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I.

Ein paar Tage später waren die Reparaturen beendet.

Das Schiff lichtete seine Anker, donnerte sich leutselig hinaus, an den Küstenbatterien vorüber, und vereinte sich ohne Palaver mit dem Rest des Geschwaders.

Jetzt war es indessen bitterer Ernst, daß man dem dunstumkreisten Eiland Adieu sagte: die Armada zog also ihre sämtlichen Wurzeln aus dem bubbelnden Meeresboden und begab sich auf die Wanderung gen Norden und gen Osten, in Eintracht, Schweigen und Frieden, um weiter vorwärts zu kommen, über den indischen Ozean hinaus und sich dort mit Vater Nebogatoffs eben formierter Division zu vereinen.

Hé!

Die Fahrzeuge spazierten in einem großen, schwarzen Haufen – allen den dunklen Rauch auf den Fersen hinter sich herschleppend wie einen konventionellen Witwenschleier – gemütlich die unermeßlichen Wasser hinauf, wo die Wellen mit gedämpften Plätschern von vorne bis nach achtern reichten: die sacht rollende See, wo sich die Sonne an dem einen Ende jeden Morgen kreideweiß heraufpumpte, und sich an dem anderen zur Abendtide wie ein dampfender Blutpfropf hinabsaugte.

Jawohl, die allen Grames und allen Protestes entleerte Flotte lutschte sich ruhig – Tage, Wochen, anderthalb Monat hindurch – ewiglich dahin von der Morgendämmerung bis zum Abend gen Osten und Norden, um die japanischen Gewässer zu erreichen. Und dort, Messieurs – hatte Roschdjéstwenskij in einem mündlichen Tagesbefehl mit dickem Druck fett proklamiert (woher er nur den Mut nahm, der arme Schlucker): dort, meine Herren, würde wahrscheinlich der große Kampf stattfinden, die Zivilisation gegen die Barbarei, der uralte Westen gegen den schlappen Osten, Rußlands sehr majestätische Kriegsschiffe gegen Herrn Togo-Luchs und seine ganze rotzähnige Meute, haha!

Danke schön: im Japanischen Meere, da sollte die Schlacht von statten gehen.

Möglicherweise.

Vielleicht.

Wie?

Ké!

Aber was schert das an und für sich mich? Man verschone uns doch vorläufig mit weiterem Gefasel! Ich mag wirklich nichts mehr von dieser Sache noch von anderen Schlachten hören! Seien Sie daher, bitte, so aimable, mich nicht in dem angenehmen Schlummer zu stören, in den meine Nerven endlich hineingeplumpst sind – infolge aller der Prügel, die sie in den voraufgegangenen Monaten gekriegt haben!

Tun Sie mir doch den Gefallen, nicht die Oberfläche des Wassers zu trüben, das augenblicklich in meinen Adern wundersüß rieselt – indem mein Blut längst verbraucht ist, Gottlob, den letzten Drip verlor ich gelegentlich Simoffs lachhaften Todes!

Hahaha!

Gute Nacht, ich drehe mich mit einem Ffffurz auf die andere Kante meiner selbst und schnarche gelassen weiter!

Nicht wahr!? ...

Ganz recht; aber dies hier war gerade ein ausgezeichneter Ausdruck der allgemeinen unverwüstlichen Stimmung – oder des Mangels an Stimmung, wenn Sie denn durchaus wollen – der das angenehme, quasi im voraus berechnete Resultat der Meuterei neulich geworden, an Bord von Luschinskijs Schiff wie an Bord der anderen.

Man war ganz einfach über die kindlichen Zeiten und über ihre Unruhe hinausgekommen, weiß Gott, das war man; endlich. Hol' mich der Teufel, liebster Freund, das Leben ist nun einmal kein Tanz auf Rosen – aber ergo auch nicht auf Dornen, merken Sie sich das!

Das Leben, Verehrtester: bleiben Sie mir vom Leibe mit dem Quatsch!

Das Leben, mein Kind: das ist, zum Kuckuck auch, was sehr Gutes!

Das Leben: das ist bloß, daß man es sachte angehen läßt, und sich im übrigen, nicht maulfaul, mit der erforderlichen Menge Süßigkeiten, Stärke, Schampus und Schlummer zu versorgen weiß, n'est ce pas, nix weiter, und lassen Sie uns daher noch einen Blick auf die Eßwaren werfen, bevor wir hinuntergehen und von neuem ein wenig schlummern!

Schlaf süß, Kamerad!

Und träume wie der Engel, dem du gleichst!

Mög' die Nacht dir eine so feine Wonne bescheren, wie des Lebens Tage sie nie für jemand in ihrer Hand gehabt, mein Gott, ja, laß uns alles um uns her vergessen, und sinnlos niedersinken und sterben – wenigstens für einige Stunden! Das heißt: Unsinn, ich denke ja gar nicht daran! Horch doch nur mal her, o meine Taube, und kehre dich nicht an meine geschwinden Metamorphosen, die nur darauf ausgehen, dich ein wenig zu ärgern! Denn meine ehrliche Ansicht über die Situation ist ja, wie schon so oft gesagt, diese douce:

Alles in allem, mein Schatz: sobald man sich nur ein wenig eingelebt hat, ist das Dasein unter Kriegsverhältnissen weder schlechter noch besser als sonst, keine Spur! Oder kannst du mir etwa den Unterschied präzisieren? Jawohl, allerdings, so weit ich mich erinnere, waren da ja einige reichlich explosive Episoden damals rings umher bei Madam- Gaskar – gewisse ziemlich glühende Momente, die schließlich in diesem Handgemenge mit Bleiregen da unten auf der vulkanischen Reede von Diego kulminierten, haha, nicht wahr, Herr Gott, offen gestanden.

Aber aufgeschoben ist aufgehoben, natürlich!

Oder vielmehr: Es war ja im Grunde eben diese ein wenig bittere Vorgeschichte, die uns die Gegenwart um so süßer machte! Hol' mich der Kuckuck, ich versichere dich: nie in meinem armseligen Leben habe ich so mörderlich dicht und viel geschlafen wie jetzt. Und noch weniger habe ich etwas Ähnliches von gewaltigem Appetit gekannt wie meinen augenblicklichen! Ich gestehe dir ohne Bedenken, daß ich mich hin und wieder förmlich geniere, wie wir alle zusammen fressen, haha! Das ist wirklich der einzige Punkt, wo ab und zu ein Körnchen Uneinigkeit zwischen mir und meinen Kameraden entsteht – nämlich, weil ein jeder von uns selbstredend am liebsten die gediegensten Stücke vom Braten wie vom Fisch haben will, kähe, wenn wir an der Tafel zusammen kommen, so sitzt uns die Speiseröhre ganz wie ein Feuerstrang im Busen vor lauter Eßlust, kä! Ach nein, kommen Sie mir ja nicht mit den Widerwärtigkeiten des Krieges! Quatsch und Blödsinn! Ich kenne die ganze Geschichte von Alpha bis Omega! Ich habe Männer blutige Tränen weinen sehen, bei meiner Seelen Seligkeit: veritable rote Blutstropfen, die ihnen direkt aus den Augenwinkeln sickerten, verstehen Sie – und ich habe ebenfalls gehört, wie sie sich das Herz bei Tag und bei Nacht in bleichen Brocken zwischen den Lippen heraus gebrochen haben ... aber was zum Teufel, geht das uns eigentlich an?

Nicht ein Pfürzlein!

Prost, Mahlzeit, lassen Sie uns in der Kühle und Brise des Abends 'n Glimmstengel paffen!

Lassen Sie uns mit hintenübergelegtem Nacken zu dem großen, schwarzblauen Himmel der Tropennacht hinaufstarren! Ihre Sterne kennen wir freilich nicht und werden sie nie lieb gewinnen, aber sehen Sie: dort gleitet der Mond hervor wie ein lautloses Phantom! Ja, wie ein eisblasser Revenant unserer Vergangenheit! Wie ein stummer, unbeweglicher Traum von Weisheit und Heimat – und von Liebeswonne bei der, die wir lieben!

Hahaha!

Id est:

Ich laß mich, weiß Gott, niemals auf dergleichen Sangtimangtalistereien ein!

Ich poche stolz auf meine Männlichkeit, die längst futsch ist – und tröste mich fürderhin mit der inkonsequenten Überzeugung, daß das Schicksal schließlich vermutlich schon im voraus alle Schwierigkeiten für mich geordnet hat: nämlich indem es mich als männliches Wesen hat zur Welt kommen lassen:

Denn das sollte ja doch die eigentliche Nuance zwischen Männern und Frauenzimmern sein: daß wir uns unberührt und alles vergessend nach allen möglichen Schicksalsschlägen und Widerwärtigkeiten aufzurichten vermögen!

Ein Kabeljau also, wer mehr vom Leben verlangt – als daß man lebt und gut lebt, und außerdem von Geburt an mit den sämtlichen besonderen Kennzeichen seines Sexus versehen ist – selbst wenn auch sie unleugbar einen hin und wieder in einzelnen Augenblicken beinahe ebensosehr genieren, wie sie uns im großen und ganzen unterstützen und helfen, keiner weiß weder wie noch warum!

Gute Nacht! ...

Ja, die Tage gingen wirklich so vorzüglich hin, wie man es sich nur wünschen konnte.

Die Schiffe und die Maschinen hatte ja die Mühe einen dahinzutragen; die Köche nahmen sich mit Verve und Zartheit der großen Ernährungsfrage an – des kompliziertesten Problems aller Sozialökonomen; Kleider brauchte man überhaupt gar nicht, in der lauen Luft; der Schlaf wurde vom lieben Gott jede Nacht frisch vom Faß geliefert, und der Indische Ozean endlich ließ es sich, Gottlob, nicht nehmen, für den letzten Teil unserer Erfordernisse zu sorgen – nämlich, indem er sich von der allersanftesten Seite zeigte: am Morgen, Mittag oder Abend, wenn man zufälligerweise einen Blick oder auch zwei über die Wasserfläche sandte, so war da niemals irgendeine Veränderung zu sehen: von weit her kamen die Wellen angestiegen, grün oder blau, mit einem weißen Mützenschirm bis über die Augen, eine nach der anderen, Gutentag, Gutentag, jawohl, wir sehen uns wieder, alter Junge, wir kennen einander gründlich, ich habe gestern eine Billion deiner Brüder begrüßt, vorgestern etcetera! ... Ja, ein wirklich prächtiges, himmelfarbenes Bataillon, das allen Lärm aß, alle Unruhe trank und im übrigen so taktfest wiegend vorwärts marschierte, daß es auf eine bezaubernd melodische Weise einem die Schlummerfähigkeiten erhielt.

Kurz – ein Esel oder ein Schafskopf, wer unter Verhältnissen wie diese hier unzufrieden sein wollte!

Nicht einmal mit dem Tage darauf brauchte man sich zu beschäftigen – einfach aus dem Grunde, weil man ganz genau wußte, daß er nach jeder Richtung hin das Ebenbild des heutigen werden würde, nicht wahr?

Nun ja, und was das anbetrifft, weiter in den Horizont hineinzugucken als bis morgen, und sich auf Spekulationen darüber einzulassen, was sich vielleicht in einem Monat oder auch in zweien zutragen könnte – liebes Schnuckelchen, so bedenke doch: daß wir ja weder Frauenzimmer, Philosophusse, Wetterpropheten oder andere Idioten sind, die sich selbst und ihre Umgebung mit törichten Zukunftsluftschlössern beschweren, wie?

Nein, Schnick Schnack!

Ä-bbbb, Pardon, hab' ich aufgestoßen – ké, ja, ich nenne das nur Dankbarkeit, und die Ursache ist wahrhaftig nichts weiter als die enormen Quantitäten butterreicher Mayonnaise, die Monsieur Favard, unser neuer gastronomischer Konsulent uns zum Diner servierte. Und mit diesen beredten Worten muß ich wohl, das fühle ich, meine Konversation auf eine Viertelstunde oder so abbrechen, sintemal mich mein Magen eindringlich, nachdrücklich und dringend auffordert, mich anderswo hin zu begeben.

Hahaha, auf Wiedersehen, in einem erleichterten Zustand – sagen Sie mir doch einmal, Starck mit'm Loch in der Wange: Gestattet Ihre gewöhnliche Vertieftheit in die Erinnerung Ihnen wohl, sich zu entsinnen, ob da unten Seidenpapier war, oder können Sie mir einen Bausch Ihrer entfetteten Verbandwatte leihen, haha, die ist ff.! ...

Ja, so war es.

Die Tage gingen einem so recht vernünftig und tadellos an der Nase vorüber, darbietend, was sie an Gutem besaßen – und darauf einen bescheidenen Abschied zugunsten des folgenden nehmend.

Die Wochen führten sich nicht minder chevaleresque auf.

Sie zeigten ihre stillen, wenn auch ein wenig länglichen Gesichter jeden Sonntag.

Dieser heilige Tag lud einen selbstredend zu allererst zu ein wenig Religion ein, eine angenehme Veranlassung, nach dem tiefen Schlummer der Nacht auszuruhen, indem man die Augen noch ein ganz klein wenig wärmte – und dann wartete er mit vierzehn Stunden umfangsreichen Bummellebens auf, bei friedlichem und gemeinsamem Schweigen und Gähnen, eventuell einem Spiel Karte oder einigen Patiencen unten in der Messe; nur unterbrochen von ein Paar extra wohlversorgten Mahlzeiten.

Dann wanderte man satt in die Koje, nicht zu spät, entschlummerte mit einem Hicksen – und erwachte herrlich lange nachher, mit Gold im Munde zu des Montags früher Morgendämmerung.

Dieser mit so großem Unrecht übelberüchtigte Tag, bot gleich zu Anfang eine höchst angenehme und langgestreckte Morgenstunde in der Koje oder im Bad – sintemal die Herren Sous-offs ausnahmsweise einmal in den ersten Stunden die Arbeit hatten, mit Gewehr- und Kanonenrevision. Und unter einer Art Fortsetzung dieses sanften Nachtwandlerzustandes, dem ein kopiöses, aus Resten vom vorhergehenden Tage bestehendes Frühstück als Folie diente, wurde es ganz von selber Mittag, Generalsattheit, Kaffee, Liköre, Zigaretten, Sodawasser, Abendbrotzeit, Schnarchen, und darauf Dienstag.

Nun ja, meine Herren, der Dienstag ist ja natürlich nicht schlimmer als irgend ein anderer Tag, wie, warum zum Teufel sollte er das auch wohl sein?

Und folglich tauchte der Mittwoch bald ohne sonderliche Gene über dem unveränderlich rollenden Gesichtskreis auf. Man erwachte mit einem lieblichen Rülpsen, die Gaumen noch ein wenig glatt und geschmackvoll von den gestrigen Speisen – im übrigen aber mit dem schönsten Hunger, der unter der Herzwurzel saß und einen aus Leibeskräften auspumpte. Also klingelte man enorm nach Bobr, dem alten und treuen Augendiener, man überfüllte sich den Magen vorläufig mit Kakes, weichen Eiern, Marmelade und Tee – kleidete sich darauf in Weiß, beständig mit Bobrs Hilfe, schlenderte zu seinem Dienst, traf dort einen Kameraden, schüttelte ihm die Floßfeder, erzählte ihm einige Details und eine gesammelte Übersicht von seiner Abführung, fragte höflich nach der seinen, überließ das Kommando einem Unteroffizier – der es spornstreichs weiter an einen Gemeinen übergehen ließ, unter dem Vorwand, daß ja auch die einmal das Kommandieren lernen müßten ... selber zündete man währenddes einen Papyrus an, schnüffelte den Rauch tüchtig tief in die Lungen hinein, ließ ihn langsam durch den Schnurrbart sickern, und rieb sich dazu die Hände bei dem Gedanken an die frischen Langusten, die Herr Favard, indem er sich unter der weißen Zuckerhutmütze kraute, einem zum Abendbrot versprochen hatte; und so gelangte man – ohne an und für sich weiter etwas davon bemerkt zu haben – zu dem Donnerstag hinüber.

Dann stellte sich der Freitag allmählich ein.

Der erwies sich sofort – ohne jedoch dadurch irgendeine Verwunderung, Enttäuschung oder Groll zu erwecken – als leibhaftiger Bruder der voraufgehenden Tage. Im Laufe der gewöhnlichen Vormittagsübung im Schießen und Exerzieren, bei der man in der Regel nichts tat, dunstete sich der Tag peu à peu zu der abermals ebenso gewöhnlichen Sonnenglut um die Mittagszeit hinauf: ein vorzüglicher Grund zum Ruhen, zu einem Glas Wermut mit Rauch, zu einem Kuchen und ein wenig Obst. Für eine Weile durch eine Siesta in völligem Frieden unterbrochen, schwärte der Tag noch eine Zeitlang weiter. Während einer kurzen – durchaus nicht übertrieben eifrigen Instruktionsstunde der Leute begann er dann, fast unmerklich, abzuflauen; er schmolz sekundenweise hin, zögerte noch einen süßen Übergang, während man mit aller Macht in den vier Gängen des Diners schwelgte mit Dessert, Pomard, altem Madeira und ein wenig D. O. M., ohne daß man sich übrigens mit Konversation beschwerte; er wurde darauf dunkel und violett, vermischte sich mit ein paar Quäntchen Kühle und nebelte sich weiter hin unter dem feuchten Hauch des Sonnenunterganges; sank mit einem Gähnen ins Meer zur arrivierenden Nacht, hinab in den zahnlosen Rachen des Schlummers; hielt schließlich ganz und gar inne mit einem leisen kochenden Laut am Horizont; erwachte hin und wieder halbwegs einen Moment gleich einer stillen, bleichen Mondqualle oben über den Träumen, verschwand zum Schluß gänzlich, mit einem frischeren Hauch von dem leise errötenden Himmelsrand her ... und ohne weiteres Aufsehen war es also Sonnabend geworden, worauf die Woche widerspruchslos sowohl sich selbst als auch uns wiederholte – – – und wenn das eine genügende Anzahl von Malen geschehen war, so war gerade herausgesagt, ein Monat vergangen, und man war in jeder Beziehung bereit, diesen Turnus von neuem zu beginnen ...

Kurz und gut, von dem Augenblick an, wo die Meuterei bei Simoffs Hinrichtung vorüber war – fand ein vollständiger Umschlag in aller Benehmen statt, bei den Offizieren wie bei der Mannschaft.

Man hatte, mit anderen Worten, wirklich vollkommen die – freilich unbewußte, aber doch sehr ausgeprägte – Absicht erreicht, die der gelinde gesprochen wenig ritterlichen Manier, auf die jene Schlägerei ausgekämpft war, zugrunde gelegen hatte.

Die wenigen Minuten, die das Handgemenge gewährt, hatten wirklich jeden letzten Rest von Kraft erschöpft, den man bis dahin noch besessen.

Sie hatten einem absolut jegliche Fähigkeit, Schmerz, Haß oder Verzweiflung zu empfinden ausgekratzt.

Sie hatten völlige Ruhe zu einer unabweisbaren Notwendigkeit gemacht ... und das war ja gerade der instinktive Zweck des ganzen Blutvergießens! –

So war es also zugegangen, daß sowohl Gemeine als Befehlshaber, in den ersten sechs Wochen, nachdem die Armada Madagaskar verlassen, nicht den geringsten Gedanken für irgend etwas anderes gehabt hatte – als für Essen, Trinken und Schlafen und im übrigen sämtliche Nerven, Muskeln und Adern sich so gründlich wie nur möglich erholen zu lassen.

Teils um auch auf dem Gebiete der Sprache, einandergegenüber so recht die Art dieses alles andere als feinen Auflösungszustandes zu markieren und teils (was übrigens möglicherweise der eigentliche Grund hierzu war!): ganz einfach, weil dergleichen Sätze einem nun einmal am geläufigsten momentan, ké, weil sie der einzige disponible Ausdruck waren, den man augenblicklich für seine Überlegenheit besaß: aus diesen zweifelhaften Ursachen also, hatte man indessen, außerdem, meine Seligkeit, auch alle genante Unterhaltungskonvenienz die Augen schließen lassen, in jener Periode! Man hatte rigoros alles geschleift, was Titulatur hieß, übersprang alle gewöhnlichen Gesprächsformalitäten, ließ das Geplauder sich permanent in Hemdärmelmontur bewegen – oder besser noch in Unterhosen, kurz und gut. Und man hatte gewetteifert, wer den Rekord setzen könne in der allerbodenlos-langweiligsten und banalsten Konversation, in den plattesten Wendungen, mit dem flachsten Inhalt!

