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Erster Brief
Mein lieber, lieber, lieber, lieber blauer Reiter Franz Marc.
Du willst wissen, wie ich alles zu Hause angetroffen habe? Durch die Fensterluke kann ich mir aus der Nacht ein schwarz Schäfchen greifen, das der Mond behütet; ich wär dann nicht mehr so allein, hätte etwas zum Spielen. Meine Spelunke ist eigentlich ein kleiner Korridor, eine Allee ohne Bäume. Ungefähr fünfzig Vögel besitz ich, zwar wohnen tun sie draußen, aber morgens sitzen sie alle vor meinem Fenster und warten auf mein täglich Brot. Sag mir mal einer was auf die Vögel, es sind die höchsten Menschen, sie leben zwischen Luft und Gott, wir leben zwischen Erde und Grab. Meine Spelunke ist ein langer, banger Sarg, ich habe jeden Abend ein Grauen, mich in den langen, bangen Sarg niederzulegen. Ich nehme schon seit Wochen Opium, dann werden Ratten Rosen und morgens fliegen die bunten Sonnenfleckchen wie Engelchen in meine Spelunke und tanzen über den Boden, über mein Sterbehemd herüber und färben es bunt; o ich bin lebensmüde. Feige und armselig sind die Kameraden, kein Fest, keine Schellen. Alle meine Girlanden hängen zerrissen von meinem Herzen herab. Ich bin allein auf der Welt lebendig, auf der Hochzeit des leichtlebigen Monats mit der Blume, und ich werde täglich allein begraben und ich weine und lache dazu –denn meine Traurigkeit ist weißer Burgunder, mein Frohsein roter Süßwein. Wenn man die Augen zumacht, weiß man nicht, ob man froh oder traurig ist, da irrt sich der beste Weinkenner. In der Nacht spiele ich mit mir Liebste und Liebster; eigentlich sind wir zwei Jungens. Das ist das keuscheste Liebesspiel auf der Welt; kein Hinweis auf den Unterschied, Liebe ohne Ziel und Zweck, holde Unzucht. Die vergilbte Photographie über meinem Bett grinst dann, sie weiß, daß ich wirklich einmal einen Liebsten hatte, der mit mir Katz und Maus spielte. Einmal aber schenkte er mir eine kleine Krone aus Elfenbein und Tribut für meine Stadt Theben: fünf blanke Markstücke in einem Kästchen auf hellblauer Watte. Ich habe nun keine Stadt mehr, ich will auch nicht mehr Kaiser werden, es gibt keinen Menschen, über den ich regieren möchte, keinen Menschen, den ich zur Krönungsfeier einladen mag. Ich weine auch nicht mehr, damit das kichernde Hurenmonstrum über meinem Bett nicht mehr mitleidig sein kann. Ich wär der arme Heinrich –sie meint nicht den König Heinrich, aber ihren versoffenen Stiefbruder, der jedes Jahr die Krätze bekommt. Mir fehlt was anders; einer meiner Freunde lauert schon immer auf meine Leiche –meinen Nachlaß zu ordnen. Er grrratuliert sich schon den ganzen Tag und zur Übung geht er auf alle Geburtstage und gratuliert den Sonntagskindern. Morgen hab ich Geburtstag; die Tante Amalie im Krinolin im Rahmen über meinem Bett stopft mir meine Strümpfe und gibt mir einen heimlichen Rat –wie ich die Miete ihrer Nichte nicht bezahlen brauch. Die tut immer so aufgeblasen und kassiert dazu ein. Wenn sie naht, flattere ich von einer Ecke in die andere wie ein halberstarrter Nachtfalter –bis sie mich einfängt... Früher war ich in meinen Träumen bei meinem Oheim in Vampur und trug einen Palmenzweig in der Hand. Auch besaß ich viele, viele Feierkleider, die trägt jetzt meine Wirtin immer; wenn ich keine Miete hatte, nahm sie sich eins dafür; die hängen nun in ihrem Schrank und sind alle grau geworden. Aber ich muß ihr dankbar sein, denn sie will mir einen Kuchen backen und einen Spruch für meine Spelunke schenken unter Glas, damit ich zufriedener werde. Und dabei bin ich viel zufriedener als früher, ich sehne mich wenigstens jetzt manchmal, wenn auch nur –nach einem –bösen –Menschen. Mein Liebster hat mich nie etwas gefragt, weil meine Lippen so gern tanzen wollten. Aber viel gehen mußte ich, weil ich so schwer vorwärts kam, und wäre doch so gern einmal gefahren mit dem Auto oder in einer Sänfte. Ich kannte aber vor ihm noch einen böseren Menschen, der ließ mich immer barfuß über Nägel gehen; seitdem hängen viele Narben unter den Sohlen, die tun weh. Ich kann noch so manche traurige Geschichte erzählen (die Tante im Rahmen summt aber immer dazu ihr Lieblingslied: »Amalie, was hat man dir gepufft«). Hör nur die Geschichte von dem kleinen Knaben, der am fremden Tisch saß und sich nicht laut freuen durfte über die süßen Speisen. Oder die Geschichte von einem anderen fremden Kind –das von der Stiefmutter spazieren geführt wurde, ihr eigenes Kind aber unter dem Herzen trug. Lieber, lieber, lieber, lieber, blauer Reiter –Amen.
Zweiter Brief
Lieber, blauer Reiter, ich soll keinen so traurigen Brief mehr schreiben –wie sollt' ich es auch nur können, da die Sonne so lieblich und aufmunternd scheint und ich gehe doch mit dem Wetter parallel; auch liegt in allen Buchhandlungen mein neuestes Buch aus. Mein Herz glitzert; denn ich lächle wie Schimmer über meine eigene Winteridylle, bin sogar stellenweise grün gestimmt mit rosaroten Pfingstrosen. Dazu nehme ich seit einigen Tagen Neura-Lezithin, Ersatz fürs Gehirn (echt nur mit dem Rhinozeroskopf im Ring), immer trage ich davon bei mir und wenn ich stocke in der Unterhaltung, antwortet der Rhinozerosgehirnsauerstoff geradezu erstaunlich vernünftig, fast unangenehm intelligent –kein Mensch glaubt mehr, daß ich eine Dichterin bin, und die Redaktionen geben mir Aufträge. Und Herr X. wird nicht mehr schreiben können, ich kreische hysterisch im Kaffee; zwar wisse er das vom Hörenhören. Ich gab ihm einen Rippenstoß, seitdem sind alle Teufel los, sie machen mir viel Freude, die Schäfchen auf der Heide. Wäre ich doch eine Drehorgel und mich drehe ein Krüppel, ihm wüchsen vor Tanzlust die Beine wieder an. Und Tummelskopf möchte ich schlagen, blauer Franz, weil wir »Du« sagen, und weiß nicht, was ich noch alles tun möcht', wenn morgens Deine wunderherrlichen Postkarten ankommen!! Großkatzen sind die souveränen Bestien. Der Panther ist eine wilde Enziane, der Löwe ein gefährlicher Rittersporn, die Tigerin eine wütende, gelbschimmernde Ahornin. Aber Deine glückseligen, blauen Pferde sind lauter wiehernde Erzengel und galoppieren alle ins Paradies hinein, und Deine heiligen, geheiligten Lamas und Hirschkühe und –und Kälber –sie ruhen in geweihten Hainen. Viele Deiner Priestertiere riechen nach Milch. Du ziehst sie selbst im Rahmen groß. Ehrwürdiger, blauer Großgeistlicher!
