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5. Der rote Skorpion oder Das Wunder von Portugal.

Der Name Erasmus Sörensen dürfte jedem Antiquitätenhändler und besonders jedem wissenschaftlichen Münzensammler noch in lebhafter Erinnerung sein.

Trotz seines skandinavischen Namens ein echter Yankee, war der ehemalige Fabrikant, obgleich er niemals aus seiner Vaterstadt Philadelphia herausgekommen war, in der Kunde von altgriechischen und römischen Münzen eine unbestrittene Kapazität, wegen seines Urteils in diesbezüglichen Streitfragen wurde das prächtige Haus, welches er in der Roomstreet innehatte, manchmal von Gelehrten aus den fernsten Erdteilen aufgesucht.

Außer Münzen sammelte Mr. Sörensen nur noch Inkarnate.

Der geneigte Leser hat vielleicht schon einmal ein Stück Bernstein gesehen, in welchem eine Mücke oder vielleicht ein winziges Moospflänzchen eingeschlossen ist. Da hat sich der Bernstein eben, als er vor uralten Zeiten als leichtflüssiges Harz einem besondern Baume, wahrscheinlich einer Kiefer, entquoll, um solch eine ahnungslos dasitzende Mücke gelegt, um sie für die Ewigkeit in natura zu konservieren. Das ist es, was der Sammler unter Inkarnat versteht.

Es ist eine kostspielige Liebhaberei, solche Inkarnate zu sammeln. Aber der alte Erasmus Sörensen konnte es sich leisten. Ueber seine sonstigen Lebensverhältnisse werden wir später noch mehr erfahren. –

Es war in der achten Stunde eines nebligen Novemberabends. Mr. Erasmus Sörensen befand sich in seinem Studierzimmer. Unruhig ging das kleine, dürre Männchen auf und ab, aller Minuten einmal nach der Uhr blickend. Offenbar wartete er ungeduldig auf etwas.

Da schrillte ein elektrisches Klingelzeichen durch das Haus. Wie gebannt blieb Sörensen stehn, erwartungsvoll nach der Tür blickend. Bald öffnete sich diese, ein alter Diener brachte eine Visitenkarte.

»Führe den Herrn herein!« rief Sörensen sofort, noch ehe er die Karte zur Hand genommen hatte.

Der Diener machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Es ist gar kein Herr, es ist eine Dame.«

Erst jetzt las der Hausherr die Visitenkarte.

›Mrs. E. A. Timmins, New-York‹ – nichts weiter.

»Kenne ich nicht! Was will sie? Ich habe jetzt keine Zeit!«

»Es ist eine alte Dame. Sie hat auch etwas hinten draufgeschrieben.«

Sörensen drehte die Karte um. Richtig! »Pünktlich zur bestimmten Stunde« lauteten die mit zierlicher Schrift geschriebenen Worte.

Jetzt war es das lederartige Gesicht des Hausherrn, auf dem sich Ueberraschung ausprägte. Doch war das schnell vorüber.

»Ah so! Ja, ich entsinne mich. Ich lasse Missis Timmins bitten.«

Sie trat ein, wenn nicht eine alte, so doch eine ältere Dame, gut gekleidet, aber ganz unmodern, das Jackett, obgleich es auf Taille gearbeitet war, hing wie ein Sack an dem Körper, unter dem mit Veilchen geschmückten Hütchen quollen hüben und drüben die Schmachtlocken hervor, dazu paßte auch der vorsintflutliche Regenschirm – eine echt englische alte Jungfer, wie man sie noch heute in den Straßen Londons herumlaufen sieht, wie sie sich auch in Amerika eingebürgert hat.

Die klugen Augen in dem runzligen, freundlichen Gesicht wanderten forschend durch das ganze Zimmer, bis sie an dem Hausherrn haften blieben.

»Mr. Erasmus Sörensen?« fragte eine der alten Dame entsprechende Stimme. »Sie haben mich bestellt, ich bin pünktlich gekommen.«

Nachdem sich der Diener entfernt hatte, brauchte sich Sörensen nicht mehr zu beherrschen.

»Es – ist – doch – nicht – möglich!!« staunte er. »Sie sind wirklich Mr. Nobody?«

»Ich bin es, und da Sie es so geschickt verstanden haben, ganz unauffällig an Mr. World zu telegraphieren, ob ich für Sie zu sprechen sei, um sich dann mit mir selbst in Verbindung zu setzen, müssen Sie doch auch schon meine Gewohnheiten kennen und wissen, daß ich in irgend einer unkenntlichen Maske zu Ihnen kommen würde.«

Sörensen raffte sich auf. Ja, auf irgend eine Ueberraschung war er vorbereitet gewesen.

»Ich danke Ihnen, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich hatte aber keine Ahnung, daß Sie sich in New-York befänden, hätte nicht zu hoffen gewagt, Sie schon heute abend bei mir zu sehen, bis ich gegen mittag Ihr Telegramm erhielt.«

Der als Frau verkleidete Nobody hatte sich auf einen Stuhl neben den Schreibtisch gesetzt. Wieder flog sein Blick durch das Zimmer.

»Ja, es war ein Zufall! Sind wir hier allein?«

»Völlig ungestört und unbelauscht. Doch gestatten Sie mir erst eine Frage: Haben Sie einen besondern Grund, so unkenntlich zu mir zu kommen?«

»Als was soll ich sonst kommen? Ich kann mich doch nicht als der geheime Detektiv Nobody anmelden lassen. Denn ich kalkuliere, das wäre auch Ihnen unangenehm gewesen. Sonst hätten Sie die telegraphische Korrespondenz mit mir doch nicht so heimlich eingeleitet. Im übrigen bin ich immer auf der Kriegsfährte, habe mit unsichtbaren Feinden zu kämpfen, vor denen ich mich stets unkenntlich machen muß. Sonst aber habe ich gegenwärtig Zeit, stehe zu Ihrer Verfügung. Um was handelt es sich, Mr. Sörensen?«

Nobody hatte noch keine Ahnung, weswegen er von Mr. Sörensen hierherbestellt worden war, was dieser, wie Nobody selbst gesagt, auf telegraphischem Wege in sehr geschickter Weise getan hatte. Die erste Depesche, ob der Detektiv zu sprechen sei, hatte Mr. World heute früh bekommen, Nobody hatte sich mit Sörensen in Philadelphia gleich direkt in Verbindung gesetzt.

»Mir ist heute nacht aus meinem Hause etwas gestohlen worden.«

»Was?«

»Das ... möchte ich Ihnen eigentlich, wenn irgendwie angängig, verschweigen,« erklang es mit längerer Zwischenpause unruhig zurück.

Nobody sah den Sprecher nur groß an.

»Wie? Sie wollen mir gar nicht sagen, was Ihnen gestohlen worden ist?«

»Hm. Wenigstens nicht mehr, als daß es ein großer Diamant ist. Würde das Ihnen nicht ... nein, ich weiß wirklich nicht, wie ich mich aus dieser Verlegenheit winden soll.«

Und das alte, verschrumpfte Männchen wand sich wirklich in der größten Verlegenheit. Nobody betrachtete es nur mit forschenden Augen.

»Sie können sich doch lebhaft denken,« fuhr Sörensen fort, »daß ich einen ganz besondern Grund haben muß, wenn ich von dem Diebstahl nicht gleich die Polizei benachrichtige.«

»Mr. Sörensen,« nahm Nobody jetzt das Wort, »ich habe schon von Ihnen gehört, und ehe ich mich auf die Bahn setzte, habe ich noch über Sie Erkundigungen eingezogen; außerdem besitze ich die Gabe, jeden Menschen sehr genau taxieren zu können, und so halte ich Sie für einen Mann, der keines Verbrechens fähig ist. Bitte, vertrauen Sie sich mir ruhig an. Würden Sie wegen einer dunklen Tat meine Hilfe in Anspruch nehmen wollen, ich würde sie Ihnen verweigern, ich selbst würde gegen Sie vorgehn, aber ich weiß eben, daß so etwas bei Ihnen nicht vorliegt. Nun?«

»Ja, aber ...«

»Aber Sie sind ein Sammler,« fiel ihm Nobody ins Wort, »und ein Sammler ist in seiner Leidenschaft zu manchem fähig. Doch ich glaube, ich weiß ganz bestimmt, daß Sie aus einer andern Sammlung nichts stehlen könnten, schon eher könnten Sie einmal zum Hehler werden, daß Sie etwas ...«

Wie von einer Tarantel gestochen, fuhr das dürre Männchen empor und stierte die alte Dame mit weit aufgerissenen Augen an.

»Woher wissen Sie ...?!«

»Wirklich erraten?« lächelte die alte Dame. »Ja, ich bin eben ein Menschenkenner. Es war zwar eine logische Kalkulation, daß ich aber so ganz das Richtige getroffen habe, das ist doch nur ein Zufall. Also kein Stehler, nur ein Hehler. Vertrauen Sie sich mir nur ruhig an. Von Ihnen weiß ich ganz bestimmt, daß Sie kein Unrecht getan haben, ohne es auf irgend eine Weise wieder gutgemacht zu haben.«

»Sie haben recht. Sie haben recht,« murmelte Mr. Sörensen gedrückt, und dann war er bereit, sich zu offenbaren, aber nur unter gewissen Bedingungen.

»Nennen Sie dieselben.«

»Alles, was Sie in Ihrem Berufe erleben, veröffentlichen Sie doch in Worlds Magazine.«

»Ja. Es sind nur lichtscheue Taten, welche ich an das Licht der Sonne ziehe. Aber ist dabei das Geheimnis eines Ehrenmannes, so weiß ich dieses zu wahren.«

»Das wollte ich nur wissen. Hören Sie, Mr. Nobody! Ich bin ein alter, alleinstehender Mann. Ich habe meine Frau früh verloren. Ich hatte zwei Kinder, sie sind gestorben, verunglückt. Da hat sich mein altes Herz toten Dingen zugewandt. Jetzt hat man mir das liebste geraubt, was ich noch besaß. Es war nicht mein Eigentum. Aber was ich getan, glaube ich gesühnt zu haben. Ich gab eine Entschädigung dafür. Verschaffen Sie es mir wieder. Ich werde nicht lange mehr leben. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, das, was ich Ihnen jetzt offenbare, keinem andern Menschen mitzuteilen, solange ich lebe. Nach meinem Tode dürfen Sie das Geheimnis der Oeffentlichkeit übermitteln. Daraufhin geben Sie mir Ihr Ehrenwort, es genügt mir, ich traue Ihnen.«

»Sie haben mein Ehrenwort,« erklang es ohne Zögern.

Es war eine Frauenhand, welche hingehalten wurde, in dem Augenblicke aber, da Mr. Sörensen sie ergriff, fühlte sie sich wie Eisen an.

»So erfahren Sie es denn! Haben Sie schon von dem roten Skorpion gehört, auch ›das Wunder von Portugal‹ genannt?«

Hoch horchte Nobody auf. Aeußerlich war ihm davon allerdings nichts anzumerken, und er verneinte, er wollte jenen erzählen lassen, was denn auch geschah.

Die Zierde der Schatzkammer der portugiesischen Könige hatte seit alters her ein rosenroter Diamant gebildet, etwa von der Größe einer Haselnuß. Als Diamant selbst hatte er keinen besonders hohen Wert. Rotgefärbte Diamanten sind überhaupt wenig geschätzt, ihr Feuer ist gering, von Nichtkennern werden sie für Rubinen gehalten. Dieser hier, im unschönen Treppenschnitt geschliffen, hatte auch noch Luftblasen, welche jeden Diamanten wertlos machen. Ein Diamantenhändler hätte keine 5000 Francs für ihn gegeben. Als wundersames Naturspiel aber war der Stein einfach unschätzbar.

Wie gesagt, Diamanten haben manchmal Luftblasen. Oft sind diese Blasen auch mit einer schwarzen Masse gefüllt, welche sich bei der Untersuchung stets als Kohle oder Graphit erweist.

Im ›Wunder von Portugal‹ nun befand sich auch solch eine mit Kohlenstoff angefüllte Blase, welche – eben ein seltsames Naturgebilde – ganz, ganz genau wie ein kleiner Skorpion aussah. Der Kopf, die beiden Scheren, der geschuppte Schwanz mit dem Giftstachel – alles war ganz deutlich zu erkennen. Im Verhältnis zu dem Diamanten war der Skorpion übrigens gar nicht so klein, etwa so lang wie ein Fingernagel, und um das Gebilde noch genauer sehen zu lassen, hatte man dem Edelstein eben den flachen Treppenschnitt gegeben.

Seinerzeit wußte man noch nicht, daß der Diamant selbst nichts weiter als Kohle ist – freilich in einem ganz besondern Zustand, gewissermaßen ein vierter Aggregatzustand, vor dem auch wir noch als vor einem Rätsel stehn – damals waren die Diamanten erstarrte Tränen, welche Engel über die Sünden dieser Welt geweint und auf die Erde hatten fallen lassen, und solch eine Träne hatte bei ihrer Erstarrung eben einen kleinen Skorpion umhüllt. Daß es solche winzige Skorpione in Wirklichkeit gar nicht gibt, das machte das Wunder ja nur noch größer.

Als Portugal im 17. Jahrhundert einmal Geld brauchte, wurde der rote Skorpion an Frankreich versetzt. Von dort kam er nie wieder zurück. Zwei Jahrhunderte lang nahm der rote Skorpion oder das Wunder von Portugal in den Prunkkammern der Tuilerien zu Paris den Ehrenplatz ein – bis zum Jahre 1848, als die Revolution ausbrach.

Die Barrikadenkämpfer und die Soldateska plünderten die Tuilerien, unter andern Kostbarkeiten verschwand auch das Wunder von Portugal. Seit dieser Zeit hatte man nichts wieder von dem seltsamen Diamanten gehört. Er mochte gespalten und die einzelnen Splitter in kleinere Diamanten verwandelt worden sein, denn den auffallenden, weltberühmten Stein hätte der Dieb doch nicht an den Mann bringen können.

»Es ist jetzt fünf Jahre her,« fuhr Sörensen nach Skizzierung dieser frühern Verhältnisse fort, »da kam eines Tages ein Mann zu mir, ein Franzose, der ein mangelhaftes Englisch sprach, sah wie ein besserer Arbeiter aus, der fing davon an, daß er gehört habe, wie ich solche Bernsteinstücke sammelte, in denen Insekten eingeschlossen seien, ob das nicht auch bei andern Substanzen vorkommen könnte, vielleicht auch bei Diamanten ... Ich kann Ihnen nicht erzählen, wie ich den Mann endlich zur offnen Aussprache brachte. Ich brauchte einige Stunden dazu. Kurz, dieser Mann, vor einem Jahre in Amerika eingewandert und seitdem immer in New-York beschäftigt gewesen, hatte das Wunder von Portugal in seiner Hosentasche. Sein Vater war es gewesen, der den Stein aus den Tuilerien entwendet hatte. Erst durch Zeitungsberichte erfuhr er, was er gestohlen hatte. Verkaufen konnte er ihn nicht, er hatte ihn aber auch nicht weggeworfen, sein Sohn erbte ihn und zugleich das Geheimnis. Dieser Sohn nun hatte in New-York von mir gehört ... und wiederum kurz und gut, nachdem ich, der ich vor Begierde zitterte, einige Eide hatte ablegen müssen, den Mann nicht zu verraten, war das Wunder von Portugal für die lächerlich geringe Summe von 2500 Dollar, für jenen Mann aber ein großes Kapital, mein Eigentum geworden.«

Der Erzähler machte eine Pause; mit glühenden Augen blickte er in das Licht der Studierlampe. Was für Gedanken mochten den alten Sammler jetzt beherrschen? Die Sammelwut ist eine Leidenschaft, welche sich vom Geiz wenig unterscheidet.

»Das Wunder von Portugal, eine Seltenheit, welche sonst nirgends auf der Erde existierte, war mein Eigentum,« wiederholte er mit vor Aufregung bebender Stimme. »Niemand konnte mir den Diamanten streitig machen. Der Dieb, sein Sohn, sie hatten aus Furcht vor Strafe ihr Geheimnis bewahrt. Und am andern Tage stand in der Zeitung, daß aus den Fluten des Delaware ein Mann gezogen worden sei, tot, stranguliert. Jedenfalls ein Raubmord.«

»Es war Ihr Franzose,« ergänzte Nobody. »Gestatten Sie? Dieses Kraut sieht ja verlockend aus.« Auf dem Schreibtisch stand eine Kiste Zigarren, und ohne die Erlaubnis dazu abzuwarten, nahm Nobody eine, biß die Spitze ab und zündete sie über der Lampe an.

