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5. Im Harem des Radschas

Tief im Innern Indiens liegt die Provinz Berar mit der Hauptstadt Akola. Baumwollen-, Reis- und Teefelder bezeugen den Fleiß der Bewohner. Längs der von Krokodilen wimmelnden Flüsse ziehen sich undurchdringliche Wälder hin, und in den mächtigen Dschungeln lauern Königstiger und Panther auf Beute.

Etwa eine Meile von der Hauptstadt erhob sich in idyllischer Lage ein Bungalo, ein großes Landhaus, der Lieblingsaufenthalt des Radschas Radscha ist die Bezeichnung der indischen Fürsten, über mehrere Radschas herrscht ein Maharadscha von Berar. Es war das Serail des Fürsten; hier verträumte er mit seinen Weibern in träger Ruhe sein Dasein, denn die mohammedanische Religion Buddhas lehrt, daß Nichtstun vor dem Bösen schütze, und Nana Sahib war ein Anhänger des Propheten.

Die Umgebung des prächtigen Landhauses forderte aber auch geradezu zum Träumen auf.

Duftende Jasminspaliere bildeten Lauben, durch die dichten Haine rieselten murmelnd klare Quellen, die an ihnen Ruhenden in Schlaf wiegend, und wo die Natur nicht selbst solche Ruheplätze geschaffen, da waren künstliche Grotten, leichte Häuschen und Pavillons aufgeführt.

Die indische Sonne, durch ihre furchtbare Hitze alles lähmend und doch wieder so gewaltig zeugungskräftig, brütete über diesen paradiesischen Gärten und ließ Blumen, Büschen und Bäumen laufend betäubende Wohlgerüche entströmen.

Auf der Landstraße, die von Akola nach dem Bungalo führte, sprengte eine glänzende Reiterkavalkade dahin, voraus einige Vorreiter, hinterher eine Unmenge von berittenen Dienern, die ständige Begleitung jedes indischen Fürsten, und in der Mitte der Schar auf einem kostbaren Rappen Nana Sahib, der Herrscher des Landes.

Der Radscha sah nicht die Schönheit der Umgegend; finster blickte er vor sich nieder, und immer wieder stieß er dem edlen Tiere die silbernen Sporen in die Weichen, daß es schmerzlich aufwieherte und in größerer Eile dahinsprengte. Ein furchtbarer Grimm lag auf dem abschreckend häßlichen Gesicht des jungen Fürsten; nur ab und zu blitzte es in seinen Augen wie Triumph auf.

Seine kleine, plumpe, aber große Muskelkraft verratende Gestalt umhüllten weite seidene Gewänder, der weiße Turban war in die Augen gerückt, die im Gürtel steckenden Waffen funkelten von Juwelen.

Vor dem Hauptportal, das zum Hofe führte, hielt der Zug; nur der Radscha sprengte hinein, sprang ab und trat ins Haus, während Diener das Tier fortführten. Der Troß verschwand in einem Seitenflügel.

Einige Minuten später durchschritt Nana Sahib in einfacher Kleidung ein weites, luxuriös ausgestattetes Gemach. Beim Eintritt in dasselbe glaubte man sich in das Paradies versetzt, das Mohammed seinen Gläubigen als den Sitz der ewigen Seligkeit verheißt.

In der Mitte des Raumes schleuderte eine Fontäne kristallklares Wasser zur Decke empor; plätschernd stürzte es in ein marmornes Becken zurück, in dem sich Goldfische tummelten.

Um die Säulen des Gemachs rankten sich blühende Gewächse, die Wände schienen nur aus Laubgeflecht zu bestehen, und mächtige Palmengruppen bildeten natürliche Lauben.

Um das Marmorbassin und an den Wänden entlang zogen sich Diwans mit seidenen Kissen, auf denen fünf reizende Weiber lagen. Es waren Hindumädchen, wunderbar schöne Wesen mit samtartiger, weicher Haut und großen schüchternen Augen. Halb durchsichtige Gazegewänder verhüllten knapp die ebenmäßigen Glieder, deren Schönheit verratend.

Dies war der Harem Nana Sahibs, und das waren seine Weiber, welche ihm als Sklavinnen mit Leib und Seele gehörten.

