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Ich werde Dich nie wiedersehen, Blanca, das macht mich jetzt recht traurig, weil ich Dich in diesem Augenblicke nicht blos liebe, sondern weil ich sehr verliebt in Dich bin. Du würdest Deinen starken Alphons gar nicht wieder erkennen, der vor vier Wochen thränenlos von Dir Abschied nahm – ich war ein starres Tuch von dunkelrother, straffer Seide, jetzt ist das Tuch von Thränen durchgeweicht, es flattert nicht mehr und ist zusammengedrückt in eine kleine Ecke. Hätten wir je geglaubt, daß noch so viel Romantisches in mir wäre, in mir, der ich mir so viel darauf zu Gute that, daß mein Wesen ewig heiter ionischer Himmel sei! Dieses Karlsbader Thal ist zwar sehr weinerlich romantisch, aber es ist doch nicht allein Schuld daran, meine weiche, warme, ach ferne Blanca, daß ich wie ein teutscher Minnesänger schmachte, der nicht recht bei Troste ist.
Ich werde Dich nie wiedersehen – mögen mir auch die garstigen Worte das Herz zusammenkrampfen; man muß doch kein Kind sein, und in Unruhe das aufgeben, was man in Ruhe bedacht und beschlossen hat. Wir wollen das Kunstwerk unserer klassischen Liebe nicht durch einen sentimentalen, spießbürgerlichen Schluß verunstalten. Mädchen meiner inneren Schönheit, klare, sonnige Blanca! nicht wahr, wir wollen's nicht? Treue ist eine Schwäche; wir wollen unser Versprechen halten: einander nicht treu sein.
Du darfst nicht so damit eilen, denn Du bist das Weib – still, keinen leidenschaftlichen Einwurf, Ihr sollt emancipirt werden, ich hab' Dir's versprochen. Hast Du an der Statue des olympischen Jupiters etwas gesehen, was das Ebenmaaß verletzt? Nein. Auch die Weltgeschichte ist ein großes Kunstwerk des großen Gottes, auch in ihren Theilen muß Ebenmaaß sein. Wäre die große Form der Weltgeschichte aber schön, wenn die Weiber plötzlich frei wie die Männer würden? – Eile nicht, mein Mädchen, einen Andern zu lieben; wenn er aber zu Dir tritt in den Schatten des großen Oelbaums am Fenster Deines Schlafzimmers, und Dein Herz hochschlägt, und Deine Hand hinbebt, hinlechzt nach dem Leben des neuen Mannes, dann lege sie auf seine blutvolle Brust, und streiche mit der andern das Haar von seinen Schläfen, küsse seinen vollen Mund, und wisse, daß Du mir Freude machst, wenn Du Dich freust.
Solltest Du's bald thun, so schreib mir's doch erst später, ich bin jetzt in einem schwachen Stadium meiner Kraft.
Meine »Elegien vergangener Herrlichkeit,« die ich anfing, als die Herrlichkeit noch blühte, habe ich fortgesetzt, mittheilen kann ich Dir sie aber noch nicht, weil ich der Leidenschaft nicht immer Herr geworden bin. In solchen Dichtungen soll Blut und Leben sein, was durch den Marmor der Form strömt, aber kein Zucken; das war das Einzige, was ich hie und da an den Properz'schen auszusetzen hatte, die ich Dir vorlas, wenn ich in heitern Sommernächten auf Deinem Zimmer war und wir uns und die Klassiker küßten.
Ich bin recht unzufrieden mit mir, daß ich eben so wenig Maaß und Ruhe in mir habe, um über unsere Herzensangelegenheiten frisch und frei sprechen zu können, von kräftigen, starken Männern und schönen, starken Weibern. Du mußt mir's verzeihen, daß ich so hin und herspringe. Später, wenn ich durch's Feuer der Polemik etwas munter geworden bin, will ich Dir eine Geschichte erzählen, wie Alphons und Blanca sich zum letzten Male küßten. Wenn Dich Dein nächster Liebhaber einmal recht schön liebt, sollst Du sie ihm vorsagen.
Ist es nicht ein großer Gedanke, der Welt noch einmal so viel Einwohner zu geben, wenn man die Weiber emancipirt? Ihr solltet Euch mit den Negersklaven und Juden associiren. Mach' doch kein so garstig Gesicht dazu. Was die Welt erweitert, ist Kultur, nicht bloß was sie verschönert. Und wenn sie Dir sagen, das Männliche herrsche in der ganzen Schöpfung, so sage Du, das Weibliche solle nicht herrschen, aber es solle mitherrschen. Die Natur sei ein großer, schneller Gedanke, und die Kultur sei seine Ergänzung. Aber mit der kindischen Galanterie hat's seine Richtigkeit, und das Eifern gegen sie ist nicht nur männlich liebenswürdig, sondern auch gerecht.
Daß die Weiber nicht schreiben sollen, ist eine Idee, über welche ich gar nichts zu sagen weiß. Sie liegt außerhalb des Kreises meiner Gedanken und Vorstellungen; ich kann nicht glauben, daß gescheidte Leute sie unbedachtsam geäußert, und ein ganzes Leben hindurch behauptet haben; aber ich finde durchaus keinen Zugang in diese Gedankenfolge. Denn die gewöhnlichen Gründe: daß die Frauen auf Stricken, Kochen und Kinderwaschen angewiesen seien, sind doch gewiß nur täuschende Außenwerke dieser männlichen Festung, und kluge Männer werden nicht verlangen, daß man solche oberflächliche, äußere Dinge, solche alberne Vorwände gelten lassen soll. Wie bei den meisten wichtigen Fragen der Gesellschaft liegt wohl auch hier ein unausgesproch'nes, esoterisches Raisonnement im Hintergrunde, was mehr oder minder nur auf einer unbefragten Antipathie beruhen mag. Sogenannte Kraftgenies behalten immer einige barbarische Reste eines gewissen Geschlechtsfanatismus an sich, der auf dieser oder jener Seite mit seinen grellen Zügen hervortritt. Es gleicht diese Erscheinung oft einem alten heidnischen Opfer, was sie der ursprünglichen, rücksichtslosen Natur bringen. Eine Civilisation, die alle inneren Theile des Menschen gleichmäßig durchdringt, verträgt sich wenigstens sicher nicht mit dieser vehementen Ausschließung, welche die Harmonie der Verhältnisse stört. Civilisation ist aber Harmonie der Verhältnisse, sie ist die Schönheitsregel für das Kunstwerk »Gesellschaft.«
Ich habe mir auf der alten Wiese eine feine Wohnung gemiethet, und schreibe Dir dies am Fenster stehend, in die grünen Bäume, die bunten Boutiken und die noch buntern vorüberschlendernden Menschen hineinschauend. Der Kreuzberg mit seinem gesunden Grün und seinen frischen Bäumen spiegelt sich kläglich christlich in meinem Fenster. Was haben sich doch die Künstler für unfruchtbare Mühe gegeben, die ästhetische Unform des Kreuzes schön zu machen. Es ist und bleibt so unschön wie das heftige, krampfhafte Schluchzen – wenn es die Romantiker doch nur beim Weinen hätten bewenden lassen, darin ist doch noch weise Regel.
Können ein Paar Liebesleute in Teutschland wohl fröhlich von einander Abschied nehmen? Heißt Abschied nicht immer so viel als Jammer? Und ist er nicht ein wichtiger Akt der menschlichen Entwicklung? Dieser Augenblick scheidet so reizend plötzlich das, was die Leute einander gegeben, von einander genommen, er ordnet das Eigenthum, man schenkt, man erhält die Quintessenz eines ganzen Lebensabschnittes. Man fühlt seinen Reichthum, weil man so viel zahlen kann. Ist das nicht der Typus des freudigen, des schönen Schmerzes – und der Abschied sollte ein Jammer sein?
Weißt Du noch, Blanca, es war ganz, ganz früh, die Sonne lüftete erst ein wenig das Augenlied, ob es Zeit zum Erwachen sei, da traten wir aus Deinem Zimmer auf den Balkon, und Du zeigtest mir noch einmal all die lieben Plätze, und hingst wie eine Schiffbrüchige an meiner Schulter, und Deine zusammengefalteten Hände drückten sich heftig in meine Achsel. Ich war heiß von Schlaf und Liebe, und der Reiserock lag noch auf dem Stuhle, Dein entblößter voller Arm pulsirte warm an dem meinen, das Blut unsrer Herzen wollte sich noch einmal küssen.
Ich wurde gestört, mein Kind. Wilhelm, der fidele Wilhelm war bei mir. Er war in seiner philosophischen Zufriedenheit die Wiese entlang gegangen, hatte mich am Fenster entdeckt und war sogleich heraufgestiegen, um mich zu versichern, daß es ihm wie gewöhnlich außerordentlich gut gehe, und daß er sich sehr freuen würde, wenn's bei mir auch so wäre. Es ist ein langweilig glücklicher Mensch, ein unbequem höflicher Mensch. Wenn ich ihn doch nur ein einziges Mal klagen hörte, ein einziges Mal ennuyirt, ein einziges Mal unhöflich sähe; denn eigentlich grob kann er nie werden. Die Grobheit ist sein feindliches Element, der Fisch lebt eher in der Luft, der Vogel unter'm Wasser, als Wilhelm mit einiger Grobheit. Und doch ist diese Grobheit oft ein nothwendiges, erfrischendes Gewitter des geselligen Lebens. Ein Mensch, der gar nicht grob sein kann, hat die beste Anlage zur Langweiligkeit.
Wie Wilhelm aussah? wie er vor 5 Jahren ausgesehen hat, wie er nach 15 Jahren aussehen wird. Müllerblauer Rock, gelbe Nankinghosen, Schuhe und graue Strümpfe, ein schmales Westchen, ein schmales schwarzes Halstüchlein, ein trocknes, kurzhaariges, weißes Hütchen. In der Hand trägt er wie immer das kleine Stöckchen, womit er spielt, die dünnen, fahlblonden Haare sind auf beiden Schläfen in zwei zierliche Locken gedreht, die Stirn ist lang und weitläufig, das Auge wasserblau, einfältig gutmüthig, der Mund immer artig und affable, der Teint weichlich, nicht gesund noch krank – kurz Alles wie einst; die Schultern und Hüften sind auch nicht breiter geworden, so schmal als möglich schmiegt er sich durch die Welt, um nirgends anzustoßen – ein grauer Strich wandelt er dahin mit kleinen, zuckenden Schrittchen.
Nun kam der Schwall von Redensarten, ekelhaften Küssen – ich lasse mir das Alles gefallen, wenn es bloße Form ist, dann bin ich Stein und fühle nichts. Das Schreckliche bei diesem Menschen ist es aber, daß er dabei empfindet, daß sein ganzes Wesen ein Wasserspiegel mit rastlos auf- und absteigenden kleinen Wellen ist. Darin ruht das Unangenehme: man fühlt sich für die Duodezgefühle verpflichtet, man bringt es ihnen gegenüber zu keiner Empfindung, sie gleiten uns unter den Fingern weg, man wird gequält.
Bonhomie und Humanität sind das Liebenswürdigste von der Welt; diese Allerweltsliebe ist unausstehlich. Wilhelm ist zwei Tage hier, aber Du hättest das Heer von Bekannten hören sollen, bei denen mich einzuführen er sogleich vorschlug. Und darin ist er nun wieder charmant: es war die bunteste Demokratie vom Prinzen herunter bis zum Handwerker. Er ist zwar gegen jenen etwas höflicher, aber doch auch gegen diesen höflich und verbindlich; man kann eigentlich nie sagen, daß er sich etwas vergibt, er wird nie fade, er ist auch eigentlich nie zudringlich, aber langweilig, langweilig durch und durch.
Und ich vergebe alle aktiven Sünden, aber die der Langenweile nicht.
Es ist ein leider gar zu gewöhnlicher Fehler unsrer Geselligkeit, daß die Leute sich nicht zu trennen wissen, wenn ihre gesellige Kraft erschöpft ist. Und sie erschöpft sich bei dem bedeutendsten Menschen, die größten Fähigkeiten in uns sind nur verhältnißmäßige, endliche, wir gleichen in allen Dingen einem Brunnen, dem man Zeit lassen muß, sich wieder zu füllen. Die ungestörte Natur wirkt eben so sicher wie der langsam sickernde Quell – einige Stunden Einsamkeit häufen neues, frisches Material in uns auf. Die Versäumniß dieser Oekonomie erzeugt die Langweiligkeit. Nicht bloß weil sie in einfacheren Verhältnissen lebten und darum weniger Anspruch auf Mannigfaltigkeit machten, nicht bloß darum war unsern Vorfahren die Langeweile weniger bekannt, nein, ihre Genügsamkeit wurde auch durch den Mangel geselliger Institute unterstützt. Die Welt war leerer, die Leute kamen seltner zusammen, und so wunderlich es klingt: die maaßlose Geselligkeit ist die Hauptursache der Langenweile. Es ist das alte Sprichwort von den Extremen: zu viel Einsamkeit und zu viel Verkehr erzeugen das Nämliche. Eben so ist es mit den Interessen der alten und neuen Zeit. Früher waren die Leute von wenigen bewegt, aber diese wenigen bewegten den ganzen Menschen, jetzt stumpft die Fülle ab. So ist der Ennui ein ganz eigentlich modernes Produkt. So was wird bei neu sich bildenden Zuständen immer abgesetzt, bis die Menschen eine vollständige Oekonomie des neuen Reichthums erlernt haben. Ein stilles Gemach in einer alten schweigenden Reichsstadt, auf einer einsamen Burg war darum den ruhigen, ungestörten Gemüthern nicht so langweilig, als wir in unsern gefüllten Salons oft denken mögen, und die alte Postille stärkte die Leute mehr, als der Haufe mannigfacher Journale und Schriften, der jetzt noch oft wüst und unerquicklich auf uns einwirkt. Aber es ist eben so lächerlich, diese Zustände wieder herbeiwünschen zu wollen, als wenn ein reich gewordener Mann seinen Ueberschuß wegwerfen wollte, weil er nicht sogleich damit zu schalten versteht. Wilhelm ist nun ein Opfer dieses modernen Reichthums: er hat sich in den Formen vereinzelt, versplittert, ein gewöhnlicher Verstand und ein gutmüthiges Herz haben ihn langweilig werden lassen.
Sogleich mußt' ich mit ihm spazieren gehn, er wollte mich orientiren. Ueber den Posthof führte er mich nach dem Freundschaftssaale. Wenigstens sechsmal grüßte er unterwegs, blieb stehen, oder stellte mich sogar vor, wenn ich ihn nicht durch einen Rippenstoß davon abhielt. Dieser tolle Jüngling ist im Stande, mich binnen vier und zwanzig Stunden in so viele Bekanntschaften zu verwickeln, daß ich am Ende keinen Augenblick Zeit für mich und Dich oder sonst etwas Interessantes übrig behalte, daß ich aus Furcht vor lauter Bekannten, die ich alle grüßen muß, nicht mehr ausgehen kann.
Am Freundschaftstempel ließen wir uns nieder, Wilhelm eilte, Erfrischung zu besorgen; nur bei solchen Gelegenheiten ist seine Höflichkeit bequem. Ich saß still da und starrte in den dunkeln Wald, der rings von den Bergen schweigend heruntersah; durch eine Windung des Thals quoll weißgoldner Sonnenschein über die grünen Wände des hohen Gemachs. Ein häßliches Harfenmädchen spielte die Tyrolienne aus Rossini's Tell; in einiger Entfernung von mir saßen viele Leute, aber man hörte wenig von ihnen: Karlsbader Kurgäste haben keine Kourage, sie gehen gebückt unter dem Himmel einher, und horchen still und ängstlich, ob er ihnen wol auf den Rücken fallen könne.
Ich schloß die Augen, und sah Dich, meine weiße Dame, in der Laube auf unsrer Glückseligkeitsinsel sitzen und nach den Lüften lauschen, ob sie Dir Worte und Küsse von mir brächten. Es wehte ein sanfter Süd, und ich sah, wie Du Dein weißes fliegendes Gewand noch fliegender machtest und die letzte Hülle von Deinem festen Busen hobst, damit die Lüfte ihre süßesten Verse und Küsse an Dein Herz legen könnten.
Da störte mich Wilhelm, der Höfliche, und erzählte in Eil, wie der Prinz oben im Saal sei und die liebenswürdigste Komtesse von der Welt mit ihrer feingebildeten Mutter, und wie er mich bereits angekündigt habe. Mürrisch folgte ich ihm, um mich vorstellen zu lassen.
Also auch Du klagst, daß Du Dir den sentimentalen Schmerz nicht weit genug abhalten könnest. Mein liebes Kind, Du hast Recht, warum soll man dem natürlichen Drange des thränenreichen Schmerzes nicht nachgeben, wenn er sich wie ein Liebesgläubiger einstellt? Die Natur hat immer Recht; wenn sie denn durchaus geweint haben will, warum soll man nicht weinen? Nur nicht nachhangen soll man den Abnormitäten. Verweine Dir nicht Deine schönen dunkelblauen Augen – die Komtesse hat ähnliche – ein rothgeweintes Auge ist eine Sünde gegen die Schönheit und gegen Deinen Geliebten, der die Schönheit in Dir verehrte. Ich hoffe, Du trittst in den Stunden, wenn wir uns zu sehen pflegten, fleißig vor den Spiegel, und gibst dir Rechenschaft, ob geschmackvoll gekleidet bist, somit der glücklichen Natur ihr Recht gewährt, ob du dem schönheitslustigen Geliebten genügt habest – Du mußt mich immer hinter Dir stehen und mit Dir in den Spiegel kucken sehen; was mir gefällt, das weißt Du ja, Du liebe Schönheit, Grazie meiner besten Gedanken. Vergiß mir's auch nicht, des Nachts, eh' Du in's Bett steigst, mit dem Licht an den Spiegel zu gehen und mir zu winken, dann wirst Du auch kunstlos geschmückt mit dem Schlafe verkehren, Du mußt den Bräutigam allnächtlich erwarten, dann bleibt die Poesie der Nacht an Deine Schläfe gefesselt, dann bleibst Du auch immer glänzend und straff wie der Morgen.
Ich weiß, daß ich Dich nicht erst vor jenem jämmerlich saloppen Wesen romantischer Dirnen zu warnen brauche, die Anzug und Haltung vernachlässigen, sobald der Geliebte von dannen ist; die da fragen: »wofür hab' ich mich denn geputzt?« Sie ahnen keinen Zauber der Form, keine Schönheit, ja außer schnirkelnd romantischer, auch keine Poesie. Das Ebenmaaß, die Harmonie, die platte Klarheit, das reine Element, was über die Erde, von der Stirn herab über die Schulter wallt – Alles das ist klassische Poesie. –
– Ich muß dem Wilhelm eigentlich sehr verbunden sein für die Bekanntschaften, in die er mich gewaltsam hineinzieht. Ich kann wochenlang in einem Bade sein, ohne etwas Hübsches kennen zu lernen. Das Auge ist zu despotisch in mir: ich begnüge mich vollkommen damit, schöne Gestalten zu sehen, es erfreut mich ein freier, mit vollen, runden Fesseln spielender Wuchs, es macht mich ein schöner, leichter Gang fröhlich, es erquickt mich ein schönes Gesicht, was mir darthut, der ärgerliche Gott der Christen sei noch eben so groß, wie es die Götter Griechenlands waren, die thörichten Menschen wollten's pur nicht glauben. Ich fühle selten das Verlangen, ein schönes Mädchen zu sprechen, oder richtiger gesagt, ich bin zu scheu, zu furchtsam und zu faul den Sumpf der Anknüpfungsgespräche durchzuwaten, um am Ende zu einem Wesen zu gelangen, was mir durch die Verschiedenheit des Innern und Aeußern einen widerwärtigen, disharmonischen Eindruck gewährt. Ich setze dabei auch immer die äußere Schönheit des Mädchens auf's Spiel, denn sie ist alsbald für mich verloren, wenn ich unter dem schönsten Busen ein gedankenleeres, armes Herz, hinter dem lockenden Titel leuchtender, weiter Augen ein ödes, wüstes Hirnkämmerchen entdecke.
