Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(1908 ?)
Wir hatten uns nach dem Abendessen um den runden Tisch in der gemütlichen Ecke gesetzt, und der Professor Alander bot mir seine Zigarren an, während unsere Frauen ihre Handarbeiten auswickelten.
»Und was würden Sie wählen?« sagte er, das Gespräch fortsetzend, zu meiner Frau, »die Tarnkappe oder den Mantel des Doktor Faust oder den unerschöpflichen Beutel Fortunats oder den Apfel vom Baum des Lebens oder –«
»Den Mantel natürlich, den Mantel«, rief meine Frau. »Dann könnte man doch einmal sich satt reisen –«
»Und zu den Mahlzeiten wieder zu Hause sein«, fiel Alanders junge Frau lächelnd ein. »Das wäre ja ganz nach deinem Geschmack, Georg.«
»Still!« drohte Alander. »Du nimmst dir doch die Tarnkappe – überall dabeisein und unsichtbar zuschauen, das ist so etwas für unsere Frauen. Und Sie« – wendete er sich zu mir –, »als Hypochonder, mit dem gefährlichen Druck bald rechts und bald links, bekommen den heilsamen Apfel, da bleibt für mich das große Portemonnaie, und das ist mir gerade recht.«
»Ihre Aufzählung von Zauber-Requisiten war sehr unvollständig«, entgegnete ich. »Mit diesen beschränkten Qualitäten bin ich nicht zufrieden. Wenn ich einmal in den Hexenschatz greifen könnte, so wählte ich irgendein Mittel, wodurch mir jeder Wunsch erfüllt würde –«
»Um Himmels willen, was würden Sie da für Unfug anrichten«, unterbrach mich Frau Alander und rückte ein Stück zur Seite; »dann sitze ich nicht mehr neben Ihnen –«
»Dann würde ich mir's eben wünschen müssen«, sagte ich und hob ihr das herabgefallene Zwirnknäuel auf. »Und das Knäuel –«
»Ließen Sie natürlich liegen –«
»Und wärst der unglücklichste Mensch der Welt, dem jede Laune erfüllt wird und der keine Wünsche mehr hat«, bemerkte meine Frau.
»Das sehe ich nicht ein. Denn erstens könnte ich ja jede etwaige Torheit wiedergutmachen, und zweitens –«
»Könnten Sie sich ja vorher den nötigen Verstand wünschen«, meinte Alander trocken.
»Erlauben Sie«, sagte ich. »Ich meine das Ding nicht so, daß jeder flüchtige Gedanke mir gleich zur Tat werden sollte; nein, ich würde mir einen Apparat wählen, der erst nach einer gewissen Überlegung benützt werden kann, der mir etwa einen gewaltigen, aber doch nicht allmächtigen Geist dienstbar machte – dadurch schon wäre eine wohltätige Einschränkung gegeben –, ich will einmal sagen, Aladins Wunderlampe.«
»Und dann?« fragte unsere liebenswürdige Wirtin.
»Dann stellte ich Ihnen meinen Geist zur Verfügung.«
»Sie meinen hoffentlich den Geist der Lampe. Gut, so wollen wir uns einen hübschen Wunsch überlegen.«
Alander lächelte still und nahm von seinem Schreibtisch einen Gegenstand, den er auf den Tisch stellte. Es war eine kleine antike Lampe von Kupfer mit seltsamen Verzierungen.
»Die Lampe ist da«, sagte er, »ich bitte um den Geist.«
»Was haben Sie da für ein seltenes Stück?« rief meine Frau, nach der Lampe greifend. »Das habe ich ja noch nie bei Ihnen gesehen.«
»Es ist heute erst für das Museum zum Kauf angeboten; ich hatte selbst noch nicht Zeit zur näheren Untersuchung.«
»Und woher stammt die Lampe?«
»Man hat sie im Tigris gefunden, daran ist kein Zweifel, die Belege sind sicher.«
Wir betrachteten die Lampe, die meine Frau in der Hand hielt.
