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Hier mochte derselbe wohl ein gutes Stündchen geruht haben, als ihn mitten aus dem süßesten Schlummer ein von der Straße kommendes, niemals erhörtes Schreien erweckte. Der brave Mann, der Meinung, wenigstens ein Erdbeben rüttle die Stadt zusammen, sprang erschreckt empor, an das Fenster, und streckte, noch vom Schlafe taumelnd, den Kopf hinaus. Da scholl ihm von allen Seiten ein unermeßliches Gelächter entgegen, während er sich beständig die Augen rieb, zu sehen was es gäbe; denn was er wirklich sah, schien ihm ein Traum, und in der Tat, jedermann hätte sich an seiner Stelle die Augen gerieben, wie Don Antonio; denn Markt und Straße, Fenster und Balkone, selbst die platten Dächer hoch und niedrig, wimmelten überall, überall von Kahlköpfen, die alle nach ihm gewendet, Gläser oder Flaschen in den Händen und Mützen und Hüte schwenkend und in die Luft werfend, aus vollen Hälsen schrien: »hoch lebe Don Antonio, Don Antonio der brave Kahlkopf! Er lebe, lebe, lebe, lebe ho–ch! und abermal ho––ch und zum drittenmal ho–––ch!« Während dem wurden ihm von einzelnen immer Handküsse zugeworfen. Viele schlugen sich ans Herz, indem sie beständig heftig und schnell wiederholten: »Mein Don Antonio! Mein Don Antonio! Mein Don Antonio! Mein Don Antonio!« Hierauf wurden Flaschen und Gläser bis auf den Boden geleert und alle hielten ihm die Nagelprobe hin. Da gedachte Don Antonio des Vorfalles von neulich; die Augen wurden ihm vor Freuden fast ein wenig naß; doch er faßte sich, sprang vom Fenster, fuhr eilig in seinen besten geblümten Schlafrock, nahm eine Flasche Wein und ein großes Glas, trat auf den Balkon, schenkte sich ein und rief: »hoch leben alle braven Kahlköpfe, da unten, da oben, und rechts und links, und im Himmel St. Peter mit uns allen!« Hierauf schwang er sein Glas, trank es ebenfalls bis auf den Boden leer und wies die Nagelprobe nach allen drei Seiten und nach unten und nach oben herum, daß jedermann sie sehen konnte; sodann warf er das Glas wider einen Pfeiler seines Palastes, daß es zu Staub auseinander sprang. Ein allgemeines Jubelgeschrei stieg nun rings um ihn empor, worein sich von dem höchsten Dache daher ein so mißtöniger Lärm von sonderbaren Blasinstrumenten ergoß, daß der Jubel sich dort umher in ein lautes Gezisch und gellendes Pfeifen verwandelte. Ja, man warf sogar mit allem, was man erlangen konnte, nach jenem Dache, bis die Lärmtrompeter lachend auseinander liefen, deren Harmonie ganz allein in der Meinung bestanden hatte: je toller der Lärm, je besser der Tusch. Sie hatten sich dazu nicht allein aller Arten verbogener und verdorbener Blechinstrumente bedient, sondern zum Teil aus Gießkannen, Dachrinnen und mächtigen gewundenen Seemuscheln ein Geheul hervorgebracht, wie man es sonst wohl nur in den afrikanischen Wildnissen zu hören bekommt. Der Nordoststurm, welcher bereits mit großer Heftigkeit über jenes Dach herwehte, hatte das Schariwari durch seine Schwingungen noch viel mißlautender gemacht, so daß jedermann zufrieden war, es beseitigt zu wissen. Nun erst gewann Don Antonio Muße, die versammelten Schwärme der immerwährend jubelnden Kahlköpfe genauer zu betrachten. Er bemerkte nun erst, daß fast niemand in gewöhnlicher Tracht zu sehen war. Alle hatten sich mehr oder minder phantastisch vermummt. Einige stellten uralte Waldgötter vor, besonders häufig sah er Männer in Toga, oder vielmehr in reinliche Tisch- und Bettücher eingehüllte Leute, die gewaltig wichtige Mienen annahmen oder anzunehmen bemüht waren. An alten Priestern und Philosophen war ebenfalls kein Mangel; denn zu seinen Füßen zankten sich allein zwanzig Sokratesse, von denen jeder behauptete, ganz allein der echte Sokrates zu sein, weil er zuerst diesen Einfall gehabt. Don Antonio ward von allem dem sehr ergötzt und nickte jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem lagen Stabe, der oben mit einem Blumenstrauße geziert war, zu den Streitenden und sprach: »Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht!« Da waren alle still, nur einer fragte: »wer ist der Er?« »Pythagoras!« war die Antwort. Hiermit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, auf Don Antonios Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: »Er läßt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen.« »Wer läßt mich bitten?« fragte Don Antonio. »Pythagoras!« war die Antwort. Hierbei trat der Herold seitwärts und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als er sagte: »Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur laßt mich erst meinen Schlafrock hinwegtun!« Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich, sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Tor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen, als die geheimnisvollen Fünf, die ihn immer weiter geleiteten, die Straßen entlang, endlich vor Don Carlos Palaste zuerst im Kreise herum, dann im Viereck, dann im Dreieck, endlich durch das bekränzte Tor in den Palast selbst hinein, durch weite Hallen, welche von Kahlköpfen angefüllt waren, die sich alle zugleich vor ihm verneigten in langen stummen Reihen – als zwei Flügeltüren sich vor ihm auftaten und einen Saal eröffneten, welcher, so groß er war, dennoch von griechischen und arabischen Philosophen und Magiern und ägyptischen Priestern erfüllt war. Schweigend und sich neigend tat die Menge sich voneinander und Don Antonio ward genau in den Mittelpunkt eines Halbkreises geführt, welchen auf hohen Thronen sitzend, die sieben alten Weisen bildeten, jeder nach seiner Art phantastisch dekoriert. Auf den Lehnen der Throne stand, zu besserem Verständnis, jedwedes Name. Jeder hielt einen gewaltigen Papierstreif mit großer bunter Schrift in den Händen. Don Antonio las zuerst auf dem Zettel Perianders, welcher sehr ernsthaft darein sah, die wichtige Frage: welches Gericht ziehet ein Jeder unter euch allen andern vor? Bias hielt ebenfalls auf einem großen Zettel die Antwort: ein Gericht Trüffeln, wo nicht zu viel Pfeffer oben auf ist. Bei Thales aber war zu lesen: ein Gericht Wachteln, von denen keine