Karl Kraus
Literatur oder Man wird doch da sehn
Karl Kraus

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Die Bühne stellt eine tiefe Halle vor, die in einem seltsam unbestimmten Licht liegt. Je dreizehn Schmöcke in den Nischen auf jeder Seite. Jeder dieser Schmöcke ist sein eigener Lichtspender. An verschiedenen Tischen dicht gedrängt Personen, die alle zu einander zu gehören scheinen und von Tisch zu Tisch hinübersprechen. Ein Winkel weist nomadenhafte Häuslichkeit auf; während verschiedene junge Leute schreiben, diktieren, malen, zeichnen, verrichten Mädchen häusliche Arbeiten, stopfen Zigaretten u. dgl. An einigen Tischen, dicht umstellt von Zuschauern, wird Schach, an andern Tarock gespielt. In der Mitte viele Tische aneinandergerückt: Der Vater, der Sohn, die Tochter, der Cousin, der Onkel, der Großvater, entfernte Verwandte, Freunde des Vaters, Freunde des Sohnes, Freundinnen der Tochter, die ab- und zugehen. An den Wandtischen Mänaden, die sich aber auch zwischen den Gruppen tummeln. Bacchanten und Faune hinter ihnen her. Die Dialoge spielen sich vielfach auch so ab, daß die Sprecher zwischen den Tischen und peripatetisch ihre Meinungen vortragen. Es herrscht lebhafteste Bewegung. Alles spricht durcheinander, gestikuliert heftig. Nur der Großvater sitzt stumm und unbeweglich da, mit halb geschlossenen Augen. Kellner sind nicht zu sehen; die Gesellschaft des Raumes scheint völlig sich selbst überlassen. Neugierige schauen herein.

Chor der Bacchanten
Wir haben Epochen
im Sturme zerbrochen.
Was sollen die Formen
den Neuen, Enormen!
Nicht jedem, nicht allen
sind wir zu Gefallen.
Wir malen Gedichte,
wir bauen an Bildern,
wir haben Gesichte,
die sind nicht zu schildern.
Wohl aber zu lallen.
Wir bellen, wir ballen.
Wir malen, wir dichten,
ohne uns zu verpflichten;
die Blinden und Tauben,
die müssen dran glauben.
Wir wissen, es kann uns nix gschehn.
Man wird doch, man wird doch da sehn.

Der Sohn (wallendes Haupthaar, Kronionsstirn, Genieblitz aus dem gewölbten Aug, korpulent)
Ist es der Stank, der wieder zur Bedrückung
dem zärtern Geist durch alle Poren drang?
Ist es der Fluch jahrhundertalter Schickung,
der alpisch mir den freien Odem zwang?
Ergeb ich mich der stürmischem Beglückung,
so mahnt mich dieser längst verschollne Klang.
Vergebens, daß der Genius mich befeure!
Durch jeden Spalt netzt mich die Vatersäure.

Der Vater (normaler Habitus)
Das sind Verstiegenheiten. In deinen Jahren –
hättest du sehn solln – er hätt mir gegeben!
Er ja – seh ihn nur an dir, wie er da sitzt.
Er redt nichts, aber denken tut er sich.
Was willst du, sag mir nur um Gotteswillen,
hab ich dich nicht studieren lassen? Du,
du hast nicht gut getan; ein junger Mensch,
wenn er was taugt, gehört er ins Geschäft!
Und wenn er nicht taugt, dann doch eo ipso.
Ist das nicht lachhaft? Von Kaffeehäuser
und Nixtun wirst du mir nicht leben, hörst du!
Ich hab mich einmal überzeugen wollen,
was sich da tut und was ihr hier mir treibts.
Ist das ein Aufenthalt du, sag mir bittich –
das letzte Mal, da kannst du Gift drauf nehmen,
daß ich erlaube, daß du hier verkehrst!
Verstiegenheiten, ausgefallene Sachen!
Da reussiert man nicht! Das hab ich gern!

Der Onkel
Das seh ich nicht ein –
wenn er Talent hat –
Paul hat auch Talent.
Trag vor das Gedicht.

Der Vater
Du fang mir auch noch an, das fehlte noch,
aufhetzen – kümmer du dich lieber selber.
Von mir aus kann dein Sohn Gedichte machen
soviel er will, red ich dir da was drein?
Was heißt Talent? Was geb ich auf Talent?
Sag mir was schaut heraus dabei – man wird doch
da sehn! Worauf herauf hat er Talent?

Der Onkel
Trag vor das Gedicht.

Der Vater
Ich will nichts hören, ich hab schon genug!

Der Sohn
Entflieh, o Vater, unerschlossnem Kreise!
Der dir entsproß, ist auf bekannte Weise
dem Väterwort, der dumpfen Zucht entflohn.
Der dir durch jenen Zufall einst entsprossen,
ist längst bei den bewährten Kampfgenossen.
Ich bin dein Sohn nicht, denn ich bin Der Sohn!

Der Vater
Mit dir, das sieht man, ist es weit gekommen.
Ist das ein Leben, Wolfgang, hör mich an –

Der Sohn
Wer ruft mir? Sind es Schatten? Sinds Gespenster?
Ich sah die Welt durch neunmal neunzig Fenster.
Nun füllen ferne Klänge mir das Ohr.
Ein Spiegelmensch, ein schellenlauter Tor,
ein Nichts von einem Ding, ein Petrefakt,
es hat im Innersten mich angepackt.
Wie es sich innen, wie sichs außen ballt –
wo faß ich dich, du schwankende Gestalt?
Du breitest Zwielicht, wo du immer bist,
du ideal vertrackter Realist!
Wie links und rechts du nun das Nichts beschielst,
bald mich den Säugling, bald den Greis befühlst:
es ist der alte Wahn, der Menschentrug –
glaub mir, ich hab von alle dem genug.
Nun steh ich da, nun ist die Täuschung voll,
ich steh, ich frag, ich weiß nicht, was ich soll.
Hier unten wird es schief und immer schiefer.
Was will die Zeit mir, was will das Geziefer?
Was all ich wirkte, halb nur wars das Wesen,
ich hab in weisen Büchern viel gelesen,
und weiß nun erst, hier rings um uns ist Nacht.