Haha!

Wir sind doch lauter erwachsene und un-prüde Mannsleute hier an Bord, die sich nicht winden, von der Leber weg zu reden, wie es sich für einen Kriegsmann geziemt, sollt' ich meinen.

Ein Streikbrecher und Hundesohn, wer es versäumt, sein Teil dazu beizutragen – nämlich mittels eines extra fleischfesten und ultra erdgebundenen Wörtervorrats – unsere teuren Seelen vor einem allzu jähen Losreißen von unseren geliebten Körper zu bewahren, und vor einer allzu urplötzlichen Entfernung aus dem gemütlichen Krähwinkel dieses Erdballs!

Was, nobler Gregorow, ach du alte Schutzdecke!?

Oder kennst du etwa ein besseres Präservativ, als das oben angedeutete, um seinen hautlosen Kopf gegen die Blutvergiftungen aus dem Schoße unserer verlotterten Vergangenheit zu schützen!?

Eh?

Hahahah!

Gott segne und bewahre mich! ...

Yes, my dear: man hatte ergo, gelinde gesprochen, vollkommen und rein wie die Lilien auf dem Felde gelebt. Und die langsamen, großen Passatwinde, die verhältnismäßig frisch über das grüne Blau des Meeres wanderten, hatten nach und nach unmerklich unseren Körpern und unserem Gemüt wenigstens einen Bruchteil des erforderlichen Quantums von Salz, Ozon und Stärke zurückgegeben!

Hoffentlich also!

Ké!

   

Im Laufe des März und zu Anfang April war das Geschwader, kurz gesagt, über den Ozean zwischen den beiden Indien hindurchgelangt: die kilometerlangen, schrägen Wasserflächen hatten die Schiffe sacht vorwärts gleiten lassen ohne irgendeine Art äußerer oder innerer Unruhe, geschweige denn Unwetter – näher und näher der Entscheidung, dem Feinde entgegen.

Und der Fond von Energie, den man sich in diesen anderthalb Monaten völliger Ungestörtheit allmählich eventuell zusammengespart hatte – war also insofern bereit, jetzt wieder über Bord geworfen zu werden, nicht wahr? – –

Die Gelegenheit zu dergleichen ließ natürlich nicht auf sich warten, unter Verhältnissen wie diese.

Im Gegenteil.

Nein, ganz richtig: schon am siebenten April, als das Geschwader nach so langer Zeit sanfter Fahrt ganz draußen auf hoher See, zum erstenmal wieder Land riechen konnte – noch dazu von beiden Seiten – und als es obendrein, am Tage darauf, einige echt russische Grüße durch das Sprachrohr mit Herrn Rudanoffskij, dem Konsul in Singapore, austauschte ... da brachen die Malheure augenblicklich von neuem los.

Mit anderen Worten, gleich nachdem die Armada das Kap Diamant passiert und damit die Fahrt durch die gelben Hügel und Täler der Malakkastraße begonnen hatte, wo die Luft hoch war und süß von vielen Tausenden von Düften von Erde und Pflanzen, wo die Brise berauschend dicht gestreift war von würzigen Wohlgerüchen, wo die Horizonte dunkelblau waren wie Veilchen, mit Bergen durchzackt, disig und schwer von dem holdseligen Hauch der Wälder – da ward auf einmal, als das erste Symptom noch eines neuen Zustandes an Bord, eine rasende Sehnsucht nach der Heimat, nach Erde bei einem jeden Mann geboren. Und im selben Augenblick hatten sich die Nerven in einem klagenden Geheul von Willen und Weh angespannt – und man war plötzlich bereit, noch einmal, zum letztenmal, wieder den früheren Kampf zu kämpfen: um seinen Frieden, um sein Haus, um sein Leben! ...

Aber hierzu kam außerdem, fast gleichzeitig damit, noch eine teuflische Sache, hol' mich der Kuckuck.

Die jäh erhitzten Sinne flammten sich noch mehr auf durch folgende herbe Idee – vor der sie auch Ruhe gehabt hatten, während der vorhergehenden Periode, wo man gar keinen Schiffen begegnet war und gar keine Zeitungen gesehen hatte:

Nämlich die Furcht vor dem Feinde – vor ihm, den man in so langer Zeit fast vergessen hatte.

Die Angst, daß das korrekt sein könne, was einige blitzschnell auftauchende Gerüchte erbleichend behaupteten: daß die Nipponeser hier den ganzen Kanal mit einigen eben erfundenen, höchst vulkanartigen Unterseeminen überstickt hätten, ké, der Satan frikassier mich, natürlich haben sie das getan, die gemeinen Schlingel, das Pack: wahrscheinlich werden wir alle wie ein Mann jammernd und zerspalten auf den Meeresgrund gedonnert, ehe wir überhaupt Zeit gehabt haben, ein wenig um uns zu beißen – oder schleunigst mit allen weißen Tüchern Übergabe geweht zu haben, ja wohl, warten Sie nur, bis es dunkel wird, jetzt in ein paar Stunden, dann wird Ihnen schon ein Licht aufgehen: das heißt quer durch Sie hindurch, meine ich ganz einfach! Hol' mich der Teufel, wie beliebt, o Jesus, mein Gott, beginnen denn die zitternden Tage und Nächte von neuem?

Und unter dem Druck dieses bleischweren Bewußtseins hielt man es, was ganz erklärlich war, für klug, nicht zu einlassend in seinem Benehmen dem Konsul gegenüber zu sein, der Post, Zeitungen und Depeschen abliefern sollte – oder auf alle Fälle gestattete man weder seinem Dampfer noch denen der Reuterkorrespondenten, dem Geschwader zu nahe zu kommen: denn, wer konnte wissen, ob nicht diese beiden Schuten, mit Maschinen, Mannschaften usw., entweder ohne oder mit Wissen des Schiffers, sich zu der Henkertat dieser allgegenwärtigen, offenhändigen, fausttüchtigen und morallosen Inselbewohner hatten dingen lassen, wie, das fehlte auch noch gerade, bitte schön, Herr Rudanoffskij, klettern Sie in eine Heckjolle hinunter und kommen Sie bescheiden langschiff an einen Destroyer heran, allein mit vier Rudergästen – so daß wir wenigstens übersehen können, wer außer Ihnen selbst im Boot ist! –

Unter diesen Auspizien, als sowohl die Sehnsucht nach dem Lande als auch das phantastische Entsetzen vor dem Feinde wieder in ihnen allen aufgelodert war, brüllender denn je zuvor – da half es natürlich nicht im geringsten, daß es sich bald darauf betreffs der erwarteten Seeminen herausstellte: daß der liebe Gott diesmal doch seine Hand unter einem gehalten hatte – sintemal man am Morgen des dritten Tages in schönstem Wohlsein, ohne Spur von äußerer Zerklüftetheit aus der Malakkafalle entschlüpfte. Nein, die Stimmung besserte sich keineswegs infolge hiervon: denn inwendig war man ja noch immer, vom Scheitel bis zur Sohle, glatt gespalten, zwischen Jammer und Haß: denn jetzt steuerte man ja nordwärts, durch das südchinesische Meer hinauf, hinein in den Vorhof des Platzes, wo gekämpft werden sollte.

Und diese Aussicht war selbstverständlich nicht dazu geeignet, die naßkalte Finsternis zu verscheuchen, mit der alle diese eben erwähnten Ereignisse und Gedanken einem die Inwendigkeiten geschwärzt hatten.

Im Gegenteil war es, als würden einem erst jetzt Augen, Ohren und andere Eingeweide allen Ernstes geöffnet für die Bodenlosigkeit all dieses nachtschwarzen Elends!

Ja, Gottes ewiger Schmerz und Tod, man scheuerte sich wild die lange geschlossenen Lider und sah –:

Kéhe!

Ihr Schurken und Mörder daheim!

Laßt mich nur einmal wieder nach Rußland zurückkehren, da will ich es euch allen mit Zinsen heimzahlen, bei meiner Seelen Seligkeit!

Hol' mich der Teufel, eine wunderliche Armada, mit der ihr uns ausgesendet habt, um den Japs zu begegnen!

Mit Kohlen- und Transportschiffen, die als Hindernis jeglicher Kampfbereitschaft dicht auf den Fersen hinter uns hertrotteln. Jedes einzelne Fahrzeug an der Wasserlinie malerisch umkränzt von einer allerliebsten, ellenschweren Girlande aus Gras – zu fernerer Hemmung von Fahrt wie Bewegungsfreiheit, als unabschüttelbare Erinnerung an den gar zu üppigen Aufenthalt da unten in Madagaskars tropischen Zonen aus Grimmigkeit und Tod – ja, wahrhaftig eine herrliche) Aussicht, das Ganze, nicht wahr? Herrn Togo trotzen zu sollen, wenn man eine so durch und durch eingeschweinigelte Flotte hat, wie diese – und eine wahnwitzige Mannschaft, deren Gemüter, unter der voraufgegangenen verdammten Ruheperiode obendrein noch hundertmal empfindlicher für alles kommende Böse geworden waren:

Ich danke, yes, auf eine so pittoreske und stimmungsreiche Weise tappte man sich, mörderlich keck, wie beliebt, kähä, kriech mir den Buckel runter – pfui, ja, so tastete man sich, schäumend und blind, eine pechschwarze Finsternis ums Herz, in die unabwendlich letzte Abteilung der Fahrt hinein!

Jetzt kam ja nämlich die Passage durch die Gewässer selbst, in denen man Togo hinter dem Kamm jeder einzelnen Welle erwarten konnte. Wo Togos Fratze jeden Morgen strahlend und spähend über dem Rande des Horizonts aufstieg, und einem in einem Nu das ganze bebende Innere durchschaute – und sein blutiges Antlitz sich jeden Abend dunkelrot, lauernd, alles Licht verzehrend, hinter der Stockfinsternis des Gesichtskreises verkroch.

Die Gewässer, in denen die nächtlichen Winde zischelnd Togos Namen in die Ohren des Rudergastes, in des Schlummernden jammernde Träume hineinstammelten.

Wo Togos Geist die Kluft zwischen Himmel und Erde versperrte:

Still!

Ach Gott! ist es des eigenen Herzens Jammer, den ich auf einmal höre?

Oder pocht wohl das deine so laut, mein Freund? Ist es des Schiffes Eisen und Stahl, das unter dem Griff der Maschine klagend erstöhnt? Oder ist es denn wahr, was der Nachtwind in einem Schaudern flüstert: Daß die Horizonte ihren ungeheuren Schlund geöffnet haben, und summend sie ihren gewaltigen Ruf in den Raum hinein singen:

Togo!

Schiffeverzehrer!!

Männerzermalmer!!!

   

Hiermit war also die neue, die abschließende Epoche ganz und gar geschaffen.

Der letzte und hundertfach schlimmste Teil des Zuges!

Das tertiäre Stadium, offen gestanden!

Wo nämlich ein jeder nach einem bisher ganz ungeahnt qualvollen Maßstab den ganzen gesammelten Schwall der alten Krankheiten wiedererlebte – die ihn ehemals nur einzeln und mit einem monatelangen sanften Ansteigen gepackt hatten!

Freilich, aber jetzt wurde, bei Gott, jeder einzelne Tag eine solche konzentrierte Wiederholung dieser sämtlichen Seuchen und Wunden – die schon das vorige Mal, wo sie doch nur eine nach der anderen aufgetreten waren, dennoch vermocht hatten, die Herren allesamt anzustecken, zu enervieren und zu skelettieren.

Christus, mein Jesus, ja: jetzt – nach der stumpfen Schlaffheit während der Fahrt über den Indischen Ozean, die man naiverweise für eine Rekonvaleszenz gehalten hatte, die sich aber in diesen Tagen roh und brutal als bloße unglückverheißende Stille vor dem Sturm, als eine funkelnagelneue und tödliche Inkubationsperiode entschleierte –: jetzt war ihr Leben, bei Gott, gleich von Sonnenaufgang an bis zum Abend und dann die ganze pechrabenschwarze Nacht hindurch, ein einziges verbrühendes Hagelschauer aus gommösen Schwülsten und Schwären.

Ach Himmel, es waren die Reste der bleichen Substanzen selbst, tief drinnen in ihrem Mark, die zerplatzten, verwesten und krepierten vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung, wieder und wieder!

Hören Sie mal:

Am Morgen, wenn man mit einem Ruck, mit einem Schrei erwachte – klatschnaß und hautlos von Schweiß, mit schmerzenden Gelenken, der Hals zugeschnürt und stramm, die Augen trocken und rollend – so war einem der Busen jämmerlich zerbissen von denselben mehr als syphilitischen Mikroben der Rache und des Hasses, des bitteren Verschweigens wie in den Wochen nach den Doggerbanks.

Im Laufe des Vormittags sonnenbrandige Stunden, bei der Begegnung mit der schweinehaften Pest der Mannschaft aus Roheit, Murren und offenem Trotz – da fraßen sich die Lupusbazillen, aus dem grenzenlosen Monat roter und verzehrender Bosheit während der Fahrt über den Atlantischen Ozean, schleimige Wege durch ihre Leiber und Seelen.

Bei Tische, wo ihre heißen Kehlen nicht imstande waren, das Essen hinunterzuschlucken, saßen sie, auf den Stühlen hüpfend da und lauerten gleißnerisch auf ihre gegenseitigen schweifenden Worte und Gebärden – mit nackten Zähnen, zitternd vor Krämpfen, das Mark durchstochen von eiskalten, kriechenden Bakterien: ohne Kräfte, alle Mann, gleichsam schwippvoll von Krebs. Sie schlichen sich mit stachelstrotzenden Redensarten umeinander herum. Sie versuchten wieder und immer wieder, den Kameraden einen gifttreibenden Stich gründlich in den Nacken oder den Rücken zu jagen. Sie wichen grinsend und erbleichend zurück, mit Geschrei und Balzen, wenn sie sich bei diesem Treiben ertappt sahen ... ganz wie in der wahnsinnigen Periode der Ruhr und der Dysenterie, während des Zusammenschlusses der ehemaligen Bogduroffs und Praxine.

Und in den Nächten war da die flennende Einsamkeit der letzten Madagaskarzeit in der gluterfüllten, blauschimmernden Finsternis; ihre versengenden Träume von Brutalität und Furcht, ihre alles auflösende Schlaflosigkeit, ihre Schauer von Sehnsucht und Gewalttätigkeit, von Weh und Totschlag, von Sterben und Geschrei – ihre zischelnden Delirien von Mord und Weinen: das alles füllte die unendlichen Stunden in dem röchelnden Rachen der Nacht.

Haha, ja, jede einzelne Qual, gegen die sich vergeblich zu wehren, durch die sich nutzlos hindurchzukämpfen, sie das letzte Mal Wochen oder Monate gebraucht hatten – die hagelte jetzt, ein todbringendes Unwetter von Ansteckung, Sekunde für Sekunde, über ihre bebenden Gehirne herab.

Beim dreieinigen Gott: jetzt war es so weit gekommen, daß sie nicht einen einzigen Augenblick mehr in Frieden waren:

Die Adern bäumten sich gegen das eigene Herz auf wie Stacheln, und das Blut brannte in den Wunden mit rauchendem Eiter. Die Kameraden warfen um sich mit Hohn, Gift und Schlägen, wo sie nur dazu kommen konnten. Die Mannschaft schlich schielend umher, mit Hinterhalt und Überfällen. Das Meer gähnte mit einem Brüllen, die Reihe der eisweißen Zähne entblößend. Der Horizont war donnernd voll von Togo ...: Feinde überall, und nicht ein einziger Freund! O Christus, o Gott: Feinde auf allen Seiten, innere und äußere – und nicht ein einziger, nicht ein einziger Freund oder Genosse! ...

Um ihren Untergebenen noch eine kleine, alerte Basis zu Krankheit und Tod zu schenken, hatten auch die Kommandanten zu diesem Zeitpunkt – in der Mitte des Aprilmonats also – allen Zusammenhang im Auftreten, alle Konsequenz vollständig über Bord geworfen: gleich allgegenwärtigen Ansteckungsträgern schlichen sie wild umher, an aller Nerven rüttelnd:

»Zum Satan auch, wie stehen Sie da und trödeln!« fauchten sie jeden Morgen ihre Befehlshaber an – »nennen Sie den Dreck da Übung abhalten?

Der Teufel frikassiere mich, Leutnant, wünschen Sie etwa auf der Stelle ins Loch zu kommen?

Bringen Sie den Leuten was bei!

Geben Sie sich Mühe!

Wie oft soll ich es Ihnen denn sagen! Bei meiner Seelen Seligkeit, da sind Momente, in denen ich mich wundere, daß Sie nicht längst Ihren Abschied eingereicht haben, ein so schlapper Offizier, wie Sie sind! Ich rate Ihnen, hol' mich der Deubel, sich ganz anders zu bemühen, verstanden?

Wie?

Nicht wahr?

Hahaha! Sehen Sie einmal! Wenn Sie sich nur entschließen können, Ihre doch dazu eingerichteten Gliedmaßen ein klein wenig zu rühren, so ist uns der Sieg gewiß! Seine Exzellenz der Großadmiral Z. P. Roschdjéstwenskij – Gott erhalte ihn – hat das wieder und wieder in seinem letzten Tagesbefehl betont!

Begriffen!?

Eh bien, alter Freund!

Ich bin gewöhnt, alles von meinen Leuten zu fordern – das wissen Sie recht gut!

Und wenn Sie es nicht mehr wissen sollten, hol' mich der Kuckuck, dann können Sie Gift drauf nehmen, daß ich es nicht dran fehlen lassen werde, Sie genügend daran zu erinnern! Ich habe, verdammt und verflucht, nie etwas Ähnliches von Trödelei gesehen, wie hier!

Abtreten!«

Aber schon um die Frühstückszeit grinsten sie dahingegen über das Ganze – ebenso plötzlich wie vorhin, ebenso wohl motiviert und mit einem genau ebenso lauernden Aufblitzen im Auge:

»Herr Gottchen im hohen Himmelsthrone, Sie liebe Einfalt,« sagten sie, wenn sie lautlos herzukamen und einen bei den Übungen inspizierten, während man dastand und alle seine neuerdings erworbenen Kräfte gebrauchte, und sein allerbestes tat, um die Matrosen zu schikanieren – freilich mehr von rein instinktiven Neigungen, als von Gehorsam gegen die voraufgegangenen Befehle geleitet. Sie patschten einen ansteckend auf die Schultern mit ihren Fingern, die durch die Kleider brannten; sie behielten die Zigarette im Mundwinkel und sprachen, den Kopf auf die Seite gelegt, den Rücken gekrümmt von Hinterlist, die Augen langsam, schräge hervorsteckend:

»Nitschewo, Unsinn, liebster Freund, nur immer sachte voran, wie mögen Sie nur sich so blödsinnig anstrengen?

Es ist ja doch alles Wurscht!

Was zum Kuckuck soll es auch nützen, sich so anzustellen – denken Sie ans Avancement, mein Herzenskamerad, wie, Sie spekulieren am Ende so bei kleinem darauf, meinen Platz hier auf dem Schuner einzunehmen, wenn ich zufällig so täppisch sein sollte, über Bord zu fallen in einer so recht kohlschwarzen Nacht, wie, haha, Gott befohlen, bitte schön, tun Sie, was Sie wollen, ich bin, Luzifer pfeif mir was, der letzte, der Sie beneidet!

Hahahaha!

Blödsinn!