Dritter Brief
Mein sehr geliebter Halbbruder. Es ist kein Zweifel, Du warst Ruben und ich war Joseph, Dein Halbbruder zu Kanazeiten. Nun träumen wir nur noch Träume, die biblisch sind. Manchmal narrt mich so ein Traum, wie heute nacht. O, ich hatte einen boshaften Traum; allerdings mein sehnlichster Wunsch erfüllte sich –ich war plötzlich König, in Theben –trug einen goldenen Mantel, einen Stern in Falten um meine Schulter gelegt, auf dem Kopf die Krone des Malik. Ich war Malik. Als unsere Muselkinder wie kleine Kamelkälber meinem großen Prachtkamel nachtrabten, und dazu kreischten in allerlei verzwickten Quietschtönen (es war eigentlich zum Totlachen)! »Rex-Klecks, Rex-Klecks, Rex-Klecks! Klecks!!!« Wenn ich daran denke! Ich bin überhaupt heute etwas unglücklich –ich weiß niemand, wodrin ich mich verlieben könnte. Weißt Du jemand? Dein verraten und verkaufter Jussuf.
Vierter Brief
Mein blauer Reiter, ich möchte eine Brücke finden, darüber eine Seele zu meiner käme, so ganz unverhofft. Eine Seele so ganz allein ist doch was Schreckliches!!! O, ich könnte direkt meine Seele (meinetwegen) mit Syndetikon an eine zweite kleben. Syndetikon klebt auch Glas und Gold. Wenn doch jemand seine Lieblingsblume neben meinem Herzen pflanzen würde, oder einen Stern gießen würde in mein Herz oder –mich ein weltentrückter Blick träfe -. Sei nicht bös, blauer Reiter, daß ich wieder sentimental werde, ich brauch' mir ja jetzt nur Deine Karte ansehn mit dem Spielpferdchen; genau so eins wie dieses steht noch auf dem Krimskramsboden oben in meinem Palast in Theben: Aus drolliger Spielfarbe, aus Herzkarminrot.
Aber ich habe nun auch eine Karte gezeichnet. Dich und Deine Mareia. Denk mal, Du bist ja selbst ein Pferd, ein braunes, mit langen Nüstern und Tränenrinnen, ein edles Pferd mit stolzem, gelassenen Kopfnicken, und Deine Mareia ist eine goldgelbe Löwin. Dein lieber Jussuf.
Fünfter Brief
Blauer Reitersreiter. Die Redaktion: Sturm hat sich eine Filiale angeschafft von meinen Gedichten; Isidor Quanter oder Quantum liefert erstaunliche Nachahmungen. Wie kommt so was? Ich, die gar nichts von einer Lehrerin an mir habe, mache Schule. Mir graut davor! Außerdem hat die Jury der Ausstellung: Sturm, dieses Porträt abgewiesen, das seine vier Vorsitzenden in einem Trauakt darstellt. –O, blauer Reiter, wie die Liebe herabwürdigt, wie die Liebe herabgewürdigt wird, wie die Liebe sich besaufen kann!! Ich bin doch auf die Idee gekommen, daß nur bedeutendes Blut sich vermischen darf mit Wein, mit Rausch, mit der Liebe. Nun ist es Nacht –überall –o, wir, wir wollen, Du, Mareia und ich, furchtbar zärtlich miteinander sein ... Wir haben nicht verlernt, unsere Haut herabzureißen wie ein Feierkleid. Was ist denn noch anders los als wie die Liebe; blauer Reiter, können wir von anderem leben wie von der Liebe, von Blut und Seele –ich will lieber ein Menschenfresser werden, als Nüchternheit wiederkäuen.
Sechster Brief
Blauer Reiter, ich bin alleine fromm in der fremden Stadt. Kein Mensch kommt hier in den Himmel. Bitte gehe einmal über den Kurfürstendamm, bieg in die Tauentzienstraße ein, kannst' Du Dir vorstellen, daß ein Dirbegegnender in den Himmel kommt? Sag' mir, blauer Reiter, komm ich in den Himmel?
Du, ich möcht' Dir noch privatim was erzählen, aber sag es niemand wieder, auch Mareien nicht. Ich hab mich doch wirklich wieder verliebt. Wenn ich mich tausendmal verliebte, ist es immer ein neues Wunder; eine alte Natur der Sache, wenn sich ein anderer verliebt. Du, er hatte gestern Geburtstag. Ich schickte ihm eine Schachtel voll Geschenke. Er heißt Giselheer. Sein Gehirn ist ein Leuchtturm. Er ist aus den Nibelungen. Meine Stadt Theben ist nicht erbaut davon. Meine Stadt Theben ist ein ehrwürdiger hoher Priester. Meine Stadt Theben ist die Knospe Zebaoths. Meine Stadt Theben ist mein Ur-Urgroßvater. Meine Stadt Theben begleitet mich bei jedem Schritt. Meine Stadt Theben ist ein hochmütiger Scheitan. –Ich schickte dem ungläubigen Ritter lauter Spielsachen, als ob er mein Brüderchen sei –weil er ein rot Kinderherz hat, weil er so ein Barbar ist, weil er noch ein heimatliches Spielzimmer haben möchte: einen Gralsoldaten aus Holz, eine Schokoladentrompete, eine Spielfahne meiner Stadt Theben, einen Becher, einen silbernen Federhalter, zwei Seidentücher, ein Petschaft aus Achat und viel, viel Siegellack. Ich schrieb dazu: »Lieber König Giselheer, ich wollte, du wärst aus Kristall, dann möchte ich Deine Eidechse sein, oder Dein Seestern, oder Deine Koralle oder Deine fleischfressende Blume.«
Siebenter Brief
Mein lieber, blauer Reiter.