Nun war es aber doch eine Dame, die das tat, und es sah einfach gottvoll aus, wie sich die alte Schachtel mit dem Veilchenhütchen mit der langen Zigarre im Munde über die Lampe beugte und zu paffen begann!

Doch Mr. Sörensen war für diese Komik jetzt unempfänglich.

»Ja. Nun war ich auch der alleinige Besitzer des mit dem Diamanten verbundenen Geheimnisses. Ich hatte keinen Ankläger mehr zu fürchten. O, wie ich jubelte! Und doch, und doch!! Mr. Nobody, hatte ich das Recht, den Diamanten zu behalten? Oder mußte ich ihn nach Paris zurückschicken?«

»Hm,« brummte die alte Schachtel, während sie mächtige Dampfwolken vor sich hinblies. »Das ist eine Rechtsfrage, die nicht so leicht zu entscheiden ist. Lassen wir das doch. Ich hätte einfach nach meinem Gewissen gehandelt. Was taten Sie?«

»Auch ich handelte nach meinem Gewissen. Ich habe meine ganze, sehr wertvolle Sammlung dem Pariser Museum testamentarisch vermacht, ebenso, gewissermaßen als Sühne, mein beträchtliches Vermögen. Allerdings wird dieses Testament erst nach meinem Tode bekannt.«

»Und hiermit ist Ihr Gewissen beruhigt?«

»Ja.«

»Na also. Ihr Vermögen hätten Sie dem Pariser Museum gar nicht zu vermachen brauchen. Das soll sich doch freuen, wenn es den Diamanten wiederbekommt, und der ist doch überhaupt ...«

»Heute nacht hat man ihn mir gestohlen!«

»Dann freilich können Sie auch nicht mehr über ihn verfügen,« lautete die trockne Antwort der rauchenden Frau. »Oder Sie müssen ihn erst wiederhaben.«

Der alte Mann hatte sich erhoben, faltete die Hände auf der Brust, mit angstvollen Augen, aus denen aber auch Hoffnung leuchtete, blickte er den maskierten Detektiven an.

»Mr. Nobody! Verschaffen Sie mir den roten Skorpion wieder! Er war das einzige Glück meines Alters! Ich glaube, Sie sind kein solcher Sammler wie ich, und da können Sie auch nicht wissen, was ich empfand, wenn ich so des Abends dasaß und den Stein in meiner Hand betrachtete, das einzige Wunder, wie ein solches die schöpfende Natur in einer bizarren Laune hervorgebracht hat, und es war mein Eigentum, es war mein, mein!! Und Sie haben recht – ich unterbrach Sie vorhin, aber ich weiß, was Sie sagen wollten – ja, das Pariser Museum hat gar keinen Anspruch auf den roten Skorpion mehr zu machen, es kann zufrieden sein, wenn es ihn nach meinem Tode bekommt – und so werde ich mein Testament ändern – ich vermache mein gesamtes Vermögen Ihnen – und ich bin reich, sehr reich ... verschaffen Sie mir nur den roten Diamanten wieder, damit ich mich in den wenigen Tagen, die mir noch vergönnt sind, noch an ihm erfreuen kann!«

»Hm, wenn Sie sehr reich sind, dann ließe sich das hören,« meinte Nobody, auch als alte Dame zuerst immer seinen geschäftlichen Vorteil erwägend. »Wieviel wäre das, was ich da nach Ihrem Tode erbte?«

Erasmus Sörensen zählte auf, was er an Staats- und andern Papieren, an Häusern und Hypotheken sein eigen nannte. Es war allerdings ganz beträchtlich.

»Sind keine andern Erben da, die mir das streitig machen könnten?« forschte die vorsichtige Mrs. Timmins weiter, immer die Zigarre im Munde.

Nein, solche waren nicht vorhanden.

»Da werden wir das dann schriftlich ausmachen. Zunächst noch eine andre Frage: wie sind Sie dazu gekommen, sich wegen dieser Sache an mich, respektive an Mr. World zu wenden?«

»Als ich heute früh das betreffende Kabinett betrat und sah, daß der eine Stahlschrank von fremder Hand geöffnet worden war, daß man das Wunder von Portugal mir gestohlen hatte, da zuckte es wie ein Blitz durch meinen wirren Kopf – ich dachte an jenen ersten Fall, durch den Sie aus dem Kreise der Märchen gezogen und zur historischen Berühmtheit wurden – ich dachte an Loftus Deacon, der war doch auch so ein Sammler wie ich, ihm wurde ein Schwert gestohlen, und Sie ...«

»Aha, ich verstehe,« fiel ihm Nobody ins Wort. »Dieses Ihr Vertrauen ehrt mich ebenso, wie es mich freut, denn sonst werde ich nicht gerade sehr mit Vertrauen verwöhnt, deswegen werde ich nun auch Ihrem Falle meine ganze Kraft widmen. Bitte, erzählen Sie mir jetzt mit Ruhe die ganze Sache.«

Sörensen setzte sich wieder und berichtete folgendes:

Der kinderlose Witwer führte einen ziemlich großen Hausstand, hatte sowohl männliches als weibliches Dienstpersonal, alles bewährte Leute und ihm treu ergebene Seelen. Aber im Laufe der Jahre machte sich doch ab und zu ein Wechsel notwendig, ein alter Diener ging auch einmal durch den Tod ab.

So mußte vor einem halben Jahre ein neuer Hausdiener angenommen werden, hauptsächlich zum Fensterputzen. Die Stelle wurde in den Zeitungen annonciert. Als erster meldete sich ein junger Mensch namens Lewis Higgen, der mit herzinnigen Worten bat, ihn doch anzunehmen, er sei bisher Pferdeknecht im Royal-Hotel gewesen, auch hier in Philadelphia, er könne jedoch das rohe Leben unter den andern Pferdeknechten nicht mehr aushalten, sehne sich so sehr nach einer ruhigen Stellung in einem soliden Wohnhause, wo er anständig behandelt würde, wenn er auch nur Fensterputzer sei.

In Amerika gilt nur das mündliche Zeugnis des letzten Prinzipals; Mr. Sörensen, der bei der Wahl seiner Diener sehr vorsichtig war, erkundigte sich also bei dem Hotelier und bei denen, die Lewis Higgen unter ihrer Aufsicht gehabt hatten, es war über den jungen Menschen durchaus nichts Schlechtes zu sagen, über ein Jahr lang hatte er immer treu und brav seine Pflicht getan – und das war doch schließlich auch nur ein Lob, daß er sich nicht recht zur Behandlung der Pferde geeignet hatte, er hatte immer einen so sanften Charakter gezeigt – das heißt mit andern Worten, er hatte niemals so wie ein echter Pferdeknecht fluchen und prügeln können.

Gut, er wurde angenommen. Und das halbe Jahr war alles tadellos gegangen. Tadellos hatte er die Fenster geputzt, tadellos hatte er sich betragen. Ach, der gegen seine Diener so gütige Hausvater hatte nicht geahnt, wie faustdick es der solide, so unschuldig aussehende Jüngling hinter den Ohren gehabt!

»Gestern nachmittag bat er mich um drei Tage Urlaub. Er habe einen Brief bekommen – hat auch wirklich einen bekommen, das weiß ich – seine Schwester, die in Richfield wohnt, einem zwei Stunden von hier entfernten Städtchen, feiere ihre Hochzeit. Er wolle erst seine Arbeit vollenden und am andern Tage, also heute, den früh um vier Uhr abgehenden Zug benutzen. Ich Ahnungsloser war mit allem einverstanden. Verstehen Sie, Mr. Nobody, wie raffiniert dieser Bursche zu Werke gegangen ist?«

»Nein, das verstehe ich vorläufig noch nicht,« war die kalte Antwort.

»Nun, Lewis wollte eben eine Gelegenheit haben, um sich des Nachts unbemerkt aus dem Hause entfernen zu können. Oder vielmehr: er benutzte die günstige Gelegenheit, seinen schon längst gefaßten Plan endlich auszuführen, und da er schon nachts um drei das Haus verlassen durfte, gewann er einen Vorsprung von wenigstens fünf Stunden. Ich stehe nämlich nicht vor acht auf, und ich begebe mich doch auch nicht sofort in das Münzenkabinett, schließe doch nicht sofort jeden Panzerschrank auf, so daß ich also erst heute früh gegen neun Uhr gewahrte, daß man über Nacht den zweiten Schrank geöffnet und vollständig ausgeraubt hatte – und auch den roten Skorpion hat der abgefeimte Spitzbube zu finden gewußt.«

»Was hat der Schrank sonst noch enthalten?«

»Altspanische Goldmünzen, 254 Stück.«

»Diese müssen, wenn er sie ausgibt, den Dieb doch schnell verraten.«

»Nein, dem ist doch nicht so. Zum Teil sind diese Goldmünzen noch in Kurs. Dann würde er sie, wenn der einfache Mann sie nicht einem öffentlichen Raritätenhändler anzubieten wagt, doch schnell an einen privaten Münzensammler loswerden. In meinem Hause wird über so etwas viel gesprochen, und da wird Higgen schon wissen, an wen er sich zu wenden hat, und so ein leidenschaftlicher Sammler ist ... ist ... ich meine, hat manchmal ...«

»... hat manchmal ein etwas weites Gewissen, daß er sich nicht scheut, für seine Sammlung auch etwas Gestohlenes anzukaufen, wenn er auch sonst ein Ehrenmann sein mag,« kam Nobody dem Stockenden zu Hilfe.

Mr. Sörensen wurde etwas verlegen. Mit dem Wunder von Portugal lag ja bei ihm so ziemlich derselbe Fall vor.

»Gerade für einen Sammler haben diese altspanischen Goldstücke den geringsten Wert,« fuhr er hastig fort, »während sie einen Dieb am meisten blenden mußten, und eben gerade deswegen hatte ich den roten Skorpion in einem Geheimfache des Panzerschrankes untergebracht, welcher die Goldstücke enthielt. Denn ich sagte mir: wenn ein Dieb diesen Schrank erbricht, und er sieht das gleißende Gold offen daliegen, so wird er mit seiner Beute zufrieden sein und nicht daran denken, erst noch nach einem Geheimfache zu suchen. Der Schrank daneben enthielt nur alte Kupfermünzen, für mich von größtem Wert, die aber keinem Diebe in die Augen stechen. Doch Lewis hat eben auch das Geheimfach zu finden gewußt, das war ja überhaupt eine abgekartete Geschichte, und Sie glauben gar nicht, wie raffiniert dieser Bursche zu Werke gegangen ist, bei solchen Sicherheitsmaßregeln, die ich zum Schutze meiner Sammlungen getroffen habe, um einen heimlichen Einbruch unmöglich zu machen!«

»Was sind das für Sicherheitsmaßregeln? Zeigen Sie mir doch das Kabinett!«

Sie brauchten sich nur hinüber zu begeben, es war das Nebenzimmer, welches vom Hausherrn durch Drehung eines Hebels alsbald elektrisch erleuchtet wurde. Nur im Studierzimmer wollte der alte Herr seine Petroleumlampe haben, an deren Licht er sich seit einem Menschenalter gewöhnt hatte.

Mr. Sörensen gab dem Detektiv Erklärungen. Alle Zimmertüren, welche zu diesem Kabinett, das fünf Panzerschränke enthielt, führten, waren mit elektrischen Klingeln ausgestattet, welche läuteten, wenn jene von innen oder außen geöffnet wurden. Sie funktionierten auch jetzt tadellos, wie sich Nobody überzeugte. Dann zeigte Sörensen den geplünderten Panzerschrank, der wie die andern vier eingerichtet war. Es waren Haupt- und Nebenschlüssel nötig, zwei Selbstschüsse mußten ausgelöst werden, und das Geheimfach, welches jetzt nur noch das leere Samtfutteral enthielt, in welchem das Wunder von Portugal bisher gelegen hatte, war so kompliziert, daß man es gar nicht beschreiben kann.

Nobody hatte den Erklärer mit keinem Worte unterbrochen, hatte nur durch Handgriffe die Auslösung der Selbstschüsse und die andern Sicherheitsvorrichtungen selbst untersucht.

»War der Schrank heute früh, als Sie den Raub entdeckten, offen?« fragte er dann.

»Nein. Der Dieb hatte ihn wieder zugeschlossen, in der Hoffnung, dadurch die Entdeckung noch länger hinausschieben zu können. Auch die Klingeln funktionierten – überhaupt alles, alles war in vollster Ordnung.«

Mr. Sörensen merkte nicht, wie die alte Dame hinter seinem Rücken manchmal leicht den Kopf schüttelte.

»Ist diese Klingelvorrichtung von draußen abzustellen?«

»Nein, nur von innen.«

»Sie haben in der Nacht nichts Verdächtiges bemerkt?«

»Gar nichts, und ich schlafe hier nebenan und habe einen sehr leichten Schlaf.«

»Haben Sie Nachschlüssel, falls Sie dieses Schlüsselbund einmal verlieren?«

»Ja, aber die sind im Depositengewölbe der hiesigen Kreditbank niedergelegt, und ich habe mich heute früh natürlich gleich überzeugt, daß die sich noch dort befinden. Nein, dieser abgefeimte Halunke muß ein professioneller Einbrecher gewesen sein, der es verstanden hat, alle Schwierigkeiten zu beseitigen und den Geldschrank mit so einem Werkzeug, wie die Diebe es immer gebrauchen – Dietrich heißt es wohl – zu öffnen und dann wieder zuzuschließen. Oder er kann ja auch heimlich hier eingedrungen sein, hat einen Wachsabdruck von den Schlössern genommen und sich danach Nachschlüssel anfertigen lassen.«

Nobody blickte den Sprecher starr an, nahm ihm das Schlüsselbund aus der Hand, betrachtete die Schlüssel und sah wiederum jenen mit seltsam starren Augen an.

»Sie meinen also,« sagte er dann langsam, »es wäre ... ganz ausgeschlossen ... daß der Betreffende diese Schlüssel hier ... benutzt hätte?«

Jawohl, so etwas erklärte Sörensen für vollkommen ausgeschlossen. Das Schlüsselbund lag des Nachts unter seinem Kopfkissen, da war keine fremde Hand darangekommen.

»Aber Ihre Diener wissen doch, und auch dieser Lewis Higgen wußte es, wie man hier dieses Geheimfach öffnet und vorher die Selbstschüsse abstellt?«

Nein, auch das nicht! In dieses Zimmer hier war seit etwa dreißig Jahren kein fremder Fuß gekommen, der alte Herr wischte in dem Zimmerchen auch den Staub selbst. Eine Ausnahme geschah nur jede Woche einmal, wenn die Fenster geputzt wurden, was also das letzte halbe Jahr Lewis Higgen besorgt hatte. Während dieser Viertelstunde hielt sich Sörensen dann nebenan im Studierzimmer auf, aber die Tür stets offen haltend.

»Und da hat Lewis eben den Wachsabdruck von den Schlössern genommen, was ich freilich vom Schreibtisch aus nicht sehen konnte.«

Nobodys Blick, der auf dem Sprecher ruhte, ward immer starrer – ein Zeichen, wie angestrengt sein Gehirn arbeitete.

»Mr. Sörensen, was haben Sie denn früher für eine Fabrik gehabt?« fragte er plötzlich.

»Eine Puppenkleiderfabrik,« entgegnete der alte Herr, etwas verdutzt ob solch ungereimter Zwischenfrage.

»Puppen ... kleider!« wiederholte Nobody langsam, das Wort lang auseinanderziehend. »Merkwürdig, mit was alles in der Welt Geld verdient wird.«

»Es war eine kleine Fabrik, aber eine Goldgrube. Sie gehörte meiner Frau, ich mußte sie mit übernehmen, obgleich ich zuerst gar nichts davon verstand.«

»Was für einen Beruf hatten Sie denn ursprünglich, wenn ich fragen darf?«

»Ich lebte von einer kleinen Rente, hatte mich ganz der Münzenkunde gewidmet, bis ich meine selige Frau kennenlernte.«

»Puppenkleider und Münzenkunde,« wiederholte Nobody nochmals. »Ja, dann freilich! Sie denken, man kann von solch einem Geldschrankschloß einen Wachsabdruck nehmen und danach Schlüssel fertigen lassen? Ei, da hätten unsre Einbrecher leichtes Spiel! Da brauchten sie doch nicht mit dem Knallgasgebläse und Dynamit zu arbeiten. Und der junge Mann, der erst ein Jahr als Pferdeknecht diente, hätte hier die Selbstschüsse abstellen und diesen überaus komplizierten Mechanismus des Geheimfaches herausfinden können? So ohne weiteres? I, Gott bewahre, mein lieber Herr, da befinden Sie sich in einem vollkommenen Irrtum! Das hätte nicht einmal ich fertig gebracht, und ich verstehe mich auch etwas auf solche Sachen. Nein, nein, lieber Herr, das Bild, das Sie mir da gemalt haben, verschiebt sich vor meinen Augen immer mehr. Hier wittere ich schon ein geheimnisvolles Rätsel, was Sie aber noch gar nicht ahnen. Ich glaube schon nicht mehr daran, daß jener junge Fensterputzer der Täter gewesen ist!«

Diese Worte waren mit einer Ueberzeugung gesprochen worden, verstärkt noch durch etwas Spott, daß der alte Herr seine ganze Sicherheit verlor.