weder zu fett noch zu mager ist. Anacharsis Zettel hatte: dicke Maccaroni mit feinem Käse; des Kleobulos: einen Salat, bei dessen Bereitung der Essig mehr als das Öl gefürchtet wird; des Chilon: einen guten Meerfisch, bei dem man weniger auf die Gräten achtet als auf das Fleisch. Endlich hatte des Solon Zettel: ein Ragout, worin die Zunge das eine Stück nicht geringer schätzt wie das andre. Ein achter Thron, ziemlich in der Mitte des Bogens, war noch unbesetzt und ohne Wahlspruch. Ein großer Vorhang daneben schien einen neunten Thron zu verbergen. Schon eine Weile stand Don Antonio so da und harrete der Dinge, die da kommen sollten. Der Herold und die vier Geschornen hatten ihn bereits verlassen. Niemand sprach zu ihm. Alles war totenstill. Der Sturm, welcher draußen tobte, verhüllte die untergehende Sonne mit schwarzem Gewölk, und Dunkelheit erhub sich. Da fuhr es plötzlich um alle Wände des alten Saales wie ein feuriger Drache wild daher und vierzig große Wachsfackeln brannten auf einmal entzündet. Zuerst erschrak die ganze Versammlung und Don Antonio mit; aber als ein Pulvergeruch und Dampf sich verbreitete, brach die vorher stumme Menge in ein schlecht verhaltenes Gelächter und teilweises Husten aus, welches jedoch bald ein dumpf donnernder Paukenwirbel verschlang, bei dem niemand merken konnte, wo er herkam. Da ging plötzlich unter lautem Trompetenschall der Vorhang des neunten Thrones auf und Don Carlo stand vor demselben phantastisch als Pythagoras gekleidet, in einem Purpurgewande mit goldnem Diadem auf dem Haupte, wohinter ein Feuerrad zischend seine bunten Wirbel von Funken warf. »Bravo!« schrie alles. Aber der Herold des Pythagoras hob seinen Blumenstab und rief: »still, er spricht!« Da ward es still, das Feuerrad platzte, die Menge lachte von neuem, Pythagoras aber sprach: »Männer des Lichts, Inhaber weniger Locken und vieler Weisheit, die Stellung der Gestirne, die neue Harmonie von neun Welten begehrt – warum ist den Göttern bekannt und mir – auch unter den Weisen anstatt der alten Zahl Sieben die Zahl Neun als neue Zahl! Noch aber ward sie nicht erfüllt, denn ich, Pythagoras, trat zu euch als Achte. Darum würdiget eure Blicke diesem Throne zuzuwenden, der zu meiner Rechten prangt. Saget selbst, verlangt er nicht seinen Weisen so gut wie die andern? Antwortet, jedoch nicht mit menschlicher Rede, sondern mit stummer Verbeugung; denn Pythagoras will niemanden reden hören als sich selbst.« Da verneigten sich alle, nur zwei der sieben Weisen bohrten ihm Esel in aller Stille, welches Pythagoras ebenso still erwiederte, sodann aber feierlich weiter sprach: »Die Neune zu der Achte steht dahier! es ist der allbeliebte Kahlkopf Don Antonio, welcher das Eiland Ischia durch sein Dasein verherrlichet. Betrachtet diesen glänzenden Scheitel, welcher gleich dem Helme der Minerva blitzt und die Bewohner der Erde mit seinem Leuchten in Erstaunen setzt, während das Herz, welches in der Brust dieses Philosophen pocht, ein reiner Karfunkel von gütigem Wohlwollen ist. Sei es euch genehm, glückselige Fässer der himmlischen Weisheit, daß ich ihn auf den ihm allein gebührenden Thron geleite!« – Da neigten sich alle sieben Weisen, die Esel wurden wieder gebohrt und erwiedert; Pythagoras aber ging die Stufen seines Thrones hinab und führte Don Antonio unter Trompetengeschmetter und Paukengewirbel an den Thron zu seiner Rechten, trat sodann wieder zu dem seinigen und sprach, während Thales auf einem Kamme blies, feierlich weiter: »wie glückselig sind doch wir, welche von den neun Thronen der Weisheit empor getragen ruhn und der himmlischen Sphären Musik und Harmonie vernehmen! Wohl uns! Gleich edlen Früchten ließen wir unsres Haupthaars schattige Blüte fallen, um besser am Sonnenstrahl zu reifen: nun, unmittelbar vom Strome des Lichts getroffen, blicken wir beruhigter in das harmonische Durcheinander des unbegreiflichen Weltalls. Schweige die Stimme der Verleumdung, welche von einigen unter uns besagt: nicht Minerva hat sie kahl gerupft, sondern Bacchus und die Göttin, die, von kahlen Delphinen gezogen, mit ihrem Muschelwagen auf Paphos landet. Schweige diese Stimme vor dem ehrwürdigen Haupte Don Antonios, an welchem sich klar erzeigt, daß die unermüdlichen Gedanken solches schaffen, wenn sie Maulwürfen gleich im Gehirn des Menschen arbeiten und mit tiefsinnigem Grübeln die Wurzeln der Haare hinwegzupfen oder ausstoßen; – und doch, doch entging der vortreffliche Don Antonio nicht dem Spotte zweier Sterblicher, welche noch blind in der Finsternis ihrer Locken umhertappen, bis Saturn oder die andern Götter sie kahl machen. O ihr Spötter, tut auf die Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet, was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elefant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Tieren mit Fittigen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niedern Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstät, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns – und welcher Weise wollte das nicht gern tun – lasset uns besonders jene Wesen liebreich in Betracht ziehen, welche das längste Haar zu tragen pflegen, nämlich die Frauen und Mädchen. Lassen wir gegen dieselben von unsrem Stolze, nehmen wir sie freundlich auf in die Arme unsrer Weisheit, und schämen wir uns nicht mit dem anmutigen Geringel ihrer Locken zu spielen und zu tändeln; denn die Weisheit verlangt vor allen Dingen Gütigkeit und Herablassung.«
Nach diesen Worten fiel der Vorhang wieder herab um Pythagoras, und Bias, dem er einen Esel gebohrt, erhob sich und wollte reden; was er aber sagen wollte, bekam niemand zu hören: denn zu derselben Zeit vernahm man aus den andern Sälen einen Lärm, der immer näher und näher kam und am Ende die sieben Weisen aus ihren Rollen brachte. Selbst Pythagoras kam hinter seinem Vorhange hervor und fragte, was es gäbe. Da riefen einige Stimmen von außen: ganz in der Nähe des Ufers sähe man ein Fahrzeug in großer Not des Sturmes; bei der dicken Finsternis vermöge man nicht einmal zu erkennen, ob es nicht schon an den vorliegenden Klippen gestrandet.