Ich will Ihnen gerade heraus sagen, daß selbst der alte Rosch, das Untier, auf dem Sp-Sp-Sprunge ist, allen Humbug und alle Verantwortung von sich abzuwälzen! ich hab' das, den Teufel noch mal zu, ganz deutlich zwischen den schiefen Zeilen in seinem letzten, biesterigen Tagesbefehl gelesen! Wir finden hier nie und nimmer hinaus – höchstens um direkt auf die Hölle zuzusteuern!

Kommen Sie her, Sie alter Struggler – Herr du meines Lebens, mein lieber Kollege, lassen Sie die Unteroffiziere sich mit all dem Kram abplacken, Sie bringen den Leuten doch nie im Leben was bei, wie, haha!

Kommen Sie mit mir runter und erweisen Sie mir die Ehre, einen privaten Becher mit mir zu genehmigen, Leutnant – Ihre Kameraden sitzen schon bei festlichem Gelage da unten und grienen sich, weiß Gott, halb zu Tode bei dem Gedanken, daß Sie der einzige sind, der so schafsdämelig ist, hier oben zu stehen und den Dienstliederlichen zu spielen!

Kähä!

Bitte, diesen Weg!

Na, dann kommen Sie nur, Sie Schäfchen!«

Und dann ließ man, mit anderen Worten, Übungen Übungen sein, setzte sich unten in die Messe, wo sich bald ein paar Dutzend andere dazugesellten, und fing an, unter Gewäsch zu pokulieren – inwendig triefend von zähen Tränen, die aus hundert entzündeten Geschwülsten sickerten, trotz allen äußeren Greinens.

Man johlte heiser, stieß einander im Scherz mit harten Knöcheln zwischen die Rippen, schenkte freigebig die Gläser der Nachbarn voll – gab aber gleichzeitig acht, selbst nicht soviel zu bekommen, daß man vergaß hin und wieder die nötigen Tropfen vorbeugender Medizin in seine scheinbar so frischen Äußerungen zu träufeln.

Aber schon nach Verlauf einer halben Stunde war man doch nicht mehr imstande, diesen kostbaren Schein von Gesundheit aufrecht zu halten: aus irgendeinem unbedeutenden, erkältenden Grund brannte sich das Fieber jäh durch. Alle die geheimen Seuchen loderten einem plötzlich gelb und rot aus Augen und Mund, schwälten auf einmal den anderen gerade ins Gesicht. Und dann raste man plötzlich in die Höhe mit seinem ganzen, schäumenden Delirium von Qual, drückte seine fressenden Geschwüre einander in die treibenden Wunden aus. Spritzte ein blutiges Brechen von schleimigen Worten voller Schabernack und Bosheit von sich.

Und schließlich stürzte man – geifernd, eine Menge Brandwunden in dem weißen Antlitz auflohend – sich räuspernd zur Kajüte hinaus. Man knallte die Tür mit einem Getöse hinter sich zu, schwankte polternd die Treppe hinauf, blieb dann jäh stehen, stieg geräuschlos wieder hinab mit einem stumm bubbelnden Kichern, legte sein kochendes Ohr an die Rippen der Türfüllung – so vorsichtig, als sei es ein knochenmagerer Busen, der auskultiert werden sollte – erreichte aber nichts weiter, als daß einem das eigene Herz in einem Nu röchelnd brustkrank wurde: denn die Kameraden da drinnen hatten ja augenblicklich diese Stethoskopierung erraten und senkten daher ihre Stimmen, so daß jegliche Lauerei vergeblich ward. Also blieb einem nichts weiter zu tun übrig – um sie doch ein klein wenig zu ärgern – als die Tür von neuem aufzureißen, ein paar Schritte in den Raum hineinzuwanken, tuberkulös grienend, die Zähne nach allen Seiten; zu tun, als habe man da drinnen irgend etwas vergessen und eine Minute oder auch zwei das schwärende Schweigen zu genießen, das man durch sein Erscheinen erzeugt hatte – gleichzeitig aber verbrannte man selber vollständig vor flammendem und hoffnungslosem Durst, gerade die Bemerkungen zu hören, die die anderen jetzt verschwiegen ... und dann wälzte man, vollkommen im Todeskrampf, kopfüber wieder zu den Übungen hinaus.

Da war allerdings reichere Gelegenheit, seine eben entwickelten Stabbazillen gründlich zu verwenden.

Und ergo prügelte man die Leute damit erstaunlich durch, die Kreuz und die Quer – vom Rücken bis hinab zur Sohle.

Das ganze Innere trieb die lieblichsten Dornen – bezüglich der Auffrischung aller ehemaligen, bluttriefenden Auspeitschungen, und der Erfindung neuer, herber Varianten.

All den Eiter und das Toxin, mit dem einem der bebende Sinn kürzlich so total infiziert worden war, ließ man in einer noch größeren Dosis auf die Unteroffiziere und Gemeinen weitergehen – so daß ihr Atem nach und nach zu Gift, ihr Blut zu Pestilenz, ihre Blicke zu Epidemie wurden.

Ja, beim lebendigen Gott, man kochte das Schiff und die Besatzung in Eiter ein – bis seine Wände, der Fußboden und die Decke von Miasmen grün leuchteten, bis jede Seele an Bord ganz und gar zu einer einzigen ungeheuren Bakterie geworden, bis das Ganze schließlich zu einem stinkenden Treibhaus des Todes, zu einem hellblau schimmernden Palast der Mikroben ward! ...

Wenn man dann wieder mit den Kameraden zusammentraf, einige Stunden später, beim Diner – war man inzwischen allmählich ein wenig ruhiger geworden.

Erstens ganz einfach aus dem Grunde, weil man sich jetzt endlich in dem Maße mit sämtlichen ansteckungsgefährlichen Umgebungen assimiliert hatte, daß sie einen nicht mehr so arg affizierten – aber die noch tiefere Ursache zu der verhältnismäßigen Anständigkeit nach Tische war folgende: daß da ja nämlich eine ganz bestimmte Sache war, die baldmöglichst arrangiert werden sollte und mußte: nämlich die über Leben und Tod entscheidende Frage: was man, wenn der Feind kam, würde tun können, um sein privates Fell zu bergen.

Dies wichtige Problem – das sie ununterbrochen alle beschäftigte, ohne daß sie sich übrigens selbst so recht klar darüber waren – war also das, was bewirkte, daß sie bei Tische doch einen winzig kleinen Rest von Friedfertigkeit bei ihren Krakehlereien untereinander bewahren konnten. Das zwang sie, wieder und wieder – zugleich mit den mehr speziell adressierten Schweinereien, die sie einander unaufhörlich servierten – auch zu versuchen, sich über irgendeinen eventuellen Plan zu gemeinsamer Rettung zu einigen.

Aber das unsagbar schwierige bei der Sache war: teils, daß es ja, sowohl militärisch als auch menschlich und rein persönlich, absolut unmöglich war, gerade heraus über so etwas zu sprechen; teils daß sich niemand von ihnen, trotz allem, enthalten konnte, bald seine Nachbarn wütend zu reizen, teils selbst vor Heftigkeit und Bosheit zu platzen – und endlich, aber nicht zum mindesten: daß jeder einzelne gerade über die besagte Angelegenheit am allerliebsten baumstill geschwiegen hätte. Alle wollten sie sich am liebsten darauf beschränken, den anderen nur zuzuhören; sie in einem fort zu ärgern, indem man sich den Schein gab, als verstünde man ihre verborgenen Vorschläge nicht; sie auf diese Weise nach und nach zu verlocken, immer deutlicher in ihren Äußerungen zu werden – um dann plötzlich laut und unverblümt mit Hohn und Groll über sie herzustürzen: die moralisch Beleidigten zu spielen, vorzugeben, daß man nie im Leben in etwas Derartiges einwilligen würde, nicht für Hunderte von Millionen, hol' mich der Kuckuck! ... Aber außer dem allen mußten sie ja gleichzeitig alle zusammen in diesen sämtlichen Antworten und Angriffen unablässig acht darauf geben, daß sie selbst auch nicht zu weit gingen: weder im Verständnis, denn das konnte leicht eine arge Achillesferse werden – und ebensowenig in dem Mangel an Begreifen, denn dadurch riskierte man ja: entweder daß die anderen völlig den Mut verloren, mit ihren geheimen Plänen zum Vorschein zu kommen, oder daß sie ganz im Gegenteil so überaus offen in ihren Worten wurden, daß es kriminell werden konnte, ihnen auch nur zu lauschen!

Jawohl, so niederträchtig viele Rücksichten waren da zu nehmen.

Und auf diese Weise ging es zu, daß man Abend für Abend, während der Fahrt durch die chinesischen Gewässer, stundenlang zurzeit dasaß – und einerseits waren sie sich alle vollständig klar darüber, was getan werden mußte, wenn Togo vor ihren Zehen stand und losschlagen wollte ... nie aber kam man so weit, daß man sich über das wie einigte: Messieurs, kähä, Prost, meine Herren: lassen Sie uns dies Glas auf das Wohlergehen und den Sieg der Armada leeren! Wir vertrauen blind, kä, nein, was sage ich: wir vertrauen mit weitgeöffneten Augen auf Mister Gregorows unübertreffliche Fähigkeiten, auf sein geniales Kriegertalent! Ja! (Zum Kuckuck, Starck: wollen Sie nicht darauf anstoßen? Findet dieser Toast keinen Wiederklang bei Ihnen? Denken Sie noch immer an Ihre schofilistische Freundin in Diego, haha!?) Zugleich einen Becher auf alle meine lieben Kameraden – also auch auf Sie, trotz allem, Struin, mit dem Beinamen Negerfresser, Sie versoffener Kannibale, nicht wahr: Ihre Zähne sind, deucht mich, noch ein wenig rot! Sie dürsten wohl sehr danach, sich einen Bombenrausch in Menschenblut anzutrinken, haha, warten Sie nur, die Reihe kommt auch schon an Sie, während der Schlacht werden Sie Gelegenheit haben, sich gehörig vollzusaufen – nämlich aus Ihren eigenen, süßen Herzgefäßen, wenn die kaputgeschossen werden! Hahaha! ... Ja, hört jetzt einmal zu, lieben Freunde: vereinigen wir uns zu einem Glas auf die noch immer existierenden Kameraden, wie auch auf die Krepierten! Kä! Auf die Gesundheit aller unserer heimgegangenen Genossen trinken wir!

Nicht wahr? Du lieber Gott, dies erinnert mich so lebhaft an den verstorbenen Simoff! Wissen Sie wohl noch, daß er sich unerschütterlich einbildete, dieser Zug sei nur eine Demonstration! Die Flotte würde zweifelsohne Order bekommen, heimzukehren, ehe der Feind sich blicken ließ! Ja, ich garantiere Ihnen, Gentlemen: wenn Simoff noch gelebt hätte, so würde es seine feige Kaltblütigkeit nicht im geringsten gestört haben, daß es jetzt zu spät ist, kehrtzumachen! Ach nein! Im Gegenteil! Er würde sofort einen neuen Plan ersonnen haben, nicht wahr, um sein teures Leben zu retten, der Lump! Sicher! Er würde uns allen längst vorgeschlagen haben, daß wir die Sache nur ruhig ansehen, nur rein passiv warten, nur den Schein aufrecht halten sollten – bis zu dem Moment selbst, wo Togo zu donnern begann! Und dann wollte er ganz einfach, in einem Nu, einem der Gemeinen eine schwindelnde Summe bezahlen, damit der ein schneeweißes Laken als Parlamentärflagge hißte, ganz unbemerkt – und uns damit ohne weiteres Federlesen übergab! Wie, nicht wahr? Selbst hat er mir – kurz vor seiner verdammten Flucht – erzählt, daß es seine Absicht sei, das zu tun! Er meinte, wenn die Friedensfahne nur erst einmal am Mast in die Höhe gegangen sei, würde die Mannschaft von selbst verhindern, daß sie wieder heruntergeholt würde! Das schlaue Beast, die Idee war teuflisch gut, ich will nichts Schlechtes von ihm sagen, aber ein erbärmlicher und meineidiger Offizier ist er sein Lebenlang gewesen, er starb nicht ohne Grund!

Und der verrückte Lwow, na ja.

Vielleicht war es nichts weiter als ein Anfall seiner »Verrücktheit«, wie beliebt, kiss – aber auf alle Fälle weiß ich, Verehrtester, daß sich Lwow vorgenommen hatte, mitten während der Schlacht, sans phrase, unserem angebeteten und unbeugsamen Gregorow eine Pistole an die Stirn zu setzen (was sagen Sie dazu, mein Kommandant, Sie, der Sie Timon so innig liebten, kä: ist das Ihr angeborener Geschmack in bezug auf Freunde, Pardon, verzeihen Sie meinen Scherz!) – und so wollte Lwow den Chef selber zwingen, Halloh-wer-ist-da zu den Japanern hinüber zu rufen, und sich ihnen dadurch mit Mann und Maus und Munterkeit ohne einen Schwerthieb auszuliefern! Ja, der arme Kerl, er glaubte nun ganz fest daran, daß es ihm gelingen würde, Maxim Mikailowitsch hinreichend dadurch einzuschüchtern, welch vermessener Gedanke, hahaha, und auf die Weise würde er ja zweifelsohne auch die Sache gedeichselt haben, zum Henker auch, ein Dummkopf war er an und für sich nicht, das wahnsinnige Tier: sobald es sich um sein eigenes Wohlergehen handelte!

Bewahre!

Oder der gelehrte Gowitz, der neulich so munter auf der Arena starb, der würde, weiß Gott – wenn er in diesem Augenblick zugegen gewesen wäre – so würde er wahrhaftig gleich seine kluge Brille auf seiner weisen Nase zurechtgerückt und spornstreichs fünfzig Beispiele aus der gesammelten Kriegsgeschichte zitiert haben, um uns die sehr korrekte Tatsache zu demonstrieren: daß eine Übergabe im rechten Moment stets viel mehr wert ist als eine Niederlage! So wahr ich Bjelostskij heiße, fühle ich mich überzeugt, daß Gowitz blitzschnell das lehrreiche Ereignis aus der Schlacht bei Mukden im vorvorigen Monat ausgenützt haben würde, von dem uns die Zeitungen aus Singapore die heitere Meldung brachten: wie einer unserer bekanntesten Landgenerale alldort, mitten während des Kampfes, plötzlich und fein überlegt, sich selbst und seine unersetzliche Haut aus dem Schwefelpfuhl herauszog, sein Schlachtschwert ablegte und mit der sibirischen Linie Eins plus Umsteigebillett Moskau nach Sankt Petersburg ausriß: Alles unter dem Vorwand, nach Hause reisen und dem Zaren sagen zu wollen, daß er mit Kuropatkin nicht auskommen könne, haha, kiss, so ein geriebener Bursche, dieser General, der Teufel frikassier mich, Lwow wie auch Simoff und Gowitz würden sich zweifelsohne ein jeder auf seine Fasson ebenso klug aufgeführt haben, meiner Treu!

A propos: wem sein Plan von den dreien war wohl der beste? Haha: welchen davon schlagen die verehrten Anwesenden vor, mit allgemeiner Zustimmung zu gebrauchen, wenn jetzt Togo bald auf der Schaufläche als alleinherrschender Instrukteur daherstolziert? ... hahaha, eine muntere und genau charakterisierende Preisaufgabe für die Herren hier!

Ach Gott ja – hätt' ich beinah gesagt!

Wie?!

Äußerten Sie etwas, Luschinskij, eh?

Sie öffneten auf alle Fälle, wie es mir fast schien, Ihr betörendes Maulwerk ein wenig unter dem martialischen roten Schnurrbart: ké, ich wette drauf, daß Sie trotz Ihrer berühmten Sanftheit doch zu allererst Lwows brutalem Kapitulationsplan ihre Stimme geben werden, sintemal er ja Ihr vertrauter Kamerad in seiner Verrücktheit war, wie? ... und hören Sie, mein Herr, erzählen Sie mir, da wir ja einmal von Timon Wladimirowitsch reden: er vertraute mir einmal in seiner Dunität an, Sie hätten eine so liebreizende Dirne daheim: eine Varietéprimadonna glaub ich, weiß Gott. Nennt sie sich nicht Eudoxe la belle? Sagen Sie mir doch: mit wem glauben Sie, daß sie sich augenblicklich vorzugsweise herumwälzt, während sie Ihnen gleichzeitig lange Briefe schreibt, mit einer Feder, die in das reichste und weichste Tintenfaß der Welt getaucht ist, haha! Sind Sie sich klar darüber, daß, wenn wir zum Kampf kommen, Sie sie nie im Leben wiedersehen werden – und freuen Sie sich nur darüber! ... Halten Sie Ihre Arme ruhig, Struin, und wimmern Sie nicht so laut, Sie stören mich, verdammt noch mal, ja, in meiner Volubilität! Es ist dies, hol' mich der Teufel, das dritte- oder viertemal im Laufe der letzten Tage, daß ich gestuzt habe, als ich bemerkte, daß Sie augenscheinlich über irgendeinen Speech maikäfern, haben Sie endlich einmal die Absicht, den Mund zu etwas anderem aufzumachen, als um Niggerfrikassee zu fressen! Haha! Macht Sie also wirklich der Gedanke, daß Sie nie mehr dergleichen Delikatessen zwischen Ihre räudigen Tigerzähne bekommen werden, so beredt!? Sind Sie vielleicht Sinnes, uns heute abend oder morgen mit einem größeren Abschiedscarmen über Ihr geliebtes Kongoreich zu regalieren – ist es das, was Sie unaufhörlich memorieren? Es sind übrigens, das kann ich Sie versichern, die blutigsten Berichte über Ihr kriegerisches Treiben da unten im Schwange, erzählen Sie mir doch: wieviel verdient ein Henker dort zulande für jeden Wollkopf, den er abpflückt, haha, dieser arme Struin: nie mehr werden diese seine edlen Leidenschaften befriedigt werden können! ... Oder nun Sie, schlanker Praxin, hören Sie mal, sagen Sie mir doch: haben Sie etwa Belladonna in den Augen oder woher, zum Kuckuck auch, strahlen Ihre Blicke sonst immer und ewig, wenn Sie mutterseelenallein dasitzen und sabbeln und Ihre unendlichen Gebete zum Himmel empormurmeln!? Ich hörte einmal eine allerliebste und rührende Geschichte von Ihnen und einem wunderbar wohlgebildeten Kellner, Sie sind offenbar ein Gourmand, wie beliebt, ein Leckermaul, kähä, was sagen Sie dazu?! ... Ja, ja, ich sehe es ganz deutlich: wie viel würden die Herren mir dafür geben, wenn Sie Erlaubnis bekommen könnten, morgen nach Hause zu reisen zu allen Ihren Passionsschauspielen, beziehungsweise in Petersburg, Kongo oder Moskvà!? Vergessen Sie aber nur nicht: daß es nur ein einziges Mittel in der Welt gibt, um das zu erreichen!

Denn eine Schlacht, nicht wahr, das wissen wir ja alle (ein tüchtiger Soldat macht immer seine Chancen auf!): ein Kampf mit einer Flotte wie diese, der kann nur auf eine Weise enden!

Ja, ich persönlich sage Gottlob dazu: ich habe weder Eltern, Geschwister noch Liaisons – über mein stolzes Fach hinaus, das schlagen heißt!

Ich rede, mit anderen Worten, haha, also nur um meines lieben Nächsten willen.

– Ja, und dann um nicht die schlauen und gewiß mühsam ausgeklügelten Pläne zur allgemeinen Rettung in Vergessenheit geraten zu lassen, die uns unsere toten Kameraden hinterlassen haben, ké!

Und deswegen, meine Herren, um diese Rede doch einmal zu beenden: ein jubelndes Hoch auf das Land unserer Väter!

Auf Glück, Krieg und Sieg!

Auf den Zaren!

Kähä ...

Ach ja, entweder völlig in Scherz und Hohn eingehüllt unten in der Messe, oder hin und wieder etwas weniger mehrdeutig, wenn man sich unter vier Fieberaugen einander allein gegenüber befand – auf alle erdenkliche, verschleiernde Weise hatte man, während man sich gleichzeitig selbst deckte und alle die Anwesenden hohnpeitschte, allmählich diese Erkenntnis des kolossalen Vorteiles einer Übergabe, ihnen allen, einem nach dem anderen, in den Kopf geschlichen und gelockt.