Und muß man das nicht zumeist erwarten bei den schlecht erzogenen Töchtern unsrer höheren Stände? Sie sprechen schlecht französisch, faseln höchstens von Schiller oder affektiren und kokettiren mit Goethe, wenn sie eine sogenannte Erziehung genossen haben, aber sind prüde, zimperlich, ohne Schönheitsmuth, ohne poetische Lebenskraft.
Gewinne ich nicht also, wenn ich die schönen Dämchen nicht spreche und meine gesunden Mädchenseelen darin herumhüpfen, vom Augenlied und der weich gerundeten Hüfte vor ihnen her springen lasse? Sprich, Blanca, gewinne ich nicht? Hab' ich nicht auch Dir lange zugeschaut stumm und wortkarg, bis Deine innern Grazien mir unwiderstehlich winkten? Weißt Du noch, wir gingen in der Allee, die an Deines Vaters Gartenhaus stößt, nach dem Lustschlosse, und ich erzählte Dir, daß ich fortreisen würde in die weite Welt. Da sahst Du mich mit Deinem großen Auge groß und offen an, Deine schöne Seele streckte bittend die Hände aus ihm mir entgegen. Deine schmachtenden Lippen theilten sich langsam, um Raum zu geben dem heiß erregten Herzensodem – wir standen still einander gegenüber. Du reichtest mir zum ersten Male die Hand, ich zog Dir langsam den Handschuh davon, und fühlte Dein warmes Leben, was elektrische Funken in mich schlug. Es schlich sich leise aus Deiner weichen, pulsirenden Hand Dein Wesen bis in's Herz des meinen. Mit einem leichten Druck, den Du mir mit den Augenwimpern erwidertest, gab ich Dir die Hand zurück, den Handschuh behielt ich, und wir gingen langsam, nur einzelne Worte sprechend, nach dem Gartenhause. In's grüne Zimmer im Erdgeschoß traten wir, liebeschauernd wie die Griechen in Aphrodite's Tempel. Du setztest Dich in jenen lauschigen Winkel, und schwiegst, die Hände in den Schooß gelegt; ich ging einige Male im Zimmer auf und ab, und blieb dann vor Dir stehn. Dein Auge, mit dem Du zu mir in die Höhe sahst, war liebesweich. Ich nahm Deine Hände – Du hattest auch den andern Handschuh ausgezogen – und legte sie auf meine Brust, mein Kopf beugte sich vorwärts, der Deine zurück, die Lippen drängten sich an einander im ersten, heißen Liebeskusse. Da zog ich den leichten seidnen Shawl, den Du trugst, von Deinen vollen Schultern, drückte meine Wange darauf, nahm dann Dein Haupt in meine Hände, in denen sich die weichen Locken kräuselten, küßte Dich auf das Auge und ging davon.
Erst nach acht Tagen sah ich Dich wieder – Du trugst dasselbe grünseidne Kleid, wir fanden uns in demselben Zimmer.
Ich wollte Dir andere Dinge schreiben, jetzt kann ich nicht mehr. Morgen.
Ich fand die Gesellschaft, welcher mich Wilhelm im Freundschaftssaale vorstellte, sehr heitrer Laune. Der Prinz beachtete mich wenig, und das war mir sehr angenehm; er beherrschte und leitete das Gespräch, und ich konnte somit mehr empfangend als gebend unbetheiligt beobachten. Er ist ein großer, starker Mann mit einem feisten, ziemlich regelmäßigen Gesichte, was einförmig und reinlich wie ein Hôtel diner aussieht. Man sieht nicht die kleinste Spur, daß irgend ein bedeutender Gedanke jemals nur darauf spazieren gegangen wäre, der Backenbart ist wohl gepflegt, der Stutzbart in bescheidener Zurückgezogenheit gehalten, es ist Alles civil und ordentlich in diesem Antlitze, wie in einer wohl aufgeräumten Stube, auch nicht ein poetisches Winkelchen ist zu entdecken. Auf einem grünen Ueberrock trägt er einen großen Stern, damit ihn Niemand verkenne. Er spricht seinen provinziellen Dialekt; das machte den wunderlichsten Eindruck auf mich. Der Fürst ist zumeist die große Ausnahme von den kleinen Landesinteressen, er ist unberührt vom Staube des Lebens, er ist einzig in seinem Ländchen – ich konnte gar nicht begreifen, wie er sich solchergestalt auf die schlechteste Art mit ihm vermischen, und der provinziellen Unarten mit ihm theilhaftig machen könne. Du weißt, ich gebe nicht viel auf die mit Flittergold prunkenden Sprachkenntnisse, weil man zu oft dahinter bloße Papageimenschen findet, die statt den Verstand zu bilden das Gedächtniß gemartert haben, welche die Instrumente zur That, d. h. die Worte zum Gedanken, für die That ansehn und ausgeben. Aber die Muttersprache verlang ich rein und makellos. Sie ist der Ausdruck der Bildung, die Erscheinung und Manifestation des innern Menschen. Ein Mann aus den höheren Klassen, der seine Muttersprache verunstaltet spricht kommt mir immer wie ein geputzter Herr mit schmutziger Wäsche vor.
Der Prinz scheint übrigens gutmüthig, oberflächlich wissend und oberflächlich eitel zu sein. Er gehört wol zu jener, wenn auch untersten, Klasse von Bildung, die wenigstens Theilnahme für die Bildung affektirt. Natürlich hat er keine eigne Meinung, sondern nur diejenigen Meinungen Anderer, die er am bequemsten und leichtesten gefaßt hat. Er will auch eigentlich nicht Recht haben, sondern nur sprechen – es gibt nichts Besseres für eine Brunnenkur, eine Kurbildung. Ich glaube, er hat auch gar keine Leidenschaften, nicht einmal für die Jagd oder die Pferde und Hunde, die Prärogativpassionen unsrer alten Ritter. Er begnügt sich mit kleinen, leichtfüßigen, kurzsichtigen Neigungen. Das ist etwas, was mir stets ein tiefes Mitleid einflößt; die Natur hat solchen Menschen die Ahnung, wenn auch die oft schmerzhafte Ahnung ihrer Tiefe versagt. Wer von keinem tiefen Leide erschüttert wird, kennt auch keine tiefe Freude, kennt keinen Vers jener Schwärmerei, welche um den versagten Himmel buhlt, empfindet keine Art von Religion, ist keines Opfers, keiner Größe fähig. Der wunderlichste Narr ist ein Gott an Reichthum neben ihm. Die Augen der Nacht sind ihm verschlossen, die Brunnen der Weltseele versiegt, er ist so arm, daß ich weinen möchte, wenn ich die leere Freude auf seinem Gesicht sehe. Die Unterdrückung, Verdammniß jeder Art von Leidenschaft ist mein Vorwurf gegen das Christenthum, und die Art Romantik, welche nur mit ihm buhlt – die gewaltigsten Kräfte, die unmittelbar göttlichen ruhen in den Leidenschaften – man soll sie zur Schönheit zügeln, aber nicht unterdrücken. Die starren Asceten sind für mich grauenerregende Sünder; sie legen die frevelhafte, läppische Hand blindlings an den Gott im Menschen.
Es ist doch recht schade Blanca, daß Du nicht von Adel bist! Du glaubst nicht wie Einem dies das Leben erleichtert. Es ist eine Art Ordensverbindung, die sich durch alle Länder erstreckt, namentlich seit den Zeitbewegungen, die wie Du weißt von Voltaire und Rousseau datiren. Sie wird immer inniger, je mehr sie von der jungen Welt angegriffen und in das historische Bereich zurückgedrängt wird. Ich glaube, man würde sie viel erfolgreicher bekämpfen, wenn man sie, statt zu spotten und zu höhnen, unbeachtet ließe. Ein Sterbender lebt noch länger, wenn man ihn noch einmal heftig bei seinen Lebensfragen angreift, ja man hat Beispiele, daß solche, die schon ausgeathmet zu haben schienen, wieder auf eine Zeitlang lebendig geworden sind, wenn irgend ein Ton früherer Leidenschaft, sei's einer der Liebe oder des Hasses angeschlagen wurde. Ich will es gern glauben, daß der Adel durch sein Ausruhn auf Vorzügen, die keine mehr sind, die Kultur hemmt; aber ich seh' es nicht gern, wenn man ihn mit schweren Waffen angreift. Als ob man gegen einen alten Tanzmeister, der nichts weiß als die Namen seiner aus der Mode gekommenen Touren, Kanonen aufführe! Und dieser Gegensatz, diese stille Privatrancüne in der Gesellschaft verschafft uns doch vielen Reiz. Wie viel Interesse ginge für uns verloren, wenn die geputzte Frau Kommerzienräthin nicht mehr neidisch wäre auf die Frau Baronesse, und die Frau Baronesse nicht mehr vornehm herabsähe auf die Frau Kommerzienräthin, die in der schönsten Equipage an ihr vorüberrasselt. Wir sind einmal verwöhnt, und brauchen die Kontraste zu unsrer Anregung. Wie trostlos wäre es für uns, wenn plötzlich der Adel oder die Standesunterschiede im Allgemeinen aufhörten, wie würden wir in einem Gleichheitsstaate verschmachten, wie würden die Kämpfer gegen Aristokratie in Langerweile und Reizlosigkeit sich dehnen! Bin ich nicht heute sehr liebenswürdig? Denn daß mein eigner Adel dabei nicht mitredet, weißt Du wohl, obgleich ich Dir gestehen muß: es würde mir gar spanisch vorkommen, wenn mein Friedrich mich eines Morgens nicht mehr »gnädiger Herr Graf« anredete, sondern sich vernehmen ließe »Bruder Alphons, wie hast Du geschlafen?« Kurz, wie ein recht bequemer Lebemann, wie einer, den die junge wilde Welt einen herkömmlichen Schlecker, einen unbrauchbaren Indifferentisten nennen würde, versichre ich Dir, mein holdes Kind, es ist sehr bequem und angenehm, von Adel zu sein. Ich führe Dich so gern in Gedanken in die hiesigen Kreise, dazu darfst Du aber nicht bürgerlich sein; meine zufällige Geburt verschafft mir wie eine Empfehlung überall Zutritt. Aber adeln lassen muß man sich doch nie, das ist ein größeres Unglück als in demokratischen Zeiten von Adel sein, denn es ist ein unverantwortliches Zugeständniß an eine Partei, deren angenommener Werth im Alter besteht, also nicht durch Verdienst oder Fähigkeit erworben werden kann. Ich spreche mit den Leuten natürlich wie ein Eingeweihter mit dem andern, und erzählte dem Prinzen mit vielen Bedauern, daß ich eine Mesalliance geschlossen; er erbot sich sogleich, Dich in den Adelstand zu erheben – Dich adligstes Mädchen unter Mond und Sonne will man adeln. Ich dankte verbindlichst, und bedauerte, daß Du auch zugleich eine Jakobinerin und auf keine Weise zu retten seist. Auf diese Weise hab' ich sogleich den Ruf eines unglücklich Verheiratheten bekommen, am andern Morgen wollte ich mich scheiden lassen, am dritten erzählte Jemand neben mir, der mich nicht kannte, ich hätte mich von einer sehr liebenswürdigen Frau scheiden lassen, weil sie nicht von Adel sei. Die feine Welt ist unsicher über mich geworden, und so bin ich schnell interessant. Ein junger Witwer hat mehr Reiz als ein Junggesell, ein halber Witwer noch mehr als ein ganzer. Ich promenire jetzt in einem romantischen Mantel, und jedes kleine Händchen juckt es, ihn zu lüften.
Uebrigens bin ich wunderlich genug bereits um und um in gesellige Interessen verflochten. Wenn man liebenswürdig und von Adel ist, mein liebes Kind, so kann man sich nicht in die Einsamkeit retten. Warum schlägst Du mich auf den Mund? küsse mich lieber; ich werde doch bald andre Mädchen küssen. Ich weiß es, daß Du Dich darüber freust, und ich werde auch gewiß mein Versprechen halten, und Dir nichts verschweigen, und Du wirst doch immer mein Liebling bleiben.
Nach der Luft kommt das Element der Gesellschaft, dem man nicht entrinnen kann. Die Komtesse, welche damals mit dem Prinzen im Freundschaftssaale war, ist ein sehr liebes Geschöpf. Das feine, zarte Gesicht ist von einem so weichen, sanft wechselnden Ausdrucke, daß sie kein Mensch hart ansehn kann. Ich möchte sagen es ist ein human schönes Gesicht, weiches braunes Haar, eine klare Stirn, auf der lauter freundliche Gedanken stehn, im klarsten Weiß still hin und hergehende sanftblaue Augensterne, von der weichen Hülle langer Wimpern sorglich beschützt, ein kleiner Mund von schmalen Lippen, lieblich einschmeichelnd wie ein Liebes-Liedchen Uhlands – gefällt Dir das nicht? dazu der schönste Teint, eine Hand weiß und länglich wie ein seidenweicher Himmelsvogel, ein schöner Fuß, eine feine, schlanke und doch runde Figur, die einfachste geschmackvollste Kleidung von der Welt, braucht es mehr, um zu erfreuen? Und die Komtesse hat noch mehr: sie hat eine weiche, elastische, melodische Stimme, daß jeder Ton sich wie ein Liebesgott sanft an's Herz legt, und schönstens bittet, mitzufühlen und zu empfinden. Es ist eine lyrische Stimme.
Daß ihr jetzt so kurze Kleider tragt, gefällt mir sehr, obgleich die Größe, das Imponirende, Heroische der Figur bei langen Gewändern mehr gewinnt. Ihr braucht aber nicht zu imponiren und heroisch auszusehn. Dadurch, daß man den Fuß bis über die Knöchel sieht, kommt mehr Klassicität, klare Natürlichkeit in Eure Gestalt; das fein gefesselte, in leicht aufstrebender Ausbreitung sich entwickelnde Bein gibt dem Gange und somit dem ganzen Körper mehr Luftigkeit, Heiterkeit und Freiheit. Und ihr Weiber müßt ja so oft die Luft sein, welche den Mann, das schwerere Element der Erde fächelt. Wenn ich einen größeren Theil des schlanken Fußes sehe, so wird mein Auge mehr an Formengrazie gewöhnt, ihr entwickelt und enthüllt auch dadurch das Geheimniß Eures ganzen Wuchses mehr, mein künstlerisches Auge ergänzt den Unterkörper völlig, ihr bildet dadurch mehr Künstler, das Verlangen nach Euch wird ein klareres, luftigeres, schöneres. Die langen Gewänder sind mehr düster romantisch und erzeugten eine dumpfere, verworrenere Sinnlichkeit, verpackten unschön die Form und fesselten die Grazie.
Mein Herz labt sich am Anblick der Komtesse. Es ist etwas Tragisches über sie ausgegossen, man glaubt, sie nehme fortwährend Abschied von den Freuden der Welt, und liebe doch diese Freuden innig, sie ist eine elegische Schönheit. Ihre Jugendblüthe ist eigentlich vorüber, sie ist schon in den zwanziger Jahren, und ich kann aus der Wehmuth um Mundwinkel und Augenlieder noch nicht recht herauslesen, ob sie unglücklich geliebt hat, oder nur nach Liebe, gleichviel ob glücklich oder unglücklich schmachtet. Sie ist eine renommirte Schönheit gewesen, und gilt bei Vielen zum Theil noch dafür, sie hat sehr viel Freier und Anbeter gehabt, ist aber glaub' ich, arm, und hat keinen gewählt. Jetzt macht ihr der Prinz lebhaftest den Hof, und die alte Baronesse, welche mir dies Alles auf dem Heimwege mittheilte, setzte hinzu, die Intention von Sr. Durchlaucht scheine seriös zu sein. Und doch glaub' ich, die Komtesse hat noch nicht geliebt, es ist zu viel unerfahrne Jungfräulichkeit in ihren Augenaufschlage, zu viel Verschlossenes in den Lippen, die wie Centifolien aufzugehen pflegen nach heißen Liebesküssen; die milden Liebeszüge um Auge und Mund sind noch Knospe, es ist nicht die leiseste Wollust im Gesicht zu sehen. Und die bleibt nicht aus und ist so verlangend schön wie ein üppiger Frühlingsabend. Du weißt, wie oft ich Dir gesagt habe: Blanca, die Liebeslust hüpft auf Deinem Gesicht herum, und Du holdes, gesundes Mädchen läugnetest es nicht mehr, sondern öffnetest lächelnd die Arme.
Aber Zeus, warum duldest du solche alte Weiber auf der Welt? Was hab ich gelitten von dieser alten Baronesse! Wie groß ist die gesellschaftliche Sünde, so grauenhaft häßlich zu sein, wie fürchterlich ist es, mit der Häßlichkeit schön thun zu sehn! Ich kann mich nicht entschließen, Dir das garstige Weib zu schildern, man sollte überhaupt durch Schilderung Häßlichkeit nie bleibend machen. Was hat es für einen ästhetischen Zweck, das Unschöne vorzuführen? wie können sich Belletristen in diesem frazzenhaften Kontraste gefallen? Was ist es für eine Kunst, zu kopiren? ein Künstler muß sich nie dazu hergeben. Wozu haben wir Verstand und Geschmack, als um solche Abnormitäten der Natur zu verschweigen?
Das Ungethüm verfolgte mich mit einer Art Theilnahme, es lief mir eiskalt über den Rücken. Das Gefühl und Bedürfniß der Schönheit ist doch so groß in mir, daß ich ein garstiges Weib nur mit demselben Widerwillen küssen könnte, mit welchem ich Rhabarber einnehme. Ich weiß, es gibt Sinnlichkeitsmenschen, die Alles, was Weib heißt, und nicht eben wie des Teufels Großmutter aussieht, an sich zu drücken vermögen. Ich bin kaum im Stande, ein mittelmäßig hübsches Frauenzimmer, was nur die kleinste unschöne Abnormität hat, eine Zeitlang, mit gewöhnlich humanem Wohlwollen anzusehn – Euer Element ist Schönheit und Reiz; alles Garstige ist's an Euch doppelt. Das sollten sich namentlich die alten Frauen merken, und mit Geschick ihre ursprüngliche weibliche Bestimmung verläugnen. Sie müssen gar keinem Geschlecht mehr angehören, verhüllt mit Hauben und Tüchern bis an das Kinn gehen, und sich eine unparteiische Stellung zwischen Mann und Weib gründen. Zudem ist das Gesicht einer alten Frau das Urtheil ihres früheren Lebens; all die Regungen und Leidenschaften, denen sie sich früher hingegeben, haben sich viel tiefer eingenistet in die nachgiebigere Frauenhaut, und grinsen wie Schauergeschichten mit Spießen und Säbeln um Augen und Mund. Man wird selten einen so tiefgefalteten Mann sehen, wir verarbeiten durch Handeln vieles, was sich bei äußerer Unthätigkeit in das Gesicht des Weibes eingräbt. Wir sind nicht da, um zu gefallen, aber die Frauen sind's; wenn man die Waffen verloren hat, kann man nicht mehr Soldat sein, wenn man nicht mehr gefallen kann, muß man's verstecken, daß man eine Frau ist.