»Aber ... aber ... Lewis Higgen ist ja wirklich entflohen!«

»Entflohen? Wie meinen Sie das? Er hat doch tatsächlich einen Brief bekommen, wie Sie selbst sagten, und er kann also wirklich nach Richfield zur Hochzeit seiner Schwester gefahren sein.«

»Eben nicht!« rief jetzt Sörensen triumphierend. »So klug bin ich auch! Er gab mir die Adresse seiner Schwester, heute früh um sieben hätte er schon dort sein können, und im Laufe des Tages habe ich zweimal dorthin telegraphiert, zuletzt heute nachmittag gegen fünf, mit bezahlter Rückantwort, und die lautete, daß Lewis noch immer nicht dort angekommen sei. Jawohl, eingeladen mag der Junge schon gewesen sein, aber er hat diese Gelegenheit benutzt und sich aus dem Staube gemacht.«

Wohl mochte der Detektiv durch diese Eröffnung etwas betroffen sein, doch wurde er in seiner Ansicht nicht irre.

»Möglich, daß der Bengel mit im Bunde ist. Aber so einfach, wie Sie sich die Sache denken, ist sie jedenfalls nicht. Wann haben Sie zuletzt diesen Panzerschrank geöffnet und den Diamanten gesehen?«

»Gestern abend gegen sieben hatte ich ihn zum letzten Male in der Hand. Dann meldete sich ein Besuch an.«

»Was für ein Besuch? Das sind natürlich nicht nur Fragen der Neugier.«

»Ein gewisser Monsieur Dechardes aus Paris. Der Herr hatte vorher schriftlich angefragt, wann ich zu sprechen sei, er wolle mein Urteil über eine altrömische Münze hören, und ich hatte ihm geantwortet: von nachmittags vier bis um acht zu jeder Zeit. Dann meldete er seine Ankunft auf um sieben an, und da kam er auch. – Aber ich bitte Sie sehr, Mr. Nobody, diesen Herrn nicht etwa in Verbindung mit dem Diebstahl zu bringen. Ich empfing ihn hier in diesem Zimmer, nur für zehn Minuten, ich erklärte die Münze für unecht, dann ging er wieder.«

»Hatten Sie denn auch den Diamanten wieder zurückgelegt und die Sicherheitsverschlüsse wiederhergestellt?«

Natürlich! So etwas vergaß doch der alte Herr nicht, der das Wunder von Portugal ängstlicher behütete als seinen Augapfel!

»Hm,« brummte Nobody nachdenklich, »da sind doch noch immer ganz besondere Fälle zu bedenken, und ich habe in meiner Detektivpraxis auch schon recht Seltsames erlebt. Sind Sie ganz gesund, Mr. Sörensen?«

»So gesund, wie man von einem alten Manne, wie ich bin, erwarten kann.«

»Ist Ihr Schlaf normal?«

Nobody sah bei dieser Frage den alten Herrn fest an, und dieser begann etwas zu lächeln.

»Sie denken doch nicht etwa, ich könnte den Diamanten und die Goldmünzen selbst gestohlen haben? Im Schlafe, ohne daß ich es weiß? Daß ich ein Nachtwandler hin? Ich habe nämlich einmal so eine phantastische Geschichte ...«

Mr. Sörensen brach betroffen ab. Die alte Dame vor ihm hatte einen langen Pfiff ausgestoßen, in ganz eigentümlicher Weise, was allerdings Ueberraschung hervorrufen mußte.

»Heureka!! Ich hab's gefunden! Mr. Sörensen, sind Sie schon einmal hypnotisiert worden?«

»Hypnotisiert? Ich? An so etwas glaube ich gar nicht, das ist nur eine Einbildung,« lautete die erstaunte Antwort.

»Aha, da haben wir's ja schon! Und ich sage Ihnen: Sie sind in der Hypnose sogar dagegen geimpft worden.«

»Ich?« erklang es immer erstaunter. »Ich bin überhaupt niemals geimpft worden. Die Pockenimpfung gab's in meiner Jugend noch gar nicht.«

»Das ist es nicht, was ich meine. Sie sind hypnotisiert worden, und im hypnotischen Zustande ist Ihnen der Befehl beigebracht worden, daß Sie sich nie wieder hypnotisieren lassen, daß Sie gegen den hypnotischen Einfluß fernerhin ganz unempfänglich sind. Woher ich das weiß? Weil ich Sie soeben hypnotisieren wollte, was mir aber nicht gelang, eben weil Sie dagegen geimpft worden sind, denn sonst hypnotisiere ich jeden Menschen durch einen einzigen Blick. Da sitzen wir freilich in einer bösen Patsche. Aber jener Hypnotiseur hat sich doch verrechnet. Es gibt dennoch ein Mittel, um trotz der Schutzimpfung den hypnotischen Zustand zu erzeugen. Kommen Sie doch wieder hinüber, dazu müssen wir uns setzen.«

Mr. Erasmus Sörensen begnügte sich vorläufig, nur den Mund zu öffnen, als er der alten Dame wieder in das Studierzimmer folgte. Dabei aber überkam ihn auch schon eine gewisse Scheu.

»Sie sind offenbar das Opfer einer hypnotischen Suggestion,« begann Nobody seinen Vortrag, von dem Mr. Sörensen absolut nichts verstand, zumal er an die Hypnotik gar nicht glaubte, sich noch nie darum bekümmert hatte, und so wollen wir diesem Vortrage auch nicht folgen. »Also Sie glauben nicht, daß jeder Mensch der hypnotischen Suggestion unterliegt?«

»Nein. Probieren Sie's doch mal bei mir, ob Sie mich hypnotisieren können.«

»Glauben Sie, daß jeder Mensch der Wirkung des Alkohols unterliegt?«

»Natürlich! Bei dem einen dauert's längere, bei dem andern kürzere Zeit, bis er betrunken ist.«

»Na also. Und genau so ist's mit der Hypnose, die sich überhaupt sehr mit dem Alkoholrausch vergleichen läßt. Und am allerleichtesten kann man jemanden im Alkoholrausch hypnotisieren. Mr. Sörensen, es hilft alles nichts – Sie müssen sich einmal tüchtig betrinken, sagen wir lieber gleich besaufen, und das jetzt sofort.«

Ach, da kam Nobody aber schön an! Der alte Erasmus Sörensen war nämlich ein Abstinenzler von der strengsten Sorte, und nun kam ja auch noch hinzu, daß er gar nicht verstand, was jener eigentlich wollte.

Doch Nobody, der die Überredungskunst im höchsten Maße besaß, und ... kurz und gut, die alten Hausdiener waren nicht wenig erstaunt, als einer von ihnen den Auftrag erhielt, aus der nächsten Kneipe etliche Flaschen Wein und Kognak zu holen.

Wir wollen uns nicht bei dem aufhalten, was die Diener untereinander sprachen. Jedenfalls war die alte Frau eine Teufelin, die mit höllischer List den sonst so soliden Herrn zum Trinken verführt hatte. Denn allein trank die nicht. Bis in die Küche hinab hörte man, wie Mr. Erasmus kreischte und sang und in fremden Zungen redete.

Nobody konnte einmal so recht studieren, wie sich bei einem alten Manne, der sein ganzes Leben lang keinen Tropfen Wein und Bier über die Zunge gebracht hatte, der Alkohol äußerte. Es war einfach zum Schießen! Am liebsten hätte sich der alte Herr auf den Kopf gestellt und mit den Beinen gezappelt. Jedenfalls war er selig, und am wenigsten Kummer bereitete ihm jetzt sein gestohlenes Wunder von Portugal.

Lange dauerte die Trinkerei ja nicht, dafür sorgte auch schon der kundige Nobody, indem er den Alten nicht nur öfters ein Gläschen Kognak genehmigen ließ, sondern ihm auch noch solchen heimlich in das Weinglas goß. Immer schwerer wurde die Zunge, immer gläserner das Auge, die fröhliche Laune verwandelte sich in allgemeinen Weltschmerz, zuletzt zeigte sich der würdige Herr sogar als Radaubruder, der seinen Zechkollegen durchaus verhauen wollte, bis er plötzlich schwer in seinen Stuhl zurücksank und die Augen schloß, auch gleich zu schnarchen begann.

Eine kleine Weile wartete Nobody noch, dann begann er mit seinen Manipulationen, die sich diesmal darauf beschränkten, daß er dem zu Hypnotisierenden in eigentümlicher Weise die Schläfen massierte und ihm dann mit der Hand fest in den Nacken griff. Die erste Folge dieses Griffes war, daß augenblicklich das Schnarchen verstummte.

»Oeffnen Sie die Augen, ich befehle es Ihnen!«

Langsam, mit sichtbarer Anstrengung wurden die Lider in die Höhe geschoben, aber nur das Weiße des Auges zeigte sich, so waren die Pupillen nach oben verdreht – das untrügliche Zeichen, daß sich der natürliche Schlaf, der aber auch schon durch ein unnatürliches Mittel erzeugt worden war, in den hypnotischen verwandelt hatte.

 

Draußen warteten die Diener ängstlich das Resultat des nächtlichen Besuches der alten Dame ab, die den alten Herrn zum Trinken verführt hatte. Immer unheimlicher ward ihnen zumute.

Das Lärmen und Singen war schon längst verstummt. Was machten die beiden jetzt da drinnen? Schliefen sie beide? Nur einer der wohldressierten Diener wagte es, einmal nach der Tür zu schleichen. Durch das Schlüsselloch war nichts zu sehen, er legte sein Ohr daran und hörte gedämpfte Stimmen sprechen.

Das genügte ihm, er schlich zurück und teilte es seinen Kollegen mit, daß sich ihr Herr noch immer mit der Dame unterhielte. Noch immer? Nach solch einer vorausgegangenen Zecherei? Das konnte dann noch weniger mit rechten Dingen zugehn.

Um acht Uhr war der Besuch gekommen, und gegen elf war es, als sich endlich wieder die Tür des Studierzimmers öffnete, und die Diener waren förmlich erschrocken, als sie ihren Herrn, den sie jetzt in einem menschenunähnlichen Zustand wähnten, vollständig nüchtern sahen. So würdevoll wie sonst gab der alte Herr einem Diener den Auftrag, für die Dame die Haustür zu öffnen. Er selbst begleitete sie bis ans Portal hinab, wo sie sich noch einmal zum Abschied die Hände gaben.

»Leben Sie wohl, Mrs. Timmins! Kommen Sie gut in Ihr Hotel! Morgen also auf Wiedersehen!«

»Danke, danke, mein lieber Mr. Sörensen, ich wünsche Ihnen angenehme Ruhe,« piepste die dünne Stimme, und die alte Dame trat in die Nacht hinaus.

Einen Wagen hatte sie wahrscheinlich abgelehnt, ihr Hotel mochte nicht weit sein, und an eine Begleitung der einzelnen Dame dachte hier niemand. Es ist wohl bekannt, was für einen Schutz in Amerika die Frauen genießen, und das ›Nach Hause begleiten‹ ist hier eben nicht Sitte.

Es war eine einsame, aber vornehme Straße, hell erleuchtet, welche Mrs. Timmins mit ihrem vorsintflutlichen Regenschirm entlangtrippelte.

Als sie eine mit Bäumen und Büschen besetzte Anlage erreichte, blieb sie stehn, blickte sich um – nur an einer fernen Straßenecke stand ein einzelner Mann, wahrscheinlich ein Konstabler, und auch der Wächter der Ordnung und des Anstandes konnte sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten – sie verschwand in den Büschen.

Der geneigte Leser wird aufgefordert, der alten Dame in das versteckte Oertchen zu folgen, und er braucht sich durchaus nicht zu genieren – ja, er soll sogar mit Augen ausgestattet werden, welche die hier herrschende Dunkelheit durchdringen können.

Als sich Mrs. Timmins genügend tief zwischen den Fliederbüschen befand, lauschte sie einige Augenblicke, dann hob sie schnell ihren Rock empor, wobei es sich zeigte, daß die alte Schachtel unter demselben gestreifte Männerhosen trug, brachte aus der Tasche ein dunkles Päckchen zum Vorschein, nur so groß, daß man es leicht in einer Hand verbergen konnte, faltete es auseinander, es war eine Art von Luftkissen aus Kautschuk, nahm dieses einstweilen zwischen die Zähne, jetzt streifte sie den Frauenrock ab, zog das Jackett aus, pfropfte diese beiden Sachen in den Gummisack, desgleichen das Veilchenhütchen, setzte dafür eine der Rocktasche entnommene Reisemütze auf, dann beschäftigte sich Nobody mit dem alten Regenschirm, den er einstweilen in die Erde gestoßen hatte, entfernte mit einem Ruck den Ueberzug, den er ebenfalls in dem Gummibeutel verschwinden ließ, dann führte er diesen an den Mund, blies ihn auf, wodurch derselbe immer eckigere Formen annahm, machte sich mit den Händen noch etwas im Gesicht zu schaffen – und es waren noch keine drei Minuten vergangen, seitdem Nobody als altes Weib in das Gebüsch geschlüpft war, da verließ er die Anlagen auf der andern Seite als ein schneidiger, schnurrbärtiger Commis Voyageur mit geschwelltem Musterkoffer, in der rechten Hand einen eleganten Spazierstock.

So, unterdessen würde Mr. Sörensen seinen Dienern wohl schon das glaubwürdige Märchen aufgebunden haben, das der geriebene Detektiv erfunden hatte, um jenen vor dem Verdachte der Trunkenboldenhaftigkeit zu rechtfertigen, und alles war all right.

Der Commis Voyageur betrat das nächste Hotel, nahm ein Zimmer, und bald konnte Nobody ungestört darüber nachgrübeln, was er vorhin in Erfahrung gebracht hatte.

Erasmus Sörensen war das Opfer eines Hypnotiseurs, er hatte sich, ohne es zu wissen, sozusagen selbst bestohlen. Es lag hier ein Fall vor, der schon oft vorgekommen sein mag, und wenn man dabei die Hilfe der Hypnose theoretisch und praktisch zu Hilfe nimmt, so würde auf diese Weise manche Handlung und manches Verbrechen Aufklärung finden, worüber noch bis zum heutigen Tage ein undurchdringliches Dunkel lagert. Diese Zeiten werden auch noch kommen, aber heutigentages will das Gericht von der ganzen Hypnotik noch nichts wissen, und vielleicht mit Recht, denn noch sind unsre Kenntnisse über diesen unnatürlichen Schlafzustand sehr mangelhaft, diese Wissenschaft steckt erst in den Kinderschuhen, und da könnten Fehler gemacht werden, wodurch Irrtümer mit den vielleicht fürchterlichsten Folgen entstehn würden.

Für Nobody aber, der die Hypnotik zu seinem Studium gemacht hatte, war der vorliegende Fall ein ganz klarer.

Der eigentliche Dieb des Diamanten war jener Monsieur Dechardes, der dem bekannten Numismatiker gestern abend den schon angemeldeten Besuch abgestattet hatte, um eine alte Münze beurteilen zu lassen.

Der Herr war im Studierzimmer empfangen worden, nach einigen einleitenden Worten hatte Sörensen die ihm dargereichte Münze genommen und, während er dieselbe in der Hand behielt, sie mit der Lupe untersuchte, die Erklärung abgegeben, daß sie eine Fälschung sei, sogar eine ganz plumpe, hatte noch etwas über die echte ›Thebaner mit dem Olivenzweig‹ gesprochen, dann hatte sich der Franzose mit bestem Dank für freundliche Auskunft wieder entfernt. Die Unterredung konnte höchstens zehn Minuten gewährt haben.

So sagte Sörensen aus – im normalen Zustande! Als er von Nobody in Hypnose versetzt worden war, wußte er etwas ganz andres zu erzählen.

Dem, der sich nur einigermaßen über die Hypnotik orientiert hat, dürfte bekannt sein, daß man aus dem hypnotischen Schlafe ohne Erinnerung daran erwacht, was man während desselben getan und gesprochen hat. Wird man aber nochmals hypnotisiert, so kann man sich auf alles wieder besinnen und berichtet darüber dem Hypnotiseur, und diese Erinnerung kann auch nicht der in der vorhergegangenen Hypnose gegebene Gegenbefehl, nichts mehr davon zu wissen, verwischen. Will ein verbrecherischer Hypnotiseur sich vor Entdeckung schützen, so kann er nur den Befehl geben, daß sich der Betreffende von keinem Menschen mehr einschläfern läßt, höchstens noch durch ein bestimmtes Stichwort, welches also der Hypnotiseur allein weiß.