Als es sich dann aber, Tag für Tag, Woche für Woche, ganz deutlich zeigte: daß sich niemand zu bequemen vermochte, so verständnisvoll zu erscheinen, daß auch das Vorgehen bei der Kapitulation beredet werden konnte – da wurde man schließlich wild; man tat fast nichts weiter, als Anspielungen machen: wie wichtig die Sache sei, wie dringend notwendig es sei, daß sie sobald wie möglich arrangiert würde! Welch ein enormer Vorteil es für Rußland, für den Krieg, für die Flotte und für sie alle sein würde, wenn man sich übergäbe! Wie unmöglich es sei, unter den gegebenen Verhältnissen einen Kampf mit einem nur einigermaßen anständigen Resultat zu bestehen! ... und beständig wurde das alles hier auf eine solche Fasson erwähnt, als wenn einzig und allein die anderen es wünschten: entweder einige von den Kameraden hier (namentlich die toten, die ja nicht widersprechen konnten!) – oder auch, was noch besser war: die Kollegen auf den anderen Schiffen:

Sehen Sie sich einmal einen gewissen Kommandanten und Divisionschef hier in der Flotte an, den ich vor Ekel nicht in den Mund nehmen will – erzählte Oremyckin, diese jetzt so wohl zischende Natter, er habe neulich erfahren: auf seinem Kasten ist die ganze Besatzung von unten bis oben einig darüber geworden, daß sie die Schiffe direkt in den nächsten neutralen Hafen steuern und schleunigst entwaffnen wollen, sobald sich Togo mit seinem feurigen Blick am Himmelsrand sehen läßt!

Sieh in Gnaden auf mich herab: und so ist die Situation also faktisch, wie es scheint: daß wir Tag für Tag darauf gefaßt sein können, daß auch unsere Matrosen sich in aller Hinterlist zu dem gleichen entschlossen haben! daß sie uns plötzlich niederschießen, alle Offiziere, und dann seelenvergnügt nach Shanghai fahren und das Schiff verprassen!

Meine Herren geehrten Kameraden, Sie haben sämtlich vollkommen recht mit Ihrer Schwarzseherei: der Satan soll mich zermalmen und verzehren, wenn nicht die ganze Armada durch und durch verpestet und verseucht ist – falls ich nämlich nach dem urteilen kann, was ich hier und da gehört habe!

Das Ganze sei nichts als Humbug und Blasen – sang mir gestern ein Vogel ins Ohr!

Alles ist geheime Empörung und Meuterei – so berichtet man sich wenigstens, ich gebe es für nichts weiter aus, als was es ist: Sagen und seltsame Romane, ich weiß nicht mehr, wer es mir neulich erzählte, aber Wahrheit soll es sein: es existiert keine Spur von Disziplin mehr auf den übrigen Schiffen, nicht mehr als auf dem weißen Rücken meiner Hand!

Nicht das geringste! ...

Ach verschonen Sie uns doch jetzt endlich – fauchten die anderen Offiziere im Chor, indem sie sich vornüber beugten, im Takt, mit heiseren Stimmen, mit Armen und Beinen um sich schlagend. Mit ihren Purpuraugen gaben sie, trotz allem, die ganze Zeit wohl acht, daß ihre eigenen Gebärden und Stimmen weder leiser noch lauter waren als die der Kameraden: wie kann es Ihnen doch nur Scherz machen, uns alle diese dreckigen Gerüchte aufzutischen! Sind Sie jetzt etwa bange, Oremyckin: ist Ihr Mut ein anderer, wenn Sie selbst ins Feuer sollen, als wie damals, wo Sie von hinterwärts den armen Simoff niederschossen, den prächtigen Kriegsmann, wie beliebt? Kann dieser Ihr Wurm denn nimmer sterben? Haha! Zum Kuckuck auch, so einen Schnappen, wie Sie von sich geben, sobald Sie nur das Maul aufmachen – und ich will nicht einmal eine solche Bagatelle erwähnen: daß alles, was Sie hier erzählen, ja uralte Märchen und Anekdoten sind! Schon vor Wochen haben wir anderen Ihre sämtlichen höchst betrüblichen Geschichten gehört, nur in einem etwas fließenderem, würdigerem Stil! Und selbstredend ist es möglich, daß ein größerer oder kleinerer Kern von Zuverlässigkeit darin enthalten ist! Es klingt an und für sich, wahrscheinlich genug! Wenn Sie eine Lüge erzählen, so ist insofern immer ein gewisser Grund vorhanden, zu glauben, daß es Wahrheit ist! Jawohl; freilich! Es herrscht zweifelsohne eine teilweise Anarchie – auf den anderen Schiffen! Es sind möglicherweise gerade die Bazillen der Meuterei, die die Luft so kalt und fahl machen, in diesen Gewässern, wie! der Geist des Aufstandes hängt gleich einer blauen Wolke, schwarz vom Gewitter in der Mitte, oben über der ganzen Armada! Schlingel, Banditen, Feiglinge – jeder Mann auf allen den anderen Blechpötten, ausgenommen diejenigen, die unsere persönlichen Freunde und Bekannten sind, natürlich, hoffentlich, der Teufel schenk' ihnen Glauben! Kähä! Ei ja! Und wer weiß übrigens, wie es zu guterletzt eigentlich auch hier bestellt sein mag – wenigstens, wenn Fremde darüber reden wollten? ...

Luschinskij mußte sich in diesem Stadium der Unterhaltung unweigerlich die Haut vom Kinn reiben, vor lauter Anstrengung, ein ungewaschenes Kichern zu unterdrücken – sintemal er ja schon längst sehr gut begriffen hatte, daß alle diese Angriffe auf Gefährten, auf Kameraden und auf die Armada selbst, ja in Wirklichkeit (ganz abgesehen davon, daß die Wut an und für sich echt genug war!) nur immer von neuem wiederholte Verabredungen und gegenseitige Versprechungen bedeuteten oder auch ewig erneute Versuche irgendeinen dazu zu verlocken: mit positiven Vorschlägen herauszurücken, wie diese soviel erwähnte Übergabe ins Werk zu setzen sei!

Ja, ich danke, er verstand das Ganze vorzüglich! Alles, was diese kriechenden Hyänen und Schakale einander dort lauernd zufauchten, ohne auch nur den Mut zu haben, bloß ein einziges unzweideutiges Wort zu äußern – dachte Peter Romanowitsch; er stand, fast ohne es zu wissen, von seinem Stuhl auf, den Becher in der Hand, und guckte sich lächelnd, mit weißen Zähnen rings im Kreise um, sich selbst amüsant zublinzelnd.

Es krabbelte eine Kolerine von Hoffnung und Haß durch seine Adern, und er wollte gerade sein Maulwerk öffnen und einen sarkastischen Toast auf Oremyckin, diese bleiche Made, ausbringen, die erst jetzt, wo alles verrottet war, anfing, sich so recht in ihrem Element zu fühlen ... aber da blieb sein Blick – indem er Struïn streifte, der wieder dasaß und flammend vor sich hin starrte, murmelnd, mit seinen enormen Händen fechtend – zufällig an des schweigenden Bogduroffs Gesicht hängen und erstarrte dort jäh:

Wie beliebt?

Keh!

Fedor Werowitsch, das große Tier in der Apokalypse, kä, was sollte nur das bedeuten: hol' mich der Teufel, wenn nicht sein Gesicht, dreiviertel verborgen hinter den dicken Fäusten, kreidebleich war, perlenübersät und zitternd! Und oben in seinem linken Auge – das wie ein blauer Phosphorfleck zwischen den Fingern sichtbar war – stieg ein qualmender Nebel auf, der nur eine einzige Erklärung haben konnte:

Also starrte Luschinskij noch steifer zu ihm hinüber, einen Augenblick, mit weitgeöffnetem Mund, die Brust plötzlich auseinandergespeilert von einer nie zuvor gekannten Übelkeit und Seuche, die Knie haarig gegen die Hosenbeine schlotternd: wie sitzt du da, blaß, und jammerst ohne Laut, du Hundsfott – fragte sich Peter inwendig, ganz verwirrt:

Wie?

Hast du etwa schon vergessen, wie eifrig auch du teilgenommen hast an unseren ehemaligen Verabredungen aus demselben stinkenden Sauerteig, in den glühenden Backofentagen des Zusammenschlusses?

Oder nimmst du nur von neuem deine stumme Rolle des Verratens auf, von damals her, vor Jahren, als wir nach den Doggerbanks hier unten saßen und fast dieselben schwitzenden Worte über die anderen Schiffe austauschten – ein Frühstück, dessen ich mich mit Schaudern erinnere! Bist du betrunken oder verrückt, bist du krank oder tot – da dir das Wasser dampfend aus dem Haupte sickert? Oder weinst du ganz einfach, weil du keine Spur von Hoffnung hast, daß unsere intimen Pläne über Feigheit, Kapitulation und Imstichlassen uns werden nützen können? Oder hast du ... antworte mir: ist da noch ein Rest des Soldaten in dir geblieben? Oder ... oder ... oder hast du in deiner Stummheit, die jetzt länger als einen Monat angehalten hat – hast du allein, seit du da unten bei Diego im Lazareth lagst, hast du allein in deiner Verschwiegenheit nach und nach begriffen, daß wir zu Schurken, Lumpen und Frauenzimmern geworden sind, alle miteinander?

Keh!

Du grober Bandit, sprich dich aus, worüber in des Teufels Namen flennst du? ...

Und während des tausendsten Teils einer Sekunde füllten sich Luschinskijs Gehirn und Körper mit derselben brennenden Reihe schreiender Erinnerungen, die in der letzten Zeit jeden Abend und jede Nacht sein Gemüt verheerten: an Simoffs schluchzende Abschiedsrede vor der Flucht da drinnen in der Kammer, voll von Andruschka, Weinen und Grauen – an seine Rückkehr als Gefangener, mit dem begrabenen Gesicht – an seinen plötzlich explodierenden Trotz gegen den Tod, mitten während der Exekution – an sein zersplittertes Antlitz, als er da droben auf dem Turm zerschossen lag, die kalkweißen, gezackten Risse im Stirnbein in Rot und Grau gestreift.

Dann gähnte sich Iwans durchschnittener Hals – blutig und breit wie ein auseinandergezerrter Darm – mit namenloser Qual in seiner Erinnerung empor.

Und dann stand Eudoxia auf einmal vor den Blicken seines Gedankens: mit dem hinwelkenden Gold ihres goldigen Haares, mit der erstarrten Zärtlichkeit der ewigen Arme, mit den Augen, blau in dem Weißen – vor Vergessen, Gram und Grab ...

Peter Romanowitsch sah einen Moment die dunklen Wände der Messe und den Nebel der bleichen Antlitze seiner Kameraden unbestimmt vor sich; gleich darauf dämmerten beide Teile hin – er fühlte nur noch das beleuchtete Tischtuch auf der Tafel wie einen weißen, blendenden Schmerz, wie ein stechendes Blitzen in dem unteren Rande seines Augen ... aber dann wurde das Ganze auf einmal kohlpechrabenschwarz um ihn her.

Sein Herz bubbelte eiskalt weg in Finsternis.

Er sah nichts als Schwarz allüberall.

Nacht und Frost ...

Aber im nächsten Nu war er wieder jäh er selbst.

Mit einem einzigen rundherumflackernden Blick begriff er, daß dies alles hier in einer so grenzenlos kurzen Zeit geschehen war, daß niemand ihm etwas hatte anmerken können ... und folglich setzte er nur die Armbewegung fort, mit der er eine Sekunde innegehalten hatte:

»Jawohl!« stotterte er, schluckend, ohne eine Ahnung von seinen eigenen Worten zu haben, indem er sich mit einem Ruck nach Bogduroff umwendete – diesmal aber mit gerunzelter Stirn, plötzlich feuerheiß im Kopf: »Sagen Sie mir doch ... hören Sie einmal ... ja ... zum Teufel auch, was schert es eigentlich mich oder euch, was Fedor Werowitsch meint, er log auch damals – an jenem Vormittag bei den Doggerbanks! Er log und betrog nach rechts und nach links!

Er ist fuchsvoll von Betrug, das Schwein!

Laßt ihn deshalb heute und in Zukunft tun und glauben und verschweigen, was ihm beliebt!

Aber auf das Wohl von uns anderen – von uns, die wir Freunde und Kameraden sind, Jacke wie Hose, und hundert Ellen aus derselben Tonne, kähä! Ach Gott, Fedor Werowitsch: ich weiß ja nicht selber, was ich sage ...

Haha, Quatsch und Lügen, ich scheiß dir was!

Jawohl!

Hört einmal! Ich brülle es ganz laut heraus, ohne Umschweife oder Seide: ich bin völlig einig mit euch anderen allen! Ganz und gar, verdammt und verflucht, von einem Ende bis zum anderen! In allem und jeglichem! Alles, was ihr wollt – will ich! Rechnet ihr nur ganz ruhig auch auf meine Hilfe und Stütze – einerlei, was es auch ist, das ihr arrangieren wollt! Auf alles gehe ich ein – in Bausch und Bogen, wozu ihr euch entschließt, wenn wir nur zusammen halten, alle Mann!

Prost!

Kähä! Mein Gott! Zur Hölle – meine ich! Trinkt aus! Kampf und Schlacht, haha, was ist das wohl weiter als Kinderspiel, Knabenstreiche – wenn wir nur einen Ring schließen und fest stehen, auf unserem im voraus entworfenen Plan, nicht wahr, Mann für Mann!

Ich trinke auf den Krieg – so wie wir ihn durchführen wollen!

Hurra!

Hip! hi-hip! hi-hi-hip!« und Luschinskij schwenkte das Glas kolossal an seinem Mund, wandte dann den Boden nach oben, der Whisky floß eiskalt über sein Kinn und seinen Hals, ein schaudernder Strom ergoß sich tief herab unter die Weste und das Hemd – dann schleuderte er den Becher mit aller Gewalt weit hin über den Tisch, er zersprang mit einem Klirren – Luschinskij selber schwankte zurück auf seinen Stuhl, brach in Lachen und Schluchzen aus.

Struïn fuhr in die Höhe.

Das dicke, rote Haar lag ihm wie eine geronnene Schicht über den Scheitel, klebte sich wie blutende Zacken in die Schläfen und die Stirn hinein. Die Sommersprossen saßen wie leberfarbene Spritzflecken auf der milchweißen Haut, auf seinen Backenknochen und über dem Sattel der mächtigen Schnauze. Aus den Winkeln seines verzerrten Maules sickerte Schaum. Er focht um sich mit seinen enormen Pfoten, in denen die Narben zu Dutzenden saßen: winzig kleine, leichenbleiche Streifen:

»Krieg, haha!?

Ihr Süßen, Kleinen!

Jawohl, ach was, erzählen Sie mir einen ganzen Haufen davon, Gott straf mich, von vorne oder von hinten, ich platze, ja wahrhaftig, vor Lehrbegierde, Spannung und Neugier!« stammelte er, plötzlich blutaufgedunsen im Gesicht, schlürfend, sich die Lippen leckend.

Alle die anderen Offiziere drehten mit einem Grinsen ihre Gesichter nach ihm um: wie beliebt, hei hopsasa, ei ei, na, endlich war doch einmal Ernst daraus geworden, daß Struïn reden wollte, er, der sich in allen Zeiten nie darauf eingelassen hatte, mehr als höchstens fünf zusammenhängende Worte auf einmal zu äußern, war er denn heute abend sinnlos betrunken von den sich nähernden Aussichten auf Kampf und auf Schwelgen in Flüssigkeiten, der rote Tiger; war er plötzlich kollerig geworden, ging er Amok – oder war auch er allmählich ganz einfach zu demselben knöcherigen Grad von alles entschleiernder Abgenagtheit gelangt wie so viele andere in letzter Zeit: daß sie jetzt ganz und gar nicht mehr imstande waren, weder vor sich selbst noch vor ihrer Umgebung das allertiefste in sich zu verbergen, wovon sie bisher nicht einmal geahnt hatten, daß sie es in sich bargen!

Haha! Ja, ich danke: Na, also auch du kannst keinen reinen Mund mehr halten, ja, ja, dann komm nur heran, du Kannibale, dann laß uns deine Bekenntnisse nur auf der Stelle hören, du hast übrigens lange genug daran gekaut, sie werden wohl erfrischend voll sein von Fleischspeisen und Blutpudding, nur drauf los, du Tier ... aber dann wurden sie alle zusammen auf einmal wutentbrannt: jawohl, nur drauf los, hüte dich aber, uns zu nahe zu kommen, der Teufel frikassier mich, du elende Kreatur, du Menschenfresser! ...:

»Na ja, ja, ja!

Also ihr philosophiert über den Krieg?« fuhr Struïn fort; er war wirklich imstande – trotz der vollkommen schnaubenden Wut, zu der irgend etwas in ihm während der letzten Wochen langsam aufgepeitscht war – für einen Moment seine grobe Stimme sanft zu machen; und er versuchte schäumend die Kiefern zu spitzen, in augenscheinlich falscher Milde, während er wütend grinste, so daß die Eckzähne nahe daran waren, ihm die Ohren zu zerreißen:

»Ihr haltet, offengestanden, Reden auf Kampf, Schlachten, Handgemenge, Mut und Mannesherz, Krieg, wie nett, nicht wahr, allerliebst, ne, so was!« – Er lehnte sich weit über den Tisch, mit den Beinen baumelnd, mit seinen gefleckten Klauen auf dem Tischtuch hin und her trabend, und dann brüllte er plötzlich mit großem Geknurre los:

»Büchersprache und Gewäsch, hol' mich der Teufel, Schuljungengequatsch, wie lange soll ich hier sitzen und all euer Kindergeschrei mit anhören! Ihr redet von Krieg: Unsinn, Unsinn, ihr ahnt ja selber nicht, was ihr da rappelt, haha, habt ihr vergessen, daß Vater im Zimmer ist, wie könnt ihr euch da nur unterstehen, so zu lallen, wie ihr es tut! Kä! Jetzt hab' ich, wie gesagt ... jetzt hab' ich, weiß Gott ... jetzt hab' ich, zum Kuckuck auch, euren Gevatterklatsch lange genug dulden müssen, Monatelang!

Fertig!

Jetzt will ich lospredigen. Endlich mal. Verstanden? Ruhe!

Sagt mir doch, ihr also wollt ein Glas auf den Krieg leeren – solch Kaffeekränzchengeplauder, solch Mädchengeträtsche, solch Unsinn, da ist ja kein Mensch außer mir hier im Zimmer, der ahnt, was Krieg ist! nicht ein einziger außer mir, der begreift, was es heißt, eine Waffe zu führen! Wie? Und ich stehe ja nicht hier, um über Kanonen, Gewehre, Ballistik und Humbug Gelehrsamkeit zu geben und Vorträge zu halten, Gott bewahre! Hier reden wir nur von blanken Sachen, versteht ihr mich jetzt – nicht eine Seele unter euch hat eine Ahnung davon, einen Dolch zu hantieren! Ja, aber ich kann das, und zwar gründlich! Bei meiner Seligkeit!

So hört denn zu!

Maul halten, da hinten!

Bleibt mir also in erster Linie mit euren kujonischen Schießgewehren vom Leibe – ein schneidiger Kerl gibt sich nicht damit ab, hinter einem Grabenrand zu liegen wie ein versoffenes Schwein und einem beliebigen anderen Menschen (der soweit weg ist, daß er nicht mal sehen kann, wie er seufzt) Blei und Rauch in den Kopf zu schmettern. Bäh! ich vomiere schon bei dem Gedanken, aber ihr könnt mir glauben, ich weiß, was es heißt Kräfte und Männlichkeit zu gebrauchen! Hol' mich der Teufel, das ist ja gerade mein Beruf, hört jetzt artig zu, liebe Kinder, kleine Viehcher, ich will euch das Ganze in einem Schwupp erzählen, eins, zwei, drei!