Die alte Baronin war noch bei der teutschen Kaiserin Hoffräulein gewesen, und hatte geschwärmt, als man noch auf dem Römer krönte. Sie wollte mir durchaus von der Komtesse erzählen, wie schön sie tanze, singe &c., ich bat sie um Gotteswillen, das nicht zu thun. Gott weiß, was ich zu ihr gesagt, aber für ganz klug hält sie mich gewiß nicht mehr. Es zerstört meine Illusion, die Schönheiten eines Mädchens von einem alten zahnlosen Weibe aufzählen zu hören. So möchte ich ein junges schönes Buch nicht auf altem vergelbtem Papier mit altmodischen Lettern abgedruckt sehen; ich traute den jüngsten, frischesten Gedanken nicht, ich fürchtete mich vor innerlichem Moder. So könnte ich nie altes, vertrocknetes Papier zu meinen Briefen an Dich und dergleichen nehmen, es würde mich ein Mißbehagen beim Schreiben überfallen. Es gibt einen Hauch der Jugend, der Alles erfrischt, und es ist eine Kunst des Lebens, ihn immer zu fühlen und zu sehen. Wer ihn auch nicht zu reproduziren weiß durch frische Luft, Bäder, blühende Wäsche, glänzende Sauberkeit in allen Dingen, der lebt wie ein barbarischer Russe, und ist der Civilisation fremd.
Die Alte hatte mich wirklich ein ganz Stück hinweggedrängt von der Komtesse, mit welcher der Prinz eifrigst sprach. Ich weiß nicht, ob es so geläuterter, guter Ton, oder wirklich herzliche Theilnahme war, welche die Alte ausdrückte. Sie behauptete, meine Familie zu kennen, und erkundigte sich aufs Sorgfältigste nach meiner Kränklichkeit. Ich rief die alte Gräfin, welche mit Wilhelm hinter uns kam, zu Hilfe und ließ mich über das gesellschaftliche Leben in Karlsbad unterrichten. Die Gräfin gehört zu den Frauen, die sich bis in den Sarg eine Art starrer Schönheit bewahren, es sind die Umrisse, die Skizzen zu einem schönen Gemälde, aber die Augenhöhlen sind wie bei Statuen leer, das Fleisch und das vertrauliche Leben fehlt. Aber ich beschreibe falsch: Du könntest Dir nun ein sehr edles Gesicht denken, das in steinerner Ruhe läge; das hat die Gräfin aber nicht, sie hat nur die Formen dazu, eine schöne Nase, große Augen, hohe Stirn, imponirende Figur, der Gedanke des Adels fehlt aber. In Ermangelung dessen hat sich die Gewöhnlichkeit, welche nur zu oft Gemeinheit ist, in die leichten Falten gelagert, die sich allmählich in das gelbliche Pergamentgesicht einknittern. Man kann an ihr recht sehen, wie todte Form keinen Vortheil gewährt, wie in dem Aeußerlichsten eine Art Leben sein muß, soll es gefallen. Es fehlt nämlich auch ihrer schönen Figur der Gedanke des Wuchses: sie geht ganz schlecht. Ich möchte sagen, sie geht gar nicht, sondern schleppt einen Fuß nach dem andern fort. Dadurch wird ihre Erscheinung ganz niedrig. Sie schien niedergeschlagen, und wenn ich einige ihrer besorgten Blicke richtig belauscht habe, so hat ihre Tochter viel Schuld daran. Der Neigung des Prinzen mag sie nicht recht trauen, wenigstens schwerlich etwas Solides davon erwarten, sie soll arm sein und wahrscheinlich wünscht sie eine baldige, gute Verheirathung ihrer Tochter. Sie kann Recht haben mit ihrer Besorgniß: ich habe meist gefunden, daß seltner die mittelmäßigen Mädchen unverheirathet bleiben, als die interessanten. Es kommt vielleicht daher, daß es auch mehr mittelmäßige Männer gibt.
Wo vor dem Posthofe der Fußsteig sich vom Fahrwege trennt, stand die Komtesse mit dem Prinzen still, und erwartete uns. Sie schienen Beide lebhaft gesprochen zu haben, und die Komtesse war noch weicher, sanfter, seidner als im Saale draußen. Es that mir sehr wohl, liebe Blanka, als sie ihre ersten Worte an mich richtete, und fortwährend lieb und gut mit mir plauderte, bis wir uns auf der Wiese trennten. Wirklich war's so ehrlich und lieb von ihr, als sie mir gute Nacht wünschte und hinzusetzte, es sei hübsch, daß sie mich kennen gelernt habe.
Ich muß eilen, sonst bleibt meine Beschreibung hinter den Dingen und Tagen zurück. Vorgestern erlebte ich einen hübschen Morgen. Ich dachte unwillkührlich an unsern Abschiedsmorgen, und eine lebhafte Bewunderung der Gottheit erfüllte mich, wie mannigfach sie das kleine Menschenherz bewegen und beglücken kann. Du weißt, ich spreche sonst nicht viel von der Gottheit, ich hasse es sogar, wenn man sie fortwährend im Munde führt, so wie ich die dramatischen Liebhaber und Liebhaberinnen nicht leiden mag, die fortwährend in schönen Redensarten von der Liebe sprechen. Wie wäre die Gottheit klein, verlangte sie Anerkennung von den Menschen, was wäre sie da für ein karg menschlicher Gedanke. Wer über der Schönheit der Welt, über der Gottheit die Gottheit vergißt, ist der nicht göttlicher, frömmer als der, welcher sich außerhalb der Gottheit hinstellen und sie preisen will? Alle schönen Empfindungen, die Freude jeder Art ist der beste Gottesdienst. Wie wenn unsere Herzen in warmes Blut, in Himmelsäther getaucht worden wären, so webte es in uns, als ich damals meinen Reiserock angezogen hatte, und wir mit einander auf der Schwelle Deines Schlafzimmers standen. Unter meinem Arm lagst Du an meiner Brust, große Thränentropfen drängten sich Dir aus den Augen und ich überschaute selig noch einmal den Raum unseres Glückes. Auf dem Stuhle am Bette lag Dein weißes Nachtkamisol, das ich Dir herunter zu streifen pflegte von der runden Schulter und dem vollen Arm. Du wolltest mir anfänglich immer die Augen zuhalten, wenn ich's zu hastig that. Auf dem Nachttisch am Bette stand die Uhr, die ich zu verhängen pflegte, in der andern Ecke des Zimmers die treue, tiefbeschirmte Nachtlampe, die mir so oft geleuchtet hatte zum Anschauen meines weißen, schönen Mädchens. Es ward mir weich um's Herz, ich drückte mein Gesicht in Dein Haar, und drängte meine Hand tief in Deinen Busen, um die Eindrücke meines Bluts Deinem Herzen mitzutheilen. Wir stiegen langsam die Treppe hinab. Du bliebst lieblich zögernd immer eine Stufe zurück und hattest den Arm um meinen Nacken, das Haupt auf meine Schulter gelegt. Du liebes, griechisches Mädchen warfst alle modernen französischen Rücksichten von Dir und gingst, ein leidend Weib mit ihrem Gatten, neben mir über die stille Straße, die noch im tiefen Schlummer der Morgenfrühe lag. Beim ersten Brunnen blieben wir stehen, Du lehntest Dich ermattet an, Dein Kopf lag zitternd auf meinem Herzen. Der Nachtwächter mit seinem mittelalterlichen Kostüme, dem breiten Hute und kurzem Spieße saß nicht weit von uns auf einer steinernen Bank und schlief, sein Hund kam einige Schritte auf uns zu, blieb stehen, reckte den Kopf neugierig in die Höhe und sah uns wie staunend an. Da, mein süßes Mädchen, überwältigte Dich zum ersten Male das verlangende Weib: Du schlangst Deine Arme fest um mich und sprachst zum ersten Male: »Nein, Alphons, Du darfst nicht fort!« O, wie das durch alle Kammern meines innersten Mannes drang. Ich küßte Dich mit allen Fibern meiner Seele, nahm Deine erschlaffenden Arme von meinen Schultern, bedeckte meine Augen damit, küßte ihre hohle Fläche, legte sie sanft in Dein Gesicht und ging. Wir sprachen kein Wort mehr. Als ich an die Ecke kam, wo der Postwagen meiner harrte, sah ich mich zum ersten und letzten Male nach Dir um, nachdem ich mir die letzten Thränen getrocknet hatte, ich wollte freudig von Dir scheiden. O, wie entzückt war ich, als ich sah, daß auch Deine Liebe den flüchtigen Schmerz besiegt hatte. Du hattest die Arme zum Himmel erhoben, ihn zum Glück herausfordernd wie Donna Anna zur Rache, die Freude des Abschieds lag erhaben auf Deinem Gesichte, eine muthige Antigone standest Du da. Der bunte Shawl, den ich Dir über das weiße Morgenkleid geworfen hatte, war Dir von einer Schulter heruntergeglitten, Dein leichter, weißer Ueberrock flatterte im Winde – o wie entzücktest Du mich da, Blanca; ich eilte fort, um Dich nicht mehr anders zu sehen. –
Es ist so verführerisch, vergangene Liebesgeschichten zu schreiben, die gegenwärtigen erblassen vor ihrem leuchtenden historischen Schein. Mein Karlsbader Morgen ist plötzlich klein und unbedeutend geworden. Wüßten es alle Menschen, welche tiefe Poesie in Allem, was vergangen ist, liegt, welch' unaussprechliche Kunst über Alles, was geschieht, sich verbreitet, sie würden sich die Gegenwart verschönern durch die epische Darstellung der Vergangenheit. Das kleinste, unbedeutendste Leben ist so überwältigend reich, wenn es vorüber ist, und man mit schaffender Hand die Bilder zu ordnen weiß. Das ist der tiefe Zauber der Romantik, der in seiner Einfachheit so gewaltig ist, und den sie überladen, verwirrt, ja zerstört haben, die mystischen Romantiker mit ihren Spielereien. Der plumpste Mensch spricht von seiner glücklichen früheren Zeit, wenn sie auch, so lange sie Gegenwart war, nur die gewöhnlichen, alltäglichen Dinge brachte. Das ist die große Macht des Epos, in deren Schooße die Hoffnung schlummert. –
– Wir begrüßten uns wie alte Freunde, die Komtesse und ich, als wir uns am Brunnen fanden. Sie war so lieblich in ihrer einfachen Morgentracht, ihre zarte Seele, ihre linden, schmeichelnden Worte sind so übereinstimmend mit einem stillen Sommermorgen, daß sie nur bei stiller Mondscheinnacht schöner sein kann.
Das Frühstück ist in den meisten Brunnenorten, vorzüglich in Karlsbad, die praktische Poesie des Tages, der erste und schönste Anknüpfungspunkt an das Reizende der materiellen Welt. Die Komtesse hatte mich dazu eingeladen. Auf der schattigen Seite der Wiese war unser zierlicher Tisch aufgeschlagen, angenehm ermüdet vom vielen Promeniren setzten wir uns, die Komtesse machte die liebenswürdigste Wirthin, auch die alte Gräfin war heute besserer Laune, und Wilhelm unterhielt sie nach seiner Art auf das Verbindlichste. Es war der Morgen eines katholischen Festes, auch die Bürgersleute, die an den Hausthüren standen, oder vorüber gingen, waren geputzt; das hat für mich etwas sehr Angenehmes, ich liebe die Festtage. Es sieht mir immer fatal aristokratisch aus, wenn ich mich müßig der Welt freue, und unweit von mir keucht ein Mann im Schweiße seines Angesichts, um der spröden Erde das Nothdürftigste abzugewinnen. Die Wiese entlang saßen an den weiß und bunt behangenen Tischen lauter eben genießende Menschen, wie Weihrauch stieg überall der Dampf des Kaffee's in die reine Luft, drei Schritt von mir lag warm und weich der junge Sonnenschein auf der Erde, die Luft war noch frisch, morgen- und lebenslustig, böhmische Musikanten spielten in angenehmer Ferne einen der lustjauchzenden Strauß'schen Walzer, rings um uns lachte, scherzte man, war man munter – kurz, es war gar hübsch, liebe Blanca. Der Körper ist durch Brunnen, Luft und Bewegung dazu so geläutert, klar in seinen Ansprüchen, offen allen Eindrücken, daß ein solcher Brunnenmorgen wirklich eine schöne sinnliche Poesie bringt. Ich bat die Komtesse leise, ihre Handschuhe auszuziehen, wenn sie uns Kaffee in die blinkenden Schalen gösse, damit ich die lebendige, schöne Hand sähe – sie kennt keine Ziererei, blickte mich lieblächelnd an, und that's. Sie sah liebreizend morgendüftig aus, schneeweiß gekleidet, ohne die rohen Waffen der Schönheit: Schnürleib, steife Kleider &c. Mein Auge fühlte glücklich das weiche Leben durch die dünnen Kleider. Lächelnd theilte sie einen Tatitscheff mit mir. Das sind die weißesten kleinen Brötchen, denen man wunderlicher Weise den scythischen Namen des russischen Gesandten gegeben, weil er so viel richtigen Geschmack gehabt hat, sie allen andern vorzuziehen. Und nun rückten wir uns recht behaglich näher, um recht bequem, innig und herzlich mit einander zu sprechen. Die Mutter gab nicht auf uns Acht, und war durch Wilhelm beschäftigt. Das Gespräch kam bald auf den Prinzen, der in einiger Entfernung an einem Tische stand und seinen Kaffee schlürfte, ein schlimmes Gesicht machte und die Augen zuweilen im Galopp zu uns her und wieder zurückjagte, dazwischen aber schnell einmal laut auflachte, mit den Damen und Herren an seinem Tische in ein scherzhaftes Gespräch gerieth, und uns eine Viertelstunde lang ganz vergaß.
Ich sagte der Komtesse leise, daß man von ernstlichen Annäherungsschritten spräche, welche der Prinz zu einer Verbindung mit ihr in den letzten Tagen gemacht habe. Sie schüttelte wehmüthig lächelnd das Haupt, und versprach mir davon zu sprechen, wenn wir nach dem Frühstück ein wenig promenirten.
Wir waren noch nicht aufgebrochen, als der Prinz mit einer großen Suite an unserm Tisch vorüberstrich. Er sprach nur ein Paar flüchtige Worte zur Komtesse. Ich achtete nicht darauf, weil mich etwas Anderes lebhaft beschäftigte, es schien mir aber später, als hätten sie die Komtesse sehr ernstlich berührt. Neben dem Prinzen sah ich nämlich eine Dame, deren Auge mich traf wie der Strahl des Lichts. Es war eine jener glücklichen Physiognomiken, die überraschen, erfreuen, entzücken, ohne daß der Verstand ein Wörtchen dabei zu sprechen hätte. Sie sind der Spott der Gottheit über alle Malerkunst, sie enthalten jenes Etwas der Kunst, was kein Mensch erfindet, weil es das rein Göttliche des menschlichen Gesichts ist. Solch ein Antlitz hat die Griechen auf die Idee eines Gottes der Schönheit gebracht. Es ist die geistige Schönheit des Kopfes, und doch ist es keineswegs das, was wir Geist nennen, es ist das Glück, das wir nur erfahren, aber nicht erfinden können, was uns plötzlich in die Seele leuchtet. Ja, kopiren können wir armen Teufel so etwas, aber dann haben wir dies eine Bild, es ist keine Gattung, in welcher wir variiren könnten – ein Zug anders, und die Gottheit ist unter den Händen verschwunden. Solch ein Gesicht macht mich immer recht unzufrieden mit der Kunst – wie weit haben wir's denn in ihr gebracht? Einige Striche, Umrisse, todte Formen sind unser ganzer Reichthum, etwas innerlich lebendig Schönes können wir nicht erfinden. Das ist eine Prärogative der Gottheit, wie das Glück.
Ach! das Glück, Blanca, das Glück, dieser glänzende Beweis unserer Sklaverei, weißt Du nicht wo es der Herrgott versteckt hält?!
Ich dachte an die junge Napoleonische Garde, als ich das glücklich schöne Mädchen vorüberschreiten sah: sie geht einher wie ein siegeslustiger Soldat. Um die scharfgeschnittene Nase weht kühner Muth, das Leben zu genießen, das große blaue Auge, dessen dunkle Pupillenränder einen hüpfenden Schatten über den ganzen Augapfel gießen, dies Auge springt herum wie ein glänzender, übermüthiger Knabe, den man küssen und kosen möchte. Frei war der Kopf, kein Hut hemmte das fliegende kastanienbraune Haar, kein Schirm schützte die weiße Haut vor der Sonne; sie forderte den Sonnengott heraus, seine Pfeile an ihr zu versuchen. So schritt sie vorüber in einem grauseidnen Oberrocke, der Wind schlug die Flügel zurück, zeigte das hochgeschürzte weiße Unterkleid, und das volle schöne Bein, welches fast wie männlich, nur runder, in kühnen vorstrebenden Linien in einem Guß bis auf die kleine Fußspitze sprang. Der springende Knabe, dies Auge des Glücks traf mich einen Moment, mein Gesicht muß vor Freude gestrahlt haben, ein schnelles Lächeln sprang über ihre vollen Lippen, sie war vorüber, und ich konnte nur eiligst den Kopf wendend, die Figur noch betrachten. Wie ein reizender Schalk gleitet der Wuchs vom straffen Nacken über die schöngeschweiften Schultern und hüpft in die weiche elastische Taille, ruht auf den stolzen Hüften, und schwingt sich weich und nachgiebig das Bein entlang.
Blanca, Blanca, Allah ist groß, und die Schönheit sein Prophet.
Als wenn ich unartig gewesen wäre, sah ich jetzt beschämt die Komtesse an. Ich fühlte, daß ich ihrem sanften, bescheidenen Reize untreu geworden war. Sie sah still vor sich hin, und ich freute mich, daß sie meine Abschweifung nicht bemerkt hatte. Es schien ihr gelegen zu kommen, daß die Mutter das Gespräch allgemein machte, wir saßen noch eine Weile zusammen, der Eindruck verlor sich allmählig wieder bei ihr, und als wir aufbrachen, war sie in ihrer vorigen harmonischen Stimmung. Ich wußte, daß Wilhelm viel Notizen über den Prinzen gesammelt hatte, berührte diese Saite, die, wie ich richtig vermuthete, für die alte Gräfin einen sehr guten Klang gab, und ließ die beiden Etymologen dann vorausschlendern.
