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25.

Vor Tagesanbruch noch war König und Königin fort. Mit ihnen Mathias Thurn, Raupowa, Mitzlau. Die schwersten und wichtigsten Wagen waren zurückgeblieben auf dem Altstädter Ringe und ins Rathhaus hineingeschoben worden. Unter ihnen derjenige, welcher die Krone und die Reichskleinodien verbarg.

Ein grauer Novembertag stieg über Prag herauf. Der Feind lag dicht an den Mauern, dicht vor den Thoren. Wallonen kletterten sogar daran empor, um ein gutes Stück Stadtbrot zu verlangen. Niemand wehrte; die böhmischen Truppen campirten aufgelöst in der Alt- und Neustadt; die Kleinseite war leer.

Die Deputation, Popel von Lobkowiz an der Spitze, hatte um drei Tage Bedenkzeit in Betreff der Uebergabe gebeten. Herzog Maximilian hatte erwidert: Nicht drei Stunden!

So wurde denn das Strahower Thor geöffnet, und die katholische Macht rückte ein, mit ihr eine Anzahl Jesuiten. Maximilian ritt nach dem Hradschin. An der Kapuzinerkirche stieg er ab und betete. Von den katholischen und lutherischen Kirchen läuteten die Glocken; von den lutherischen zuerst.

Einen Tag lang waren die Prager Städte in zwei verschiedenen Händen; denn am rechten Moldauufer lagerten noch die Reste des böhmischen Heeres. Sie wurden aufgefordert, in kaiserlichen Sold zu treten. Ihrerseits verlangten sie den rückständigen Sold und freien Abzug. Letzterer wurde bewilligt, und so zerstreute sich das böhmische Heer.

Die Wagen aus dem Rathhause wurden nach dem Hradschin gebracht, die Abgeordneten von Ständen und Corporationen pilgerten ebenfalls hinauf, um ihre Unterwerfung auszudrücken. Der Eid wurde geleistet für König Ferdinand – das neue Königreich war ausgelöscht.

Dumpfe Schwüle hing über Prag. Was wird geschehen? Welche Strafe wird verhängt werden? Welche Personen wird sie treffen? Maximilian war nach einer Woche gen München heimgekehrt; nur Tilly war geblieben, und Fürst Carl Liechtenstein war zum Landpfleger eingesetzt.

Tilly verhielt sich freundlich. Unter der Hand rieth er: Diejenigen, welche sich compromittirt, sollten sich aus dem Staube machen, er werde sie nicht hindern!

Auch Tilly zog ab; die Schwüle wurde drückender. Güter der Hauptrebellen wurden mit Beschlag belegt, Notabilitäten unter ihnen, die noch zugegen waren, wurde Wache beigeordnet, ein Hauptmann für jeden Einzelnen. Auch in Budowa's Palais, auch in Loßens Hause erschien ein solcher Hauptmann. Die Wolke schien sich zu entladen. Noch nicht! Es trat eine neue Stille ein. Eines Abends ging der Hauptmann hinweg von Budowa und der von Loß ebenfalls, und – kam nicht wieder, und bald darauf erschien eine Verordnung des Landpflegers: Wer sich schuldig fühle, solle sich selber stellen, um zu hören, was man seiner Handlungen wegen ihm vorhalten und über ihn beschließen werde.

Das klang ja milde und nachsichtig; man glaubte aufathmen zu dürfen.

Um diese Zeit, es war schon tief im Winter, erschien ein expresser reitender Bote von Wien im Hofe bei Loß. Er hatte ein Schreiben eigenhändig an Fräulein Ludmilla zu übergeben. Dies Schreiben war von Isabella Harrach und es lautete folgendermaßen:

»Laßt Euch nicht einschläfern und sage Deinem Vater, er soll sich eiligst in Sicherheit bringen. Waldstein, welcher seit Wochen hier ist, und mein Vater wissen genau, was man vorhat, und erwarten blutige Maßregeln.

Der Kaiser ist seit der Täuschung, welche man dem Pater Dunstan nachsagt, überaus mißtrauisch gegen Alles, was nicht von den Jesuiten gerathen wird. Er verehrt den Provincial Anselmus ungemein und erfährt nicht, daß Pater Euphemius ganz anders handelt, als Pater Anselmus denkt. Pater Euphemius aber und mit ihm Pater Lamormain behaupten, die Staatsraison gebiete durchgreifende Maßregeln, abschreckende Strafen. Wenn solche Rebellion gegen Kirche und König nicht gründlich geahndet werde, so sei die Grundlage von Staat und Kirche preisgegeben.

Der Kaiser wird schweigend zustimmen und jede persönliche Rücksicht von sich weisen, auch wenn sein Herz ihr geneigt sein möchte.

So stehen die Dinge, und mein Vater hat mir vor einer Stunde gesagt, die Schlußsitzung in dieser Capitalfrage finde heute Mittag statt.

Deshalb sende ich diese Zeilen durch einen Expressen. Eilt, eilt!

Sehr gefährlich erweist sich Norbert-Zierotin, welcher die erste Kunde vom Prager Siege hierher gebracht. Er kennt alle Reden und Triebfedern, welche in Prag gewirkt haben, und er soll schonungslos anzeigen. Eilt, eilt!

Morgen ist übrigens meine Hochzeit mit Waldstein. Grüße den Junker Hans von mir, wenn Du ins Reich hinauskommst, und gedenke in Liebe Deiner

Isabella!«

Loß war leidlich hergestellt von seiner Wunde, als dieser Brief kam. Er nickte mit dem Haupte und schickte nach Budowa. Budowa kam und las den Brief. Sie wird wol Recht haben, sagte er, und da Dein Fuß wieder hält, so mach' Dich davon!

– Und Du?

– Ich werde jeden Tag um ein Jahr älter. Mir wird das Flüchten zu sauer, und ich habe gegen einen raschen Tod nicht mehr viel einzuwenden.

– Warum nicht gar! Wer weiß auch, ob man zu raschem Tode käme! Lange Gefangenschaft aber ist ja unerträglich. Ich zieh' ab morgen Früh und zwar über Eger. Du gehst mit. Mein Wagen fährt sich leicht; er hält morgen Früh vor Deinem Hause. Jetzt packen, anordnen, Pferde vorausschicken – behüt' Dich Gott bis morgen Früh!

Dieser Morgen war der des letzten Februar 1621. Als Loß eben aus seinem Zimmer schreiten wollte, traten ihm Bewaffnete entgegen. Er wurde fortgeführt, ohne daß seine Mädchen etwas davon erfuhren. Der Tag graute kaum.

In den Wenzeslausthurm auf dem Hradschin, den sogenannten weißen Thurm, ward er gebracht.

Er fand Gesellschaft, unter ihr Budowa, ja auch Czernin. Armer Czernin, rief Budowa, Du büßest für große Politik Lamormain's. Weil Du Katholik bist, soll die Welt sagen: Ah, es gilt also nicht der Religion, sondern der Rebellion!

Auch Andreas Schlick wurde eingebracht in den weißen Thurm. Er war nach dem Voigtlande geflüchtet gewesen; dort hatte ihn der Kurfürst von Sachsen, Schlick's alter Gönner, aufgreifen und nach Prag ausliefern lassen als einen »Hauptrebellen«. Derselbe Kurfürst von Sachsen, welchen Andreas Schlick durchaus zum Könige von Böhmen hatte haben wollen.

Achtundvierzig waren festgenommen worden. Im weißen Thurme saßen die Cavaliere; die vom kleinen Adel und vom Bürgerstande saßen in den Rathhäusern der drei Prager Städte.

Jedem Angeklagten wurden hundertvierundzwanzig Fragen vorgelegt zur Beantwortung, und man erzählte leise in den Wirthshäusern: Budowa habe auf alle hundertvierundzwanzig Fragen schlagende Antworten gewußt.

Der März genügte zur Beendigung des Processes. Am fünften April wurden durch Herolde von der Hradschinburg die auf Empörung, Landfriedensbruch und Majestätsbeleidigung Angeklagten »aus dem Frieden in den Unfrieden gesetzt. Wonach deren Leiber und Leben männiglich erlaubt, ihr liegendes und fahrendes Vermögen dem königlichen Schatze verfallen sei«.

Der Spruch des Gerichtes lautete gegen sämmtliche Verhaftete auf Hinrichtung.

Dieser Spruch ging nach Wien an den Kaiser.

Prag harrte des Entscheides in fieberhafter Angst.

Am 19. Juni wurden die Verhafteten in jene Kanzleistube geführt, aus welcher vor drei Jahren Martiniz, Slawata und Fabricius Platter aus dem Fenster gestürzt worden waren. Hier ward ihnen die endgiltige Sentenz angekündigt.

Für zwölf Angeklagte wurde die Todesstrafe in lebenslängliches oder zeitweiliges Gefängniß und andere Bußen verwandelt.