Der Vater
Mit einem Wort, du hast es weit gebracht.

Der Onkel
Warum, wenn er Talent hat?
Paul hat auch Talent.
Trag vor das Gedicht.

Der Cousin
Schleimig!
Oh!
Sternsturz umwerfend queres.
Dessenungeachtet.
Dämmerungen kreisen.
Sirius kalbt.
Auftrotzt Zukünftiges.
Kegelkugel blaut Neuerung.
Ungeteiltes klemmt.
Haltet hin, haltet her,
Ihr tötet euch um Katzenschmer.
Hirnbrand spaltet erdwärts.
Wortmund schleimt Fesselung.
Bürgerknochen verwesend pfählt losgelöstes – : eitern Male.
Sturmschweigen dröhnt.
Gott ragt himmeldurch.
Ausgezackte Lichtung hämmert opalen.
Geballtes wuchtet.
Gestuftes tönt Besinnungsgipfel.
Morast steilt.
Schwester du!
Aufdunsten.
Rosenthal!
Und.

Der Vater
No und?

Die Tochter
Gott wie geballt!

Erste Freundin
Gott wie gestuft!

Zweite Freundin
Gott wie gesteilt!

Dritte Freundin
Gott wie geklemmt!

Die Tochter
Man spürt das Erlebnis.

Erste Freundin
Das ist ganz ein anderes Kriegsgedicht wie die andern Kriegsgedichte. Schwer entringt sichs. Es webt zwischen irdischer und himmlischer Liebe Begegnung. Es hat das Wissen um den Weg einer in Blut gewordenen, dem Blutgrauen entrungenen Seelenheit. Es hat den fernen Atem vom Urwort her. Es ist Aufgipfelung. Es ist Kernschicht des Heutigen, Bodenschicht des Kommenden. Es ist der Grundstein. Es ist der Dachstein.

Zweite Freundin
Es ist direkt orphisch.

Dritte Freundin
Es weckt Sehnsuchten.

Der Cousin
Es ist angenommen von der Neuen Rundschau.

Der Onkel
Er hat Aussicht, Lektor zu wern bei Kurt Wolff.

Der Vater
Auch ein Beruf. Du bittich hör mir auf, ich will nichts mehr wissen – damit komm mir nicht! Das nennt man dichten, sag mir? Treff ich auch!

Der Onkel
Warum, weil er keine Reime macht? Recht hat er. Er sagt, sie dürfen nicht mehr reimen in der neuen Dichterschul.

Der Vater
Was heißt, sie dürfen nicht mehr? Mein Sohn reimt!

Der Onkel
Leugn ich, daß er Talent hat?

Der Cousin
Mein Erlebnis schließt den Reim aus, sein Erlebnis schließt den Reim nicht aus, das ist der ganze Unterschied, es kommt darauf an, wie man erlebt.

Der Vater
Ich pfeif auf sein Erlebnis; was erlebt er?
Er hätt sein Rigorosum machen sollen!
Zu meiner Zeit – hätt ich wie er gefaulenzt,
mein Vater – Gott, da hätt ich was erlebt!
Zu meiner Zeit – war eine andere Zeit.
Ich wer' dir etwas sagen du, dein Vater,
wenn er dich läßt, so is das seine Sache.
Was meinen Sohn betrifft, bin ich der Vater!
Er stürmt! Er hat nichts Besseres zu tun!
Nichts hör ich andres. Jedes zweite Wort is:
er stürmt! Was stürmt er sag mir? Muß er stürmen?
Im Krieg war Ruh. Im Kriegspressequartier,
hätt einer sich erlauben solln und stürmen,
da warn sie still. Kaum war Revolution,
hat er sich eingelassen gleich und stürmen
hat Gott behüt er wolln den Bankverein!
Ich denk's wie heut, da hat man laufen müssen,
es für ihn richten bei der Polizei.
Wie hab ich ihn gewarnt, fang dir nichts an!
Wie oft hab ich geschrien, misch dich nicht ein,
er aber stürmt sich fort zur Roten Garde.
Jetzt möcht er wieder unvorsichtig sein,
mit Menschlichkeit und lauter solche Sachen
was nur hinauslauft, Leute aufzuhetzen –
von Weltbeglücken kann ein Mensch nicht leben.
Er is ein Urchrist, sagt er, tut sich was!
Sonst fehlt ihm nix, schauts her, wie er gesund is,
er hat die Menschheit doch zum fressen gern.
Das sind Ideen! Auf ihm hat man gewartet.
Verdienen soll er! Im Geschäft! Da wird er
von selbst auf andere Gedanken kommen.

Die Tochter (aufspringend)
Das heißt, das Wort im Mutterleib ertöten!
Ich tu's!

Sie tritt erregt zum Bruder, der ihr ein Manuskript aushändigt, und macht sich zum Fortgehen bereit.

Der Vater
Was heißt das? Schau dich lieber um ums Nachtmahl!
Verdienen soll er! Wird er mit der Kunst
sich was verdienen? Wie man sich verdient,
das und nur das ist heutzutage Kunst.
Auf Tachles kommt es an und nicht auf Schmonzes!
    Er rüttelt den Sohn, der nachdenklich dasitzt.
Verdienen sollst du – du –

Die Tochter (heulend davon)
Das ist Inzest!

Der Vater
Meschugge! Kinder hab ich – ein Skandal!
Was meint sie mit Inzest?

Der Onkel
Das is von Freud.

Erste Freundin
Sie weiß schon was sie meint, nur unbewußt.

Zweite Freundin
Sie meint, er hat vom Vater den Komplex,
sie liebt den Bruder, der die Mutter liebt,
es ist das alte Ödipuserlebnis,
aus Träumen steigt es manchmal klar hervor,
bei Heller hab ich gestern es gehört.