Da warf Don Antonio seinen Mantel hin und sprang hinaus, Freund Pythagoras tat ein Gleiches, und bald standen sie an dem schwarzen Lavaufer, zu welchem die See mit furchtbarer Gewalt herauftobte. Hinter ihnen sammelten sich fast alle Genossen des Festes in ihren bunten Masken. Das Meer leuchtete weiß von Schäumen, und alle bemerkten nun im Schein der vielen Fackeln, welche der Wind nicht verlöschte, weil man mehrere zusammenband, daß nicht allzu fern vom Ufer an einem Riff eine große Barke gestrandet.
»Zündet ein mächtiges Feuer an, daß man besser sehen könne,« rief Don Antonio, »ich will in dieses Boot steigen, wer folgt mir?« –
Da sprang der alte Schiffer Jakob hervor und sprach: »Herr, laßt mir das Ruder!«
Auch Pythagoras trat heran und rief: »wo mein Antonio ist, bin ich auch!« –
»Laßt mich zu meinem Herrn!« schrie Pietro, und drängte sich mit einem Pack von Seilen durch das gaffende Volk, welches die Kühnen vergeblich aufzuhalten strebte. Sie rissen sich von den haltenden Armen los und stießen ein kleines Boot vom Ufer, in welches sie geschickt hineinsprangen. Antonio und Carlo hatten Fackeln in den Händen, Jakob und Pietro ruderten. Ein Feuer am Ufer, von Bränden aus der Küche zusammengetragen, loderte schnell hoch empor und erleuchtete das Meer, so daß man die Barke, welche nicht fünfzig Schritt vom Ufer lag, sogleich für eine von Ischia erkannte. Mit Erstaunen sah man nun, wie ruhig der alte Jakob sein Ruder in den entsetzlichen Brandungen handhabte. Pietro richtete das seine genau nach dessen Bewegungen, die er scharf beobachtete; denn wie jener, war niemand geschickt im Beurteilen der daherrollenden Wogen: er wußte von den wildesten, welchen Lauf und Schwung sie an diesem Ufer nehmen würden, arbeitete kräftig gegen das obere Wasser und ließ sich, wo dieses flach wurde, von dem zurückrollenden Unterwasser in See treiben. Der verworrene Schaum, welcher den Unkundigen am meisten schreckt, ward von ihm ganz gering geachtet, wenn er auch zuweilen die Rudernden fast zu begraben schien. Antonio und Carlo mußten die Fackeln oft hoch emporheben. So tanzten sie mutig über die Wellen und gelangten bald zu der gestrandeten Barke.
Hier war große Not, denn das Fahrzeug lag umgeworfen zwischen Klippen, die Mannschaft aber fanden sie rings in den Wellen zerstreut, teils schwimmend, teils an einzelnen Klippen festgeklammert. Da warfen Don Antonio und Carlo Seile aus, woran sich die Schwimmenden halten konnten. Etliche der hineingefallenen Seeleute schwangen sich trotz des Schwankens bald geschickt zu ihnen in das Boot, und halfen Andere mit herausziehen. Als nun das kleine Boot voll Menschen war, hieß sie Don Antonio an der Klippe, woran die Barke gestrandet, aussteigen, wo eine kleine sandige Bucht dies erlaubte. Sie sprangen hinaus: die Viere jedoch fuhren nach den Andern, die um die Felszacken geklammert mehr schrien als nötig war. Auffallend jedoch war es den beiden Rettern, daß sie nur Wenige, wie es doch sonst gebräuchlich ist, bei den Haaren aus dem Wasser ziehen konnten; denn faßten sie irgendeinen Haarschopf, so blieb er ihnen in der Hand und der schreiende Mann als Kahlkopf um den Felsen geklammert, bis sie ihn am Kragen oder an den Händen ergriffen und heraufzogen. Endlich schienen alle glücklich nach der höheren Klippe gebracht zu sein; der Herr der Barke zählte sie, und fand auch, daß niemand mehr fehle. Da zogen die vier Helden ihr kleines Boot auf den Sand der Klippe; denn sie mußten wahrlich ein wenig ruhen. Aber ein lautes Jubelgeschrei erhub sich am Lande, als man durch Zeichen gemeldet hatte, die Mannschaft sei gerettet. Indem sah Don Antonio die gestrandete Barke von einer Welle bewegt und rief: »das Meer wendet sie, werft sie vollends herum.« Da faßten alle daran, und sieh, es gelang. Die Barke ward wieder flott. Der alte Jakob sprang zuerst mit seinem Ruder hinein; ihm folgten die andern Seeleute, zuletzt Pietro mit dem andern Ruder, und, was niemand gedacht hätte, diese Leute brachten die Barke, wie wohl halb voll Wasser, glücklich nach dem jubelnden Strande. Die Passagiere waren noch auf der Klippe bei Don Antonio und Carlo, welche nun glücklich zwei der vielen umhertreibenden Ruderstangen auffischten und damit aufs neue das Boot bestiegen. Es währte lange, bis sie die furchtsamen Passagiere beredeten oder vielmehr beschrien, wieder mit einzusteigen; doch gelang es ihnen zuletzt, und nun zeigten die beiden Herren, daß sie von den Insulanern nicht die Letzten im Rudern waren; denn was Jakob und Pietro getan, vollbrachten sie mit gleicher Geschicklichkeit, und landeten glücklich in einer Sandbucht mit dem furchtsamen Häuflein der Passagiere.