Achtundzwanzig Angeklagte verfielen der Hinrichtung. Unter ihnen auch Czernin, weil er am Tage des Fenstersturzes als Schloßhauptmann die Stände in die kaiserliche Burg eingelassen. Ich wiederhole – rief er jetzt – daß ich auf Adam von Sternberg's, des Burggrafen, Geheiß das Thor habe öffnen lassen. Dem Burggrafen war ich in des Königs Abwesenheit verpflichtet. Verdient dies Oeffnen den Tod, so müßte er den Burggrafen treffen.

– Schad' um die Worte, Czernin! Lass' uns auch d'ran kommen! sagte lächelnd Budowa.

Und er kam auch daran, und Loß desgleichen und Andreas Schlick.

Sie wurden in sechs Kutschen hinabgefahren auf das Rathhaus der Altstadt.

*

Hans war an jenem Abende des Abschiedes in die Altstadt hinübergeeilt, um mit seinem Herzoge und dessen noch vorhandenen Truppen die Stadt zu verlassen. Zu seinem Erstaunen hörte er, daß Herzog Johann Ernst den König begleiten wollte. Das stimmte durchaus nicht zu Hansens Anschauungen, welche diesem »Friedrich« keinen Werth beilegten. Der Herzog freilich fühlte sich dem Könige verpflichtet, weil dieser unter Anderem ihn mit der Lausitz belehnen gewollt. Es war ihm ein Act der Treue, dem Flüchtigen zur Seite zu bleiben. Hans dagegen hegte nicht das geringste Verlangen, mit einem Raupowa und Mitzlau in neuen Verkehr zu treten. Er trennte sich also von seinem regierenden Herrn, und schloß sich dessen zwei Brüdern an, Wilhelm und Friedrich, welche ebenfalls die Schlacht mitgefochten, und welche sich jetzt zum Mansfeld nach Pilsen wenden wollten, als dem einzigen protestantischen Feldherrn, der noch ein gesammeltes Heer von zwölftausend Mann zur Verfügung hatte. Es war auch nicht Hansens Absicht, sich dem Mansfeld anzuschließen. Der abenteuerliche, durchaus nicht saubere Charakter dieses Parteigängers flößte ihm kein Vertrauen ein. Aber er wollte seine jungen weimarischen Herren doch auf dem jetzt so mißlichen Wege bis Pilsen begleiten, und wollte von dort in das Eisenacher Ländchen zu Dunstan heimkehren.

Das Schicksal Loßens und Budowa's nur, eine Zeit lang zur Seite gedrängt in ihm durch den Abschied von Ludmilla, lastete schwer auf seinem Herzen. Trübe Ahnungen erfüllten ihn; er kannte ja den Sinn der jesuitischen Machthaber in Wien nur zu genau! Er wußte auch, daß der innere Sinn des böhmischen Aufstandes den Kaiser zu strengen Maßregeln herausfordern, vielleicht nöthigen möge. Sollte denn nicht irgend eine Sicherstellung möglich sein für seine Freunde? Er gebot ja jetzt über außerordentliche Geldmittel, und Geld ist doch sonst ein Hauptschlüssel zu allen Thüren – Conrad, wo ist der Conrad?

Er ward aus einer Schänke herbeigerufen. Mit ihm berieth sich Hans, ob nicht ein zuverlässiger Mann aufzutreiben wäre, der in Prag bliebe für Geld und gute Worte, um bei herandrängendem Nothfalle Hilfe zu leisten, wenigstens Botschaft zu bringen nach Thüringen. –

– Der Racker sitzt da drin in der Schänke, antwortete Conrad, und gegen die Papisten ist er am Ende auch »verläßlich« –

– Wer?

– Unser Kamerad aus der Schranne, der Raschmacher Urban.

– Ruf' ihn!

Urban übernahm Hansens Aufträge, und übernahm auch die Goldstücke dazu, und Hansens Zusage, daß ihm eine zweite Handvoll sicher wäre, wenn er Alles zu gutem Ende führte. Täglich sollte er in Budowa's und Loßens Hause anfragen, und Hans sogleich Botschaft senden, wenn eine Gefahr sich ankündige. Ein Parteimann wie er wußte ja in solchen Dingen Bescheid. Auch Frau Jörger, welche er leider gar nicht gesprochen, band ihm Hans auf die Seele. Sie möge sofort zu ihm nach Thüringen kommen mit dem kranken Gemal, denn jetzt würden auch in Oesterreich Processe und Confiscationen beginnen.

Urban nahm keinen inneren Antheil an diesen Rettungen. Aber in der »Schwerenothszeit«, die er jetzt kommen sah, war eine solche Beschäftigung nebenher, welche jedenfalls die »Götzendiener« ärgerte, nicht ganz zu verachten. Sogleich auszureißen hatte er ohnedies nicht beabsichtigt; die Picarditen und Spuren von ähnlichen Secten in Böhmen hatten ihn bereits gelockt, hier eine Zeit lang fortzuarbeiten im Anzetteln und Wühlen. Uebrigens war er in geschäftlichen Dingen ordentlich und genau; die Aufgabe blieb also in leidlichen Händen.

*

Im März kam denn auch wirklich die trockene Frau Urban zu Hans nach Thüringen gewandert, um ihm anzukündigen, daß ihr Mann jetzt Unrath wittere, und daß die Herren Budowa und Loß jetzt fort sollten. Sie wollten aber Urbans Rathschlägen nicht folgen, der Junker müsse selbst zuthun. Die Frau von Jörger dagegen habe gefolgt, und sei abgereist. Sie werde wol in einigen Tagen beim Herrn Junker eintreffen.

Hans und Dunstan, welche pflanzten und bauten, richteten ihr und dem kranken Freiherrn eine bequeme Wohnung her, und empfingen sie herzlich. Der alte Hamm mit Tochter und Enkelin war längst da und zu Conrads Freude äußerst sauber eingerichtet. In Ermangelung piquanterer Beschäftigung spielte Conrad den Vogt für alle die weit aussehenden Einrichtungen, welche einer großen Colonie zur Ansiedlung dienen sollten. Die Colonie sollte im Kleinen Zdenkos Gedanken verwirklichen, und Frau von Jörger trat mit Eifer in diese neuen praktischen Pläne Dunstans ein, welche wenigstens im Umfange einer Meile das friedliche Leben einer einfachen Kirchengemeinschaft verwirklichen wollten. Hortleder hatte aus Jena einen jungen Geistlichen zu senden versprochen, und es war Alles in gutem Gange – selbst der geknickte Jörger richtete sich ein wenig auf in dem stillen friedlichen Gnadenfrei, auf welches der Thüringerwald mit dem Inselberge und den Wartburghöhen lieblich herniederschaute. Man hoffte das Beste und erwartete auch die Prager Freunde: Frau Urban war mit dringenden Einladungsbriefen von Hans, Dunstan und Frau Amalie zu ihnen nach Prag zurückgewandert.

Man harrte vergeblich. Statt ihrer kam plötzlich die Kunde wie eine schwarze Wolke geflogen über ganz Sachsen: Achtundvierzig Männer sind in Prag in Gefangenschaft gelegt, und ein Halsgericht ist gegen sie eröffnet worden. Andreas Schlick, Budowa, Loß sind unter ihnen.

Jetzt ließ es Hans nicht mehr ruhen. Er wollte nach Prag, wollte helfen. Bei aller Besorgniß für seine eigene Sicherheit widersprachen Dunstan und Frau Jörger doch nur matt. Budowa und Loß irgend eine Hilfe zu bringen war ja auch ihnen Bedürfniß. Und die armen Töchter Ludmilla und Purzel, welche ganz ohne Stütze waren! Hans gestand sich's ehrlich, daß Ludmilla großen Theil hatte an seinem Eifer. Er liebte sie ja doch trotz aller Entsagung, die er sich auferlegt hatte. Und gerade weil die Entsagung fest in ihm beschlossen war, gerade darum wollte er Alles aufbieten zur Rettung ihres Vaters, zur Tröstung und Beruhigung Ludmillas.

Aber wie? Wie?! Einer solchen kriegerischen Macht gegenüber! – Er berieth sich mit Conrad, dem für abenteuerliche Unternehmungen immer bereiten und »findigen« Gesellen. Wenn man 's Geld gar nicht zu schonen braucht, meinte dieser, so wird man mit Papst und Kaiser fertig! Und Geld haben wir ja wie Heu! – Leinwandhändler sollten sie sein, schlug er vor. Böhmische Leinwand sei ein gesuchter Artikel, und recht bürgerlich müsse man jetzt erscheinen, da die Cavaliere die verdächtigste Menschensorte geworden in Böhmen. Einmal in Prag finde man hundert Hände, denn Jedermann knirsche ja dort gegen die Unterjochung. – Gut! sagte Hans, setzen wir Alles daran!