Die Frauen beachteten nicht weiter den Eintritt des Gebieters, ein scheuer Blick streifte ihn, dann führten sie wieder den Schlauch des Nargilehs zum Munde, stießen süßlich riechende Tabakswölkchen aus, wedelten sich Kühlung und naschten aus silbernen Schalen Konfekt.

Auch der Radscha hatte kein Auge für die Schönheiten seiner Frauen; mit stolzem, aufrechtem Gange schritt er achtlos an ihnen vorüber. Er verlangte keine Liebe, sondern nur unbedingten Gehorsam.

In einer Laube befand sich ein Wesen, das eigentlich nicht in einen orientalischen Harem paßte, und das man doch in jedem findet. Auf dem Diwan lag ein Mann mit tierischem Gesicht und fetter, aufgedunsener Gestalt. Bei dem wohlbekannten Tritte seines Gebieters sprang er erschrocken auf, denn als Eunuche, als Haremswächter, gehörte er an die Tür.

Mit auf der Brust verschränkten Armen verneigte sich dieses seiner Mannbarkeit beraubte Geschöpf tief.

»Ayda?« fragte Nana Sahib im Vorbeigehen kurz.

»In ihrem Gemache,« antwortete der Wächter mit übermäßig hoher Stimme, dem Kennzeichen des Verschnittenen.

Noch mehrere Gemächer hatte der Radscha zu durchschreiten, bis er die Gesuchte fand.

In dem kleinen, fast nach europäischem Geschmack eingerichteten Zimmer lag eine Frau auf dem Diwan, der man ansah, daß sie keine Indierin war. Wohl war sie in einheimische Gewänder gehüllt, und ihr Antlitz von südlicher Schönheit, aber ihre Gestalt besaß jene Eleganz, die man im Orient nicht findet.

Was dort nicht zierlich ist, ist plump oder fett, dieses Weib dagegen besaß den üppigsten und dabei herrlichsten Gliederbau; das weite, aber sehr dünne Gewand schmiegte sich eng an die wunderbar vollen Formen an, ein Gürtel umschloß die schlanke Taille, und der zurückfallende Ärmel enthüllte den schönsten, blendendweißen Arm. Fürwahr, sie war das schönste der Haremsweiber, keins derselben konnte ihr das Wasser reichen, und deshalb nannte Nana Sahib Sie auch seine Lieblingsfrau; die übrigen gehorchten ihr.

Träge lag sie auf dem Diwan und las – auch wunderbar für ein Haremsweib – einen englischen Roman. Der Eintritt des Radschas ließ sie nur matt aufblicken. Erst als sie seinen seltsamen Gesichtsausdruck bemerkte, stutzte sie und erhob sich halb.

»Was war es, das dich nach Akola zum Gouverneur rief?« fragte ihre wohltönende Stimme.

»Nichts von Bedeutung,« entgegnete er rauh, »auch alle andern Radschas waren dahin beschieden. Wir unterzeichneten den Glückwunsch zur Verlobung der englischen Königin mit dem Prinzen von Sachsen-Koburg und mußten erklären, den zukünftigen Prinz-Gemahl anerkennen zu wollen.«

Es lag ein verletzender Spott in seinen Worten.

»Gut, daß dich der Gouverneur jetzt nicht hört.«

»Es wird die Zeit noch kommen, da er mich hören soll, und wie Kanonendonner werden meine Worte in seine Ohren hallen. Doch etwas anderes führt mich zu dir!«

»Die Liebe?« fragte sie spöttisch.

Um des Indiers Mund zuckte ein fast verächtlicher Zug.