Ich meinte, die Komtesse würde verlegen sein, mir dergleichen mitzutheilen, hatte mich aber geirrt. Sie sagte mir liebenswürdig offen, daß sie mich für einen guten Menschen halte, der ihr namentlich ungemein viel Zutrauen erwecke. »Ich glaube,« fuhr sie fort, »Sie sind weniger egoistisch als die meisten Männer, dieser Egoismus ist Eures Geschlechts schlimmer und allgemeiner Fehler. Wir Frauen sind oft nur liebenswürdiger, weil wir besser sind. Ihr wollt immer etwas, wenn Ihr an Jemand herantretet; nur die koquettesten von uns theilen das mit Euch und es ist doch so harmlos: sie wollen Beifall. Ich hoffe, lieber Graf, ach ja, ich weiß es, Sie sind nicht so egoistisch.«
Nicht wahr Blanca, 's ist ein liebes Ding? Mancherlei sprach sie über den Prinzen, und war im Ganzen entschlossen, ihn zu heirathen. Ich gestehe, daß mir das ein wenig Mißbehagen erweckte, dies innige Geschöpf in die Arme eines leeren, oberflächlichen Menschen geben zu sehen. Als ich sie darauf hinwies, wie sie doch eigentlich wenig zum Prinzen passe, erwiederte sie mir wunderliche Dinge. Vor Allem betonte sie's, daß sie ihrer Mutter damit eine Freude mache. Alsdann erzählte sie sehr unbefangen, daß sich sehr viel Freier um sie beworben hätten, daß sie eigentlich, wolle sie gerecht sein, keinen vorziehen, keinen nachsetzen könne. »Ihr seid Euch sonst Alle gleich, ein wenig mehr Eigensinn oder Rohheit findet sich wol bei Dem oder Jenem, aber die Menschen sind ja doch alle nur so oder so, je nachdem mit dieser oder jener Weise auf sie eingewirkt wird. Die Gewohnheit thut Alles, und ich bin immer der Meinung, es gebe weder Glück noch Unglück.«
Ich sah das Mädchen verwundert an, und fragte sie, ob sie nie geliebt hätte. Lächelnd sah sie mich an. »Ich weiß eigentlich nicht« – klang ihre Antwort – »was Ihr so nennt, ob die Menschen wol über diesen allgemein angenommenen Begriff einig sind.« Es war überraschend, was sie mir darüber sagte, im Grunde kam es darauf hinaus, daß die Liebe die eigentliche Tugend und das einzige Lebenselement sei. Was die Poeten absonderlich so nennten, habe ihr immer das Ansehn einer liebenswürdigen Exaltation gehabt, und sie habe an die begeisterten griechischen Seher gedacht. Meisthin hielte sie die sogenannte Liebe für einen Zustand der Geschichte. Damit will sie sagen, wenn ich es platt ausdrücken soll, es sei eine Sache der Gewohnheit; zwei Menschen lebten sich speciell an einander, und aus angeborner Furcht, nicht wieder Ersatz zu finden, konnten sie sich nicht trennen. »Geben sie dem Manne, der mich liebt, mein Ebenbild von innen und außen, er wird mich nicht vermissen, und so können sie ihn die Reihe durch viele andere Ebenbilder machen lassen. Ist das nicht ein Zeichen, daß er sich nur an mich gewöhnt hat? Es ist also ziemlich gleichgültig, wen man heirathen und lieben will, wenn er nicht gerade dumm oder schlecht ist. Warum ich bis jetzt noch immer gezögert habe, begreif ich selbst nicht, da mich eigentlich die Mutter immer drängte. Wenn der Prinz heute seinen Antrag wiederholt, will ich ›Ja›; sagen.«
Ich faßte sie zum ersten Male hastig bei der Hand, ich weiß selbst nicht, wie es kam, und bat sie, nicht so damit zu eilen, sie schmachte in einer wunderlichen Armuth, die Liebe sei mehr als sie glaube, sie sei so viel mehr als Poesie höher stehe, denn die Kunst, Verse zu machen. Es existire in Poesie und Liebe eine göttliche Offenbarung, ein außergewöhnlicher Zauber.
Sie war roth geworden, als ich ihre Hand gefaßt hatte, und ich fühlte, daß die ihrige leis bebte, als ich zu sprechen aufhörte und Ruhe gewann. Wir waren an eine Felsenecke des Weges gekommen, hörten das Geräusch einer großen Gesellschaft und die Begrüßungsworte der alten Gräfin. Ich ließ die Hand der Komtesse los. Sie sah noch einen Augenblick zu Boden, und war stehen geblieben. Ihre dunkeln Wimper und das Feuchtglänzende des halb geschlossenen Auges fielen wie romantischer Thau der Abenddämmerung auf die noch hochgerötheten Wangen. Ich hatte sie nie so jungfräulich gesehen. Mit dem Sonnenschirme fuhr sie im Sande hin und her. Plötzlich hob sie das Köpfchen, warf es in den Nacken, schüttelte so die Locken aus dem Gesicht und das vertriebene indifferent freundliche und doch so schöne Lächeln hüpfte wieder um die Lippen. »Ich möchte wol von Ihnen erfahren, ob wirklich etwas dahinter sei,« sagte sie mit dem leichtesten und doch sichersten Tone, daß sie nicht daran glaube. »Ueber dem großen allgemeinen Wunder der Natur lieb' ich die Privatwunder nicht. Sie müssen mir morgen eine Vorlesung darüber halten, lieber Graf.«
Bei diesen Worten waren wir bei der Gesellschaft. Der Prinz und das schöne, glücklich geschaffene Mädchen, das ich des Morgens gesehen, waren dabei. Ich war abwesend und machte kaum einige linkische Verbeugungen. Sollte dies harmlose, liebe Mädchen solchergestalt koquettiren – das ging mir im Kopfe herum. Die unglückselige alte Baronin war auch von der Partie, und machte sich sogleich wieder mit mir zu schaffen. Heiliger Gott, was hab' ich verbrochen, daß diese Frau so freundlich gegen mich ist. Ich konnte nicht heraus aus meinem Sinnen über die Komtesse. Der Prinz fragte mich etwas; ich weiß nicht, was ich ihm geantwortet habe, etwas unpassendes mußte es sein, denn ein lichter Augenblick ließ mich bemerken, daß er mich erstaunt und ein Wenig einfältig ansah. Ich mußte mir Gewalt anthun, nicht unverwandt ins Gesicht der Komtesse zu blicken. Der Prinz nahm mich plötzlich bei der Hand, und stellte mich dem schönen Mädchen im grauseidnen Ueberrocke vor. Noch immer war ich so wenig bei der Gesellschaft, daß ich nichts als den Namen Franzisca behielt. Erst allmählig kam ich etwas zu mir, und ertappte mich auf dem so oft von Dir gerügten Fehler, daß ich mein Gesicht in die grimmigsten Falten zusammengezogen hielt. Das begegnet mir so leicht, wenn ich über etwas Unbequemes grollend nachdenke. Fräulein Franziska mag eine gute Idee von mir bekommen haben. Als ich es bemerkte und dem Uebelstande abhalf, sah ich, daß sie ein sehr humoristisches Gesicht dazu machte. Ich erkannte wie des Morgens ihre Schönheit, konnte es aber zu keiner Aufmerksamkeit für sie bringen: der Prinz schien mit der Komtesse der Gesellschaft vorauszueilen, es kam mir plötzlich vor, als habe er mich mit Fräulein Franzisca nur darum bekannt gemacht, um die Komtesse von mir zu trennen. Es weiß der Himmel, warum mich ein so fatales Unbehagen überkam; kaum konnte ich flüchtig lächeln, als Franzisca mit schnurriger Naivetät mir zu verstehen gab, sie halte mich für einen schönen Mann. Der Prinz beugte sein Haupt so nahe zur Komtesse, und schien so eifrig zu sprechen; ich ließ ungezogen eine neue Bekanntschaft stehen, und eilte hastig dem Paare nach. Erst jetzt fällt mir's ein, daß die ganze Gesellschaft verwundert auf mich sah. »Also Sie gestatten mir, daß ich Ihnen heut' Abend zu dem Ende meine Aufwartung mache?« das waren des Prinzen Worte, als ich in seine Nähe kam; dabei küßte er der Komtesse die Hand, und diese machte eine bejahende Verbeugung. Es peinigte mich ein unbeschreiblich beengendes Gefühl. Das liebe Mädchen kann nicht koquettirt haben, darf nicht in dieser traurigen Armuth verbleiben, sagte ich zu mir, und nahm mir vor, noch auf das Eindringlichste mit ihr zu sprechen, eh' der Abend und der Prinz käme, und es vielleicht zu spät würde.
Vor dem böhmischen Saale hielt ein Wagen, ein alter Kavalier stand dabei, lud die Gräfin Mutter ein, ihm ihre und des gnädigen Fräulein Tochter Gegenwart zu der besprochenen Partie zu schenken, man müsse eilen, wolle man vor Anbruch des Abends zurück sein. Die alte Gräfin hatte des Prinzen Eifer gesehn, sie mußte etwas von Spannung des Interesses wissen, stieg ein und fuhr davon.
Fest beschloß ich in mir, den Prinzen des Abends nicht zur Komtesse zu lassen.
Ich war in der größten Unruhe: von der Wiese lief ich nach Hause, vom Hause auf die Wiese, nach dem Posthofe, wieder zurück; mein Arzt begegnete mir, sah mit Erstaunen meinen erhitzten Zustand, und befahl mir dringend, bis zum andern Morgen mein Zimmer zu hüten. Einen Augenblick war ich ihm gegenüber ruhig, und beneidete ihn glühend um die klassische Ungestörtheit, die stoische Ruhe seines Wesens. Sage mir, Blanca, was ist das für eine unerquickliche, nutzlose, zwecklose Bewegung, Unruhe in mir? was für Rückschritte – ach was, man muß nicht immerwährend sein eigner Polizeikommissarius sein! packt Euch fort, inquirirende Gedanken, jetzt hab' ich keine Lust, keine Zeit, Euch Rede zu stehn!
Die buntesten, wunderlichsten Pläne gingen mir durch den Kopf, wie ich den Prinzen von dem Besuche abhalten wollte: man sollte ihm ein Billet bringen, seine Mutter habe ihn besuchen wollen, sei krank geworden, liege im nächsten Städtchen, verlange ihn augenblicklich zu sprechen – oder: ein Mann mit den merkwürdigsten Sammlungen von Naturalien, Handschriften, Münzen, Wappen und dergl. treffe heut Abend in Prag ein, und reise morgen früh auf und davon nach Amerika. Er liebt wie so viele mittelmäßige Menschen dergleichen Raritäten und Sammlungen auf's Aeußerste. Ach, was wollt' ich nicht Alles! Duell, Gefangennehmung, Feuersbrunst, Alles das stürmte mir im Köpfe herum – es schlug fünf Uhr, ich wußte noch nicht was ich thun sollte. Die Stube beengte mich, sie war schuld an meiner Dummheit, ich ließ mein Pferd bringen, ritt nach Hammer zu, um etwas auszusinnen. Ich bemerkte nicht, was um mich vorging, als ich endlich einmal aufsah, ritt der Prinz in geringer Entfernung von mir. Ich konnte nicht ausweichen, er hatte mich gesehen, und nahm mich in Beschlag. Von der Komtesse durfte ich nicht sprechen, ich hatte schon des Morgens zu ungeschickt mit offner Karte gespielt. Leute seiner Art, die an einer gutmüthigen Oberflächlichkeit kranken, können keine Besorgniß, keinen Plan allein verfolgen, sie müssen um Rath fragen. Er fing selbst an, und zwar galt seine Besorgniß jenem alten Kavalier, den er zwar wenig kannte, aber fürchtete. Dieser Mann sei ihm schon mehrmals begegnet, immer sehr artig gewesen, er, der Prinz nämlich, habe aber, so viel er sich erinnere, nirgends reüssirt, wo er den Mann gesehn.
Dahinter konnte zwar etwas sein, aber meine Zeit drängt. Ich schlug dem Prinzen eine Partie vor zwischen die Berge, die plumpste List ist oft die beste; aber ich hatte vergessen, daß er gar nichts Poetisches an sich habe, und ein Pedant sei. Natürlich schlug er's aus, und sah nach der Uhr. Ich kam nicht von ihm los; als wir auf der Johannisbrücke in Karlsbad wieder ankamen, schlug es sieben, der Abend war da, die Spazierfahrer kamen von allen Seiten zurück, ich glühte vor Angst. Vor des Prinzen Wohnung stiegen wir ab, er kommandirte einen Tisch vor die Thür und ein Schachspiel, und bot mir eine Partie an. Es war eine grauenvolle Idee, ehe man dem Liebchen Herz und Hand antragen will, Schach zu spielen, es war raffinirt grausam, mich dazu einzuladen, dessen Gehirn sich eben auf Leben und Tod um den Banquerott schlug. Aber man mußte ihm vergeben, er wußte nicht, was er that.
Ich erbat mir nur einen Moment, sprang auf mein Zimmer, diktirte meinem Friedrich ein tolles Rendezvous-Billet in die Feder, drohte mit mystischer Prophezeiung entsetzlich Unheil, wenn Se. Durchlaucht heute über eines reinen Mädchens Schwelle schreite, verhieß wichtige Entdeckungen auf der Spitze des Kreuzberges. Damit sollte Friedrich vor der Thür der Komtesse den Prinzen auflauern, und es ihm mit den Worten »Les't flugs, die Todten reiten schnell« – einhändigen. Natürlich mußte er verkleidet sein, und alsbald verschwinden. Dieser ultraromantische Streich war das einzige, was mir übrig blieb in meiner Unfruchtbarkeit.
Ich eilte zurück, wir spielten Schach, oder vielmehr: er spielte mit mir. Das in der Nähe liegende Haus der Komtesse – wir wohnen alle auf der Wiese – hatten wir beide im Auge, und warteten auf die Ankunft derselben. Es schlug acht, sie war noch nicht da; der alte Kavalier fiel mir ein, ich dachte daran, daß ich ein Glückskind und des Sonntags geboren sei. Ich zählte an den wenigen Worten die wir sprachen die Sylben, um durch Gerade oder Ungerade ein Orakel-Resultat zu bekommen. Wenn wir etwas recht lebhaft wünschen oder fürchten, so sind wir alle abergläubisch und mißtrauen dem Verstande. Es ist dem alten Kant nicht besser ergangen: ein Zeichen, wie viel auf unsere Weisheit zu geben ist, wie tief die Mystik in unser Leben hereinhängt. –
Es fing an zu dunkeln, nun wurde der Prinz auch unruhig, und schickte in das Haus der Komtesse, um sich zu erkundigen, ob die Damen noch nicht zurückgekehrt seien. Noch ehe der Diener seine verneinende Antwort zurückbringen konnte, kam ein Bekannter des Prinzen vorüber und rief ihn beiseit. Der Prinz schien, nachdem er einige Worte mit ihm gewechselt, ein Wenig bestürzt zu sein, entschuldigte sich flüchtig bei mir, und ging in's Haus. Jener Bekannte war mir fremd, ich konnte ihn nicht fragen, und schlenderte halb vergnügt, daß sich solche Störungen einstellten, auf der Wiese hin. Bald brauste des Prinzen Equipage an mir vorüber, der Wagen war geschlossen, die Pferde schossen im längsten Trabe hin. Das trieb meine Neugier auf's Höchste. Ich eile zum Hause des Prinzen zurück, um vielleicht von einem Diener, der beim Anspannen geholfen und des Herrn Befehl für den Kutscher gehört hat, die Richtung zu erfahren und den Zweck zu kombiniren. Ein Kutscher steht wirklich an der Thür, und sieht in die Dunkelheit hinaus dem Wagen und den Pferden nach. Er bescheidet mich auf meine Frage sehr bündig: »Nach Aich.« Das ist ein Ort in der Nähe von Karlsbad, der oft besucht wird. Die plötzliche Fahrt mußte mit der Komtesse zusammenhängen – wahrscheinlich war dieser etwas begegnet. Das machte mich, wunderlich genug, durchaus nicht besorgt; ich kannte nur ein Unglück, daß sich nämlich das holde Geschöpf mit dem Prinzen verbände. Daß der Kutscher umgeworfen haben könnte, daß die Pferde durchgegangen sein könnten, fiel mir wol ein, aber das störte mich wenig. Die weichen, elastischen Glieder des Mädchens nahmen, meines Erachtens, nicht so leicht Schaden, höchstens konnte die beiden morscheren Alten etwas betroffen haben. Zu Heirathsbesprechungen konnte hierbei der Prinz keine Zeit gewinnen. Mit diesem Raisonnement, in einer wunderlichen, halb fröhlichen Stimmung, kam ich an der Wohnung der Komtesse vorüber, und schickte eben lächelnd den Friedrich nach Hause, da kommt der Alte mit den Damen munter angefahren; der Prinz hatte entweder eine andere Straße eingeschlagen, oder war vorbeigerast, ohne sie zu erkennen.
Ich hob mein gerettetes Mädchen aus dem Wagen; sie war sehr heiter und gut, und es schien mir, als lege sie recht zutraulich ihren vollen Arm in meine stützende Hand. Flüchtig küßte ich ihr den Handschuh, sie strich mir noch flüchtiger mit einer neckenden, schalkhaften Bewegung die Locken in's Gesicht und sagte: »Schelm, wie können Sie als Patient noch so spät sich hier herumtreiben?« Der weiche Handschuh hatte mir die Wange gestreift, dies hatte mir so wohl gethan, die Anrede war auch so vertraulich; ich war sehr angenehm erregt. Die alte Gräfin sah nachdenklich aus, war aber sanfter freundlich gegen mich, als bisher – ich sagte kein Wort vom Prinzen und seiner Fahrt, und empfahl mich an der Treppe. Der alte Kavalier that dasselbe; es drängte mich zu sprechen, ich theilte ihm von meinen Vermuthungen über den Prinzen mit, und fragte ihn um seine Meinung, wie das wol zusammenhängen möchte. Er ließ sich in seiner freundlichen Höflichkeit nicht stören, lächelte nicht mehr und nicht weniger und sagte: »Irrthümer, Irrthümer, können wohl Irrthümer sein – bon soir, Monsieur le comte!«
Unsere gesellige Atmosphäre ist plötzlich wie die Luft nach einem Gewitter um und um verändert. Als ich heute auf die Promenade kam – ich hatte es verschlafen, und es war ein wenig spät – schien mich die Komtesse ungeduldig erwartet zu haben, wenigstens ließ sie den Arm ihrer Begleiterin los, um mir entgegen zu treten. Sie fragte mich, ob ich den Prinzen gesprochen, und vertraute mir mit einem Lächeln, was schon eine weit vorgerückte Vertraulichkeit ausdrückte, daß er sich heut' noch gar nicht um sie gekümmert und sie kaum aus der Ferne gegrüßt habe. Ich war sehr vergnügt, und erzählte so viele Schnurren, daß selbst die alte Gräfin, die ungemein verdrüßlich aussah, lachen mußte. Namentlich amüsirten sie Geschichten von einem alten verschollenen Oheim von mir, der bei außerordentlichen geistigen Fähigkeiten ein außerordentlicher Sonderling war, den Staatsdienst meines Vaterländchens verlassen hatte, und als außerordentlicher Gesandter auf eigene Hand bei allen Höfen herumgereist war. Von seinen frühern Geschäften hatte er noch überall Bekannte, sein bedeutender Verstand machte ihn immer als Rathgeber willkommen, sein großes Vermögen gab ihm die Mittel zu solch wunderlichem Leben. Ich erinnere mich nur flüchtig noch einer Aeußerung meines Vaters, die er einmal vielleicht halb scherzhaft gegen meine Mutter aussprach, daß der Onkel die Ehe hasse wie die Spinnen, und daß sein einziges diplomatisches Geschäft sei, alle bedeutenden ehelichen Verbindungen zu zerstören. So etwas schien auch in unserer Umgegend zu kursiren, man beschrieb meinen Onkel allgemein als eine Art kleinen Teufels mit lauter komischen Manieren. Wenn er von einer Ehe höre, so spucke er sich in die Hand, niese dreimal, und werfe seinen Kopf dreimal auf die rechte und dreimal auf die linke Schulter. Aermeren Personen biete er Geld, damit sie von ihrem ehelichen Vorhaben abstünden; das höben sich dann die Leute auf und benutzten es als Mahlschatz, sobald ihn seine Rastlosigkeit weiter geführt habe. Indessen erinnere ich mich doch dunkel, daß dies Alles nur äußere Harlekinsmaske sein mochte, und daß mehrere bedeutende Leute sehr ernsthaft, aber nicht eben wohlgelaunt wurden, wenn sie von meinem Onkel sprachen. Ich war noch sehr klein, und weiß nichts Rechtes mehr darüber, aber Du wirst wol auch schon die Bemerkung gemacht haben, daß gewisse Dinge ihre Farbe in das Gedächtniß einätzen, ohne daß wir eigentlich wissen, wie das gekommen sei, da wir selbst nichts zugethan haben. So ist's mit einer dunkeln Schattirung der Charakterbildung meines Oheims. Es ist mir eingeätzt, daß er die Aristokratie und die alte Welt ingrimmig hasse, und herum gereist sei, um das Herz dieser Welt aufzusuchen, damit er seinem Dasein mit einem Stoße ein Ende machen könne. Das ist nun einer meiner lächerlichsten Gedanken. Ich war 5 Jahre, als mein Oheim uns verließ, und ich habe damals von Aristokratie und alter Welt so viel gewußt, als von Brahma's Verwandlungen. Aber es ist und bleibt ein eingegebenes Vorurtheil meines Gedächtnisses.