Das Glück war ihnen günstig noch in der letzten Stunde der Abreise mit dem Handelswagen. Der Geistliche kam an, welchen Hortleder zu senden versprochen, und er wußte Rath, wußte trefflichen Rath. Er war ein Sohn jenes Seifert, welcher neben Zdenko in Mähren gewesen. Sein von dort vertriebener Vater war immer in Verbindung mit den böhmischen Ländern geblieben, und so kannte denn auch jetzt der Sohn den beliebtesten lutherischen Prediger an der Nikolaikirche in Prag, den Magister Rosacius Horscholigsken, kurzweg Magister Rosacius geheißen. Er hatte ein Jahr neben dem jungen Seifert in Jena studirt, und sie waren im Briefwechsel miteinander geblieben. An ihn gebe er dem Herrn von Starschädel einen Brief mit. Auf Tod und Leben angeklagte Gefangene – fuhr Seifert fort – verlangen ihren Geistlichen. Andreas Schlick, das weiß ich, kennt den Rosacius, sie stammen beide aus dem Egerlande; Schlick läßt ihn gewiß rufen, und so ist der Weg gebahnt ins Gefängniß selbst. Herr von Starschädel ferner ist theologisch gebildet, er kann im Nothfalle selbst einen lutherischen Geistlichen vorstellen – hier ist meine Reverende, mein Barett, meine Halskrause! –

– Bravo! riefen Alle, und die Reise ward angetreten. Tartsch mußte Kutscher sein, wie verdrossen und ärgerlich er sich auch anstellte dazu, neuerdings in dies widerwärtige Böhmen hinein zu fahren.

Am Morgen des 20. Juni, an einem prächtig sonnenhellen Tage fuhren sie durchs Strahower Thor ein, die bergige Straße der Kleinseite hinunter, um drüben in der Altstadt eine Herberge zu suchen. Da traten ihnen unweit der Brücke Bewaffnete entgegen. Conrad wollte sich sogleich widersetzen. Still! flüsterte Hans. Die Bewaffneten wollten nichts weiter, als daß der Wagen zur Seite fahren und still halten sollte; die Kutschen der gefangenen Cavaliere kamen eben vom Hradschin herunter, die Gasse sollte frei sein für sie, damit sich kein Aufenthalt ergebe und keine Möglichkeit zur Zusammenrottung für das herbeiströmende Volk.

Im Trabe kamen die Kutschen herab; das Volk schrie, die Cavaliere gesticulirten und sprachen aus den Kutschen heraus – man verstand nicht viel. Hans und Conrad erkannten in der einen Kutsche Budowa und Loß, welche als zwei Calviner immer neben einander gehalten wurden. Budowa und Loß erkannten in dem bürgerlich gekleideten Handelsmanne ihren Hans nicht – die Kutschen rollten auf die Brücken hinab.

Es war ein Sonntag. Hans suchte sogleich die Nikolaikirche auf, und fragte nach dem Herrn Magister Rosacius. Er hatte eben gepredigt und ging nach seiner Wohnung. Hans sprach ihn an, ihm Grüße ausrichtend von Pastor Seifert, sich selbst für einen Candidaten ausgebend, und überreichte den Brief Seifert's. Alles ging gut, und es fand sich auch wirklich bereits in der Wohnung des Herrn Magisters die Magistratsperson vor, welche trockenen Tones bestellte: der Herr Magister werde im Altstädter Rathhause erwartet, um die »utraquistischen« – so nannte man die evangelisch-lutherischen – Gefangenen zu trösten vor ihrer morgigen Hinrichtung.

– Morgen? rief Rosacius.

– Morgen schon? rief Hans erbleichend.

– Mit Anbruch des Tages! antwortete der Gerichtsdiener und ging.

Jetzt war für Hans von keinem Umwege, von keiner Vorsicht mehr die Rede. Er enthüllte dem Magister den größten Theil seines Geheimnisses, und beschwor ihn um Mitnahme. Dringende Gefahr, besonders in kirchlicher Gemeinschaftlichkeit, hebt rasch hinweg über Stufen und Bedenken. Rosacius willigte ein, und reichte ihm selbst eine abgetragene Reverende; denn die mitgebrachte war nach der fern gelegenen Herberge gerollt, und es war keine Zeit zu verlieren.

Sie gingen. Unterwegs gestand Hans leise, daß es ihm nicht sowohl um Andreas Schlick, von welchem Seifert gesprochen, sondern um Budowa und Loß zu thun sei. Unglücklicher! rief Rosacius und stand still, Ihr seid doch nicht selbst Calvinist?! – Evangelisch-lutherisch bin ich. Bei uns in Sachsen giebt's keine Calvinisten. – Gott sei Dank! Aber dann wird Euer Gang umsonst sein. Zu den calvinistischen Cavalieren wird schwerlich ein Geistlicher zugelassen werden. Die katholische Behörde erachtet sie für Heiden, und hat denn auch nicht ganz Unrecht. – Versuchen wir's!

Die Wache am Rathhause ließ sie durch, und wies sie eine Stiege hinauf. Sie kamen auf einen langen Vorsaal, auf welchen links und rechts eine Reihe Thüren mündete. Wohl ein Dutzend Bewaffnete schritten auf und ab, wie Wachtposten zu thun pflegen. Sie sahen spöttisch auf die schwarzen Ketzer, und als Rosacius fragte, schrie ein Rottenmeister, der an der Wand auf einer Steinbank saß, mit Commandostimme: Poplosch! Ein baumstarker, sauer aussehender Mann erschien: der Schließer. Hans faßte ihn prüfend ins Auge; denn dieser Poplosch war ihm für die nächsten zwanzig Stunden die wichtigste Person.

– Utraquistisch? fragte Poplosch den Magister Rosacius.

– Ja, antwortete dieser.

– Dann könnt Ihr hier anfangen, hier sitzt der Schlick.

– Und wo sitzt Loß? fragte vorlaut Hans.

– Auch hier – aber was soll das? Wollt Ihr zum Loß? Der kriegt keinen Geistlichen, der ist ein Calviner. Seid Ihr auch Calviner?

– Nein – erwiderte Hans – bin Utraquist. Aber es ist mir berichtet worden, Loß wolle übertreten zu uns vor seinem Tode.

– Geht mich nichts an! Hier wird nicht bekehrt.

– Doch, Herr Poplosch, doch! entgegnete sanft Magister Rosacius. Seht dorthin! Zwei Franziskaner, drei Jesuiten! Sie kommen aus verschiedenen Stuben und gehen in verschiedene. Doch nur um zu bekehren! denn Herr Dionysius von Czernin ist ja der einzige Katholik unter den Gefangenen.

– Na, das ist doch auch was Anderes, wenn unsere geistlichen Herren bekehren wollen, als wenn Ihr –! Aber ich hab' keine Zeit zu –

– So laßt uns nur zu Schlick, lieber Herr Poplosch, unterbrach ihn Hans, welcher das »auch hier« genau bemerkt hatte. Schlick hat nach uns Beiden gesendet.

– Meinethalben marschirt hinein, wenn er an Einem von Euch noch nicht genug hat!

Er öffnete, trat zurück und schloß von außen. Sie waren eingesperrt mit den Gefangenen.

Es war eine große Stube mit wenig Geräth und drei hölzernen Lagerstätten.

Die drei Cavaliere saßen. Budowa auf seiner Lagerstatt, Loß und Schlick auf hölzernen Schemeln in seiner Nähe.

Schlick stand auf. Er kannte den Magister Rosacius und ging ihm entgegen. Hans schritt zu Budowa's Lagerstatt und flüsterte: Sprecht keinen Namen aus, wenn Ihr den Hans in mir erkennt!

– Alle Ha – wollte Loß schreien.

– Still! – Die Hand! weiter nichts! Und nun rasch berathen, während Schlick drüben im Winkel wirklich gottesfürchtig ist.

Die Berathung wurde rasch und kurz durch Budowa entschieden, welcher sagte: Wenn Du's kannst, so rette Loß; er wird Dir's danken. Die Sorge um seine Mädchen vergällt ihm den Tod, und außerdem ist er ein viel zu gesundes Naturell, als daß ihm ein gewaltsamer Tod nicht ein Unglück sein sollte. Mich aber, lieber Hans, überlass' ruhig den Rachegöttern, welche unser christlicher Staat und unsere christlichen Kirchen nöthig zu haben glauben. Mir thun sie kein Leid mit dem gut geschliffenen Henkerschwerte; ja, sie thun mir einen Gefallen. Was hab' ich denn noch zu erwarten auf dieser Welt mit meinen siebzig Jahren? Krankheit, Siechthum, schmerzliche Auflösung, weiter nichts! Freuden des Geistes, Freuden des Herzens mögen einen Greis entschädigen, aber sind denn solche möglich auf zehn Jahre hinaus, nachdem die papistische Welt einen durchgreifenden Sieg erfochten? Nein! Also gönne mich dem Henker, er wird mein Wohlthäter. Und nun sag', wie willst Du Loß retten?

Hans mußte gestehen, daß er es erst ungefähr wisse, und daß er zunächst von ihnen an Leute gewiesen sein wolle, welche das Dienstpersonale hier im Rathhause kennten; namentlich den Schließer.

– Das ist der Poplosch! flüsterte Loß – für den giebt's Rath.