Ein allgemeines Lebehoch und Bravoklatschen erhub sich, als die beiden Helden das Ufer betraten, und übertäubte den Donner der Brandungen; aber während sie den Geretteten nach und nach aussteigen halfen, huschten die Fröhlichsten und Gewandtesten der Zuschauer hurtig in den Palast und kamen bald mit Blumengewinden daher gerannt, welche sogleich ein ausnehmend zierlicher Plato in Empfang nahm, die Besieger der Wogen feierlich und anmutig zu kränzen. Die Helden weigerten sich zuerst der Ehre; doch als die Menge mit Schreien und Bestürmungen nicht nachließ, mußten sie sich wohl in den allgemeinen Willen ergeben. Sie neigten die lockenarmen Scheitel, um sie stattlich geschmückt wieder zu erheben. Der zierliche Plato sprach mit einer sonderbaren Baßstimme ziemlich feierlich, welches ihn jedoch nicht hinderte, die beiden Herrn während der Bekränzung schalkhaft am Ohre zu zupfen, worauf Don Carlo augenblicklich sagte: »Mein lieber Plato, du bist« – Donna Teresa, wollte er sagen; da hielt ihm die Maske den Mund zu. – »Seht, ich hab Euch erkannt an Eurem Necken,« flüsterte Don Carlo, »Ihr könnt es nicht lassen!«
»Verratet mich nicht!« flüsterte die Maske; denn es war wirklich Donna Teresa, welche die Bekränzung der Helden zu einer griechischen Tracht so zierlich zu ordnen wußte, daß, wer irgend nahe stand, immer von neuem Beifall rief und klatschte. Durch das allgemeine Zujauchzen schritten sie dahin wie Sieger in Olympia. Don Antonios hohe Gestalt erschien von dem blühende Kranze ganz verjüngt, und viele sprachen laut: »es ist wahrlich ein stattlicher, schöner Mann!« Don Carlo glich mehr einem gutmütigen behaglichen Anakreon. Die beiden andern, Jakob und Pietro, wußten ihre Bekränzung ebenfalls recht liebenswürdig zu tragen, sie nahmen unwillkürlich feinere Manieren an und setzten die Füße bedeutend zierlicher als gewöhnlich.
Mit dieser fast heroischen Szene der Bekränzung wechselte nun augenblicklich eine, welche gerade das Gegenteil von heroisch war. Als nämlich die Geretteten, noch von Schreck zitternd und ernsthaft klappernd vor Kälte, sich um das hochlodernde Feuer sammelten und in den nassen Kleidern hell beleuchtet dastanden, erhub sich um sie her ein ganz unermeßliches Gelächter; denn es waren, zum Erstaunen aller, sämtlich Kahlköpfe, die, so durchnäßt, gleich gebadeten Mäusen, recht erbärmliche Figuren abgaben. Als sich dieselben nun so verlacht sahen, wollten sie alle davon; aber man ließ sie nicht so bald hinweg. Man hielt sie und sah ihnen mit Gewalt genauer unter die Augen. Da ward einer nach dem andern erkannt und sein Name laut ausgeschrien ohne alle Barmherzigkeit. Es waren jene heimlichen Kahlköpfe, welche so plötzlich Geschäfte halber nach Neapel abgereiset. Wie aber erstaunte jetzt Donna Teresa in ihrer Maske, da sie unter den verlachten Jammergestalten von ehemals heimlichen, nun öffentlichen Kahlköpfen auch ihre beiden lockigen Anbeter entdeckte. Sie zitterten und klapperten wie die Störche, und wenn Vater Homerus jemals recht hatte zu sagen: nichts vermöge den Mann mehr zu verwüsten als das Meer, so hatte dieser große Poet hier dreimal recht. Die Ärmsten waren kaum mehr wieder zu erkennen. Ihre netten Kleiderchen waren überall zerrissen und hingen schlapp und triefend herab um die allzu schlanken Leiber. Ihre Locken hatte die Wut des Elementes fast rein hinweggespült. Immer versuchten sie durch die Menge zu dringen, welche sie, grausam genug, am Feuer zurückhielt, mit der neckenden Weisung: »sie möchten sich erst noch ein bißchen wärmen!«
Da trat Don Antonio hinzu. Wie vor einem Könige ward Platz vor ihm, und er sprach zu den grausamen Lachern: »Lieben Freunde, wie drollig es sich gefügt hat, daß auch diese Kahlköpfe zu uns geraten müssen, lasset sie nun hinweg, sie bedürfen trockener Kleider; die aber lasset uns ihnen verschaffen! Das wird ihnen wohler tun, als euer Lachen.« Hiermit nahm Don Antonio den nächsten besten der Frierenden an den Händen, und die Menge wollte sie eben hindurchlassen und begleiten, da rief Don Carlo: »Halt! noch wollet sie nicht entlassen, ihr liebwerten Freunde; dahier bin ich Herr und werde mein Strandrecht zu gebrauchen wissen. Hört mich an, ihr unglückseligen Seefahrer, wes Standes und Amtes ihr sein möget. Der Himmel hat euch, mittelst der gewaltigen Seewogen, auf meinen Grund und Boden kommen lassen, um euch zu zeigen, wie großes Unrecht ihr beginget, als ihr Einladungen verachtetet, welche diese Männer da überall mit großer Anstrengung ausgetrommelt und abgesungen. Darum wollet nun meine zweite Bitte, die zwar nicht so festlich getrommelt und gelärmt wird, aber ebenso freundlich an euch ergeht, besser in Ehren halten; gebt mir euren Handschlag, daß ihr heute noch auf mein Fest zurückkommen wollet, so bald ihr euch umgekleidet, wozu ihr auch bei mir Gemächlichkeit findet. Sehr angenehm ist mein Bankett angebrochen worden, wenn ihr es bald mit eurer Gegenwart vermehrt und verschönert. Fürchtet euch nicht vor Spott, der Spott wird eher müde werden, als die Freude. Laß das Lachen über dich ergehen, so bald du gefehlet, sagt der fromme Sirach. Diese Lehre wollet nicht verachten, sie steht auf gutem Grunde. Kommt und lachet mit uns, die wir allzumal Kahlköpfe sind und mehrenteils weniger Locken haben als ihr, die ihr nochmals freundlich geladen seid.«