Du freust Dich über meine »neue Liebe« –Du sagst das so leicht hin und ahnst nicht, daß Du eher mit mir weinen müßtest –denn –sie ist schon verloschen in seinem Herzen, wie ein bengalisches Feuer, ein brennendes Rad –es fuhr mal eben über mich. Ich erliege ohne Groll dieser schweren Brandwunde. Könnte ich mich doch in mich verlieben, ich liege mir doch so nah –man weiß dann, was man hat. Wie soll ich mich zerstreuen? Ich werde eine Zeitschrift gründen: Die wilden Juden; eine kunstpolitische Zeitschrift, und ich schreib' an Karl Kraus einen Brief, ungefähr so, hör': »Lieber, verehrter, österreichischer Kardinal, ich bin wieder in Berlin, wo ich hingehör', ich setze mich immer wieder dorthin. Unbegreiflich! Von hier aus reist man in Gedanken oft nach anderen Städten, hier will man wenigstens fort; wo anders aber findet man Pendants, ich meine ähnliche Menschen, wie man selbst ist, wenn auch verkitschte im prunkenden Rahmen. Ich bin lebensmüde und will abenteuerlich sterben. Ich habe alles satt, selbst das Laub an den Bäumen. Immer grün und immer grün. Wenn mir doch einmal zaubernde Menschen begegneten, ich meine solche, die große Wünsche hätten, aber sie sind alle ernsthaft, nur ich bin ernst. Ich bin so einsam –wer mich lange ansieht, fällt in einen dunklen –Himmel. –Sie sind glücklich, Kardinal; alle Menschen mit blauen Augen sind glücklicher als die, welche unbegreiflich in sich sehen wie durch schwarz Seidenpapier. Ich wollt', jemand schenkte mir einen Stern, mit dem ich mich ab und zu sichtbar machen könnte. Ich bin ruhlos aus banger Langeweile geworden; was ich tue, wird zur Eigenschaft und gähnt. Sie verstehen mich und darum richte ich an Sie diesen Brief; vielleicht den letzten Brief, den ich überhaupt schreibe, mein endgültiges Abenteuer. Ich liebe keinen Menschen mehr auf der Welt, ich will auch von denen nichts wissen, die mir guttaten. Böstaten stacheln wenigstens an. Also wenn Sie mir meinen Wunsch nicht erfüllten, würde ich Ihnen im Grunde dankbarer sein; wohlwissend –Sie verschmähen die Dankbarkeit. Früher war ich Schauspielerin; nun sitz' ich in der Garderobe und verbrenne den Zuschauern die Mäntel und Strohhüte. Ich bin eben enttäuscht. Ich habe immer nach der Hand gesucht, und was lag in meiner Hand –wenn's gut ging –ein Handschuh. Mein Gesicht ist nun wie Stein, ich habe Mühe, es zu bewegen. Soll man stolz darauf sein; es braucht einem kein Denkmal mehr gesetzt werden. Wenn ich wenigstens an Festtagen geschmückt würde. Je mehr Angst ich habe, desto enormer wächst meine Furchtlosigkeit. Aber Angst habe ich immer; wo flattert ein Vogel in mir, kann nicht mehr aufsteigen. Wenn ich tot bin, wird eine Dame ihn am Hut tragen. Das tiefste und das schiefste Vermächtnis, das jemand hinterließ. Oder wollen Sie ihn haben im Glaskasten über Ihrem Schreibtisch? Vielleicht fängt er morgens zu singen an. Auf dies Lied wartete ich ein Leben lang. Also endlich mit der Sprache heraus, Heil Dir im Siegerkranz –Ich hatt' einen Kameraden –nun das österreichische Nationallied; den Marsch der Schellen und Dudelsäcke zu Theben –wollen Sie mein Journal, Die wilden Juden, so unter der Hand mitdrucken lassen; die Fackel merkt's gar nicht und ich habe eine Existenz. Ihr
Sie bewundernder Jussuf, Prinz.«
Meinst Du, er tät's, Franzlaff?
Achter Brief
Mein einziger Bruder.
Ich dachte mit Entzücken an Dich gestern und heute und schon den ganzen Tag. Die Zigeunerpferde, die Du meinem Kinde maltest, hat es mir zum Aufbewahren gegeben, und ich stellte die kostbare Karte neben das Bildnis des Königs von Montenegro; in seinem Stall sollen auch ein blaues, ein lila und ein brandrotes Pferd für zum so »Indiewelthinausreiten« sein. Unter seinen schwarzen Hämmeln ist ein grünes; Du Franz, mal' mir einen grünen Hammel. So was Ausgefallenes gibt es gar nicht mehr, außer ich.
Botschaft: Grüße Deinen neuen Gaul, nenne ihn Saul.
Neunter Brief
Lieber Ruben aus der Bibel. Du meinst, meine tollen Briefe klängen etwas nach Galgenhumor. Giselheer meinte auch immer, ich könnte nicht so ganz traurig sein?! Wie schön war es, als wir am Gibon lebten, da war ich noch konzentriert und einfältig –Du holtest mich oft aus der Grube: um mein Herz lag ein Blutkranz. Der ist noch nicht verblüht. Ich bin immer schwermütig, keine Landschaft kann mich trösten, aber über die Linien einer Hand möchte ich wandeln, jeder ihrer Wege müsse zum Himmel führen, hunderttausendmal würde ich entschlummern in einer solchen Hand. Kennst Du so eine ewige Hand? Deine ... Dein frommer Bruder Jussuf.
Zehnter Brief
Lieber blauer Reiter. Ich denke jetzt nur noch an Euch und an mein Zimmer. Das weint, wenn ich abends ausgehen will, durch die Straßen willenlos irren muß. Ich übe mich in den Waffen, die überall bei mir an den Wänden hängen. Also ich versäum' nix, wenn ich zu Haus bleib' (solang es dauert?). Ich denk' manches, matchiche pfeif ich, Matche wert' ich; bin mit einem Wort ansässig geworden in meines Zimmers Ägypten, und warte auf das Kornfeld meiner flachen Hand. Zieht doch zu mir! Jussuf.
Elfter Brief
Allieber. Ich bin hier in Berlin der einzige vorsintflutliche Jude noch; mein Skelett fand man neben einem versteinerten Ichtiosaurusohr und einem Skarabäus in einer Felsspalte vor, für die Nachwelt. Ich hab' Geld nötig, ich wart' den ganzen Tag auf die Nachwelt. Dein Mammut.
Zwölfter Brief
Mein guter Halbbruder, ich schenk' Dir Südgrönland zu Deinem Geburtstag. Denn, wenn ich so recht an Euch denke, ist Dein braunes Haar nur die Nacht zu Deines Weibes Blond. Herrlich bist Du zu schauen und Deine Mareia, trägt sie den pelzverbrämten Hut, seid Ihr beide von Kana ins Eis versetzt. Aber Kana war doch überwältigend, ich habe meine neue Stadt Theben ganz in ihrer Bauart errichtet. Ich habe immer vier Dinge im Leben geliebt, den Mond, den Kometen, Rosengärten und bunte Brunnen. Die dunklen Arbeiter sprachen, als sie das Fundament zu meiner Stadt legten, immerzu von diesen meinen vier Süßigkeiten.
Dreizehnter Brief
Lieber blauer Reiter. Du meinst noch immer meine Lustigkeit sei eine erzwungene? Nicht doch, ich laß mich nur ungehindert strömen, frisch regnen, wilder Niederfall, Hagel und Schnee, ich bin gar kein Mensch, ich bin Wetter. Aber mein Herz tut mir weh, es ist rotgestreift, blutende Tigerhaut. Wer wühlt noch in meinen Wunden? Viel Leid macht Tiger. Und arm bin ich geworden, da ich ihn verlor. Ich starb an ihm, sterben ist verarmen vor Gott, sich ganz ausgeben vor Gott. Besitz kann der Himmel nicht gebrauchen, nicht eine Pore; wie würde er einem so leicht werden! Aber die Hölle tut weh, die Sünde ist fleischig und setzt sich fest an die Seele. Ich habe ihn fromm geliebt. Immer trug ich seine Augen im Ring, böse, verschleierte Steine; meine Gebärden wurden hart. Als ich ihn sah, bin ich zum erstenmal aus meinem Relief hervorgetreten; ich war hochmütig, ich hab' mich nie vor der Welt enthüllt. Nun lieg' ich wie geboren von einer Magd zum Verkauf auf dem Markt. Dein Tiger, Dein Bruder und König in Theben.
Vierzehnter Brief
Sieh nur, lieber, blauer Franz, ich hab unseren famosen Rechtsanwalt Caro gezeichnet. Den Ehescheidungsparagraphen trägt er auf der Wange und heitert uns mit seinem Maigesange. Er sitzt zwischen uns im Café und singt von der Liebe. Mit wertvollen Menschen soll man nur von der Liebe reden, damit das Gespräch nicht zum Fleißknäuel wird. Ich spreche nur noch von der Liebe, die meisten Engel aber sind zum Zynismus übergetreten. So wahr ich der Prinz bin, lieber Halbbruder, es gibt niemand in der Stadt hier, der mit mir über die Liebe reden kann. Ich küsse Dich, Deine Hand.
Fünfzehnter Brief
Franz, Du! Gestern hatte ich eine große Freude, der Zyklop Dr. Gottfried Benn hat mir seine neuen Verse: Söhne, gewidmet, die sind mondrot, erdhart, wilder Dämmer, Gehämmer im Blut. Jussuf.