»Im Tigris gefunden?« sagte sie. »Daran lag ja doch wohl Bagdad, und in Bagdad –«
»Stand Aladins Palast.«
»Aber die Lampe ist offenbar viel älter und nicht arabischen Ursprungs.«
»Das beweist nichts«, sagte ich. »Aladin entnahm die Lampe bekanntlich im Auftrage des afrikanischen Zauberers einem unterirdischen Gemache, wo sie vielleicht schon viele Jahrhunderte gebrannt hatte.«
»Na, da wollen wir doch gleich einmal daran reiben!« rief Alanders lebhaftes Frauchen und griff nach der Lampe.
»Was fällt dir ein, Helene!« unterbrach sie der Professor entrüstet. »Die schöne Patina! Du würdest die ganze Lampe entwerten!«
Frau Alander warf das Köpfchen in die Höhe und griff wieder nach der Arbeit. »Was nützt mir Aladins Wunderlampe, wenn man sie nicht reiben darf!«
Ich hob das Zwirnknäuel zum zweitenmal auf und wollte eben noch ein Wort zugunsten des Reibungsversuches einlegen, als meine Frau ausrief:
»Aber da unten steht eine Inschrift, sehen Sie!«
Wir fuhren wieder auf die Lampe zu.
»Es ist arabisch«, sagte der Professor. Er holte eine Lupe und zündete ein Licht an.
»Wenn es doch Aladins Lampe wäre!« rief Frau Alander. »Dann wird sie gerieben trotz Patina!«
Sie klopfte energisch mit der Häkelnadel auf den Tisch.
Das Knäuel fiel hinab.
»Ist der Geist sehr schrecklich, wenn er erscheint?«
»Das kommt darauf an, wie stark man reibt«, sagte ich, mich bückend. »Gewöhnlich erscheint er in einer Wolke an der Decke; aber ich kann ihm ja befehlen, gleich unter den Tisch zu kriechen, denn Ihr erster Auftrag würde doch wohl sein, dieses Knäuel ...«
»Würden Sie sich fürchten?« fragte sie meine Frau.
»Aber du tust wahrhaftig«, sagte Alander, über die Inschrift gebeugt, »als wenn es je einen Aladin und einen Sklaven der Lampe gegeben hätte. Man muß doch den Unsinn nicht übertreiben.«
»O bitte«, rief ich, »da sind Sie noch sehr in der Kultur zurück, werter Freund! Es ist wahr, bis vor kurzem hielt man die überlieferten Märchen und Geistergeschichten für Produkte der Volksphantasie und für Erdichtungen, so gut wie die Wundertaten der Heiligen als mythische Ausschmückungen frommer Verehrung galten, oder die Heilungen im Asklepios-Tempel für Schwindel habgieriger Priester. Aber seitdem wir eine transzendentale Psychologie haben, eine Gesellschaft für übersinnliche Experimente und eine Wissenschaft der Mystik, seitdem Hellseher, Geister-Zitationen und Doppelgängerei als unwiderlegbare Tatsachen festgestellt sind, seitdem weiß man auch, daß Menschen wirklich mit ihrem transzendentalen Astralleibe durch die Luft fahren können und daß Asklepios einer Frau den Kopf wieder angeheilt hat, den man ihr abgeschnitten hatte, um einen Wurm bequemer aus dem Leibe ziehen zu können. Alles, was Altertum und Mittelalter von Wunderdingen und Hexereien erzählen, ist fälschlich für Poesie oder Aberglauben gehalten worden; man weiß jetzt, daß es sich um wissenschaftlich erklärbare Tatsachen handelte. Odysseus ist wirklich im Hades gewesen und Dante von Virgil durch die Hölle geführt worden. Der heilige Antonius hat gleichzeitig in Montpellier gepredigt und in seinem Kloster das Halleluja gesungen. So gut wie ein arabischer Scheich den Kalifen durch Verkürzung der Zeitanschauung, indem er ihn den Kopf in einen Eimer Wasser stecken ließ, tatsächlich viele Jahre des Elends zu durchleben zwang, so gut wird auch die Erzählung von Aladins Wunderlampe sich als wahr bestätigen. Man muß sich nur die Mühe geben, die Wirkung und Macht des an die Lampe gebannten Geistes durch die Methode der Transzendental-Psychologie zu erklären.«
Alander richtete sich von seiner Beschäftigung auf; er hatte offenbar den letzten Teil meiner Rede gar nicht mehr gehört. »Seltsam«, sagte er. »Wissen Sie, was hier steht? Ganz deutlich ist zu lesen: ›Aladin aus Bagdad‹; dahinter, ungefähr dem Sinne nach: ›Versuche kein Gläubiger, was Allah hier verborgen!‹«
Wir schwiegen, unwillkürlich betroffen.
