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August 1929
Im kleinen Finger der Hand, mit der er fünfundzwanzig Verse der Ammerschen Übersetzung von Villon genommen hat, ist dieser Brecht originaler als der Kerr, der ihm dahintergekommen ist; und hat für mein Gefühl mit allem, was ihn als Bekenner dem Piscatorwesen näher rückt als mir (ja was mir weltanschaulich zuwider ist als die Mischung von Nieder- und Aufreißertum, als eine betonte Immoral sanity) mehr Beziehung zu den lebendigen Dingen der Lyrik und der Szene als das furchtbare Geschlecht des Tages, das sich nun an seine Sohlen geheftet hat. So wenig ein Zweifel darüber bestehen kann, daß eine geistige Existenz ausgelöscht wäre, die auch nur mit einem einzigen fremden Vers zu glänzen versuchte, so ausbündig ist die Trottelei, die einem weismachen will, dieser so geartete, so begabte und so sichtbar abwegige Autor hätte es nötig gehabt und für möglich gehalten, die Verse, die ihm für den Bühnenzweck praktikabel schienen wie Versatzstücke und Personen, und deren autorrechtliche Fatierung er für den Druck verschlampt hat, als literarische Kontrebande auf die Seite zu bringen. Eine Bewußtseinshandlung, die hier noch ein »Copyright« anbringt, zu unterstellen, ist nicht die Bosheit der Satire, sondern der Idiotie, oder gar die Gesinnung, die deren Anschein nicht verschmäht, um auf Idioten eine Augenblickswirkung zu erzielen. Annähernd so stupid wie etwa der Versuch, Altenbergs Fluch über Freunde als Zeugnis zu werten, ihn, da er Geld sammelte, der Korruption, oder, wenn er Verse genommen hätte, der Dieberei zu beschuldigen. Wenn es heute in der Literatur einen Fall gibt, wo eine Tat, die Unterlassung ist, durch den Täter entsühnt wird – der mindestens den Anspruch hat, daß man ihm biologisch so gerecht werde wie er den Lebenserscheinungen, und der gewiß mit der gleichen Unbedenklichkeit und Verwahrlosungssucht über sein eigenes Gut verfügen würde –, so ist es der Fall Brecht. Das kann ich aus einem lyrischen Wust herleiten, in dem doch Echteres enthalten ist als die heutige Literatur zu bieten hat, wie aus einer Theaterbesessenheit, die ich am Werke gesehen habe und an der auch nicht die Spur eines Spekulantentums ist, das ihn von meiner dramatischen Sphäre ausschließen würde. Die Schufterei wird natürlich sagen, daß mich seine Neigung zu eben ihr befangen macht; aber ich würde diesen Regisseur im Falle der Nichtbewährung mit der vollen Unbefangenheit ablehnen, mit der ich jedem Versuch der heutigen Theaterwelt gegenüberstehe, sich mit mir einzulassen. Mit größerem Recht weise ich den schäbigen Beweggrund solcher Verknüpfung dem Herrn Kerr zu, dessen Drang, hier zu enthüllen, nicht allein in dem Bedürfnis der Ablenkung wurzelt, sondern auch innerhalb des Machtbereichs der kritischen Repressalien spielen dürfte. Wäre Bert Brecht trotz der Verdächtigkeit der Anzeige ein Dieb, so könnte ich natürlich auch seine Originalität der Regieführung nicht brauchen. (Auf die ich auch verzichten müßte, wenn ich ihn der konjunkturpolitischen Lumperei für fähig hielte, deren ihn die Ehrlichkeit Franz Pfemferts beschuldigt.) Da er es nach meiner Überzeugung nicht ist, bin ich umso mehr verpflichtet, diese geltend zu machen, als ihm sein Vorhaben, durch keinerlei Furcht und Rücksicht gehemmt oder bestimmt, die Verfolgung offenbar zugezogen oder doch einer alten Ranküne auf die Beine geholfen hat. Verpflichtet also, dem Opfer eines Kesseltreibens beizustehen, das ich, wie so oft in diesen Bereichen der Gewalthaberei, als Vergeltung meiner Schuld empfinde und dessen Gefährlichkeit zum Glück von seiner Dummheit paralysiert wird. Was den Rädelsführer betrifft, so habe ich schon in Einleitungen zu dem Vortrag »Der größte Feigling im ganzen Land« darauf hingewiesen, daß »Kens Enthüllung« eine für die Sprachlehre erhebliche Genitivbeziehung vorstellt. Es wäre nur noch zu sagen, daß er im Vergleich mit Brecht insofern mehr Pech hat als dieser, als es noch niemand eingefallen ist, zu enthüllen, daß die Gottlieb-Gedichte nicht von ihm seien, und ich glaube, daß er heute eine weit größere Summe, als er mir mit Hilfe der deutschen Justiz für »einstweilige Verfügungen« abgenommen hat, dafür geben würde, daß sie nicht von ihm wären. Ja, es besteht die Vermutung, daß hier einmal ein rechtmäßiger Eigentümer durch den Ruf »Haltet den Dieb!