Diese Rede, gesprochen von dem Manne, der sie eben aus den wilden Wogen und den Zähnen der Haifische gerettet, verfehlte die Wirkung nicht: die Verspotteten überwanden sich und gaben Handschlag und Versprechen, an seinem Feste teilzunehmen. Der Spott der Umstehenden verlor sich nun in harmlosen Jubel. Einige Rechenmeister, welche die Gäste vorhin gezählt hatten, freuten sich, daß ihrer nun noch anderthalb Dutzend mehr geworden; die Klapperstörche selbst aber wurden in ein hübsches Zimmer an ein breites prasselndes Kaminfeuer gebracht und alles beeiferte sich und tummelte sich mit Don Carlo und Antonio, den Leib der neuen Gäste mit trocknen Kleidern zu erfreuen und mit erwärmenden Getränken: welche dieselben bald wieder so auf die Beine brachten, daß einer nach dem andern anfing zu lachen, zuerst, weil die fremden Kleider die sie erhielten, einigen ganz possierlich standen, sodann über das sonderbare Durcheinander, welches sie im Hause selbst wahrnahmen. Dieses war entstanden, weil die Sturmszene mit den Gästen auch viele Diener Don Carlos an das Ufer gelockt, wo sie die Zeit mit Gaffen, Zurufen, Angst um den Herrn, Bravoklatschen, Vivatschreien und Auslachen hingebracht hatten. Deshalb ging nun der Sturm im Hause los. Der Haushofmeister, außer sich vor Zorn, lief scheltend hin und her, und jeder wollte nun das Versäumte mit übermäßiger Eile wieder nachholen. Daher kam es, daß hier und da welche mit Schüsseln zusammenrannten, so, daß die Katzen und die Hunde manches zu lecken bekamen, das eigentlich für die Herrschaften bestimmt war. Die beiden Herren, Antonio und Carlo, mußten sich auch etwas am Feuer trocknen. Die Abwesenheit des Hausherrn vermehrte daher die Unordnung, und unter dem mutwilligen Volke der Gäste gab es, wie wir wissen, Leute von aller Art, die gern lachten und sich an der Verlegenheit anderer ergötzten. Diese bemühten sich, hier und da entstandene Irrtümer zu vermehren, riefen die eilfertigen Diener mit fremden Stimmen, schickten sie rechts, wo sie links gehen sollten; dazwischen tobte der Haushofmeister hin und her: so wurden die tollen Verwirrungen immer drolliger; bis endlich Don Carlo wieder zum Vorschein kam. Er mußte selber über die wilde Wirtschaft und das entsetzliche hin und her Gespringe lachen, hatte jedoch seine Plage, bis er alles wieder ins rechte Gleis brachte. Die Sitzung der neun Weisen fortzusetzen und Bias Rede von dem Throne zu hören, war nun nicht mehr Zeit; denn die Throne mußten gerückt werden, weil die erhöhte Bühne, worauf man sie errichtet, die eigentliche Haupttafel aufnehmen sollte, woran Don Carlo mit seinem Antonio und dessen nächsten Freunden Platz zu nehmen gedachte. Man konnte von dort aus alles am gemächlichsten übersehen. Die Gäste wurden deshalb einstweilen in andern Zimmern mit allerhand Erfrischungen bewirtet und wußten sich mit allerlei kleinen Späßen sehr angenehm die Zeit zu vertreiben, wozu die vielerlei Masken reichlich Veranlassung gaben. Bias begann, trotz aller Verhinderungen, immer wieder von neuem seine Rede zu halten, wurde jedoch jedesmal wieder von einem neuen Tumulte unterbrochen, der aus irgendeiner drolligen Szene bestand, welche bald diese bald jene Masken mit großem Lärm dazwischen schoben. Aber als er nun zum sechstenmal begann und wieder unterbrochen wurde, verschwor er alles und jedes Redenhalten, schlug sich auf den Mund und blieb den ganzen Abend stumm wie ein Fisch. Von dieser letzten Unterbrechung darf der Erzähler nicht schweigen, weil sie einen Hauptteil der Unterhaltung bis zum Essen ausmachte. Mehrere Spaßvögel hatten nämlich eine große dicke Puppe von allerhand Kleidern zusammengestopft und derselben eine Perücke, die sehr drollig war, aufgesetzt. Diesen Balg brachten sie nun auf einem Sessel herbeigeschleppt und setzten ihn an die Tür des Zimmers, wo Bias aufhörte zu reden, weil ein Arlekin, welcher den Balg geleitete, furchtbar anfing zu trommeln, sodann aber marktschreierhaft die Stimme hob und rief: »Ihr ehrlichen Kahlköpfe samt und sonders! Dieses Bild stellet für die heimlichen Kahlköpfe, die sich etwa noch irgendwo auf der Insel oder anderwärts verborgen halten! Bei großer Strafe darf hier niemand aus und eingehn, er hebe denn diese zierliche Perrücke weg und schlage dem Bild auf den Scheitel!