»Ich bin nicht eifersüchtig, das weißt du,« fuhr sie fort, »sonst würde ich mich schon längst erkundigt haben, was dich seit langer Zeit oft schon Tag und Nacht von mir entfernt hält.«

»Glaubst du, es sei ein anderes Weib?«

»Was sonst?«

»Glaube, was du willst, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Doch es ist gut, daß du nicht eifersüchtig bist. Kennst du Lord Canning?«

»Er ist Gouverneur von Audh.«

»Ich meine seinen Sohn.«

»Ich habe ihn nur einmal flüchtig gesehen, aber viel von ihm gehört. Er galt allgemein als der heimliche Verlobte der Königin, und nun hat sich erwiesen, daß er nichts weiter als ihr Günstling war, weil er ihr Jugendgespiele gewesen. Der arme Mann wird viel Spott zu ertragen haben.«

Wann hast du ihn gesehen? »Nur einmal, bei jenem Abschiedsfest in London.«

»Weib, du lügst!« fuhr der Radscha sie heftig an. »Du hast ihn erst gestern gesehen, als du in Akola warst, du weißt, daß er sich hier befindet, und hast sogar ein Zusammentreffen mit ihm gehabt. Die Tragstange deiner Sänfte brach, du stürztest heraus, und ehe ein Hindu dir Hilfe leisten konnte sprang ein Mann, ein Europäer hinzu und richtete dich auf, dein Schleier hatte sich verschoben, er sah dein Gesicht.

Ayda hatte sich aufgerichtet.

»Du verstehst es ja vorzüglich, mich beobachten zu lassen,« sagte sie höhnisch. »Es ist dies zwar ein Zeichen von Eifersucht, die der Liebe entspringt, doch angenehmer wäre mir, du liebtest mich weniger, damit ich nicht von Spionen bewacht werde.«

»Hast du den jungen Lord erkannt?«

»Sofort!« gestand Ayda nun offen, ihre vorige Worte dadurch Lügen strafend.

»Und er dich?«

»Wie sollte er wohl!«

»Du hast einen großen Eindruck auf ihn gemacht, er blickte dich lange entzückt an und behielt deine Hand länger als nötig in der seinen.«

»Du bist gut unterrichtet worden.«

Nana Sahib ging, die Hände auf dem Rücken, mit großen Schritten in dem Gemache auf und ab. Plötzlich vergrößerten sich des Weibes Augen; aufmerksam blickte es den Radscha an.

»Antworte mir,« fragte dieser, »glaubst du, daß du auf Lord Canning Eindruck gemacht hast?«

»Ich antworte nicht eher, als bis du mir sagst, was deine Frage bezweckt.«

Nana Sahib wußte, daß seine Macht bei Ayda ein Ende hatte. Jeder Mann, jede Frau beugte sich seinem Willen, dieses Weib nicht.

»Es gilt, Lord Canning ein Geheimnis zu entlocken, und deine Schönheit soll das Mittel dazu sein.«

Ayda hatte sich erhoben; mit zornsprühenden Augen stand sie vor dem Radscha, der sie kalt ansah.

»Nimmermehr!« rief sie mit starker Stimme. »Deinen Zwecken als Mittel zu dienen, dazu gebe ich mich nicht her!«

»Oho! fühlst du dich beleidigt, weil ich von dir verlange, daß du dem Lord eine Kosestunde gewährst?« fragte er höhnisch.

»Ich bin dein Weib!«

»Aber was du diesem Manne verweigerst, hättest du einem anderen gern gewährt!«

»Nana Sahib, hüte dich!« rief das Weib außer sich. »Von wem sprichst du?«

»Von Sir Carter!«

Ayda sank plötzlich auf den Diwan zurück; sie sah den Radscha im Besitze eines Geheimnisses, durch das er über sie eine furchtbare Macht erlangte.

»Nun? Willst du auch jetzt noch zögern, dem Lord eine Unterredung zu gewähren, von der das Heil Indiens abhängen kann?«

»Ja. Ich tue es dennoch nicht,« rief sie und sprang wieder auf, »denn du hast das nicht gehalten was du mir versprachst!«

»Und du? Du gelobtest mir, dich meinem Willen zu fügen und auf meine Pläne einzugehen, welche die Befreiung Indiens betreffen.«

»Gewiß; aber unter der Bedingung, daß du mir beiständest, den heißesten Wunsch meines Herzens, meine Rache zu befriedigen.«

»Auch ich dürste danach, Rache zu nehmen an dem, der durch dich auch mich beleidigt!«, sagte der Radscha mit einem furchtbaren Gesichtsausdrucke. »Zwei Jahre habe ich über Racheplänen Tag und Nacht gebrütete ...«