So lauscht denn her!« – Und Struïn hob seinen mächtigen Oberkörper in die Höhe, er lachte aus vollem Halse so gnadenreich, er schlug sich dröhnend auf den Busen wie ein enormer Gorilla, er leckte sich das Maul vor Wonne wie ein entzückter Tiger vor Sattheit, er wurde dreimal so groß wie bisher, seine Stimme spann vor Wohlbehagen über das, worüber er sich jetzt äußern wollte. Er knispte mit den Fingern, daß es wie Pistolenschüsse schallte, und lachte fortwährend mit tiefen Lauten, die im Zimmer hallten wie ein Stiergebrüll, das imponieren soll:

»Jetzt will ich anfangen, euch etwas zu sagen, frisch von der Leber weg – nämlich, daß ich, bei Gott, recht gut alles weiß, was in den Ecken geflüstert wurde, damals, im Frühling, als ich aus dem Kongo zurückkam. Oho! die hohen Herren im Ministerium erbleichten, niesten, bekamen Magenschmerzen, von »Standes« wegen, sie wagten nicht einmal, an der Sache zu tippen, aus demselben naßkalten Grunde, ja, ich danke, ich lachte mir ins Fäustchen schön, zum Teufel mit ihnen – aber jetzt kann ich euch ja gern zugestehen, daß es alles Wahrheit war! Haha! Beim lebendigen Gott, da war auch nicht das kleinste Tröpfchen Übertreibung bei all den Geschichten! Weder daß die Strafexpeditionen mein schönstes Amüsement waren – ich traktierte jedesmal die ganze Gesellschaft aus Dankbarkeit und Freude – noch auch allerlei anderes in bezug auf die Fasson, wie ich die Aufrührer exequierte, hahaha, jawohl, das waren feurige Tage voll Muskeln, Manneskraft und Mut!

Hört jetzt nur mal zu!

Liebe Kinder!

Ach ja!

Sobald sich irgendeins der guten Negerdörfer mausig machte, dem Staat Vieh gestohlen hatte oder seine Steuern, Tribute und Abgaben nicht bezahlen wollte – wohlan, so bekam Oberleutnant Struïn vom Kongokorps (ein schneidiger Kerl, mein bester Freund) spornstreichs Order, auszurücken und »das Erforderliche vorzunehmen«!

Hahaha, ach ja, ich schrabte geschwind meine Kompagnie zusammen, wir ließen uns vom Regierungsdampfer die paar Tagereisen flußaufwärts schleppen, wir aßen und schliefen in einem zu, bis wir am Ziel angelangt waren, dann gingen wir an Land! Herr Jesus, war das ein Übergang – nach der glutheißen Sonne und dem Bummelleben auf dem Wasser, krabbelten wir stundenlang kellerkalt im Gänsemarsch auf den engen Steigen entlang, die stockfinster durch die greulich stinkenden Mangrovesümpfe führten, bei meiner Seligkeit: das war genau so, als krieche man durch einen Dickdarm, proppenvoll von kohlschwarzer Choleramoraste! Da blühten zu Tausenden solche große, metallblaue Blumen – schleimblank und schwülstig wie Hämorrhoiden, haha. Und die Neger lagen ja im Hintergrund ringsumher, ihre vergifteten Pfeile furzten unangenehm an unseren Riechwerkzeugen vorbei ... aber ich ermahnte ja meine Leute: Spart ihr bloß euer Pulver, Jungens, sagte ich: denn ihr wißt ja auch, daß Väterchen für einen Teil von den Kerlen zu seiner eigenen Motion Verwendung hat, und er gibt euch außerdem einen Frank extra pro Kopf für jeden Gefangenen in guter Kondition ... und dann krochen wir fluchend weiter, über Wurzeln und morsche Baumstämme; unter unseren Füßen platzten schwarze Blasen mit einem Gestank nach Kloaken und Schiß, wir wurden von alerten Lianen mit Stacheln den Rücken hinunter frisiert, ein angenehmes Toilettenzimmer, weiß der Teufel! Wir plumpsten einmal über das andere bis an die Kiefern hinein und zogen uns gegenseitig an den Haaren, hätt' ich beinahe gesagt, wieder heraus! ja, klatschnaß von Schmutz und kaltem Schweiß, trieben wir den Feind vor uns her, Schritt für Schritt, mit Zähnen und Bajonetten – – bis wir sie nach ihrer Höhle zurückgejagt, sie in ihre dornigen Dörfer eingesperrt hatten, die Viehcher, dann sengten wir sie wieder da hinaus und konnten sie mit den Händen greifen, wenn sie blind von Flammen und Rauch einzeln herausgestürzt kamen ... Du lieber Gott, dabei war wirklich kein besonderer Ruhm oder Lorbeeren, nicht die Bohne, das will ich herzlich gern einräumen!

Nein, aber auf die Weise machten wir ja einen ganzen Haufen Gefangene, fünfundzwanzig, dreißig Stück, das war gar nicht so übel!

Wohlan, und dann schifften wir uns wieder ein und segelten nach Hause und hielten Verhör über die Mitgebrachten ab, kähä – das heißt, weitere Umstände wurden ja nicht gemacht, versteht sich: Dein Häuptling hat seine Steuern nicht bezahlt, und du selbst bist mit der Waffe in der Hand gefangen genommen, du Lump, nicht wahr, bitte schön, prost Mahlzeit, du wirst erschossen – zu weiter was langte es nich'.

Aber was dann?

Ging ich wirklich hin und ließ sie niederknallen, alle Mann – wie beliebt?

Hahaha! Ach nein! Das hätte auch bloß noch gefehlt, das war gar nicht nach meinem Geschmack, wie, pfui Deubel, solche schneidige Jungens als Gewehrfutter zu gebrauchen, nie im Leben!

Ne!

Aber zum Tode verurteilt waren sie ja nun einmal, die Regierung verlangte es so zum Dank für alle die flinken Burschen, die uns die Nigger langsam, zwischen Jahr und Tag totschlugen – aber daran kehrte ich mich verteufelt wenig, und also gab ihnen Väterchen ganz privatim Erlaubnis zu wählen: ob sie sofort per Pulver zerschmettert werden wollten – oder ob sie noch eine einzige kleine bescheidene Chance mitnehmen wollten! Ob sie entweder auf der Stelle niedergefeuert werden – oder versuchen wollten, sich um ihr Leben zu schlagen, zum besten meiner Dolchmanöver und Messersportinteressen!

Ja ja!

Und da war ja gar kein Zweifel möglich – und auch die Wahl nicht schwer, das begreifen Sie wohl!

Im ersten halben Jahr, als ich da unten war, fing ich mit fünf zur Zeit an, bei diesen Turnieren; sechs Monate später hatte ich mich soweit trainiert, daß ich zehn auf mein Gewissen nehmen konnte, und ich endete mit zwanzig, weder mehr noch weniger, hört nur!

Ich ließ mir also von meinen Soldaten eine zirkelrunde Schafhürde machen, fünfzig Ellen im Durchmesser, zum Teufel auch, ein ganzes Hippodrom von Pallisaden, fünf Ellen hoch. Und ich suchte mir zwanzig recht handfeste Kerle unter den Gefangenen aus. Den Rest pflegte ich ausreißen zu lassen, großer Gott, sie rannten, hast du mich gesehen, davon, die Würmer, halb tot vor Freude und Freiheit. Aber denen, die ich mir ausgesucht hatte, denen geb' ich gehörig zu essen, lasse ihre Wunden von einem Arzt behandeln, pflege sie fein an allen Ecken und Kanten, bis alle Mann in flotter Vigueur sind! Nun ja, und dann eines schönen Morgens, ehe die Sonne noch gar zu verdammt ist, laß ich meine zwanzig schwarzen Burschen in die Arena hineinschlüpfen, jeden mit einem Tauende von vier Ellen Länge in der einen und einem Schild in der anderen Hand.

Ich selbst hatte nichts weiter als meinen Dolch, diesen hier, jawohl, ganz gewiß: beachtet nur die Schneide, glotzt nur Kinderchen, ich erzähle euch das Ganze, ihr ahnt ja gar nicht, mit wie vielen Leuten der da ein ernstes Wort gesprochen hat, so gewaltig eindringlich, da war keine Rede von Rückantwort bezahlt, haha, verstanden! Ihr Engel Gottes, ihr begreift ja nicht, was es heißt, sich zu schlagen ... nun, ich stelle eine kleine Leiter an die Außenseite meines Stadions, ich klettere hinauf und setze mich rittlings hin, winke meinen Dolmetscher an meine Flanke herauf und lasse ihn den Niggern eine alerte Erklärung zubrüllen.

Sie stehen ja da unten im Rundkreis, in einem Klumpen in der Mitte, schnüffeln gegen den Wind an mit großen Nasenlöchern; ziemlich grau im Gesicht, ganz baff vor Verblüffung, drehen und wenden sie ihre Enden Hanfstrick hin und her: Bitte schön, meine Herren – kräht der Sprachmann aus vollem Halse: der weiße Mann hier, der ist ein großer Häuptling in seinem Lande, und außerdem ein guter Freund von mir, und er bietet euch heute durch mich die bereits früher erwähnte Chance an, möglicherweise durch ein Wunder Gottes ganz lebendig von hier zu entkommen! In einer halben Minute beabsichtigt er, zwischen euch hinunterzuspringen, hol' mich der Teufel, meine lieben Landsleute, ho, seht ihn euch an, ich bin sein Onkel, er ist in training, und im übrigen diesen Augenblick ebenso splitternackend vom Scheitel bis zur Sohle wie ihr, keinen Schatten von Zauberei also, weder in Hose noch in Hemd – nur einen Dolch in der Hand, der schön blitzt, nicht wahr, und gehörig festgebunden ist ... und ihr habt ja euren Schild, zwischen den ihr ihn klemmen könnt (braucht ihn jetzt ordentlich! versucht zu allererst, ihm die Augen aus dem Kopf zu quetschen, das rate ich euch, die sind voll von Donner und dem Tod von tausend Ochsen!) und ihr habt außerdem dies Stück solider Schnur, das ihr so närrisch anglotzt, womit ihr ihn schlagen oder binden könnt – wie ihr wollt!

Bitte schön!

Jetzt ist der Moment da, wo ihr kämpfen sollt!

Ihr alle – gegen ihn alleine, welch ein mächtiger Krieger! Alle Kniffe gelten! Der Stranguliergriff, das Armverrenken und das Beinstellen!

Freie Match, ihr Nigger!

Wenn ihr Glück habt und ihn totboxt, so gibt er euch seinen allerbesten Eid, daß ihr euch so schnell wie möglich in Frieden wegschleichen dürft und freies Geleit aus dem Schuppen heraus haben sollt! Ich selbst, sein Großvater, bin übrigens bereit, einen Taler drauf zu wetten, daß er mit heiler Haut davonkommt, ist vielleicht einer unter euch, Kirrr-Kirrr, der dagegen halten will!? Bitte schön, jetzt hüpft er herunter, er wird sich zwischen euch, ihr schwarzen Schweine, ausnehmen wie ein Marzipangabriel, da haben wir den Löwen, hep hep! ...

Hahahaha!

Yes!

Sobald der Dolmetscher, das alte Klatschmaul, mit seinem Aufstoßen fertig war, stürzte ich wie ein kreideweißer Blitz hinab und begann.

Den drei, vier ersten machte ich immer in einem Nu den Garaus, ehe sie eigentlich noch begriffen hatten, daß ich schon aus der Luft heruntergekommen war: ich stach ihnen in der Regel in die Seite des Halses, um meinen Dolch nicht bei den ersten Stößen abzubrechen!

Und dann sausten die anderen mit einem Geheul auf mich ein!

Aber einen Plan heckten sie niemals aus, sie hieben ganz einfach, jeder für sich, drauflos – und darum mußte es ja damit enden, daß ich sie überwand. Ja, Tod und Teufel! Ich schwebte über ihnen wie ein gekreideter Leopard, wie ein Albinopanther mit roten Augen und fraß dann emsig mit meinem blanken Zahn drauflos.

In den ersten paar Sekunden tanzten sie alle verrückt umher, flennend vor Wut, weil sie mich nicht sogleich zwischen die Finger bekommen konnten. Ich sah ihre großen Guckaugen das Weiße herauskehren, vor Tränen und Kummer, sie wurden so beklommen. Dann hörte ich gleich darauf, wie sie sich anschickten, noch ein letztes Mal verzweifelt mit ihren dicken Lippen zu schmatzen – nun, das war ja ihr Vaterunser, das diese Heiden beteten, ehe sie sich ernstlich zusammennahmen. Und dann vergaßen sie alles andere auf einmal, wurden ausschließlich zu Kriegsmannen und Mannsleuten, zum Kuckuck auch mit Leben und Tod, hier ist Kampf und Krieg! haha, Gardemaß hatten die meisten, über drei Ellen, ebenso wie ich! Herr Jesus, ihr Gebrüll stieg ihnen selbst in einem Nu zu Kopf, sie bogen den Nacken vor und flogen mit Geknurr drauf los! O, hu, hei! Ihre Bleifäuste hagelten in der Luft! Sie teilten Kopfnüsse mit Nachdruck aus! Viele schmissen Schild und Tau hin und kamen mit den bloßen Knöcheln, so behend und massiv wie ein Totschläger!

Ho!

Aus uns allen stob das Blut wie das süße Gold, hol' mich der Teufel, in fünf Minuten ward ich zum Indianer, so purpurfein, ich schwitzte und schwang mich, ich erblaßte und lachte. Großer Gott, wie mir der Schädel brummte, und wie ich Korallen nieste en bloc, wenn ihre Stöße mich in den Rücken trafen, wir walzten bitter ineinander hinein!

O, wir sausten umher, auf und nieder, hier und da, in Klumpen, in Kreisen, in Schichten – wir gurgelten und bissen, ich schwöre euch: ich ward ihr Bruder und Genosse in den wenigen Minuten, die ihnen noch übrig blieben! Ihre Augen schimmerten den meinen vertraulich entgegen, während wir einander durchbläuten! Wir sangen laut vor Sympathie, alle, ohne Ausnahme! Sie fanden einen Gefallen daran, meine Rippen mit ihrer Stirn und ihren Knien zu befühlen, sie kauten sich kameradschaftlich in mich hinein: einer aß eine Handvoll einmal von meinem Arsch das werde ich schwerlich wieder vergessen, er fuhr gen Himmel mit meinem Fleisch im Munde, er hat mir nie erzählt, wie gut es schmeckte! Herr Gott noch mal zu! Wenn wir fertig waren, sammelten meine Soldaten mich auf, ich lag da wie ein Taschentuch, das bei Nasenbluten benutzt ist ... ja, einen Tag hatten wir anderthalb Stunden gekämpft, ich schwankte hin und her vor Müdigkeit, ich schwitzte, mir fehlten ein paar Zähne, mein linker Arm hing schlaff, er war hundert Pfund schwer: aber noch waren da zween übrig: zwei kleine, magere Burschen, die Arme, Beine und Brust fein aus Stahl gedreht, sie waren so klug gewesen, ein wenig zusammen zu schwatzen, und dann warteten sie ganz ruhig, hielten sich zurück, sparten ihre Kräfte, bis ich mit den Kollegen fertig war, was zum Teufel scherte es sie, wie es einer Handvoll anderer Mannsleuten erging. Ich stand da und holte nach Nummer achtzehn aus, der linke Arm also schlaff wie eine Wurst aus Gummi, und ich entsinne mich sehr wohl, daß ich meine Schenkel wie Butter fühlte, einen Nu wurde mir ganz schwarz vor den Augen. Meine Leute hingen rings umher auf der Balustrade und schrien ihre Wetten, sie wußten, daß sie keinen Finger rühren durften – das Spiel sollte gleich sein. Und dann waren die beiden Schurken da hinten auf den Einfall gekommen, eine Menge Stricke von den Toten aufzusammeln und sie zu einer Schlinge zusammen zu knoten – hol' mich der Teufel, zu einem knotigen Lasso, danke sehr, ja, mein Herz stand mit einer Gotteslästerung still bei dem Anblick, denn ich sah es sogleich ihm, der mit dem Strick dastand, an, daß der so heimisch in seinem Arme lag. Ja, sie standen fünfzig Schritt von mir entfernt und lauerten ganz ohne allen Prunk, die Augen stengelten sich ihnen froh aus der Fratze heraus, ein Beben von Gekicher ging ihnen durch den Körper: sie wußten, daß sie alles, was lotrecht war oder auch nur ein klein wenig in die Luft aufragte, jetzt treffen, einschnüren, erdrosseln konnten ... Und also blieb mir nur eins zu tun übrig; ich hatte mich noch nicht gerührt, ich war mir klar darüber, daß sie es mir noch nicht hatten ansehen können, daß ich die Situation begriff: und folglich focht ich auf einmal blind mit dem Messer um mich, keuchte wie eine angeschossene Kuh, und brach dann glatt niederstürzend auf dem Fleck zusammen, wie betäubt, die Glieder und das Kinn unter mir – so daß die Schlinge mich nirgends fassen konnte – und der Sicherheit halber jagte ich im Fallen meinen Dolch, der an meine Hand gebunden war, durch meine linke Wade hindurch ... und ganz richtig, das machte sie sicher, jetzt waren sie total obenauf, kolossal überzeugt: hip, hip, der weiße Krieger war ohnmächtig geworden, der Narr! – Sie sprudelten über von Heulen und Greinen, kamen beide ganz dicht herangaloppiert, ganz nahe, nur an Sieg denkend, bleich vor Wonne bei dem Gedanken, mich mit allen ihren persönlichen Fingern zu ersticken, mir sämtliche Eingeweide mit samt dem Geschlecht durch den Rachen herauszutreten mit ihren eigenen großen, nackten Füßen; sie beugten sich mütterlich über mich, plötzlich ein wenig angst: Hallo, er sollte doch wohl nicht zufällig ganz tot sein, der Schurke, Gott gebe, daß da noch ein klein wenig Leben in ihm übrig geblieben ist, dessen wir uns auf der Stelle annehmen können, ganz langsam und mit den Zehen ... ich spürte schon den herben Dunst ihrer schweißigen Schwingungen zwischen Entzücken und Sorge – aber da richtete ich mich in einem Nu auf und hatte sie beide im nächsten Augenblick auf der Gabel!

Haha, das war ein Kampf!

Ach sonnenvolle Tage aus Fleisch und Blut!« – und Struïn schwang den Daggert, es schossen lange Blitze aus seinen Augen, er lachte bebend wild und glückselig:

»Das nenne ich Krieg!«

Wohlan, Freunde, ja ja: hört einmal, ich habe einen Plan, ich sage so wie ihr: nun gut, nicht wahr, wenn unsere Schiffe nicht zur Seeschlacht taugen, schön, schön, so ändern wir die Sache in einen Krieg zu Lande um, wie – ganz einfach, in einen Kampf auf Erdboden um: wir hissen Signale, wir senden Boten an die Japaner, wir machen ihnen den Vorschlag, zu uns an Bord zu kommen, Mann gegen Mann, mit Säbel oder Dolch, und dann geht's los!

Ja, weiß Gott, seid ihr einverstanden? Der Vorschlag ist gut, ausgezeichnet, brillant!

Ist es nicht so?« – Er sah sich starrend um, es liefen geschwollene Zuckungen über sein Gesicht; aus seinem Munde trieb der Schaum plötzlich hervor, in grauweißen Blasen – er erhob seine Klinge, greinte zu ihrem Blinken, und im selben Moment hatte ihn die Berserkerwut gepackt, er stieß den Stuhl hinter sich zurück, schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß alles umfiel, und brüllte donnernd los:

»Well! Wir wollen kämpfen! Sobald wie möglich! Morgen, heute! Haha! Hört einmal! Verdammt und verflucht, neulich war da einer unter euch, ja, vorgestern war da einer, der schrie, daß ich Blut liebte! Oj, bei meiner Seligkeit, wohl liebe ich es, das Blut in Bewegung zu setzen, hier oder da, meins oder deins, was hat das mit der Sache zu tun! Hol Haha! Ja: einerlei, woher es kommt! Aber hört, ich bin gar nicht schlimm, und keine Spur von feige: Die Japaner sind viel zu klein, nicht wahr, das ist ein ungleicher Kampf, nun gut, seht einmal her!« – und mit einem Schnirren zerfetzte er seinen linken Ärmel, sein knorriger Arm stak hervor, weiß, schwellend, blank; er schwang den Dolch und jagte ihn, lachend, schäumend, in das Handgelenk, auf das Blau der Ader zu.