« ablenken wollte. Und wie er zu dem ersehnten Resultat, daß die Gottlieb-Gedichte nicht mehr von ihm seien, gelangen könnte, diesen Weg werde ich, Friedmensch der ich bin, ihm gelegentlich weisen. Brecht hätte sich geschickter als mit der »grundsätzlichen Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums« durch den Hinweis auf einen lyrischen Autor verteidigt, der so penibel ist, seine eigene Produktion zu verleugnen, und sich mit Hilfe der Zivilgerichte gegen jeden Versuch wehrt, sie ihm mit Quellenangabe zuzuschreiben, ja nicht weit von dem Wunsch entfernt ist, daß sie ihm gestohlen würde. Was der Kerr da ins Werk gesetzt hat, als er erfuhr, daß Brecht sich für die Regie der »Unüberwindlichen« oder der »Letzten Nacht« interessiere, ergänzt derart das Bild seiner moralischen und intellektuellen Beschaffenheit, daß man darauf nur das Mot anwenden kann, mit dem er kürzlich dem Kurfürstendamm zu Lachkrämpfen verhalf: »Saudumm und Gomorrha.« Nun, er ist, um weiter in seiner Sprache zu reden: ein Enthüllerich. Aber was wäre ich erst für einer, wenn ich wieder einmal einen Strafprozeß in Deutschland – sie sind so schwer zu führen! – abbrechen wollte, um (im Falle Wolff-Kerr) die Beute eines unbezahlbaren Schriftsatzes und eines, der noch die bekannten übertrifft, zu präsentieren. Und daß Herr Kerr, der die englische Herkunft eines Gedichtes gewissenhaft schon nach zwei Wochen nachgetragen hat, Plagiate enthüllen darf, ist ganz in Ordnung und in der Linie seiner Gerechtsame, vor der meine Apokalypse, die bis heute der Quelle des Johannes entbehrt, und mein Lichtenberg-Zitat nicht bestehen konnten. Aber was soll man dazu sagen, daß sein freundbrüderlicher Nachdrucker aus Gottlieb-Tagen, der Lippowitz, dessen Geschäft, von Bordellgewinsten abgesehen, keineswegs der heimliche literarische Diebstahl, sondern der offene Raub des geistigen Eigentums sämtlicher deutschen Tagesliteratur ist, ein Geschrei erhebt, als ob zum erstenmal ihm etwas abhanden gekommen wäre! Das Neue Wiener Journal kann es einfach nicht ertragen, daß man sich zur Laxheit in Fragen geistigen Eigentums bekennt und schreibt:
Früher nannte man solche Dinge »literarischen Diebstahl« oder belegte sie mit irgendeinem anderen unliebenswürdigen Ausdruck.
Nämlich damals, als die Frankfurter Zeitung den Lippowitz einen Dieb nannte und er, um solcher Unfreundlichkeit zu begegnen, die Artikel, die er ihr entnahm, mit F. Z. unterzeichnete. Damals, als sich in der Fackel die geplünderten Autoren meldeten, kriminalistische Fachblätter über die spezifische Technik des Diebstahls beim Neuen Wiener Journal Essays brachten und der Fall heiteres Aufsehen erregte, wie der Artikeldieb durch die stehengebliebene Wendung von Eduard VII. als dem »Onkel unseres Kaisers« die Selbstanzeige erstattet hatte. Dieses nämliche Neue Wiener Journal nun – an der diesbezüglichen Identität dürfte Schober nicht zweifeln – scheint es dem Autor der Dreigroschenoper zu verübeln, daß er die Herkunft der paar Verse, die er nicht leugnen konnte, ausdrücklich zugab, und eben darin eine Laxheit in Fragen geistigen Eigentums zu erblicken, in welchen es, sooft es auch erwischt wurde, dem starren System gehuldigt hat, sich nichts wissen zu machen und weiter zu stehlen. Es setzt den Titel: »Brecht antwortet auf Kerrs Plagiatbeschuldigung«. Derlei hat Lippowitz nie getan – das heißt, plagiiert schon, aber nicht geantwortet! In der durch Zörgiebel ausgebauten (und durch Schober vertieften) Bundesbrüderschaft mit dem ›Vorwärts‹ hat er aber gar die Frechheit, das Folgende zu drucken:
(Dem Plagiator Brecht ins Stammbuch.) Der sozialdemokratische ›Vorwärts‹ widmet dem kommunistischen Plagiator Bert Brecht, der bekanntlich gestanden hat, zahllose Verse der »Dreigroschenoper« gestohlen zu haben, die folgenden spitzen Verse . . .
Kein Zweifel, er verübelt ihm hauptsächlich das Geständnis. Aber die Verse des sozialdemokratischen Blattes, das von der Chefredaktion des alten Liebknecht bis zu der Tauglichkeit, vom Lippowitz mit Quellenangabe benützt zu werden, herabgesunken ist, sind nicht spitz, sondern dreckig. Die zahllosen Verse jedoch, die Brecht unter sechshundert mit einer Planhaftigkeit übernommen hat, die den Lippowitz zum Hort der autorrechtlichen Moral machen würde, entsprechen genau der ominösen Zahl, die das Leitmotiv dieses Heftes der Fackel bildet. Sie wäre für einen journalistischen Hinterteil fällig, wenn dessen Platz nicht von dreimal so viel Bordellannoncen okkupiert wäre, die die einzigen sauberen und originalen Beiträge des Neuen Wiener Journals bilden.
Das Inszenierungsproblem der »Räuber« hat seit Piscator die deutsche Kulturwelt bewegt. Man war auf Reinhardts Lösung gespannt. Ich habe ihr zwar nicht beigewohnt, aber ein lebendiges Bild durch den die Eindrücke zusammenfassenden Bericht der Neuen Freien Presse erhalten. Er lautet:
Die Reinhardt-Inszenierung von Schillers »Die Räuber«.
Telegramm unseres Korrespondenten.