»Was nützt mir das?« unterbrach Ayda ihn. Erfolge will ich sehen, daß sich mein Herz daran laben kann. Dann will ich dir zu Willen sein, und verlangtest du das Unmöglichste von mir.«

»Wohlan, so lies dies!«

Er reichte ihr ein englisches Zeitungsblatt. Ein Artikel enthielt die Erzählung des in Sir Carters Hause ausgeführten Kindesraubes, darunter stand die Beschreibung der beiden Kinder, und dann folgte die Aufforderung an jeden, der etwas darüber sagen konnte, sich an die nächste englische Behörde oder an den englischen Konsul zu wenden. Zwei Belohnungen waren ausgesetzt, die eine für den, der nur Angaben machen konnte, die zweite, sehr große, für den, welcher Eugenie den Eltern zurückbrachte.

Erst glaubte Ayda ihren Augen nicht trauen zu dürfen, dann brach sie in einen unermeßlichen Jubel aus. Sie klatschte in die Hände, lachte, lief im Zimmer umher, warf sich Nana Sahib an die Brust – kurz, benahm sich wie jemand, der die erfreulichste Botschaft erhalten hat.

»Triumph, Triumph,« rief sie einmal über das andere, »mein Fluch ist in Erfüllung gegangen! Das Kind ist verschwunden, einen Bastard hat Emily dafür bekommen, und sie selbst ist wahnsinnig. Das ist eigentlich schade, sie hätte den Schmerz ganz auskosten sollen; aber sie hat doch meine Rache einen Augenblick furchtbar zu fühlen bekommen, ihr Ausruf beweist das, und außerdem schreibt das Blatt, sie wird wieder zur Vernunft kommen. Hahaha, der stolze Frank, die tugendhafte Emily – sie einen indischen Jungen auf ihrem Arme, den beide Eugenie nennen! Ha, wie wird Sir Carters Herz bluten! Immer zu, es soll noch viel schlimmer kommen; ich will nicht eher ruhen, als bis sie mir zu Füßen liegen und um Erbarmen betteln.«

»Du hast bis jetzt wenig zur Rache beigetragen,« unterbrach Nana Sahib die Aufgeregte, »nur ich!«

»O, wie danke ich dir dafür! Aber gönne auch mir, mich daran zu beteiligen; es ist für mich ein noch größerer Genuß.«

»Du kannst es, es steht in deiner Macht, wenn du dich meinem Willen fügst!«

»Verlange, was du willst, ich tu's! Selbst meine Ehre gebe ich preis, um Rache ausüben zu können.«

Der Radscha lachte spöttisch.

»Was soll ich tun?«

»Lord Canning mit deiner Liebe umstricken.«

»Ich will ihn mit meinen Küssen ersticken. Aber wozu das?«

»In Indien wird ein Aufstand vorbereitet.«

»Ich weiß das. Was hat es mit meiner und deiner Rache zu tun?«

»Sehr viel, wie du später hören wirst. Du bist nicht reif genug, um alles zu erfahren; ich fürchte deine Heftigkeit, sie könnte einmal alles verraten. Jetzt höre: noch viele Radschas halten zu den Engländern, und unsere Sache ist hoffnungslos, solange jene nicht die Unsrigen sind. Es gilt, sie aufzureizen. Wie ich erfuhr, erwarten die englischen Gouverneure einen Kurier, welcher ihnen eine geheime Botschaft bringt, und zwar handelt es sich auf alle Fälle entweder um eine Schmälerung der Rechte der Radschas oder um eine Annektierung von noch selbständigem Gebiet, vielleicht um eine Besitzergreifung von Bengalien. Jetzt werden diese Pläne noch nicht ausgeführt, denn die Indier sind noch zu aufgeregt, aber es soll für spätere Jahre schon vorgearbeitet werden. Diese Papiere des geheimen Kuriers müssen wir haben, dann können wir alle Radschas aufwiegeln; denn nimmermehr werden sie dulden, daß ihre Rechte noch mehr von diesen verdammten Engländern geschmälert werden.«

Nana Sahib stampfte heftig mit dem Fuße auf. Er gedachte jener Zeiten, da jeder Radscha der Kaiser seines Landes war, der über Tod und Leben zu entscheiden hatte, als er in seinem Reiche noch mit unumschränkter Gewalt herrschte, einem Gotte gleich. Die Engländer hatten den Radschas ihre Würde zwar gelassen, aber sie waren nur noch Puppen, die nach der englischen Pfeife tanzen mußten, ihre Macht war nur noch eine scheinbare.