– Er brauchte nur auf eine Viertelstunde lang heute Nacht – sprach Hans – den Schlüssel nicht umzudrehen, dann scheint mir's möglich. In der Nacht nämlich – das hab' ich dem Magister Rosacius abgemerkt – wird den Gefangenen das heilige Abendmahl gereicht werden. Zu dem Zwecke werden mehrere Geistliche und Küster herein dürfen, ich mit ihnen. Ich bringe eine Reverende wie diese da, welche ich trage, Barett und Halskrause mit – sie sind schon in meiner Herberge – und führe in dieser Tracht Loß hinaus –

– Gut! fuhr Loß leise fort – Poplosch wird zu haben sein. Mein Rechtsanwalt Doctor Zinkas, der seit Jahren all meine Rechtsgeschäfte führt, ist hier im Rathhause genau bekannt und hoch geachtet. Er ist ein kreuzbraver und sehr gescheidter Mann. Er besorgt uns den Poplosch. Den Doctor Zinkas mußt Du ohnehin sprechen, Hans, wegen meiner Mädel. Für den Fall meines Todes nämlich mußt Du ihm auf die Seele binden, daß das mütterliche Erbe meiner Mädel mich gar nichts angeht, und daß man's durchaus nicht confisciren dürfe, wie man mit meinen Gütern thut; lass' also den Zinkas –

Die Thür ging auf, zwei Jesuiten und zwei Capuziner traten ein. Poplosch blieb in der offenen Thür stehen, und bedeutete pantomimisch dem Rosacius und dem Hans: sie sollten Platz machen.

– Einen Augenblick, Freund Poplosch! rief Budowa, welcher die Gelegenheit für seinen Spott sogleich benützen wollte – wir werden rasch fertig sein. Die Herren Jesuiten und Capuziner kommen doch, uns zu bekehren?

– Ja –

– In der Geschwindigkeit! Sie haben also ihre fertige Medicin bei sich, und wir sind geübt im Kosten. Was hilft ins Paradies? Und wo ist das Paradies?

Und nun folgte eine Scene, bei welcher Hans auf Kohlen stand. Die Zeit war zugemessen, und er wollte fort. Budowa aber war erbarmungslos, den armen Capuzinern nachzuweisen, daß sie auch am Geiste herzlich arm seien, und den vornehmeren Jesuiten schonungslos aufzudecken, daß sie nicht einmal ihr Handwerk mit Formeln ordentlich erlernt hätten, daß ihre kirchengeschichtliche Kenntniß, auf welche sie sich beriefen, erschreckend lückenhaft sei, und daß sie Unterricht nehmen sollten. Setz' Stühle, Poplosch – sprach er – wir wollen den Herrn Patres geschwind noch einige Argumente an die Hand geben, welche ihnen dienlich sein können bei den andern gefangenen Ketzern.

Beschämt wendeten sich die Patres zu Andreas Schlick, erhielten aber von diesem eine so gröbliche Antwort, daß sie ihren Rückzug antraten.

Poplosch rief nun: die utraquistischen Prediger müßten jetzt auch fort. Um Mitternacht erst dürften sie wieder kommen zum »Letzten«.

Es war keine Möglichkeit mehr für Hans, noch ein geheimes Wort mit Loß zu wechseln. Blick und Miene nur mußten zu der Versicherung genügen: sie möchten seiner gewärtig sein.

Auf der Straße dankte er Rosacius und theilte ihm mit, daß er den Freiherrn von Loß sehr zugänglich gefunden für die lutherische Lehre, und daß er das Beste hoffe für die letzten Stunden. Wenn der Herr Magister also ein gutes Werk thun wolle, so möge er ihn heut' Nacht wieder mitnehmen.

Rosacius versprach, ihn bis Mitternacht in seinem Hause zu erwarten. So trennten sie sich.

Hans eilte in die Herberge, entledigte sich der geistlichen Kleidungsstücke und beauftragte den harrenden Conrad, ihn nach dem Loß'schen Hause zu begleiten. Dort befragte er den erstaunten Haushofmeister um die Wohnung des Doctor Zinkas, und wollte Conrad in dieselbe senden. Der Haushofmeister aber übernahm das selbst.

Conrad mußte warten. Hans eilte zu Ludmillen.

In welchem Zustande fand er sie! Sie liebte ihren Vater auf das Zärtlichste, sie war in Verzweiflung. Boten über Boten hatte sie nach Wien gejagt an Isabella: sie möchte helfen! Aber auch die junge Gattin des aufsteigenden Waldstein mußte unter bitteren Klagen wiederholen, es sei Alles umsonst.

Fieberhaft horchte Ludmilla jetzt auf Hans, der ihr von fern andeutete, daß er heute Nacht einen letzten Versuch wagen wolle.

– Ich wußt' es wol, rief sie, daß Du der Beste bist auf der ganzen Welt, aber – und das coquette Mädchen kam auch in diesem Schmerze zum Vorschein – Du hast wieder Haar und Bart abgeschnitten, wie damals. Nicht so unglücklich wie damals in der Müllertracht; aber unglücklich lief's damals ab, unglücklich wird's heute ablaufen! Ich habe den Fluch über meinen Vater gebracht.

Doctor Zinkas trat ein. Er war ein mittelgroßer, schlanker Fünfziger mit klugen Augen und sehr ruhigen Gesichtszügen.

Hans bat Ludmillen, ihn allein zu lassen mit dem Hausfreunde. Dies war er; Ludmilla reichte ihm die Hand, als sie fortging.

Doctor Zinkas hörte vortrefflich, verstand vortrefflich.

Das Erbe der Mädchen hielt er nicht für gefährdet. Waldstein hatte darüber eine Versicherung durch seine Frau an Ludmilla gelangen lassen. Und in diesem Punkte sei der Waldstein am allerbesten unterrichtet, er beschäftige sich seit dem Urtheilsspruche mit nichts als mit Ankauf confiscirter Herrschaften. Da er sage: die mütterlichen Güter blieben den Loß'schen Töchtern, so könne man sich darauf verlassen.

Poplosch betreffend, hielt er auch Alles für möglich. Wie viel soll ihm ausgesetzt werden?

– Ich dachte hundert Goldstücke, oder auch –

– Uebrig genug!

– Aber wie an ihn kommen?

– Er sitzt jeden Abend zwischen Neun und Zehn im »schwarzen Roß« und trinkt dort sein Bier. Der Mann draußen im Vorzimmer ist Euer Vertrauter?

– Ja, ein leichtsinniger und wilder Mensch, der Conrad, aber in solchen Dingen zuverlässig.

– Er soll mich heut Abend um Neun in der Schenkstube des »schwarzen Roß« erwarten. Da zeig' ich ihm den Poplosch und bring' ihn an ihn. Erlaubt!

Doctor Zinkas ging an den Schreibtisch und schrieb auf ein Blatt folgende Worte:

»Poplosch erhält von mir hundert blanke Goldgulden, wenn der Freiherr Heinrich Georg Otte von Loß den 21. Juni dieses Jahres glücklich überlebt.

Prag, den 20. Juni 1621.

Dr. Zinkas.«

– Dieses Blatt, sprach Zinkas, soll ihm der Conrad einhändigen, und ich werde dabei den Poplosch ansehen.

– Aber, lieber Doctor, wenn er das Blatt mißbraucht, dann seid Ihr –

– Ohne Sorge. Er händigt mir's ein, um die Goldgulden zu kriegen, und käm's in falsche Hände, so wäre nur er gefährdet, als der Durchstecherei verdächtig. – Uebrigens warte ich mit einem Wagen an der Brücke von Mitternacht an. Loß muß gleich hinaus, denn nach Tagesanbruch werden alle Thore abgeschlossen, wegen der Execution. Abgemacht!

– Hier ist das Geld, ich hab' es mitgebracht.

– Gut, und dem Poplosch ist zu sagen, daß er's bei mir findet von zwei Uhr an heute Nacht. Bis zwei Uhr müßt Ihr fertig sein! Wir haben den längsten Tag, der Morgen dämmert sehr früh, und bei Licht wird's kaum möglich sein. – Noch Eins! Ein Geschäftsmann wie ich ist auf Alles gefaßt, auch aufs Mißlingen. Ich wußte ja auch nicht, daß Ihr kommen und so was wagen würdet, ich war also auf den vorgeschriebenen Gang bedacht. Dieser schließt ein, daß man den Körper für die Familie, für ein Begräbniß rettet; den Kopf kriegt man nicht. Sie wollen die Köpfe auf den Brückenthurm aufstecken, zur Warnung für »ewige Zeiten«, wie sie sagen. Also für den Körper sind meine Leute, das heißt Loßens Leute vorbereitet, und der Sarg ist auch da – für diesen traurigen Fall seid unbesorgt und rettet Euch selbst, sobald die Thore wieder offen sind. Die große Bestürzung nach solchem Autodafé wird Euch das Hinwegkommen erleichtern. In diesem Falle kommt nicht hierher ins Haus zurück; das würde Euch ohne Zweck aussetzen. Ich bringe die Leiche nach Komorau und bringe auch die Fräuleins mit. Im nächsten Dorfe auf der Straße nach Beraun könnt Ihr Euch an uns anschließen. Dort warten wir auf einander. – – Getrost! getrost! Poplosch ist ein entschlossener Kerl; vielleicht sehen wir uns an der Brücke wieder. Es war mir eine Ehre, Eure persönliche Bekanntschaft zu erneuern.