Den Höhepunkt der heurigen Festspielsaison bildete die gestrige Premiere der Reinhardt-Inszenierung von Schillers »Die Räuber«. Zu diesem Ereignis hatte sich im Festspielhaus ein glänzendes Publikum eingefunden, das alle Räume füllte. In dem ausverkauften Haus gaben die herrlichen Toiletten der Damen dem Bilde eine farbenprächtige Note. Man sah zahlreiche Vertreter der Theaterwelt des In- und Auslandes sowie der Spitzen der Behörden von Stadt und Land Salzburg mit Landeshauptmann Rehrl, Bürgermeister Ott und viele bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Der Premiere wohnte auch der frühere Handelsminister Dr. Heinl bei.
Nach der Vorstellung fand im Schloß Leopoldskron ein Empfang bei Max Reinhardt statt, zu dem sich eine große Anzahl von Personen in den herrlichen Räumen des Schlosses eingefunden hatten.
Einem anschlußfreundlichen Blatte ist es passiert, einen Titel – der das Zitat aus einer reichsdeutschen Äußerung bildet – wie folgt anzuordnen:
Österreich
kann Deutschland
Gegenleistungen
höchsten Wertes bieten
Ganz das nämliche hat sich schon zu der Zeit, da sich die Schulter an der Schulter rieb, Österreich gedacht. Es ist sozusagen die Kehrseite des Gefühls, das als Pathos des Anschlusses das der Distanz abgelöst hat. Das Richtigste wäre aber, daß die Realität der Handels- und Exportdinge unverhüllt aus Nationalrausch und Phrasendampf hervorträte, einem Zustand, der nicht nur darum widerlich ist, weil er Kaufleute in Ekstase vorführt, sondern weil er fallweise auch die Auflösung der Firma zuläßt und die Ernüchterung von Gebrüdern, die einander »Piffke« und »Nazi« titulieren. Und vor allem – bevor sie deutsch fühlen, sollen sie es lernen!
Oktober 1929
»Bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte der Republik Österreich ist es mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Sie, Herr Reichskanzler, zu versichern, daß mir und allen Mitgliedern meiner Regierung die Pflege und der Ausbau innigster Beziehungen zwischen dem deutschen Brudervolke und Österreich besonders am Herzen liegt.«
Seit wann wird denn gepflegt?
Es dürfte nicht allen, die die umfassende Wirksamkeit unseres Felix Salten kennen und schätzen, bekannt sein, daß sie ihm auch noch Zeit läßt, das Weidwerk zu pflegen. Wohl wissen viele, daß es ihm gelungen ist, die Tierseele zu belauschen, aber sie würden gewiß nicht vermuten, daß der Weg zur Schreibmaschine hier durch das strapaziöse Erlebnis geführt hat, und wenn sie schon einem Legitimisten die Hantierung mit dem Schießgewehr zutrauen, so würden sie doch nicht glauben, daß ein Zionist einem Reh ein Haar krümmen könnte. Gleichwohl ist dem so, und Salten steht dem Waldesweben, in das er manchmal mit der Flinte einbricht, näher, als es den Anschein hat und als man einem Bekenner des Moses zutrauen würde, aber jedenfalls des Mooses wegen. Wie im »Freischütz« kann er singen: »Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen?«, obschon er als Autor der »Josefine Mutzenbacher« gewiß nicht den Jungfernkranz zu winden in der Lage wäre. In die Geheimnisse des Waldes eingeführt wurde er, wie es heißt, durch Bekessy, der ein gewaltiger Nimmrod vor dem Herrn war. Während unsereins, auf manch edles Wild lauernd, noch am Schreibtisch saß, sind die beiden oft durch Wald und Flur gestreift oder haben auf dem Anstand gewartet, dessen sie in ihrer publizistischen Tätigkeit entbehren mußten. Auch hätte man sich in der Hand Bekessys immer eher eine andere Waffe vorgestellt als das Rohr, mit dem auf Hirsche gezielt wird, von denen doch das, was sie zu verschweigen haben, nicht zu erfahren und nichts zu haben ist als das Leben. Salten freilich, der differenzierteren literarischen Ansprüchen genügen muß, hat die Gelegenheit bis zum Verenden des Tieres nicht ungenützt vorübergehen lassen, um auch dessen Sprache zu erlernen. Wie nun aus dem Hasenroman, den er in der Neuen Freien Presse veröffentlicht, deutlich hervorgeht, konnte es ihm nicht schwer fallen, diese Sprache zu verstehen, denn es stellt sich heraus, daß die Hasen jüdeln. Einer von ihnen, der »Iwner« heißt, also ganz gut von Bekessy auch als Wirkwarenhändler vom Quai hätte angesprochen werden können, antwortet auf die schüchterne Frage eines Kollegen, der den Namen »Hops« führt, mit einer ganzen Reihe von Fragen. Es geht so:
– »Und . . . Er?«
Iwner blinzelte geringschätzig: »Wichtigkeit! Was tut uns schon Er? Spielt keine Rolle!«
Da muckte Hops auf: »Mna . . . das scheint mir doch übertrieben . . . das ist unerlaubt sorglos!«
Rasch entgegnete Iwner: »Sorglos? Wer spricht von sorglos? Keine Sekunde darf man sorglos sein! Merk' dir das!«
Geduckt, das Haupt in den Vorderpfoten, murmelte Hops: »Das sage ich immer.«
»Nun?« fuhr ihn Iwner an. »Nun? Tag und Nacht, zu jeder Stunde, unaufhörlich gibt es hier im Wald Gefahr! Das weißt du doch! Drohung ist im Gebüsch, ist im freien Feld, überall und immer ist Gefahr. Dennoch leben wir! Was willst du von Ihm? Wann kommt Er schon in den Wald? Er? Wichtigkeit! Er gehört nicht zum Wald! Er ist nicht vom Wald! Man hört seinen Schritt, wenn Er noch so leise schleicht. Er ist unbeholfen. Man hat seine Witterung. Man kann ihm ausweichen. Und so selten, wie Er kommt, so ungeschickt, wie Er sich anstellt, ist Er noch am wenigsten gefährlich.«
(Fortsetzung folgt.)