»Die Schrift ist alt«, fuhr Alander fort, »im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert eingeritzt. Höchst interessant, wahrscheinlich nur ein Zufall – Aladins hat es in Bagdad Tausende gegeben –, denkbar aber wäre ja eine Beziehung auf das Märchen, und dann läge darin ein Beweis, daß der Ursprung desselben sehr viel älter ist, als die uns vorliegende ägyptische Fassung. Ein Scherz also, den man schon damals sich gemacht – vielleicht der Versuch eines Betrügers, die Lampe als Wunderstückchen an den Mann zu bringen – jedenfalls höchst interessant.«
»So sollten wir doch einmal versuchen –«
»Aber Helene, ich bitte dich!«
»Hier unser Freund behauptet, die Sache ließe sich erklären –«
Alander lachte. »Nun, die Erklärung können wir uns ja einmal anhören. Schießen Sie los, Märchenphilosoph.«
»Zunächst behaupte ich, daß die Geschichte von Aladin und der Wunderlampe kein frei erfundenes Märchen ist, sondern auf einer Tatsache des mystischen Lebens beruht. Natürlich nicht in allen Einzelheiten. An Ausschmückungen mag es nicht fehlen. Aber der Kern der Sache scheint mir dieser. Ein afrikanischer Zauberer, sagt die Erzählung, erfährt von dem Vorhandensein einer Wunderlampe, welche die Eigenschaft hat, daß an ihren Besitz der Gehorsam eines mächtigen Geistes geknüpft ist. Um sie zu erreichen, bedarf er der Hand eines Knaben; durch einen Zufall bleibt der Knabe im Besitze der Lampe und gewinnt dadurch Macht und Reichtum. Im Lichte der Wissenschaft stellt sich die Sache folgendermaßen: Der Zauberer aus Afrika ist ein Mann, welcher Kenntnis der Hieroglyphen besitzt und aus einem aufgefundenen Papyrus das Geheimnis der Lampe erfahren hat. Die Fundamentalfrage ist nun diese: Erstens. Ist es möglich, daß es Geister gibt, welche Dinge auszurichten vermögen, die den uns bekannten Naturgesetzen scheinbar widersprechen? Zweitens. Ist es möglich, daß der Wille dieser Geister an den Besitz eines einfachen Gerätes, wie dieser Lampe, gebunden ist? Ich wende mich zu der ersten Tatsache. Erfahrungsmäßig beglaubigt ist sie durch die Ansicht des Altertums und des Mittelalters im Orient wie Okzident. Zahllose Zeugnisse der Schriftsteller sprechen dafür. Nur die Zweifelsucht des Aufklärungszeitalters hat den materialistisch angehauchten Teil der modernen Welt dazu gebracht, sich auf die bloße sinnliche Erfahrung zu beschränken, jeden übersinnlichen Einfluß zu leugnen. Aber Demokrit, Platon, Aristoteles, Epikur, Seneka, Plinius, Plotin, die Kirchenväter, Avicenna, Albert der Große, Thomas von Aquino, Paracelsus, Luther, Cardano, Kepler, Helmont, Swedenborg, Schopenhauer und Carlos v. Prellheim, die größten Geister aller Zeiten, sind von der Wirkungsmacht der übersinnlichen Welt überzeugt gewesen. Die Tatsache ist also erwiesen. Auf Grund der übersinnlichen Weltanschauung ist sie unschwer zu erklären. Es wäre lächerlich, zu behaupten, daß es nicht außerhalb der Menschheit noch andere bewußte Geister geben sollte, die aber, mit anderen Sinnen ausgerüstet, nur bedingungsweise mit uns in Verkehr treten können. Solche Geister sind unabhängig, zwar nicht von den Gesetzen der Natur, aber von der Art, wie diese Gesetze unseren Sinnen in der Erfahrung erscheinen. Sie können also Wirkungsmittel zu ihrer Verfügung haben, die uns noch vollständig unbekannt sind, denen wir gegenüberstehen wie die Wilden dem Fernrohr, der Dampfmaschine, dem