Sechzehnter Brief
Lieber Ruben. Ich merke, Du hast mich bei der Treue ertappt! Seit ich Giselheer verlor, kann ich nicht mehr weinen und nicht mehr lachen. Er hat ein Loch in mein Herz gebohrt. Das blutet nicht, das steht offen wie der Grund eines ausgelaufenen Auges. Ich schrieb ihm: »Gisel, König, ich weiß nicht, ob ich schlafe oder wache, ich glaub', ich weiß gar nichts mehr.« Wenn er mich so sähe, er würde mich lieben, er mag alles, was tot ist, was er wegschaffen kann. So ein Barbar! Ich war der jähe Hügel der Weinreben, pochende Beeren trug ich im Haar, wenn er sich die Eber briet gar, gaukelte ich über sein Leben. Du lieber, blauer Reiter, ich schrieb Dir darum eine ganze Woche nicht, ich war krank. Den Doktor Benn rief ich, der meinte, das Loch in meinem Herzen könnte man mit einem einzigen Faden zunähen. Ich vertraute ihm die Geschichte meiner Liebe an, zeigte ihm Giselheers Briefe und sagte ihm alles. Er behauptet, ich habe meine Welt in G. hineingelegt, und der habe keine Ahnung von mir. Wenn ich daran denke, wie G. einen Strich zog unter meinem Mantel wie unter die Lackschuhe einer Puppe –Wenn das je meine Stadt erführe, meine verehrten Häuptlinge und mein glaubseliges Volk erst, –nie würde ich Kaiser werden. Hätte ich nur meine Geschenke wieder, die ich »Ihm« sandte: meine Mondsichel, den Rosenkometen, meinen lila Brunnen und meine silberne Levkoie. »Er« schenkte mir eine Enttäuschung. Ich bin morgens bleich, um Mittag schluchze ich, aber am Abend lodere ich in allen düsteren Farben. Ich habe dem Doktor Benn ehrenwörtlich versprochen, nicht mehr an den armen König zu denken, der noch nicht einmal ein Herz besitzt zum Verschwenden.
Dein treuer Bruder.
Siebzehnter Brief
Franz, ich war gestern im Synagogentempel, aber ich wandelte bald wieder heim. Man sollte nicht länger im Gottespalast bleiben, wie das Gebet des Herzens dauert. Ich liebe den Versöhnungstag, mich dünkt, ihn feierten schon die ersten Könige der Juden. Das Blut braucht keinen Trank an diesem Tag, es rauscht zu Gott. Mein Vater feierte und fastete das ausbleibende Mahl, er war der wilden Juden Tyll Eulenspiegel und sein Gebet zu der Hochzeit mit Gott riß sich von seinen Lippen los wie ein Trinkspruch. Er hatte nie an den Wassern zu Babel gesessen und geklagt, er war nie durch den Trauerregen der Straßen des Ghettos gebeugt geschlichen. Alles war hell in ihm und sprudel. Die Stadt gehörte ihm und jedes Haus, und jeder Mensch und jedes Vermögen zum Verschenken. Und er baute Türme, die bedrohten alle Dächer, wenn der Sturm kam. Die Uhr mochte er nicht, da sie die Zeit kontrollierte. Sein Motiv war sein ganzes Lebelang die Großschauergeschichte seines Großvaters, der Oberpriester war. Der saß am Abend des Versöhnungstages an der Tafel und speiste, um ihn seine dreiundzwanzig Söhne und deren unzählige Söhne und Töchter und Enkel und mein Vater, der der jüngste der zwölf Brüder des dreiundzwanzigsten Sohnes meines Urgroßvaters war. Als es leise an das Tor seines Hauses klopfte, da erhob sich Babel, der älteste Sohn meines Urgroßvaters, aber er brachte den späten Gast nicht, der Einlaß begehrte. Und erhoben sich hintereinander die dreiundzwanzig Söhne meines Urgroßvaters und die zwölf Söhne seines jüngsten Lieblingssohnes, mein Vater bewaffnet mit seiner Gabel und alle die anderen Enkel und Enkelinnen und alle die Knechte und Mägde und seine Hunde, und der graue Esel kam aus dem Stall, und meines Vaters rote Katze, die für ihn alles ausfressen mußte, und die zehn Ärmsten der Armen der Gemeinde, die am Abend des Festes an der Tafel ihres hohen Priesters speisten. Und mein Urgroßvater erhob sich selbst, aber sie fanden den Gast nicht, der die Feier des Festes störte. Und mein Urgroßvater ließ sich seine Füße waschen und eilte mit seinen Kindern und Kindeskindern und Kindeskindeskindeskindern und seinem, ganzen Hausstand und den auserlesenen Armen –auf den Friedhof; dort lag sein innigster Gefährte von den Christen ausgegraben, seinem letzten Hemde entblößt, die Augen aufgetan, wie er sie öffnete im Leben, wenn sein geweihter Freund ihn besuchte.
Dein tiefbewegter Jussuf.
Achtzehnter Brief
Du goldblauer Reiter. Ich soll Dir auch von meiner Mutter erzählen. Sie ging immer verschleiert; niemand war ihrer Schönheit und Hoheit wert. Aber Dir will ich von ihr erzählen, bis sich mein Herz über ihr Angedenken schließt. Mein Herz blüht auf, wenn ich an meine Mutter denke. Ich habe kein Geheimnis vor ihr, sie nahm mich mit sich von der Erde fort, sie blieb in meinem Herzen hier auf der Welt; ich bin Leben und Grab; darum wechselt meine Stimmung vom Traurigsten bis zum Jubel so unvermutet oft.
Dein einsamer Jussuf.
Neunzehnter Brief
Mein Halbbruder, Dein neues Bild, die alte Stadt Theben, steht in dem Vorraum Meines Palastes zum Anschaun für Mein ganzes Volk. Des Bildes Farben beleuchteten die abendliche Stadt, als Meine Somalis es durch die Straßen trugen. Morgen feiern wir Dein Fest, den Tag des blauen Reiters; prunkvolle Teppiche hängen schon von den Dächern herab, und die Plätze sind mit Rosenblättern bestreut.
Mein lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber Bruder, ich weiß heut' nichts anderes zu schreiben.
Dein treuer Jussuf.
Zwanzigster Brief
Franz. Ich sende Dir für Dein Museum wieder zwei abendländische Dichter, den Peter Baum, und den zweiten, den Albert Ehrenstein, der den Tubutsch schrieb. Ich grüße Dich.
Einundzwanzigster Brief
Ruben, erfreute Dich Mein liebender Brief? Dir zu huldigen, soll der Juwel Meines Lebens sein, und Ich ziehe in den Krieg gegen eines der wilden Stämme, werde Selbst Mein Heer anführen, in der vordersten Reihe kämpfen; man erschlafft –ich will wieder Ehrfurcht vor Mir bekommen. Gedenke Meiner! Unser Blut steht gleich hoch im Stern. Marei gib meine Liebe.
Dein Krieger.
Zweiundzwanzigster Brief
Mein lieber blauer Reiter.