Da quoll ein kupferroter Strahl hervor.

In einem Bogen tanzte er plätschernd über das Tischtuch, es spritzte lang dahin – dann warf Struïn die Waffe von sich, ergriff sein Glas, das umgefallen da lag, hielt es unter den Sprudel, es war in einer Sekunde voll, oben am Rande saßen schon kleine, halb geronnene Spritzflecken: weißliche im Umkreis, blaßrote weiter nach innen zu, in der Mitte ein winzig kleiner, leuchtender Punkt aus Karmin.

»Prost!« schrie er, schweißtriefend, und setzte den Becher, mit plötzlich zitternder Hand, an seinen Mund. Sein ganzes Gesicht ward gestreift davon, ein süßlicher Gestank schoß in den Raum hinaus, ein glühender Strom sickerte ihm an Kinn, Kragen und Weste herab.

Aber dann war Gregorow von seinem Stuhl unten am Tischende aufgetaumelt, kreidebleich, schwankend:

»Ergreifen Sie ihn!« stammelte er wild, bebend, mit Erbrechungslauten im Halse. – »Schlagen Sie ihn nieder!

Ich will ihn nicht ... will ihn nicht sehen!

Schaffen Sie ihn fort, weg!

Binden Sie ihn!

Fort!«

Struïn gluckste heiser in den Pokal hinein, der linke Arm hing herab, das Blut sprudelte mit einem wunderlich schlaffen Laut gegen den Stoff der Hose und sickerte daran hinab.

Alle die anderen hatten sich mit Getöse erhoben; mit vorgestreckten Händen starrten sie ihn an: tiefes Quaken brach aus ihren Kehlen, sie kicherten leise. Luschinskij hatte alle zehn Finger gegen das Gesicht gelegt, die Kehle war ihm von Brechreiz zugeklemmt; eiskalt barst ihm der Schweiß auf Rücken und Scheitel hervor.

Nakinskij war auf der rechten Seite von Struïn aufgetaucht, jetzt erhob er seine geballte Faust und schlug ihn plötzlich damit in die Schläfe, kurz und hart, der Schlag hallte dumpf.

Struïn fiel polternd um.

Der Arzt ergriff sein Handgelenk, wo der Strahl ununterbrochen herauszischte, und preßte seinen Daumen fest darauf.

Bogduroff saß da, ohne sich zu rühren, vor sich hinglotzend, aber ohne zu sehen; langsame Zuckungen wanderten über seine Lippen hin:

»Ja, ja!« sagte er, auf einmal, leise, mit einem plötzlichen Erbeben der Schultern, mit einem Schaudern. – »Wohl hat er recht: akkurat, so ist der Krieg!

Aber, halt, warten Sie mal, tragen Sie ihn noch nicht weg: er hat mir ja noch gar nicht erzählt, was es eigentlich ist, mutig zu sein? ...«

   

Ja, freilich; mit Schlagen und Schreien, und mit hoffnungslosem Durchträtschen der Sache, die noch nie erledigt wurde – so verbrachten Luschinskij und seine Kameraden, während dieser letzten paar Wochen der Fahrt, jeden Tag einige Stunden nach dem Diner.

Spätestens gegen neun Uhr des Abends hatte man in der Regel eine solche Temperatur von Fieber und Bissigkeit erreicht, daß man wie ein Mann die Stühle wegschleuderte, sich jäh erhob und sich schlingernd und scheelblickend trennte.

Aber es war ja noch viel zu früh am Tage, um in die Klappe zu gehen – und man war sich außerdem eminent klar über die eine Sache, daß vorläufig gar keine Rede davon sein konnte, einzuschlafen, so wie einem Schädel und Busen zu konstanten Laboratorien für die Mikrobenkulturen aller Welt geworden waren.

Und ergo war man, auf drei, vier, fünf Stunden oder so, höchst fatal auf sich selbst angewiesen: auf seine persönlichen, infizierenden Erinnerungen an alles, was im Laufe des eben vergangenen Tages an Verdorbenheit geschrien und getan war; auf seine bis auf den Grund verfaulten Erinnerungen an das violette Blutbrechen vieler Monate; an den kalten Brand und das Tralirium der tödlichen Zukunftsaussichten – und an die privaten Sarkophagprospekte, die die wurmvolle Folge aller dieser miasmischen Erscheinungen waren.

Man war, gerade herausgesagt, jeden Abend gezwungen, inwendig in seinen eigenen Blutgefäßen alle die Galle, das säuerliche Gift aufzuspeichern – das man so herzlich gern den anderen über die Köpfe hätte gießen mögen.

Man war gezwungen, sich selbst nach und nach von dem Schmerz und Grauen auffressen zu lassen – von dem man mit Wonne die Kameraden hätte verzehrt werden sehen.

Deswegen war es also, den Absichten der sämtlichen Herren direkt entgegen: ihre eigene Persönlichkeit, die Schichte auf Schichte zu klebrigen Kohlen verbrannt wurde – von der Einsamkeit und Angst in den schwarzen, feuerheißen Stunden der Nacht.

Jeder einzelne Mann ward schließlich zum Skelett, durch seinen eigenen Brand:

Ja, ich danke, jetzt war alles aufgegessen, das Festmahl beendet, und man begriff schließlich die kurz gefaßte Geschichte des Ganzen.

Also lautend:

Infolge des immer wilder aufflackernden Fieberzustandes, der schon vor der Abreise aus Libau im geheimen in jedes Mannes Seele geschwält hatte – war man genötigt gewesen, Tag für Tag, Stück für Stück, alles das von sich zu werfen, was bedrücken und genieren konnte:

Noch ganz kurz nach dem Anfall bei den Doggerbanks waren es daher, in erster Linie, die rein salonmäßigen Teile an einem, die auf Lebenszeit über Bord geworfen waren – kurz: weg mit Frack, Kragen, weißem Schlips!

Während man, sich dann, also in Hemdärmeln, weiter delirierte, über den bubbelnden atlantischen Ozean hin, mit schwärendem Kopf: da waren es natürlich die etwas mehr inwendigen Teile des Wesens, die speziellen Charaktereigentümlichkeiten, die die Herren zu Kriegern und Offizieren machten – die mit Raballer, Gepuff und Schmerz weggebrüht wurden. Mit anderen Worten: diesmal war es nichts geringeres als die Uniform selbst, die sich empfahl: Säbel, Dolch und Epauletts!

Ganz niedlich, eh?!

Und ergo schwankte man – zu Anfang des pestilenzischen Madagaskaraufenthalts, wo die Luft dick blaute von Malaria und Dysenterie – unaufhörlich halbnackend umher; nur mit seinen gelbscheckigen Unterbeinkleidern angetan; und die schlackerten einem obendrein naßkalt um die mageren Knie, sie hatten hinten einen langen lotrechten, hellbraunen und rotgesprenkelten Streif infolge der Ruhr, sie saßen beutelig um den eingefallenen Bauch und hingen hinten wie leere Säcke bis zu den Kniekehlen herab ... bis die gierigen Monate bald darauf auch dies Gewand der Schande aufgefressen hatten (mitsamt der geborstenen Haut da drinnen, selbstverständlich) haha, nicht wahr, justement, wie bequem: da brannten also diese noch ein wenig intimeren Eigenschaften weg – die für jeden einzelnen Mann an Bord bestimmten, ob er redseligen oder schweigsamen Sinnes war, ob der eine für Fleiß und der andere für's Bummelleben veranlagt, ob ein Dritter ehrliebend, ein Vierter aber gleichgültig gegen alles war: jawohl, in der Klimax bei Diego platzte einem das Hemd – und man zeigte, ohne eine Spur von Keuschheit, aller Welt seine allerprivatesten noch vorhandenen Behänge, pfui Kuckuck, welch ein Gestank nach Böcken und Schweinen, nach Trinkernieren, Exzem und Pinkel, Herr Gott: wieviele waren nicht schon da zur Hölle gewandert, Arm in Arm mit zwanzigtausend Miasmen!

Und der einzige Trost, den die Zurückbleibenden damals gehabt hatten, war: daß man jetzt doch endlich wirklich keine Spur mehr übrig hatte, die noch verzehrt werden konnte!

Wie? ...

Aber da war man sehr auf dem Holzweg gewesen!

Und der Beweis hierfür sollte nicht lange auf sich warten lassen!

Denn noch im Lauf der trägen Rekonvaleszentenzeit, während der Fahrt über den indischen Ozean – da beschützte diese ihre totale und ausgemergelte Nacktheit sie nicht im geringsten! Im Gegenteil! Woche für Woche wurden sie noch mehr reduziert: ein Muskel verschwand hier, eine Sehne verkohlte da, eine Ader trocknete hier ein, ein Nerv verfaulte dort – bis absolut nichts weiter mehr von ihnen übrig war, als Bauch und Schnarchen ... ja ja, du mein Schöpfer – und jetzt endlich, hier in diesem Meer von Mikroben der chinesischen Gewässer, hier gab es, weiß Gott, keinen Ausweg mehr: jetzt waren es ganz einfach die letzten, morschen Fleischlappen, die zum Teufel gingen!

Jawohl, genau so, gesegnete Mahlzeit, solch Hochgenuß, trala, ich fühl' mich so herrlich leicht, Herr Jesus, Gott helf' uns allen; nun war man kurz und gut bis zum Knochenmann reduziert, nix weiter!

Da war noch soeben das schofle, unverhüllte Knochengerüst übrig – von allen den gutgekleideten, muskelstarken Männern und Offizieren, die wir im vergangenen Jahr ausgezogen waren!

Wir haben, Mann für Mann, nur noch das Stativ unserer Individualität übrig!

Wie patent, praktisch und patriotisch!

O, philantropisch!

Und alles, was wir nun heute und in Zukunft unternehmen, ist daher – offenbar – nichts weiter als ein klein wenig melodisches Gerassel mit den bloßen Wirbeln! Ein wenig klirrender Tanz, nicht wahr, mit seinen eigenen, splitternackten Rippen im Arm, ein Schlußgalopp, haha! Eine schneidige Lawn-Tennis-Match mit seinem persönlichen Kranium als Ball, play, forty to you, game set, Mr. Togo, lassen Sie meinen Kopf nicht in den Kies fallen, ich hab' nur das eine makulierte Exemplar ...:

Alles in allem eine schöne Tasse abführenden Tees, dieser Feldzug! Besten Dank, es ist alles aus, ich bin gemein betrogen um die Zeit und Freude meines Mannesalters, ach könnt ich doch wieder jung werden, mit einem neuen Leben ganz von vorne anfangen! ...

Von diesen sämtlichen unabweisbaren Bakterienursachen war also, gerade herausgesagt: zum Beispiel Simoff, der weichliche Junge, der er war, schon längst zu Tode gehetzt von seinem angeborenen Liebesgefühl – das, nachdem es einzig und allein in ihm zurückgeblieben war, den Taktstock viel zu alleinherrschend und tyrannisch über seinem bebenden Knorpelgerüst schwang, nicht wahr, zweifellos, da haben Sie die psychologische Erklärung für ihn, falls sie Sie interessieren sollte: sowohl in bezug auf seine Flucht, als auch auf seinen Tod mit Protest bei Diego! ... Aus einem ganz ähnlichen Grunde vermochte der hölzerne Mann Starck jetzt nur noch zähneklappernd dazusitzen und, sich selbst oben an den Kopf schlagend, hoffnungslos zu versuchen, seine ewige Nuß zu knacken: Die Erinnerung an die braune, blanke, runde Mura-o-a diese tausendfach wurmstichige Person! ... Auf einer entsprechenden Basis war auch Praxin, dieser Guttaperchajunge, ein wenig später darauf beschränkt worden, nur noch schwitzen und sabbeln und von Männern und von Gott im Himmel, seinem Geliebten, hicksen zu können ... Und nicht viel besser war es ja dem eisernen Helden Bogduroff ergangen, der, einsam, stumm und steif wie ein Stock dasaß, sich wiegend, hin und wieder klagend mit seinem dumpfen Klang, in dem Sturm der heulenden Gedanken, die über sein Gemüt hinbrausten: eine Heulboje in der markgefrierenden Finsternis des Ozeans ... ja, ja, ja, so hatten sie alle miteinander, jeder für sich in Übereinstimmung mit der Härte des Stoffes, aus dem er gemacht war, in Zukunft nur eine einzige Saite, die noch einen Laut geben konnte: und die also war, sozusagen, der Grundakkord ihres Wesens, ihr Kammerton:

Struïn war daher eine Streittrompete geworden, die nur das eine Signal kannte: Drauflos, hau' ihn nieder, schlag ihn tot!

Nakinskij walzte melodiös von Ort zu Ort, füllte die Luft vom grauenden Morgen bis zur Abenddämmerung mit Wiegenliedern und geistlichen Gesängen:

Lieblich der Seele Pilgergang!

Und Gregorow intonierte geschäftig ringsumher, bald mit einer süßen Oboe, bald mit einer bullernden Trommel, und bald mit einer großen und vollen Violine; er mühte sich in allen Instrumenten ab, von oben nach unten: machte einen Trutmund für die Flöte, Pausbacken für die Posaune, und geschäftige Finger für das Triangel, Brettspiel und Becken, bekam doch aber nie ein Orchester zustande, der arme Dirigent:

Ja ja, verdammt und verflucht, so falsch war es bestellt, und was nun Luschinskij selbst anbetraf – so hatte er ja, bekanntlich, vor ein paar Monaten Iwan gemordet (kurz und brutal, freilich hatte er das getan, verschonen wir uns doch mit dem Versteckspielen: nichts geschehenes läßt sich ungeschehen machen, und für eine jede Tat harrt unser doch die Strafe)! Und im übrigen stolperte er, Abend für Abend, wutschäumend und verzweifelt zugleich, voll einer höchst verderblichen Unruhe, deren innerstes Motiv er nicht ergründen konnte, schon gegen acht Uhr in seine Kammer hinab.

Ohne zu wissen, warum, unterließ er es, Licht anzuzünden; fummelte sich erschreckt durch den Raum, begann – gleichsam erleichtert durch diese kleine Unterbrechung seines blutigen Gedankenganges – enorm zu fluchen, wenn er seine Schienbeine in der Dunkelheit stieß, verfiel trotz allem gleich darauf wieder in die gewöhnlichen roten Vorstellungen, und krabbelte deswegen, entschlossen und verrückt, auf sein Sofa hinauf, das knarrte, klang und unter seinen Stiefeln einsank.

Er öffnete das runde Fenster, und steckte seine rinnende Nase und die schwimmenden Blicke dadurch hinaus.

Die Fahrt und die Dunkelheit wehten ihm steif und eiskalt in das rechte Ohr hinein – während er dort auf schwankendem Grund stand und wild und beklommen über die kohlschwarzen, gleitenden Flächen hinausglotzte, die mit bleichen, laufenden Rändern sanken und stiegen.

Ach, heiliger Nikolaus, dort hing er an der Wand, stundenlang, starrte in die gurgelnde Tiefe hinaus – mit einem jammernden Herzen in jedem Auge, und sehnte seine Wangen zu Stein und Wasser.

In weiter Ferne sah er hin und wieder die Lichter auf den anderen Schiffen: sie schienen ihm stillzustehen, dort oben in der schwarzen, kringelnden Luft der Nacht, ein jedes an seinem Platz. Sie blitzten, oh, wie Sterne so traurig, unbeweglich und milde – und waren doch aus Kriegsweh und Lügen geboren! ... Der Wind kam eisenhart und traf ihn gerade in die Schläfe. Ja, ja, der Teufel erbarme sich meiner sündigen Seele: fern dort oben am Himmel zitterten Gottes blanke Globen mit ihrem ewigen Lächeln aus Frieden uns allen zu – aber gleich geisteskranken Blicken aus Frost und Betrug brannten die Lichter der Schiffe dicht da draußen so grün und kalt; und unter ihnen phosphoreszierte der Bugwelle Blau, ein Streifen von Mord, ein Messer von Tod, ein Siegel aus Rache und Grab!

Und genau ebenso sah ja auch das eigene Schiff aus – selbst wenn man es von hier aus nicht persönlich sehen konnte!

Und das höchsteigene Wesen, freilich, éhé: auch das schritt bebend dahin, in dem schwefligen Dunkel der Vergangenheit und Gegenwart, mit starren Blitzen im Auge, und im Busen hauste zischend die glühende Ziffer von des Lebens Mene Tekel, Unversöhnlichkeit: was mag die Zukunft für mich in ihrem Schoß wohl tragen?

Mein Gott, mein Gott, wenn man doch den unendlichen Gang der Zeit anhalten und ändern könnte!

Wenn man doch das Dasein jäh umwenden, von neuem ein Kind werden und dann sein Leben lang daheim weilen könnte, in Licht und Frieden! ...

Keuchend, plötzlich schluchzend infolge von uralten Erinnerungen, die auf einmal in ihm auftauchten, hakte er beide Hände fest in den Metallring, der die Fensterscheibe einfaßte.

Er erhob seine toten Augen, die sich mit Tränen füllten:

Herr Jesus, jetzt sah er den Sinn des Ganzen ein!

Ach, Zebaoth, du Meister der Vergeltung, jetzt versteh' ich die kommenden Tage so klar: fern hinter der Strafe für alle die Wochen des Leides, die ich gelebt; tief verborgen unter der Sühne für die Monate des Schmerzes, in denen ich gerast habe; ja, tödlich verschlossen hinter der Buße für die Jahrtausende von Haß und Schmach, die mein Treiben hier auf diesem Zug gewesen sind: dort erschau' ich jetzt plötzlich Eudoxias von Wonne strahlendes Antlitz, das mich heimruft ...: Ja, ja, Eudoxia, mein Stern, ich würde ja so gern jetzt zu dir kommen, gleich, aber sieh: Iwan hat sich kopflos zwischen dich und mich gestellt, er fordert Abrechnung und Abschluß, er zeigt auf seine nackten Schultern ohne Hals und Haupt, sein bubbelndes Blut flüstert, daß ich Auge für Auge, Zahn für Zahn bezahlen soll, eh' ich Erlaubnis bekomme, zu dir zu gelangen! Mein Gott, mein Gott, hat da Bogduroff recht in seiner Stummheit, sind wir alle miteinander verdammenswerte Flegel und Schurken, bin ich selbst nichts weiter, als ein Mörder, ist der Tod das einzige, was ich von meinen Jahren ernten soll, sind alle meine Tage nur noch Schuld und Sünde gewesen, von meiner Geburtsstunde an bis jetzt – ich, der ich doch selbst von einem Weib empfangen und zum Leben getragen bin, so wie alle die anderen?! ...

Wie einen Schimmer sah er auf einmal Marfa Alexandrowna, seine Mutter, vor sich:

Ach, sie wanderte ganz sicher leibhaftig daher, aus der Feuchtigkeit des Meeres, aus der Kälte der Nacht heraus: er erkannte so deutlich ihr rundes Gesicht, weiß und rot unter der Blankheit des schwarzen Haares! Ihren üppigen Mund voll Lachen und Zärtlichkeit! Er erkannte vollkommen ihren großen, sacht wiegenden Gang, ihre mächtige Gestalt von Busen und Lenden ... sie hatte den Nacken ein wenig hintenüber gebeugt, wie immer, die Falte in ihrem Kinn lag scharf und schmal, ihre Augen öffneten sich kummervoll, blau – aber die rechte Hand streckte sie aus, wie in entschwundenen Tagen, die war so sanft und breit und fest: ach, Marfa Alexandrowna, deine gewaltige Brust aus Ruhe und Stille, gib mir wieder den Druck deiner Arme, ihren Frieden! Die holdselige Heimstätte deines Schoßes, wo ich so oft gelegen!

Ja, Mutter, laß mich noch einmal zurückkehren!

Nimm mich zu dir, wie in alten Zeiten!

Laß mich von neuem geboren werden!

