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20. Kapitel

Das neue Luftschiff

Grunthe erwachte aus einem unruhigen Schlummer und sah nach der Uhr. Sie zeigte auf 9,6, das entsprach nach mitteleuropäischer Zeit ein Uhr früh; es war also noch mitten in der konventionellen Nacht.

Er legte sich daher wieder auf sein Lager zurück. Während er sich seinen Gedanken hingab, vernahm er ein eigentümliches Zischen. Es unterschied sich deutlich von dem leichten, gleichmäßigen Rauschen des Meeres, das in den Schlafräumen nur schwach durch die Stille der Nacht hörbar war. Auch schien es aus der Luft herzukommen, nahm erst zu, um dann allmählich schwächer zu werden und schließlich zu verschwinden. Nach einiger Zeit begann das Zischen wieder, kam aber deutlich von einer andern Seite her. Sollten es Windstöße sein, die sich um die Insel erhoben? Aber auf diese Weise hätten sie sich wohl nicht geäußert. Als sich das Geräusch mehrfach wiederholte, stand Grunthe auf, und die Läden der Decke schoben sich, als sein Fuß den Boden berührte, an einer Stelle automatisch beiseite. Ein schräger rötlicher Sonnenstrahl schlich sich in das Zimmer, und ein Streifen des Himmels wurde sichtbar. Es war also noch immer klares Wetter, nur stand die Sonne bereits so tief, daß sie nur schwach durch die Atmosphäre hindurchdrang. Plötzlich verdunkelte sich der sichtbare Streifen des Himmels auf einen Moment, es war, als ob ein großer Gegenstand mit namhafter Geschwindigkeit über die Insel fortgeflogen wäre. Zugleich war das Zischen besonders laut geworden.

Da das Zimmer keine seitlichen Fenster hatte, konnte Grunthe keinen Rundblick gewinnen. Er wußte aber, daß man an einigen Stellen die Hartglasbedachung der Decke öffnen konnte. Nur mußte man dazu die genügende Höhe erreichen, um bis zur Decke zu gelangen. Eine Leiter hatte er nicht zur Verfügung, er wollte deshalb zunächst versuchen, ob er nicht durch die Fenster des Sprechzimmers eine genügende Aussicht finden könne. Zu seiner Überraschung fand er die Verbindungstür von außen gesperrt. Dies ließ darauf schließen, daß bei den Martiern etwas im Werk sei, wobei sie von den Menschen nicht beobachtet zu werden wünschten. Um so mehr steigerte sich bei Grunthe das Verlangen, seine Wißbegier zu befriedigen.

Er betrachtete sorgfältig die Decke in der Nähe der Luken und erkannte, daß sich dort verschiedene, zu den Apparaten der Martier gehörige Haken befanden, an denen man sehr gut Stricke befestigen konnte. Solche waren zur Genüge an den Körben vorhanden, die zur Ausrüstung des Ballons gedient hatten und in seinem Zimmer lagerten. Aus einem der leeren Körbe und zwei Seilen ließ sich eine Art schwebendes Trapez herstellen, das, an der Decke angehängt, gestatten mußte, den Kopf bis über das Dach zu erheben. Aber wie hinaufkommen? Er entschloß sich, Saltner zu wecken. Der räsonnierte eben ein wenig über die nächtliche Störung, als sich das Zischen in der Entfernung wieder hören ließ. Nun sprang er mit einem Satz in die Höhe und fuhr in seine Kleider. Auf Grunthes Schultern stehend, gelang es ihm, zwei Seile an der Decke zu befestigen, und nun war es nicht mehr schwer, einen Beobachtungsposten einzurichten.

Vorsichtig steckten die beiden indiskreten Beobachter ihre Köpfe aus der Luke und wandten sich nach der Richtung, in welcher sich jetzt deutlich, aber in der Ferne, ein gleichmäßiges leises Sausen vernehmen ließ. Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen sahen sie, daß dieses Geräusch von einem riesigen Vogel herzurühren schien, der mit ausgebreiteten Schwingen in ruhigem Segelflug durch die Luft glitt und in geringer Höhe über dem Wasser rings um die Insel schwebte. Jetzt näherte er sich derselben und schoß mit rasender Geschwindigkeit vielleicht zwanzig Meter über dem Dach der Insel hinweg. Trotz der kurzen Zeit, in welcher die beiden Männer den seltsamen Vogel beobachten konnten, sahen sie doch, daß er weder Kopf noch Füße besaß. Sein langgestreckter Körper hatte die Gestalt einer nach vorn und hinten konisch zulaufenden Zigarre, am hinteren Ende befand sich ein langer, flacher Schwanz als Steuerruder. Natürlich war den Beobachtern sofort klar, daß sie eine neue Erfindung der Martier vor sich hatten, ein den Verhältnissen der Erde angepaßtes Luftschiff. Die Martier stellten damit Übungen und Versuche an, wobei sie von den Menschen nicht beobachtet sein wollten.