Telefon. So gut wie wir Schallschwingungen durch Umwandlung in elektrische Energie an einen entfernten Ort versetzen, könnten sie beliebige Materien von einem Ort an den andern übertragen. Denn was wir Stoff nennen, ist nichts anderes als eine besondere Form der Äther-Energie. Hier dieser Körper, dieses Metall, dieser Muskel, dieser Nerv werden in einer fortgeschrittenen Zukunft in elektrische Schwingungen umgewandelt und fortgeleitet werden, so daß sie an einem beliebigen Orte wieder zum Vorschein kommen. Diese Geister können bereits jetzt, was wir in Jahrtausenden selbst können werden. Was tut denn der Geist der Lampe? Er bringt Speisen, Schätze, Sklaven, er versetzt den Bräutigam der Kalifentochter in der Brautnacht an einen nicht näher zu bezeichnenden Ort, wo er ihn auf den Kopf stellt; er erbaut in einer Nacht einen Palast und translociert ihn nach Afrika und zurück. Das alles läßt sich wissenschaftlich erklären durch das einfache Prinzip der Telephorie der Materie. Dieses Prinzip erscheint uns nur wunderbar, weil es noch ungewohnt ist; aber neu ist ja nur die Geschwindigkeit der Übertragung. Auch wir bauen Paläste und verrücken Stadtviertel; daß der Geist in kurzer Zeit durch große Distanzen wirkt, ist nur ein quantitativer Unterschied. Dafür steht er auf einem höheren Kulturstandpunkte. Dies erklärt auch, daß er Menschen zu versetzen vermag. Er ist mit der Abtrennung des transzendentalen Bewußtseins vertraut und organisiert schnell einen zweiten Körper, das Phantom, welches er an einem andern Orte erscheinen läßt. Dieses Verfahren ist unter dem Namen Majava-Rupa in Indien seit den ältesten Zeiten bekannt. Die Möglichkeit der scheinbaren Zaubereien des Geistes ist also erwiesen.«
»Aber –«
»Bitte. Schwieriger ist die zweite Frage. Woher stammt der Geist, und wie kann sein Wille an den Besitz der Lampe gebunden sein? Ich muß gestehen, ich bin zu sehr Neuling in der Transzendental-Psychologie, um mit Sicherheit das Richtige zu treffen; andere werden bessere Erklärungen geben können. Ich denke mir die Sache folgendermaßen: Die Individuen des Geisterreiches bilden eine ethische Gemeinschaft; es wird daher auch die Notwendigkeit einer Bestrafung eintreten können. So wie sich das transzendentale Ich einen menschlichen Körper organisiert, um seine Erfahrung durch die irdische Inkarnation zu erweitern, und währenddessen an die Gesetze des sinnlichen Organismus gebunden ist, so wird ein ethisch unreifer Geist auch zur Strafe an ein Kunstprodukt, einen Ring, eine Lampe gefesselt werden können. Denn Gerätschaften sind Organ-Projektionen; das heißt nichts anderes als Organisationen zweiter Ordnung; daher ist die Strafe für den Geist eine härtere. Außer seinem Astralleib hat er jetzt nicht, wie wir, einen Eiweißleib, sondern einen Metalleib. Das Reiben der Lampe entspricht genau dem sogenannten magnetischen Streichen beim Hypnotisieren. Das transzendentale Bewußtsein wird dadurch frei, sein Wille aber ist von dem des Magnetiseurs abhängig. Ich erinnere an die bekannten Erscheinungen der Suggestion, wobei man dem Hypnotisierten jede beliebige Vorstellung beibringen und ihn zu jeder Handlung bestimmen kann. Es wäre ein Mangel an logischer Konsequenz, wollte man nicht auch dem an die Lampe gebundenen Transzendental-Bewußtsein die Fähigkeit zusprechen, durch Streichen von seinem Leibe befreit zu werden; es