So hatte denn auch jener Monsieur Dechardes getan, und wir haben gesehen, wie Nobody den gegen Hypnose Gefeiten dennoch einzuschläfern oder vielmehr dennoch für eine Hypnose empfänglich zu machen wußte.

Jetzt also konnte Sörensen, durch geschickte Fragen unterstützt, alles erzählen, was der fremde Herr gestern abend mit ihm vorgenommen hatte. Der Uebergang freilich fehlte; wie ihn jener eigentlich eingeschläfert hatte, darauf konnte er sich nicht mehr besinnen – so wenig wie jemand mit vollem Bewußtsein einschlafen und den Anfang und das Ende eines Traumes bestimmen kann.

»Hast du in deiner Sammlung einen roten Diamanten, der einen Skorpion eingeschlossen enthält, bekannt unter dem Namen das Wunder von Portugal?«

Das war die erste Frage gewesen, nachdem der Franzose dem Hypnotisierten in der üblichen Weise unbedingten Gehorsam befohlen hatte, und willenlos hatte Erasmus Sörensen sein tiefstes Geheimnis preisgegeben.

»Zeige ihn mir!«

Im nebelhaften Traumzustande war der Hypnotisierte hinübergegangen, hatte das Schlüsselbund aus seiner Tasche gezogen, den Panzerschrank aufgeschlossen, die Selbstschüsse abgestellt, das Geheimfach enthüllt.

»Gib mir den Diamanten, ich befehle es dir!«

Ja, es war ein ... teufelsbegnadeter Hypnotiseur gewesen! Er hatte den Diamanten nicht selbst genommen, sondern er hatte ihn sich freiwillig geben lassen. Hierin ist nämlich ein großer Unterschied, welcher aber als solcher hier nur angedeutet werden kann. Jedenfalls also hatte Sörensen sein angebetetes Heiligtum dem Fremden freiwillig ausgehändigt – denn den geheimnisvollen Bann, unter welchem er sich befand, fühlte er jetzt nicht – und deshalb nämlich erwachte er später nicht mit unangenehmen Empfindungen.

Der Franzose hatte sich auch gleich noch die Erlaubnis geben lassen, die sämtlichen spanischen Goldmünzen nehmen zu dürfen, dann hatte Sörensen auf weitern Befehl alle die mechanischen Handgriffe verrichtet, um die Selbstschüsse wieder einzustellen und den Panzerschrank wieder zu schließen.

»Ich befehle Ihnen, sich fernerhin von keinem andern Menschen mehr hypnotisieren zu lassen,« hatte es dann weiter an Sörensens Ohr geklungen, und er wußte, daß er schon wieder auf dem Armstuhl vor seinem Schreibtisch saß.

»Ich gehorche,« hatte der Hypnotisierte versichern müssen.

»Daß Sie nicht wieder in denselben Zustand kommen, in welchem Sie sich jetzt befinden!«

Das wurde auch noch deutlicher erklärt.

»Nur ich selbst kann Sie hypnotisieren, und zwar sind Sie es sofort, wenn ich das Wort ›Sardanapal‹ ausspreche.«

Wenn auch der Hypnotisierte Gehorsam versprach, so hätte er diesem Befehl doch nicht so ganz nachkommen können. Dieses Wort ›Sardanapal‹ war nun überhaupt ein Stichwort, welches die Hypnose einleitete, auch wenn ein andrer es aussprach. Aber wie selten im alltäglichen Gespräch wird einmal dieser Name ausgesprochen werden, und dann, nur so leicht hingesagt, hätte Sörensen auch höchstens eine unangenehme Empfindung von Müdigkeit gehabt, nichts weiter. Anders war es, wenn ihm dieses Wort nachdrücklich zugerufen wurde, und die größte Macht allerdings konnte fernerhin dieser Mann auf ihn ausüben, der ihm dieses Stichwort erst suggeriert hatte.

»Wie heißt das Stichwort?«

»Sardanapal,« hatte Sörensen gemurmelt – und da plötzlich saß er vor dem Schreibtisch auf seinem Stuhl, den er nicht verlassen zu haben glaubte, hatte die gefälschte Münze in der Hand und erklärte dem fremden Herrn, wie eine echte ›Thebaner mit dem Olivenzweig‹ beschaffen sein müsse. Alles, was er während der Hypnose getan, war vollständig seinem Gedächtnis entschwunden, und es hatte ja auch nur wenige Minuten in Anspruch genommen, der Zeitunterschied war ein zu geringer, als daß er auffallen konnte.

 

Wer war dieser vorgebliche Monsieur Alfonse Dechardes gewesen, welcher die hypnotische Suggestion in solch hohem Grade beherrschte und sie zu verbrecherischen Handlungen benutzte? Ein noch junger, eleganter, offenbar gebildeter Herr mit schwarzem Kopfhaar und Zwickbart. Mehr konnte Mr. Sörensen nicht angeben, nicht einmal, ob jener das Kopfhaar kurzgeschnitten trage oder nicht. Doch das machte für Nobody auch sehr wenig aus.

Etwas andres von der größten Wichtigkeit war es, was Sörensen noch nachträglich über den Fremden berichten konnte, nämlich auf welch geheimnisvolle Weise sich dieser als Besuch eingeführt hatte. Als Sörensen zuerst seiner erwähnt, hatte er gar nicht daran gedacht. Jetzt freilich, da man wußte, was für einen gefährlichen Spitzbuben man vor sich hatte, wurde das ganz anders, da mußte man jeder Kleinigkeit Beachtung schenken.

Monsieur Dechardes hatte also erst an Mr. Sörensen geschrieben, ob und wann er ihn besuchen dürfe, hatte aber auch gleich gesagt, daß es sich um einen ganz, ganz wichtigen Fund auf dem Gebiete der Numismatik handle, er hätte etwas, was er dem berühmten Münzenkundigen nur unter vier Augen zeigen dürfe.

Was hier vorliegt, ist doch ganz klar. Der Franzose konnte nicht wissen, daß Sörensen den Besuch sowieso allein in seinem Studierzimmer empfangen hätte. Allein aber mußte der Hypnotisieur mit seinem Opfer sein.

Dann war des leidenschaftlichen Münzensammlers Enttäuschung eine sehr große gewesen. Die Münze, bekannt unter dem Namen ›Thebaner mit dem Olivenzweig‹, ist ja sehr selten, aber da hätte jener doch nicht erst solch eine geheimnisvolle Einleitung zu machen brauchen, und nun brachte der Kerl aus seiner Tasche auch noch die allerplumpste Nachahmung dieser Münze, sie sah aus, als hätte er sie in aller Schnelligkeit selber gemacht – jedenfalls hatte er gar keine Ahnung von Münzen.

Der alte Erasmus Sörensen war ein sehr höflicher Herr, ließ sich nichts merken, gab ausreichende Erklärungen und komplimentierte jenen wieder hinaus – ohne zu ahnen, wie sich der Spitzbube, der seinen Zweck erreicht, jetzt ins Fäustchen lachte.

Wie aber war der Mann auf die richtige Vermutung gekommen, daß Mr. Erasmus Sörensen in Philadelphia den Diamanten besaß, welcher vor fast 50 Jahren spurlos aus den Tuilerien verschwunden und seitdem verschollen war? Und Nobody glaubte den Versicherungen Sörensens, daß er seit jener Zeit, da er das Wunder von Portugal von dem Arbeiter erhalten, noch zu keinem Menschen darüber ein Sterbenswörtchen gesprochen hatte.

Jenen Arbeiter hatte man am nächsten Tage tot aus dem Delaware gezogen. Hatte der Unglückliche vorher noch geplaudert? Und jetzt nach fünf Jahren zeigte sich erst das Resultat? Und stand Lewis Higgen mit dem Fremden und dessen Diebstahl in Verbindung?

Wir wollen nicht Nobodys Grübeleien folgen, er selbst gab sie auf; seine Pläne, die er morgen ausführen wollte, waren schon gefaßt, er legte sich schlafen.

 

Am nächsten Morgen war er schon zeitig auf der Straße. Für das, was er heute vorhatte, war es noch viel zu früh, die Bäckerläden machten erst auf. Aber Nobody wußte sich die Zeit zu vertreiben. Er war nicht zum ersten Male in Philadelphia, und er kannte das kleine Bierlokal, in dem sich die von der Nachtwache abgelösten Konstabler dieser Stadtgegend zusammenfanden, um den nach Neuigkeiten haschenden Reportern zu berichten, was sich während der Nacht besonderes zugetragen hatte, wofür sie einige ›drinks‹ erhielten.

Dorthin begab sich Nobody und hatte bald sämtliche Konkurrenten aus dem Felde geschlagen, indem er den Wachtmeister von der Hauptwache für sich zu gewinnen wußte, der ihm nun alles, was während der letzten 24 Stunden in Philadelphia passiert war, brühwarm erzählte. Brandy mit Zucker freilich können solche Fünf-Cents-Reporter auch nicht ausgeben, besonders wenn es so ein Wachtmeister ist, der nach dem zwölften Brandy erst Appetit nach etwas Schärferem bekommt.

Nobody hatte vorsichtig auf den Busch geklopft, und richtig, der Fuchs sprang heraus!

Lewis Higgen war bereits bei der Polizei als ›vermißt‹ angemeldet worden. Die um den Jungen besorgte Schwester hatte unterdessen die Polizei in Richfield benachrichtigt, daß ihr Bruder dort abgefahren und hier nicht angekommen sei, jetzt stellte man in Philadelphia bereits Recherchen an, ob Lewis den um vier Uhr abgehenden Zug auch wirklich benutzt habe.

Freilich war das eine schwierige Sache, den alten Mr. Sörensen hatte man deshalb nicht aus seinem Bett geholt, der Junge konnte ja auch noch auftauchen.

Nobody zweifelte daran. Aber ob Lewis Higgen mit dem verbrecherischen Hypnotiseur in Verbindung stand oder nicht, darüber zerbrach er sich jetzt nicht den Kopf.

Dagegen sei gleich etwas andres erwähnt, was Nobody dann später auch zu Sörensen sagte: Gesetzt den Fall, dieser hätte keinen Grund gehabt, den Diebstahl des Diamanten der Polizei zu verheimlichen, er hätte den Fall also derselben übergeben, so hätte man zehn gegen eins wetten können, daß sie auf eine ganz falsche Spur geraten wäre. Mindestens hätte sie die kostbare Zeit mit dem Aufsuchen des verschwundenen, das heißt entflohenen Jungen vertrödelt, während der eigentliche Täter sich in Sicherheit bringen konnte.

Dann war aber auch zu bedenken, daß der Franzose von der Abreise des Jungen Kenntnis erhalten und ihn kalt gemacht haben konnte, so daß überhaupt ein gänzlich falscher Verdacht entstand.

Doch wie gesagt, mit solchen Gedanken gab sich Nobody gar nicht ab, er hatte immer nur ein einziges Ziel im Auge, und das war jetzt der Monsieur Dechardes.

Als die Bibliotheken geöffnet wurden, begab Nobody sich in eine der größten und fragte nach Edward Knorrs ›Buch der berühmten und historischen Edelsteine‹, welches denn auch vorhanden war, und in welchem er den roten Skorpion oder das Wunder von Portugal verzeichnet fand.

Viel war es ja nicht, um was er sein Wissen bereicherte, es wurde in diesem Buche über das Wunder von Portugal nicht mehr gesagt, als wir in der Einleitung getan haben, aber etwas hatten wir doch vergessen, und für Nobody war es eine große Hauptsache: die Herkunft des Steines.

Vasco de Gama, der berühmte Indienfahrer des 15. Jahrhunderts, hatte ihn mit nach Portugal gebracht, nachdem er ihn in Cochinchina, das ist in Hinterindien, von einem Maharadscha geschenkt bekommen.

So war in dem trefflichen Buche zu lesen.

»Hm,« brummte unser Nobody innerlich, »sollte Vasco de Gama solch eine Seltenheit, die einzig in der Welt existiert, wirklich von dem indischen Fürsten geschenkt bekommen haben, selbst wenn er ihm einen noch so großen Dienst erwiesen hatte? Sollte der brave Portugiese den kostbaren Edelstein nicht eher gemaust haben?«

Als die Bibliotheksuhr die zehnte Stunde verkündete, stieg Nobody ins Geschäft, das er heute vorhatte.

Sörensen hatte ihm gesagt, daß es in Philadelphia noch vier andre Männer gäbe, welche hauptsächlich Inkarnate sammelten, hatte ihm ihre Adressen gegeben und ferner auf sein Ersuchen leihweise ein kostbares Bernsteinstück, welches eine Ameise eingeschlossen enthielt – keine gewöhnliche Ameise, sondern eine, wie sie heute gar nicht mehr existiert, eine Ameise, die hinten auf dem Rücken noch besonders einen Buckel hatte.

Mit dieser buckligen Bernsteinameise in der Tasche machte sich Nobody auf den Weg zum ersten Inkarnatensammler. Mr. Beecher war, wie Sörensen erzählt hatte, gleichfalls ein Privatmann, lebte, obgleich er für seine Liebhaberei Geld genug hatte, sehr einfach, nur mit einer Wirtschafterin, war manchmal etwas grob, aber für gewöhnlich ein ganz gemütlicher Kerl, mit dem sich sprechen ließ.

Nobody zog an dem einfachen Häuschen die Klingel; eine alte Frau öffnete, ließ den eleganten Herrn gleich in den Parlour treten, fragte nach seinem Begehr.

»Nicht wahr, Mr. Beecher sammelt Inkarnate?«

Die Wirtschafterin bejahte, machte aber merkwürdigerweise gleich ein recht ängstliches Gesicht.

»Ich habe ein überaus seltenes Bernsteinstück zu verkaufen ...«

»Ach Gott, es ist aber doch auch wirklich etwas Gutes?« fing die alte Frau sogleich zu jammern an. »Da war erst gestern ein Herr da, der wollte auch so ein Inkarnat zu verkaufen haben, wollte Mr. Beecher unter vier Augen sprechen, tat so furchtbar geheimnisvoll, und dann war's nur ein gewöhnliches Stück Harz mit einer Stubenfliege. Da hat sich mein Herr so schrecklich geärgert, er hat die ganze Nacht nicht schlafen können. Ist's denn auch wirklich etwas Seltenes, was Sie ihm zeigen wollen?«

»Eine Stubenfliege ist's jedenfalls nicht, aber eine Ameise, mit nur fünf Beinen und sogar mit einem Buckel ...«

Nobody konnte nicht weiter erklären, die Tür wurde aufgerissen, auf der Schwelle stand ein großer, dicker Mann, dessen rotes Gesicht die wildeste Aufregung ausdrückte. Er mußte schon draußen etwas gehört haben.

»Was wollen Sie?« brüllte er den fremden Herrn gleich an. »Eine bucklige Ameise mit fünf Beinen? Sie wollen mich wohl auch veralbern? Das war wohl gestern Ihr Spießgeselle, was, he? Machen Sie, daß Sie nauskommen!!«

»Aber ich bitte Sie, ich bin ...«

»Naus, sage ich, naus, naus, naus!!!«

Nobody floh vor dem cholerischen Manne davon, der ihm ernstlich auf den Leib rücken wollte.

Trotzdem konnte er mit dem Erfolge zufrieden sein. Er hatte den Namen des gestrigen Besuches nicht erfahren, nicht, ob es ein schwarzbärtiger Franzose, aber ohne Zweifel war es kein andrer als jener Monsieur Dechardes gewesen. Er hatte ganz genau dieselbe Einleitung gebraucht wie bei Sörensen, hatte also einen geheimnisvollen Brief geschrieben, hatte sich geheimnisvoll eingeführt, alles nur zu dem Zwecke, um mit dem Sammler ungestört allein zusammen sein zu können, um ihn zu hypnotisieren – nur daß er diesem Manne, welcher nur Inkarnate sammelte, ein solches zeigen wollte, und daß das ein ganz wertloses Ding gewesen war, eine noch plumpere Fälschung als die nachgeahmte Münze, das hatte den cholerischen Mr. Beecher so aufgebracht, daß noch am andern Tage Nobody seinen Zorn ausbaden mußte. Vielleicht auch war der Mann, der sich so leicht außer Fassung bringen ließ, schon früher einmal das Opfer von Spaßvögeln gewesen.