Das Luftschiff entfernte sich, kehrte dann in einem kurzen, eleganten Bogen um, brauste zurück und hielt plötzlich direkt über der Insel an. Man konnte beobachten, wie der ganze Schiffskörper in Schwingungen geriet, als der äußerst schnelle Flug binnen drei Sekunden zum Stillstand kam. Und nun geschah etwas noch Merkwürdigeres. Die Flügel und das Steuerruder waren plötzlich verschwunden. Etwa zehn Meter über dem Dach der Insel, aber so weit vom Standpunkt der beiden Deutschen entfernt, daß ihre eben nur aus der Luke hervorblickenden Köpfe kaum bemerkt werden konnten, schwebte der Schiffskörper frei in der Luft. Seine Länge mochte etwa zehn, sein Durchmesser gegen vier Meter betragen. Das Material zeigte dasselbe glasartige Aussehen wie die Raumschiffe der Martier, gestattete aber keine Durchsicht. Den Boden wie das Verdeck bildeten zwei glatte, nach oben und unten gewölbte Schalen, zwischen denen ein nur vorn und hinten geschlossener, etwa meterhoher Streifen freiblieb. Durch denselben konnte man beobachten, daß das Luftboot von zwölf Martiern bemannt war.

Jetzt senkte sich das Boot auf das Dach der Insel langsam herab, wo es ohne Verankerung liegenblieb. Die Besatzung stieg aus, und andere Martier traten an ihre Stelle. Nur die beiden Männer, die an den beiden Enden des Bootes sich befunden hatten, nahmen ihre Plätze wieder ein. Sie waren Grunthe und Saltner unbekannt, und diese schlossen daher, daß es die mit dem Glo angekommenen Konstrukteure des neuen Luftschiffes seien, die hier die Martier mit der Behandlung des Bootes bekannt machten. Die Galerien der Insel waren von zuschauenden Martiern besetzt, doch konnte man diese von dem tiefen Standpunkt Grunthes und Saltners aus nicht erblicken; auch der untere Teil des Luftschiffes blieb ihnen verborgen, und sie konnten die Bemannung nur in dem Augenblick sehen, in welchem sie das Schiff verließ oder betrat, was durch das Verdeck desselben zu geschehen schien.

Ein neues Manöver begann. Ohne Flügel und Steuer, horizontal liegend, stieg das Boot mit zunehmender Geschwindigkeit senkrecht in die Höhe. Da war kein Luftballon sichtbar, keine Schraube, kein Flügelschlag hob es. In wenigen Minuten war es so hoch gestiegen, daß es dem bloßen Auge nur als ein Pünktchen mit Mühe wahrnehmbar erschien. Plötzlich vergrößerte sich der Punkt schnell. Das Schiff stürzte herab. Aber jetzt entfaltete es seine Flügel und sein Steuer, und wie ein riesiger Raubvogel sauste es in weitem Kreis um die Insel, streifte fast an der Meeresoberfläche hin und erhob sich dann wieder in einer Spirale. Dabei wurden offenbar Signale mit den Martiern der Insel gewechselt, die aber für Grunthe nicht verständlich waren. Man sah nun, daß das Schiff seine Flügel verkürzte oder zurücklegte, das Steuer stellte sich gerade, eine weiße Dampfwolke brach aus dem Hinterteil des Schiffes hervor, der ein kanonenschußartiger Knall und ein gewaltiges Brausen folgte das Boot schoß schräg aufwärts steigend wie aus einem Geschütz geschleudert in die Ferne und war nach weniger als einer Minute in der Richtung des zehnten Meridians dem Auge entschwunden.