Damit ging Doctor Zinkas. – Hans stand betroffen da. Der nüchterne Rechtsgelehrte hatte ihm klar gemacht, wie phantastisch doch eigentlich seine Hoffnungen wären. In aufgeregten Zeiten spielt eben die Phantasie eine Hauptrolle.

Dann rief er Conrad und machte ihm die Aufgabe klar für Poplosch. Wenn sie erfüllt sei – hoffentlich bis zehn Uhr – sollte Conrad daher kommen, um das Resultat mitzutheilen. Auch die Reverenden, die Halskrausen, die Barette sollte er aus der Herberge mitbringen.

Hans wollte den Rest des Tages und Abends hier in der Stille verweilen.

Still und doch bewegt verging der Sommernachmittag und Sommerabend. Er wie Ludmilla besaßen die Zartheit des Herzens, ihre gegenseitige Liebe ganz in den Hintergrund zu drängen und nur des Schicksals eingedenk zu sein, welches dem Vater bevorstünde da unten in der thurmreichen Stadt, auf welcher glühender Sonnenschein lag. Als der Schein roth wurde, schauerten Beide zusammen. Es bedeutete Sonnenuntergang. Der Aberglaube ist das natürliche Kind gespannter und peinlicher Erwartung, und die menschliche Machtlosigkeit ist seine Amme.

Hans wie Ludmilla beneideten fast die ab- und zulaufende Purzel. Das Kind ahnte wol die Gefahr für den Vater, aber es kannte sie nicht, und demgemäß weinte sie jetzt und gab sich bald darauf lachend einer Zerstreuung hin. Und am Ende bleibt dies Kinderwesen den Menschen eigen durchs ganze Leben, weil die Natur auf Erhaltung des Gleichgewichts dringt. Der tiefsten Traurigkeit folgt Abspannung, welche in der Stille Kräfte sammelt, und wenn die Kräfte halbwegs ergänzt sind, da entwickelt sich Gleichgültigkeit, als ob alle Gründe zur Trauer verschwunden wären. Sie sind es nicht, erheben sich aber erst wieder, wenn die Kraft des Menschen wieder hergestellt ist, die Kraft zur Vorstellung des Leides und Schmerzes.

So ging es auch Hans und Ludmilla in diesen Stunden. Als aber die Nacht ganz eingetreten war, brachen alle Dämme. Ludmilla weinte unaufhörlich, Hans ging zitternd umher und führte Purzel hinaus, daß sie zu Bett gebracht werde.

Es schlug Zehn. Conrad kam nicht. Ist es mißlungen? – Und wie lange sollte Hans warten? Jedenfalls wollte er ins Rathhaus – da trat Conrad ein. Der Kerl schien keine Nerven zu haben: wie etwas ganz Gewöhnliches erzählte er den Hergang und – daß Alles ohne erhebliche Schwierigkeit abgemacht sei. Poplosch werde eben den Schlüssel nicht umdrehen. Man möge sich aber beeilen, denn der Inspector könnte revidiren kommen, und nach dessen Revision würden alle Thüren geschlossen.

Nun zum Costüm! Conrad hatte die geistlichen Kleidungen mitgebracht. Eine sollte Hans um den Leib gebunden werden. Die andere Reverende, ein weit schlotternder Talar darüber deckte hinreichend zu. Messen! Erst messen, welche von beiden die längere! rief Conrad. Loß ist eine Handbreit höher als der Junker, für ihn muß die längere sein, und ein großes Nastuch, daß er sich den Bart zudecken kann!

Alles war besorgt; Hans reichte Ludmilla die Hand. Ludmilla hielt sich kaum aufrecht. Hans ging.

Conrad begleitete ihn zu des Magisters Wohnung. Außen sollte er warten, und wenn sie kämen, sollte er ihnen folgen bis ans Rathhaus, dort aber an bestimmter Stelle stehen bleiben und gewärtig sein – an der ersten Quergasse vom Ring herein nach der Brücke.

Genau so geschah es. Es schlug just drei Viertel auf Zwölf, als Conrad stehen blieb. Rosacius, Hans und ein Küster mit Wein und Brod zum Abendmahl schritten weiter. Als sie links einbogen auf den Ring, dämmerte ihnen von vielen Seiten Laternenschimmer entgegen. Man schlug das Gerüst auf dicht vor dem Rathhause, das Schaffot!

Am Eingange des Rathhauses standen schon mehrere andere Geistliche lutherischer Confession mit ihren Küstern, und harrten auf die zwölfte Stunde. Sie schlug, und von innen rief man: die Utraquisten einlassen! Arkebusiere, welche den unteren Flur anfüllten, öffneten eine Gasse. An der Stiege stand Poplosch und rief ihnen zu: 'naus können diese Utraquisten wann sie wollen!

Hans wußte was das zu bedeuten hatte, und segnete Zdenkos Goldstücke. Er merkte auch, daß Poplosch ihn erkannte. Zu Schlick und Loß! sagte er und öffnete ihm. Hans trat ein; die Thür flog zu; der Schlüssel drehte sich – oh, zweimal! – Hans untersuchte vorsichtig. Die Thür war unverschlossen, der Schlüssel war vorwärts und rückwärts gedreht worden.

Nun ging es sogleich ans Auspacken vom Leibe Hansens, ans Ankleiden Loßens – Schlick saß in einem fernen Winkel und achtete nicht darauf – da erfolgte ein Schlag an die Thür und man hörte deutlich den Ruf: Poplosch! die Inspection!

Eiligst riß Hans die schon halb angezogene Reverende von der Schulter Loßens, und drängte diesen auf die Lagerstätte. Es war die höchste Zeit! der Schlüssel bewegte sich wieder zweimal im Schlosse, die Thür ging wieder auf. Der Inspector stand neben Poplosch in der offenen Thür, und zählte laut: Eins, Zwei? – tretet zur Seite, Pastor! Drei! Weiter!

Die Thür flog zu, das Schloß schnappte. Hans flog hin, um nachzusehen – die Thür war jetzt wirklich verschlossen. Der Inspector selbst hatte das Geschäft verrichtet. Auf ausdrücklichen Befehl vom Landpfleger war der Inspector zu ungewöhnlicher Stunde erschienen. Die Gefangenen sollten ungestört verbleiben mit ihren Geistlichen; auch die Schließer sollten bis zum Anbruch des Tages nicht eintreten. Das verkündete draußen auf dem Gange der Inspector den Wachen mit dem Zusatze: sie möchten sich stille verhalten, und die Andacht der armen Sünder nicht stören.

Dies hörte Hans an der Thür, und stand vernichtet. – Wird Poplosch dennoch kommen? Kaum.

Noch mehr! Loß war entrüstet darüber, daß er sich vor einem Gefängnißinspector verstecken und verstellen gemußt. Er wollte ganz verzichten auf den Befreiungsversuch. Sich vielleicht ertappt und zurückgebracht zu sehen, schien ihm schmachvoll, schmachvoll der großen Sache gegenüber, für welche gestorben sein solle.

Hans beschönigte nach Kräften, und hoffte dennoch. Aber die Zeit verstrich, und er mußte zugestehen, daß es kaum noch möglich sein werde, wenn Poplosch bis zu Tagesanbruch ausbliebe.

Er blieb aus. Die erste Tageshelle zuckte wie ein bleicher Blitz durch die Gefängnißstube – nun war's vorbei.

– Thun wir, als ob wir Weise wären, sagte Budowa, und spielen wir den Sokrates, welchem man den Giftbecher hingestellt. Die Weisheit ist uns nöthig, denn die Gefangenen neben uns haben doch den Glauben vor uns voraus, die Glücklichen! Hört Ihr sie?

Man hörte geistliche Gesänge, man hörte, da bei der Sommerzeit die vergitterten Fenster offen standen, aus der angrenzenden Stube den recitativ gesungenen Vortrag des Geistlichen: Unser Herr Christus – in der Nacht da er verrathen ward – nahm er das Brod – dankte und brach's, und gab's seinen Jüngern und sprach: – Nehmet hin und esset – das ist mein Leib – der für Euch gebrochen wird –

Alle vier Männer neigten ihre Häupter, und nahmen innerlich Theil. Andreas von Schlick in seinem Winkel fiel auf die Knie – man war ergeben, man bereitete sich für eine andere Welt.