Trotzdem wollte Nobody noch einen zweiten Versuch machen, um seiner Sache ganz sicher zu sein. Unser Nobody hatte wirklich Talent zum Geschäftsreisenden, der sich vorn hinauswerfen läßt und hinten wieder hereinkommt. Er ging stracks zu einem zweiten Inkarnatensammler, dessen Adresse Sörensen ihm gegeben hatte, ein berühmter Rechtsanwalt, der jetzt nur in seinem Bureau zu sprechen war.

Das Wartezimmer saß schon voller Klienten, und Nobody hatte dem ihn nach seinem Begehr fragenden Kanzleidiener nichts andres zu sagen, als daß er dem Herrn Rechtsanwalt ein seltenes Bernsteinstück zeigen wolle.

Der Diener ging, und der Erfolg der Meldung war ein ungeahnter. Der Rechtsanwalt ließ alle Klienten und Geschäfte warten, um sofort ein seltenes Inkarnat sehen zu können. Nobody wurde durch eine große, mit vielen Schreibern besetzte Kanzlei geführt und von dem Rechtsanwalt in dessen kleinem Bureau allein empfangen. Durch ein Fensterchen konnte man die große Schreibstube übersehen.

»Graves ist mein Name,« stellte sich Nobody vor und präsentierte das ihm geliehene Bernsteinstück als sein Eigentum, bot es jenem zum Kaufe an.

Es war wirklich ein überaus seltenes Inkarnat, der Rechtsanwalt war entzückt, konnte sein Auge nicht von der Lupe trennen. Aber er war auch so vorsichtig, das Stück einigen Prüfungen zu unterwerfen, ob nicht etwa eine künstliche Einschließung vorliege, und er war auch hier in seinem Geschäftsbureau dazu eingerichtet, in einer Ecke des Zimmers war ein kleines Laboratorium. Er tauchte das Stück Bernstein in verschiedene Flüssigkeiten, erwärmte es und machte andre Experimente damit. Es war ein echter Bernstein, auch nicht aus zwei Hälften zusammengekittet.

»Was wollen Sie dafür haben?«

»Gestatten mir Herr Rechtsanwalt erst eine Frage. War gestern ein Herr bei Ihnen, welcher Ihnen ebenfalls ein Inkarnat zum Kaufe anbot?«

Forschend blickten die klugen Augen des Rechtsanwaltes den Frager an.

»Ja. Ein Mr. Dechardes. Oder Monsieur Dechardes, es war wohl ein Franzose. Stehen Sie mit dem Herrn in Verbindung?«

»Durchaus nicht. Ganz im Gegenteil. Ich wollte Sie vor diesem Herrn warnen, er versucht gefälschte Inkarnate und Münzen zu verkaufen.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Warnung. Ja, dieses Individuum war gestern bei mir, bot mir ein Inkarnat an, die plumpste Fälschung, die mir je vorgekommen ist. Ich hatte Lust, den Menschen arretieren zu lassen. Denn obendrein benahm er sich mit der unverschämtesten Dreistigkeit, tat so geheimnisvoll, hatte mir erst einen langen Brief geschrieben, voll von mystischen Andeutungen, er müsse mich unbedingt ganz, ganz allein sprechen. Ich ging nicht darauf ein, ich empfing ihn einfach hier in meinem Bureau, und da wollte mir der Mensch zwei zusammengeleimte Stücke Harz, in die eine Fliege hineingeklebt war, als ein echtes Inkarnat aufschwatzen.«

Nobody hätte diese Erklärung gar nicht mehr nötig gehabt. Es war gesagt worden, daß der Rechtsanwalt ihn forschend angeblickt hatte, Nobody hatte den Blick erwidert und ... es ist schon wiederholt gezeigt worden, welch eine furchtbare Macht dieser rätselhafte Mann, der sich Nobody nannte, in seinem Blicke besaß, wenn er wollte, wenn er seinen Willen daraufhin konzentrierte.

»Schlafe ein, ich befehle es dir, ich will es: schlafe ein!!!«

So hatte er jetzt auch diesem Rechtsanwalt in Gedanken befohlen – mit einem Wort: er hatte ihn hypnotisieren wollen, und Nobody war seiner Sache sicher, daß diesem seinem magnetischen Blick, oder wie man es sonst nun nennen mag, kein einziger Mensch widerstand.

Aber des Rechtsanwalts Augen wollten sich nicht nach oben verdrehen, und Nobody wußte, weshalb jener ihm widerstehn konnte.

Nobody blickte durch das Fensterchen, er sah die vielen Schreiber sitzen, und eine eigentümliche Empfindung überkam ihn, die er sonst gar nicht kannte, etwas wie eine Scheu.

Also auch diesen Rechtsanwalt hatte jener Franzose hypnotisiert, um den Willenlosen auszuforschen, ob er in seiner Sammlung den indischen Diamanten habe, hier in diesem Bureau, bei unverschlossener Tür, wo nebenan die Schreiber saßen, welche durch das Fensterchen blicken konnten, wo jeden Moment jemand eintreten konnte!!

Wahrhaftig, das war eine verwegne Kühnheit, die seinesgleichen suchte! Wer war dieser Mann? Nun, Nobody wollte ihn näher kennen lernen, dieser Entschluß stand jetzt felsenfest bei ihm; der bestohlene Sörensen brauchte ihm zur Wiederbeschaffung seines Diamanten keine Prämie anzubieten!

»Was wollen Sie also für dieses Inkarnat haben?«

»Eine Million.«

»Wieviel?« fragte der Rechtsanwalt mit großen Augen.

»Eine Million Dollar,« wiederholte Nobody kaltblütig. Er durfte das Stück Bernstein ja gar nicht verkaufen, und eine solche Summe würde jener wohl nicht zahlen.

Der Rechtsanwalt war ein gelassener Mann, er gab das Stück einfach zurück.

»Es ist allerdings eine Seltenheit, aber Sie überschätzen den Wert vollkommen. Gehn Sie zu andern Liebhabern von solchen Sachen, bieten Sie es ihnen an, aber kommen Sie immer wieder zu mir. Hundert Dollar mehr als jeder andre will ich Ihnen dafür geben, aber keine Million, keine halbe, keine viertel. Wenn Ihnen jemand 1000 Dollar dafür bietet, dann seien Sie sehr, sehr zufrieden, und dann also will ich Ihnen 1100 Dollar dafür geben. Empfehle mich.«

Nobody entfernte sich. Zu den beiden andern Sammlern ging er nun nicht mehr, denn er war fest überzeugt, daß Monsieur Dechardes auch bei diesen gewesen war und mit ihnen gleichfalls sein hypnotisches Experiment gemacht hatte, vorausgesetzt, daß Erasmus Sörensen in Philadelphia der letzte gewesen war, dem er seinen Besuch abgestattet hatte, diesem sich nur zur Abwechslung mit einer Münze einführend, weil er mit dem gefälschten Inkarnat schon schlechte Erfahrungen gemacht hatte.

Nobodys Absicht war, sich jetzt sofort nach New-York zu begeben, wozu er natürlich seine Gründe hatte. Da der nächste Zug aber erst in einer Stunde abging, suchte er zuvor noch einmal Mr. Sörensen auf, dem er, nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, Bericht erstattete.

»Was ich von alledem denke?« sagte er zuletzt. »Es ist nur ein Phantasiebild, welches ich Ihnen entwerfe. Vor 500 Jahren hat Vasco de Gama aus Indien diesen Diamanten entführt. Ob nun mit Gewalt, oder ob er ihn wirklich geschenkt bekommen hat, das ist ganz gleichgültig. Bei den Erben des einstigen Besitzers lebt noch heute, nach 500 Jahren, die Erinnerung an den seltsamen Stein mit dem Skorpion. Ich will annehmen, daß es ein Familienheiligtum gewesen ist. Vielleicht schon seit 500 Jahren haben die Kinder jenes indischen Maharadschas von Generation zu Generation sich bemüht, den verschwundenen Stein wieder aufzufinden. Im fernen Indien hat man nichts von einem Wunder von Portugal gehört, man hat dort nicht gelesen, wie der rote Skorpion nach Paris gekommen ist, wie man ihn dann aus den Tuilerien gestohlen hat. Unterdessen aber haben sich die Zeiten geändert. Jetzt gibt es schon recht aufgeklärte Indier, studieren solche doch auch an unsern Universitäten. Da hat man nachträglich von dem Wunder von Portugal gehört und in ihm das alte Familienheiligtum wiedererkannt. Wo mag der Stein jetzt sein? Auf Zeitungsannoncen wird von vornherein verzichtet. Jedenfalls ist er im Besitze eines Sammlers, der sich heimlich an der Seltenheit weidet. Wenn Sie die Indier so genau kennten wie ich, jene Indier, welche niemals Geld verzinslich auf der Bank anlegen, sondern alles vergraben, dann würden Sie wissen, wie leicht ein Indier auf diese ganz richtige Vermutung kommen kann. Der Plan jenes Mannes, der das Kleinod seiner Familie wiederhaben will, ist gefaßt. Es stehn ihm große Mittel zur Verfügung. Indien ist die Heimat der Hypnotik. Cochinchina ist französisch, an jenen indischen Fürstenhöfen treiben sich französische Abenteurer haufenweise herum. Da werden nun solche Abenteurer in alle geheimen Künste eingeweiht und hinausgeschickt in alle Welt, sie erkundigen sich nach Sammlern und dergleichen Personen, die für den seltsamen Stein Interesse haben können, und einer nach dem andern wird von ihnen hypnotisiert und gefragt, ob er in seiner Sammlung den roten Skorpion habe. Und so ist man denn auch zu Ihnen gekommen. Sie halten das für unmöglich? Sie meinen, weil in Ihrem Sammler-Adreßbuch allein für Amerika über 3000 Adressen angegeben sind? Ja, wer weiß denn, wie viele, viele Jahre dazu nötig gewesen sind, um Sie als den gegenwärtigen Besitzer des Diamanten herauszufinden? Wer weiß denn, was für eine kolossale Maschinerie von Indien aus dazu in Bewegung gesetzt worden ist? Doch, wie gesagt, es ist ein reines Phantasiebild, welches ich Ihnen vormale. Und dennoch, ich kenne die Indier, welche an einem seidnen Tüchelchen ein ganzes Leben lang weben. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß jener Dechardes nur eine kleine Schraube an einer gewaltigen Maschinerie ist, und ich gehe jetzt, um diese aufzusuchen und zu studieren. Leben Sie wohl, Mr. Sörensen, Sie werden erst wieder von mir hören, wenn ich einen Erfolg aufzuweisen habe.«

 

Auf der Rückfahrt nach New-York saß Nobody einem Herrn gegenüber, in dem er trotz der europäischen Kleidung, und obgleich der Mann keine besonders dunkle Hautfarbe hatte, sofort einen Indier erkannte, und zwar mußte er, den edlen Gesichtszügen nach, einer der höhern Kasten entstammen.

Er wollte sich eine Zigarette anstecken, fand sein silbernes Streichholzetui leer, Nobody gab ihm Feuer, und der Orientale war freudig erstaunt, daß er dabei auf hindostanisch angeredet wurde.

Es kam eine Unterhaltung zustande, die sich um die Handelsverbindungen zwischen Indien und Amerika drehte – bis der eine von den beiden andern Passagieren ausgestiegen und der zweite schnarchend eingeschlafen war.

Jetzt lenkte Nobody schnell das Gespräch auf die indischen Diamanten, mit dem berühmten Kohinur beginnend, bis er zuletzt fragte, ob der Hindu den Verbleib des Wunders von Portugal kenne, welcher doch ebenfalls ein indischer Diamant sei, der Herr wisse doch, der rote Diamant mit dem Skorpion, den Vasco de Gama in Cochinchina von einem Maharadscha erhalten und mit nach Portugal gebracht hatte ...

Nein, der Indier wußte nichts davon, er hatte noch nie vom Wunder von Portugal oder von einem andern Diamanten, der einen Skorpion einschließt, gehört – und er sprach die Wahrheit, das sah ihm Nobody sofort an.

Also eine Sage über diesen Diamanten zirkulierte in Indien nicht, das war hiermit konstatiert.

In New-York war Nobodys erster Gang zu einem Manne, welcher ebenfalls einen Sammelsport trieb, aber wieder eine ganz andre Art.

Mr. Speak war Heraldiker von Beruf, er machte ein Geschäft daraus, annoncierte: ›jeder kann sein Familienwappen erfahren‹, und wenn irgend ein Schustergeselle 25 Cents einschickte, so bekam er ein prachtvoll gemaltes Wappen mit der Versicherung, daß dieses wirklich seit uralten Zeiten das seiner Familie wäre.

Wenn das wohl auch nie stimmen mochte, so war Mr. Speak doch in Wirklichkeit ein gründlicher Wappenkenner der europäischen Fürstenfamilien, aber nicht nur das, er kannte auch jedes Totem oder geheime Zeichen aller wilden Völker Amerikas, Afrikas, Asiens und Australiens, hierin hatte er gewissermaßen eine neue Wissenschaft begründet, und im übrigen werden wir sogleich sehen, was dieser seltene Mann sonst noch alles wußte. Der Privatdetektiv hatte seine Dienste schon oft in Anspruch genommen.

Es war eine sehr ärmliche Wohnung, welche Nobody betrat. In einem mit Büchern vollgepfropften Kämmerchen malte der alte, leidend aussehende Mann für einen Leichtgläubigen ein brillantes Familienwappen, nebenan schimpfte eine Frau auf die schreienden Kinder.

»Mr. Speak, Sie können sich wieder in fünf Minuten 10 Dollar verdienen.«

»Das lohnt sich besser als die Bildermalerei,« schmunzelte der Alte. »Hoffentlich kann ich Sie auch bedienen. Was wollen Sie?«

»Haben Sie in Ihrer Sammlung den Skorpion?«

»Den Skorpion? Ja, ich glaube ein paarmal. Wollen gleich sehen.«

Erst nahm der Alte ein kleines Büchelchen zur Hand, suchte in dem alphabetischen Register, dann holte er von einem Regal, auf welchem eine lange Reihe in Schweinsleder gebundene Folianten standen, einen solchen herab und begann darin zu blättern.

Das Buch enthielt viele Zeichnungen, zum Teil auch farbig ausgeführt, Tiergestalten, Arabesken, Ungeheuer, merkwürdige Wappen und dergleichen, daneben oder darunter eine schriftliche Erklärung, und zwar bestanden die Blätter aus dem besten Pergament.

»Wollen Sie diese Bücher nicht einmal verkaufen?« fragte der ihm über die Schulter blickende Nobody.

»Solange ich lebe, sind sie mir nicht feil.«

»Machen Sie doch eine Kopie davon, bieten Sie dieselbe einem wissenschaftlichen Institut an, das für so etwas Interesse hat. Mann, Sie brauchen doch wahrhaftig keine solche dummen Familienwappen zu malen, wodurch Sie sich auch nur ein kärgliches Brot verdienen. Diese Bücher werden Ihnen ja doppelt und dreifach mit Gold aufgewogen!«

»Ich weiß es. Meine Kinder können sich dereinst Pferde und Equipagen kaufen und alles, was ihr Herz begehrt, aber solange ich lebe, will ich der einzige sein, der in der Welt solch eine Sammlung besitzt. – Hier ist der Skorpion. Drei sind es. Ja, die Daloas, ein Negerstamm im Innern Afrikas, haben als Wappen einen Skorpion, führen ihn besonders auf dem Schild, beten den Skorpion auch an.«

»Auf das Negervolk im Innern Afrikas reflektiere ich nicht. Weiter!«

»Ferner war der Skorpion das Erkennungszeichen einer geheimen Verbindung, die sich im 17. Jahrhundert in Spanien zum Kampfe gegen die Inquisition zusammengetan hatte.«

»Das ist auch nichts für mich. Drittens?«

»Hier ist der dritte, ein Skorpion, der sich selbst mit dem Giftstachel in den Rücken sticht. Das war ein Siegel, welches vor ungefähr 20 Jahren ein englischer Klub von Selbstmördern führte; jedes Jahr zu einem bestimmten Tage mußte ein Mitglied freiwillig aus dem Leben scheiden.«

»Diese verrückten Brüder kümmern mich noch weniger. Sonst wissen Sie mir nichts mehr über den Skorpion zu erzählen?«

»Nein, er kommt in keinem weitern Wappen vor, weder allein noch in Verbindung mit etwas andrem.«

»Gibt's in Indien nicht etwas Skorpionähnliches?«

Für Indien hatte der Sammler ein besondres Buch angelegt, es enthielt die Wappen sämtlicher indischen Fürstenhäuser, bekannte und geheime Zeichen von Verbindungen, politischen und religiösen Sekten; von Tierbildern war am meisten die Schlange vertreten, aber kein Skorpion.