Aus der Bewegung, welche sich jetzt auf der Insel bemerkbar machte, schlossen Grunthe und Saltner, daß das Schiff eine Fernfahrt angetreten habe und fürs nächste nicht wieder zu erwarten sei. Sie verließen daher ihren unbequemen Posten und zogen sich in ihr Zimmer zurück, jedoch entschlossen, die Rückkehr des Schiffes zu erwarten. Zu diesem Zweck wollten sie sich im Wachen ablösen.

Diese Mühe hätten sie sich freilich sparen können, wenn sie gewußt hätten, wie weit das Schiff seine Aufklärungsfahrt ausdehnen sollte. Es wurde erst in der folgenden Nacht von den Martiern zurückerwartet.

Die Versuche der Martier waren vollständig gelungen. Ihre auf dem Mars in Berücksichtigung der terrestrischen Verhältnisse ausgeführten Konstruktionen bewährten sich in überraschender Weise. Sie waren nun im Besitz eines Luftschiffs, welches sie nach Belieben in der Erdatmosphäre lenken konnten und mit welchem sie selbst einem Sturm zu widerstehen vermochten. Was die Menschen so lange vergeblich angestrebt hatten, die Techniker des Mars hatten es in verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht.

Allerdings besaßen ja die Martier vor allem ein Mittel, sich in die Luft zu erheben, das den Menschen fehlt, die Anwendung der Diabarie. Der Fortschritt der Luftschifffahrt bei den Menschen war früher immer daran gescheitert, daß man das aerostatische und das dynamische Luftschiff nicht in geeigneter Weise verbinden konnte. Wandte man den Luftballon an, um Lasten in die Höhe zu heben, so mußte der Apparat riesige Dimensionen annehmen, und es war dann unmöglich, ihn gegen die Windrichtung zu bewegen, weil er dem Wind eine zu große Angriffsfläche bot oder nicht genügend widerstandsfähig gegen seinen Druck gemacht werden konnte. Wählte man aber die dynamische Form des Luftschiffs, wobei durch Schrauben oder Flügel die Erhebung bewerkstelligt wurde, so fehlte es an Maschinen, um die erforderliche große Kraft zu entwickeln; denn um dies zu leisten, mußten die Maschinen selbst zu schwer werden.

Diesen Schwierigkeiten waren nun die Martier dadurch enthoben, daß sie diabarische Fahrzeuge zu bauen vermochten, das heißt Fahrzeuge, für welche die Anziehungskraft der Erde nahezu ganz aufgehoben werden konnte. Bei der Luftschiffahrt geschah diese Aufhebung natürlich nicht so vollständig wie bei der Raumschiffahrt, sondern nur soweit, daß das Gewicht des Schiffes samt seinem Inhalt geringer wurde als das Gewicht der von ihm verdrängten Luft. Nach dem archimedischen Gesetz mußte es dann in der Luft in die Höhe steigen, und, je nachdem man seine Schwere vergrößerte oder verkleinerte, konnte man es senken oder heben. Man bedurfte dazu keiner Riesenballons und keiner Ballastmassen. Das Probeschiff der Martier wog mit seinem ganzen Inhalt etwa fünfzig Zentner und besaß eine Luftverdrängung von über hundert Kubikmeter. Es genügte also eine Erniedrigung des Gewichts bis auf fünf Prozent des eigentlichen Betrages, das heißt bis auf 125Kilogramm, um zu bewirken, daß das Schiff in der Nähe der Erdoberfläche schwebte, denn soviel beträgt hier ungefähr das Gewicht der verdrängten hundert Kubikmeter Luft. Was aber die Martier bisher verhindert hatte, sich mit ihren Raumschiffen in die Atmosphäre zu wagen, war die mangelhafte Widerstandsfähigkeit des Stellits. Es galt somit für die Martier vor allem, einen Stoff zu finden, der sich diabarisch machen ließ und dabei doch die genügende Festigkeit besaß, um eventuell nicht nur den gewaltigen Druck eines Sturmwindes auszuhalten, sondern auch mit großer Geschwindigkeit gegen die Luft anzufliegen. Das war jetzt gelungen. Das neue Luftschiff vermochte einer mit 400Metern Geschwindigkeit gegen dasselbe bewegten Luftmasse Widerstand zu leisten, ohne eine schädliche Verbiegung seiner Umhüllung zu erleiden. Dieser Stoff führte den Namen Rob.