ist dann ganz selbstverständlich, daß der Hypnotiseur der Lampe den Geist nach seinem eigenen Willen lenken kann. Ich erkläre also mit voller Bestimmtheit und aus meiner wissenschaftlichen Überzeugung: Aladins Sklave der Lampe hat existiert und seine erstaunlichen Taten verrichtet. Wenn seine Strafzeit nicht schon beendet, so ist er noch jetzt an die Lampe gebunden. Und wenn diese Lampe vor uns, wie mir zweifellos scheint, die echte Lampe Aladins ist, so bin ich bereit, empirisch zu erweisen, daß der Geist auch mir gehorchen muß.«
»Sehr schön demonstriert!« rief Alander belustigt. »Das könnte wörtlich in der ›Sphinx‹ stehen. Wenn ich nur sicher wäre, daß mir der Geist auch die abgeriebene Patina wieder ›reorganisieren‹ kann.«
»Schade«, sagte meine Frau, »es war mir so nett zu denken, daß dies die Lampe Aladins sei. Aber nachdem du die Sache philosophisch bewiesen hast, bin ich überzeugt, daß kein Wort davon wahr ist.«
»Das tut mir leid. Dir fehlt das Organ des wissenschaftlichen Glaubens. Aber Sie, Frau Alander, Sie sind ein Sonntagskind, Sie werden an dem Geiste der Lampe nicht zweifeln.«
»Wissen Sie«, sagte Frau Alander, »wenn ich ganz offen sein soll, Ihre gelehrte Rede habe ich noch nicht ganz verstanden; die müßte ich erst einmal gedruckt lesen. Ich sage ganz einfach, wenn die Geschichte wahr wäre, so hätte der Zauberer die Lampe sich selber geholt und wäre nicht erst auf Aladin verfallen.«
»O weh! Ich glaube, ich hätte so schön populär gesprochen! Ihr Einwand ist übrigens gar nicht stichhaltig, denn bei allen mystischen Operationen bedarf es erfahrungsgemäß eines Mediums, und jedenfalls hatte sich der Zauberer überzeugt, daß Aladin dazu geeignet sei. Auch das Anzünden von Räucherwerk auf der Steinplatte vor dem Eingange spricht dafür, daß Aladin in somnambulem Zustande handelte. Wie hätte er auch sonst drei Tage zu hungern vermocht?«
»Was ist aber aus der Lampe nach Aladins Tode geworden?«
»Er wird sie vorher selbst, um Mißbrauch zu verhüten, in den Tigris geworfen haben.«
»Und wie erklären Sie denn überhaupt die Existenz des unterirdischen Gewölbes und die Aufstellung der Lampe daselbst?« fragte Alander.
Diese Frage setzte mich etwas in Verlegenheit. Ich hob daher erst zum sechsten Male das Zwirnknäuel meiner fleißigen Nachbarin auf und sagte dann:
»Ich könnte mich darauf berufen, daß wir hier eine historische Tatsache einfach hinzunehmen haben. Aber auch vom theoretischen Standpunkte ist doch klar: So gut wie eine Pflanze zu ihrer Entwicklung einen geeigneten Nährboden haben muß, so gut wie ein transzendentaler Geist nicht aus der freien Luft sich seinen Körper organisieren kann, sondern des Mutterschoßes bedarf, ebensogut kann auch der Metalleib des Lampengeistes nur in der geeigneten Umgebung erzeugt werden. Vermutlich befand sich dort eine transzendentale Goldschmiede, wofür auch das Vorhandensein der Edelsteinfrüchte spricht. Der ägyptische Papyrus, aus welchem der sogenannte Zauberer seine Kenntnis entnahm, war vielleicht eine durch Hellsehen hergestellte geologische Karte des Altertums.«
»Sie sind nicht zu widerlegen.« Alander lachte, noch immer ungläubig. »Ich will also hier diese schon etwas beschädigte Stelle Ihrem Experimente preisgeben. Nun bin ich doch neugierig, wie Sie den Geist hervorzaubern werden.«
»Das ist brav! Das ist herrlich!« riefen die Frauen wie aus einem Munde.