»Dann habe ich Sie umsonst bemüht. Hier haben Sie Ihre zehn Dollar. Ich hoffe, Ihrer Sammlung bald einen vierten Skorpion einverleiben zu können, und es soll Sie nichts kosten. Good bye.«

 

Seit einiger Zeit hielt sich in New-York ein indischer Fürst auf, der Radscha von Lahore, oder, wie er gewöhnlich genannt wurde, Prinz Ukhan Lah. Eine politische Rolle spielte er nicht mehr, er erhielt nur noch von England, das sein einstiges Reich annektiert hatte, eine eines Fürsten, der noch seinen eignen Hofstaat hält, würdige Revenue, und dann verfügte er auch über ein nach Millionen zählendes Privatvermögen.

Er hatte, von einem großen Gefolge begleitet, schon alle Hauptstädte Europas besucht, überall mit indischem Pomp auftretend, jetzt wollte er das neue Land Amerika kennen lernen.

Gerade die republikanischen Amerikaner, welche aber doch so für klingende Titel schwärmen, hätten den fremden Gast gern als souveränen Fürsten empfangen und ihm gehuldigt, doch daraus wurde nichts, der Radscha wollte mit niemandem verkehren. So mußte man sich begnügen, den zwar nicht mehr so jungen, aber doch immer noch schönen, ritterlichen Mann, dem der lang herabhängende Schnurrbart und die großen, schwarzen, rollenden Augen ein besondres, wildes Aussehen gaben, zu bewundern, wenn er in seinem Nationalkostüm, mit Edelsteinen übersät, auf prächtigem Rosse und von einer reichen Kavalkade seiner Diener begleitet, durch die Straßen ritt, und sonst konnte man nur noch das palastähnliche Haus anstaunen, welches er in der vornehmsten Gegend New-Yorks gemietet hatte, und die beiden riesigen Kawassen, die Tag und Nacht in ihren orientalischen Kostümen davor Wache hielten, allerdings ohne Waffen zu zeigen.

Es war an einem Vormittage, als sich einem dieser Wächter zaghaft ein armselig gekleidetes Inderlein näherte, sonst aber ein recht kräftig gebauter Mann. Indier sind in dem internationalen New-York eine sehr gewöhnliche Erscheinung. Zum größten Teil sind sie Wäscher, oder sie arbeiten in Zigarrenfabriken.

»Was willst du?« herrschte der Sikh, ein Krieger aus dem Himalajagebirge, den ihn Umschleichenden an.

Der arme Schlucker von Indier verneigte sich vor dem stattlichen und so prächtig herausstaffierten Torhüter, als sei dieser der Großmogul selbst.

»Schau mich armen Kuli nicht so zornig an, du Löwe des Gebirges,« begann der Indier seine lange Rede, deren kurzer Inhalt der war, was denn auch endlich herauskam, daß er den Radscha von Lahore zu sprechen begehre.

»Weswegen?«

»Ich habe etwas gefunden.«

»Was hast du gefunden?«

»Etwas, was nur das mächtige Auge des Radschas sehen darf.«

Der Türhüter hatte wohl seine Instruktionen, er stellte nicht einmal weitere Fragen der eignen Neugier, er rief zum Tor hinein; ein indischer Diener erschien, dem noch einmal gesagt werden mußte, daß der arme Kuli etwas gefunden habe, was nur das Auge des Radschas sehen dürfe.

»Wie heißt du?«

»Ras Tagal. Seit sieben Jahren schon wasche ich in dieser Stadt den weißen Faringis die schwarze Wäsche,« entgegnete ... der als Indier verkleidete Nobody auf hindostanisch, dem er einen ländlichen Dialekt zu geben wußte.

Der echte Indier musterte ihn, aber er hatte an dem falschen nichts auszusetzen.

»Warte hier, ich werde es dem Radscha melden.«

Nobody kauerte sich in einem Winkel des Portals nach orientalischer Weise nieder. Er hatte sich nicht mit dem indischen Kaufmann begnügt, seine Ueberzeugung war eine zu große, daß mit dem roten Skorpion eine indische Sage verknüpft sein müsse.

Der Kaufmann war ein gebildeter, im Abendlande aufgeklärter Mensch gewesen, so hatte es Nobody erst noch einmal mit dem untern Volke versucht, welches für derartige Sagen viel empfänglicher ist, sie treuer aufbewahrt und vererbt, und so hatte Nobody auch Bekanntschaft mit indischen Zigarrenarbeitern gemacht. Aber auch von diesen konnte er nichts erfahren. Ohne sie direkt nach solch einem Edelstein zu fragen, hatte er doch bestimmt herausgehört, daß ihnen nichts von einem Skorpion und dergleichen bekannt war.

Immer noch nicht zufrieden, hatte sich Nobody jetzt, schon als Indier verkleidet, in eine chinesische Opiumhöhle begeben, wie es solche in New-York massenhaft gibt. Wenn solide Menschen nichts von dem Diamanten wußten, dann vielleicht Verbrecher und Gauner, die sind manchmal eher in solche Geheimnisse eingeweiht, und Nobody hatte denn auch indische Spitzbuben genug gefunden, aber er hatte umsonst für sie mehrere Pfeifen Opium bezahlt.

Wenn nicht der mittlere und der unterste Stand, dann wollte er es noch einmal bei dem obersten versuchen, da war ja gleich der Radscha von Lahore. Wenn er bei diesem indischen Prinzen ebenfalls vergebens auf den Busch klopfte, dann wollte er seine Bemühungen in dieser Weise aufgeben, dann mußte der Detektiv in seiner Kalkulierung eben ein andres Register ziehen.

Es schien übrigens die höchste Zeit gewesen zu sein, daß er den Radscha aufgesucht hatte, dieser wollte offenbar abreisen, indische Arbeiter nahmen schon die Teppichläufer von der Treppe, auch sonst wurden Vorbereitungen getroffen, welche auf eine Abreise deuteten.

Der Diener kam wieder.

»Folge mir.«

Ohne Aufforderung streifte Nobody seine roten Pantoffeln ab und folgte barfuß die Treppe hinauf. Eigentlich wäre das gar nicht nötig gewesen, auch in Pantoffeln wäre er so gut wie barfuß gewesen, er lief nicht einmal mehr auf den Brandsohlen, und ebenso dürftig war auch seine andre Kleidung beschaffen.

Der Radscha empfing ihn in einem kleinen, auch noch mit orientalischen Möbeln vollgepfropften Gemach. Es war ein großer, herkulisch gebauter Mann, gekleidet in einen schwarzseidnen Kaftan, um das Haupt den Turban geschlungen; er stand neben einem Tischchen und hatte den Schlauch einer am Boden stehenden Wasserpfeife zwischen den Lippen. Auch hier in seinem Hause hatte er den Gürtel mit Dolchen gespickt, oder vielmehr gerade hier in seiner Wohnung, denn auf der Straße trug er nie Waffen bei sich, durfte es wohl nicht.

»Was willst du? Was hast du gefunden?« fragte seine tiefe Stimme.

Das arme Inderlein hatte sich mit auf der Brust gekreuzten Armen zu Boden geworfen und berührte mit der Stirn den Teppich.

»Erhabener Radscha, dessen Weisheit und Macht leuchtet von den Spitzen des Hindukusch bis zu den fernsten ...«

»Steh auf!« wurde er herrisch unterbrochen. »Mach es kurz! Was hast du gefunden?«

Nobody war es zufrieden. Er erhob sich, behielt nur die Arme gekreuzt, senkte den Kopf, hatte aber dabei seine Augen scharf auf das dunkelbraune Antlitz des Hindufürsten geheftet.

»Es war vor zwei Tagen, noch am frühen Morgen, kaum hatte die Sonne den Osten gerötet, als ich einen Korb Wäsche nach der Cowstreet trug. Mein Weg führte mich durch den Adelaide-Garten, welchen deine Weisheit, o mächtiger Radscha, kennen wird. Nur wenige Menschen begegneten mir. Da sah ich im nassen Grase etwas blitzen – nein, ein rotes Feuermeer war es, welches mir entgegenleuchtete, ich hob es auf, und – was sahen meine entzückten Augen ...«

»Nun, was sahen sie?«

Nobody wollte sich nicht lange aufhalten, es mußte ein Knalleffekt kommen, um eine eventuelle Ueberraschung in des Radschas Zügen am besten konstatieren zu können.

»Es war ein großer, roter Diamant, der einen Skorpion umschließt.«

Vergebens – wohl waren die großen, schwarzen Augen des Hindus mit Spannung auf den demütigen Kuli geheftet, aber in dem ruhigen Gesicht hatte keine Muskel gezuckt.

»Ein Diamant, in dem ein Skorpion eingeschlossen sein soll? Du hast geträumt! Wo ist denn dieses Wunder?«

O weh, jetzt freilich mußte Nobody dem Radscha eine arge Enttäuschung bereiten! Der arme Kuli hatte den kostbaren Diamanten, den er gefunden, doch nicht verkaufen können; höchstens solch einem vornehmen Indier konnte er ihn als Geschenk anbieten, natürlich in Erwartung eines entsprechenden Gegengeschenkes in bar – und ein Hehler verrät doch nicht den andern.

»Du zweifelst an der Wahrheit meiner Worte? Hier ...«

Der Kuli brachte unter seinem schmutzigen Gewand ein noch schmutzigeres Tuch zum Vorschein, in das ein großer Knoten geknüpft war.

»Kein andrer ist würdig, dachte ich,« sagte er, als er den Knoten löste, »diesen seltenen Edelstein zu besitzen, als allein – bei der großen Maja, was ist denn das?!!«

Ja, die Maja, die indische Göttin der Täuschung, hatte ein Meisterwerk vollbracht, sie hatte den roten Diamanten in des Kulis Sacktuch in einen ganz gewöhnlichen Kieselstein verwandelt.

»O, dieser Schurke von Jussuf!« begann jetzt der Kuli zu schreien. »Er hat mir den roten Diamanten aus meinem ...«

Weiter kam Nobody in seiner Erklärung eines natürlichen Vorganges dieser Verwandlung nicht.

»Hund!!!« Mit diesem brüllenden Ruf hatte sich der Radscha blitzschnell auf ihn geworfen.

Nobody war auf solch einen Angriff gar zu unvorbereitet gewesen, und der herkulische Indier war kein zu verachtender Gegner, Nobody war beim ersten Anlauf zu Boden geschleudert worden, und als er jetzt zugreifen wollte, in der Hoffnung, das Blättchen schnell noch wenden zu können, knieten plötzlich statt eines Mannes drei auf ihm, zwei riesige Sikhs mußten sofort auf den Ruf ihres Herrn hereingestürzt sein, wenn sie nicht schon in diesem Zimmer verborgen gewesen waren.

»Bindet ihn!!«

Gegen eine solche Uebermacht war vorläufig nichts auszurichten, Nobody ließ sich ohne Gegenwehr binden, was schnell geschehen war, und die Lederriemen waren gut, besser noch als Stahlketten.

»Fort!«

Die beiden Sikhs verschwanden wieder durch eine nur mit einer Portiere verhangne Tür.

Jetzt freilich waren es furchtbar rollende Augen, die sich über das Gesicht des am Boden Liegenden beugten.

»Hund, spionierender Hund!« kam es zischend von den farblos gewordnen Lippen, wie auch das braune Gesicht plötzlich aschgrau geworden war. »Wie kommst du dazu, mich zu prüfen, ob ich den roten Skorpion besitze? Was weißt du davon?«

Alle Wetter!! Das war etwas, was Nobody nicht erwartet hatte! Bisher war niemals ein Zufall im Spiele gewesen, er war immer sachgemäß und logisch vorgegangen, auch diesem indischen Radscha hatte er ja nur auf den Zahn fühlen wollen, ob ihm etwas von solch einem roten Diamanten bekannt sei – aber daß es dieser indische Radscha selber war, der das Wunder von Portugal hatte stehlen lassen, daran hatte Nobody ja nicht im entferntesten gedacht!

Nun, er benahm sich, wie er seiner Rolle gemäß sich benehmen mußte, stellte sich also halbtot vor Schreck und Angst und beteuerte seine Unschuld.

»Bei Krischnu, dem Verkünder der Wahrheit,« jammerte er, »ich habe den roten Diamanten in mein Tuch gewickelt, um ihn dir zu bringen, aber ich hatte auch Jussuf davon erzählt, und Jussuf hat ihn mir ...«

»Schweig, Sohn einer Hündin!!« wurde er wiederum angedonnert und auch mit einem Fußtritt traktiert. »Deine Lügen helfen dir nicht! Du hast überhaupt keinen Diamanten gefunden! Sprich, in wessen Diensten stehst du?«

Ohne eine Antwort auf die letzte Frage abzuwarten, klatschte der Radscha in die Hände; in der Tür zeigte sich ein Diener.

»Ist Chawaike Antonio im Hause?«

»Ja, Radscha.«

»Er soll kommen, schnell, sofort!!«

Während der Diener forteilte, wandte sich der Radscha wieder dem Gebundnen zu, aber nur, um ihn mit Augen zu betrachten, in denen offenbares Entsetzen lag. Der Radscha mußte ein sehr schlechtes Gewissen haben.

Schon nach wenigen Augenblicken trat ein Herr ein, ein Europäer im schwarzen Gehrockanzug, ein brünettes, glattrasiertes Gesicht mit pechschwarzem Kopfhaar.

Mich soll es gar nicht wundern, dachte Nobody sofort, wenn dieser Chawaike Antonio nicht jener Monsieur Dechardes ist, nur daß er jetzt keinen schwarzen Zwickbart hat.

Nobodys Vermutung sollte denn auch sehr bald bestätigt werden.

»Was hast du getan, Antonio?« wandte sich der Radscha an den Herrn, dabei auf den Gebundnen deutend. »Deine Kunst hat dich betrogen oder du bist sehr unvorsichtig gewesen. Wir sind verraten!«

Auch Antonio verfärbte sich etwas.

»Verraten?!« stieß er bestürzt hervor.

»Dieser Kuli weiß, daß ich im Besitze des roten Skorpions bin.«

»Nicht möglich, Radscha!«

»Er will hier in New-York ein Wäscher sein, er kam zu mir, habe vor zwei Tagen etwas im Adelaide-Garten gefunden, einen großen, roten Diamanten, in dem ein Skorpion eingeschlossen sei – und dabei bemerkte ich, wie er unter seinen gesenkten Augenlidern hervor mich scharf beobachtete, was für eine Wirkung diese Worte auf mich machen würden. Es gelang mir, mich zu beherrschen. Wo er den Diamanten habe, fragte ich gleichmütig. Er zog ein Tuch hervor, in dem etwas wie ein Stein eingeknotet war – und da stellte er sich furchtbar erschrocken, daß es wirklich nur ein gewöhnlicher Kieselstein war. Dort liegt er noch. Natürlich hat er den Stein selbst hineingetan. Er wollte behaupten, ein andrer hätte den Diamanten mit dem Kieselsteine heimlich vertauscht, er sei also bestohlen worden – da aber hielt ich es nicht länger aus, ich sah durch deine Unvorsichtigkeit alles verraten, mich übermannte die Wut, ich schlug ihn zu Boden und ließ ihn binden.«

Mit ungläubigem Staunen blickte Antonio auf den am Boden liegenden Kuli. Dann trat er vor ihn hin.

»Wer bist du?«

»Ich bin ein armer Wäscher,« versuchte es Nobody noch einmal mit Jammern, wurde aber sogleich von dem Radscha unterbrochen.

»Gib dir doch keine Mühe, Antonio, du hast es doch leichter, von ihm die Wahrheit zu erfahren. Uebe an ihm die Kunst aus, die du erst von uns gelernt, die du aber zu so hoher Vollkommenheit ausgebildet hast.«

Da wußte Nobody schon, was nun kommen würde. Antonio hob ihn mit kräftigen Armen empor und brachte ihn auf einem Diwan in sitzende Stellung.

»Wie heißt du?«

»Ras Tagal, ich bin ...«

»Blicke mich an, Ras Tagal, vorausgesetzt, daß du wirklich so heißt, was ich gleich von dir erfahren werde. Blicke mich an!«

Nobody tat es, und er sah sofort, daß dieser brünette Mann einen sehr starken magnetischen Blick hatte, wogegen Nobody zwar gefeit war, aber sein Entschluß war sofort gefaßt worden, und durch Uebung hatte er seine Augen so in die Gewalt bekommen, daß er sie vollständig nach oben verdrehen konnte, daß nur noch das Weiße zu sehen war. Nun sich noch etwas zurückgelehnt, ein zitternder Seufzer, und er glich vollkommen einem Hypnotisierten. Nur seinen Puls und Herzschlag durfte man nicht prüfen, den konnte er nicht nach Willkür verlangsamen.