*

Draußen in der Stadt gerieth mit dem ersten Sonnenlichte Alles in Bewegung. Cürassiere zu sechs und neun Mann durchritten die Gassen, die Stadtthore wurden geschlossen, Reiter und Fußvolk marschirten nach dem Altstädter Ringe, das Volk drängte in Masse nach, und ein dumpfes Ah! rang sich aus jeder Kehle, als man dicht vor dem Rathhause das breite, mit schwarzem Tuch bedeckte Gerüste sah. Ein Crucifix stand darauf nach der Marktseite, gegenüber der Teynkirche, eine Stiege war angebracht für die Henkersknechte unter das Schaffot hinunter, eine Brücke aus dem großen Rathhausfenster auf das Schaffot hinab für die Verurteilten. Daneben am Rathhause ein Gerüst für die Richter und die Bürgermeister; ein Baldachin für den Landpfleger, den Fürsten Liechtenstein. Mitten auf dem Ringe ein Galgen, an einem Eckfenster des Rathhauses ein zweiter.

Als es fünf Uhr schlug, dröhnte vom Hradschin herab ein Kanonenschuß, und nahe am Schaffot wirbelten die Trommeln; die Execution sollte beginnen. Ein allgemeiner Schrei der Volksmasse folgte – was soll das? riefen die eben aus dem ersten Stocke des Rathhauses auf ihre Tribüne vortretenden Richter. Sie sahen's nicht was das Volk sah: am Himmel nach dem Laurenzerberge zu hatte sich ein Regenbogen ausgespannt, obwol kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, kein Regentropfen fiel. Trost für die Zukunft! murmelte man.

Neuer Trommelwirbel. Der erste Verurtheilte kam aus dem Rathhause, und stieg über die Brücke zum Schaffot herab. Schlick! flüsterte Jedermann.

Er war in andächtigster Fassung, denn in der letzten Stunde war Rosacius zu ihm gekommen und hatte ihm das Abendmahl gereicht. Die Priester seines evangelisch-lutherischen Glaubens erschienen hinter ihm auf dem Schaffot – da drängte sie einer der Jesuiten, welche Budowa gestern verjagt, zur Seite und redete in Schlick hinein, er möchte im letzten Augenblicke seine Seele retten! Schlick aber machte ungeduldig eine heftig zurückweisende Bewegung mit dem Arme, und rief in lateinischer Sprache: Lass' mich in Frieden, ich gehe in den Tod! – Und einige Schritte vorschreitend ward er des Kreuzes ansichtig, kniete nieder und betete. Dann zog er, auf den Knien bleibend, rasch sein Wams von den Schultern, und rief zu dem neben ihm stehenden Henker hinauf: Triff!

Dieser schwang das Schwert und traf. Der Kopf fiel auf das schwarze Tuch. Das Volk schrie auf – die Trommeln fielen mit betäubendem Wirbeln ein.

Dem Leichnam wurde dann noch die rechte Hand abgehauen, weil er seinem Landesherrn den Eid gebrochen. Vier Vermummte wickelten den Körper in ein schwarzes Tuch, das Haupt aber und die abgeschlagene Hand steckten sie in einen ledernen Sack, und trugen Beides die Stiege hinab unter das Gerüst und von da ins Rathhaus. Die Henkersknechte oben breiteten ein frisches schwarzes Tuch über den schwarzen Boden.

Kaum war dies geschehen, so erschien Budowa auf dem Schaffot. Ein leises, schmerzliches Weh flog über die Menge am ganzen Ring dahin. Der alte Herr war von Jedermann hoch geachtet, er war um seiner ausgebreiteten Bildung willen ein Stolz der Böhmen, auch der extrem czechischen Nationalen. Der Name Budowecz von Budowa zeugte für czechische Abstammung, und die gemeinsten Leute wußten, daß er bei aller ausländischen Bildung ein liebevolles Herz hatte für sie, und eine volle Hand für ihre Noth. Man hörte lautes Schluchzen.

Er selbst erschien heiter. Kein Geistlicher war an seiner Seite, ganz allein ging er langsam vor, und winkte den Henker zu sich, daß er mit seiner Hilfe des Wamses ledig würde. Dabei sah er sich nach der Tribüne um, auf welcher die Richter saßen, und nach dem Landpfleger unter dem Baldachin. Es war ein Blick, den Niemand aushielt. Dann wendete er sich nach dem Ringe zu und grüßte lächelnd mit der Hand. Die Trommeln fingen an zu wirbeln, damit seine Rede nicht vernommen würde. Ohne Noth! Eine Rede lag ihm gar nicht am Herzen. Nur ein paar Worte zum Henker versagte er sich nicht während des Trommelwirbels. Armer Narr, sagte er, Du mußt den Deinigen die Köpfe abschlagen. Bist Du nicht selbst Utraquist? – der Henker wagte kaum mit den Augen Ja zu sagen; er war Protestant. Nun, thu's der Familie zu Liebe und behandle mich gelinde und mit Aufmerksamkeit. Hilf mir leise beim Niederknien, denn ich bin schon steif – so, so! ich danke Dir. Und nun heb' Dein Schwert in Ruhe, und triff, während ich spreche, wie ein geschickter Ma – –

Er hatte gut getroffen. Wenzel von Budowa war geschieden aus dieser Welt.

Während die Vermummten seinen Körper und Kopf desselben Weges trugen wie Schlick's, und das neue Tuch ausbreiteten, war Loß oben auf der Brücke zum Schaffot erschienen. Hans neben ihm. Loß drückte ihm zum letzten Male die Hand, und sagte: Nimm Dich meiner Mädchen an! Und nun tritt zurück, damit man Dich nicht sieht! – Dann rüttelte er seinen ganzen Körper zusammen, als wollte er Alles abwerfen, was von Rührung und Schwäche noch vorhanden in ihm, und stieg rasch und fest wie ein Jüngling die Brücke hinab. Hans trat zurück. Mitten auf dem Schaffot angekommen sah Loß rückwärts zum Himmel, welcher sich eben mit durchsichtigem weißem Gewölk überzog, und vom Himmel glitt sein Blick auf einen grünen Baum, der vor einem kleinen Hause am Ring stand – der Reiz dieser Erde schien noch einmal vor seiner Seele zu stehen. Er liebte diese Erde, er war ein so lebenslustiger Mann! Dann trat er mit rascher Wendung vor auf dem Schaffot und ging so heftig bis an den Rand desselben, als wollte er hinunterspringen in die Partisanen der Soldaten. Für die Freiheit meines Glaubens sterb' ich – rief er mit Donnerstimme, daß es über den ganzen Ring hinschallte, und die Trommeln große Mühe hatten, den Schall der weiteren Worte zu betäuben. Er war sichtlich in Zorn, und sprach zu eigener Genugthuung weiter, bis selbst die Trompeten der Reiter den Lärm der Trommeln unterstützten. Da schwieg er und ging raschen Schrittes zum Henker, welcher eben ein frisches Schwert vom Boden aufheben wollte. Thu' mir die Freundschaft, rother Junge, das Schwert zu behalten, welches meinem alten Budowa hingeholfen. Willst Du? – Der Henker nickte. – Morgen hol' Dir beim Doctor Zinkas zehn Silberthaler auf meine Rechnung, und dafür gieb Dir jetzt Mühe, daß die Komödie glatt zu Ende geht. – Mit einem Ruck riß er sein Wams vom Leibe, kniete nieder, faltete die Hände, betete kurze Zeit und rief: Vorwärts! – Sein Haupt folgte unmittelbar diesem Ruf, und flog bis an den Rand des Schaffots.

Hans hatte es nicht vermocht, hinaus zu blicken. Der Namensruf des nächsten Opfers belehrte ihn, daß es überstanden sei, und er ging schnellen Schrittes hinweg. Er ging im Rathhause hinab, und auf der hinteren Seite desselben hinaus. Niemand hielt ihn auf, Niemand fragte ihn; Jedermann hatte nur Aug' und Ohr für den öffentlichen blutigen Vorgang. Auch hier hinten stand die Volksmenge in dichter Masse, obwol sie hier nichts sah. Sie machte ihm, dem Geistlichen, bereitwillig Platz. Er kam in die Gasse, wo Conrad in der Nacht hatte warten sollen, und wohin Hans instinctmäßig seine Richtung genommen, um jenen abzurufen. Conrad war nicht zu sehen. Hans bog seitwärts in enge Gassen – überall Menschen und Menschen, die sich erzählten, was auf dem Altstädter Ringe geschehe! Es hetzte ihn hinweg von Menschen, in irgend eine Einsamkeit, daß er sich hinwerfen, und den verhaltenen Schmerz ausströmen könne – es gelang, er kam in die Herberge, wo Tartsch mit dem Wagen eingekehrt war. Das ganze Haus war leer, Jedermann war nach dem Altstädter Ringe. Unbemerkt konnte er seine geistliche Tracht abstreifen und auf seinen im Hofe stehenden Wagen werfen. Er selbst stieg in diesen Wagen, und warf sich erschöpft auf die Leinwandballen, welche man eingekauft –