Der Vater
Bei Heller? Ödipus? Zu Rebussen
bin ich nicht aufgelegt, mein liebes Freilein.

Dritte Freundin (sich abwendend)
In diesem Haus ist nicht ein Gran Kultur!

Der Cousin
Wenn man etwas nicht genau weiß, soll man nicht reden. Ich hab bekanntlich einen Ödipuskomplex – wie ich gestern im Herrnhof davon erzählt hab, sind sie vor Neid zerplatzt! Was in Wolfgang gährt, ist gar nichts weiter wie ganz gewöhnliche Vaterverleugnung!

Der Vater
Laß ihn verleugnen! Er ist doch mein Sohn,
glaub mir, er is von mir; er is von mir
bedeutend mehr, als was er schreibt von ihm is.
Wenn sich die Söhne auch der Väter schämen,
wir Väter schämen uns der Söhne nicht!
Und daß er schreibt, damit macht er sich selber
nur Schande, weil man jedem Wort gleich anmerkt,
daß er mein Sohn is. Es is nicht weit her
mit ihm. Ihm fehlt hör ich der eigene Ton,
sie sagen, alles war schon da, weiß ich,
sie reden, daß kein Wort von ihm von ihm is.

Der Sohn
Der Teufel nehm die Lästerbrut beim Kragen!
Bis sie bekennt, laß er sie nicht in Ruh!
Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen,
und vor der Nase fällt die Tür euch zu.
Eratmend will der Sinn das Höchste wagen –
das allzu Irdische ersteht im Nu.
Was plagt mich, der entrückt ins Ungeheure,
schon wieder die verwünschte Vatersäure?

Der Vater
No also, was hab ich gesagt, was sagt man,
er redt kein Wort, das von ihm selber is!
Er hat Gehör, doch keinen eigenen Ton,
so wahr ich leb, was man da sagt, is wahr;
gelesen hab ich, seine Sprache is
von einem Klassiker, wie heißt er nur,
ja richtig Werfel, von dem alten Werfel,
er hat sich ganz in ihn hineingelebt,
man hört nur Frankfurts Laute und sein Weimarsch
tönt akkurat, als obs von Werfel wär.
Doch mir macht er nichts vor und ich erkenn ihn,
ich hab ihn noch gekannt, wie er so klein war –
wer denn wie ich? Jedoch an der Gewure,
mit der ers macht, merk ich, er ist mein Sohn!
Nur tuts mir leid, daß so viel Tüchtigkeit
auf Schmonzes wird verwandt anstatt auf Tachles.

Der Cousin
Onkel, wie du nichts verstehst. Wenn du verstehn möchtest, möchtest du verstehn, daß ihm Werfel effektiv alles vorgetönt hat. Von ihm ist jede Zeile, die von Werfel ist.

Der Onkel
Er hat doch den Urfaust geschrieben, warum
nicht, recht hat er, und sogar in drei Teilen.

Der Cousin
Ich kenne diese Vorwürfe und ich kenne auch die Richtung, aus der sie kommen, um nicht zu sagen, den Ursprung. Ist das nicht der beste Beweis? Von mir heißt es, meine Gedichte sind von Sonnenschein und sogar von Ehrenstein. Sind sie darum und eben darum nicht von mir? Und wenn sie von Sonnenschein wären, wären sie dann von Sonnenschein? No also!

Der Vater
No sind sie, sag mir, nicht von Sonnenschein?

Der Cousin
Wieso? No sind sie von Sonnenschein? Darauf antwort mir!

Der Vater
Von wem denn sind sie, wenn sie nicht von ihm sind?

Der Cousin
Es ist sehr schwer, mit Bürgern von solchen Dingen zu reden. Vielleicht wirst du noch behaupten, daß sie von der Lasker-Schüler sind?

Der Vater
Das weiß ich nicht, vielleicht, vielleicht auch nicht,
wer kennt sich aus in dem Geschäft, in meinem
geht jedenfalls es viel reeller zu.

Der Cousin
Also hör zu: Meine Sachen sind von mir, wenn sie von ihm sind, seine Sachen sind von ihm, wenn sie nicht von ihm, sondern von mir sind.

Der Vater
Ja, jetzt versteh ich! Aber sag mir nur,
mein Wolfgang sagt, daß alles was von dir ist
und nicht von dir, sondern von Sonnenschein,
zurückzuführen ist auf Ehrenstein,
ders ohne Zweifel nebbich von sich selbst hat.

Der Onkel (beleidigt)
Alles von Ehrenstein? Paul hat zufällig einen Artikel geschrieben über das Wesen des Humors, der Wort für Wort von Kulka is!

Der Cousin
Ja, bitte und da bin ich stolz darauf! Ich verehre Kulka und weil ich weiß, daß die Zeitschriften von ihm nichts wissen wollen und weil ich Kämpfe für ihn zu bestehen hatte, weil sie ihn nicht bringen, hab ich ihnen beweisen wollen, daß sie wirklich von ihm nichts wissen, weil sie ihn ja bringen, nämlich wenn es unter einem andern Namen erscheint und sie merken es nicht, darum hab ich meinen höchst pseudonymen Autornamen darunter gesetzt, no und da haben sie gebracht!

Ein entfernter Verwandter (sich vom Tarockspiel abwendend)
No ja, das is ganz was anderes. Da hat er sich ein Verdienst erworben. Aber sagts mir nur bitteuch, wer is eigentlich dieser Kulka, von dem jetzt so viel die Rede is?

Ein Kiebitz
Unerhört! Kulka – das wissen Sie nicht? Kulka, das ist doch der, der den Jean Paul herausgegeben hat!

Der entfernte Verwandte
Sie brauchen sich gar nicht aufregen. Jean Paul hat er herausgegeben? Wie is das: herausgegeben? Den ganzen Jean Paul?

Der Kiebitz
Den ganzen. Nichts hat er sich behalten von ihm.

Der entfernte Verwandte
Das is anständig von ihm. Aber sagen Sie mir nur bittsie, wer is eigentlich dieser Jean Paul?