Antonio dachte auch nicht daran.

»Du hast mir bedingungslos zu gehorchen,« sagte der Hypnotiseur in scharfem Tone, »wirst mir auf alle meine Fragen der Wahrheit gemäß antworten! Verstehst du?«

»Ich verstehe,« erklang es murmelnd mit schwerer Zunge.

»Wie heißt du?«

»Gulzar Khan,« lautete jetzt die Antwort.

»Was bist du?«

»Ich – stehe – als Spion – in den Diensten der New-Yorker Kriminalpolizei,« kam es mühsam hervor.

Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, daß dies eine sehr wohl überlegte Antwort war – wenn der immer schnell entschlossene Nobody zu dieser reiflichen Ueberlegung auch nur einen Augenblick nötig gehabt hatte.

»Verdammt!« stieß der Radscha bei dieser Erklärung hervor.

»Bist du selbst auf den Verdacht gekommen, daß der Radscha von Lahore den roten Diamanten mit dem Skorpion entwendet haben könnte?« fuhr der Hypnotisieur in seinem Examen fort.

»Nein.«

»Wer schickt dich her?«

»Mister – Gregory.«

»Wer ist das, Mr. Gregory?«

»Der Chef – von der zweiten Kriminalabteilung.«

»Welchen Auftrag hat dir dieser gegeben?«

»Ich soll – den Radscha von Lahore – vorsichtig ausforschen – ob er – etwas von einem roten Diamanten – mit einem Skorpion weiß.«

»Weißt du, in wessen Besitze dieser Diamant bisher war?«

»Ja.«

»In wessen Besitz?«

»Er gehörte – einem Mr. Erasmus Sörensen – in Philadelphia.«

»Was weißt du sonst noch?«

»Dem ist – der Diamant – vor einigen Tagen – gestohlen worden.«

»Gestohlen? Auf welche Weise?«

»Ein Hausdiener – hat den Geldschrank – zu öffnen gewußt.«

»Was für ein wunderbarer Zufall,« hörte Nobody, der mit seinen verdrehten Augen nicht sehen konnte, den Hypnotisieur zu dem Radscha sagen, »daß gerade an jenem Abend auch ein Diener aus Sörensens Hause verschwand.«

»Was nützt mir das?« knurrte der Hindu. »Der Verdacht hat sich dennoch auf mich gelenkt. Erforsche, wie das gekommen ist.«

»Woher hat man den Verdacht geschöpft, daß der Radscha von Lahore den Diamanten entwendet haben könnte?«

Hierauf wußte der Hypnotisierte keine Erklärung zu geben – natürlich immer mit Absicht. Er war ja, wie er dann weiter auch ausgefragt wurde, nichts weiter als ein einfacher Polizeispion, welcher als Indier hauptsächlich dazu verwendet wurde, das Treiben in den chinesischen Opiumhöhlen zu beobachten.

Hier war er einmal zu einer höhern Mission verwendet worden. Der Chef der Kriminalabteilung hatte ihn zu sich rufen lassen, hatte ihm mitgeteilt, aus Philadelphia sei eine polizeiliche Anzeige da, einem Mr. Erasmus Sörensen sei auf rätselhafte Weise ein Panzerschrank geöffnet, daraus spanische Goldmünzen und jener Diamant geraubt worden, es sei schwer glaublich, daß es der ehemalige Pferdewärter und spätere Hausdiener auf den Diamanten abgesehen haben könnte, jedenfalls sei der seltsame Diamant, der aus Indien stammte, ein altes Erbstück einer indischen Fürstenfamilie, er solle doch einmal zu dem Radscha gehn und diesem vorsichtig auf den Zahn fühlen.

Es war ganz raffiniert, was Nobody da herausbrachte.

»Sehen Sie, ich habe Ihnen immer gesagt, Sie sollen nicht so als indischer Radscha und Nabob auftreten, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht,« warf Antonio jenem vor, »Sie hätten als einfacher Privatmann reisen können.«

Dieser Vorwurf machte jetzt nichts wieder gut.

»Ja, wie ist man aber nur auf den Verdacht gekommen, daß ich meine Hand im Spiele haben könnte?« murmelte der Radscha gedrückt.

»Es war eben nur ein Verdacht, man wollte Sie nur so nebenbei einmal prüfen, wie jetzt wahrscheinlich alle als höhere Indier bekannten Personen daraufhin geprüft werden, und, nicht wahr, Sie haben sogleich offen bekannt, daß Sie den Diamanten jetzt wirklich besitzen?«

Diese Frage war nicht nötig, der Radscha hatte danach gehandelt.

»Weiß man auf der Polizei, daß du jetzt hier bist?« wandte sich der Hypnotiseur wieder an den Kuli.

Jetzt hieß es aufpassen!! Auf einen Dolchstich kam es dem Radscha sicher nicht an, um einen lästigen Mitwisser seines Geheimnisses für immer beiseite zu schaffen, und gegen einen Dolchstich war Nobody nicht gefeit.

»Ja.«

»Du sollst, nachdem du deinen Auftrag hier ausgeführt hast, sofort wieder zu dem Polizeichef kommen?«

»Ja.«

»Verflucht! Ich bin verloren!« hörte Nobody den Radscha wiederum zischen.

Ja freilich, unschädlich zu machen war der Spion jetzt nicht mehr.

»Nur ruhig,« tröstete aber Antonio, »noch sind Sie nicht verloren. Fliehen müssen Sie allerdings sofort, wenn Sie sich des Besitzes des Diamanten in Sicherheit erfreuen wollen, aber dieser Bursche hier soll Sie von Ihrer schnellen Abreise nicht abhalten. Ich wende einen posthypnotischen Befehl an. Doch zuerst – wann geht das nächste Schiff, das Sie benutzen könnten?«

Antonio hatte einen Schiffahrplan bei sich.

»Jetzt ist es elf, um eins sticht der italienische Passagierdampfer ›Vesuvia‹ nach Genua in See. Das paßt vortrefflich. So lange haben Sie auch noch Zeit. Einen Platz bekommen Sie noch. Wir brauchen uns gar nicht zu beeilen, diese italienischen Dampfer sind immer sehr wenig besetzt. Natürlich gehn Sie unter fremdem Namen an Bord, als Europäer, als Italiener. Ihr Gefolge kommt morgen mit einem andern Dampfer nach. Das fällt gar nicht auf, unsre Abreise war ja sowieso schon beschlossen, es wird bereits eingepackt. Zur Vorsicht wird dieser Bursche hier noch etwas festgehalten, in aller Güte, wird traktiert, und noch ehe er bei dem Polizeichef wieder eintrifft, sind Sie schon an Bord und unterwegs. Aber er wird dem Polizeichef nichts weiter erzählen können, als daß sich der auf den indischen Radscha geworfene Verdacht als unbegründet erwiesen hat, dafür werde ich sorgen.«

Der Radscha brauchte nicht viel zu fragen, er wußte, um was es sich handelte, war mit allem sofort einverstanden.

»Aber Sie begleiten mich, Antonio.«

Nur wegen dieses Punktes kam es noch zu einigen Wechselreden, bis Nobody hörte, daß die beiden zusammen dem Gefolge vorausreisen würden, ein andrer Mann solle dessen Führung übernehmen.

»Nun schnell, so viel Zeit haben wir doch nicht mehr zu verlieren.«

»Ich kleide mich unterdessen schon um,« sagte der Radscha.

»Nein, Sie müssen hierbleiben, in Ihrem orientalischen Kostüm. Verstehn Sie nicht, weshalb? Sie werden es gleich sehen.«

An Nobody wurde die Suggestion eines sogenannten posthypnotischen Befehls vorgenommen, ein sehr schwieriges Stückchen, obgleich sich Monsieur Dechardes oder Antonio als ein Meister darin erwies. Sollte es hier wiedergegeben werden, was er alles sprach und sich beantworten ließ, so würde das viele Seiten füllen.

Die Hauptsache war folgendes: In dem Augenblick, da sich der Radscha auf ihn geworfen und ihn niedergeschmettert hatte, sollte dem Kuli die Besinnung geschwunden sein. Dies war ein Fall, welcher die Wirkung des posthypnotischen Befehls sehr erleichterte. Davon, daß sich der Radscha wirklich als gegenwärtigen Besitzer des Diamanten bekannt hatte, sollte der Hypnotisierte nach seinem Erwachen nichts mehr wissen, den Europäer nicht gesehen, nicht einmal etwas von dem ›spionierenden Hund‹ gehört haben.

Wie gesagt, dadurch, daß sich der Kuli in einem heftigen Schreck befunden hatte, wurde diese Sache außerordentlich erleichtert, man konnte seiner Sache durchaus sicher sein – nur eben schade, daß Nobody überhaupt gar nicht hypnotisiert war!

»Du wirst erinnerungslos erwachen!!«

»Ich werde erinnerungslos erwachen!« murmelte Nobody gehorsam nach.

Er wurde wieder auf den Boden gelegt und der Fesseln entledigt.

Der Radscha erhielt von dem Hypnotiseur noch genaue Anweisungen, dann entfernte sich dieser, lauschte und beobachtete jedenfalls hinter der Portiere.

»Du bist bewußtlos gewesen – erwache!« sagte der Radscha in scharfem Tone.

Die Augen kehrten in ihre natürliche Stellung zurück, Nobody schaute sich verwundert um, rieb sich die Stirn – spielte seine Rolle vorzüglich.

»Wo bin ich denn ...?« murmelte er erstaunt.

Der Radscha stellte sich sehr aufgeregt, dann aber auch im Gegensatz zu vorhin sehr gütig.

»Und Buddha sprach: die größte Tugend ist die Selbstbeherrschung, und mit dem Jähzorn schneidet sich der Mensch ins eigne Fleisch. Ich bin sehr jähzornig. Vergib mir, Ras Tagal. Du hattest mich so gespannt gemacht auf einen prachtvollen Diamanten, und als ich den Stein sah, riß mich der Zorn hin, daß ich dich schlug. Vergib mir.«

Der Radscha war dem Kuli, welcher wieder sein Tuch in die Hand bekommen hatte, beim Aufstehn behilflich. Dort lag auch noch der Kieselstein am Boden, und bei dessen Anblick kehrte dem bewußtlos Gewesenen die Erinnerung wieder – soweit es geschehen durfte.

»O, großmächtiger Radscha, du glänzender Stern meiner Heimat, wie könnte ich armer Kuli wagen, dich zu belügen!«

Und Nobody erzählte sein Märchen ausführlich, wie er vorhin, ehe er sich zu dem Radscha begab, seinem Freunde Jussuf von seinem Funde mitgeteilt hatte, und während sie so zusammen gesprochen, hatte der Jussuf, dieser Erzschelm, der so fingergewandt war, dieser Halunke, den Buddha in einen diebischen Affen verwandeln möge – hatte Jussuf eben den Diamanten in Tagals Sacktuch heimlich mit einem Kieselstein vertauscht.

»Ich will sofort zu Jussuf ...«

»Halt! Dazu hast du noch Zeit, um jenen zur Bestrafung zu ziehn. Erst nimm dieses Goldstück, und nicht eher wirst du dieses Haus, in dem ich dich geschlagen habe, verlassen, als bis du meine Gastfreundschaft genossen hast.«

Der Radscha klatschte in die Hände und befahl dem Diener, eine einem Indier entsprechende Mahlzeit herrichten zu lassen.

Diese Ehre konnte der arme Kuli nicht abschlagen. Einige Minuten unterhielt sich der Radscha noch mit ihm, das lebhafteste Interesse für jenen Diamanten zeigend, gar nicht glauben wollend, daß er wirklich einen Skorpion eingeschlossen haben könne, so etwas gebe es doch gar nicht – aber wie er sich dabei auch verstellte, Nobody merkte doch, daß der Radscha auf glühenden Kohlen stand. Lange dauerte es denn auch nicht, so meldete der Diener, die Mahlzeit sei bereit.

»Laß es dir schmecken, mein Bruder. Mich erwartet meine tägliche Waschung, wie sie Buddha vorschreibt.«

Der Kuli ward in ein andres Zimmer geführt, wo er sich an einer auf indische Weise zubereiteten Mahlzeit laben sollte. Dazu gab es Limonade, und unbekümmert um Gift oder einen Schlaftrunk aß und trank Nobody, denn er hatte ja selbst gehört, wie die beiden besprochen hatten, daß man den Polizeispion, den man in diesem Hause wußte, keinesfalls auf solche Weise dauernd oder zeitweilig hier festhalten dürfe.

Während des Essens leistete ihm ein älterer, würdiger Indier Gesellschaft, fragte ihn nach diesem und jenem, wie er hier als männliche Waschfrau sein Brot fände, und Nobody bezweifelte, daß dieser Mann besonders eingeweiht sein könne, denn sonst hätte er den verkappten Polizeispion doch nicht sorglos auf einen erhöhten Tritt neben dem Fenster placiert.

Von hier oben aus konnte Nobody nämlich den geräumigen Hof des mit Seitengebäuden umgebenen Hauses überblicken, und es dauerte gar nicht lange, so sah er aus einem Seitenpförtchen zwei Herren mit Zylinderhüten schlüpfen, in denen er sofort den Radscha und Monsieur Dechardes erkannte.

Sie verließen den Hof zu Fuß, dann draußen nahmen sie jedenfalls einen Wagen, und wenn ihnen das notwendigste Handgepäck nicht auf das Schiff nachgetragen wurde, so kauften sie sich eben unterwegs einige Koffer voll Garderobe.

Hingegen hatte der alte Indier die Instruktion erhalten, den Kuli wenigstens bis zum Abgang jenes Schiffes durch ein harmloses Gespräch hier festzuhalten.

Nobody sah von seinem Fenster aus an einem New-Yorker Wolkenkratzer eine Uhr, von der er wußte, daß sie richtig ging. Als sie zehn Minuten auf zwölf Uhr wies, trank er den letzten Rest seiner Limonade aus und machte Anstalten, aufzubrechen.

Der alte Indier suchte ihn durch ein interessantes Gespräch zu fesseln. Der Kuli wollte sich nicht halten lassen.

»Um zwölf soll ich bei dem Po ... bei dem Popen sein, du weißt, das ist ein griechischer Geistlicher, von dem soll ich Wäsche abholen.«

Aha, um zwölf soll er wieder beim Polizeichef sein, mochte der alte Indier jetzt denken, und weiter hatte Nobody ja auch nichts gewollt.

»Und dann muß ich mir doch auch den Jussuf suchen, daß er mir meinen ... ach, du weißt noch gar nichts davon? Nein, ich muß wirklich fort. Kann ich den Radscha nicht noch einmal sehen, daß ich mich bei ihm bedanke?«

Daß sich der Polizeispion bei dem Radscha auch noch bedanken wollte, das schien den alten Indier nun wieder sehr zu beruhigen, und da jener durchaus gehn wollte, gab er sich keine besondere Mühe mehr, ihn zurückzuhalten.

»Der Radscha ist jetzt nicht zu sprechen, nach seiner heiligen Waschung zieht er sich immer zur innern Beschauung für längere Zeit zurück.«

Dann konnte der Kuli seinen Dank nur noch einem andern auftragen. Er ward hinabgeleitet, zog unten seine Pantoffeln an und begann mit dem ersten Schritt aus der Haustür zu laufen, was er laufen konnte.

Diese Eile war in jeder Weise erklärlich, und Nobody war sich bewußt, daß ihm kein Aufpasser folgen konnte; in einer Hauptstraße mischte er sich in das dichteste Menschengewühl, verschwand dabei in einem Durchgang, passierte noch einen andern, und dann hatte er in einer stillen Straße sein Ziel erreicht.

In dieser Straße hielt oder fuhr schon seit längerer Zeit ein zweispänniger Wagen mit zugezognen Fenstern auf und ab, der ganz genau wie eine Mietsdroschke aussah, nur daß er keine Nummer hatte. Auch an dem Kutscher war nichts auffällig, denn in Amerika wie in England kleiden sich auch die Mietskutscher möglichst wie Gentlemen, jeder nach seinem Geschmack. Schon mehrere Passanten hatten den Wagen mieten wollen, und bei ihrer Abweisung dachten sie mehr, er sei schon besetzt oder bestellt, als daß es sich um einen Privatwagen handle, denn nach der Nummer blickt doch nicht gleich jeder.

Der Kuli lief direkt drauf zu, hatte vom letzten Durchgange aus nur noch wenige Schritte.

»Sind Sie frei?«

Der Kutscher nickte nur.

»Peterendstreet acht,« rief der Kuli, öffnete den Schlag und verschwand im Innern, die Pferde setzten sich in Trab.