Das kann gut werden. Dieser Has, der offenbar kein heuriger ist, sondern sich auskennt, redet wie ein Buch, das im Zsolnay-Verlag erscheinen wird. Und das Urteil Iwners über Ihn, dessen Schritt man hört, wenn er noch so leise schleicht, ist sicherlich berechtigt. Nichts geht doch über den Instinkt der Tiere. Aber daß sie sich sprachlich so dem Feind assimiliert haben, ist überraschend. Vielleicht eine Mimikry zum Schutz vor Verfolgung? Aber da sollte nur im Moment der Gefahr gejüdelt werden, man gewöhnt es sich leicht an; wenn sie unter sich sind, könnten sie deutsch reden. Wie immer dem sei, man ist auf die Fortsetzung gespannt. Das kann ja, wenn dann noch Er dazukommt, ein fröhliches Gejaide werden!
der allen größeren Männern üble Nachrede hält, indem er behauptet, mit ihnen verkehrt zu haben, sagt es auch von Gustav Landauer. Es stellt sich aber heraus, daß zwischen den beiden, deren Verbindung schon in der Artikelaufschrift
Stefan Großmann Gustav Landauer
etwas Auffallendes hat, mit der Zeit eine Distanz eingetreten war, die vor dem tragischen Ende des einen zur folgenden plastischen Anschauung durch den andern kam:
– – Das starke, einfache, mitreißende Wort zum Volke war ihm auch in Revolutionszeiten versagt. Ich konnte mir nicht helfen: in diesen Tagen vor seinem Tode war das Don-Quichottehafte seines aristokratischen Revolutionarismus am allerdeutlichsten ans Licht gekommen. In diesen Münchener Tagen begegneten wir einander in einer Bedürfnisanstalt. Er im Schlapphut und romantischem Havelock, ich mit einer empörend bürgerlichen Melone auf dem Kopf. Während wir unserer natürlichen Beschäftigung nachgingen, sahen wir einander an und grüßten uns schwach. Das war das letzte Kapitel einer Jugendfreundschaft.
Aber sicher das spannendste. Die Phantasie des Lesers soll es nicht ausspinnen. (Es steht im ›Tagebuch‹, Jahrgang 10, Heft 18.) Von allen Begegnungen, die dieser interessante Autor gehabt hat, ist die zwischen Schlapphut und Melone wohl die denkwürdigste, ja man fragt sich, ob man schon je so was in einem Nachruf gelesen hat. Großmann ist, seitdem ich ihn vernachlässige, recht entartet, und das empörend Bürgerliche an ihm ist nicht so sehr die Kopfbedeckung als die Entblößung im Sonstigen, die ohne jede Rücksicht auf die Anforderungen der Scham und der Pietät coram publico erfolgt. Denn was sich einem mit dieser lästigen Mitwisserschaft aufdrängt, ist das Bedürfnis, die Situation aus seiner Vorstellung zu tilgen und dem Andenken eines Wertvollen gegen die Verunreinigung beizustehen. Ob ein Anstandsort, den Großmann besucht hat, noch weiterhin diesen Namen verdient, mag zweifelhaft sein; das Blatt, in dem er seiner natürlichen Beschäftigung nachgeht, ist gewiß keiner. Großmann, mit dem ich nichts mehr zu tun haben will – er hat es sich verdorben –, scheint zu glauben, daß beim Verlassen der Anstalt bloß die Melone in Ordnung zu bringen sei.
Louis
– ein Früchtl –
wurde mit allem Komfort eines wohlhabenden Patrizierhauses erzogen.
Gleichwohl oder eben darum rief er eines Tages seinen Eltern zu:
»Ich esse nicht mehr an eurem Tische, wo meine Genossen nicht einmal für das trockene Brot genug haben, ich mache eure luxuriöse Lebensführung nicht mehr länger mit!«
Er war nämlich Kommunist geworden, und die »Vorstellungen der Eltern« hatten nur den Erfolg, daß er ihnen solches zurief. Außerdem aber der Wache: »Pfui, ihr Schweinehunde!« Denn eines andern Tags, gelegentlich einer Demonstration, ging er sogar so weit, sich der Verhaftung und Mißhandlung seiner Freundin zu widersetzen.
Vors.: Wie sind Sie in die Sache hineingeraten? – Angekl.: Ich hatte mit meiner Bekannten, dem später arretierten Mädchen, einen Ausflug in die Lobau verabredet. Am Praterstern wurden wir aufgehalten und sahen uns den Aufmarsch an. Plötzlich bemerkte ich, wie ein Wachmann dem Mädchen den Arm umdrehte. Da wollte ich sie freibekommen . . .
Das Neue Wiener Tagblatt betitelt es infolgedessen:
Der Kommunist aus dem Patrizierhause.
Phantasien eines Siebzehnjährigen.
Als die Patrizier ihn verhindern wollten, an der Maifeier teilzunehmen
versuchte er sich mit Leuchtgas zu vergiften; bald darauf schnitt er sich die Pulsadern auf, doch wurde er auch diesmal gerettet.
Nun aber trat einer auf, der Auskunft über das Früchtl geben konnte.