Der Kiebitz
Da fragen Sie mich wieder zu viel.

Sie spielen weiter.

Der Vater
Kinder, ich wer' euch sagen, was ich glaub.
Wie ihr da alle seids, seids ihr zusammen
und jeder einzeln ganz dasselbe wert
wie jeder einzeln, darum ist es möglich,
daß jeder wird mit jedem leicht verwechselt;
was einer hat, das kann auch jeder andre,
drum kann er es von jedem andern haben;
denn nichts ist so gemeinsam wie das Nichts.
Wenn sich der Tineff auch absurd gebärdet,
es kommt zuletzt nichts anderes heraus.
Ihr seid gewiß so talentiert wie wir:
was könnte jeder von euch Jungen leisten,
hätt er sich nicht grad das Geschäft gewählt!
Statt Bücher schreiben, solltet ihr sie führen.

Er begibt sich ans Schachspiel.

Der Sohn
Mir wird bei diesem Vaterwort zumut,
als lärmt' ein Schwarm von siebentausend Tanten
und türmte sich der Staub von Folianten
mir in dem aufgemischten Blut.
Ihr nennt den trägen Trott Karrieremachen –
und was sich mir auch wesentlich erneure,
der Kasus bringt den schalsten Narrn zum Lachen
mit etwas Mutterwitz und Vatersäure!

Der entfernte Verwandte
Er wird noch den Großvater wecken mit dem Geschrei.

Die Bewunderer
Weh dir, daß du ein Enkel bist!

Der Onkel
Er hat den Daimon.

Der Vater (herüberrufend)
Weißt du was? Gib schon Ruh!

Der Sohn
Nur Ruh! Nichts störe diese satte Ruh,
uns reißen sternwärts alle Silbergäule
und hinter uns bleibt eures Daseins Fäule,
von allem Wust ein höllisches Ragout.
Weh, wer den Wink zur Abkehr nicht genutzt
und diesen dumpfen Kursus durchschmarutzt!
Mein Tempo dünkt euch Firlefanzen toll –
mich widert dies gemächlich Traben.
Im Innern pocht gebietend ein »Ich soll« –

Der Vater
Was heißt, ich soll? Die Hauptsach is das Haben!

Der Sohn
Was soll mir das? Wofür wär' es mir nütze?
Ich koch mir selber meine Hafergrütze!
Und gibt es dazu auch noch etwas Schleim,
so schmeckt mir erst der so entstandne Reim.
Ein Tor, wer auf verjährte Weisheit bauet,
wer nicht dem Drang, dem innern Muß vertrauet.
Wir stürmen weiter, kein Pardon gegönnt
dem störrisch widerwärtgen Element!
Was uns die Jugend noch im Traum behext,
es trolle hin sich, wo der Pfeffer wächst!
Du willst ans Ziel – da fährt dir ein Gespenst
an deinen Atem, das du Vater nennst.
Will mich mein Wagner aus dem Werke stören?
Wir schreiten kaum, doch fühl ich mich schon weit,
man sieht es klar, zum Raum wird hier die Zeit,
und Vätersprüche werde ich nicht hören!
Die Sucht und Selbstflucht, die sich nie vergaß,
zerlebt sich bald an meinem Übermaß!
Nun sind sie beim Tarock, beim lieben Schach –
das nenn ich mir ein väterliches Führen,
es ist ihr ewig Weh und Ach
aus diesem Punkte zu kurieren.
Im Spiel noch sind sie unfrei, sind pedantisch,
sie haben sich am Trunke nie besoffen,
im Abenteuer nicht die Spur romantisch.
Mir aber stehen alle Himmel offen!
Ich möchte mich an allen Quellen laben,
mir tönt es tiefer tief und schöner schön,
was allen Göttern eignet, möcht ich sehn,
was nicht von mir ist, möcht ich haben!
Was stürmt die Brust mir auf, was tönt mir wieder?
Die Träne quillt, es klingen alte Lieder.

Stimme vom Schachtisch
Pscht! Man kann nicht spielen!

Zweite Stimme vom Schachtisch
Das – gewinne ich – spielend. Aber spielend sage ich Ihnen – Sso!

Erste Stimme
Ja spielend! Aufgewachsen! Spielen Sie sich nix mit mir – sag ich Ihnen – Sso!

Zweite Stimme
Sie wem sich was erleben – Oi oi oi – pomali – Sso!

Erste Stimme
Eine – feste Borg ist unser Gott – Sso!

Zweite Stimme
Eine feste – Borg – Sso!

Erste Stimme
Gleich wern wirs haben – Schachuzim – Schachuzim – Schäch – Ssso!

Zweite Stimme
Die schönen Tage von Schachuzim – sind vorbei – Pardon mein Herr – wwo!

Erste Stimme
uch ich bin in Aranschuwez geboren – Da wern Sie kein Glück haben – sehr guut – mein Herr – seehr gut hat er das gemacht – talentvoller junger Mann – aber schon seeehr gut – Ssso!

Zweite Stimme
Diese Antwort – des Kandidaten Jobses – Ssso!

Erste Stimme
Wissen Sie schon – wissen Sie schon – was es Neues gibt – in Rzeszow – es gibt nix Neues – in Rzeszow – unter der – Sonne – also – erregte – allgemeines Schütteln des – Kopses – Ssso!

Zweite Stimme
Jobses – Kopses – Ha ha! He he! Hi hi! – Glauben Sie! – Tja, die Sache steht mies – aber gewaltig mies – aber schon ganz gewaltig mies – wwwo!

Erste Stimme
Steht – mies – tjajajaja – Jo – pses – Ssso!

Zweite Stimme (verröchelnd)
Ko – pses . . .