Gestern hielt der Kampf an bis in die Nacht. Drei gefangene Menschenfresser spielen nun mit meinen Soldaten Würfel und sehnen sich nach ihrem jungen Fleisch. Ich habe offen gestanden Mitleid mit ihnen und beschenke sie mit allerlei Waffenzeug, Perlengurten und glitzernden Steinen. Dem Herausfordernsten steckte ich einen Meiner funkelnden Ringe an den Finger. Diese Menschen sind anspruchsvoller wie wir; wir begnügen uns mit Hasenfleisch und Lämmerkeulen, die aber hungern namentlich nach Meinem Herzen, Mein Herz in ihrer Bouillon zu kochen. Du würdest die drei Gourmées sofort malen, grün, gelb und lila. Du würdest sie verklären, frommer Halbbruder, sie fräßen dann nur noch Engel. Ich scherze und tauche den Schreibstift in Blut. Ich kämpfte wie im Gemälde; Meine Lippen sind noch schwarz vor Blutdunst. Ich lag dann den Rest der Nacht wach mitten unter Meinen schnarchenden, tapferen Soldaten; nur Mein Somali Oßman starrte geradeaus in mein Gesicht, das dichtete Rosen nach all dem Kriegsgräuel. Dein Jussuf.
Dreiundzwanzigster Brief
Ruben, ich bin mitten in der Schlacht. Ruben, denke an mich; o liebe mich, daß ich nicht einsam bin.
Vierundzwanzigster Brief
Du, die Soldaten sind begeistert, wir nahmen Irsahab ein, die Goldstadt. Ich gab am selben Abend ein Fest, auf dem mußten sich meine Soldaten duzen mit den Einwohnern. Sie tanzen nun durch die Straßen und bringen mir Fackelzüge. Wer sich der Freimut meiner Befehle widersetzt, wird aufgespießt. Über uns geht ein neues Sternbild auf; es soll Ruben benamet werden. Dein beseligter Prinz.
Botschaft: Wenn der Mond rund ist, ziehen wir weiter nach Osten. Ich bin leicht an der Schläfe verwundet. Jussuf.
Fünfundzwanzigster Brief
O Ruben, ich liebe nur noch die Schlacht, die Kriegsdudelsäcke, Kokostrommeln, meine Krieger und mich im Schlachtschmuck. Ich kannte im Leben nur einen Neid –wenn Soldaten vorbeimarschierten, die Mir nicht gehörten. Dein Bruder.
Sechsundzwanzigster Brief
Denke Dir, in meinem Heer herrscht Schreck und Verrat; ein unzufriedener Soldat hat sich nachts in mein Zelt geschlichen und mir meuchlings diesen Brief entwendet, den ich auf meiner Brust seit meiner Kindheit trage: »Lieber kleiner Gisel. Wir sitzen beide auf dem Spielboden im alten Palast in Theben und spielen zusammen mit Gerümpel, Holzbeinen und Wedeln der zertrümmerten Schaukelpferde. Verstaubte Fez und zerrissene Turbane und lauter Libanonhölzer liegen kreuz und quer überall bis zum Ausgang. Wir rennen uns nach über die Wendeltreppe, die kracht schon, morsch sind ihre Stufen und wackeln wie alte Zähne der Eunuchen. Du bist das Liebste, das ich kenne, Du bist aus lauter Honig; wenn nur kein Bär kommt und Dich aufleckt. Ich bin auch noch ganz klein, ich spiele immer Verstecken mit meinen Händen oder Schimmern mit den Fingern in der Sonne. Du haust immer, aber meistens sind wir zwei Igel und kugeln über die rissigen Steine –oder zwei Regenwürmer, wenn wir Stimmen hören und kriechen in einen Winkel. Du hast Augen gelb wie die Sonne, wer bist Du eigentlich? Und Zucker hast Du immer im Mund; einmal wolltest Du mir einen Deiner Zähne schenken zu meinem Geburtstag, aber der Barbier lachte Dich aus. Weißt Du's noch? Ich hätte ihn an einer Kette um den Hals getragen. O, ich möchte auch so helle Haare haben wie Du, so nichtsnutzige, nichtgläubige Augenwimpern wie Du, o, ich möchte auch eine Grube im Kinn haben wie Du –und auch mal in Deine Heimat fahren, wo der Schnee wächst; o, du lieber Giselfendi –Dein Memedjussuf.«
Siebenundzwanzigster Brief
Ruben, Ich hab' Mich lächerlich gemacht unter Meinen Soldaten, wenn sie auch nicht wagen, nur eine Miene in Meiner Gegenwart zu verziehen; ich habe Mich verraten; glaube manchmal die Hunde knurren zu hören: Ich sei kein treuer Thebetaner und bevorzuge alle Nichtgläubige und liebe den Erdteil im Norden. Oßman, Mein treuer Neger, bedeckt mich nachts mit seinen Kleidern, er fürchtet einen Überfall. Ich soll Kaiser werden. Mein Volk will Ehrfurcht vor Mir haben; denn solchen Liebesspielereien sind selbst die Leute aus Theben nicht gewachsen. Dein armer Spielprinz.
Achtundzwanzigster Brief
Mein Halbbruder. Ich warf den Speer und fing des Feindes Waffe auf mit entblößter Brust. Wir bekriegten uns wie wahnsinnige Bestien. Ich führte meine Soldaten durch den Fluß Pison; die Wälder jenseits des Stroms sind blau und die Tiere im Dickicht sind zahm. Ich bringe Dir zwei lebendige Leoparden mit, die Dich und Dein Weib Mareia bewachen sollen. Wir durchschritten die Schluchten und Höhlen der Gebirge Gibon und nahmen die wilden Bergbewohner gefangen; die zeigten uns die Pfade durch die Landschaft Eden in die Ebene zurück. Wir bringen viel fremde Kräuter mit und harte Steine und Heldenherzen. Erschrick nicht, ich komme als Kaiser heim. Bis zum Lichtwerden schrieen meine Krieger und die gefangenen Feinde, mit denen meine Soldaten ihre Kleider teilten, durch die Straßen meiner neuen Hauptstadt Mareia: Es lebe unser großer Abigail der Erste!
Neunundzwanzigster Brief
Mein Ruben. Alle Liebe, alle Spielerei ist in Mir versunken. Oßman, Mein Neger, hat Meine schweren Tränen fallen sehen. Kaiser sein –heißt atmendes Denkmal sein; unter ihm liegt des Kaisers Persönlichkeit begraben. Ich bin zum Anschaun, Ich bin zum Geschmücktwerden mitten in anderer Leben; das Meine hab' ich dafür gegeben. (Aber solang es dauern wird?!)
Abigail Jussuf Basileus.
Dreißigster Brief
Ruben, mein Halbbruder.
Ich sitze fast den ganzen Tag auf dem Dach des Palastes. Mein Volk will immer seinen Kaiser sehn. Mein Volk blickt aus einem Aug zu Mir empor, ruft nach Mir aus einem Mund. Ich habe nicht das Recht, Mich in Meine Gemächer zurückzuziehn, da Mein Volk nach Mir hungert. Meine Verantwortung wuchs über Nacht vom Prinzsein zum Kaisertum grenzenlos. Dein Jussuf.
Einunddreißigster Brief
Mein fürstlicher Bruder. Du fürchtest, Ich erkranke von der vielen neuen Arbeit der Staatsgeschäfte und entziehe Mich der Rast. Wenn Ich erst krank bin, vermindert sich Mein Interesse an Mir, aber nun durch die neue Kaisersonne betrachte Ich die Erhaltung meiner jungerwärmten Kräfte als Mir anvertrautes Reichsgut. Ich will Dirs allein gestehn, Ich freue Mich darüber, wenn Mein Volk sich vor Meinem Palast aufpflanzt. Die Stadt schenkte Mir eine Leibwache von hundert Soldaten, die tragen blaue Perlengurte um die Lenden und verstehen wie die wilden Stämme den Bumerang zu werfen. Sie standen zu Meiner rechten und zu Meiner linken Seite bei der ersten Kaisertafel, Ich saß auf einem goldenen Tafelthron, den Mir ein reicher Muskatplantagenbesitzer bei Theben schenken durfte. Höre, Ruben, noch eine Albernheit –Ich dichtete während der Speisengänge ein Liebesgedicht. –Ruben, höre, noch eine Unbesonnenheit. Ich habe Mich mit Meiner ganzen Leibwache geduzt. Dein taumelnder Kaiser und Bruder.