Gib mir Erlaubnis, wieder da drinnen zu wohnen, in deinem gesegneten Fleisch, in der Milde und Hilfe deines großen Leibes, in dem Schutz deiner schweren Hüften! ...

Er erhob seine Hände, rang sie verzweifelt, starrte in die Finsternis hinaus, wild, den Blick mit aller Macht anstrengend, sich hineinbohrend in die Gedanken an Marfa Alexandrowna, jammernd vor Sehnsucht, all das Geschehene ungeschehen zu machen, ja, ja, alle seine Tage wieder von vorne zu leben, ganz von der Stunde der Empfängnis an, hörst du, Mutter, um meiner Seele Leben und Erhaltung fleh' ich dich an! ...

Stich für Stich stürzten ihm eiskalt durch den Busen.

Sein Herz zersplitterte spitz.

Er schwankte:

Und plötzlich war es, als ob Marfa Alexandrownas Gestalt sich ihm von neuem zeigte, da draußen vor dem runden Fenster, aber näher als bisher, ganz nahe, so dicht vor ihm, daß er nichts weiter von ihr sehen konnte, als ihre Hüften und ihren Schoß, ach, und im selben Augenblick glitten ihre Kleider zur Seite, einen Moment schimmerte ihm die milchweiße Haut auf ihrem Bauch entgegen, dann platzte auch die auf einmal ... und bebend erschaute er vor sich seines embryonischen Lebens Heim. Ja, wahrlich, das war ihre aufgespeilerte Gebärmutter, die er da draußen in der Nacht sah: wie ein nach unten gekehrter Becher aus glühendem Gold hing sie da, leuchtend, mit dem geschnörkelten Aderornament der feingerippten Wände, leise erzitternd unter dem Schlag des Pulses! Einer hochroten Mohnblüte treibender Kelch! Ein blutiger Rubin! Ach, Mutter, ist es denn wahr, hat Gott das Wunder wirklich geschehen lassen, vermagst du es, daß sich mein Dasein jetzt zurücke wendet!? ...

Ja!

Ach Jesus, Maria!

Im selben Nu schien es ihm, als sei das Mirakel faktisch ganz nahe daran, sich zu vollziehen; als hätten seine Sinne schon ihre Bahnen geändert, als kehrten sie ihre Blicke nicht mehr nach außen – sondern inwendig in ihn selbst hinein.

Sie sprangen gleich reißenden Rissen ganz hinab bis zu dem tiefsten Grund seines Wesens.

Sie sprengten die dunkelsten Pforten seines Gedächtnisses:

Und er konnte sich plötzlich selber da drinnen brütend in Marfa Alexandrownas Innern in der Hucke sitzen sehen: ein sprossender Keim aus Fleisch und Seele, bleich, die Stirn schwer gegen die Knie gestützt, noch stumm, mit zusammengekniffenen Augen, die schlummerten!

Er unterschied ihr Hüftbecken, das dunklen Schatten gleich dahinterstand. Das Blut schwang sich bullernd durch das verfilzte Gewebe der blanken Venen. Die gezackte und schwellende Purpurblüte des Mutterkuchens klebte sich zärtlich über seinen Schädel. Der schwangere Duft ihrer Säfte stieg rauchend um ihn auf, ein lauer Born des Wachstums! ...

Und noch stärker fühlte Peter Romanowitsch es, als ob alle Empfindungen in ihm ganz nach innen starrten, sie beugten sich tief hinab, noch tiefer, zu dem schwindelnden Abgrund seiner Erinnerungen, aus dem langsame Nebel aufstiegen ... und alles, was sie sahen, alles, was sie hörten, alles, was sie empfanden, alles, was von außen her in sie hineindrang – es erweckte uralte Erinnerungen aus dem allerverborgensten in seinem Gemüt, ja, ja, jetzt war es also schon im Begriff zu geschehen, das Wunderbarste von allem!

Die kohlpechrabenschwarze Finsternis der Kammer wurde noch dichter und seidenweicher und schwerer. Er blinzelte glückselig mit seinen Lidern darin. Seine Augen füllten sich mit einem flackernden Flor des Erinnerns: kannte er nicht, ganz tief drinnen auf dem Grund seiner Sinne, wieder diese flimmernde und kochende, diese undurchdringliche und sammetblanke Dunkelheit, aus irgendeiner längst entschwundenen, monatelangen Nacht?

Die dumpfen Stöße der Maschinen stiegen langsam, regelmäßig hinter ihm empor gleich den Schlägen eines Pulses. Er hielt den Atem an, zitternd vor Wonne und Dank, lauschend. Gaukelnde Erinnerungen schritten an seinem Ohr vorüber: hatte er nicht schon früher einmal dies leise Hämmern eines Herzens hinter seinem Rücken gefühlt, in vergangenen Zeiten, noch eh' er geboren war?

Tränen des Jubels und des Staunens rannen ihm über das Antlitz hinab. Es war, als berührten sie seine Haut überall mit Glut und Küssen. Und in allen seinen Fibern hatte er eine unbestimmte Empfindung, als schwimme er wirklich von neuem in dem warmen Mutternaß in Marfa Alexandrownas Fleisch – da, wo er dreiviertel Jahre gelebt hatte!

Ja, ja, alle seine Sinne hatten sich nach innen in sein Gemüt gewendet – und von dort aus wirbelte ein duftgeschwängerter Rauch des Erinnerns empor!

O, mit jeder einzelnen winzigen, alltäglichen Kleinigkeit, die er aus seiner Mutter Leib und Leben kannte, traten neue Erinnerungen vor seine Seele – aus den vierzig Wochen, die er da drinnen in ihrem Bauch gewachsen war:

Jeden Morgen, den Gott werden ließ, hatte er ja undeutlich gespürt: wie ihr Puls, der leise rieselnd auch durch seine Adern wanderte, heißer und stärker geworden war, als zuvor, nach der fruchtbaren Stille und dem Schlaf der Nacht. Ihre Muskeln umspannten ihn fester, geschmeidiger, sie trugen ihn so hoch und leicht!

Die Vormittage war sie auf stundenlangen Spazierritten draußen in Waldluft und Schnee; unter der blauen Halbkugel des Himmels, wo die weißen, kuppeligen Wolken in Reihen vorüberzogen; in dem goldenen Licht der Sonne. Sie ritt dahin durch der weitgestreckten Felder große, blendende Schneewehen, die nach oben zu in einer langen, geraden, scharfen Kante endeten; die Flocken stoben um sie her wie kühle Staubkörner, sie kitzelten ihr Nase und Gaumen, sie machten ihren Atem tief und klar. Oder sie ritt an dem eisbedeckten, klirrenden Fluß entlang – wo die dünnen Laute ihr leise in den Ohren sangen, und wo sich das Pferd zitternd rührte, wenn die Eisschollen mit einem Getöse wie von Schüssen gegeneinander prallten. Oder rings um den blanken, schwarzen See herum: da ließ sie das Tempo in Galopp übergehen, sie lachte wonniglich und laut ... und er merkte, daß der Duft ihrer Adern gewürzig und voll wurde, ihr dunkelrotes Blut sprang kitzelnd durch seinen ganzen Körper, er fühlte sich über die Gängel der gepolsterten Därme geschaukelt, er kniff die Augen glücklich zu und entschlummerte von neuem, er träumte lächelnde Ahnungen von Röte und Essen, von Baden und Lachen in der Frische der großen Ebenen, von Sonne, Sturm und Schnee.

Er fühlte unter seinem Herzen, wie sie an ihn dachte, auch jedesmal, wenn sie aß oder trank: ach, so lieblich von Süße und Salz war alles, was er von ihr erhielt, ja, er lag rund und dick da unten unter ihrem Gürtel und lauschte eifrig und erfahren der leise bubbelnden Stimme aus ihres Magens Werk für ihn: der Laut erzählte, daß sie begriff, jetzt müsse er hungrig sein – und jener, daß jetzt das Essen für ihn bereit war; und dann kroch er entzückt auf seinen Fersen zusammen und sog Wachstum und Stärke durch seinen Nabel in sich hinein, mit kleinen, schlürfenden Zügen: ah, so gut, mehr, mehr!

Wenn sie weinte, so zerrte das in hastigen Rucken um ihn herum: sie weckten ihn aus seinem Schlaf auf, sie hoben ihn unsanft, in Stößen in die Höhe, machten ihn ängstlich und unruhig. Er fühlte das Schluchzen in ihrer Kehle, das gleichsam rufend zu ihm hinabzudringen suchte, um Trost zu finden – er mühte sich, seine Augenlider aufzuschlagen, er breitete seine winzig kleinen, nassen Finger aus und tastete streichelnd auf und nieder an den glatten Wänden seines Heims, die zitterten: warum hämmerte der Mutter Blut so hart durch ihn hindurch, was fehlte ihr nur einmal, weine nicht mehr, ich bin ja hier!

Am Abend, wenn sie, zusammen mit ihrem Mann, in der breiten Stube saß und sang, dort wo nur die eine Ecke erleuchtet war – durch den roten Schein bei dem Madonnenbilde, der leise flackerte – und wo das Räucherwerk vom Ofen her ihre Lungen mit seiner ein ganz klein wenig bitteren Süßigkeit erfüllte, so daß der warme, würzige Duft durch alle ihre Poren in ihn herabsickerte ... dann legte er den Kopf auf die Seite, er konnte seine Ohren ein wenig vornüberbeugen zum Lauschen, die feinen Flocken von Duft strichen so lind durch seine Adern, und an seinem Nabelstrang entlang schritt ihre Stimme mit zitternden Tönen in sein Fleisch hinein. Kleine runzelige Lächeln liefen um seinen Mund und seine Augen, sein Herz versuchte lallend, sich im Takt zu bewegen: singe mehr, Mutter, singe deinem Jungen noch mehr, ich liege so gut ... ich bin völlig wach ... und schlafe ... gar ... nicht!

Und dann schlummerte er wieder ein, ein ganz klein wenig mit den Armen strampelnd, während das lauwarme Wasser rings um ihn her ihn sanft berührte, während ihre Säfte üppig wogend über ihm aufstiegen, während seine Glieder sich streckten und unmerklich wuchsen – – – und er erwachte erst spät nachher, wenn er fühlte, daß lange, vibrierende Zuckungen durch ihre Muskeln jagten. Er spürte, beängstigt, eine Bürde über seiner Seite, ihr Puls ging plötzlich anders als sonst, ach, es wurde so wunderbar warm und stark und süß; er hörte aus ihrem Halse das kurze Freudengebell, er lehnte mit weitgeöffneten Augen den Kopf hintenüber, es schwirrten ungekannte Wellen von Wonne durch sein Gehirn, es stürzte eine Flut von Lust von ihr zu ihm; sie bewegte sich auf einmal wild, es wälzte sich ein Strom von Gluten aus ihrem Schoß, er spannte sein Rückgrat in plötzlicher Sehnsucht und Kraft, ballte seine Fäuste fest ... und dann schlief er wieder ein und wußte jäh: daß er einmal zum Mann und Herrn geboren werden sollte ... jawohl, ja, ach Gott, kä: zum Mann und Herrn!! Nein, nein, ach Marfa Alexandrowna, nimm mich wieder heim, jetzt hast du mir gezeigt, wie glücklich ich bei dir war, laß mich nun wieder bei dir wohnen, laß mich noch einmal von neuem geboren werden, so stark und froh und gut wie du.

Luschinskij fühlte auf einmal das Hacken der Maschinen unter seinen Fußsohlen.

Ein Windstoß strich eiskalt, sausend, über sein Gesicht.

Er lachte bitter und kurz:

Jawohl, kä, aber was sollte es auch wohl nützen, wenn er noch einmal aus seiner Mutter Schoß zur Welt käme?

Selbst das würde ihn ja nicht zu einem anderen und besseren machen können!

Nein, sicherlich, dazu gehörte ein noch weit größeres Wunder!

Ach, könnte er doch noch weiter zurückkehren in Zeit und Dasein, ja, hörst du, Gott, erhöre mein Gebet, erfülle mir dies eine, einzige Mal, um was ich dich bitte!

Ach ja, wenn er doch blitzschnell, durch ein Mirakel, ganz in das blinde, hitzige, nadelspitze Leben zurückgeworfen werden könnte – zwischen Myriaden von Brüdern in seines Vaters Verwahrsam!

Zu den lautlos prustenden Würmern, die sich unaufhaltsam, wild dahinschroben – zwischen dem grenzenlosen, gewundenen Gewimmel der haarfeinen Kanäle.

Zu den stumm knurrenden, mikroskopischen Tieren – die ruhelos vorwärts gejagt werden, von ihrer schäumenden Begier, sich bissig auf den Grund eines mächtigen, schweren, sacht wandernden Eies hinabzubohren ... hu, hei, die Zähne heraus, macht Platz für mich, ich will vorwärts, ich bin der werdende Peter Romanowitsch, stärker als ihr anderen, seht, wie mein Kopf rund und breit ist, mein Schwanz ist länger und dicker als der eure, er peitscht den Schleim um uns zu Schaum, aus dem Wege, weg da, vorwärts, beiseite mit euch, hurra, ich flitze mich in einem Nu durch die zähe, hornige Schale des Eies, zu dem Kern und der Süße alles Lebens hinein, ich ahne unbestimmt, daß ich ohnmächtig werden, daß ich ersticken und sterben muß da drinnen in dem engen Raum ... aber ich weiß auch sehr wohl, daß ich einstmals wieder erwachen werde, gestärkt, vergrößert, verdoppelt, unerkenntlich für mich selbst – und doch ich selber von neuem, immer ich selbst, ich: Peter Romanowitsch! Aus dem Wege mit dir, Iwan! Mache Platz, oder ich schlage dich nieder, ich will vorwärts, ich will hinaus, durch Qual und Tod – hinaus zu des Alllebens Süße und ...

Luschinskij sprang, taumelnd, den Magen plötzlich flach vor Grausen, von seinem Platz auf dem Diwan herab, der Puls hämmerte eisenhart oben im Halse, die Knie waren schwach – zündete Licht an und klingelte Bobr:

Rrrrrrrrrrrr!

Rrrrrrrrrr!

Rrrrrrr! ...

Dann holte er Flaschen und Gläser heraus, klirrend, verwirrt im voraus greinend – und empfing den Kameraden mit gefüllten Pokalen:

»Sieh!

Prosit!

Hahahaha!

Ach, du kleines Fuselschwein! Ah-ha! Bobr, mein süßes Lamm, laß uns noch einmal anstoßen: dein Wohl!

Sieh, da draußen wälzt sich pechschwarz die Nacht hin, nicht wahr, kannst du hören, wie ein heiseres Wiehern aus ihrem tiefen Bauch aufsteigt, es murmelt von Schrecknissen und Totschlag ... jawohl, ganz gewiß, sehr richtig, aber bald ist ... bald ist ihre Zeit ja vorbei, binnen kurzem lege ich mich auf mein grünes Ohr und schlummere, ach, liebes Kind, ich schlafe herrlich in meiner Mutter Schoß ein paar Stunden, dann kommt ja der Tag währenddes zum Vorschein!

Hahaha!

Sei du man ruhig, Bobr: die Sonne glitzert sich leuchtend aufwärts binnen ganz kurzer Zeit!

Ich versichere dich, so-so-so, hab' keine Angst: strahlend erhebt sie sich aus dem Meere, der Tag treibt blank von ihrer Stirn, gleich güldenen Schwertern gehen ihre Blicke vor und töten die Finsternis, ja, ja ihre Gluten von Licht schwippsen heraus, wie Struïns Dolch und erstechen alles Schwarze! Ich will dir einmal von all dem greulichen Blut erzählen, in dem Struïn gestern watete, Herr Jesus, wir ertranken in Wunden und Flüssigkeiten, wir sahen den Krieg im voraus, mir schauderte vor Ekel und Kummer ...

Kä, die Sonne, nicht wahr, vor der ist man gar nicht bange, nein, unseren großen Vater Helios brauchen wir ganz und gar nicht zu fürchten – und vielleicht sind wir obendrein noch so glücklich, die Japaner überhaupt nicht zu treffen! Möglicherweise wird an einem der ersten Tage Frieden geschlossen! Einige von meinen Kameraden sagen: daß alle Mannschaften Meuterei erklären und sich weigern wollen, zu kämpfen, sobald Togo sich nähert: weil die Kanonen so schlecht sind und die Schiffe weder Steuer noch Maschinen gehorchen ... nein, sobald die Nacht um ist, bin ich fast nie mehr bange, das heißt: an den Morgenden bin ich noch nicht ganz sicher, denn du weißt ja auch: daß man niemals ganz sicher sein kann, ob es nun auch die wirkliche Sonne ist, die sich heute da unten hinter dem Horizont hervorbeult! Bedenke, kein Mensch auf der Welt weiß, wenn er den blutroten Globus sieht, der sich aus der See erhebt, ob es die echte Sonne ist – die uns Gott zum Schaden unserer Feinde geboren hat – oder ob es wohl Japans glühende Flagge ist! Aber st! still! laß uns nicht davon reden, ich will nicht sterben – ehe ich mich völlig mit Eudoxia und mit Iwan ausgesprochen habe, sie haben mir beide noch etwas zu sagen!

Aber es ist ja auch noch lange bis zur Morgendämmerung!

Noch ist es Nacht – ach, sag mir, liebst du nicht auch die schwarze und verhüllende Dame, die schweigend an uns vorüberwandert, vom Abend bis zum Morgen, und uns glucksend und lachend unter ihrem Sammetrock birgt – – ja, schluchzend, mitfühlend verbirgt sie unsere Sünden in den Falten ihres dunklen Gewandes: alle vierundzwanzig Stunden erschafft sie von neuem, in Schmerzen, die Rechtschaffenheit in unserer Seele! ... sag mir mal: hast du bemerkt, wie ich, daß man plötzlich zu einem anderen Menschen wird, man wird so zärtlich und so gut, jedesmal, wenn die Dunkelheit unser Antlitz bedeckt??!

Ach, am Tage, da bin ich bei Gott gemein und böse und feige, das sind wir hier alle miteinander – aber jede Nacht, die Gott werden läßt, geht mein Herz in sich selbst hinein, es wird von neuem ganz ausgetragen aus dem Bauche meiner Mutter geboren, es wendet klagend sein Antlitz zu dem tiefen Tor des Himmels empor, und alle meine Sorgen schreiten da hinauf, um Trost zu suchen! Verstehst du es, Bobr: in des Tages Licht bin ich fahl und schlecht – aber in den Nächten wird mein Sinn so mild und wehmütig, meine Adern füllen sich mit der Selbstvorwürfe süßer Melancholie – ich bereue alles schmutzige, was ich begangen habe! Glaubst du wirklich, daß es möglich ist, daß man zwei ganz verschiedene Männer sein kann: einer, wenn die Sonne am Himmel steht, ein anderer, wenn es die Zeit des Mondes ist?

Aber so ergeht es mir!

Ach, ich sage dir: du ahnst nicht, welche Schuld auf meinem Gemüte ruht, du würdest erbleichen, wenn ich dir alles anvertraute! Unaufhörlich brennt mich die Reue mit ihrem glühenden Eisen – wenn die Finsternis hereinbricht! Mit jeder Minute, die vergeht, werde ich ängstlicher und ängstlicher, ich verurteile mich selbst händeringend zu Scheiterhaufen und Flammen und Tod, ich zittere vor Grauen über all das Häßliche, was ich getan habe – sobald der Abend kommt! Sieh meine Knie, wie sie beben; fühle, wie naß meine Wangen sind: nur, weil es Nacht ist, und der neue Mensch in mir aus meiner Mutter geboren ist, mir graut, hilf mir ... kä, liebstes Kind, laß uns jetzt dies alles vergessen, denn hier drinnen brennen die Lichter, ja: meine Stube ist warm und voll und dick von Traulichkeit! Mein kleines Zimmer ist so warm und fein – so wie ein Uterus: findest du nicht auch, daß wir beiden Milchbrüder uns hier unten ausgezeichnet befinden, so gut, so gut, nicht wahr!