Der Sohn
So plackt sich fort die leidige Menschenqual
und bleibt ja doch im besten Fall banal;
und jedem Wachstum bietet sie Verneinung.
Indessen faßt mein Aug die Welt-Erscheinung,
das Herz erbebt und jeder Nerv vibriert
und die Gefühle gehen wie geschmiert.
Ich weiß nun alles, was im Erdenrund
gibt ersten Schrei, gibt letzten Seufzer kund:
mir gilts, nur mir – im Feuerwirbelsturm
litt ich mit dem zertretnen letzten Wurm,
mit allem, was da leidet, leid ich mit,
weil es durch mich, der ich geboren, litt!
Ich weiß die Tränen, weiß vergossnes Blut,
ich weiß um alles, was sich sonst noch tut.
Du Kaiserin, die in den Tod genickt –
Du Stickerin, die wund sich hat gestickt –
Du Nähterin, die mir noch nie genaht –
Du, die die Schüssel einst zerbrochen hat –
Du Sperling, meiner Knabenlaune Fang,
als ich in jenes Frühtags Überschwang
die Spur von dir auf meinem Finger spürte,
was mich schon seinerzeit zu Tränen rührte
und so, wiewohl ich noch ein halbes Kind,
das eine ganz mich wissen ließ: Wir sind! –
Du alter Mann mit einem Kaiserbart,
der mich gerührt hat, weil ich ihn gewahrt
als er hineinging, ich aber hinaus
aus jenem unscheinbaren kleinen Haus,
den ich fortan ekstatisch Bruder nannte,
bloß aus dem Grund, weil ich ihn niemals kannte –
Schiffsheizer du, wer riß aus den Äonen
dich, ausgerechnet um für mich zu fronen,
für mich vor Kesselgluten stumm zu schwitzen,
dieweil es mir gewährt ist, hier zu sitzen:
gewähr mir das Ertragen dieser Pein,
was ist der Mensch, jedoch was soll er sein;
du ahnst es nicht, wie sehr ich für dich litt.
Schiffsheizer, nimms: ich schwitze mit dir mit!

Stimme vom Schachtisch
Sagts mir bitteuch, was schreit er so fürchterlich?

Stimme des Vaters
Laßts ihn gehn, er hält Gerichtstag über sich.

Die Bewunderer
Ihn hat bei diesem strengen Selbstgerichte
der Menschheit ganzer Jammer angefaßt.

Stimme vom Schachtisch
Ihr Sohn is etwas ein Phantast.

Die Bewunderer
Wer stört die Fülle der Gesichte?

Der Sohn (aufheulend)
Erst tief hinunter, dann gehts höherwärts!

Stimme des Vaters
Werfts ihn heraus, er bricht sich selbst das Herz.
Ich kenne das, es gibt sich nach und nach.
Ich biete ihm – jetzt biet ich Ihnen Schach!

Stimme des Partners
Wie reimt sich das? Sie patzen – doch am End
bekommen Sie vom Sohne das Talent!

Stimme des Vaters
Nicht ausgeschlossen. Es ist ja nicht schwer,
man hörts doch täglich und hat selbst Gehör.
Dem Apfel, der zu weit fiel, folgt der Stamm;
schau ich ihn an, entsteht ein Epigramm.
Im Pathos haperts noch, da gibts Verdruß,
indeß – ich hoffe –

Stimme des Partners
Schach! Jetzt mach ich Schluß!

Der Sohn
Nun beug ich mich dem Blitze! Komm er doch!
So laß es enden!

Stimme des Kiebitzes
Also! Tommer doch!

Es treten auf Harald Brüller und Brahmanuel Leiser. Brüller verbreitet Frische; Leiser Müdigkeit. Brüller deutet durch seine Bewegungen an, daß er eigentlich ein Wiking ist, den ein Seeunglück in die Zeit und in dieses Milieu verschlagen hat, versteht es aber, in seinem Wesen das normannische Element glücklich mit dem amerikanischen zu verschmelzen. Jenes kommt durch seine Tracht (Radmantel und Ballonmütze) zum Ausdruck, dieses durch die kurzangebundene Art seines Auftretens, seinen Händedruck, unter dem sich der Reihe nach alle Anwesenden, die er begrüßt, in Schmerzen winden, sowie durch ein gelegentlich in die Debatte geworfenes »All right!«, Leiser ist schweigsamer, er hat orientalischen Typus, die abfallenden Schultern der müden Kulturen, ist schmächtig, modisch gekleidet (Gürtelrock) und scheint, von diesem Moment abgesehen, anzudeuten, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist. Als die typischen Vertreter zweier Weltanschauungen werden sie von den Anwesenden entsprechend begrüßt und tauchen sogleich in einem Wirbel von Interessen unter. Bei ihrem Eintreten hat sich der im Raum verstreuten Mänaden lebhafteste Unruhe bemächtigt. Zwei treten vor.

Erste Mänade
Gott ich sag dir – der Leiser – er macht mich – ganz närrisch,
no ist das ein Wunder – er ist so esoterisch.

Er schaut nur und weiß schon und führt so ein Leben,
und was es da gibt, hats für ihn schon gegeben.

Er sagt nichts, er deutet, und wenn man ihn fragt,
was er macht, so hat er schon der Arbeit entsagt.

Die andern, sie schreiben, er schreibt keine Zeil,
er redt nichts, er tut nichts, er denkt sich sein Teil.

Zweite Mänade
Gott ich sag dir – der Brüller – ich flieg auf – ihn tamisch,
no ist das ein Wunder, er ist doch dynamisch.

Was hab ich von den andern, so blasiert und so kränklich,
teils sind sie nachdenklich, teils sind sie bedenklich.

Pervers sein ist schön, doch auf die Dauer zu fad,
er allein, schau ihn an, hat den Willen zur Tat.

Unter Stimmungsmenschen ist er Aktivist,
und außerdem ist er der einzige Christ.

Ich fühle eine solche Leere in mir, daß ich unbedingt etwas brauche, was mich ausfüllt, und wäre es auch nur ein Mann.

Erste
Diese Einstellung ist mir fremd. Ich will nichts weiter als das Unendliche im Endlichen, im Relativen.

Zweite
Ich suche das Absolute, das Geradlinige, das Tiefaufwühlende.

Erste
Einen einzigen Buddhisten von der Ferne anschaun ist mir lieber als mit hundert ich weiß nicht was. Aber versunken muß er sein, da versink ich auch.