Botschaft: Meine Krönungsfeier findet am dritten Muharam, drei Tage nach der Broternte statt. Dich und Dein Weib Mareia erwarte Ich. Abigail Jussuf.
Zweiunddreißigster Brief
Ruben, ich versammelte alle Kinder der Stadt um Mich in Meinem Palast. Mein Neger Oßman brachte Mir jedes einzelne herbei auf seinem blanken Rücken.
Ich trug einen langen Mantel voll Sterne und viel, viel Zacken um den Kopf und beschenkte die Kinder mit Spielzeug und Leckereien. Und jedes durfte sich zu seinem Namen noch einen wählen. Fast alle wollten sie Ruben heißen nach Dir, mein teurer Bruder, ich weine noch vor Ergriffenheit. Manche nur wünschten sich Abigail zu nennen, da ihnen der Name noch zu neu klang und sie nicht wußten, wie sie ihn sich nehmen sollten. Aber wie der Spielprinz von Theben heißen nun viele kleine Knaben und legen sich den Jussuf wie einen Federgürtel um den Leib. Und Mareia rufen sich alle kleinen Mädchen nun in Meiner Stadt. Einer der Knaben wollte nach Meinem Neger Oßman benamet werden, seiner spitzgefeilten Zähne wegen.
Seltsam berührte es Mich, daß der Sohn des Soldaten, der Mir einst im Zelt heimlich den Kinderbrief entwand –Giselheer heißen wollte.
Dreiunddreißigster Brief
Ruben, Ich habe vor, Dichter der verschiedenen Länder zum Fest Meiner Krönung einzuladen. Meinen wundervollen Freund, den König von Böhmen und den Prinzen von Prag, den dichtenden Waldfürsten Richard und Meinen jüngsten Briefgefährten Wieland Herzfelde. Was sagst Du zu Meinem Vorhaben? ... Die Krönungsrede habe Ich schon zu Zeiten Meiner Prinzenwürde gedichtet, geschrieben, gefühlt, gedacht. Sei ohne Besorgnis, Ruben. Ich –Ich –Ich zeige sie Dir vorher. Dein Abigail.
Vierunddreißigster Brief
Lieber Ruben. Ich lud auch die großen Söhne und Töchter Thebens in Mein Haus. Sie hatten alle ein Lied auf den Lippen, als sie Mich verließen; draußen ertönte es durch die Nacht und seitdem ist Meine Stadt süß und jung. Ruben, Ich habe auch Meinen treuen Neger Oßman bedacht. Ich erfüllte damit den unerfüllbarsten Gedanken seines Lebens. Er soll einen Tag im Jahr Kaiser sein, Kaiser über Theben! Ich selbst werde des Dunkelhäutigen Untertan sein inmitten seines Eintagsvolks. Ich darf Mich dieser Demut und dieser Gnade erfreun.
Abigail der Erste von Theben.
Fünfunddreißigster Brief
Mein herzlieber Bruder.
Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich wache, seitdem Ich Kaiser bin, oft mit dem Mond, manchmal zusammen mit den Häuptlingen für das Wohl meines Volkes. Du weißt, Ich habe immer die Nacht geliebt und sehnte Mich in der Sonne nach den Sternbildern. Gestern aber dachte Ich nur an Dich, mein herzlieber Ruben, und malte Dein Brudergesicht an die Decke zwischen Mosaik Meines Gemachs. Langhaariges, lichtes Fell um Deine Schulter –fern schweifen Deine braunen Augen und Deine Hand greift nach dem ersten Morgenstreif des Himmels, sich einen Hirtenstock zu schnitzen. Du Großhirte unter den Fürsten, Du Emir, Du Messias aller Tiere der bräutlichen Haine, der finsteren Urwälder. Du blauer Rosselenker, Du goldbrauner Schakal, der sich die Gazell holt vom Fels. Du lehrtest Mich das Wort vom keuschen Totschlag. Du bist Ruben, der noch unberührte Mensch der Bibel. Dein Bruder Jussuf.
Sechsunddreißigster Brief
Bruder. Die Modelle der Basileuskrone sind im Stadthaus aufgehängt, unter Glas, zum Anschaun für Meine Thebetaner. Basileus.
Siebenunddreißigster Brief
Höre Bruder, Mein Oßman verriet Mir, daß die Stadt Theben Mir zur Feier Meiner Krönung eine Privatsumme von dreißig Millionen Mammuttalern überweisen lassen wird. Ich werde Meinem Theben drei Tempel erbauen, den Tempel der Ehrfurcht, den Tempel des Gebets, den Tempel der Liebe. Ich werde die Venus von Siam bringen lassen in Meine Stadt; sieh, Ruben, und wenn Ich ganz Siam hinmorden müßte im Kampf. Was der Basileus begehrt, gehört ihm. Ich weiß, Du zweifelst nicht an Meinem reichen Worte, und nicht einmal der Ärmste der Ärmsten dürfte daran zweifeln. Und noch dieses mußt Du hören, Bruder, Mein Volk beschäftigt sich täglich stürmischer mit der Vermählung ihres Basileus und die verehrten Häuptlinge beraten sich im Gewölbe Meines Palastes mit der Werbung. Auf der Tafel treten in engere Wahl der junge Kaiser Lidj Jassu von Abessinien, der Prinz Sascha von Moskau, der neue türkische Kriegsminister Enver Bey. Ich habe gegen alle drei Fürsten nichts einzuwenden, hoffe aber, daß Mein teures Volk, dem ich die Wahl überlassen werde, sich für Enver Bey entscheidet. Abigail Jussuf.
Achtunddreißigster Brief
Lieber Bruder, Ich sende Dir die Bilder der zwei abendländischen Dichter, die Mir wert sind. Dem Dichter Richard Dehmel werde ich zu Meiner Krönung den Kalifenstern, dem Dichter Franz Werfel die goldene Rose überreichen lassen. Der österreichische Kardinal Karl weilt seit einigen Tagen in meiner Stadt Theben. Seine milden, blauen Augen sind zwei Sehenswürdigkeiten. Abigail.