Uebrigens ist mir jahrelang der alte Oheim nicht in's Gedächtniß gekommen, er ist vielleicht schon lange todt; sein Vermögen hatte er schon bei Lebzeiten den Bürgerschulen vermacht; ich weiß nicht, wie ich plötzlich auf den schnurrigen alten Kauz zu sprechen kam.
Der Prinz kam nicht in unsere Nähe und sah mürrisch aus, die alte Gräfin war sehr unruhig, und zerpflückte die Neuigkeiten Wilhelms, die Komtesse war liebenswürdiger denn je. Wenn die Mädchen einen Liebhaber am Fädchen ziehen, wie sie den Prinzen, nicht recht entschlossen sind, von keiner heftigen Leidenschaft geplagt werden, und große bürgerliche Freude zu erwarten steht, sobald sie das Fädchen bis an ihre Hand ziehen und »Ja« sagen, dann sind sie oft in einer weich-übermüthigen Stimmung. Sie gleichen einem warmen Wolkentage, wo die weiche, wollüstige Luft nicht sicher vor Regen ist und doch nicht weiß, ob sie den Regen fürchten oder hoffen soll. Zu dieser Stimmung ist ein neuer, lebhafter Verehrer nothwendig, und ich bin wahrhaftig einer: das linde, durchweichte Wesen des lyrisch schönen Mädchens machte meinen ganzen Menschen verlangend. Das Wetter war ein wenig trüb, wir saßen auf dem Zimmer beim Frühstück – man hatte mir's und Wilhelm als Vergünstigung gestattet, tägliche Gäste beim Frühstück zu sein. Die Komtesse hatte ein kleines leichtsinniges Häubchen auf die Locken gestülpt, dessen offene Bänder lockend um Hals und Schultern flatterten. Ihr weißer Oberrock war zwar bis an den Hals zugeknöpft, aber ein Knöpfchen hatte sich gelöst, und die sonst so verschwiegene obere Brust flüsterte mit dem auf- und zuschreitenden kleinen Flügel des Kleides süße, heimliche Dinge. Das ist ein wunderlich Geheimniß der Romantik: ich habe das Mädchen in großem Putz offen und frei gesehn bis an die Schultern, es hat mich nicht gereizt; wir sind und bleiben durch und durch Kinder: was sich uns halb entzieht, dem rennen wir hastig nach. – Dazu lächelte mir das Mädchen so tief und innig in Augen und Seele hinein, ihre schönen Hände tänzelten so reizend auf dem dunkeln Teppich um die Tassen und Schalen herum, es durchblitzte mich, als sich unsere Hände einmal plötzlich berührten. Wilhelm und die alte Gräfin gingen langsam im Zimmer auf und ab, sie kehrten uns eben den Rücken, ich konnte nicht widerstehen, ergriff die schöne Hand der Komtesse und drückte sie rasch an meinen heißen, durstigen Mund. Eine leichte Röthe flog wie ein schnelles Wetterleuchten über ihr Gesicht, man sieht noch keine Wolke am Himmel, man weiß noch nicht, ob ein Gewitter kommen werde, obwohl es heiß und schmachtend wie Gewittersehnsucht auf der Erde ruht. Wie schön blitzte einen Augenblick ihr sanftes Auge, ehe es sich senkte, der innige Druck meiner Hand wurde leise erwiedert – die Gräfin kehrte mit Wilhelm um, ich mußte meine schöne Beute aufgeben, ich mußte sprechen, weil unser Schweigen aufgefallen wäre.
Es konnte Alles noch gutmüthige Freundlichkeit zwischen uns sein – weiter nichts. Aber das Frühstück war doch sehr hübsch. Sie hatte mir zwar schalkhaft mit dem Finger gedroht, als die erste Uebereilung aus Gesicht und Augen verschwunden war – aber es konnte immer noch weiter nichts sein.
Wilhelm brachte eine wunderliche Neuigkeit zu Tage, die er von mehrern Seiten gehört haben wollte, der Prinz nämlich sei nicht der Prinz. –
Die Komtesse lachte, die alte Gräfin runzelte die Stirn, und ging dem Wilhelm sehr ernsthaft an's Leben, wo er solch Zeug her habe. Wilhelm sah nicht minder ernsthaft aus und citirte Quellen. –
Die Luft war so lind und umarmungslustig, ich wollte sie schwelgend genießen, und stieg hinter dem sächsischen Saale den Berg hinauf. Als ich jenseits aus dem Walde heraus auf die Landstraße trat, die nach Hammer führt, kamen vier Pferde mit einem kleinen Wiener Wagen daher gebraust. Darin saß der Prinz mit Fräulein Franzisca ganz allein. Man weiß hier schon allgemein, daß die schöne Franziska keine konventionellen Einschränkungen duldet: sie geht und fährt mit wem sie eben will, wohin sie will, sie beachtet den Schein gar nicht. Darum geht sie den Sommer über in's Bad, weil da die Formen freier sind, und sie noch weiter in ihrer Ungenirtheit gehen kann. Aber man kann bei ihr sehen, wie Konsequenz und alles Ganze imponirt: ich habe sie von allen Seiten tadeln hören, ihren Ruf hat aber die frivolste Zunge noch nicht angetastet. Es ist ein merkwürdig Ding: sie hat ihre Anverwandten und Güter in Curland und lebt allein ein achtzehnjährig Mädchen, schön wie das jüngste Weib Mahomeds, im südlichen Teutschland, zumeist in Wien.
Der Prinz setzt eine große Eitelkeit darein, aus dem Fond des freilich sehr bequem dazu eingerichteten Wagens seine vier raschen englischen Pferde zu kutschiren. Der gewöhnliche Vorreiter mußte durch irgend einen Auftrag zurückgehalten worden sein, ich sah erst in weiter Ferne seine gallonirte Tracht heranjagen, die vier Engländer gingen in ungestümem Trabe, der Prinz sprach eifrig mit Franzisca und gab nicht Acht auf Weg und Pferde. Sie waren schon dicht bei mir, da wurde ich auch erst auf einen halbnackten böhmischen Jungen aufmerksam, der mitten im Fahrwege lag, und mit dem Sande spielte. Statt daß er aufspringen und auf die Seite laufen sollte – es war ein starker Bengel von wenigstens vier Jahren – fing er aus vollem Halse an zu schreien, und hob beide Arme in die Höhe. Der Prinz bemerkte nichts, sprach ungestört weiter, Franzisca sah auch nicht nach vorne, die Vorderpferde waren noch wenige Schritt von dem Jungen entfernt, der Bengel schrie mörderlich – da sprang ich schnell hinzu, und warf den Schreihals aus dem Wege. Ich hatte aber nicht viel besser als der Bube eben so lange thatlos auf den Wagen gestarrt, daß es fast zu spät war, und mich das Vorderpferd sammt dem geretteten Böhmerbuben auf die Seite hin an die Erde warf.
Im letzten entscheidenden Momente mochte Franziska entweder das Geschrei des Kindes gehört oder uns gesehen haben, sie war kreischend aufgesprungen, hatte nach des Prinzen Arm gegriffen; dieser hatte die Zügel angezogen, die Pferde standen. Franzisca sprang aus den Wagen, ich hatte mich kaum aufgerafft, denn ich war mit meinem kleinen Schützling ein wenig verwickelt gefallen, da stand sie vor mir, und griff nach meinen Händen, und nach den schmutzigen Buben.
Ich überzeugte sie schnell, daß nichts Unglückliches geschehen sei; sie war liebenswürdig, erschrocken und bewegt. Der kleine böhmische Range erhielt einen Kuß und eine Hand voll Silbermünze, sah sie mit aufgesperrtem Munde an, und setzte sich sogleich wieder in den Weg, um mit neuem Spielzeug weiter zu spielen. Der Prinz lachte, Franzisca ward böse, und sagte ihm zornig, er möge allein nach Hause fahren. Damit gab sie mir den Arm und ging von der Straße ab auf den Fußweg zu. Ich entschuldigte mich lachend beim Prinzen; er hieb in seine Pferde und jagte davon.
Franzisca schalt ihn sehr; aber wir waren noch nicht zwanzig Schritte gegangen, so hatte sie die ganze Angelegenheit vergessen, und meinen Arm loslassend, wandte sie ihren zürnenden Eifer gegen mich. Sie begreife nicht, wie sie dazu komme, einen ungalanten Menschen wie mir den Arm zu geben, der bis jetzt immer kaum Zeit gefunden habe, die nöthigsten Höflichkeitsformen zu beobachten. »Es ist langweilig,« meinte sie, »wie Sie über der Komtesse alle Welt vergessen. Aber es ist wahr, die Komtesse ist ein liebreiches Geschöpf!« Und nun ergoß sie sich in eine fortlaufende Bewunderung derselben, die durch die kindliche Aufrichtigkeit, mit der sie alle Vorzüge jener zählte die naivste Liebenswürdigkeit an den Tag legte. »Ach wenn ich doch nur einmal so zufrieden, einfach, abgemacht sein könnte wie die bescheidene Komtesse!« schloß sie ihre Apotheose. Und nun war der Gegenstand erschöpft; so gern ich ihn auch besprechen hörte, es ging zu etwas Anderem.
Und wie schön sah das Mädchen dabei aus. Durch den Vorfall auf der Straße war sie schon erregt worden, jetzt waren wir langsam bergauf gestiegen, sie hatte mit Eifer und Lebhaftigkeit gesprochen: ihre Wangen glühten, ihr Athem eilte und bestürmte die junge, frische Brust. Leger wie sie immer ist, öffnete sie den Gürtel ihres leichten seidnen Oberrocks, und ließ ihn im Winde fliegen. Die volle, weiche Gestalt drängte sich schmachtend nach Erfrischung an das anschließende weiße Untergewand heraus; auch die Brustflügel des Oberrocks gaben nach, die weiße Haut lachte fröhlich in die Luft, das volle Haar wogte ihr im Winde, den Strohhut hatte sie mir schon längst umgehangen. Wir waren noch nicht ganz oben, da faßte sie mich beim Arme und sagte lachend, ich sollte stehen bleiben, sie müsse einmal ruhen. Als ich mich lächelnd umkehrte, sah sie mir so rührend gutmüthig in die Augen, daß mir das Herz aufging über diesen Anblick. Dies schöne Auge, auf welchem die junge liebe Seele saß, die Händchen erhob und: »Bitte, bitte« sagte, hatte eine magische Gewalt. Ich dachte an die alten Zaubermährchen von bestrickenden Augen und Blicken; diesem Blick konnte man nichts versagen, er war die reizendste Liebe Gottes. Und sie war erschöpft, es war ihr unverfälschtes, eigenthümliches Ich – o was ist aller Ursprung so viel gewaltiger als alle Kultur! Dieses gewisse, geheimnißvolle Etwas der Gottheit, wir finden's so wenig, als wir das nachmachen können, was die eigentliche Lebenskraft ist, der Hauch des Lebens.
Ich reichte ihr beide Hände, sie legte sich mit der ganzen lieben Schwere ihres Körpers darauf, und fiel ermattet an meine Brust. Das schöne reiche Haar überwallte ihr Haupt, mit ihrem heißen Gesicht lag das liebe, unbändige Mädchen nahe an meinem Herzen, ihr heißes Leben goß seine Strahlen über mich. Sie richtete sich ein wenig auf, legte ihre Hände auf meine Schultern und sah mich wie ein einfältig Mädchen neugierig, lächelnd an. Ich strich ihr die heißen Haare von der Stirn – »ach, wie heiß, Lieber!« sagte sie. Unverwandt kuckten lächelnd ihre Augen in die meinen – »nicht wahr, Du bist gut?« fragte sie naiv. Ich küßte ihr innig das reiche Auge. »Das thut hübsch,« meinte sie, und reichte mir lächelnd den gespitzten Mund hin. Ich war der förmliche Narr ihrer Naivetät, aber ich hatte nichts dawider und küßte munter und herzhaft, das Mädchen war unwiderstehlich. Meinen Arm hatte ich unter den fliegenden Oberrock in die feine, nachgiebige, warme Taille des weißen Gewandes gelegt, und drückte das schöne Mädchen an mich. – »Genug, genug« – rief sie unter meinen Küssen, »das macht noch wärmer.« Als ich sie nicht gleich ließ, riß sie sich los, sagte: »Du garstiger Mensch,« und sprang ein Paar Schritte aufwärts. Der gegenüberstehende Berg, und der Wald um uns sahen neugierig zu, wie sich das süße Kind die Haare ordnete und den Strohhut, den sie mir abgerissen hatte, aufsetzte. Sie lag auf einem Knie einige Schritte höher als ich stand, und hatte den andern Fuß mit dem zierlichen Stiefelchen und dem runden, blendend weißen Strumpfe bogenwärts ausgestreckt. Das hochgeschürzte Kleid ließ die schöne Form des Fußes bis an die Hälfte des untern Beines sehen; sie glich einer kecken Waldnymphe, die man modern angezogen hat, und die aufspringen will. Als ich ihr das sagte, lachte sie wieder, nannte mich einen lieben Narren, sprang auf und tanzte nach der Höhe des Berges.
Ich eilte ihr nach. Zu meinem größten Erstaunen, ja ich kann wol sagen, zu meinem nicht geringen Aerger sah ich an dem Ausgange eines Seitenwegs den alten Kavalier stehn. Er hat seine Lorgnette auf der Nase, und sieht in die Gegend hinaus. Jedenfalls hatte er unsere Scene à l'enfant amoureux gesehn. Der Schalk sprang mit Bocksbeinen um seine Lippen. Es blieb mir nichts übrig, als ihn anzureden. Der schlaue Fuchs that, als ob er mich erst bemerke, und gar keine Zeit habe. »Meinethalben,« brummte ich in mich hinein, und eilte meiner Franzisca nach. Die sang sich oben ein lustig Lied. »Eilen Sie, eilen Sie, Monsieur, sonst bekommen wir nichts mehr zu essen, und ich habe Karlsbader Appetit!« so rief die kleine Elfe, und sprang voraus den Berg hinunter. Ich holte sie schnell ein, und wollte sie am Arme führen; sie wehrte es aber ab, und meinte, bergunter brauche sie keinen Schutz. Munter und unbefangen hüpfte sie wie ein frischer Quell bergab, ein Gedächtniß schien sie gar nicht zu besitzen, zwischen dem Jetzt und der vorigen Scene lag bald ein großer Berg. Als wir unten ankamen, war sie nicht um einen Zug anders als da wir drüben unten anfingen. Wie muntere, gleichgültige Leute kamen wir im sächsischen Saale an. Die Komtesse saß schon bei Tisch, und richtete neugierig ihre großen Augen auf mich. Der Prinz saß einige Schritte davon. Niemand war um ihn, als seine Suite. Die alte Gräfin zog mich sogleich bei Seite: »Um Gotteswillen was ist das für eine Geschichte mit dem Prinzen, alle Welt spricht davon – sehen Sie nur, wie er verstört aussieht?!«– Ich machte ein einfältig Gesicht. –
Sage mir, Blanka, wie es zugeht, daß ich Deine Briefe immer so spät bekomme? Also Du bist neugierig, wie weit es mit meiner Klassicität gehen werde? Wenn – bedenke – es ist allerdings; ach – ich weiß jetzt nichts darüber zu sagen; ein ander Mal.
Die Dinge wachsen mir hier über den Kopf. Höre in Eil: Der Prinz mochte natürlich das Gerücht erfahren haben, was über ihn im Umlaufe war, die Gräfin hatte Recht, er sah wirklich verstört aus. Den Tag darauf, das war gestern Morgen, erhalten wir Alle Einladungen zum Diner von ihm. Alles, was nur von Rang und Familie im Bade ist, war geladen, der ganze sächsische Saal war in Beschlag genommen. Nun hättest Du diese Verlegenheit sehen sollen bei den guten Leuten der Form: sollen wir gehn, sollen wir nicht gehn? Ist es der Prinz, und wir erscheinen nicht, so ist's ein faux pas ohne Gleichen, und ist's der Prinz nicht, und wir kommen, so sind wir vielleicht in den nächsten Tagen der Gegenstand des Gelächters. Der alte Kavalier ging lächelnd einher, und sprach mit vielen alten Herrn leise und geschäftig; wenn ich im Vorübergehn einige Worte verstand, da war immer die Rede vom »Kompromittiren, man müsse sehr auf der Hut sein. – Hier könne sich der feine Takt erweisen – etwas Nichtgeschehenes sei immer leichter wieder gut zu machen« &. –
Ich fragte ihn direkt, was er dazu meine, und ob er hingehen werde – es gibt einzelne Momente, wo er wunderbar herzlich zu mir ist, so daß ich eigentlich sehr viel Vertrauen zu ihm habe. Aber heute wich jenes unerklärliche Lächeln nicht von seinem Gesicht, womit er sein ganzes Gesicht zudeckt, sogar sein scharfes, sprechendes Auge.
Du darfst übrigens nicht etwa glauben, daß er ein Grimacier, ein plumper Höflichkeitsmensch ist, dem man's sogleich ansieht, er sei etwas Anders als sein Gesicht – ei bewahre: seine Masken sind viel feiner und mannigfaltiger. Uebrigens fand er es für sich und mich ganz in der Ordnung hinzugehn, es könnte leicht Scenen-Erklärungen geben, und in einer Zeit, wo die Individuen immer weniger handelten, weil die Institute Alles thäten, müsse man die kleinsten Thaten, die kleinste Geschichte aufsuchen.