Zweite
Es handelt sich immer um das Sein oder um die Form. Ich brauche das Sein. Ohne das Sein komme ich mir völlig überflüssig vor. Ich brauche einen Impuls. Ich hab seit ich das letzte Feuilleton von der Zuckerkandl gelesen habe, so einen Unruh in mir. Ich sehne mich nach einem ideellen Beharrer.

Erste
Meine Worte. Eben das suche ich auch. Ich suche die ewige Weihe, das unendliche Weiter! Ich will eintreten in den Tempel des Lebens. An der Seite Leisers, wenn möglich.

Zweite
Ich will Chaos. Ohne Chaotisches kann ich nicht existieren.

Erste
Wem sagst du das? Ich bin doch Bejaherin der Selbstauflösung.

Zweite
Das, was Unruh der Menschheit gibt, ist daß sie endlich Ruh bekommt, und diese Hoffnung scheint mir in Brüller verkörpert. Er ist einfach kosmisch. Sein Weltbegreifen ist mein Weltbegreifen. Unter seiner Hand fallen die Schleier von allen Heimlichkeiten. Ich brauche den Menschen, der sich eins spürt durch sein Wachsen in die Menschheit. Den Menschen, der dereinst zum blühenden Gleichnis und zum höchsten Bewußtsein in der Natur werden wird. Ich möchte in dem kommenden Allmenschen die schöpferische Flamme des Religionsstifters anfachen.

Erste
Brahmanuel Leiser ist Religionsstifter. Er webt Seelenheit. Ihn anschauend fühlte ich, wie die schöpferische Flamme in mir angefacht wird. Nur so könnte die zu ersehnende Einheit von Leib und Seele herbeigeführt werden.

Zweite
Da schiene mir die Seele über Gebühr bevorzugt. Der Leib ist es, was heute brachliegt. Alles drängt zum absoluten Bekennen: dieser Erde ganz anzugehören. Im Symbol einer Vereinigung von Mann und Weib zu einem Leib, in der Auflösung aller Zweiheit in Einheit offenbart sich die Entwicklung des Tier-Menschen zum Gott-Menschen auf seiner Erde. Mann und Weib, die eine von Gott geforderte Einheit bilden, werden durch das eigenste Erlebnis einer schöpferischen Einheit selber Gefäß des Göttlichen. Ich möchte um jeden Preis so ein Gefäß des Göttlichen werden!

Erste
Ein Gefäß des Göttlichen sein – das ist es. Aber wenn ich die Zuckerkandl richtig verstanden habe –

Zweite
Im Gegenteil! Man hat eben die Materie nicht mehr als Hindernis auf dem Weg zur Gottwerdung zu empfinden. Aber da sein muß sie! Ohne die Überwindung der Materie wäre es weder eine Kunst ein Heiliger zu sein, noch ein Vergnügen. Es war ein Fehler, die Flucht der Seele in ein höheres Reich als Erlösung zu erleben. Diese Schwachheit der Menschen ließ sie Christi hehres Beispiel, der durch die Hingabe seines Lebens die Nichtigkeit des irdischen Lebens gegenüber der Erhaltung seines göttlichen Bewußteins auf ewige Zeiten erweisen wollte, im Innersten verkennen. Empfang des Sakramentes führte alle diese Schwachen zu einer Mißachtung des Lebens. Das Kreuz blieb uns der Schmerzenswegweiser in eine ewig tränende, ewig trauernde Welt. Das wird jetzt anders werden.

Erste
Glaubst du?

Zweite
Ob ich glaub! Fritz Unruh hat doch die Güte. Er will an Stelle des für die Welt sterbenden Christ den freudig die Welt Erhaltenden setzen. Er will Christ erlösen.

Erste
Das ist eine Idee, aber ob es sich wird machen lassen? Ich meine auswirken.

Zweite
Es gibt kein Leid mehr. Jeder Tag wird zum Fest. Denn die Erde gehört dem Menschen. Der Mensch aber – der Liebe! Schau dir bitt dich den Brüller an, diese Vitalität! Nämlich das Gefühl, das den Menschen mit der Menschheit verbindet, deren Bewegtheit er in sich und sie wieder durch ihn begreift. Darauf kommt es an.

Erste
Das sind Ausnahmsfälle. Bis das überall durchgeführt sein wird! Ich meine ausgewertet.

Zweite
Haben erst alle Menschen sich ganz in die Einheit aufgelöst, so werden sie ihres ewigen Kampfes gegeneinander vergessen. Du wirst sehn.

Erste
Ja das ist wahr. Die schöpfungsbejahende Kreatur muß erstehn. Sie, die nur Freude atmet und deren Sich-im-andern-Erleben die dumpfe Frage löst des: Woher – Warum – Wohin? Denn im Bewußtwerden der eigenen Göttlichkeit ist Ewigkeit. Ist Ziel, Weg, Erfüllung.

Zweite
Man wird doch da sehn. Schau dir Brüller an. Ein Erfüllter!

Erste
No und Leiser is ein Hund? Ein Erweckter is er sag ich dir. Halb Dandy, halb Erweckter.

Zweite
No und Brüller ist Bolschewik und Gentleman. Du wirst zugeben, daß man das selten vereinigt findet.

Erste
Leiser gemahnt direkt an den Beau Brummel.

Zweite
Schön, aber hat er den Daimon?

Erste
No und wie! Gott, der hat dir einen Daimon! Du würdest paff sein.

Zweite
No ja, aber hat er ein Ethos?

Erste
Was heißt Ethos, Ethos ist gar kein Wort für das Ethos, das er hat! Ich wer' dir etwas sagen – sei nicht bös – was an Brüller nicht in Ordnung ist, ist daß er fort all right sagt.

Zweite
No gar keinen Fehler soll er haben? Eine Individualität hat eben ihre Eigenart.