Sein Professor stellte ihm als Zeuge ein glänzendes Zeugnis aus. Er schilderte ihn als einen ausgezeichneten Charakter, vielleicht den besten, den er während seiner langjährigen Lehrtätigkeit kennengelernt habe. Louis sei Kommunist aus Idealismus und ehrlicher Überzeugung, und stets bereit, für seine Ideen durch das Feuer zu gehen.
Was macht man in einem Patrizierhaus dagegen? So ein Professor hat leicht reden, selber nur Idealist, der nie begreifen wird, daß das Leben seine Rechte und den Eintritt des Sohnes in die Firma fordert. Was macht man also?
Derzeit befindet sich Louis in Behandlung eines Psychoanalytikers, und die Eltern hoffen, daß es dem Arzte gelingen werde, auf das Wesen des Sohnes einen heilsamen Einfluß zu üben.
Es dürfte eine sehr kostspielige Kur werden. Bei Bettnässe, deren Spuren sie in Goethes »Zauberlehrling« sublimiert finden, lassen Psychoanalytiker vielleicht noch mit sich reden und behandeln aus Idealismus, sagen wir aus wissenschaftlichem Interesse. Aber bei Idealismus? Und noch dazu, wo der Patient aus einem Patrizierhaus ist?
gibt es in Österreich
sagt ein Titel des Neuen Wiener Journals. Das ist aber beiweitem nicht so viel, wie man geglaubt hätte, wenn man nur den riesigen Apparat bedenkt, den allein so eine Sonntagsnummer erfordert. Dazu kommt der allgemeine Aufschwung der Presse in Österreich und die immer mehr anwachsende Tätigkeit der Ämter. Eine Zeitlang hatte Österreich Zuwachs durch die sogenannten Analphabetyaren, die aber heute zum größten Teil wieder ausgemerzt sind. »Der sicherste Maßstab des kulturellen Niveaus eines Landes«, heißt es in dem Artikel, sei die Feststellung
ob und wieviel Einwohner des betreffenden Landes des Lesens und Schreibens nicht kundig sind.
Der Schreiber dieses Satzes täte unrecht, wollte er sich aus Bescheidenheit von dieser Statistik ausschließen. Ob freilich und wieviel Redakteure des Neuen Wiener Journals auch des Lesens unkundig sind, das ist insofern eine andere Frage, als ja doch zahlreiche Artikel der Weltpresse auf ihre Tauglichkeit, ohne Quellenangabe übernommen zu werden, geprüft werden müssen und das Ausschneiden nur eine sekundäre Arbeit vorstellt. Der Artikel über die Analphabeten dürfte jedoch der Originalbericht sein, als der er wie jene bezeichnet ist. Er geht der Erscheinung auf den Grund und erklärt die Existenz der Analphabeten aus dem Umstand, daß auch idiotische Kinder geboren werden
die wegen ihres Schwachsinns der Schulpflicht nicht nachkommen können.
Über die Berufswahl, die in diesen Fällen heute kein Problem mehr ist, wird begreiflicherweise nichts angegeben. Es ist ein Redaktionsgeheimnis; doch ermangeln schon die nächsten Spalten nicht der sinnfälligen Beispiele, die es verraten. Da will zum Beispiel einer, bevor er fürs Neue Wiener Journal schrieb, sein Leben gefristet haben, indem er
für Wiener Volkssänger Couplets und Soloszenen schrieb. Den bekanntesten Volksbarden wie . . .
Oder er inspizierte
im Sulkowsky-Theater in der Matzleinsdorferstraße, die heutige Verlängerte Wiedener Hauptstraße.
Das war eine sogenannte Übungsbühne
wo große Künstler hervorgingen.
Der Direktor aber
hatte, wenn er sprach, ein hohes Organ, das bei seinem wienerischen Dialekt sehr drollig klang.
Ohne Zweifel auch ein Originalbericht. Der über die Analphabeten unterscheidet zwischen Vorkriegsanalphabeten, von denen »ein kleiner Rest noch am Leben ist«, und der heutigen Generation. Innerhalb dieser müßte aber wohl wieder zwischen den totalen Analphabeten und solchen, die bloß nicht schreiben können, unterschieden werden. Von diesen, obschon sie in der Regel diktieren, wollen wir nicht reden, sie sind nun einmal berufen, die öffentliche Meinung zu machen. In Sparta setzte man schwachsinnige Kinder auf dem Taygetos aus, in Wien bringt man sie auf eine Höhe, wo ihnen das Publikum ausgesetzt ist. Doch nicht diese, sondern jene, die auch nicht lesen können, scheinen mit den 50.000 ausschließlich gemeint zu sein. Wenn aber auch sie ein Maßstab für das kulturelle Niveau eines Landes sein sollen, so kann man wohl sagen, daß gerade die so geringe Zahl – »nicht einmal ein Prozent«, wie der Bericht mit unangebrachtem Optimismus feststellt – einen trüben Ausblick eröffnet. Nicht mehr also als diese sind es, die in Österreich davor bewahrt bleiben, das Neue Wiener Journal zu lesen.
Im ›Tag‹:
Denn daß Seitz und Schober sich zusammentreffen . . .
In der ›Neuen Freien Presse‹:
. . . auf der gleichen Weise aus der Welt geschafft . . .
Nur sich keinen Zwang antun!