« – Das Bild war auch so drollig zusammengestopft und der Scheitel unter der Perrücke so einladend elastisch, daß jedermann dem lustigen Gebote Folge leistete. Jeden Augenblick erhielt der Balg einen andern Namen, nach irgendeinem, den man für einen heimlichen Kahlkopf hielt, zuletzt aber, als zum Essen geblasen wurde und alles da hindurch ging, bekam er unter dem Namen Don Ciccio solche Schläge, daß Arlekin ihn beständig wieder aufrichten mußte. Bias schlug ihn vor Zorn gar auf die Perücke selbst, wobei er sich empfindlich in die Finger stach: er merkte zu spät, daß einige Locken nur mit Nadeln angesteckt waren, und Solon sprach zu ihm, die Perücke hebend: »Alles mit Maß, lieber Freund! Alles mit Maß!« und schlug so derb auf den Balg, daß Arlekin anmerkte: »o Solon, Solon, Solon! Wenn das dein Maß ist, so ist es nicht von den kleinen; da siehe, Don Ciccio ist außer sich!« – »Wirklich, der Balg ist geplatzt,« sprach Solon, und half hineinstopfen, was herausgefallen war. Arlekin band alles mit einem Strick zusammen und das Klopfen ging wieder los. Als die Menge sich gänzlich in die Speisesäle verteilt hatte, nahm Arlekin den Balg und setzte denselben auf eine Erhöhung hinter ein kleines Tischchen, aber vor ihn eine Schüssel Papierschnitzel, und schrie laut: »Sehet wie hier Don Ciccio Maccaroni speist.«Maccaroni sind eine Art Regenwürmer die man von Teige formt und abgesotten mit geriebenem Käse bestreut, oder sonst auf allerlei Art bereitet verspeist: ein Lieblingsessen der dortigen Einwohner, welche danach zuweilen Maccaronifresser benannt werden. , Damit schnitt er dem Balg einen Mund und stopfte demselben nach und nach die Papierschnitzel hinein; aber nach jedem Bissen mußte Don Ciccio sich mit Kopfnicken bedanken, worüber die es sahen, viel zu lachen hatten. Alle Gäste nahmen nun Platz an den Tafeln, welche sie mit Wein und Speise ganz vortrefflich besetzt fanden. Mit Erstaunen sahen sie nun nicht allein ganze Vögel und Fische darauf; sondern sogar ganze Rehe, ganze Schweine, ganze Kälber waren auf Gerüsten so künstlich aufgestellt, als wollten sie gebraten noch davonlaufen. Alles war mit Blumen und Fruchtkränzen geschmückt und mit vergoldeten Zitronen umsteckt. Bei jedem großen Braten war Platz gelassen für die Zerleger, welche von allem reichlich austeilten; die Diener ermahnten überall mit lustigen Sprüchen zum Essen. Aber den ungeheuren Schwertfisch brachten acht weiß gekleidete kahlgeschorene Köche tanzend und singend hereingetragen: voran kamen die Dudelsackpfeifer und bliesen. Man trug ihn erst an allen Tafeln umher, damit ihn jeder sehen möchte, zuletzt aber setzten sie ihn keuchend auf einen Tisch nieder, welcher in der Mitte des großen Saales war. Viele Gäste standen nun auf, um das Ungeheuer in der Nähe zu betrachten, die Schüssel dazu war ein mächtiges Brett, welches man mit einem reinen Tischtuch zierlich umwunden. Hier lag der gewaltige Fisch, der sonst die Tiefen des Meeres durchtobt, auf einem weichen Bett von Lorbeerblättern und grünem Salat und war mit Schuppen von bunten Scheibchen überdeckt, die man aus Zitronen, Sellerie und gelben und roten Rüben zierlich ausgeschnitten. Sein langes grausames Schwert war nun mit blühenden Rosen umwunden, die Flossen aber so viel wie möglich ausgebreitet und mit kleinen Blümchen besteckt. Als der Zerleger Hand an ihn legte, schenkte Don Carlo seinen schönen Pokal von böhmischem Glase voll, stand auf und brachte folgenden Toast aus:
»Ehrenfeste, teure Gäste! Wie das Fischchen Auf dem Tischchen Seiner Art das größte beste Ward erfunden In den Sunden, Also ist von allen Männern Aller Orten, Wie in Worten So in Taten, rechten Kennern Wohl der wahrste Beste klarste Wunderbarste Größte rarste Mann Antonio. Wer eben Wie ich denke Denkt, der schenke Voll und ruf: hoch soll er leben!« |
»Hoch lebe Don Antonio!« scholl es in allen Sälen wie aus einem Munde, keine Stimme blieb nach, und ein Tusch von Pauken und Trompeten mischte sich dreimal wiederholt in das dreimalige Klingen der unzähligen Gläser. Da nahm Don Antonio seinen vollen Pokal, stand empor und sprach, sich ehrerbietig verneigend:
»Edler Wirt, achtbare Gäste! Die Gedanken Euch zu danken Drängen sich bei diesem Feste: Wer von Herzen Weiß zu scherzen, Dem gebührt die schönste Krone! Wer in Leiden Wie in Freuden Gleiche Huld zeigt, den belohne Liebesneigung, Gunstbezeigung, Ruhmersteigung, Kranzverzweigung! Der uns diese Lust gegeben, Mein geliebter Nie getrübter Carlo soll in Freuden leben!« |
Bei diesen letzten Worten umarmte Don Antonio seinen Carlo, und während das Lebehoch von allen Seiten wiedertönte, drängte sich die Erinnerung an manche Not und manche Freude, welche die Freunde gemeinsam übertragen und genossen, vor ihre Seele, so daß in beider Pokale Tränen inniger Rührung fielen, indem sie den duftenden Purpur des Weines schlürften.
Als sich nun alles wieder gesetzt hatte, wurde die Unterhaltung bei dem so festlich besungenen Schwertfische, von dem jeder zu essen bekam, und durch den feurigen Wein immer lebhafter, und lachende Scherze flogen her und hin.
Don Carlo hatte schon eher vergeblich den schönen Plato gesucht, welchem er einen Platz an Don Antonios Seite bestimmt. Er stand nun auf und ging überall umher ihn von neuem zu suchen. Vergeblich: er war verschwunden.