Diabarie und Rob fanden nun ihren dritten Verbündeten zur Vollendung der Aerotechnik in einer Modifikation des Repulsit. Man konnte natürlich in der Luft der Erde nicht wie im leeren Raum Repulsitbomben schleudern. Aber man hatte dafür eine Vorrichtung ersonnen, den kondensierten Äther des Repulsits so allmählich zu entspannen, daß man den unmittelbaren Rückstoß zur Fortbewegung benutzen konnte. So bedurfte es keiner Schrauben oder Flügel, die nicht nur viel Raum einnahmen, sondern auch leicht der Havarie ausgesetzt waren; man schoß sich direkt durch Reaktion, wie eine Rakete, durch die Luft. Die beiden großen Flügel und das Steuer, welche das neue Luftschiff trug, konnten unter Umständen gänzlich zusammengeschoben und eingezogen werden; sie dienten nur dazu, um das Gleichgewicht bei plötzlicher Änderung der Richtung zu bewahren und um nicht die großen Vorteile zu verlieren, welche der Segelflug bei günstigem Wind darbietet.

Ill hatte das Schiff vom Mars mitgebracht und sich jetzt von seiner Tauglichkeit überzeugt. Die Versuche geschahen in der Nacht, das heißt während der Schlafenszeit, weniger, weil man die neuen Erfolge vor den Menschen verbergen wollte, als weil man bei einem etwaigen Mißerfolg keinerlei Zeugen zu haben wünschte. Immerhin beabsichtigte Ill nicht, die Menschen in die Fortschritte einzuweihen, welche die Martier gemacht hatten; da aber noch weitere Übungen angestellt werden sollten und man höchstens noch auf zwei Wochen Tageslicht rechnen konnte, so lag ihm selbst daran, Grunthe, wenn dieser auf seiner Weigerung beharren sollte, möglichst schnell von der Insel zu entfernen. Die Aufklärungsfahrt des Luftschiffs in der Richtung nach Europa hing mit dieser Absicht zusammen. Es stellte sich heraus, daß mit Anwendung des Repulsits Geschwindigkeiten von 200Metern in ruhiger Luft mit Leichtigkeit erreicht werden konnten. Man bewegte sich dabei in Höhen von ungefähr zehn Kilometern, bei einer Luftverdünnung, welche allerdings von Menschen nur bei künstlicher Sauerstoffatmung ertragen werden konnte, den Martiern aber, wenn sie nur von Zeit zu Zeit etwas Sauerstoffzuschuß erhielten, keine besonderen Beschwerden verursachte. Heftige Luftströmungen konnten hier die Geschwindigkeit des Luftschiffs wohl zeitweise um die Hälfte steigern oder mindern, im Mittel jedoch vermochte man in der Stunde siebenhundert Kilometer zurückzulegen. Auf diese Weise konnte man vom Nordpol nach Berlin in sechs Stunden gelangen.

Als die Lichtdepesche über das Gelingen dieser Probefahrten nach dem Mars gelangte, bewilligte der Zentralrat die Mittel zum Bau von hundertvierundvierzig Erd-Luftschiffen, welche bis zum nächsten Erd-Nordfrühjahr fertigzustellen seien

Es war noch früh am Tage, und Saltner wollte sich eben von seinem Posten, auf dem er vergeblich nach der Rückkehr des Luftschiffes ausgeschaut hatte, nach dem Dach der Insel begeben, um Grunthe bei der Arbeit am Ballon zu helfen, als er in das Sprechzimmer gerufen wurde.

Dort erwartete ihn La. Der kühle Ernst, welchen sie gestern gezeigt hatte, die fremde Haltung war verschwunden. Mit einem Lächeln auf den Lippen, in der ganzen hinreißenden Anmut ihres Wesens schwebte sie ihm entgegen und begrüßte ihn mit einer Zärtlichkeit, die ihn wehrlos machte. Sie zog ihn neben sich auf einen Sitz und sagte, seine Hand haltend:

»Sei nur nicht gar so verwundert, Sal, heute ist wieder mein Tag, und was gestern war, geht uns nichts an. Oder hast du schon vergessen?«