Mai 1930
Über Saltens jüdelnde Hasen hat Herr Walter v. Molo in der Neuen Freien Presse die folgenden Sätze geschrieben, mit denen verglichen die Hasenjagd eine Hetz ist:
Lieber Felix Salten, wenn Sie mir des öfteren von Ihrem Jagen, der Jagd und dem Wald und Feld erzählten und ich Ihre Jagdtrophäen betrachtete, dann war es sehr reizend, aber ich muß gestehen, ich hielt es, mißtrauisch wie wir Menschen nun mal sind, von denen jeder etwas vom Hasen Murk hat, der in der Drahtschlinge im Schnee jämmerlich endet, weil er »das Leben des anderen Hasen für ganz falsch und nur seines allein für richtig hielt und hoffte, es werde ihm gelingen, die einzig richtige Art ausfindig zu machen« – für Jägerlatein!
Und:
In unserem Fache heißt das vornehm: »Wahrheit und Dichtung!« Na, ich sehe jetzt aus ihrem neuen Buche »Fünfzehn Hasen, Schicksal in Feld und Wald«, ich habe wie der Goldfasan, dem beide Beine darinnen durchschossen wurden, der hinkt, aber behauptet: »Alles in Ordnung« – recht gehabt.
Das auch sonst neckische Feuilleton des Herrn v. Molo endet mit den Worten:
Also: das ist die schönste deutsche Dichtung über unseren Wald und dessen Tiere, die ich mir denken kann. Diese Dichtung macht froh und kindhaft warm.
Schönen Dank und frohe Weihnachten bei gutem Hasenbraten, lieber Felix Salten!
Richtig, das Buch ist bei Paul Zsolnay erschienen, der auch mein Verleger ist. Aber trotzdem über Ihr Werk zu schreiben, ist nicht »Korruption«, da man die Pflicht hat, Tüchtiges zu loben, und weil ich nichts dafür kann, daß Zsolnay ein so gutes Buch verlegt hat.
Ich kann gewiß nichts dafür und beklage mich auch nicht im geringsten darüber, daß ich nicht der preußischen Dichterakademie angehöre. Wie ich aber dazu komme, einer Nation anzugehören, deren Dichterakademie der Walter v. Molo vorsteht, das soll mir einer sagen!
September 1930
Das geistige Deutschland produziert auf Adler-Schreibmaschinen
– – Wiederholt brachten wir Abbildungen und Berichte, wie die Adlermaschine eine liebenswerte Helferin beim geistigen Schaffen wurde, heute nun sind wir in der Lage, unseren Lesern im Bilde eine Reihe prominenter Schriftsteller und Schauspieler in Verbindung mit der von ihnen liebgewonnenen Maschine zu zeigen. – – Auf S. 27, im Bilde unten links, wird uns der Autor des auf vielen deutschen Bühnen aufgeführten »Fröhlichen Weinbergs« Karl Zuckmayer an seiner Klein-Adler gezeigt. – – In kapriziöser Stellung mit ihrer Klein-Adler die bekannte Mitarbeiterin der ›Dame‹ und vieler mondäner Zeitschriften Ruth Landshoff (Seite 29 oben). – –
Der bekannte Kritiker und Schriftsteller Dr. Alfred Kerr
benutzt die Klein-Adler
(Der standardisierte Mensch.) Henry Ford hat kürzlich hundert Millionen Dollar für die Errichtung einer Schule gestiftet, die er die Schule der Zukunft nennt. »Ich habe so lange Autos fabriziert«, erklärte er, »bis ich den Wunsch bekam, nunmehr Menschen zu fabrizieren. Die Losung der Zeit ist Standardisierung.« – Die erste Musterschule Fords, die ihre Tätigkeit bereits begonnen hat, nimmt nur Knaben im Alter von 12 bis 17 Jahren auf. Verpönt sind Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte. – Die Lebenskunst müssen die Schüler lernen, sie müssen verstehen, zu kaufen und zu verkaufen –
Endlich einmal tabula rasa mit Vorwänden, die dem einzigen und wahren Lebenszweck vielfach hinderlich waren!
Franz Lehar.
Woran ich jetzt arbeite? . . . Ich warte noch immer auf das Buch der Bücher!
Ernst Lissauer.
Ich mache die Proben meines Dramas »Luther und Thomas Münzer« mit, das von Ende Juni an im Rahmen der Augsburger Festwochen zum vierhundertjährigen Jubiläum der Augsburgischen Konfession gespielt wird, und gehe dann an den Starnberger See.
Man erfährt also in einem, wo er den Sommer verbringt. Was die Augsburger Konfession betrifft, so hätte sie es mithin weit gebracht, aber was ist das gegen Lehar, der offenbar die katholische Bibel zu komponieren vorhat.
Vorhalt an Herrn Schober:
– – Sich an den Tisch der Demokratie setzen, und unter dem Tisch mit den Faszisten füßeln, das geht auf die Dauer nicht.
Schon aus dem Grunde nicht, weil am Tisch der Demokratie keine Faszisten zu sitzen pflegen. Es ginge nur, wenn sie unter dem Tisch versteckt wären, was ja irgendwie seine Richtigkeit hat, aber doch wieder nicht das richtige Füßeln ergäbe. Hätten es die Faszisten zu einem Platz am Tisch der Demokratie gebracht, dann dürfte sie gegen das Füßeln nichts mehr einwenden. Ihr Publizist – der Deutsch heißt – wollte sagen, es gehe auf die Dauer nicht, sich an den Tisch der Demokratie zu setzen und mit den Faszisten am Nebentisch zu kokettieren – eine Metapher, die Schobers Treublick durchaus angestanden hätte.
Kein tragisches Unheil könnte es geben, dessen Bote, der Analphabet in Druckerschwärze, am Ausgang nicht für Heiterkeit sorgte. Den Bericht über die Flugzeugkatastrophe bei Iglau und den Flammentod so vieler Menschen schließt er in der Neuen Freien Presse wie folgt:
– – Eine Tücke des Objekts ist es, daß das Gepäck der Reisenden vollkommen unversehrt geblieben ist.