Aber als der freundliche Wirt so durch die langen Säle ging, ward ihm von allen Seiten freundlich zugenickt und zugetrunken. Da saß mancher arme alte ehrliche Mann an dem Tische, dem es sein ganzes lebenlang noch nicht so gut geworden war, und letzte den alten Gaumen an den trefflichen Speisen, und der Duft des köstlichen Weines wob süße Träume um seine Sorgen, daß er wie mit fremden Backen in die Welt hineinlachte. Darüber freute sich der brave Don Carlo von Herzen. Auch war es wirklich schön zu sehen, welche reine, heitere Fröhlichkeit überall verbreitet war. Selbst als die Lust etwas ausgelassener wurde, ward kein Scherz übelgedeutet. Die Tugend des Wirts hatte sich über die Gäste ergossen. Auf und ab in allen Sälen tanzten verschiedene Reimer, welche sich in neckenden Versen auf die Anwesenden zu übertreffen suchten. Besonders zeichnete sich ein rechter Kahlkopf, Namens Bennardo aus, ein Schiffer, den man gern auf allen Barken wie einen Ruderer bezahlte; obwohl er sein Ruder nur obenhin einzutauchen pflegte, so verstand er doch so lustige Lieder zu singen, daß die übrigen ihrer Plage ganz vergaßen und um so schneller ruderten. Dieser war an jenem Abende so übermütig mit Neckereien, daß ihn zuletzt etliche lustige Vögel, die er zu sehr geneckt, mit Gewalt ergriffen und ihm die zwanzig dreißig Haare, die er noch haben mochte, völlig auszupften. Sodann trugen sie ihn mit großem Gepränge herum, setzten ihn auf einen Thron und nannten ihn Kahlkopfkönig. Trotz alledem verlor er die gute Laune nicht, und hatte er vorher die Leute mit seinem Witze geneckt, so tat er es jetzt als König noch weit verwegener und stolzer und war im Reimen ganz unerschöpflich.
Immer lustiger und allgemeiner ward das Treiben. Endlich kamen auch die Frauen vieler Anwesenden, in Masken, zu sehen, was ihre Männer eigentlich vorhätten und um sie tüchtig zu necken. Da gab es denn manche sehr drollige Szene, besonders wenn der Kahlkopfkönig sich mit seinem Spotte darein mischte, über welchen sich die Frauen tot lachen wollten. Don Antonio, dessen Nachbarn ebenfalls mit ihren Frauen scherzten, ward davon zuerst herzlich erfreut; er verlor sich aber darüber nach und nach in Gedanken an sich selbst und war fast ein wenig traurig, – als eine sehr natürlich nachgebildete Maske mit langem Stabe zu ihm herangewankt kam. Es war ein betagter Eremit mit langem weißen Barte, welchem die greisen Glieder so heftig erzitterten, daß Don Antonio ihm, als er sich auf den Stuhl ihm zur Seite niederließ, fast unwillkürlich beistehen mußte. Sobald der Alte sich, wie es schien, ein wenig erholt hatte, begann er mit tremulierender Stimme zu Don Antonio: »Mein teurer Don Antonio, mich will es fast wundern, daß Ihr so ernsthaft darein sehet bei diesem fröhlichen Feste, da es doch selbst mich Abgelebten, welcher bereits geraume Zeit aller Welteitelkeit entsaget, mannigfaltig und reichlich ergötzt hat. Sollte dieser bunte Wirrwarr Euch die Weltlust vollends verleidet haben, o, so wär ich nun zu guter Stunde von meiner Einöde herabgekommen, da ich vielleicht Gelegenheit finde, den für die wahre Einsamkeit zu gewinnen, welcher sich inmitten dieses fröhlichen Getümmels bereits einsam zu fühlen scheinet, denn einsam ist beständig – die Seele, wenn sie betrübt ist. Und Ihr seid betrübt, Don Antonio. Saget mir, was betrübet Euch? Schüttet mir altem Greisen das Herz aus, kommt in meine Waldeinöde, da könnt Ihr allen Kummer den Lüften des Himmels geben, ich will Eurer Seele warten und pflegen wie eines neugeborenen Kindleins; aber sagt mir, Don Antonio, was betrübt Euch? Was betrübet Euch?« –
Diese letzte Frage war mit so natürlicher Innigkeit gesprochen, daß der Befragte bald versucht worden wäre, den Eremiten für einen wirklichen zu halten, wenn der Greis ihm nicht bei diesen Worten eine Hand gereicht hätte, welche sich zarter anfühlte wie Sammet. Verwundert streichelte Don Antonio die sanfte Hand, welche seinen Druck innig wiedergab, und sprach: »Ehrwürdiger Vater, gern wollte ich Euch als einem welterfahrenen, betagten Manne mein ganzes Herz ausschütten; aber das zarte Frauenhändchen, welches Ihr mir soeben reichet, macht mich in meiner Aufrichtigkeit irre.« –
»Nun, so will ich meine Hand zurückziehen!« sprach der Eremit.
»Nein, laßt mir das Händchen, es gefällt mir!« sprach Don Antonio streichelnd.