Ich stellte die Lampe vor mich auf den Tisch. Feierlich näherte ich ihr meine Hand. Alle verhielten sich still. Es wurde mir doch etwas ängstlich zumute. Ist's nicht ein Frevel, das Jenseits zu versuchen, den Isis-Schleier des Geisterreichs zu lüften? Und setzte ich nicht die Anwesenden einer unbekannten Gefahr aus? Aber es galt, eine wissenschaftliche Theorie zu bestätigen, es mußte sein! Und wenn der Versuch mißlang? Wenn der Geist seine Strafzeit abgebüßt und seine leere Hülle zurückgelassen hatte? So war doch wenigstens dies konstatiert. Ich sah die Augen der Frauen erwartungsvoll auf die Lampe gerichtet. Auch ihnen war es unheimlich. Nur Alander rauchte unerschütterlich.
»Nicht zu stark«, flüsterte seine Frau.
Ich strich mit dem Finger leise über die Lampe, zwei-, dreimal; ich verstärkte den Druck. Ich nahm die ganze Hand zu Hilfe. Der Geist erschien nicht.
»Meine Patina!« rief Alander.
»Sie haben die Sitzung unterbrochen! Gedulden Sie sich noch!«
»Vielleicht muß sie angezündet sein«, bemerkte meine Frau.
»Davon steht nichts in der Geschichte. Aber vielleicht muß man sie in der Hand halten.«
»Geben Sie her«, rief Frau Alander, die wieder Mut bekommen hatte. »Ich will einmal tüchtig scheuern, wie Aladins Mutter!«
»Nicht Sie!«
Schnell ergriff ich die Lampe, zumal sich auch Alander ihrer bemächtigen wollte. Ich hielt sie in der Linken und fuhr rasch ein paarmal mit der Rechten darüber.
»Hören Sie nichts?«
»Nein.« – »Ja.« – »Doch.«
Kein Zweifel, aus der Lampe drang ein knarrendes Geräusch.
»Der Geist scheint eingerostet«, spottete Alander.
»Pst! Ruhig! Eine Stimme tönt aus der Lampe!«
Es wurde mäuschenstill im Zimmer. Wir wagten nicht zu atmen. Das Blut stockte in unsern Adern. Alander beugte sich weit vor.
»Der Kerl spricht arabisch«, sagte er.
»Geist der Lampe, sprich deutsch!« rief ich feierlich.
Leise, aber deutlich vernehmbar klang es aus der Lampe: »Ich bin der Sklave der Lampe und bereit zu gehorchen allen, welche Herren der Lampe sind.«
»Wo bist du, Geist?«
»In der Lampe.«
»Warum zeigst du dich nicht?«
»Ich darf nicht. Sobald ich mich für alle menschlichen Sinne im Raume objektiviere, bin ich den Gesetzen der Natur und der Gesellschaft unterworfen, welche zur Zeit gelten. Da es im modernen Staate keine Sklaverei gibt, so würde ich nach meiner Inkarnation frei sein. Es ist mir daher geboten, mich nur akustisch zu materialisieren.«
»Wie? So schreitet auch das Geisterreich fort?«
»Auch wir sind dem Gesetze der Entwicklung durch Anpassung unterworfen.«
»Und kannst du noch meine Befehle erfüllen?«
»Alles, was du befiehlst, kann ich tun, soweit es nicht den Naturgesetzen widerspricht.«
»So wünschen Sie«, sagte ich leise.