»Wie könnte ich! Aber ich begreife nur nicht«

»Aber liebster Freund, das ist doch ganz einfach! Haben wir uns lieb?«

»La!«

»Und hab ich dir nicht schon gesagt, Liebe darf nicht unfrei machen? Und hast du nicht auch Se lieb?«

»Ich bitte dich.«

»Ich weiß es, und es ist ein Glück, sonst dürften wir uns so nicht sehen.«

»Was ihr für seltsame Sitten habt!«

»Können wir uns gehören für immer? Kannst du dauernd auf dem Mars leben oder ich auf der Erde? Oder irgendwo zwischen den Planeten? Und was hat das überhaupt mit der Liebe zu tun? Das sind ganz andere Fragen. Wir aber wollen uns der Schönheit freuen und des Glücks, das wir im freien Spiel des Gefühles genießen. Liebtest du mich allein, du wärest bald unfrei, über dich herrschte die Leidenschaft, der das Herzeleid folgt, und ich müßte mich dir entziehen. Wohl gibt es ein Glück zwischen Mann und Frau, das kein Spiel ist, sondern Ernst; doch davor stehen viele Prüfungen, und ob es möglich ist zwischen Nume und Mensch, das weiß noch niemand. Und damit wir nicht vergessen, daß Liebe ein Spiel ist, dürfen wir nicht ganz allein es führen, und doch allein, wann wir wollen. Und nun zerbrich dir nicht den törichten Kopf! Ich habe dir etwas Ernstes zu sagen.«

»Noch etwas Ernsteres? Ich werde Mühe haben, mich in das eine zu finden. Aber es ist wahr, allgemeineres dürfen wir nicht über unserem Spiel vergessen.«

»Ich glaube, du verstehst mich noch immer nicht Spiel heißt doch Kunstwerk, ein Trauerspiel ist auch ein Spiel, nur daß man nicht selbst dabei umkommt, sondern der Held, mit dem man fühlt. Und den Wert unseres Gefühls setzen wir nicht herab, nein, wir machen ihn reiner und höher, wenn wir ihn in die Freiheit des Spiels, in das Reich des selbstgeschaffenen schönen Scheines erheben. Du Tor! Ist dieser Kuß ein Schein? Nein, Schein ist nur, daß ich damit die Freiheit meines Selbst verliere. Und nun höre! Du kommst mit uns auf den Mars, damit du endlich einmal verständig wirst.«

»Sprichst du so als meine geliebte La? Dann muß ich dir zeigen, daß ich dein gelehriger Schüler bin, indem ich meine Freiheit bewahre. Du weißt, warum ich nicht mit euch kommen kann.«

»Ich weiß es, und du bist brav, und ich hab dich darum nur lieber. Ihr wart gestern Männer. Aber wenn wir nun die Bedingung erfüllen, daß ihr eure Nachrichten überbringen könnt, wenn wir einem von euch die Mittel zur Heimkehr verschaffen, will dann nicht der andere mit uns kommen?«

»Und wer soll der andere sein?«

»Das wird sich ja finden. Doch im Ernst, ich bin beauftragt, bei euch anzufragen, ob ihr darauf eingehen wollt. Sobald sich einer von euch beiden bereiterklärt, nach dem Mars mitzugehen, schaffen wir den andern sofort in seine Heimat.«

»Merkwürdig! Und ich wollte euch heute denselben Vorschlag machen. Es hat sich gezeigt, daß der Ballon nur eine Person wird tragen können, das muß natürlich Grunthe sein. Wollt ihr uns eure Hilfe leihen, den Ballon herzustellen, so daß Grunthe abreisen kann, so bin ich bereit, mit euch nach dem Mars zu gehen.«

»Das ist herrlich, liebster Freund, dafür muß ich dir danken. Und wegen des Ballons mache dir keine Sorge wir haben einen sichereren Weg nach Deutschland«

»Das Luftschiff?«

»Ihr habt gelauscht?«

»Gesehen. Und damit wollt Ihr uns aber dann könnte ich ja auch mit zurück?«

»Nein, das ist Bedingung. Du mußt mit uns kommen«

»Ach, La, ich sträube mich ja nicht.«

»So komm, wir wollen mit Ra und deinem Freund sprechen.«

»Aber zuvor dürfen wir wohl noch ein wenig hier plaudern?«

*

Es war sieben Uhr, zwei Stunden nach Feierabend, als das Luftschiff von seiner Fahrt zurückkehrte. Nachdem Ill den erstatteten Bericht mit großer Zufriedenheit entgegengenommen hatte, wurde das Schiff sofort zu einer neuen Fernfahrt in Bereitschaft gesetzt.