Erste
Das ist wahr. Aber daß Leiser auch ein Ewigkeitsmensch ist, darauf kannst du dich verlassen. Ich habe in dem Punkt einen guten Instinkt. Jetzt handelt es sich um Kosmisches. Und das hat er. Ich gebe zu, Brüller ist mehr dionysisch, aber dafür ist Leiser wieder mehr apollinisch. Selbstredend wäre eine Synthese von Leiser und Brüller das Ideal. Also etwa Thomas Mann!

Zweite
Mein Mann ist Heinrich. Das heißt, schon auch nicht mehr.

Erste
Ich gebe zu, daß Brüller speziell das Zukünftige auswirkt. Er scheint darin mit Unruh eine Ähnlichkeit zu haben.

Zweite
Unruh hat aus dem furchtbaren Kriegserleben das erschütternde Erleben einer Weltrevolution geballt, die in der Seelenrevolutionierung des Einzelindividuums ihre Erlösung ahnt. Noch ist Krampf da, aber grad das hab ich gern. Es ist gewalttätige Monumentalität des Stils, der aber schon durch auflösende Harmonien wie von fernem Sphärenklang der Erfüllung durchzittert ist. Es ist alles mit jener tiefsten Konzentrationskraft gearbeitet, mit jenem Sturm der Hingabe, der sein Schaffen zu einem dargebrachten Opfer stempelt, zu einer völligen Selbstentsagung, zu Einsamkeitsqual und Segen.

Erste
Auf ein Haar hätt ich ihn voriges Frühjahr wie er in Wien war beim Tennis kennen gelernt.

Zweite
Ich auch. Ich hab übrigens von Eingeweihten gehört – von den Wenigen, die Einblick nehmen durften – daß das, was jetzt kommt, Unruhs eigenste Klärung in die ewige Weite einer liebend neugeschaffenen Welt bedeuten soll. Und das unendliche Weiter auf dem Wege eines neuen Aufstiegs, der zum Gipfel des religionsphilosophischen Ethos führt, zu welchem Fritz Unruh die deutsche Jugend hinreißen will und auch hinreißen wird.

Erste
Die Bewußtseinseinstellung ist auf die Ewigkeitseinstellung bereits eingestellt. Findest du nicht, daß die jungen Leute jetzt alle schon wie sie da gehn und stehn etwas Danteskes haben, das an Moissi gemahnt?

Zweite
Im Gegenteil, ich finde eher, daß sie alle etwas von Cesare Borgia haben, zum mindesten eine Spontaneität der Gebärde, die einfach monumental ist! Ich meine unter den Schaffenden vor allem die Maler. In der Literatur sind sie eher differenziert, intellektuell und nachdenklich.

Erste
Ich versicher dich, das ist nur die Inbrunst der Gothik, glaub mir. Gütig sind sie.

Zweite
Aber schau dir bittich die Menschen und Dinge an, schau dir die Rhythmik dieser Neuen an, dieser gebauten Bilder, wo das Kubische nur schlicht als Ewigkeitsakkord anklingt. Da ist ein Geformtes. Ich will von der Innerlichkeit nicht reden, die man schon von außen sieht. Aber gestern hab ich dir bei Lanyi ein wollüstiges Rot neben einem asketischen Braun gesehn, da war wirklich ein später Kandinsky mit einem frühen Picasso vereinigt. Da könnte Kokoschka –

Erste
No der ist doch ein Epigone, wie er im Büchl steht. Wenn nicht seine Gedichte wären . . .

Zweite
Hast du von Wolf Baller nichts gehört? Er soll als Aktivist im Café des Westens Furore machen. Er hat doch von ihnen allen, abgesehn von Brüller, die stärkste Dynamik. Impulse sollen von ihm ausgehn, heißt es.

Erste
Er hat aber auch lange genug an seiner Vollendung gearbeitet. Übrigens seine Gemeinschaft, von der eine neue ethische Entwicklung beginnen wird, ist schon im Entstehn, heißt es.

Zweite
Genau dasselbe will eigentlich Unruh. Er schreibt darüber an die Zuckerkandl. Er sagt ihr, sie wird ganz fühlen, wie er die Kuppel wölbt. Er ist voll Kraft und kann es nicht erwarten. Wie liebe ich diese Losgeher! Diese Dynamischen, die einem nicht zur Ruh kommen lassen. Ja früher, ich wer' dir sagen, da haben die Leute einfach auf Dante gefußt und sich mit der ganzen Glut ihres Gefühls in die ewige Mystik des Jenseits versenkt. No war das eine Kunst? Oder sie waren indifferent wie Max Brod.

Erste
Vielleicht bin ich unmodern, aber das ist ganz mein Fall. Denk an Leiser. Er hat Möglichkeiten.

Zweite
Unruh sagt, daß Dante als erster aller Geister (inklusive Buddha, Laotse, Christus, Platon) den Weg jener Einheit zwischen Materie und Geist erstrebt hat. Nur ging Dante nicht den letzten Schritt, nämlich den ins Leben, in die Realität. Den geht Unruh. Den geht Brüller, schau dir ihn an. No sein Gang – ich sag dir nur: federnd!

Erste
Leiser federt auch.

Zweite
Sie werden die Erlösung zum Leben und zur Freude bringen. Der Faust ist nur eine Vorstufe, er versinkt in der Schlußmystik seines zweiten Teils.

Erste
Eine Vorstufe zum »Spiegelmenschen« oder überhaupt?

Zweite
Überhaupt. No der Spiegelmensch und Faust – das is wie tausend und eine Nacht! Im Spiegelmenschen sind doch direkt orphische Urlaute. Faust, no ja – schließlich wirst du zugeben, wir haben alle einmal faustisch gerungen, aber worauf es ankommt, ist doch immer wieder das Leben, das heißt die Auswirkung im Wesentlichen. Unruh sagt, daß erst das Aufgeben seines Ego uns, das heißt nicht uns, sondern ihn, in die Gemeinschaft aller lebendigen Kreatur aufnimmt und zu Gott und Schöpfer macht.

Erste
Da hat er ganz recht, aber – wer wie wir am Leben gelitten hat – Man will doch eine Antwort auf Fragen, die in einem sind. Siehst du, mein Ideal wär der Karl Kraus gewesen. Ich war bekanntlich seine größte Verehrerin, und mein Bruder natürlich auch – aber glaubst du, daß man da eine Antwort bekommen hätte?

Zweite
Aber geh, der ist doch schon so infantil, was ist das gegen Unruh. Er hat das Geheimnis. Hier – eine Stelle – ich hab's aufgehoben, da hast du's – (Sie hält den Finger auf die Stelle)

Erste (liest)
[Ein Wort.] Tabarin. Pianist Leopoldi.

Zweite
Aber nein, die Zeile darunter, unter dem Strich. Da – wer so lebt, der lebt in der Freude. Er erlöst sich und die Realität wird eins mit dem Urquell allen Lebens, mit der Bewegung innerer Herzensruhe, mit der Liebe. Und dann fordert er noch die Zuckerkandl auf, sie soll ihm helfen erlösen – und seien es nur Wenige, bei denen es gelingt – denn das ist die Priesterschaft, die wir übernehmen, mit der wir leuchtend, jubelnd in die Zukunft schreiten. Du ich bin bereit mich sofort erlösen zu lassen! Unruh führt zur Alliebe. Er wandelt das »Du sollst« in ein revolutionäres »Ich will« –

Erste
Ich will auch!

Zweite
Und führt endlich zu dem sittlich freien »Ich soll« hinan. Ich soll auch, aber ich überleg noch. Man muß doch psychische Hemmungen haben.

Erste
Gott ich hab schon so viel sublimiert, daß meine Libido heute minimal ist, nicht der Rede wert. Mir gibt Unruh auch so genug. Er will Geistigkeit und Sinnlichkeit in ein neues reines Kräfteverhältnis zueinander bringen, das von dem Klassisch-Materiellen wie von dem Gothisch-Transzendenten gleich weit entfernt, alle Zweiheit zur Einheit führt, und mehr braucht man nicht.

Zweite
Was Chloe Goldenberg dazu sagen wird! Wo sie nur heute bleibt?

Erste
Sie ist doch in Trauer.

Zweite
Ja richtig, wegen der Gobelins. Es ist aber auch entsetzlich. Alles solln sie uns nehmen, unsere Ehre, unser Geld – alles, nur nicht das, nicht dieses Letzte was uns geblieben ist, nicht den Kulturbesitz! Ich hab dem Papa gesagt, wenn jetzt auch noch das geschieht, daß der Jagdteppich verkauft wird, geh ich auf und davon! Es ist nur so schwer wegen der Valuta.

Erste
Ich auch. Und Chloe Goldenberg bleibt gewiß nicht. Ich wunder mich so, daß sie nicht längst wieder nach Italien is, sie, die doch die hieratischen Gesten der ravennatischen Mosaiken so liebt und überhaupt gewöhnt is, ein Leben in Schönheit zu führen. Hier? Hier kann man nicht einmal in Schönheit sterben!

Zweite
Sie, die einzige, die wirklich unwirklich lebt und nur so hingehaucht is wie ein Pastell von einem dieser frühen Meister oder wie eine Linie von einem dieser ganz zarten malayischen Expressionisten. Nicht so wie Zoë Silberberg, die noch immer präraffaelitisch herumgeht diese typische Hysterika, und wenn sie Schönheit sucht, braucht sie dazu Pagen und Vasen und Schwäne. Das is natürlich heute schon gar unmöglich: Aber sie läßt sich ja nichts sagen, sie is noch immer im Cinquecento.

Erste
Ein Nebbich.

Zweite
Da kommt Chloe Goldenberg! Und ganz gebrochen! Gott sie fällt um –

Es entsteht Bewegung. Chloe Goldenberg ist eingetreten, sie sinkt sogleich hin und wird von den beiden Mänaden gestützt, die sie in den Vordergrund der Bühne geleiten. Sie ist außer mit einem schwarzen Schleier, der um die Hüfte von einem goldenen Gürtel gehalten wird, noch von einer Quaste bekleidet, die von dem Gürtel herunterhängt. Außerdem weisen der linke Oberarm und der rechte Fußknöchel goldene Spangen auf. Sie ist wie eine Blume. Teilnehmende und neugierige Gruppen drängen herzu. Nur die Besetzung der Spieltische scheint nicht abgelenkt. Indem Chloe Goldenberg wankend nach vorn kommt, haucht sie die folgende Melodie:

        Oh erlöst,
        was mir west,
        von dem Leid,
        Seelenheit,
        die verblüht!
        Ich bin so mied.
        Ich bin so mied.

Chor der Mänaden und Bacchanten
Sie ist so mied.
Wir sind so mied.

        Oh befreit
        die bereit,
        und versteht
        die vergeht!
        Wer erriet,
        die doch so mied,
        die ach so mied.

Chor
Die ach so mied.
Wir sind doch mied.

        Oh erfaßt
        mir die Last!
        Es verhaucht
        unverbraucht
        und morbid.
        Ich bin so mied.
        Ich bin so mied.

Chor
Sie ist so mied.
Wir sind so mied.

        Oh erbarmt,
        wenn verarmt
        mich die Zeit
        und das Leid
        mich durchzieht,
        die doch so mied,
        die ach so mied.

Chor
Die ach so mied.
Wir sind doch mied.

        O erhebt,
        die noch lebt,
        die noch singt,
        schon verklingt
        letztes Lied.
        Ich bin so mied,
        ich bin so mied.

Chor
Sie ist so mied.
Wir sind so mied.

Sie geleiten Chloe Goldenberg auf ein Sofa, wo sie mit Absynth gelabt wird.

Harald Brüller stürmt auf Chloe Goldenberg zu, drückt ihr die Hand mit einem
All right!
und stürmt davon. Sie sinkt mit einem Schrei zurück und muß abermals gelabt werden.

Die Mänaden
Gott wie dynamisch!

Der Sohn
Sie ist die erste nicht.

Vorhang.

 


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