Die Frauen schwiegen und sahen sich an. Alander kam ihnen zuvor.
»Hören Sie, Ihr Geist scheint mir bedenklich zivilisiert. Wir wollen gleich sehen, ob er echt ist. Lassen Sie ihn doch einmal dreihunderttausend Mark in Gold auf den Tisch legen.«
»Sklave der Lampe«, rief ich, »bringe dreihunderttausend Mark in Gold!«
»Das kann ich nicht, Herr«, erwiderte der Geist, »das widerspricht den Gesetzen.«
»Wieso?«
»Alles gemünzte Gold gehört irgendwem als Eigentum. Ich darf es niemand wegnehmen.«
»So schaffe ungemünztes!«
»Das kann ich nicht, das wäre gegen das Gesetz von der unveränderlichen Erhaltung des Stoffes.«
»Hole es aus der Erde!«
»Das kann ich nicht. Dazu bedarf es mehr mechanischer Arbeit, als in meinem gegenwärtigen Körper angehäuft ist. Das wäre gegen den Satz von der Erhaltung der Energie.«
»Elender Sklave«, rief ich, »warum konntest du es Aladin bringen?«
»Damals wußte man noch nichts von der Erhaltung des Stoffes und der Energie.«
»Wie, du willst doch nicht behaupten, daß diese Naturgesetze damals nicht in Geltung waren?«
»Die Naturgesetze«, antwortete der Geist, »sind nichts anderes als der Ausdruck des wissenschaftlichen Bewußtseins einer bestimmten Zeit. In meinem transzendentalen Bewußtsein bin ich davon unabhängig; aber in meiner Tätigkeit in der Zeit, in eurer Zeit, darf ich die Bedingungen nicht durchbrechen, welche die Grundpfeiler der modernen Kultur sind. Wir können zu der unkritischen Weltanschauung einer entschwundenen Epoche nicht zurückkehren.«
»Ihr Geist ist doch ein braver Kerl«, sagte Alander. »Er ist zehnmal gescheiter als ihr Transzendental-Psychologen. Fragen Sie ihn einmal nach etwas, was die Zukunft erst entdecken wird.«
»Sklave der Lampe, worauf beruht die Schwerkraft der Körper?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Es wäre gegen das Gesetz der kontinuierlichen Entwicklung der mathematischen Naturwissenschaften, wenn es heute ein Mensch schon wüßte.«
»Ein verteufelter Schlaukopf! Lassen Sie ihn laufen!«
»Nicht doch«, riefen die Frauen, »wir wollen auch etwas wünschen!«
»Ich bitte darum«, sagte ich ziemlich deprimiert, »wenn es nur etwas nützt!«
»Sag ihm, er solle uns jetzt alle vier an den Golf von Neapel versetzen.«
»Du hörst, Sklave, was meine Frau befiehlt – gehorche!«
»O Herr, das ist gegen die Gesetze der Mechanik!«
»So bringe uns in somnambulen Zustand und führe unsere Astralleiber dahin!«
»Früher konnte ich alles tun, weil man alles für möglich hielt. Jetzt kann ich den Astralleib nur bei solchen Menschen abtrennen, welche dazu nervös disponiert sind. Von den geehrten Anwesenden ist aber niemand mediumistisch veranlagt.«
Meine Frau zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich dachte mir schon, daß es wieder nichts sein würde. Ich soll nicht nach Italien kommen!«
Ich war innerlich wütend über den degenerierten Geist und wünschte die Lampe niemals angerührt zu haben. Ich seufzte.
Alander rieb sich schmunzelnd die Hände und sagte: »Der Geist scheint Ihnen schlecht zu bekommen. Sie sehen schon ganz schwach aus; hätten Sie nur lieber den Apfel des Lebens gewählt! Nun, Helene, jetzt bist du an der Reihe, vielleicht gelingt dir's besser.«
Frau Alander stützte den Arm auf den Tisch und zupfte nachdenklich an ihren Stirnlöckchen.
