, daß deren keiner es treu und rechtschaffen meine, hielten sie alle für Freiwild – o! – sie weinte in ihre blaue Schürze – »die Menschen sind ja so hart und schlecht!« Nun aber hatte sie die Geige des stillen Musikanten wie eine verwandte, vertraute Schwesterseele nach sich gezogen.

»Denkt nicht schlecht von mir, lieber Gesell, ich muß – muß einmal mit einem Menschen Rede um Rede tauschen! Und Ihr seid gut, das weiß ich; weil Ihr traurig seid, vertrau ich Euch.« Der Geiger senkte das Haupt auf die Brust: ich gut? dacht er bei sich – das hat mir lange keiner gesagt. Ich war es einmal, beim gütigen Gott, ich war es einmal! Ob ich's noch bin? ... Ich glaube, ich habe zu lieben verlernt. – Sie harrte seiner Antwort. Er schwieg. Da sprach die süße Stimme weiter: »Seid auch heimatlos wie ich, gelt? Seht, mir taugt halt nur einer zur Zwiesprach, der vor Harm verstummt ist, wie Ihr. Sie schwatzen so vieles von Euch – was wissen sie? Seid ihnen nicht geheuer. Der Trübe ist dem Lustigen nie geheuer! Glaub's nicht, was sie fabeln und raunen.« – »Sag doch, was reden sie, Mägdelein?« – »Ei, was Ihr doch für eine gütemilde Stimme habt! Ich wußt's wohl, Ihr seid nicht stumm, wie etliche behaupten.« – »Nein, Kind, ganz noch nicht. Was reden sie noch? sag an.« – »Ihr fragt, und 's ist Euch doch gleich, was sie reden, gelt?« – »Im Grunde freilich, du kleine Weisheit, doch da wir just im Plaudern sind ...« – »So hört. Sie sagen, Ihr trüget ungesühnte Schuld, doch ich glaub's nicht.«

Der Geiger war stumm und erwog mit Ernst das schwere, bange Wort – Schuld! Trug er Schuld? Oft war ihm selber so gewesen: kann ein Herz, das an Liebe verarmt, ein schuldlos Herz sein? Doch er hub das Haupt und lachte hart: von solcher Schuld wußten jene nichts, die wogen mit gröberem Maß! »Nein, glaub es nicht, liebes Mägdelein. Sieh, so sind die Menschen: wer sie nicht mag, dieweil sie aller Liebe bar, dem prägen sie aus Rache ihr Schandmal auf und sagen: er ist ein Verstoßener, wie Kain – wo sie doch allzumal Mörder und Schuldige sind.« – »So ist's, guter Geiger, das weiß Gott im Himmel, so ist es!« rief mit glühenden Wangen das Kind und schlug voll die Augen zu ihm auf, griff hastig nach seiner Hand und küßte sie, daß er schämig schier erschrak. Und betroffen und errötend nahm er ihrer jetzo wahr als eines überaus lieblichen und vollerblühten Mädchenbildes, und ward ihm selig erwärmend tief drunten im Gemüte. – »O, wie tut Ihr mir wohl und lind, Geiger,« rief sie, »Ihr gebt meinem eigenen Weh Worte, nun ist mir, es sei schon leichter worden. Ihr seid wohl sehr klug, gelt?«

Peter lachte. Es war fürwahr seines Herzens lichteste Stunde seit langer, langer Zeit. Fern lachte ein Kuckuck, die Grillen geigten, die Tannen dufteten mit den Blumen um die Wette, Mittsommerglück schwieg, ein selig Genügen, über der blühenden Welt. »Wenn du's klug nennst, Liebliche, so man fein wundgeklopft ist,« sprach er und streichelte ihre Wange, die weich und kühl war wie ein Rosenblatt. – »Ei, was Ihr sagt! Alsdann so bin ich ja auch von den Gescheiten!« – »Guck, Mädle, dann passen wir zwei ja trefflich zueinander!« und sie lachten beide wie beglückte Kinder. »Wie heißest du denn, wunderlich liebes Ding?« – »Ach, ich bin bloß das Lenele«, sprach das Kind und ward, weiß kein Mensch, warum, hier zum ersten Male rot, als wär's gar zu beschämend, daß sie Lenele hieß.