Also doch ein Mietswagen; der indische Diener holte ihn für seine Herrschaft. So mußte jeder denken, der die Szene beobachtet hatte.

In Wirklichkeit aber war es Nobodys eigner Wagen, gewissermaßen seine fahrende Garderobe, wie er deren noch mehrere besaß, nicht nur in New-York. Der Kutscher war ein in seinen Diensten stehender Detektiv, den er erst zu diesem Berufe erzogen hatte.

Dieser wartete bereits darauf, daß hinter ihm das Fensterchen geöffnet wurde, und als dies geschah, ließ er sich ein Zettelchen in die Hand drücken, auf dem das eigentliche Ziel und noch etwas mehr stand, damit Nobody dem Kutscher gegenüber, der ihm scheinbar fremd bleiben mußte, dann beim Aussteigen weiter keine Worte zu verlieren brauchte.

Mehrere Straßen dazu benutzend, wurde die Richtung geändert, jetzt jagte der Wagen dem Hafen zu.

Unterdessen machte Nobody im Innern des Gefährtes Toilette. Als er ein Polster des Sitzes aufschlug, zeigte sich darunter ein Wasserbehälter, alles war vorhanden, was er brauchte, um die braune Farbe abzuwaschen, wenn das jetzt auch nur für Gesicht, Hals und Hände nötig war, der andre Sitz barg ein ganzes Musterlager der verschiedensten Herren- und Damenkostüme, und als der Wagen vor dem Bureau der italienischen Schiffahrtskompanie hielt, entstieg ihm ein Gentleman in tadellosem englischen Reiseanzug, der aus dem Wagen auch noch einen großen und scheinbar sehr schweren Koffer hervorholte. Und zu einem Gentleman, der auf Reisen geht, gehört auch ein gefüllter Geldbeutel, den Nobody als armer Kuli nicht bei sich gehabt hatte.

»Was bin ich schuldig?«

»Einen Dollar, Sir.«

»Hier, behalten Sie.«

Für das reichliche Trinkgeld trug der Kutscher ihm auch noch den Koffer nach, und er mußte sich ehrlich plagen.

Nobody vergewisserte sich, daß es die ›Vesuvia‹ war, welche um eins abging, schien ein Billett lösen zu wollen, zögerte aber noch. Es war ganz deutlich zu bemerken, daß er mit sich noch nicht recht im reinen war, ob er nach Genua fahren wolle oder nicht, der Mann am Schalter sah es, aber deswegen verzog er keine Miene. Einem Amerikaner oder Engländer ist noch etwas ganz andres zuzutrauen.

»Wie lange habe ich noch Zeit, bis ich an Bord sein muß?«

»Noch eine gute Viertelstunde, Sir.«

Die Viertelstunde verging, und noch immer stand Nobody, den der Kutscher unterdessen verlassen hatte, neben dem Schalter, die Hände in den Hosentaschen, mit dem nachdenkenden Gesicht eines Mannes, welcher noch nicht recht weiß, ob oder ob nicht.

Draußen heulte eine Sirene.

»Wollen Sie mitfahren, Sir? Der Dampfer gibt das erste Zeichen zur Abfahrt. Dann kommt niemand mehr an Bord.«

Nobody trat vor den Schalter.

»Haben Sie hier ein Kajütenbuch?«

»Jawohl, die Passagiere der ersten und zweiten Kajüte schreiben sich selbst ein.«

»Bitte, zeigen Sie es mir. Wenn meine Freunde drauf sind, fahre ich auch mit.«

Der Beamte einer deutschen oder englischen Linie hätte das Buch nicht gezeigt, aber die italienischen Reedereien haben es sehr nötig, gegen die Passagiere zuvorkommend zu sein.

»Signor Ravenni, Signor Succo, beide zurück nach Genua,« las Nobody.

Das waren die Namen, welche die beiden ausgemacht hatten, unter denen sie reisen wollten. Sie hatten wahrscheinlich auf diese Namen Pässe. Nobody hatte es während seiner vorgeblichen Hypnose gehört.

»Well, ich fahre mit. Eine erste Kajüte – irgend eine, wenn die Kabine nur gut ist.«

Knacks – das Billett war mit dem Stempel gelocht. 275 Dollar oder etwa 1150 Mark kostete der Spaß.

Dabei hatte Nobody, wie wir bald sehen werden, nicht einmal die Absicht, die Fahrt bis nach Genua mitzumachen. Er hoffte, sich eher empfehlen zu können. Jetzt aber war er seiner Sache sicher: die beiden befanden sich auch wirklich an Bord. Bis zuletzt hatte er warten müssen, damit nicht etwa der Teufel noch am Ende seine Hand dazwischensteckte, der Zufall hätte es doch fügen können, daß einer von den beiden noch einmal an den Schalter zurückkam, und wenn er da erfahren hätte, daß sich jemand das Kajütenbuch hatte vorlegen lassen, ehe er ein Billett nahm, dann hätte vielleicht schon das böse Gewissen genügt, um die beiden einen andern Entschluß fassen, von dem Dampfer wieder herabgehn zu lassen.

Jetzt aber war Nobody also seiner Kunden sicher. Als das letzte Signal zur Abfahrt gegeben wurde, überschritt er das Laufbrett und wurde von einem ihn nach seiner Kajüte führenden Steward in Empfang genommen.

»Schade, jammerschade,« dachte er, »daß der Dampfer nicht erst des Nachts abfährt. Dann hätte ich sehr leichtes Spiel, und es wäre für mich eine Kleinigkeit, gleich wieder an Land zu kommen. So aber muß ich gut aufpassen, um unterwegs eine Gelegenheit zur Rückfahrt nach New-York zu erspähen.«

Nobody beabsichtigte also nicht, den Radscha bis nach Genua zu begleiten, noch weniger bis nach Indien. Was sollte er dort? Den roten Diamanten hielt er jetzt nur noch für ein altes Erbstück, und ihn dem Radscha wieder abzunehmen, um sich die von Sörensen ausgesetzte Prämie zu verdienen, darauf kam es ihm hauptsächlich an. Dann hatte er in New-York gerade jetzt noch andre Geschäfte abzuwickeln, nach Indien würde er schon später noch einmal kommen, und dann konnte er sich noch immer mit dem Radscha, mit dem gefährlichen Hypnotiseur, und mit einem etwa mit dem roten Skorpion verbundenen Geheimnis beschäftigen.

Nun, Nobody sollte wie immer Glück haben.

Da es Mittagszeit war, wurden die Passagiere sogleich zur Tafel geschickt. Richtig, dort an jenem Tische, Nobody gegenüber, saßen auch der Radscha, der sich recht gut für einen Italiener ausgeben konnte, und Monsieur Dechardes. Ersterer bat ihn sogar einmal um die Menage. Wenn der eine Ahnung gehabt hätte, daß der elegante Herr, der ihm jetzt das Salz reichte, der arme Kuli und Polizeispion von vor zwei Stunden war!

Während des Essens setzte sich der Dampfer in Bewegung, aber er hatte kaum das offne Meer erreicht, war noch angesichts der Freiheitsstatue, als er schon wieder stoppen mußte. An der Maschine war etwas gebrochen. Der Kapitän wußte die Passagiere zu beruhigen, die Reparatur würde schnellstens und tadellos ausgeführt.

Aber es wurde Abend, ehe der alte Kasten seine Fahrt fortsetzen konnte. Es war eine Sommernacht, sehr finster, völlig windstill. Hier vor New-York lagen überall kleine und große Segelschiffe, welche auf Wind warteten, überall sah man die Lichtchen und grüne und rote Feuer blitzen.

Die meisten Passagiere befanden sich an Deck. In dem Augenblick, da Nobody seine beiden Freunde gefunden hatte, verließ der Radscha seinen Begleiter und begab sich unter Deck. Unauffällig schlug Nobody den gleichen Weg ein.

Der Radscha begab sich in die Toilette. Nobody folgte ihm. Niemand anders war darin. Plötzlich bekam der Indier, der sich noch gar nicht umgedreht hatte, von hinten einen feuchten Schwamm vor die Nase gedrückt, und sofort fiel er wie ein Toter in Nobodys Arme. Dieser öffnete eine Aborttür, zog sein Opfer hinein und schloß hinter sich zu.

Daß der Radscha sein Kleinod bei sich trug, daran war ja gar kein Zweifel, und Nobody war seiner Sache so sicher, daß er gar nicht erst an eine Visitation der Taschen ging, sondern zuerst unter Weste und Hemd griff – und richtig, da hing etwas um den Hals an einem Kettchen, er zog ein aus Holz geschnitztes Büchschen hervor, es enthielt ein kleines Ledertuch, und als er dieses, auf dem er eine Malerei gewahrte, auseinanderwickelte, funkelte ihm im Scheine des elektrischen Lichts ein rotes Feuermeer entgegen, das einen dunklen Kern hatte, einen Skorpion.

Nobody riß das Kettchen durch, wickelte den Diamanten wieder in das Leder und steckte alles zu sich. Die Wände des Klosetts ließen dasselbe oben offen, er zog sich hinauf, niemand war zu sehen, er schwang sich hinüber, so daß der Betäubte von innen eingeschlossen war, was man auch draußen an einem Vermerk sehen konnte. Gefährlich war die Betäubung nicht, der Indier würde schon wieder zu sich kommen.

Schnell eilte Nobody wieder an Deck, begab sich langsam nach hinten, gerade jetzt fuhr in einiger Entfernung ein andrer Passagierdampfer vorüber, welcher durch Abbrennen von bunten Feuern seinen Namen signalisierte, da wäre es doch wunderbar, wenn jetzt nicht aller Augen dorthin gerichtet wären, und ... auf der andern Seite machte Nobody über die Bordwand denselben Hechtsprung, den er schon einmal in diesem Gewässer gewagt hatte.

Mit langen Stößen schwamm er davon, ohne sich diesmal seiner Kleidung zu entledigen. Nach einer halben Stunde kam er in Rufweite einer Bark, die mit gerefften Segeln still dalag.

»Schiff ahoi!!! Mann über Bord!!!«

Der Ruf war gehört worden, man sah den rüstigen Schwimmer, dem nicht geholfen zu werden brauchte, man warf ihm nur ein Tau zu, an dem Nobody an Deck kletterte. Er erzählte, er sei von einer Lustjacht, einem kleinen Dampfboot ins Wasser gestürzt, seine Kameraden hätten es nicht bemerkt, das Boot verschwand in der Nacht.

»Wohin segelt Ihr?«

»Nach New-York.«

All right. Noch in derselben Nacht kam ein günstiger Wind auf, und der italienische Dampfer kehrte nicht etwa um, wenn ein Passagier betäubt und beraubt worden war und der Täter sein Heil im Meere gesucht hatte.

 

»Mit wem habe ich die Ehre?« fragte Mr. Sörensen den ihm unbekannten Besuch.

»Bringen Sie jetzt die Erbschaftsangelegenheit in Ordnung, hier haben Sie Ihr portugiesisches Wunder wieder.«

Der alte Herr wollte es kaum glauben, daß er das Glück seines Lebens wieder in der Hand hielt, und zu der Erzählung Nobodys konnte er nur den Kopf schütteln. Auch stiegen ihm einige Bedenken auf.

»Beruhigen Sie sich. Eine Anzeige kann der Radscha nicht erstatten. Er ist selbst ein Dieb, ein ganz gefährliches Subjekt. Der wird sich hüten. Und mich kann auch niemand fassen. In meinem Koffer, den ich auf der ›Vesuvia‹ zurückgelassen habe, befindet sich einige Garderobe, nichts weiter. Niemand kann ahnen, daß Nobody dahintersteckt.«

»Sie wollten doch auch das Geheimnis erkunden, welches hinter dem roten Diamanten steckt?«

»Ist mir bereits alles bekannt. Und es ist wirklich nicht nur ein seltenes Familienkleinod.«

»Was sonst?«

»Mr. Sörensen, wollen Sie König von Indien und der umgrenzenden Länder werden?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wer diesen Diamanten an seinem Turban trägt oder an seinem Zylinderhut, der wird als König von ganz Indien und des Orients anerkannt, der erobert die ganze Welt. So lautet eine uralte indische Prophezeiung, so alt, daß man jetzt auch in Indien gar nichts mehr davon weiß. Das ist aber noch nicht alles. Dieser merkwürdige Diamant hat noch ganz andre Eigenschaften. Wenn Sie ihn in einen Becher legen, und Sie gießen irgend ein Getränk hinein, etwa was ein andrer Ihnen zum Trinken anbietet, so wissen Sie sofort, ob der Kerl Sie vergiften will oder nicht. Ist nämlich das Getränk vergiftet, so schäumt die Flüssigkeit in Berührung mit dem roten Skorpion heftig auf. Drittens: Sie ermurksen eine keusche Jungfrau zwischen 12 und 120 Jahren, zapfen ihr das Blut ab, werfen in dieses jungfräuliche Blut den roten Skorpion, kochen es über einem Feuer, in dem auch der Leib jener Jungfrau verbrennt, filtrieren das abgekochte Blut – dann haben Sie ein Gift gewonnen, so furchtbar, daß Sie nur die Spitze einer Stecknadel hineinzustecken brauchen, stechen damit einen Menschen ein bißchen ... bums, liegt er mausetot da. Na, ist das vielleicht nischt? Ei der Deiwel, Sie könnten mir eigentlich 50 Cents extra geben, daß ich Ihnen den Diamanten wiedergebracht habe, und jetzt wissen Sie erst, was er überhaupt wert ist!«

»Woher wissen Sie das?« lächelte Sörensen.

»Das habe ich Schwarz auf Weiß ... Rot auf Gelb, wollte ich sagen. Hier.«

Er brachte das dem Radscha abgenommene Büchschen zum Vorschein, dem er das gegerbte Lederstückchen entnahm. Auf dem gelben Untergrund waren mit roter Farbe Hieroglyphen gemalt.

»Es ist Sanskrit. Können Sie es lesen? Nein? Die Übersetzung habe ich Ihnen soeben gegeben.«

Sonst freilich konnte Nobody nichts darüber sagen, etwa wie alt dieses Dokument sei, auch nicht, wie es in Besitz des Radscha gekommen. Jedenfalls aber gehörte es mit zu dem Diamanten.

»Wie geht es dem Lewis Higgen?« fragte Nobody, während Sörensen das Pergament betrachtete.

»Sie wissen, daß er wieder bei mir ist?«

»Ich weiß es.«

»Der Junge hat sich an jenem Morgen, es war noch finster, in den falschen Zug gesetzt, in den Pacificzug, ist eingeschlafen, und als er aufwachte, mußte er auch noch bis nach St. Louis fahren. Geld hatte er nicht viel bei sich, und da hat es lange gedauert, ehe er wieder zurückexpediert wurde.«

»Ich weiß es. Da sehen Sie aber, wie gut es war, daß Sie die Sache mir übergaben. Die Polizei hätte immer nach dem Jungen gesucht, und inzwischen wäre der Radscha in aller Gemütlichkeit abgereist.«

»Sie wollten doch nähere Bekanntschaft mit jenem Monsieur Dechardes machen, wollten sich vergewissern, was für eine Maschinerie angewendet worden ist, um den Verbleib des Diamanten zu erforschen.«

»Das hat noch Zeit, bis mich einmal ein lukratives Geschäft nach Indien führt, dann mache ich das noch so nebenbei mit ab. Im übrigen können Sie annehmen, daß mein Phantasiebild, welches ich Ihnen vormalte, der Wirklichkeit nahekam.«

 

Hierzu aber sollte Nobody nicht mehr kommen, und der etwas ängstlich gewordene Sörensen sollte sich seines Diamanten fernerhin sorglos erfreuen können.

Acht Tage später meldete der Telegraph, daß der italienische Dampfer ›Vesuvia‹ in der Meerenge von Gibraltar von einem englischen Dampfer gerammt und in den Grund gebohrt worden war, und als die Liste der dabei getöteten Passagiere erschien, befanden sich darunter auch die Namen Ravenni und Succo.

Nach etwa einem Jahre schloß der alte Erasmus Sörensen die Augen für immer, und das Pariser Museum war ebenso erfreut wie erstaunt, das fast schon vergessene Wunder von Portugal als Geschenk zu erhalten. Der rote Diamant mit dem Skorpion ist noch heute im Pariser Museum zu sehen.

Der heimatlose Nobody aber, der auf diesen Namen nicht einmal eine Legitimation besaß, mußte öffentlich vor Gericht mit einem Faustschlag eine elfenbeinerne Billardkugel zerschmettern, um Sörensens Erbschaft antreten zu können, denn auf dieses Kraftstück war in dem Testament Bezug genommen worden, Nobody selbst hatte es gewollt, das eben war seine Legitimation, denn niemand war da, der ihm das hätte nachmachen können.


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