Dabei drückte er mir herzlich die Hand – sonst empfiehlt er sich aller Welt mit einem Komplimente – und schloß sich einem jungen, blonden Grafen aus Holstein an, der seit einigen Tagen hier ist.
Die alte Gräfin war sehr nachdenklich, ihre Stirn lag starr und ängstlich in Falten, ihr Gang war langsamer und schleppender als gewöhnlich. Sie hatte für Nichts, für Niemand Aufmerksamkeit. Die Komtesse schien ziemlich unbefangen zu sein, und war sehr lieb zu mir. Ich sollte sie zu Tische führen. Die alte, unglückselige Baronin mit ihrer ekelhaften Garstigkeit drängte sich leider zu uns, und vertrieb mich. Es überläuft mich kalt, wenn ich daran denke, daß sie eine Neigung für mich hegen könnte, und ihr Benehmen läßt mich nicht mehr daran zweifeln. Sie soll sehr reich sein, und das gibt ihr wol einen Muth, den der Spiegel versagt. –
Die Suppe ward aufgetragen, ich führte die Komtesse zu Tische – die Hälfte der Gäste fehlte. Es war Allen peinlich zu Muthe, die alte Gräfin aß keinen Bissen, und sah starr auf ihren Teller, zu meinem Jammer saß die verzweifelte Baronin wieder an meiner rechten Seite und sagte mir Süßigkeiten. Indeß war die immer lustige Francisca mein Vis à vis geworden, und so fehlte es bald nicht an Scherz, den auch die weiche Komtesse neben mir auf das Beste hinnahm.
Der Prinz saß nicht weit von uns, er war blaß und unruhig – für mich zum ersten Male interessant. Ich durfte es der Komtesse nicht mittheilen, sie hatte es selbst bemerkt, zum Beweise für mich, daß ich noch keineswegs Gebieter ihres Herzens sei. Aber Francisca mir gegenüber, die zu ihrem Nachbar Wilhelm lauter neckische Dinge über mich sprach, und fortwährend mit ihren muntern Augen schoß, diese lose Francisca zerstreute mir die kleinste Liebessorge, ich wußte selbst nicht, was ich wollte, aber ich fühlte mich ganz munter und glücklich.
Glaubst Du wol auch, daß solche Zustände meist von Eitelkeit herkommen? Es will mich manchmal so bedünken. Einst sagte mir ein schlimmer aber kluger Mensch: »zwei Drittheile unsers ganzen Glücks auf Erden ruhen in unsrer Eitelkeit« – pfui, weiter, weiter –
Ganz in der Nähe des Prinzen saß der alte Kavalier und der junge holsteinische Graf. Es war ein bleiches, vornehmes Gesicht, dieser Graf, mit einer hohen, breiten Stirn, um welche sich dünne, dunkelblonde Haare legten. Die Unterlippe war aufgeworfen, und es lag viel Zorn in dem straffen Gesicht. Der Kavalier sprach, und der Holsteiner antwortete immer nach langer Zeit zwei, drei, kurze, schnelle Worte; damit kam und flog eine leichte Röthe über sein Gesicht.
Die Komtesse hatte auch dahin gesehen, sie faßte mich ängstlich bei der Hand, und bat, ich möchte kein Unglück geschehen lassen. Dabei sah sie starr auf den jungen Grafen – dieser richtete plötzlich seine Augen auf sie, und sein Blick schien noch zorniger zu werden. Sie wandte erschrocken ihr Gesicht herum, ließ meine Hand fahren, seufzte tief und sagte leise zu mir: »Lieber, ich bin so beklommen, als sollte ein Gewitter losbrechen.«
Francisca warf uns mit Brotkugeln, und ihre Tollheiten brachten uns auf andere Gedanken.
Sollte man nicht zwischen zwei Mädchen einer dritten am Leichtesten treu bleiben, wenn man treu bleiben will? Die Einsamkeit verführt so sehr, daß man die Erste umarmt, welche uns dann begegnet, ein Mädchen ist bekanntlich immer sehr verlockend, in einer kleinen Stadt verliebt man sich am Schnellsten – aber zwischen zwei Schönen? – glaubst Du wol, Blanca, daß ich Dir eigentlich immer noch treu bin? Denke, daß ich dort bei dem Diner nicht wußte, ob die Komtesse oder Francisca hübscher sei, das heißt liebenswürdiger, denke!
Plötzlich hörten wir heftige Worte von des Prinzen Platze her, der Prinz glühte, der holsteinische Graf glühte, wir verstanden die Worte nicht recht, aber es war mir, als flögen scharfe Schwerter zwei- dreimal schnell durch einander – beide Theile sprangen auf, die Umgebungen beschwichtigten sie aber, und es ward einen Augenblick todtenstill im Saale.
Es schien mir, als ob das Lächeln auf des Kavaliers Gesicht unverändert stehen geblieben wäre. Die Komtesse zitterte und war todtenbleich, ihrer Mutter standen zwei große Thränen in den Augen, nur der Bösewicht Francisca unterdrückte mit Mühe das Lachen, und schnitt mir Gesichter.
Die Tafel ward bald aufgehoben, die Gesellschaft zerstiebte, weder der Prinz noch der alte Kavalier mit dem holsteinischen Grafen waren zu sehen.
Die Komtesse war sehr unruhig, und nahm sogleich den Vorschlag an, einen Spazierritt zu machen. Francisca und Wilhelm waren auch von der Partie – wir ritten über die Egerbrücke hinaus in's Land.
Bald holte uns ein Reiter ein, es war der alte Kavalier, wir waren dicht an einem Wäldchen. »Sie werden zu früh kommen, meine Herrschaften,« sagte er – in diesem Augenblicke fiel ein Schuß und ein zweiter – »à propos,« fuhr der Alte fort – wir sahen uns Alle verwundert an, der Holsteiner und der Prinz flogen mir durch den Sinn, ich blickte fragend auf den Kavalier.
Er nickte lächelnd mit dem Kopfe, und flüsterte mir zu: »es gibt noch Schwärmer, die für den bloßen Begriff der Nobility, welche sich ein parvenu anmaßen könnte, das Leben auf's Spiel setzen« – und mit den Leidenschaften fängt und zerstört man die Geschlechter – wir stiegen ab.
Reden Sie, erklären Sie, bat ahnungsvoll die Komtesse; Francisca bog das Gesträuch zurück, und ging in das Gehölz hinein, Wilhelm beschwor sie umsonst, sich nicht auszusetzen, sie schalt nur, daß die Zweige naß wären und ging weiter, hastig aber schweigend folgten wir. Da knallten dicht in unserer Nähe zwei neue Schüsse, Francisca kam furchtsam zurückgesprungen und flüchtete sich jetzt zu mir.
Reden Sie, rief die Komtesse mit Entschlossenheit dem alten Kavalier zu, und hielt ihn am Arme. Er sah sie fest an, sprach aber kein Wort, ging eiligst voraus und wir folgten ihm schnell – nach zehn Schritten standen wir auf einem freien Platze. Der Prinz bestieg eben sein Pferd, ein dem Anschein nach Verwundeter lag am Boden, knieend waren Mehrere um ihn beschäftigt – es war der holsteinische Graf. Der Kavalier war an den Verwundeten hinangetreten, er winkte dem zögernden Prinzen mit der Hand, und dieser flog durch den Busch davon. –
Als wir in die Stadt zurückkamen, war der Prinz fort. In diesem Augenblicke zweifelt kein Mensch mehr, daß er der rechte Prinz gewesen – so sind die Menschen: sie haben keinen neuen Beweis, aber es gefällt ihnen, nach solcher Katastrophe was Anders zu denken. Gerüchte sind die Launen des geselligen Wetters.
Die Wunde des jungen Holsteiners ist ganz ohne Gefahr. Er hat eifrig darauf gedrungen, zum zweiten Male zu schießen, als sie beide gefehlt hatten. Man stört mich –
Der alte Kavalier besuchte mich. Es war das erste Mal, und er hatte sich äußerst liebevoll.
Ich habe Dir wol zu sagen vergessen, daß bei dem Diner des Prinzen die alte garstige Baronin wieder neben mir saß – nein, das hab' ich Dir gesagt, aber nicht, daß sie wiederum überfloß von Schmeicheleien für mich. –
Ich muß Dir ein Geständniß machen, Blanca, mich quält eine entsetzliche Angst. Denke Dir, ich erhalte seit einigen Tagen die süßesten Liebesbriefe von unbekannter Hand – sie sind zauberhaft schön geschrieben – von wem sind sie? Kannst Du's errathen? Ich nicht.
Sind sie von der Komtesse? Dazu scheinen sie mitunter zu fröhlich und frei zu athmen – sind sie von Francisca? So viel tiefe, andauernde Innigkeit möchte ich ihr nicht zutrauen, wie sie in diesen Briefen gleich einer goldnen, schwer wiegenden Poesie ruht. Mich quält ein fürchterlicher Gedanke, Blanca, der Gedanke an die alte Baronin – all' ihr himmlischen Mächte, wenn die Briefe von ihr wären! –
Ich hatte es kaum ausgeschrieben, da kommt ein neuer Brief an; sie werden immer unten abgegeben von fremden Bedienten, bald von einem blauen, bald von einem grünen, die niemals Rede stehen. Die Wirthsleute mögen auch ungeschickt sein. Ich will doch die feinsten Maaßregeln treffen. –
Tröste mich, rede mir's aus, Blanca, eben kam der Bediente der alten Baronin und ladet mich zum Thee ein – das ist noch nicht dagewesen, und der Mensch lächelte so sonderbar, so vertraulich, als ständen wir in einem gewissen Rapport – ich will mich überwinden, ich will hin, will Gewißheit haben.
Aber es wäre doch gar zu merkwürdig, wenn die alte Frau so schöne Liebesbriefe schreiben könnte; ich sage Dir, Blanca, sie sind so in mein Herz hinein geschrieben, wie Du es nicht besser gekonnt hättest damals, wie unsere Herzen einander noch täglich die süßesten Geheimnisse zuflüsterten – schöne Blanca!
Später.
Ich bin bei ihr gewesen, und jetzt bin ich trostlos. Es bleibt mir fast kein Zweifel übrig: ihre Reden, ihr ganzer Ideengang, sogar einzelne Ausdrücke, Bilder, ich hab' eine Stunde auf Kohlen gesessen. Jeden Augenblick fürchtete ich: jetzt wird sie dich umarmen – puh, und Du glaubst nicht, wie schwer es mir wird, etwas Garstiges nur anzurühren. Zu gutem Glück kam die Komtesse mit ihrer Mutter und Wilhelm und am Ende auch Francisca. Aber meine Angst bin ich doch nicht losgeworden, und wahrhaftig, es schien mir mitunter, als wollte mich die Baronin damit foppen: – »Wer kann die besten Liebesbriefe schreiben?« fragte sie einmal plötzlich. Ich glaubte, des Todes zu sein.
Freilich schrie Francisca – ich – ich, und kam zu mir und sagte: Lieber Alphons, soll ich Ihnen welche schreiben? und ihr Auge war voll süßer Zärtlichkeit, und die Komtesse war ganz still, sah zur Erde, ward roth, wenn ich mich nicht irre –
O, wer rettet mich aus diesem Wirrsal! und nicht wahr, Blanca, es wird immer ärger mit meiner Eitelkeit, immer ärger – ich trau' die Briefe beiden Mädchen zu; aber die alte Baronin hat sie gewiß geschrieben, gewiß.
's ist doch eigenthümlich, wie meine Verhältnisse hier geändert sind seit der Abreise des Prinzen; und wie die Verhältnisse uns ändern. Ach Gott, wir sind doch meist nur ausgerechnete Resultate! nimm diesen oder jenen Umstand weg, setze diesen oder jenen zu, und ich will Dir sagen, was aus dem Menschen wird.
Ist's wirklich so? das wäre trostlos, und wir thun uns so viel zu Gut auf unsere Fähigkeit zu handeln. Sind wir wirklich die Marionetten gewisser Konvenienzen – sind die Millionen Verhältnisse dieses Lebens ausgerechnet wie eine Bostontafel?
Meinetwegen, ich tappe jetzt herum. Glaubst Du mir's wol, daß mir das Hauptinteresse, die Romantik der Komtesse, fortgenommen ist. So scheint mir's beinahe. Die alte Gräfin ist jetzt so gewiß familienfreundlich, sie nimmt plötzlich das speciellste Interesse, sie fragt nach kleinen häuslichen Dingen, um die sie sich nie gekümmert hat.
Ich führte die Komtesse nach Hause, sie war zutraulich, und ich – denke Dir – ich war zerstreut. Wilhelm ging mit Francisca einige Schritte vor uns her, ich wollte schnell loskommen, um noch mit Francisca gehen zu können.
Und die Komtesse war so lieb in ihrem schneeweißen Anzuge, sie legte ihren Arm so vertrauend in den meinen, neigte ihr Haupt so nahe zu mir, sprach so lieb leise – o, ich bin der abscheulichste Mensch von der Welt, ich fand sie zum ersten Male ein wenig langweilig. Ich empfahl mich eiligst an der Thür, und überhörte beinahe die herzlichste Einladung auf den nächsten Tag.
Wär' es wirklich so? wär'es so, weil der Prinz abgereist, nicht mehr zu fürchten wäre, weil der Hintergrund für das Mädchen fehlte? O pfui, pfui, wenn es so ist, dann haben die alten, abgebrauchten Redensarten vollkommen Recht, daß die Hindernisse zumeist die Neigungen nicht nur steigern, sondern auch erzeugen – o, wie kläglich! wie kläglich – die ganze Welt besteht aus einigen alten Redensarten, und es gibt gar keine eigenthümlichen Menschen.
Wir haben uns so viel zu Gut gethan mit unserer absonderlichen Liebe! Und was ist's damit? Ich bin auf dem besten Wege, ein gewöhnlicher Avantürier zu werden. Unser Verhältniß schien uns so fein und apart konstruirt zu sein – ein paar falsche Schritte und eine schiefe Oeffentlichkeit, so ist's vor der Welt in dem gewöhnlichen Pfuhle der Unordnung. Ein wenig Leichtsinn von meiner oder Deiner Seite, so ist die Gemeinheit da.
Die Menschen wissen's gar nicht, wie sehr sie die mangelhaftesten Institute schützen, und wie schwer es ist, was Neues zu finden.
Ach, die Welt, die Welt und die garstige Baronin! ich kann Dir nicht auserzählen, morgen, Blanca.
Ich nahm eiligst an der Thür von der Komtesse Abschied, um Francisca mit Wilhelm noch einzuholen, die sich schon empfohlen hatten. Es schien mir zwar so, als komme eine wunderliche, wehmüthige Frage aus den weichen Augen der Komtesse. Sie hatte den Kopf vorn nach mir übergebeugt, und die Augenlieder mit den langen, fragsamen Wimpern bedeckten das Auge zur Hälfte; als ich ihr die Hand küßte, war es mir, als flöge ein leichter Druck durch ihre Nerven, wie ein geistiger, feiner Schmerz. Ich weiß nicht was, ich eilte fort; an der Ecke veranlaßte mich ein Geräusch, noch einmal zurückzubleiben, es war mir, als hätte mich Jemand leise gerufen – das weiße Gewand der Komtesse leuchtete noch durch die Nacht, sie war noch an der Thür. Ein wunderliches Schicklichkeitsgefühl vermochte mich, eine andere Straße einzuschlagen, als die geraden Wegs nach Francisca's Wohnung führt – da rief Francisca, die mich aus der Ferne kommen hörte, meinen Namen. Nun mußte ich gerade fort.'
Sie hatte sich mit Wilhelm gezankt, und jagte ihn eben fort, als ich zu ihr trat – »geben Sie mir den Arm,« sprach sie, »der garstige Mensch soll mir heut' nicht mehr vor die Augen kommen.«
Vor ihrer Hausthür ist eine steinerne Stufe, darauf trat sie, mich hieß sie unten stehen bleiben. Und nun hielt sie mir die liebenswürdigste Kapuzinerpredigt von der Welt, deren Hauptthema war, ich sei ein langweiliger Mensch, der bis über die Ohren in die Komtesse verliebt wäre, für sonst Niemand mehr Augen und Interesse habe –
Non, non, Mademoiselle – certainement pas – ich weiß selbst nicht, warum ich französisch sprach, griff nach ihren Händchen, und wollte sie küssen. Sie gewährte aber nicht, tändelte mir damit vor den Augen herum, und neckte mich auf alle Weise. Plötzlich sprang auch ich auf den Stein, und umfaßte sie. Aber sie entschlüpfte mir gewandt, und that böse. Im Feuer machte ich eine lebhafte Liebeserklärung. Sie schwieg ganz still, und ließ mich reden; der Himmel weiß, was ich Alles geschwatzt habe – mit einem Male fühlte ich einen warmen, lieben Kuß, und sie war im Hause verschwunden. Auf der Treppe rief sie nach ihrem Mädchen.
Ich stand wie berauscht da – täuschte ich mich, oder war es wirklich so: dort um die Ecke, die ich kurz vorher, von der Komtesse kommend, passirt war, schlüpfte eine weiße Gestalt, gerade so weiß und so groß – ich fuhr mit der Hand über die Augen und taumelte nach der Ecke hin. Es war nichts mehr zu sehen.
Meine Stimmung war eigentlich recht hübsch, als ich nach Hause ging, aber ein wenig traurig.
Die Komtesse ist gewiß ein sehr liebes Mädchen, und wenn sie einmal liebt, so liebt sie gewiß recht innig; aber Francisca ist wie ein blitzendes Auge, das nicht aus meinem Gedächtnisse weicht.
Die Komtesse würde mich eher lieben, aber ich möchte wol, daß mich Francisca, der Wildfang, liebe; es muß ein großer Genuß sein, solch' ein straffes, sprödes Wesen weich und geschmeidig werden zu sehn.
Zu Hause fand ich wieder den zärtlichsten Liebesbrief – keinen Zweifel, diese heillosen Briefe sind von der Baronin, die Tinte schien mir noch ziemlich frisch zu sein, und weder Francisca noch die Komtesse hatten Stunden lang eine Viertelstunde Zeit gehabt zum Schreiben. Die Baronin war aber einmal abwesend, die Komtesse gab mir die zweite Tasse Thee. Ach, all' meine Illusionen waren vernichtet, und ich legte mich in der fatalsten Stimmung zu Bett.
Adieu, Blanca!
Es ist ein heller klarer Morgen, und des Morgens sind doch die Dinge alle so ganz anders, reiner, unschuldiger, poetischer. Man fühlt seine Schuld, seine geläutertste Hoffnung, den Gott im Herzen mehr als sonst.
Wenn die Leute etwas erzählen, so muß man immer fragen, wenn und wie sie die Sachen empfangen haben, muß Acht haben, wenn sie dieselben wiedergeben, und dann muß man eine Objektivberechnung anstellen, um die wahre Geschichte der Sache zu erhalten.
Man denkt sich auch des Morgens die andern Menschen so gut und lieb – thust Du's nicht auch, Blanca? Manchmal – ich will Dir's nur gestehen – denk ich: Blanca wird dir doch sehr bös' sein, daß du solch Liebesgetändel treibst, sie wird bös' sein trotz unserer klassischen Uebereinkunft, weil du es so charakterlos treibst. Ich glaube, das war der letzte Gedanke mit dem ich gestern Abend einschlief, der Gedanke war nicht mehr klar, aber seiner Dämmerung erinnere ich mich doch.