Neununddreißigster Brief
Mein Bruder, Ich und die ganze Stadt sind in außerordentlicher Festlaune. Du wunderst Dich, daß Ich Mir einen Kandidaten für die Ehe wählen lasse. Ich muß doch einigermaßen zuvorkommend meinem Volke gegenüber sein. Zur Kaiserheirat gehört weiser Beirat. Ich betrachte die Ehe eines Kaisers als eine politische Angelegenheit, die Verantwortung wäre ja sonst ungeheuer. Meine Würde als unfehlbarer Priester, die Ich am Tage Meiner Krönung bekleiden werde, erfüllt Mich mit Sternen und Sonnen. Du, wie denkst Du Dir das, Ruben –unter uns zwei –Ich darf nun tun, was ich will!!! Du siehst, Ich bin ausgelassen in Meiner doppelten Unfehlbarkeit wie einer der streichlustigsten, kleinen Mêmedsiddis auf dem Weg zum Flußbad. Von Meinem Dach aus sehe ich eine Anzahl brauner Beine durch die Wasser waten. Heiß ist es –40 Grad Thebenhitze im Schatten. Aber ich liebe die goldene Rose des Himmels ganz in Üppigkeit entfaltet. Wenn nur die Brunnen nicht faulten und die Leute Mein Gebot hielten, sich vom Fels das Quellwasser zu schöpfen. Mein Volk ist lässig, lieber holt es sich die Augenkrankheit, als daß es sich aus der Stadt zu gehn bequemt. Es ist ja auch jetzt namentlich interessant um Mich und Ich kann nicht ernsthaft zürnen. Wenn nur mein Koch nicht rotentzündete Lider hätte, und mir der Genuß all der süßen Gerichte einigermaßen Widerwillen bereitete –indem ich mir vorstelle, seine blöden Wimpern blicken auf die Makronen oder streuen den Zimt oder den Anis auf die Speisen. Mein Neger Oßman ist weniger empfindlich. Dein Bruder.
Vierzigster Brief
Mein frommer, starker Halbbruder, Ich war Dir gram, Ich will lieber sagen, Ich kann Dir nicht gram sein im Grunde Meines Malikherzens. Du stelltest Dich auf Seiten Meines Volkes, schürtest seinen Ungehorsam gegen Mich auf, in der Zeit Ich vor dem Tor Meiner Stadt Theben mit dem Huf stampfte, ein wildes, wieherndes Pferd. Aber Mein treu Volk ist voll Reu, ist ein einziger Malik mit Mir, Du!! Mein Volk ist süß wie die Himbeer, Mein Volk in Theben ist bunt und gesegnet, eine Feuerblut. Sieh, Bruder, mit Siam stehts in Unterhandlung ihrer Venus wegen, die Du Mich hindertest, vor Meiner Krönung zu erkämpfen. Augenblicklich treiben sich Meine Thebetaner mit Goldlaub und Jubel geschmückt durch die Straßen und über die Plätze der Stadt und üben Lieder zu Meiner Krönungsfeier. Ruben, Du aber wolltest Mich zwingen. Auf Meiner Stirn beginnt sich ein Hieroglyph einzugraben, der Mir fremd ist. Jussuf.
Einundvierzigster Brief
Geliebter Bruder! Mein hoher Freund Daniel Jesus Paul Leppin, der König von Böhmen, bezog gestern die Gemächer im ersten Vorraum Meines Palastes. Für sein schlankes Weib pressen Meine Negerinnen Öl aus Rosen. Ich bin dem böhmischen königlichen Dichter gut; uns verbindet die Freundesader. In Meiner zweiten Hauptstadt Mareia werden nur seine Bücher gelesen, unvergleichliche Begebenheiten, Thebens Menschen sind fast alle des Lesens unkundig, Mir selbst macht jedes Studium Kopfschmerzen. Man feiere Meine Unwissenheit!! Dein Jussuf Abigail der Wildstämmige.
Botschaft: Ich ernannte den König von Böhmen, Daniel Jesus Paul, zum Statthalter Meiner hochbeglückten Stadt Mareia.
Zweiundvierzigster Brief
Ruben, mit Meiner dritten Hauptstadt Irsahab kann ich keine Fühlung gewinnen. Diese vorsichtigen, leisen, gelehrten Hebräer erfüllen allerdings, wenn Ich, Ihr Melech, in Irsahab weile, die Mir zukommenden Zeremonien, aber der Wein ihrer Adern strömt Mir nicht entgegen, wie das kostbare Blut Meiner teuren Menschen aus Theben und Mareia-Jr. Argwohn und Verlegenheit, Erröten und Furcht empfangen Mich unter dem Bogen dieser goldreichen Stadt. Ich bin das Meer, gar die Sintflut, die ihre Geborgenheit verheert. Mein Wort ertönt diesen verscheuchten Menschen wie Jägerruf. (Ich bringe nie Hasen um; das traust Du Mir doch nicht zu?) Mit Kummer vernehmen die bebenden Leutchen das Rauschen der vielen Muscheln und Perlen um Meinem Hals und gewahren spöttisch lächelnd die Nasenknöpfe in Meinen beiden Flügeln, und gutmütig lispeln sie über die Sterne und Monde Meiner Wangen. Mir sind die Leute unsympathisch ihrer unangenehmen Überlegenheit wegen. (Sie wissen außerdem nichts von Meinen Gedichten und Balladen.) Mein Oßman ist viel elementarer als Ich, sein Kaiser. Er riß sein dunkel Maul auf, die Irsahabhäse mit seinen spitzgefeilten Zähnen zu zerreißen. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande!
Jussuf.
Dreiundvierzigster Brief
Ich habe Daniel Jesus neben Mareia-Ir die Statthalterei in Irsahab angeboten. Er soll versuchen, die Irsahabaner Meinem Herzen näher zu führen. Auch gab Ich einigen Malern den Auftrag, Mir für Meine Palastvorräume einige Landschaften und Städteschaften Irsahabs zu malen. Ich mag, solang noch ein Mensch in der Stadt lebt, sie nur noch im Bild besitzen. Dein Bruder.
Vierundvierzigster Brief
Geliebter fürstlicher Bruder. Mein Dromedar Amm ist krank und Meine Kamelin Rebb hat ein ganz kleines Kamelchen zur Welt gebracht. Im Palastgarten dürfen die kleinsten Kinder darauf reiten. Und Ich hole es Mir zum Schrecken Meiner Dienerschaft in Mein Privatgemach und spiele mit ihm. Dein kleiner Spielkaiser Jussuf.
Fünfundvierzigster Brief
Ruben, denke Dir, es fehlen zwei Smaragden im Kaisermantel. Glaubst Du, das falle auf? Außerdem fleht Mich Mein Neger Oßman an, daß Ich nicht barfuß auf den Hügel, nach alter Islamssitte, zur Krönungsfeier steige. Die Muschel Meines kleinen Zehs ist durch ein spitzes Steinchen beschädigt. Das Unglück geschah, als Ich zum Baden in den Fluß trat. Jussuf.
Sechsundvierzigster Brief
Bruder, ich träume grausam von Dir in der Dunkelheit. Du bist der Alb Meiner Nächte. Vor dem Hügel stehst Du zwischen Meinem Volk: Ich halte die Krönungsrede. Meine lauschenden Menschen versinken um Mich; Du aber wächst, eine Welt so groß und hoch, und erstickst Mein Wort. O, Ich weiß, wie Dich dieser Tag beunruhigt, aber darum sende Mir doch unbekümmerte Zeichen. Ich malte Dein stolzes, feines Rubenangesicht neben dem Meinen auf die Stadtfahne. Die weht von allen Dächern zum Willkommen. Mein Bruder Mein!
Siebenundvierzigster Brief
Lieber. Unter den geladenen Gästen werden Mir die Maler der Modelle Meiner Kronen die Ehre schenken. Die Spielkrone, die Du Mir zeichnetest, ist bunt getrieben mit allerlei Steinen besäet. Ludwig Kainers Festkrone trage Ich zu den Palastfeierlichkeiten. Heinrich Campendonk, der älteste der fünf Haymondskinder, zeichnete Mir die Krone zur Jagd. John Höxter den Hebräischen Reif, Egon Adler die hohe Priesterkrone, Richter die Indianerfeder, Fritz Lederer die Krone seiner Berge. Ich möchte das Riesengebirge, wenn auch einmal nur von ferne schauen! Und weißt Du, wer Mir den Kriegshut für die wilden Stämme entwarf? Der Lederstrumpf. Dein vielfach reichgekrönter Bruder Jussuf.