Erst nach neun Uhr wurde er gestört. Tartsch entdeckte ihn. Der Spectakel, wie er's nannte, war drüben vorbei, den er von Anfang bis zu Ende angesehen. Gemeinen Leuten sind öffentliche Vorgänge, sie mögen sein von welcher Art sie wollen, von unwiderstehlicher Anziehungskraft, und die Erzählung derselben ist ihnen ein Genuß, ein um so größerer, je ärger, je blutiger die Vorgänge. Hans mochte befehlen so viel er wollte, daß angespannt werden, daß fortgefahren werden sollte zum Smichower Thore hinaus, er konnte Tartsch nicht verhindern, Alles das noch zu schildern, dem Hans aus dem Wege gegangen war: daß mit dem Herrn von Czernin zwei Jesuiten gekommen, daß ein Greis darunter gewesen, ein Herr Kaplirsch, der habe ein Gewand angehabt von schneeweißer Farbe bis auf die Knöchel, und darüber einen kostbaren Sammtmantel, »seinem Seelen-Bräutigam zu Ehren«, wie man es ausgelegt. Daß der Scharfrichter vier Schwerter gebraucht, und daß es dann auch ans Henken gegangen sei unter dem Rathhausfenster ganz nahe bei der Bühne, auf welcher die Richter gesessen, und mitten auf dem Markte. Siebenundzwanzig Männer seien hingerichtet worden. Einen einzigen hätten Domherren unverrichteter Sache wieder zurückgeführt vom schwarzen Gerüst, der sei wol pardonnirt worden, und morgen solle auch noch der Staupbesen d'ran kommen. –

– Fahren! fahren! schrie Hans – da kommt ja auch der Conrad.

Sie fuhren. Conrad war wild wie ein reißendes Thier. Nichts wollte er mehr thun in seinem Leben als Krieg führen und todtschlagen. Jetzt ginge er stracks zum Mansfelder nach Pilsen. – Er hatte wohl gemerkt, als der Tag anbrach, daß er vergeblich wartete, und war vorgegangen bis auf den Ring, und hatte Alles genau gesehen. Auf seine Natur hatte das nicht abschreckend, sondern empörend gewirkt. Auch einen Bekannten wollte er am Galgen gesehen haben. Drüben mitten auf dem Ringe am Galgen das sei der Schuster Pfeifer gewesen! Urban, den er eben gesprochen, habe es bestätigt. Uebrigens habe Urban gesagt, er komme nun auch nach Sachsen, und wollte sich mit seinem Weibe in Gnadenfrei niederlassen, in kaiserlichen Ländern sei's jetzt nicht mehr geheuer.

*

Endlich lag das erste Dorf vor ihnen, wo sie die Loß'schen finden oder erwarten sollten. Es war noch Niemand da; sie warteten. Hans setzte sich auf einen Grashügel vor dem Dorfe, und sah gläsernen Auges die Straße an der Moldau hinab, von wo der traurige Zug kommen werde.

Er kam. Der Leichenwagen voraus; hinter ihm die Kutsche, in welcher Ludmilla, Purzel und Doctor Zinkas. Letzterer winkte Hansen mit der Hand. Es schien zu bedeuten, daß man nicht halten und nicht aussteigen, sondern weiter fahren wollte nach Komorau.

So geschah es. Dort erst verließen die Mädchen den Wagen und Hans trat zu ihnen. Die kleine Marie stürzte weinend auf ihn zu, und schrie um den Vater, und daß der Vetter Hans ihr helfen möge. Ludmilla war bleich und still, und hatte etwas Unnahbares in ihrem schwarzen Wollengewande. Sie war so einsilbig gegen Hans, daß man glauben konnte, es lebe ein Vorwurf gegen ihn in ihrer Seele, weil er Hoffnungen der Befreiung erweckt und diese Hoffnungen getäuscht habe. Der Mensch ist leider so: er dankt nur gern für das Gelungene, und ist geneigt, auf das Mißlungene zu schelten, auch wenn es der besten Willensmeinung entsprungen ist.

Es war Nacht geworden, als die Beisetzung der Loß'schen Reste in der Familiengruft zu Komorau stattfand. Die Frischfeuer der Eisenwerke leuchteten dazu, und die schwarzberußten Arbeiter bildeten das Trauergeleit.

Am andern Morgen erst wurde Ludmillen durch einzelne Aeußerungen der Beamten klar, daß sie hier nicht mehr im väterlichen Eigenthume wäre. Es sei zwar noch nicht völlig mit Beschlag belegt, und – wie geschehen solle – noch nicht verkauft, aber königliche Commissarien seien schon da gewesen.

Hier konnte also ihres Bleibens nicht sein. Sie berieth sich mit Doctor Zinkas, welcher ihre mütterliche Herrschaft vorschlug, wenn nicht der Herr von Starschädel – – Hans kam dazu, und Purzel rief ihm entgegen: Ich gehe nur mit Dir, Vetter Hans! Du bist jetzt mein Vater!

Hans erwiderte: Das bin ich, Marie, und ich bringe Dich zu meiner Mutter und den Meinen nach Gnadenfrei. Ludmilla geht wol auch mit uns.

Ludmilla schwieg, und sah mit schmerzlichem Blicke auf ihn. Zum ersten Mal wieder war es ein weicher Schmerz, der in dem Blicke zitterte. Sie schien zu warten, ob er nicht noch ein näheres, wärmeres Wort sprechen werde, diese Heimführung betreffend.

Für Hans aber war die Geliebte in schwarzer Wollentrauer jetzt nur die Ehrfurcht heischende Tochter des Hingerichteten. Jeder andere Gedanke blieb als unziemlich fern von ihm, und er setzte nur hinzu: Meine Mutter wird Euch wie eine Tochter aufnehmen, und Frau von Jörger wird Euch tröstlich begrüßen.

Frau von Jörger's Erwähnung machte sichtlich einen Eindruck auf Ludmilla. Keinen günstigen.

Doctor Zinkas entschied. Er schob das Verzögern der Antwort auf Ludmillas Schicklichkeitsgefühl, und meinte, sie wolle nicht mit dem jungen Manne auf eine so weite Reise gehen. Er erbot sich also, Ludmillen zu begleiten. Sie nickte mit dem Kopfe, und setzte langsam hinzu: Ich möchte nur einen Tag hier ausruhen, ich bin sehr matt. Unterdeß kommen auch meine Habseligkeiten von Prag, Wäsche und Kleider. Der Junker aber soll nicht warten, die Commissarien könnten wieder kommen und ihn erkennen. Er soll mit Purzel vorausreisen; wir holen ihn ein.

– Ja, ja, vorausreisen mit Vetter Hans! rief Purzel.

Hans fügte sich darein. Er achtete die schmerzliche Selbstständigkeit der verwaisten Tochter; er hatte es auch bemerkt, daß die Begegnung der Frau von Jörger ihr unwillkommen war. Er reiste mit Purzel voraus.

Den Bart-Conrad nöthigte er übrigens, zunächst noch abzustehen vom Eintreten in Mansfeld's Heer. Du wirst noch zeitig genug Landsknecht werden, werde es bei besserer Gelegenheit, die nicht ausbleiben wird. Zunächst braucht Fräulein Ludmilla einen gewaffneten Begleiter. Der sollst Du sein. Weib und Kind wieder zu sehen ist auch etwas. Ist's Dir recht?

– Ja.

Er selbst hob Purzel in seinen Wagen, und nachdem er Doctor Zinkas die Rastorte genau angegeben, reichte er Ludmillen die Hand und fuhr gen Norden.

Er wußte nicht, wie er mit Ludmillen stand, und er schob das Nachdenken darüber zur Seite. Die schwarze Trauer lag wie ein Gespenst zwischen seiner einstigen Liebe und der Gegenwart. Das Bild von Bubentsch mit Lauben und Grotten, der widerwärtige Gedanke daran und an Mitzlau erhob sich übrigens öfter als in den letzten Monden vor seinen inneren Blicken, wie sehr er sich auch Mühe gab, gerade diese Bilder zu verscheuchen.

Es war gegen Abend, als er hinter Waltershausen an der Grenze seines jetzt so großen Landbesitzes ankam, dessen breite Hügelfläche bis weit hinauf in die Laubhölzer des Thüringer Waldes die sinkende Sonne rothgelb beleuchtete. Hier sollst und kannst du Glück schaffen und deinem Herzen Trost, sagte er halblaut, indem er der neugierig dreinschauenden Purzel das Haar streichelte, Glück durch Freiheit in allen höheren Fragen, durch Milde und Wohlthat in den alltäglichen Dingen.

– Schau, Vetter Hans – rief Purzel – welch' schöne Hunde! sind das nicht –?

Da wurde Hans gewahr, daß hinter einem Gebüsch ein ländlicher Wagen hielt, dessen Führer unsicher sein mochte über den Weg, welcher sich hier theilte. Hans stieg vom Wagen und sah mit Erstaunen, daß die Hunde freundlich auf ihn zusprangen, und daß es Zahn und Caro war vom Wienerwalde. Der Wagen aber trug die Auswanderer Spath und Nandl, Golling und Frau. Spath hatte es nach der Beschlagnahme des Hernalser Gutes nicht mehr ausgehalten, der alte Golling hatte eingewilligt. Sie suchten den Weg nach Gnadenfrei.