Namentlich, weil wir zwei sind! jawohl, wir sind Zwillinge, du und ich, hast du mich ein wenig gern? Wenn du nicht berauscht bist, so ist da ein Blick in deinem Auge, der mich so froh macht, hörst du, ist es nicht schön, daß ich alle Lampen angezündet habe? Sieh, wie der Schein in dem Branntwein in deinem Glas glitzert! Sage mir, Freund, wann war selbst deiner Schwester Auge beruhigender reich, als der Becher, den ich dir hier vollschenke, voll Sonne, Speichel, Seligkeit! Kisss!

Nein, nein, ich selbst will nicht trinken, mir wird so bange vor dem Urteil meines Herzens, wenn ich betrunken bin ... haha, nein, aber du!

Komm her, trinke den Pokal bis auf den Grund aus!

Prost!

Alles, was du haben willst, kannst du in dich hineinsaufen – aber dann sollst du mir auch versprechen, daß ich ganz offen zu dir reden darf. Das ist etwas, was ich dir gestehen will, Bobr, du sollst zwischen uns urteilen, zwischen mir und ihm, verstehst du, ich will es dir anvertrauen: jetzt in der letzten Zeit, habe ich wieder angefangen zu träumen, schlimmer denn je zuvor, ich weiß nicht, was mit meiner Seele vor sich geht, sie ist so böse und schlecht gegen mich, höre jetzt einmal: über Nacht war es mir wieder, als stünde Iwan vor meinem Bett, über den Hals und den Rock heruntertreibend von Rot, kopflos war er, und doch sah ich sein Gesicht so deutlich: ach, es hing wie eine wogende Scholle aus Bekümmernis und Verdruß, es schwamm eiskalt über mich hin wie ein Schauer aus Weinen und Grab ... mein Herz hemmte seinen Gang mit einem Schrei, ich flog aus der Koje heraus, zitternd, klatschnaß vor Schweiß trotz der Kälte, ich fühlte mein Haar erstarren, jedes einzelne Haar tat sich gleichsam auf, und dann blies es mit tausend naßkalten Röhren in mein Gehirn hinein ... nein, höre jetzt einmal, das war es ja gar nicht, was ich dir erzählen wollte: ich meine, so wisse denn, Bobr: in vergangenen Zeiten, da war ich froh und gut und stark, wie Marfa Alexandrowna, damals besaß ich Russias schönstes Weib, sie schlief allnächtlich an meiner Schulter, ihre Brüste waren zwei mächtige Berge aus Süße und Schnee: drei Jahre zog ich selig darauf umher; ihr Schoß war aus Gold und Korallen, ach, mein Freund ... nein, laß mich die reine Wahrheit reden in dieser grenzenlosen Nacht, denn du sollst zwischen uns richten, zwischen Iwan und ihr und mir: nein, sie war vielleicht nicht die Schönste, aber sie war meine Geliebte, verstehst du mich dann, und in der ganzen Welt war kein Mensch außer mir, aus dem sie sich etwas machte, ach, es hat nie eine so schöne, so sanfte, so frohe Frau gelebt; wenn wir am Morgen miteinander erwachten, dann faßte sie mich oft mit der linken Hand ans Kinn und kniff aus aller Macht zu und lachte und starrte und sagte: Ach, Peter Romanowitsch, vergiß mich doch nie, ich bin über Nacht so glückselig in deinen Armen gewesen ... hörst du es, Bobr, und darum habe ich ihr hundertmal versprochen, daß, wohin ich auch käme, immer, immer, immer, würde ich zu Eudoxia zurückkehren! Ja, ich habe es ihr geschworen, daß ich mich niemals verheiraten wollte! So lange ich lebte, wollte ich sie niemals verlassen! Bis zu meiner letzten Sekunde wollte ich ihr immer und ewig treu bleiben! Gleichgültig, wo ich sei – ob ich im Gefängnis wäre, ob ich krank, elend, sterbend wäre: ewiglich wollte ich zu ihr zurückkehren!

Verstehst du mich nun, Bobr, und seine Versprechungen soll man halten! ...

Komm her, trink noch ein Glas, langweilt es dich, daß ich dir dies alles anvertraue, jawohl, ich begreife es so gut, aber du lieber Gott, Freundchen, ich muß dir das Ganze erzählen, du sollst mir ja sagen, wieviel ich verkehrt gemacht habe!

Und warum redest du nicht auch selbst, im Grunde solltest du ja drauflos plaudern; mein Gehirn ist so müde, laß du nur den Mund laufen, du Esel, ach, Bobr: in alten Zeiten war es so eine Kleinigkeit für dich, mich wie ein Besessener lachen zu machen, hast du seither deinen Humor eingebüßt? Tanze mir einmal deinen berühmten Kasatschok aus entschwundenen Tagen vor ... oder nein, hör jetzt nur ernsthaft zu, jetzt will ich ohne Umschweif reden: verstehst du, ich war es, der Iwan tötete! Das heißt, hör jetzt genau zu: Ich habe ihn nicht totgeschlagen ... aber ich gab ihm ein Glas Kognak, und als er das ausgetrunken hatte, da sagte ich, es wäre Gift! Ich schrie es ihm ins Ohr hinein, ich kläffte es ihm sozusagen bis auf den Grund seines Kopfes, ich schwur ihm bei allen Göttern, jetzt hätte ich ihn gemordet ... hörst du Bobr, begreifst du nun das Ganze: daran ist er gestorben! Aber in dieser Nacht, gerade als mein Herz wieder geboren war, da träumte ich plötzlich von meiner Mutter, ach, sie stand so leibhaftig vor mir, ihr Haar war, seit ich sie zuletzt gesehen, ganz weiß geworden! Du weißt nicht, wie ihre Augen vor Kummer und Schande brannten, sie streckte händeringend ihre Arme nach mir aus, wir waren alle beide so bange, wir jammerten und klagten miteinander, sie strich mir über die Stirn, ich fühlte ihre Finger so zärtlich, ach, ich merkte ihre Tränen, die mir bitter in den Mund hinabliefen, und ich lauschte mit aller Macht nach dem, was sie flüsterte; ich konnte es nicht hören, ach, Mutter, ich konnte nicht verstehen, was du sagtest, deine Brust war so groß und so kühl, ich schluchzte vor Sehnsucht nach dem Schutz deines mächtigen Schoßes; weißt du noch: damals, als ich ein Knabe war, nahmst du mich so oft mit dir hinaus, wenn du reiten wolltest, ich saß hinter dir auf dem Sattel und hielt mich um deine Taille fest; ich konnte ganz um dich herumkommen, ach, innen in meinen Armen kann ich mich noch erinnern, wie sie so wunderbar um dich lagen; Mutter, warum habe ich dich so lange vergessen; erzähle mir, was es war, das du mir zuflüstertest: daß ich sterben solle, um meine Schuld zu sühnen ... warum soll ich das nur, dann werde ich ja Eudoxia niemals wiedersehen, ach Gott, ich verstehe dich nicht, aber ich entsinne mich deines Schoßes, der so tief war und so milde, laß mich dahin zurückkehren ...«

Aber bei diesem Punkt war Bobr so tief in die Flasche hineingetaucht, daß seine Moral zu steigen begann – und bei Luschinskijs letzten, heißen Worten entzündete sich jäh eine spirituöse und heilige Flamme in seinem Busen:

»Wie?

Sprichst du so, ohne dich zu schämen, von dem Magen deiner Mutter, du Schweinsklaue, pfui Deubel!« – und er schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch, dieser Bobr, schnaubend, die Mundwinkel blank von Schnapp und Schnaps – und sagte darauf, daß er nicht die Bohne an Peter Romanowitschs Erklärung bezüglich dieser Sache mit Iwan und dem Gift glaube, hikk, keine Spur! Lügen und Quatsch, mein Geliebter, mein süßer Honigfreund, der du aus Hundedreck gemacht bist! Mir kannst du nich' einbilden, daß Iwan hingehen sollt' und krapieren, bloß von wegen du ihm so 'ne dreckige Lügengeschichte aufgebunden hast! Unsinn, aber nu sollst du auch, so wahr ich meines, Vaters Sohn und ein guter Christ bin, hören, was sich auf solche Art Mordbrennerei gegen einen von meinen Kameraden gehört!

Den will ich woll rächen, aber gründlich, ha! Wart' du man bloß! Von mir soll die Vergeltung kommen wie ein Bli-itz! Und da hast du das als Anfang, nimm du das!

Tju!

Bitte schön!

Willst du noch me-me-mehr? ...

Und damit stieß Bobr ganz unvermutet seine rechte geballte Faust mit einem Raballer in Luschinskijs linken Kiefer hinein.

Peter Romanowitsch fühlte den Schlag, als sei es ein Kanonenschuß, der ihm den Kopf zertrümmerte.

Er gewahrte im selben Nu ein feuerrotes Tuch vor seinen Augen, wälzte sich brüllend wie ein Stier über Bobr – und dann schlugen sie sich beide an der Erde herum, stoßend und schäumend ... bis Luschinskij ihn allmählich aus der Arena herausgehornt hatte ...

Aber dergleichen Gefechte – samt Bobrs beständig wiederkehrenden Erklärungen, daß er, verdammt und verflucht, früher oder später dem Heimgegangenen schon auf irgendeine Weise Genugtuung verschaffen wolle – das alles bewirkte ja freilich, daß Peter Romanowitsch einigermaßen schnell alle Freude an diesen Zusammenkünften einbüßte.

Es geschah daher seltener und seltener, daß er dem Burschen klingelte – und in den letzten vierzehn Tagen der Fahrt sahen sich die beiden Genossen nur des Morgens.

Traurig genug – an und für sich.

Denn etwas mußte ja doch getan werden, wenn die gewöhnliche Abendeinsamkeit polternd auf Luschinskij herabstürzte und seine noch vorhandenen Knochen zu Grus oder Pulver zermalmte.

Und Peter kam also auf die Idee, augenblicklich Licht anzuzünden, wenn der Anfall kam, alle Kleider in einem Ruck vom Leibe zu reißen, Hemd wie Wollzeug; und sich darauf vier-, fünfmal in ein paar Decken oder auch in dreie einzurollen – denn die Nächte waren nämlich tüchtig kalt jetzt, um diese Zeit, wo man bereits den südlichen Teil des Chinesischen Meeres passiert hatte und in den sogenannten östlichen hineingelangt war – jawohl, allmählich äußere ordentlich erfahren darin, stillende Mittel gegen Ohnmacht, Krämpfe und Tod finden zu müssen, wickelte er sich wild, von Kopf bis zu Fuß, in seine gelben Merinos, so daß alle Poren der Haut kribbelten, brannten, schwitzten und unaufhörlich gekratzt und gescheuert werden mußten: jetzt an den Schultern, dann am Hinteren, nun brach das Kitzeln an den Hüften hervor, und gleich darauf piekste ihn ein brennender Punkt hinten zwischen den Lenden, zum Teufel auch, hallo, hallo, jetzt ist es wieder hier unter der Fußsohle, haha, ja, ich danke, nicht wahr, krriw-krrriw-krrr, akkurat als wäre man ein einziges Gewimmel von Juckpulver, Läusen und Flöhen von oben bis unten, das gab was zu tun, Herr Gott noch mal zu, man hatte keine Gedanken für etwas anderes als Nägel, Reiben und Eggen!

Wenn er dann endlich diesen Sport satt hatte – der im übrigen erstaunlich lange fortgesetzt werden konnte: denn je mehr er sich scheuerte und in der Wolle herumfuhr, um so wärmer, schweißiger und enervierter wurde er, und dadurch wurde das Kitzeln nur noch stärker, was ja gerade der Witz bei der Sache war, verstehen Sie – –: aber müde werden konnte man ja doch; da war faktisch ein gewisser Punkt, der von selber Stopp sagte; nämlich wenn das kitzelnde Gefühl allmählich in Schmerzen überging, sich anfühlte, als seien es brennende Stiche von langen, scharfen Pflöcken – und die ganze Haut zerplatzte plötzlich gleichsam in Flammen mit lautem Geheul ... ja, wenn das also geschah, dann streckte er sich verzweifelt in seiner ganzen Länge aus, biß die Zähne zusammen, ließ die Wolle jucken wie sie wollte, klemmte seine Augen gewaltsam zu und hakte sich mit allem Vermögen fest in die weißen Erinnerungen an Eudoxia ... alles, um auf diese Weise der Erinnerung an Iwan oder an Bobrs Brandreden über Rache oder an gewisse von den Kollegen zu entgehen: o, Gorkin, nein, nicht jetzt, liebster Leonid Ssemenowitsch, lasse mich diese Nacht in Frieden, nur diese eine Nacht – und im übrigen hast du mir ja gar nichts vorzuwerfen, bedenke doch: Du warst es ja selbst, der den Kampf begann, du überfielst mich in Finsternis und Schaum, ich stand da draußen allein, und du wolltest mich zu Tode erdrosseln! ...

Er versuchte, herzklopfend, den gleißnerischen Stößen des Wassers gegen die Brust des Schiffes zu lauschen; dem leise knurrenden Pusseln des Steuerapparates, dem stöhnenden Gang der Maschinen. Er spannte, lautlos jammernd, sein Ohr an und schien das schwache, schlürfende Schmatzen unterscheiden zu können, mit dem sich die Ölpumpen bewegten. Er horchte, bebend, den flachen Schlägen des Glases von Wache zu Wache. Er versuchte, wie weit er zählen konnte zwischen jedem Auf- oder Niederstampfen des Schiffes – er strengte sich verwirrt an, um nicht das gedämpfte, heisere, über die Decke Hinschurren von einem oder des anderen Kameraden Tritt zu überhören ... bis er sich plötzlich bei allerhand gefährlichen und herben Spekulationen über dies Geräusch ertappte: war es etwa Bogduroff, der keine Ruhe finden konnte, vor dem ewigen Reden seiner Verschwiegenheit? Oder war es nicht vielmehr Starck? Glich es nicht weit eher seinem Schritt: vermochte er nicht etwa das zu vergessen, was ihm Peter Romanowitsch heute abend serviert hatte, betreffs Mura-o-a: war das der Grund, weshalb er so rastlos dort oben hin und her schlich; war sein Mund schief vor Sorge, waren seine Wangen kalt vor Bitterkeit, biß ihn das Herz in die Kehle, während er hier oben drüber hin und her trabte? ... Oder nein, im Gegenteil, ne: wahrscheinlich war er es nicht, sondern Kadett Reitzenstein, der schwarzäugige, viel zu warme Kriegerjunge, der da umherraste und sich kullerig brütete über die Schmutzbalje von Ausschelte, die man heute vormittag im Beisein der Leute über seinen glühenden Schädel ausgegossen hatte, Herr Gott, das kleine Kind, siebzehn Jahre: warum zum Teufel nahm er sich denn auch so zu Herzen, was ein anderer in Wut gesagt hatte, ärgere dich doch nicht so darüber, mein Freund, ich habe es ja gar nicht so schlimm gemeint, es war etwas vollständig Fremdes und Verrücktes, was in meinem Gemüt aufbrauste, so geht es mir jeden Tag, ich kann dich gerade so gut leiden, ich bereue schon, was ich damals gesagt habe, vergiß es, vergib es, zum Kuckuck auch, Kadett, so sei doch ein Mann und pfeife auf die Torheit und Verrücktheit der anderen ... nicht wahr, wie, sollte man nicht, kurz und gut, sofort aus dem Bett aufstehen, sich in einen Mantel wickeln und da hinaufgehen, um dem Jüngling ein paar angenehme Worte als Ersatz und Pflaster zu sagen?! ...

Jawohl, und damit fing es alles von neuem wieder an, ihn zu durchtosen – so wie in jeder Nacht:

Alles Erbärmliche, was er über Gregorow gedacht hatte, hier wie da. Etwas geheimnisvoll Bitteres, was er beim Diner zu Praxin bemerkt hatte. Anvertraute Worte, über die er öffentliche Witze gemacht hatte, betreffs Simoff, der im Himmel war, vergib mir meine Schuld! Eine, gelinde ausgedrückt, Gemeinheit hatte er über Struïn und den Sadismus an der Frühstückstafel in Umlauf gebracht!

Hunderte von Grobheiten und blutigen Beleidigungen gegen Matrosen und Unteroffiziere: dem alten Bootsmann Struwe hatte er, hol' mich der Teufel, heute nachmittag ins Gesicht gespuckt, wie war das nur möglich! Kanonier 422 hatte er zur Mittagszeit mit einem Knall über das Schienbein getreten, wie roh! Dem Gemeinen 397 hatte er heute morgen eine grauenvolle Strafe aufgebrummt, bis er umfiel, wegen einer mangelhaft verstauten Hängematte: vierzehnmal hintereinander hatte er ihn die Steigeisen des Mastes aufentern lassen bis zu der obersten Rahe und wieder herunter, auf und nieder, nieder und auf, das Ganze mit seiner Lagerstätte auf dem Nacken, und in einem rasenden Tempo! Jawohl, mein Gott, ja, er sah alle diese Gesichter, eins nach dem anderen vor sich: schäumend, erbleichend oder blutrot, kläfften sie sich durch seinen Blick in seine Kehle hinab, sie zerrissen sein Herz mit Fingern und Nägeln, sie traten es unter die Füße ... ja, ja, und trotz allem wußte er sehr wohl, daß er nicht imstande sein würde, sich morgen viel besser zu betragen, und auch übermorgen nicht, nie würde das wieder gut werden, ehe die Fahrt beendet war! Tag für Tag mußte er genau dasselbe tun, wie alle Kameraden, nur des Nachts war er sein eigener Herr ... war er also, kurz und gut, wirklich verrückt und geisteskrank geworden, war er unvermutet und jäh mitten durchgeschnitten, in zwei höchst verschiedene Teile: in einen nächtlichen und einen täglichen? War er gänzlich wahnsinnig, genau so wie die anderen, oder waren es etwa nur ganz einfach die dunklen Pläne aus Praxins Vorschlag, die Leute dahin zu bringen, daß sie das Ganze haßten? War es eine Tollheit, die sich brausend aus dem nahen Rachen des Todes erhob und sie alle mit Heulen und Brüllen durchtobte? ... und gleichzeitig brannte sein Busen unauslöschlich von Weh und Weinen: ach, 397, ich sehe noch die Qual deiner brechenden Augen vor mir, unsäglich schmerzvoll schoben sie sich aufwärts als du gefallen warst, deine Stirn war treibend naß von Schweiß, und inwendig in deinem linken Knie fuhren die Knorpel fort auf und nieder zu beben, noch während du ohnmächtig dalagst ...

Luschinskij sah 397 ganz und gar vor sich, so wie er da oben auf dem Deck gelegen hatte.

Er beugte sich über ihn nieder.

Mit keuchender Brust, mit taumelndem Kopf – betrachtete er wild das Gesicht des Mannes, aus dem alles Blut weggesogen war, eine kreideweiße Fratze aus Perlen und Wachs ... und im selben Augenblick kam es ihm vor, als zerplatze diese ganze, bleiche Haut in Risse und Spalten, klatschnaß und rot hob sich das Fleisch in Blasen heraus – und plötzlich war es Iwan, der da lag, mit seinem Stummel von Hals, aus dem das Blut hervorquoll, Hilfe, Hilfe, Hil-fe! ...

Auf diese Weise vergingen die Tage und Nächte in der Woche vor der Schlacht:

So lange der Tag währte, benahm sich Luschinskij in einem und allem genau so, wie alle seine Kameraden. Aber mit jedem Abend krabbelte er eine Viertel- oder eine Halbestunde früher in seine Kammer hinab und wälzte sich dort einsam herum in Scham und Kummer – bis sein Sinn langsam, über hundert Schluchten von Wunden hin, gegen Morgen endlich von neuem geboren wurde und stolpernd in seine Heimat, in seine Wohnung, zu Eudoxias weißem Busen voll Ruhe und Linderung zurückkehrte ...

Ja, ja, Peter Romanowitsch wanderte Nacht für Nacht mühsam zurück auf seiner Seele dunklem, ewigem Grunde – während das Geschwader Schritt für Schritt dem des Meeres entgegen wankte!

Ach Gott!


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