Produkt einer Phrasenverknotung wie im Gehirn Wackers, der das ganz gut sagen könnte, wenn er »Hohn des Schicksals« meinte. Natürlich spielt auch die Vorstellung des Gepäcks als eines »Objekts« hinein. Und diese Imbezillen messen der Phantasie des Publikums die tägliche Ration zu.
Eine österreichische Schauspielerin
nach Leipzig engagiert.
Schwer vorstellbar, wie es seinerzeit, sooft eine Eule nach Athen getragen wurde, gemeldet worden sein mag.
Die Repräsentanten der deutschen Kultur in Nord und Süd fühlen sich durch das Bewußtsein, die deutsche Sprache nur unzulänglich zu beherrschen, auf Gedeih und Verderb und insbesondere auf diesen miteinander verbunden und zwar hauptsächlich gegen mich, der aufpaßt. Da aber die Österreicher und unter diesen wieder die totalen Analphabeten in der Journalistik führend und darum in Berlin gesucht sind, so weicht allmählich ein gewisses Festhalten an Regeln der Grammatik, wie es eine Zeitlang noch in Norddeutschland beobachtet wurde, dem Einfluß eines milderen Klimas, und die Übereinstimmung von Sinn und Ausdruck, auf die jeder französische Greißler Wert legt, wird dort nicht mehr als unerläßlich angesehen, wo zu einer Vielheit gebildeter Deutschen gesprochen wird. Beispiele lassen sich täglich wahrnehmen, das heißt, sooft in der Früh ein Abendblatt, mittags eine Nachtausgabe, abends das Morgenblatt und in der Nacht das Übermorgenblatt erscheint.
Sie nahm 20 Tabletten, zusammen 10 Gramm, eine Dosis, welche auch ihrem an Rauschgift gewöhnten Körper nicht gewachsen sein konnte.
Stellt das Berliner Tageblatt fest, wo schon fließend österreichisch geschrieben wird. Zweifelhaft, ob das journalistische Gift auf die Dauer der deutschen Sprache gewachsen sein wird.
findet oft den knappsten Ausdruck. Ich habe nachgedacht, was die dortige Sozialkritik, die daran Anstoß nimmt, daß ernste Männer, die doch Wichtigeres zu tun hätten, als korampublikoh zu streiten, einander zu verhohnepipeln und am Ende gar zum Kadi zu gehn, an Stelle solch unnützer und nur zeitvergeudender Polemik zu setzen hätte. »Anmerkung des Setzerlehrlings: Ei ei!« schien mir bisher die Formel für alles Boshafte. Auch: »Ha ha!« Nicht so sehr: »Hi hi«, weil dieses als die Chiffre eines bekannten Berliner Satirikers mißdeutet werden könnte. Nun habe ich gefunden, was ich nicht erfinden konnte:
Entweihter Wagner. Der Münchener ›Völkische Beobachter‹, Hitlers Organ, meldet am 2. April: »Siegmund und Sieglinde – ein »jüdisches« Wälsungenpaar. In der gestrigen Aufführung der »Walküre« sangen der Jude Fischer den Siegmund und die Jüdin Mihacsek die Sieglinde. Also ein jüdisches Wälsungenpaar! Kurs Franckenstein.« –
Hu hu!
Natürlich im Organ von Monty und Gesell. Die deutsche Kultur ist gewiß durch die Existenz des Hitler bezeichnet. Daß es noch immer Wälsungenpaare auf der Bühne gibt – selbst wenn sie von Ariern gesungen werden –, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Aber das Stärkste an der unscheinbaren Notiz ist doch die satirische Zusammenfassung durch »Hu hu!«. Eigenartige Nation.
Jannings geriet bei seiner Ankunft in Wien unter die Füße von Verehrern und kam mit einer leichten Körperverletzung davon.
Moissi, dessen Stern man schon im Sinken geglaubt hat, geriet bald darauf in ein Handgemenge, wobei ihm von Mänaden der Überzieher zerrissen wurde.
Theaterhistoriker wissen sich nicht zu erinnern, daß dergleichen jemals den Herren Iffland, Anschütz und Mitterwurzer zugestoßen wäre.
Der Gumpoldskirchner hatte Herrn Ferdinand trefflich gemundet und es war daher schon spätnachts, als er heimkehrte. Schon hatte er das Haustor erreicht, als Cäcilie, ein hübsches, junges Mädchen, vor ihm die Straße entlang ging. Da konnte Ferdinand der Lockung nicht widerstehn und zwickte Cäcilie. – –
ist die alte Vettel, die sich noch immer neue Freie nennt, das ist gar nicht zum Sagen. Da kitzelt sie – mit der unverkennbaren Feder jenes Schmonzers, der dem Ernst des Lebens die heitere Seite abzugewinnen hat – allen Reiz aus der Nachricht, daß man irgendwo in Ungarn einer Venusstatue ein Spitzenhemd angezogen habe, und fragt, da es ihr wieder ausgezogen wurde, ob sie dort
nicht gar am Ende die heidnische Teufelinne mit einem Bauernjanker bekleiden werden.
Aber sie entfaltet ihre Sinnlichkeit gar in zwei Spalten. Gleich rechts daneben wird als Ereignis eine Novelle der Alice Schalek, der Forttätigen, angekündigt, die »auch als Erzählerin bedeutsam hervorgetreten ist«. Die Novelle spielt in jenen südlichen Gefilden, die sie aus eigener Anschauung auf das genaueste kennt.