»Ich weiß gar nicht, was ich mir wünschen soll«, sagte sie. »Nach Italien kann uns der Geist nicht bringen, aber er wird uns noch halbtot ärgern. Kann er uns vielleicht ein Universalmittel verschaffen?«
»Sklave, bring ein Lebenselixier!«
»Herr, das gibt es nicht. Heutzutage hat man nur Spezialisten.«
»Wünschen Sie etwas anderes, Frau Professor? Ich bedaure sehr –«
»Je nun«, sagte sie und griff wieder nach ihrer Handarbeit, »ich bin eigentlich ganz zufrieden und brauche im Augenblick weiter nichts.«
Das Zwirnknäuel fiel unter den Tisch.
»Ei«, rief meine Nachbarin weiter, »so wünschte ich doch, daß das Knäuel nicht mehr hinunterfallen kann!«
»Sklave«, sagte ich, »du hast gehört, gehorche!«
»Herr«, antwortete der Geist kläglich, »ich kann es nicht bewirken, es wäre gegen die Fallgesetze Galileis und gegen die Naturgeschichte der weiblichen Handarbeiten.«
»Zum Teufel«, rief ich ärgerlich, »was kannst du eigentlich, fauler Bursche?«
»Alles, was nicht gegen ein Gesetz verstößt, das durch das Bewußtsein der Zeit verbürgt ist. Aber mir ist bestimmt, ich solle erlöst sein, sobald mein Herr keinen Wunsch mehr zu nennen weiß, bei dessen Gewährung ich nicht durch mein Eingreifen den Kausalzusammenhang der Welt zerstören würde.«
»Nun denn«, sagte ich resigniert, »so hebe wenigstens das Knäuel auf, das wird ja doch wohl gegen kein Gesetz verstoßen.«
»Verzeiht mir, Herr, auch das ist mir nicht möglich.«
»Und warum nicht?«
»Nach den Gesetzen des Universums, deren Notwendigkeit die moderne Wissenschaft voraussetzt, ist deinen Muskeln bestimmt, heute abend durch Beugen deines Rumpfes neunhundertsechzehn-Komma-elf Meter-Kilogramm Arbeit zu leisten. Wenn ich dir hiervon auch nur fünf Prozent abnähme, so würde ein Überschuß an Energie in dir aufgespeichert werden, welcher sich in Gehirntätigkeit umsetzen und einen transzendental-psychologischen Artikel erzeugen würde; denn hierzu genügt schon ein Minimum von Energie. Dadurch würden zwar sechsundzwanzig Leser veranlaßt werden, das betreffende Blatt abzubestellen; einer aber würde es so eifrig lesen, daß er, dabei einschlafend, dem Lichte zu nahe käme. Es entstünde ein Hausbrand, welcher sich einem ganzen Stadtviertel mitteilte; ein Arsenal flöge in die Luft; die Explosion würde den Anziehungsmittelpunkt der Erde um den tausendsten Teil eines Millimeters verschieben; dadurch aber würde die Erde um zwei Millionen Jahre zu früh in die Sonne stürzen. Du siehst also, daß es mir unmöglich ist, das Knäuel aufzuheben.«
»Oh, weiser Geist!« rief ich. »Wir sind deiner nicht wert – du bist entlassen!«
Ich setzte die Lampe auf den Tisch. Ein Lichtschein schoß daraus hervor und verlor sich als leichte Wolke an der Decke. Wenigstens schien es mir so.
Aus der Ferne tönte es leise: »Dank, Dank für die Erlösung nach dreitausendjähriger Haft! Zur transzendentalen Freiheit flieh ich aus dem Zeitalter der Notwendigkeit! Es fällt kein Knäuel vom Tische, dessen Sturz nicht durch das Weltall zittert!«
Ich hob das Knäuel auf und legte es neben die Lampe. Es rollte wieder hinab.
»Sie können sich als Bauchredner hören lassen«, sagte der Professor.
Solche Leute sind nicht zu überzeugen.