»Sagt mal, Herr Geiger,« – wieder schlug sie sehr ernsthaft das helle Auge zu ihm auf, daß in seinem Herzen ein inniglich Lachen aufblühte – »eins müßt Ihr mir künden. Von Eurer Geige sagt man auch ein verwunderlich Ding: weil sie so traurig und herzbeweglich tönt, erzählen sie sich, ein Nix hätt sie Euch geschenkt, der darauf in Mondnächten im dichten Schilfe drin gespielt und manche Menschentochter in die dunkle Tiefe verlockt. Er warb damit um eine ewige Seele und tauchte suchend im Schwarme der Menschen unter. Zuletzt mußt er wieder heim zum Stromalten und er wußte, das werde sein Tod sein. Da stundet Ihr, so sagen die Leute, am Ufer in angstvollem Harren. Er hätt Euch lieb gehabt, drum hätt er Euch, eh denn er sterben ging, seine Geige geschenkt, – samt all seiner ungestillten Sehnsucht und Trauer, die darinnen saß. Ihr aber sahet schaudernd den Born, darein er versunken, dunkelrot sich färben. –« Sie zog die schmalen Schultern zusammen wie in leisem Erschauern.

»Sagt nun, ist das eine Nixengeige?«

Peter schwieg lange. Dann sprach er ernst und träumerisch: »Lenele, und wenn's eine wär? Guck, ich weiß es selber nicht, doch – sie hat ihr eigen Leben!« Er nickte still vor sich hin: »Das hat sie, das hat sie! Wüßt dir schon allerlei von ihr zu erzählen – allerlei – mocht's noch keiner Seele vertraun. Wunderlich, Lenele: dir könnt ich's erzählen! Bei Gott und unserm Heiland, dir macht' ich's erzählen!«

Er war erregt aufgesprungen: »Dir, du lieb, einfältig, wahrhaftig Kind sonder Lauern und Falsch, dir von allen Menschen allein, du süßes, ungetrübtes Gottesgeschöpf! Zum erstenmal! – Und mehr! mehr wollt ich dir offenbaren: ob nicht deine Kindeseinfalt weiser und tiefer denn all der Menschen hoffärtiger Witz und Dünkel – o Lenele! All mein Leid, all meine Qual, alles, was die Menschen mir angetan; wie ich's so treu gemeint, und ein Herz voll guter Liebegedanken in ihre Mitte getragen wie einen Korb roter, frischer Rosen, für jede Hand eine, und wie sie mir's erstarren gemacht, mein warmtreuwillig Herz, in Frost und Gift, in Zorn und Verachtung; wie ich so königlich reich, und so bettelarm dabei, und so einsam, so hundeeinsam – alles, alles wollt' ich dir erzählen, alles dir, mein kleines Lenele!«

Er wußte nicht, wie es geschehen, es war über ihn kommen wie Gottes Sturm, er barg sein Haupt in ihren Schoß und weinte; und, so klein sie war und so einfältigen Sinns, ihre Hand wußt allsogleich, wie eine milde Frauenhand tut an einem weltwunden Haupte; leis strich sie ihm das lockige Haar und gab ihm, daß er fühlte wie einst, da er in jener Gewitternacht so selig ausgeweint unter dem Schuppen gelegen, und es ihm geschehen war wie Mutternähe – und wie in jener höchsten Stunde, da die Unvergessene, die Namenlose sein Gesicht in ihren Busen gedrückt, er ihr gottgütig Herz pochen gehört. Was das kleine, heimatlose Dirnlein für große Liebeskraft barg, welchen reichen Schatz zu beglücken – auch ein geheimes Königsgut, mußt er denken, wie er selber, wie er selber! »Lenele,« sprach er, und konnt nicht anders – »willst du mir gut sein?« – »Ei, ich bin's ja schon lange, so gut – jo gut!« Da lagen sie Brust an Brust und Mund an Munde, und sinnvoll und schön, ewiger Liebe Reigenau, war wieder die Welt.

Alles hat er ihr erzählt, alles.

Im Walde war ihr hochzeitlich Lager, und seine Morgengabe war, daß er ihr die silberfarbene Wolkensaumweise spielte. Und wunderlich, er dachte nicht und fragte nicht: Ob sie's erkennen wird? Und das einfältige Kind, das nichts war, denn ein liebend Weib, es war der erste Mensch, der die heilige Weise erkannte, und – ihn nahm's gar nicht lang wunder! Sie saß, die Hände im Schoße gefaltet, und schaute himmelauf, wie ein Bild des Glaubens, in endlose Räume. Dann fiel sie aufs Angesicht und weinte, und stürzte zuletzt dem geliebten Mann an die Brust und hauchte mit geschlossenen Lidern: »O laß uns sterben so, laß uns sterben!«


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