Unter südlicher Sonne erglühen die Leidenschaften, von denen der Obersteward berichtet. Man folgt der Geschichte, die er so mitreißend erzählt, mit der lebendigsten Teilnahme und man ist schon darum sogleich in ihrem Bann, weil diese seltsamen, wahrhaftig nicht alltäglichen Liebesabenteuer in der so wundersam lockenden Landschaft vor sich gehen . . .
Drei Punkte inhaltsschwer. Welcher Vorlesungshörer würde sich nicht erinnern, wie während einer Isonzoschlacht die Nachtigall gelockt und die Akazien betäubend geduftet haben. Da dürfte die Venus im Spitzenhemd zusperr'n können.
Von Zeit zu Zeit gelüstet es mich, in der »Dötz« am Sonntag nachzuschauen, wie's mit den Schweißfüßen geht. Der Ratgeber ist unerschöpflich an Variationen desselben Rats, denn schier ungeheuer ist der Andrang und offenbar genügt es den Bodenständigen, die sich das Übel zugezogen haben, keineswegs, daß ein für allemal oder bei besonderen Gelegenheiten das Mittel bekanntgegeben wird, sie wollen es immer wieder schwarz auf weiß nachhause tragen, so daß man den Eindruck hat, daß sie eher auf Erhaltung als auf Beseitigung Wert legen. In einer und derselben Rubrik war zwischen Ratschlägen gegen Magerkeit und Fettleibigkeit, gegen Stockschnupfen und Totwerden des Fingers, und was so vaterländische Leiden sind, zu lesen:
Schweißfüße. Man pinselt die Füße eine Zeitlang täglich mit 5- bis 10-prozentigem Formalinspiritus oder mit 3-prozentiger wässeriger Chromsäurelösung ein. Außerdem muß man fleißig die Fußbekleidung wechseln und die benutzten Schuhe gut auslüften und der Sonne aussetzen. In besonders hartnäckigen Fällen hilft eine Behandlung mit Röntgenstrahlen (aus harten Röhren).
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Fußschweiß. Man kann dieses lästige Übel leicht wegbringen, wenn man die Füße eine Zeitlang mit 5- bis 10-prozentigem Formalinspiritus einpinselt. Außerdem muß man fleißig die Fußbekleidung wechseln und die benützten Schuhe der Sonne aussetzen. Die Beseitigung des Fußschweißes hat keinerlei gesundheitliche Nachteile zur Folge.
Eigentlich und fast mit denselben Worten – mit dem gleichen schnöden Rat, die Sonne den Schuhen auszusetzen – wird also dasselbe gesagt, nur daß im zweiten Fall auch vor einer leichten Polemik gegen das Übel nicht zurückgescheut wird. Hier scheint es sich um einen Überängstlichen zu handeln, dem in Gesinnungskreisen eingeredet wurde, daß die Beseitigung gesundheitsschädlich sei. Und wer weiß, vielleicht sind diejenigen, die der Dötz die scheinbare Heilung verdanken, wirklich nicht mehr dieselben. Sie gehen ein, werden kopfhängerisch und mancher, vordem ein Bild strotzender Gesundheit, ist nicht mehr zu erkennen und betrachtet den Zuruf »Heil!« als Ironie. Mit diesen Dingen ist nicht zu spassen. Früher, ja, da wurde einfach die Fußwaschung empfohlen, die in jedem Alter auch noch in der Republik erschwinglich war. »Laues Wasser mit Seife«, fertig. Doch das imponierte den Interessenten nicht, darum wird jetzt Formalin verordnet oder gar Röntgen, noch dazu mit harten Röhren. Man müßte, wie bei allen diesen Eingriffen, die die moderne Medizin angibt, erst die Folgen abwarten. Besser aber gleich zu Zeileis!
Norddeutscher Lloyd
Literarische Abteilung
Schriftleitung »Die Fackel«
Wien 3
Hintere Zollamtsstr. 3
Bremen, den 14. Juni 1930
Hierdurch erlauben wir uns Bildmaterial zu übersenden, das Ihnen vielleicht für Illustrationszwecke oder sonstwie zur Veröffentlichung geeignet erscheint.
Wir überlassen Ihnen das Bildmaterial mit allen Rechten, bitten aber um Nennung des Norddeutschen Lloyd, sowie um Übersendung eines Belegexemplares.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Norddeutscher Lloyd
Literarische Abteilung
Unterschrift
Wozu der Norddeutsche Lloyd eine literarische Abteilung hat und wie sie dazu kommt, die Fackel in der Liste ihrer Geschäftsverbindungen zu führen, ist nicht ganz klar. Aber ein ganz besonderer Glücksfall der Fall, in dem sie von der Adresse Gebrauch gemacht hat, weil sich herausstellt, daß von sämtlichen Zeitschriften, an die das Bildmaterial versandt wurde, die Fackel die einzige ist, der es für Illustrationszwecke oder sonstwie zur Veröffentlichung geeignet erschien. Pech, das das Bildmaterial hat. Auf dessen Rückseite ist die folgende Notiz zum Gebrauch befestigt:
Der bekannte österreichische Schrittsteller Felix Salten hat sich als Vertreter der »Neuen Freien Presse« zusammen mit 13 europäischen Journalisten auf Einladung der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden auf Dampfer »Berlin« des Norddeutschen Lloyd kürzlich nach New York begeben. Die Herren unternahmen eine zwei Monate dauernde Studienreise durch die Vereinigten Staaten, um die dortigen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und geistigen Verhältnisse zu studieren.
Das der Fackel mit allen Rechten überlassene Bildmaterial: