Anton Kuh
Von Goethe abwärts
Anton Kuh

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Einleitung

Über den Autor des vorliegenden, einer Verlagslaune entsprossenen Büchleins ist einiges zu sagen, was dem Verständnis seiner Aussprüche zuhilfe kommt.

Er nimmt das Erkennen der Dinge und die Orientierung im Dasein zu ernst, als daß es ihm immer möglich wäre, soviel Ehrgeiz aufzubringen, wie zur Überwindung der Scham gehört: ungefragt zu reden, das heißt: ohne die Nötigung erhöhten Blutdrucks oder eines teilnehmenden Gesichtes oder einer stupiden Hörerschaft von Erlebnissen Rechenschaft zu geben, die nur meilenweit von der weißen Schreibfläche des Papiers entfernt und unter dem unwiderstehlichen Zwang der Verständigung wahr sind.

Er hat vor den sinnlichen Minuten des Daseins zuviel Respekt, als daß er sichs der Mühe verdrießen ließe, das, was ihm 8 selbstverständlich ist, zum Gebrauch der ohnedies unüberzeugbaren Massen erst methodisch zu erweitern.

Er funktioniert deshalb, begünstigt durch eine Ungeduld des Auges, sprecherisch.

Eine Zahl solcher Sprechergebnisse, die sein Urteil nicht mehr überbieten konnte, so daß es auf sie als Selbstzitate zurückgriff, akustischer Kehraus einiger Nachmittage, vereinigt diese Schrift. Es sind Endglieder ungeschriebener Gedankenketten, deren Stolz oft die unaphoristisch glanzlose Prägung, die blendende Pointenlosigkeit bildet. Dies aus zwei Gründen. Erstens, weil eine Grobheit, die von guten Eltern stammt, nützlicher ist als das geschliffenste Aperçu und der Unwille, sie zu verfeinern, zugleich den berechtigten Abstand zur Sache nachweist; denn vielen Dingen ist auch mit dem Witz zuviel Ehre angetan. Zweitens aber aus des Autors grundsätzlicher Abneigung gegen Aphorismen, diese vorzeitigen Ejaculationen, die die geistige Männerschwäche unserer Zeit auszeichnen. Der Aphorismus ist der größte Schwindler. Er 9 simuliert durch Sparsamkeit Hintergründe, die er gar nicht hat, und wird zu einer Lieblingswaffe der Notwehr in den Händen aller Kräusler und Bossler, die sich der anstürmenden Wahrheit über sich selbst erwehren. Er istden Fall Christian Morgenstern abgesehenkein Blut-, sondern ein Papierprodukt; gibt dem antithetischen Rauschen im Gehör nach und zeugt sich immer in der Dimension des Papieres aus sich selber fort. Wie könnte ihn je Vacuumsangst oder der Schreck vor der Wirklichkeit befallen! Vom Wortschwall betäubt, gilt ihm die höchste Erhitzung als die tiefste Weisheit.

Diese psychologische Seite des aphoristischen Unfugs ficht mich jedoch wenig an. Wichtiger ist die soziale: die fortschreitende Diskreditierung des Lakonismus und der Definition. Da seit dem Ausspruch, der zweimal zwei vier gleichsetzt, die Kürze der Form zur Niederlegung von Wahrheiten mißbraucht wurde, die ruhig auch in einem zehnbändigen Werk Platz hätten, die Knappheit überdies weniger arithmetische als geometrische Wahrheit verspricht, sind Aphorismen 10 Warnungstafeln für den bessern Anspruch. Wo die Welt auf die Befreiung durch die Definition wartet, richten sie durch den Formmißbrauch noch größere Verwirrung an. Wir wissen längst, daß alles Unheil von der Undefiniertheit der wichtigen Dinge kommt. Alles Geist Benannte krankt an der definitorischen Verschwommenheit, an der teils blinden, teils tendenziösen Feigheit, jenseits des allfälligen Profits, den das Gehirn daraus ziehen könnte, festzustellen, wieviel jeder Begriff wert ist. Auch hier ist die Sprache der Wahrheit feindlich. Man will das Licht nicht, das wortarm machen könnte. Man will den einträglichen Irrtum nicht lassen.

Die vorliegenden Aphorismen haben den Vorzug, keine zu sein. Da sie sich gegen die Sprache als Formschutz der Lüge und Kristallschliff der Eitelkeit richten, ist die Ungeschliffenheit ihre halbe Parole. Man betrachte sie im übrigen als Anfangs-, End- oder Mittelsätze von Essays, die der geneigte Leser nach Intelligenz und Neigung hiemit zu schreiben aufgefordert wird. 11 Entstammen sie doch entgegen dem Brauch weder der Aufpeitschung des Gehirns zum Zweck ihrer Abfassung, noch intensiver Schreibtischfeilung, sondern der jahrelangen, konsequenten Faulheit ihres Autors, Bücher zu schreiben. Er behält sich vor, sie als Anhaltspunkte für sich selber zu gebrauchen und bei Gelegenheit nachzuweisen, was er sich gedacht hat; mit anderen Worten: diese Knöpfe im Sacktuch seines Denkens wieder aufzulösen. Im Augenblick mußte der Wunsch, es in einem Anhang zu tun und dem Leser dort weiter zu helfen, gegenüber der Einsicht fortfallen, daß ein Ausspruch, dessen Hintergrund einmal abgesteckt wird, nur noch soviel wert ist wie der abgesteckte Teil.

Doch hoffe ich auf eine Zahl von Lesern, die imstande sind, zu erkennen, daß die Aussprüche dieses Bandes ungeduldige Abbreviaturen eines gemeinsam-tieferen Sinnes sind und sie je nach häufiger Wiederholung eines Motivs, nach Wut und Schamlosigkeit des Ausdrucks, oder nach Sichtbarkeit der mitbeteiligten Physiognomie zu jenem System einer revolutionären, das heißt 12 antiliterarischen Literaturauffassung zu verbinden, das ihnen zugrunde liegt. Ihnen wird die ominöse Häufigkeit des Namens Thomas Mann, eindringliche Befassung mit den Deutschen und Ekel vor der entgegengesetzten Generation auffallen, die das Ethos als Freikarte benützt. Sie werden andererseits die zeichnerische Vorliebe für ein Profil nicht als Haß gegen seinen Ausdruck nehmen. Denn im Grund handelt es sich hier nur um Literaturbelege zu einer Physiognomik der Kultur.

Nun flattert auf, ihr lieben Blätter, denen, die gemeint sind, zum Nutz, den andern zur Freude, und fallt im Guten und Schlechten auf euern Schöpfer zurück! Nur eins will sich dieser noch am Schluß erbitten: daß der eine oder andere unter seinen früheren Freunden den Verkehr mit ihm in einer Art abbricht, wie es der wechselseitigen Scham sich ins Aug' zu sehen, am besten frommt.

Der Autor

Wien, im März 1922

 


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