Grunthe und Saltner hatten sich bereits in ihre Zimmer zurückgezogen, als das Schiff ankam, und daher nichts mehr von demselben bemerkt. In einer Unterredung mit Ill und Ra hatte Grunthe eingewilligt, die Fahrt auf dem Luftschiff der Martier anzutreten. Er bereitete sich darauf vor, indem er alle Gegenstände zusammenpackte, die er mitzunehmen wünschte. Man hatte ihm Gepäck im Gewicht von einem Zentner bewilligt, und außer seinen Büchern und Instrumenten packte er noch eine Anzahl Kleinigkeiten ein, welche seinen Landsleuten die Industrie der Martier verdeutlichen sollten. Darauf legte er sich zur Ruhe.

Am folgenden Morgen, am zweiten Tag nach der Beratung mit den Martiern, hatten Grunthe und Saltner eben ihr Frühstück beendet, und Saltner hatte sich nach dem Sprechzimmer begeben, als Hil bei Grunthe eintrat. Dieser war damit beschäftigt, seine Effekten auf einen Platz zusammenzustellen.

»Das ist Ihr Gepäck?« fragte Hil. »Wünschen Sie sonst noch etwas mitzunehmen?«

»Nichts weiter es ist alles vollständig und wird das Gewicht von einem Zentner nicht überschreiten.«

»So sind Sie also reisefertig?«

»Ganz und gar Sie sehen, ich bin sogar schon in meinem Reiseanzug, und da liegt mein Pelz. Wann soll die Fahrt beginnen?«

»Sehr bald, vielleicht schon in dieser Stunde. Haben Sie Ihrem Freund noch etwas mitzuteilen?«

»Nein, wir haben uns hinreichend ausgesprochen, hier sind seine Briefe und Tagebücher für die Heimat.«

»Sie wären also bereit, sogleich aufzubrechen?«

»Ich bin bereit.«

Hil trat dicht an ihn heran und faßte seine Hände, als wollte er sich verabschieden. Dabei sah er ihm fest in die Augen. Grunthe fühlte sich von diesem Blick eigentümlich betroffen. Er konnte die Augen nicht fortwenden, und doch begann die Umgebung vor seinen Blicken zu verschwimmen. Er sah nur noch die großen, glänzenden Pupillen des Arztes.

Dieser legte ihm jetzt langsam die Hände auf die Stirn und sagte bedeutsam:

»Sie schlafen!«

Grunthe stand starr, bewußtlos, mit offenen Augen. Hil drückte leise seine Augenlider herab und winkte mit dem Kopf rückwärts. Zehn Martier, die sich bereitgehalten hatten, traten ein. Sechs von ihnen nahmen Grunthe behutsam in die Arme, legten ihn auf ein Tragbett und schafften ihn aus dem Zimmer. Die vier andern folgten mit dem Gepäck. Grunthe wurde in das Luftschiff gebracht und sorgfältig in seinen Pelz gehüllt. Das Rohr des Sauerstoffbehälters wurde in seinen Mund geführt.

Wenige Minuten darauf erhob sich das Luftschiff senkrecht in die Höhe. Nachdem es tausend Meter gestiegen war, schlossen sich die seitlichen Öffnungen. Der Reaktionsapparat spielte. Schräg aufwärts schoß es in der Richtung des zehnten Meridians nach Süden.

Ra begab sich zu Saltner in das Sprechzimmer und sagte:

»Wundern Sie sich nicht, daß Sie Ihren Freund nicht mehr vorfinden werden. Ich hoffe, daß wir Ihnen bald die Nachricht seiner glücklichen Ankunft in der Heimat melden können. Wir hielten es für notwendig, die Abreise zu beschleunigen.«

Saltner sprang an das Fenster. Fern am Horizont leuchtete ein schwaches Dampfwölkchen auf, um alsbald zu verschwinden.

Er war jetzt der einzige Europäer am Nordpol.

Se trat zu ihm.

»Seien Sie guten Muts, lieber Freund«, sagte sie. »Morgen geht unser Raumschiff nach dem Nu!«


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