Mit welcher Freude begrüßte sie Hans und nahm er sie auf! Golling zeigte er die Bergwälder am Horizonte, in denen er herrschen sollte, und in denen ein Waldhaus neu erstehen sollte, wie das auf dem Wiener Walde verbrannte. Spath zeigte er bei der Ankunft vor dem Schlößchen die von Dunstan begonnenen Anlagen zwischen Hügeln und Bächen, welche der Gärtner zu einem weiten Parke erziehen sollte.

Allgemeiner Jubel begrüßte die österreichischen Gäste, und selbst Golling und Frau fingen an zu glauben, daß es sich am Ende doch auch hier außen gedeihlich leben lassen werde. Spath zahlte im Voraus seinen Dank: er brachte der Frau Amalie einen Brief von der Frau Isabella Waldstein und in diesem Briefe eine tröstliche Nachricht. »Der Kaiser« – lautete sie – »hat endlich meinem Vater einigen Glauben geschenkt über den Freiherrn von Jörger. Jörger soll im Herbste ein Gesuch einreichen um Rückerstattung seiner Güter. Der Kaiser wird es gewähren. Er will gegen die Oesterreicher milder verfahren, als gegen die Böhmen.«

Als Jörger das hörte, wurde seine gebeugte Gestalt wieder gerade und sein Antlitz lächelte wieder. Auch Frau Amalie lächelte; aber anders. Es lag ein Schmerz darin, und sie reichte Hans und Dunstan die Hände unter den Worten: Mich behaltet Ihr doch?

Solchergestalt vergaß man fast, daß Ludmilla zu erwarten sei. Es vergingen auch einige Tage, ehe sie kam. Dann kam sie, und ließ sich durch Hans einführen und herumführen in all den Anlagen des kleinen Staates, der in diesem Sommer durch Bauten aller Art feste Gestalt erreichen sollte.

Sie war sehr still und ernst. Am meisten zeigte sie Theilnahme, als ein weimar'scher Kriegsmann auf der Durchreise einsprach. Er kam aus Holland vom regierenden Herzoge und trug Botschaft von diesem nach Weimar. Durch ihn erfuhr man, daß der flüchtige König Friedrich von Breslau weiter geflüchtet sei nach Berlin; daß man ihn auch dort nur widerwillig aufgenommen, und daß er endlich sich entschlossen habe, bei Moritz von Oranien in Holland Zuflucht zu suchen. Seine Begleitung habe sich zerstreut, selbst geringere Leute, wie der Herr von Mitzlau, hätten den zusammengeschmolzenen Hof verlassen, um an ergiebigerer Stelle ihr Glück zu suchen. Jetzt sei nun gar die Acht des Kaisers ausgesprochen und Herzog Johann Ernst sei mit bedroht. Er aber halte standhaft aus.

Ludmilla ging von der Rampe des Schlößchens, wo dies erzählt worden war, hinweg nach dem Eichenhaine, welcher sich am Bache hinzog. Hans sah ihr nach. Er ahnte, was in ihr vorginge; er überließ sie eine Viertelstunde lang ihr selbst; dann folgte er ihr. Er hatte die bestimmte Ahnung, daß ihr und sein Schicksal jetzt entschieden würde. Den fragend zuschauenden Doctor Zinkas, welcher heim wollte, wies er an Dunstan, und Dunstan führte den Doctor auf sein Zimmer, um ihm den Besitztitel jener mährischen Herrschaft einzuhändigen, welche allein nicht verkauft worden war von den Zdenko'schen Gütern. Zinkas sollte sie jetzt verkaufen. Und zwar an Waldstein, sagte lächelnd der kluge Doctor aus Prag, der sorgt bei einem mäßigen Preise dafür, daß gegen den Verkauf nirgendwo ein Anstand werden kann.

Hans fand Ludmillen auf einer steinernen Bank, die unter einer großen Eiche am Rande des Baches angebracht war. Ueber den Bach hinüber weithin zeigte sich eine reiche Aussicht auf die grünen Waldberge hinauf – sie lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich neben sie zu setzen.

– Ich habe meinen Entschluß gefaßt, lieber Hans – sprach sie mit leiser Stimme – wir müssen scheiden – Du schweigst?!

– Ich habe diese traurige Mittheilung kommen sehen.

– Und findest sie natürlich. Nun, dann ist mein Entschluß wol begründet. Hans! Ich kann mich nicht von Dir begnadigen lassen – – ich habe es eine Zeit lang gedacht, weil die Sympathie meines Herzens alles Andere überfluthete – –

– Und das thut sie jetzt nicht mehr?

– Ich weiß es nicht. Meine Stimmung ist durch das schreckliche Schicksal meines Vaters ganz verändert. Alles was ich vor mir sehe, erscheint mir trostlos. Auch Eure hiesige Lebensweise, Eure Anstalten für eine fromme Colonie –

– Der Glanz fehlt, die hohen Punkte fehlen –

– Vielleicht. Du magst Recht haben mit dem versteckten Vorwurfe gegen meine Eitelkeit; ich bin wol ein Weltkind. Aber auch außerdem fröstelt mich's an, Alles nur auf fromme Zwecke gerichtet, und vom Ritterthume nichts mehr zu sehen.

– Du fürchtest Langeweile. Nicht mit Unrecht. Indessen bin und bleibe ich wol ein junger Mann neben Dunstan und Frau Amalie; ich denke nicht aufzugehen in unserm kleinen Staate, welchen das lutherische Consistorium nicht unbehelligt lassen wird, sobald Hortleder einmal aus seiner Stellung scheidet; ich denke auch nicht auszuscheiden aus den Kriegsfragen meines Vaterlandes. – Trotzdem hast Du wol nicht Unrecht in dem was Dich betrifft und was Dein Verhältniß betrifft zu dieser Zukunft, zu meiner Zukunft –

– Siehst Du, wie das schon klar ist in Dir! das wäre nicht der Fall, wenn – Hans, gesteh' mir's ehrlich: in Deiner Seele liegt es schon deutlich, daß ich nicht zu Deiner Lebensgefährtin tauge, oder wenigstens nicht passe.

– Ludmilla –!

– Nein, nein, gesteh' mir's nicht! Lass' mich den Schimmer meiner glücklichen Jugend mitnehmen!

– Wohin?

– Nach Holland zu meiner Königin.

– Also doch! Ich sah's an Deiner Bewegung bei der Nachricht –

– Mitzlau ist fort, es steht nichts mehr im Wege, daß ich mich dem Unglücke meiner Königin treu und anhänglich erweise. – Du schweigst? Eine Thräne in Deinem Auge, Hans, und Du schweigst doch! Siehst Du, wie Recht ich habe! Mehr noch als Recht: ich meinte nur, ich könnte mich nicht von Dir begnadigen lassen, Du aber, Du hast mich noch gar nicht begnadigt, Du kannst mich noch gar nicht begnadigen!

– Ludmilla!

– Endigen wir! die Qual wird zu groß – wir scheiden ja doch in liebevoller Empfindung, nicht wahr?

– Das weiß Gott! rief Hans mit einer Stimme, welche unter Thränen zitterte. Er ergriff ihre Hand, und drückte seine nassen Augen auf dieselbe. Auch ihre Fassung war erschöpft, schluchzend drückte sie ihr Angesicht auf sein Haupt – dann riß sie sich los und eilte fort.

Am andern Morgen reiste Doctor Zinkas nach Süden ab, Ludmilla nach Norden. Conrad wurde ihr zum schützenden Geleite mitgegeben. Von der Rampe des Schlößchens sahen sie ihr alle nach – aus der Ferne winkte sie noch einmal mit ihrem Taschentuche zurück.

– Wann kommt denn die Mille wieder? fragte Purzel.

– Wenn Du ein Edelfräulein sein wirst so groß wie ich – antwortete Frau Amalie.

– Ah! sagte Purzel und schaute zu Hans in die Höhe.

Hans sah der kleinen Marie scheinbar verlorenen Blickes ins Antlitz, welches die Züge Ludmillens und des verstorbenen Vaters in sich vereinigte, dann beugte er sich nieder und küßte sie aufs Auge. In diesem Auge meinte er alles das zu küssen, was er Gutes und Liebes soeben verloren hatte.

Ein thauiger Morgen stieg empor über das Ländchen, welches sein war, so weit das Auge reichte, und welches er mit seinen Freunden nach Kräften beglücken wollte. Und wer beglücken kann, der wird selber glücklich, auch wenn er's nicht sogleich weiß und erkennt. Die Erkenntniß reift wie die Aehre, und eines schönen Tages neigt sie sich in seinen Schooß, und unwillkürlich ruft er aus: Der Himmel hat mich doch gesegnet! das was schillert und verführt, hat er mir entzogen, das was erquickt, hat er mir gelassen, hat er mir geschenkt.

 

Druck von Adolf Holzhausen in Wien
k. k. Universitäts-Buchdruckerei.


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