Jetzt aber ist's Morgen, und ich sehe Dich mit den fliegenden Locken im leichten Morgenkleide auf dem Balkon sitzen – Dein Auge glänzt, Du blickst über das Land hin, und blickst dann in das Buch vor Dir, und dann siehst Du einmal ohne zu sehen auf, und winkst mit dem Kopfe und küssest mit dem Munde die unparteiische Luft und Dein Gesicht ist lauter Zärtlichkeit – nicht wahr, nicht wahr, Blanca, jenes Buch ist Goethe und jener Schatten, den Du grüßest, ist Alphons, der Schlimme?
O, ich weiß es, auch wenn Du mich nicht mehr liebst, wirst Du mich noch lieben.
Nun grüß' Dich Gott, mein Herz, jetzt muß ich zum Brunnen, Kind.
In der Nacht.
Wenn ich Dir Alles schreiben wollte, was dieser Tag enthielt, es würde wieder Morgen. Der Reichthum des menschlichen Herzens ist unser Unglück; wenn jeder Mensch einfach dies oder das brauchen könnte, so wäre es eine Kleinigkeit, glücklich zu werden. Ein Ding, und sei es das größte, ist immer zu erlangen. Aber jeder Mensch kann Alles brauchen, und da liegt der Jammer. Darum weiß er auch oft nicht, was er braucht.
Und ein solcher Narr, Blanca, ist Dein Alphons; Du hast doch eigentlich einen recht dummen Liebhaber.
Francisca war heute schön wie der Morgen selbst, als ich zum Brunnen kam, und heiter, ausgelassen, frivol, witzig wie nie vorher. Als unser Trinken zu Ende war, ging ich mit ihr und der Komtesse zum Posthofe hinaus. Wir schwatzten und tollten wie die Kinder; erst auf der Hälfte des Weges bemerkte ich, daß die Komtesse gar nicht sprach, und so gewiß wehmüthig aussah. Ich fragte sie, aber sie wich mir aus. Francisca fiel ihr um den Hals, streichelte ihr die Wangen, und bat sie, lustig zu sein. Da brachen ihr die Thränen aus den Augen – es war unendlich traurig, aber so süß, ich hätte mit ihr weinen mögen. Sie schien das zu bemerken, und reichte mir die Hand; und drückte die meine recht innig.
Francisca suchte sie aufzuheitern, küßte sie auf die Augen und bat sie, wie ein kleines Kind, doch lustig zu sein.
Was ist das an der so ruhigen, gleichmäßigen Komtesse? Blanca, ich bin in diesem Augenblick nicht eitel, aber ich glaube, die Komtesse liebt mich. Und ich finde sie auch so lieb, aber sie erregt mir nicht Interesse genug, daß ich sagen könnte, ich liebe sie. Francisca ist interessant. Ich glaube, wenn ich wüßte, Francisca liebe mich, dann würde ich die Komtesse lieben. Oder wenn sie der Prinz noch heirathen wollte.
O, ich bin ein sehr garstiger Mensch, weil ich so aufrichtig bin. Glaube nur, die meisten Menschen lügen alle Tage, darum belügen sie sich selbst mit ihren besten Gefühlen, und darum entstehen die unnatürlichen Zustände und Gedichte und Gesetze und Formen.
Als ich nach Hause kam, fand ich wieder einen Liebesbrief da. Es ist zum Verzweifeln vor Neugierde und Angst. Heut' hat ihn ein Mädchen gebracht; eine verschleierte Dame habe ihn ihr am Brunnen gegeben? Solche Zärtlichkeit wie heute ist noch nicht dagewesen.
Uebrigens macht jetzt hier eine Dame großes Aufsehn die nie anders als verschleiert erscheint. Sie soll reizend gewachsen sein, den liebenswürdigsten Fuß und eine minder schöne Hand haben. Mir ist sie noch nicht begegnet.
Ist das meine Briefstellerin. Ich habe heute an die Baronin geschrieben, und um ein paar Zeilen Antwort gebeten. Wie plump! Vielleicht beschleunigte ich aber die Krisis, wenn sie ihre Handschrift nicht verläugneten. Ich schrieb deshalb auch an Francisca und die Komtesse – wer wußte, ob sie nicht darauf warteten.
Sie ließen alle mündlich Bescheid sagen.
Gegen Mittag ging ich in's Bad. Das Mädchen weis't mir die Thür und springt davon. Ein Stück Briefpapier, das an der Erde liegt, nimmt meine Aufmerksamkeit in Anspruch, ich heb' es auf, und sehe meinen Namen. Eine angefangene Personalbeschreibung von mir, sonst nichts – in Gedanken öffne ich die Badethür, und in Gedanken war ich an die falsche gerathen – Geschrei, weinerliches Gelächter, neues Geschrei – Francisca sitzt vor mir im Wasser, wirft sich die Haare über den Busen, und spritzt mit dem andern schönen Arme mit aller Macht Wasser auf mich.
Die Situation war so unerwartet, daß ich einen Augenblick völlig unentschlossen stehen blieb – das Mädchen ist schön wie Diana. Am Ende war ich doch so frivol eintreten zu wollen, da hörte ich weiblichen Sukkurs die Treppe herunter kommen, der das Geschrei vernommen hatte. Ich schlüpfte rasch in meine Badekammer. Sie war dicht neben der ihrigen, und nur durch eine Breterwand geschieden. Meine Unverschämtheit war so groß, daß ich ein Gespräch anknüpfte; sie erwiederte kein Wort.
»Ich sehe Sie durch eine Wandritze, schöne Francisca!«
Kein Wort. Es war übrigens nicht wahr.
Nach einer kleinen Weile hör' ich sie an die Wand klopfen. »Wenn die Sache herumkommt, und ein Mensch davon spricht, Graf, so haben Sie das Vergnügen, mich auf der Stelle zu heirathen, oder ich lasse Sie todt schießen.«
»Bravo, ma belle!«
Ich trieb meine Späße noch fort, erzählte ihr, wie wir uns einrichten, wohin wir reisen wollten. Sie schwieg hartnäckig, und bald hörte ich sie gehn.
Als ich bald darauf auch ging, sah ich den alten Kavalier vor mir die Treppe hinaufsteigen. Ich blieb bestürzt einen Augenblick stehen, und ließ ihn fort. Wenn der neben mir gebadet hatte, so könnte er das Meiste gehört haben, und der Skandal konnte in der nächsten Stunde fertig sein.
Ich kam auf die Wiese. Die Komtesse saß unter den Bäumen, Francisca stand vor ihr. Als sie mich kommen sah, ging sie schnell davon. Die Komtesse sah erstaunt bald auf die Gehende, bald auf mich, den Kommenden, und es war mir, als knittere ein ängstlicher Schmerz über ihre Augen hin.
Plötzlich ernsthaft geworden, setzte ich mich zu ihr. Aber wir fanden beide eine lange Zeit keine Worte, und doch war die Pause nicht ängstlich, wir schienen's beide zu wissen, daß wir mit einander beschäftigt seien.
»Die Menschen sind doch eigentlich arge Kinder, und die klugen eigentlich die lächerlichsten,« sagte ich endlich halb vor mich hin, »sie meinen alle, ihr Geschick zu machen, und es wird doch das Meiste, und wenn sie durchaus selbst recht viel zuthun wollen, so zeugen sie meist das Schlechteste. Man sollte nichts studiren als die Neigungen, denn sie bestimmen Alles, und wenn man noch so fein richtig geht, und es kommt eine Neigung dazwischen, da wird der Weg plötzlich anders hinausgewiesen. Die Romane sind eigentlich die wichtigsten Bücher, und es ist ein Zeichen, wie sehr die Welt noch zurück ist, daß sie so wenig natürliche, einfach richtige Romane hat. O, die wunderlichen Neigungen! Mit jedem Schritte können wir vor einer neuen Welt stehen.«
»Man darf aber gar nicht viel von solchen Dingen reden, sonst legen die Leute all' die Hände in den Schooß, und es ist alle Illussion dahin, das Experiment des Herrgotts mit uns kommt in's Stocken – warum tragen Sie jetzt immer weiße Kleider, Komtesse?«
Sie lächelte einen Moment, dann wurde sie wieder ernsthaft, nickte ein paar Mal mit dem Kopfe und sagte halblaut: »Ja – ja.« Nach einer Weile setzte sie hinzu: »Erinnern Sie sich wol, Alphons, unsers Gesprächs über die Liebe, wir gingen nach dem Frühstück promeniren; ich habe Gelegenheit und Veranlassung gehabt, viel darüber nachzudenken. Sie werden sich wundern, wenn ich Ihnen sage, was mir in diesen Tagen für ein Buch vor die Augen gekommen ist – Werthers Leiden. Ich hatte gar nicht die Absicht, sie zu lesen, und sah absichtslos das alte gelb gewordene Titelblatt an, und wendete es um – die alten Lettern und dies ganze Aeußere machten mir den Eindruck, als seien die Dinge jenes Buchs nun längst veraltet. So las ich die ersten Zeilen, und las weiter, und die Erde wurde mir so grün und lebendig, es war, als ob mein alter Großvater wieder spräche, der so klug war, und mir immer erzählte und gute Lehren gab. Ich hatte im Stehen das halbe Buch gelesen, als mich die Mama weckte, und ich hab' es kaum erwarten können, daß ich wieder zu dem Buche käme, es ist Alles so ächt davon – jetzt hab' ich es eben ausgelesen.«
Sie seufzte. Ich wußte kein Wort zu sagen, es paßte nicht einmal, ihr zu erzählen, daß ich Meister und Faust alle Jahre und Werther alle zwei Jahre einmal läse. »Und doch hat das Buch etwas Peinigendes« – fuhr sie nach einer langen Pause fort – »aber wahr – wahr. – Ich glaube, in meinem Leben nicht solchen Schmerz empfunden zu haben, als heute. Wer die Welt ganz kennte! – Adieu, Alphons, meine Mutter ist unwohl, und hütet das Zimmer.« –
Damit reichte sie mir die Hand, die ich heftig küßte, und ging nach dem Hause. Ich blieb neben ihr bis auf den Saal, ohne daß wir ein Wort darüber sagten. Oben wendete sie sich zu mir, gab mir noch einmal die Hand, und sagte unendlich sanft: »Gehen Sie.« –
Ich drückte mir die Hand in's Antlitz, und ich fühlte einen leisen Druck ihrer Finger. Sie zog sie aber bald hinweg, fuhr mit dem Taschentuche nach ihrem Gesicht, ging nach der Zimmerthür, und winkte mir, ohne sich umzuwenden, noch einmal mit der Hand zum Fortgehn.
Sie verschwand in der Thür; ich eilte die Treppe hinunter, und weiß nur noch, daß mir der Sonnenschein draußen unpassend vorkam. –
Laß mich etwas ruhn.
Die Komtesse hatte mich vorher niemals Alphons genannt.
Das Interesse, was wir in einem weichen Charakter vor uns angeregt sehn, was sich zurückzieht und im Stillen wirkt, scheint mir viel gefährlicher als jene laute Leidenschaft stürmischer Naturen. Man behält so viel zu dichten dabei, und das ist es – der Mensch ist sich selbst immer am gefährlichsten. Die Eitelkeit spielt uns täglich Streiche, und die Eitelkeit ist schlimm, wenn man ihrer nicht gedenkt, und schlimm, wenn man ihrer gedenkt. Sie macht alle Rechnungen fehlerhaft.
Es lag wieder ein Liebesbrief auf meinem Tische, so weich, so einschmeichelnd, als spräche ihn die Komtesse mit ihrer sanften Stimme.
Aber eben so wichtig als all' diese Dinge ist mir folgende Entdeckung geworden. Sie betrifft jenen alten Onkel, dessen ich wol schon einmal gegen Dich erwähnt habe, und ich bin doch schon so objektiv geartet, daß ich meine persönlichen Dinge auf eine Zeitlang zu vergessen weiß.
Du erinnerst Dich wol, daß ich eine kleine Schatulle bei mir führe, welche voll alter Familienpapiere ist; auch das Bild meiner Mutter befindet sich darin. Ich war heute in einer weichen Stimmung, die mannigfachsten Liebesäußerungen der Welt lagen vor meinem Herzen, und es drängte mich, in das liebe Auge meiner Mutter zu sehn. Das Bild lag mitten in der Korrespondenz jenes Onkels, die ich bisher, wunderlich genug, nicht beachtet hatte. Zufällig haftete mein Blick auf dem Anfange eines Briefes, die Sache fesselte mich, und ich habe ohne Unterbrechung alle dahin gehörigen Briefe durchgelesen.
Wahrlich, Blanca, Liebesbriefe sind die ächtesten Quellen der Weltgeschichte. Darin geben sich die Menschen noch am Ersten natürlich.
Die Korrespondenz des Onkels enthält im Wesentlichen Folgendes – es sind nämlich, daß ich nicht vergesse, Dir den Zugang zu eröffnen, Briefe von zwei Frauen, welche Amalie und Claudia genannt werden.
In der Tanzstunde hat der Onkel die Bekanntschaft eines bürgerlichen Mädchens gemacht. Sie hat sehr schön getanzt und ist voll Geist gewesen; zwar einige Jahre älter als der Onkel, aber von sehr interessanter, eindringlicher Gesichtsbildung. Der Onkel ist näher mit ihr bekannt geworden, sie hat ihn angezogen, ohne daß er sich selbst gefragt, sich selbst Rechenschaft gegeben hätte, ob und was er für sie empfinde.
Die Tanzstunden sind zu Ende gegangen, der Frühling ist gekommen, der Onkel hat Amalien Wochen lang nicht gesehen, und ihrer beinahe vergessen. Da geht er eines Tages bei einem Spaziergange vor der Stadt an einem Garten vorüber, und hört einen der Kontretänze singen, welche in der Tanzstunde gewöhnlich gespielt worden waren. Er bleibt stehen, sieht durch den Gartenzaun, und erblickt Amalien. Sie ist's, welche singt. Er begrüßt sie, Amalie ist sehr erfreut, ihn zu sehen, sie unterhalten sich an der Gartenthür auf das Angenehmste. Amalie invitirt ihn, einzutreten, sie promeniren durch die schattigen Gänge des Gartens, und er wird durch die leichte Lebhaftigkeit des Mädchens auf das Beste unterhalten. Plötzlich bleibt sie stehen, horcht, und erklärt, daß sie ihren Vater kommen höre, daß er sehr streng sei und es ihr sehr verargen würde, fände er sie mit einem jungen fremden Manne allein im Garten. Sie nöthigt den Onkel, sich in einer dichten Laube zu verbergen.
Diese Lage versetzt ihn plötzlich in eine ganz andere Stimmung zu dem Mädchen, und als sie zurückkommt und ihn, dankend für seine Folgsamkeit, von freien Stücken auf den Mund küßt, ist er plötzlich in ein Verhältniß zu dem Mädchen hineingehoben, an das er vorher nicht gedacht hat.
Er kommt täglich wieder, und findet Amalien täglich in jener Laube. Die Neigung wächst durch Küsse und Verborgenheit, Amalie muß ihm den Gartenschlüssel verschaffen, sie sehen sich des Nachts in jener Laube.
In einer warmen Sommernacht überrascht sie ein heftiges Gewitter, der Blitz schlägt in das Gartenhaus; ehe sie flüchten können, ist der Garten mit Menschen erfüllt, der Feuerschein leuchtet bis tief in die Laube, es bleibt ihnen nichts übrig, als auf's Geradewohl durch die Menge zu entweichen. Sie wollen sich eben im Baumgange trennen, weil sie Geräusch hinter sich hören – es ist der Bruder Amaliens, welcher nach einer Feuerstange in den hintern Theil des Gartens gesprungen war. Er erkennt die Schwester, hat es gesehn, wie sie dem Onkel die Hand gereicht hat, wie dieser seitwärts über die Beete davon geeilt ist, sie wird genöthigt, ihr Verhältniß einzugestehen. Der heftige Bruder hat noch im Garten seinen Zorn gegen die Schwester unzweideutig geäußert, die Menge hat Stoff zu Kombinationen erhalten, und schon die andern Tage sind die skandalösesten Dinge über Amalien Stadtgespräch gewesen.
Der Vater des Onkels hat mit Entrüstung eine Verbindung untersagt, welche der Onkel jetzt aus doppelten Gründen, aus gesteigerter Neigung und um Amaliens Ehre herzustellen, lebhaft erbitten wollte.
Die Lage der beiden Liebenden wird jetzt auf das Aeußerste peinlich, sie hören Wochen lang nichts von einander. Des Onkels Neigung wird unaufhaltsame Leidenschaft. Amalie macht endlich einen Weg ausfindig, in geheime briefliche Mittheilung mit dem Onkel zu treten. Sie beschließen zu fliehen und sich trauen zu lassen.
Es geschieht. Der Onkel wird von seinem Vater enterbt, und lebt in den kümmerlichen Umständen mit seiner jungen Frau. Ein Kindbett zerstört Amaliens Gesundheit; ohnedies schon älter als der Onkel, entbehrt sie bald jedes körperlichen Reizes für ihn. In Versuchen, seine äußere Stellung zu verbessern, macht er eine Reise nach der Residenz – die blühende Welt, welche sich dort unter seinen Augen herum bewegt, macht ihm sein fertiges, abgeschlossenes und so reizloses Leben noch empfindlicher.
Die Briefe aus der Residenz an Amalien sind höchst merkwürdig; statt der Zärtlichkeiten, welche man von einem jungen Ehemanne erwarten sollte, enthalten sie Spekulationen über die gesellschaftlichen Zustände, namentlich über die Ehe und deren mangelhafte Einrichtung. Amalie antwortet wenig, aber hinter jedem Worte sieht man die Thräne.
Als er zurückgekehrt, findet er statt seiner Frau einen Brief, worin sie ihre Einwilligung gibt, daß die Ehe zwischen dem Onkel und ihr aufgelöst werde.
Ihre Spur ist nirgends aufzufinden, der Onkel ist trostlos, er klagt sich auf das Härteste an, er sucht überall nach ihr.
Der Zufall führt ihn eines Tages in ein abgelegenes Dorf –
Aber ich muß aufhören, bin todtmüde; es ist tief in der Nacht.
Ich will heut' nicht zum Brunnen gehen, um an Dich zu schreiben.
Was ich mit jenem Dorfe gewollt habe, ist mir entfallen. Der Vater des Onkels hat diesem verziehen, als er vernommen, daß dieser allein lebe, hat ihn selbst abgeholt und dem Wiedergefundenen alles Gute und Liebe angethan.
Des Onkels Wesen ist aber innerlich zerstört, Amaliens leidendes Gesicht verläßt ihn nicht mehr, er trifft unter der Hand tausend Anstalten, ihren Aufenthalt zu erfahren. Mit Aufopferung und aller Selbstverläugnung will er ihr von Neuem angehören.
Alles Bemühen ist umsonst; es wird nicht die kleinste Spur von ihr entdeckt.
Es vergehen Wochen, Monde, Jahre – der Trübsinn weicht nicht von ihm. Gleichgültig steht er am Sarge des Vaters, gleichgültig tritt er in die Herrenrechte über große Besitzungen.