»Ich soll dem Kurier die Papiere abnehmen?« fragte Ayda.

»So weit ist es noch nicht! Derselbe reist als Privatmann. Niemand als die Gouverneure und das Personal, das die geheimen Sachen erledigt, weiß, wer er ist. Lord Canning hat, als die Verlobung seiner Königin proklamiert wurde, seine Entlassung aus der Armee genommen und die diplomatische Karriere in Indien angetreten, wahrscheinlich, um spöttischen Reden aus dem Wege zu gehen. Er kam nicht zu seinem Vater nach Ouda, sondern arbeitet unter dem Gouverneur von Berar, und zwar im geheimen Kabinett. Er also weiß, in welcher Verkleidung der Kurier Indien bereist, und dies von Canning zu erfahren, soll deine Aufgabe sein; wie, wird später erörtert werden, es ist noch Zeit. Du siehst, ich bin nicht eifersüchtig.«

»Und ich weiß auch, aus welchem Grunde,« lachte Ayda; »ich habe schon längst erfahren, mit welchen Plänen du umgehst.«

»Schweig!« fuhr der Radscha sie an.

»Warum? Ich wünsche dir viel Glück zu deiner neuen Frau, die du wie ein Räuber versteckt hältst. Ich will sie nicht sehen, bin nicht eifersüchtig auf sie und mache dir keine Vorwürfe, daß du mich nicht mehr deine Favoritin nennst, bin sogar darüber froh. Kannst du mehr von mir verlangen? Zwei lange Jahre habe ich hier in der Einsamkeit gelebt.

»Ich habe dich nicht dazu gezwungen,« fiel ihr Nana Sahib ins Wort.

»Ich hätte dies auch nicht geduldet. Nein, meine Verbannung aus der menschlichen Gesellschaft war eine freiwillige, ich verkehrte nur mit stumpfsinnigen Dienern. Das Leben der Stadt sah ich nur hinter den Vorhängen der Sänfte hervor, und dennoch konnte ich diese Einsamkeit ertragen, denn ich fand in ihr Muße, mich mit Racheplänen zu beschäftigen.

Endlich, endlich sehe ich einen Erfolg meines Planes, der Himmel hat ihn gehört, und nun will ich wieder zu leben beginnen. Ja, Nana Sahib, ich gehe auf deinen Plan ein, ich will diesen Canning umgarnen, daß er sich im Paradiese wähnt, und dabei will ich ihm das Geheimnis entlocken. Fürchte nicht, daß ich zu weit gehe, nur mein Spiel will ich mit diesem stolzen, tugendhaften Lord treiben.«

»Geh so weit, wie du willst, ich gebe dich frei. Nur komme zum Ziel,« entgegnete Nana Sahib kurz und wollte gehen, doch Ayda, in welcher der liebe Leser längst schon Isabel Battinson erkannt haben wird, hielt ihn zurück.

»Scheide nicht so schnell von mir. Es ist das erstemal, daß ich dich zum Bleiben nötige, und so wirst du meiner Bitte willfahren.«

»Was willst du von mir? Ich habe keine Zeit!«

»Nicht deine Liebe,« sagte Ayda spöttisch, »nur von dem Racheakt möchte ich noch mehr erfahren. So warst du es also, der Timur Dhar zum Ausführen dieser Tat bewogen hat? O, wie danke ich dir dafür! Wer aber ist eigentlich dieser Timur Dhar? Ich möchte ihn gern einmal sehen; das muß ja ein Prachtkerl sein. Glaubst auch du an die Fabel, daß er allmächtig ist, sich unsichtbar machen kann und manchmal urplötzlich, wie aus der Erde gewachsen, vor einem steht?«

Der Radscha hörte den Spott in den Worten und er war zu eitel, um seinen Aberglauben einzugestehen, den er wie jeder andere Indier besaß. Er bekam den überlegeneren Geist der gebildeten Isabel oftmals zu fühlen.