Achtundvierzigster Brief
Lieber Ruben, gestern beriet Ich Mich wieder mit dem österreich-venezianischen Kardinal Karl. Von seinem Gemach aus freute ich Mich über Mein begeistertes Volk und warf ihm Kußhände zu und jubelte mit ihm eine Weile. Der Kardinal sagte, Ich bin leutselig, er meinte, Ich bin zu allerleutselig. Meine Unerfahrenheit aber in Leutseligkeiten tat seinem gütigen Herzen wohl. Seine letzte Haut ist ein Ornat.
Neunundvierzigster Brief
Ruben, am Abend sah Ich endlich Enver Bey (Enver Pascha). Wir gefielen uns, wir lachten unaufhörlich wie bürgerliche Verliebte; dann speisten wir zusammen im Palast. Du, hör, wir speisten ganz allein, prüften unsere Arme nach der Tafel! seine sind eherner! Er war aber höflich genug, Mich nicht niedersinken zu lassen bei unserm Wetthandkampf. Er hat Augen aus Nacht. Mir erzählte Oßman, er habe zu seinem General gesagt von Mir: Tucktacktei umbrahallâh! Zu Mir hat er auch so was Tucktacktürkisches zärtlich gesagt –»Malik, manchmal siehst Du aus wie ein Straßenjunge!« Sonst spricht er eigentlich nur vom Krieg; vielleicht wollte er Mir imponieren? In Friedenszeiten immer vom Krieg. Noch dazu wenn man sich mit ihm vermählen will. Ich hab' Mir da was eingebrockt! (Auch gefallen mir Schnurrbärte nicht.) O Dein gefesselter Jussuf Abigail I.
Fünfzigster Brief
Ruben, die Venus von Siam trifft morgen verschleiert in Theben ein. Ich fürchte aber, ihre Schönheit vermag kein Gewebe zu verhüllen. Bewaffnete Soldaten erwarten sie am Eingang der Stadt. Den Jünglingen schlagen die Herzen andächtig; Ich höre sie alle wie ein einziges gegen Mich pochen hoch im Traum.
Einundfünfzigster Brief
Ruben, ein schreckenerregender Zwischenfall, eine Kabale eines Eifersüchtigen Meiner Stadt. Ein bestochener Soldat ereilte Mich, als Ich auf Meinem Araberhengst der Sternenfrau entgegeneilte, stammelte Mir lieblich ins Ohr: Der Arier Giselheer halte sich versteckt in der Stadt. Ich zerriß vor unermeßlichem Glück den falschen Botenbringer in Fleisch und Knochen. So belohnte ihn tödlich die Freude und der Haß hätte ihn zerfetzen müssen. Also hat man Mir den Abendländer, der Mein Herz eroberte, noch nicht vergessen. Ich glaubte, Ich besäße keinen Feind in Meiner süßen Stadt. Dein armer Bruder. 1
Zweiundfünfzigster Brief
Mein Bruder. Die Feierlichkeiten sind vorbei, aber noch verbinden Girlanden die Häuser mit dem Palast. Meine Krönungsrede wird ausgegeben in den Straßen. Ich sah Dich am Fuße des Hügels stehen und weinen. Daniel Jesus Paul und Du küßtet Euch –Ich wußte, daß Ihr entbrennen würdet in Wohlgefallen. Bei der Tafel aber ärgertest Du Dich einigemale über Deinen gekrönten Bruder. Ich vernachlässigte Meine Thebetaner um der Künstler willen und gab den Frauen mutwillige Ratschläge. Sie sollten sich mit nichts anderem beschäftigen, als für ihren Malik zu schwärmen. Auch schien es Dir, Ich tanzte zu viel, und zu unbändig für einen Basileus. Aber Du kennst doch Meine Thebenmenschen noch nicht. Die freuen sich aller Ausgelassenheit, und da nun Meine beiden Kaiseraugen auf »ernst« gestimmt sind, verbüße Ich keineswegs von ihrer Hochachtung. Volk darf nicht zum Nachsinnen kommen, Ruben. Dein Tiervolk sind eben andere Menschen ... Auch der Kardinal verließ die Stadt befriedigt, und kehrte nach Wien zurück. Grüße Mir Meinen neuerwählten Vizekaiser Daniel Jesus Paul, er möge Dich, Mein geliebter Bruder, und Dein lieb Weib noch lange in meiner Zweithauptstadt Mareia süß beherbergen. Dein Jussuf Abigail.
Botschaft: Ruben, morgen halte ich Gericht. Jussuf.
Dreiundfünfzigster Brief
Ruben, auf demselben Hügel, von dem Ich der Basileus die Krönungsrede hielt, richtete Ich die drei Verbrecher Meiner Stadt Theben. Ich fragte den Brudermörder, wie ihn sein erschlagener Bruder im Jenseits richten würde, worauf der arme Kerl so heftig mit seinem Arm ausholte, als ob er die Axt auch gegen sich erhöbe. Ich fragte ihn, wie mag dein Vater Naphtali, war der der Basileus, dich richten und deine arme Mutter Bekki dich?? Ich sprach, Ich will dich richten nach deiner Mutter Herz. Da entstand unermeßliche Freude in Meinem Volk; das mochte den erschlagenen, griesgrämigen, spielverderbenden Bruder nicht. (Du, Ich auch nicht.) Den zweiten armen Kerl richtete Ich nach dem ersten so mild; aber den dritten, Ruben, der war ein Stadtverräter, den ließ Ich in einen Turm sperren; an den Wänden rings herum überall hängt Mein Bild. Damit er immer in die ernsten, gläubigen Augen seines Kaisers sieht. Jussuf Abigail I.
Vierundfünfzigster Brief
Einige Fragen legten Mir die Thebenältesten nach alter Islamsitte vor: Was Mich in der letzten Zeit beleidigt hätte, Ich sagte, die albanische Fürstenfrage, daß Ich nicht zu Meinen drei Städten noch die albanische Regierung anvertraut bekommen habe. Mit bunt Volk muß man gold und lila sein, nicht schwarz, weiß, ziegelrot, das sind zu harte Farben.
Sehr delikat berührte man Meine in Aussicht gestellte Vermählung mit Enver Pascha. Ich erörterte die Bedenken des verehrten Kardinals von Wien gegen die Heirat mit Bey, und wir einigten uns, indem wir Aussicht nahmen auf eine eventuelle Verbindung Meiner kaiserlichen Hoheit und der abessinischen Hoheit des Menelik unseres Vetters von Abessinien. Ich finde ihn, unter uns Zwein, traut, sanft kindlich, mausgrau und levkoienfarbig getönt und hinreißend verliebt in Mich. Dein Jussuf.
Fünfundfünfzigster Brief
Ruben. Ich habe Meinem Volk die Erlaubnis zur Gründung dreier Verbrüderungen gegeben. »Die Jehovaniter«, die Väter der Stadt. »Die roten und gelben Adame«, die Viehhüter Thebens und seiner Umgebung. »Die Zebaothknaben« nennt sich der Bund der Söhne. Aus diesen wählte Ich sieben Häuptlinge und setzte Mich über sie als ihr Oberhaupt. Wir acht wilde Juden bilden nun eine Altardecke, Ruben. Mit diesen Meinen wilden Juden ziehe ich über die Alpen nach Rußland. Sascha, der Prinz von Moskau, liegt dort in Ketten.