»Ach, mein lieber Don Antonio,« fuhr der Eremit da, wie erschrocken und sehr ernsthaft tremulierend, fort, »wenn Euch, selbst bei dieser welken Hand eines greisen Mannes, Frauenhändchen in den Sinn kommen, so seid Ihr wahrlich sehr entfernt vom einsamen Leben, und ich glaube fast, daß in Eurem Herzen weltliche Liebe wohne mit ungestilltem Verlangen, welches Euch selbst bei diesem fröhlichen Gelage so traurig machet. O lasset fahren die falsche Sehnsucht, denn ein Weib, das eine Person wie die Eure verschmähen kann, muß eine sehr eitle weltliche Törin sein, welche Locken an Euch suchet, wo sie Euch fehlen, welche die Annehmlichkeit Eurer Gespräche weder zu würdigen weiß noch Euer wohlwollendes Herz zu ehren, welche blind ist für die Schönheit Eurer Gestalt und die Anmut Eurer Gebärden und das Ansehen, in welchem Ihr bei den Bewohnern dieses Eilandes stehet. Darum lasset sie vergehn in ihrem eitlen Dünkel und folget mir in meine Waldeinsamkeit, wo der unschuldige Gesang der Vögelein erschallet; dort will ich Euer Herz von weltlichen Gedanken reinigen und Euch die Seele stärken mit dem Troste der Eremiten, bis Ihr den Himmel offen über Euch sehet, der Euch nunmehro von düstern Wolken des Grams verborgen ist.«
Während der Eremit solches mit großer Salbung sprach, bemerkte Don Antonio den Ring Donna Teresas an dem Finger des zarten Händchens, welches er noch beständig festhielt; wußte jedoch die Freude, welche bei dieser Entdeckung ihn überwallte, schlau zu mäßigen und sprach: »Ehrwürdiger Eremit, dein weises Gespräch überwältigt mein Herz, und das Leben, welches ich bisher geführet, wird mir davon mehr und mehr zuwider. Ich will es ändern und dir folgen in deine Waldeinöde: dort will ich bei dem Gesange der Nachtigallen an den Lehren deines Mundes hangen, gleich einem Bienchen, welches Honig aus dem Kelche der Blumen sauget. Aber beweise mir nun auch, daß auch dich nichts mehr an die Welt bindet.« – »Und womit soll ich dir solches beweisen, mein teurer Sohn?« fragte der Eremit.
»Damit,« sprach der neugeworbene Schüler, »damit, daß Ihr mir das weltliche Geschmeide lasset, welches Ihr eben traget.« Hierbei blickte Don Antonio ihm nach dem Halse. Der Eremit aber, seines Ringes vergessend und nur dem Blick Don Antonios folgend, sprach: »Nehmt das Geschmeide hin, ich habe keines!«
»Doch, doch,« sprach Don Antonio, und unverwandt nach dem Halse blickend, zog er den goldenen Ring von dem zarten Fingerchen; »seht da her! Mein ehrwürdiger Vater, dieser Ring ist viel zu weltlich für Einsiedler!«
»Gebt ihn mir zurück,« sprach der Eremit etwas betroffen, »es ist der Trauring meiner Mutter.«
»Das weiß ich,« sprach Don Antonio neckhaft bestimmt, »ich kenne ihn gar wohl und hatte schon lange Verlangen darnach. Es ist etwas Wunderbares um den Ring eines frommen Eremiten; denn nun ich ihn an meinen Finger stecke, fällt jede weltliche Betrübnis wie Schuppen von meinen Augen, und ich sehe den Himmel über mir offen und heiter.«
»O, treibt den Scherz nicht zu weit, gebt mir den Ring wieder!« sprach der Eremit – plötzlich mit Donna Teresas Stimme.
»Glaubt Ihr denn, ich scherze?« sprach Don Antonio sehr ernsthaft; »nein, mein ehrwürdiger Vater, es ist mein völliger Ernst, wenn ich sage: der Himmel ist über mir offen, seit ich Euren Ring besitze.«
»Ihr besitzt ihn nicht, Ihr habt ihn mir genommen, Don Antonio!« –
»Ihr habt ihn mir gelassen, er ist mein, ehrwürdiger Vater, bedenkt, als ich um Euer Geschmeide bat, sagtet Ihr, nehmt es hin!« – »Wohl, aber ich sagte dazu: ich hätte keines, woraus Ihr sehen könnt, daß ich nur unachtsam war.«
»Unachtsam? Ei, ei,« sprach Don Antonio, »wenn so fromme, betagte Lehrer noch unachtsam sind, wie sollen wir arme Schüler sein?« –
»Gebt mir den Ring wieder,« sprach Donna Teresa und wollte ihn mit Gewalt von seinem Finger ziehen; aber Don Antonio hielt ihn fest und ihre Hand dazu und sprach: »Ei, ei, mein ehrwürdiger Eremit, Ihr seid schlimmer als ich den weltlichen Dingen ergeben, wenn Ihr so heftig nach diesem Ringe verlanget, welcher doch nun mein ist; bedenkt: Andrer Eigentum begehren ist große Sünde!«
»Gebt mir den Ring wieder!« sprach Donna Teresa und rang noch heftiger darnach: als von dieser Bewegung die Maske, welche nicht allzuwohl befestigt war, – plötzlich herabfiel, so daß der entzückte Don Antonio ihr schönes Gesicht von hellen Tränen der Rührung überströmt sah, welchen sie bisher unter der Maske nicht Einhalt getan. Nun aber suchte sie, weil Don Antonio sie nicht fortließ, ihr verlegenes Erröten in den Falten des Eremitengewandes zu bergen, als – Don Carlo, welcher schon ein gut Teil der Szene mit angehört, ihr in die Augen sah und sprach: »Wie? Ringe werden gewechselt? Masken fallen ab und Tränen fließen? Darüber muß ich meinen Mantel breiten, bis ich den Notar geholt!« Hiermit warf er seinen weiten Pythagorasmantel um die Liebenden und verschlang ihn so, daß ihn beide nicht so bald entwirren konnten: ja das Entwirren ging so langsam, daß einige meinten, beide blieben gern so verborgen, der Philosoph sowohl als der Eremit.
Als sie endlich den purpurnen Vorhang, der sie umschloß, erhoben hatten, stand ein kleines Tischchen vor ihnen, woran Cicero saß und eine Feder schnitt. Es war der Notar des Ortes, welcher den beiden Willigen einen Ehekontrakt in zwei Worten zusammensetzte, den beide mit zitternder Hand unterschrieben, während kristallne Tränen des Entzückens darauf hinabfielen. Pietro und der alte Jakob, welche den Tisch herbeigebracht, klopften vor Freuden in die Hände, ergriffen beide den Pythagorasmantel und hielten ihn, auf zwei Stühlen stehend, als einen Baldachin hoch über die Glücklichen, während lautes Geschmetter von Trompeten und Pauken sich in ein allgemeines Jubelgeschrei und Händeklatschen mischte. Die Jubelnden riefen einstimmig: »das ist die Krone des ganzen Festes!«