»Selbstverständlich ist er nichts weiter als ein äußerst geschickter Gaukler, vielleicht der Geschickteste von allen, weswegen er sich ihren König nennt,« sagte er achselzuckend; »aber das ist es nicht allein, jedenfalls ist Timur Dhar auch ein mächtiger ... » Der Radscha brach kurz ab und wandte sich um, Ayda stieß einen Schreckensschrei aus, beider Gesichter bedeckten sich mit Aschfarbe.

»Nana Sahib, wahre deine Zunge!« hatte es hinter ihnen gerufen, und plötzlich stand mitten im Zimmer eine über und über von schwarzen Tüchern verhüllte Gestalt. Auch das Gesicht war nicht zu sehen.

»Wer bist du?« stammelte der Radscha, die Hand an den Dolch legend.

»Einer, dem dein Dolch nicht schaden könnte!« war die Antwort. Das Tuch wurde zurückgeschlagen, und ein mageres, faltiges Gesicht kam zum Vorschein.

»Timur Dhar!« murmelte der Radscha bestürzt und verbeugte sich so tief, als stände er vor dem Großmogul von Indien.

»Nana Sahib,« fuhr der Gaukler fort, »wahre deine Zunge, höre auf die klugen Ratschläge deiner Gattin und verschließe deine Ohren gegen das Gift des Unglaubens. Ayda,« wandte er sich an diese, »du bist von mir willig befunden worden, für Indien, unser Land, das deine zweite Heimat geworden ist, Opfer zu bringen. So soll auch deine Rache befriedigt werden.

Meine Ohren haben deine Flüche gehört, ich werde sie erfüllen, bis du nichts mehr zu begehren hast. Hier ist der Anfang!«

Er schlug das den Oberkörper verhüllende Tuch zurück; auf seinem Arm lag ein kleines Kind, dessen Äußeres seine europäische Abstammung verriet.

»Eugenie!« schrie Ayda und stürzte auf den Gaukler zu, als wollte sie ihm das Kind entreißen. Timur Dhar streckte den Arm aus und schleuderte das Weib mit furchtbarer Kraft auf den Diwan zurück.

»Glaubst du, ich habe das Kind nur deinetwegen entführt?« zürnte er. »Närrin, so wenig du weißt, wie weit der Himmel von der Erde entfernt ist, so wenig kennst du meine Pläne, die ich mit diesem Kinde vorhabe. Noch einmal. Nana Sahib, wahre deine Zunge oder du bist nicht mehr Radscha von Berar! Du, Ayda, gehe auf die Pläne deines Mannes ein, denn ich heiße sie gut, und du wirst dich einst am Ziele deiner Wünsche sehen. Die, welche dich beleidigt haben, sollen dich noch bitten, dir den Staub von den Füßen wischen zu dürfen. Aber sei treu oder fürchte mich!«

Er schlug den Mantel um das Kind und schritt hinaus, Ayda in Bestürzung, den sonst so stolzen Radscha in der größten Furcht zurücklassend.

»Wer war das, der mich so zu behandeln und dir so zu drohen wagte?« brachte Ayda endlich hervor.

»Timur Dhar, der König der Gaukler,« entgegnete Nana Sahib fast demütig, »frage nicht weiter! Ich muß ihm gehorchen, und ich ermahne dich, daß auch du dich ihm willenlos fügst. Du hast gesehen, ich kann ihn nicht einmal aus deinem Gemach zurückhalten, welches außer mir sonst keines Mannes Fuß betreten darf. Wo du auch seiest, was du auch tust, bei Tag und Nacht, und lägest du auch in meinen Armen, er hat Zutritt zu dir, wenn er dich zu sprechen verlangt. Laß dir damit genügen; über unser Vorhaben sprechen wir später!«

Ayda wollte noch viele Fragen an ihn stellen, doch der Radscha verließ sie. Aufrecht, wie er gekommen, durchschritt er die Gemächer, von dem starken Hinken, welches er als Sirbhanga in London gezeigt war nichts mehr zu merken.


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