Gegen Gewohnheit folgt er eines Tages der Einladung auf ein benachbartes Schloß, wo sich große Gesellschaft zusammenfindet. Eine hochgewachsene, schöne Dame ist die Königin des Festes, es ist eine reiche, junge Wittwe aus der Nachbarschaft, Namens Claudia. Sie zeichnet ihn aus, sie interessirt ihn. Als man scheidet, bittet er um die Erlaubniß, sie besuchen zu dürfen. Die Bitte macht sie verlegen, ihre Antwort ist ungenügend, ja unhöflich, er weiß sich nicht auszufinden. Das Ablehnen war indessen so geschehen, daß der Onkel leicht ersehen konnte, die Gründe lägen nicht in ihr, ja, es geschähe sehr ungern von ihrer Seite. Er schreibt deshalb an sie, denn die pikante Lage der Dinge reizt ihn sehr. Claudia antwortet zurückhaltend, ausweichend, der Onkel schreibt wieder, es kommt eine eifrige Korrespondenz in Gang, und durch halbe Verneinungen, halbes Zugestehn, durch kleine Nebenphrasen und dergleichen stellt es sich ihm denn am Ende heraus, mit welch' wunderlichem Wesen, welch' wunderlichen Gründen er zu kämpfen habe. Claudia ist bürgerstolz, prüde, furchtsam und beschränkt: sie scheut auf das Aeußerste die Verbindung mit einem vornehmen Adligen, also auch das Entree zur Möglichkeit einer solchen Verbindung, sie wohnt auf dem Gute allein, und gestattet es ihrer Anständigkeit nicht, einen Mann zu empfangen, sie fürchtet den Onkel wegen seiner frühern Verbindung mit Amalien, über welche sie die bedenklichsten Gerüchte erfahren, sie hält sein Verhältniß zu dieser seiner ersten Frau für keineswegs so weit gelöst, daß er zu einer neuen Heirath berechtigt sei. –
Es ist nicht zu verkennen, daß der Onkel, durch die Schwierigkeiten gereizt, förmliche Deklarationen gemacht hatte, Claudia war ihm in Gesellschaften öfters wieder begegnet; es ist kein Zweifel, daß von beiden Seiten die entschiedenste Neigung da war, so sehr auch die Briefe Claudia's der unzweifelhaften Bezeichnung dieser Zustände ausweichen.
Ueber diesen Dingen verliert der Onkel das Forschen nach Amalien eine Zeitlang völlig aus den Augen – da erhält er eines Tages einen Brief, der diese Sorge plötzlich lebhaftest wieder aufweckt. Er ist von dem Schulzen eines Dorfs in der Nähe jenes Städtchens, wo er mit Amalien gelebt hatte. In jenes Dorf war er einmal auf seinen Irrfahrten nach der Verschwundenen gerathen, und hatte den Schulzen ausgefragt. Dieser, ein rühriger, anschlägiger Mann, hatte sich erinnert, daß ein kleiner Einspänner an einem heißen Mittage hinten um's Dorf herum gefahren sei, er habe beim Brunnen am Hinterthore gestanden, und ein Eckchen Klee gemäht für die Kühe, weil sie seit ein paar Tagen mit der Milch nachgelassen. Vor seinem Hinterthore nun habe der Einspänner gehalten, und eine kränkliche Frau habe die Leinwanddecke des kleinen Korbwagens aufgeschlagen und ihn um einen Trunk Wasser gebeten. Den hab' er ihr denn auch gebracht, da gerade kurz vorher seine Alte den kleinen Bierkrug für ihn gebracht habe. Und da hätte sie getrunken und auch der kleine Bube, den sie bei sich gehabt, hätte getrunken.
Auf diese Nachricht hatte der Onkel sogleich weiter geforscht, aber in der nahen Haide war alle weitere Spur verloren gegangen.
Jetzt schrieb nun dieser Schulze, ein durchreisender Herr, mit dem er über dieses und jenes gesprochen und dem er so diskursive auch jene Geschichte erzählt, habe ihm gesagt, das sei gewiß die Frau gewesen, die jetzt in der nahen Fabrikstadt wohne, und zwar bei ihrem Bruder und unter ihrem Familiennamen. Es ginge ihr sehr gut und sie sähe sehr munter aus und der Bruder sei sehr reich.
Der Onkel reis't auf diese Nachricht sogleich hin, steigt im Gasthofe ab, erkundigt sich, findet Alles, wie es der Schulze geschrieben, und setzt in Eile ein Billet an Amalien auf, um sie vorzubereiten. Es ist ihm, als käme seine früheste Jugend wieder, er hofft einen Sohn zu finden, und das Weib seiner ersten Zärtlichkeit, und der Stein ist von seinem Herzen, daß Amalie darbe – ihr Bruder ist ein reicher Fabrikherr.
Er erkundigt sich im Gasthofe auf das Genaueste – Alles trifft zu, Amalie wohnt schrägüber in einem großen Hause. Die mannigfaltigsten Gefühle durchstürmen ihn, er weiß sich nicht klar zu machen, was er will, was er wünscht, nur eine Empfindung steht in all' dem Wirrwarr deutlich vor ihm: er werde in Kurzem sein Kind umarmen.
In diesem Zustande setzt er sich an den Tisch und schreibt mit flüchtiger Hand an Amalien, wie er sie gesucht, wie er sie endlich gefunden, wie er voll der besten Glückeshoffnung sogleich zu ihr eilen werde, wenn diese Zeilen erst alle zu jähe Ueberraschung verhütet hätten. Hastig nimmt er sich kaum die Zeit, das Blatt halb zu verschließen, adressirt es mit dem Namen seiner Frau und schickt den Kellner damit hinüber.
Warum hab' ich denn eigentlich erst geschrieben? fragt er sich – ist es nicht Unnatur, daß ich zögere, daß ich nicht ohne Verweilen hinüber fliege, mein Weib und Kind in die Arme zu schließen – er greift unschlüssig nach dem Hute, der auf dem Fensterbrett steht. Dabei fällt sein Auge hinüber auf das Haus seines Schwagers, er sieht, daß sich der Kellner mit seinem Briefe eben der Thüre nähert, daß ein großer, starker Mann daraus hervortritt, den Brief an sich nimmt, Adresse und Siegel betrachtet, das Papier aufreißt, eine heftige, zurückweisende Geberde gegen den Boten macht, und schnellen Schrittes in das Haus zurückeilt.
Langsam kommt der Kellner zurück: der Herr Bruder der Dame habe ihm den Brief abgenommen, und mit vieler Heftigkeit gesagt, die nöthige Antwort werde sogleich da sein.
Der Onkel ist in der peinlichsten Lage: er kann sich jetzt nicht mehr entschließen, hinüber zu gehen, und das Warten hält ihn auf der Folter; er läuft in den Garten des Hotels hinab, und rennt unruhig in den Gängen hin und her, immer nach fünf Minuten im Hause fragend, ob noch keine Antwort da sei.
So vergeht beinahe eine halbe Stunde, der Angstschweiß steht dem Onkel auf der Stirn, er kommt sich wie ein Verbrecher vor, und kann sich doch nicht besinnen, was er verbrochen habe; er findet es thöricht, daß er nicht hinübereile, und kann sich doch nicht entschließen –
Da tritt ein Mann in den Garten, er hat eine dunkelblaue Schürze umgebunden, kommt auf ihn zu, und übergibt ihm mit den Worten: »Hier ist die Antwort« einen Brief.
Der Onkel reißt ihn hastig auf, und bemerkt es kaum, daß der Mann wieder fortgeht. Es ist Amaliens Hand. Die Worte des Briefes lauten:
»Ihr Kind ist längst todt. Ich habe im stillen bürgerlichen Wirken bei meinem Bruder die nöthige Ruhe für's Leben wiedergefunden, die Sie mir genommen hatten. Gestatten Sie nur so viel Theilnahme, mich nicht wieder aufzustören. Mein Bruder haßt Sie; möge Sie das veranlassen, diesen Ort sobald als möglich zu meiden.«
»Amalie.«
In den vor mir liegenden Briefen sagt der Onkel, er erinnere sich keines einzelnen Gedankens und Zustandes aus den Stunden und Tagen, welche diesem Augenblicke folgten. Es sei nicht jener dumpfe Schmerz der Verzweiflung gewesen, der einen Menschen ergreift, wenn er plötzlich Alles verloren sehe. Ein starker Beisatz von Zorn möge thätig gewesen sein, der Mund habe ihn noch lange nachher geschmerzt vom Aufeinanderpressen der Zähne.
Zufällig gerieth er auf der Reise in einen wenig besuchten Badeort, der still und heimlich zwischen großen Buchenbäumen liegt. Hier blieb er eine Zeit lang, um sich auf die Welt und ihre Dinge, und auf das zu besinnen, was nun zu thun sei. Es vergingen mehrere Wochen, er saß des Morgens vor dem großen Baume an seiner Thür, sah gedankenlos die Spaziergänger an, ging selbst spazieren, las Bücher, antwortete, wenn man ihn fragte, und war doch todt für Alles.
An einem trüben Morgen, als ihn sein Bediente fragt, ob sie nicht bald wieder nach Hause reisen würden, erwachte er aus seinem Zustande, setzte sich in den Wagen und fuhr heim. Einen dichten Schleier warf er auf diesen Theil seiner Vergangenheit, sie war abgemacht, verarbeitet in seinem Innern, und das Bedürfniß zu leben weckte wieder allerlei Hoffnung in den Winkeln seines Herzens. Die Hoffnung ist der Blutumlauf des menschlichen Geistes, der bei einiger Gesundheit immer thätig ist. Es regt sich bei den meisten, auch nur halbwohlen Menschen hie und da eine plötzliche, rasche Empfindung wohliger Behaglichkeit: sie ist das schönste Erinnerungszeichen, daß wir leben, und eben so fliegen oft plötzlich durch unsern Geist die buntbefiederten Vögel der Hoffnung, und ohne daß wir eigentlich wissen warum, sind wir wieder voll Lebenslust.
Das ist ein weises Geheimniß der Schöpfung, es ist der Reiz. Ohne diese Schwung, kraft gäbe es für den Menschen keine dauernde Existenz.
Das Bild jener Claudia trat dem Onkel vor die Seele, und somit war die Elasticität seines Wesens wieder gewonnen. Was ihr ein Hinderniß gewesen, das Verhältniß zu Amalien, war ja nun völlig gelöst; sobald er zu Hause angekommen war, schrieb er an sie, und schüttete sein ganzes Herz vor ihr aus. In diesem Briefe erzählt er ihr Alles, was sich mit ihm zugetragen, das Auf- und Abwogen seiner verschiedenartigen Empfindungen namentlich in den letztvergangenen Situationen; wie er sein Herz anfänglich beruhigt habe mit den historischen Familienpflichten, welche sein Leben in Beschlag nähmen, wie er sich auf ein karges aber friedliches Familienleben fast gefreut habe. Nach der Katastrophe und nachdem Alles in ihm beendigt gewesen sei, habe ihn eine sanfte Beruhigung ergriffen, daß Alles so besser wäre, daß Amalie ihn nimmer geliebt haben könne, da sie ihm so harte Worte geschrieben, daß er einem ärmlichen, peinigenden Zustande entronnen sei. Und nun flattre das Bild der theuren Claudia wie die leibhaftige Hoffnung und Freude vor seinen Augen, nun sei er frei und ledig, und sie dürfe das lebhafteste Geständniß seiner Liebe ungescheut annehmen.
Claudia antwortet ihm in einem sanften, weichen Briefe das Traurigste, was man sich denken kann. Sie hätte so lange aller Nachrichten von ihm entbehrt, die Ihrigen wären immer dringender geworden, einem unbescholtnen, vermöglichen Manne, der um sie geworben, ihre Hand zu geben, sie hätte sich endlich dazu entschlossen, und den Tag nach Abgang dieses Briefes würde ihre Hochzeit gefeiert. Sie läugne nicht, daß die Vorstellungen der Ihrigen viel dazu beigetragen hätten, daß es ihr dadurch immer einleuchtender geworden wäre, wie nur ganz gleiche Stände zur Ehe für einander paßten. Sie sei von niedrigem, unbedeutendem, der Onkel aber von hohem Adel, das Verhältniß sei eben auch nur um ein Wenig besser als das zu Amalien. Auch möge er nicht einwenden, daß es noch Zeit sei, da bis jetzt nichts als eine vorläufige Verlobung statt gefunden habe: die Suche sei vor der Welt bekannt, und dem ehrlichen Manne, ihrem braven Gatten, müsse sie Wort halten.
Und doch geht durch den ganzen thörichten Brief eine sehnsüchtige Liebe zum Onkel.
Hier hören die Briefe eine Zeitlang auf – das Unglück des Onkels mag man ermessen. Nach einigen Monaten folgen aber plötzlich eine Menge der leidenschaftlichsten Briefe vom Onkel, worin er sie auf das Stürmischste beschwört, ihre Ehe zu lösen, ihm anzugehören. Sie sendet ihm all' die Briefe zurück, und auf einem kleinen Zettel finden sich nur etwa fünf Zeilen von ihr, in denen sie ihn flehentlich bittet, ihre Ruhe zu schonen, und sie ihren Pflichten zu überlassen.
Seine Leidenschaft ist aber einmal im Sturme; nichts hält ihn ab, nach ihrem Wohnsitz zu reisen. Sie wohnt in einem Landhause, an dessen Garten ein Fluß vorübergeht, der Garten selbst geht von beiden Seiten bis an die Front des Hauses, die Heerstraße läuft dicht an Haus und Garten vorüber, eiserne Gitter vor dem Garten lassen den Vorüberreisenden weit hineinsehen.
Der Onkel läßt seinen Wagen langsam fahren, als er an das Gitterwerk kommt – eine weibliche Gestalt geht unter den Bäumen hinab nach dem Flusse zu – es ist Claudias Gestalt – er fährt schnell vorüber, springt vom Wagen, sucht und findet einen Kahn, rudert sich zum Garten hin, steht plötzlich vor Claudia unter den dichten Bäumen des Ufers. Sie ist äußerst erschreckt, faßt sich aber schnell, und spricht mit dem innigsten Ausdrucke, mit einem Blicke, vor welchem der Onkel in die Kniee sinkt, er möge sich die Ehre seiner Claudia theurer sein lassen. Mit den glühendsten Worten schildert er ihr seine Liebe; die Thränen fließen ihr über die Wangen – »und wenn Sie mich lieben« – sagt sie mit brechender Stimme – »so verlaß mich für jetzt und immer.« – Der Onkel, in welchem plötzlich eine wunderbare Veränderung vorgeht, sagt zum ersten Male: »Ja, das will ich,« ergreift ihre Hand, um sie zum letzten Mal an seine Lippen zu drücken, und sie liegen sich schluchzend in den Armen, ohne daß sie wissen, wie es geschehen, sie herzen und küssen sich und weinen dabei auf das Süßeste und Bitterste.
Wunderlich genug ist's, der Onkel, welcher sich zuerst ermannt legt ihre Hand auf seine Augen und spricht: »Dein Wille geschehe, das war der einzige Augenblick unsres Lebens, ich will Dich nicht wiedersehn« – damit geht er nach dem Ufer, leise ruft Claudia noch einmal seinen Namen, er wendet sich, aber sie winkt ihm mit der Hand, zu gehen.
Und er geht, und hat sie nicht wieder gesehen.
Es finden sich noch viel Briefe an Claudia, die wahrscheinlich alle nicht abgeschickt worden sind. In dem ersten von diesen ist jene letzte Begebenheit erzählt, in den späteren finden sich die bittersten Klagen über das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft, über das unglückbringende Absperren durch Ehe und Standesverhältnisse. Am Ende schrumpfen die Briefe zu kleinen Aphorismen zusammen, welche unsägliche Bitterkeit, ja oft tödtlichen Haß in wenig Worte zusammendrängen.
Wie der arme Onkel darauf in die weite Welt gegangen ist, wie er seinen Groll auf die wunderlichste Weise am Adel und an der Ehe an den Tag gelegt hat, weißt Du schon, ich habe Dir, glaub' ich, in der ersten Zeit meines Hierseins einmal davon geschrieben. Ich schließe hastig, die Sache hat mich unglaublich angegriffen.
Könnt' ich Dir doch beschreiben, Blanca, welch' eine rege Veränderung mit mir vorgegangen ist. Aber ich kann es nicht. Es geht mir wie Einem, der in eine dunkle Höhle gerathen ist, er fühlt, daß ihn Nässe und Kälte ergreifen, aber er weiß nicht, er sieht nicht, woher beide kommen.
War es nicht doch Leichtsinn, daß ich mich immer spottend und lachend über die gesellschaftlichen Einrichtungen hinwegsetzte, ist es nicht am Ende Unrecht, sie Zufälligkeiten zu nennen, sind sie vielleicht wirklich natürliche, nothwendige Ergebnisse der Länder wie Bäume und Kräuter? Muß man nicht prüfen, ob denn unsre Bildung, die zehn verschiedenen Völkern und Zeitaltern entlehnt ist, für unser Volk, für unser Zeitalter passe? Muß man nicht zu Hause seine Landessprache reden, um nicht sich und seine Umgebungen ohne Noth zu verwirren? Paßt unser Liebesjonien nach der Lausitz? Ist nicht Humanität der Gegensatz von allem Egoismus, und ist es nicht Egoismus, ein Leben zu führen, was mit allen Umgebungen disharmonirt, um uns größere Freiheit zu schaffen, ein Leben, dessen Gesetzlosigkeit eben ein Diebstahl an der uns umgebenden gesetzlichen Form ist? Zerstört es nicht auch die Ruhe und behagliche Sicherheit, die ersten Bedingungen jeder Art am Glück.
Man hat nichts Deutliches und Klares mehr vom Onkel gehört, aber was man hörte war unersprießlich – es war sein Geschäft, die Menschen zu stören. Wie kann es ihm selbst dabei wohl ergehn! Es kann ja in der Welt kein Zustand allein existiren; das, was in unsre Nähe kommt gibt ihm die Farbe. Wir sind ja in allen Dingen Geschöpfe, die von außen her Alles werden. Es ist wie mit der Witterung: wir können nicht im Regen ausgehn, ohne naß zu werden.
Ein Heer solcher Gedanken bewegte sich in mir, es war mir wie einem Seiltänzer zu Muthe, der jeden Augenblick das Gleichgewicht zu verlieren fürchtete. Gehen wir vielleicht, Blanca, auf einem Seile?
Du kennst meine Unart, und hast sie oft getadelt, wie ich mich einem neuen Interesse, das mich fesselt, sei's ein Buch oder eine Idee oder sonst etwas, so ausschließlich hingebe, bis ich es erschöpft habe, wie ich Alles Andre darüber vernachlässige. Du hast Recht: es ist ein leidenschaftliches Unmaaß. So hatte ich denn auch hier zwei Tage lang Karlsbad und meine Bekanntschaften vernachlässigt, und war nicht von meinem Zimmer gekommen. Für alle Nachfragen hieß es, ich sei verreist. Der Liebesbrief blieb aber nicht aus, und war, sonderbar genug, als ob er meine Stimmung kenne, ernster, ich möchte sagen höher gehalten, als die früheren, er klang fast wie eine poetische Resignation. Francisca war die erste der ich begegnete. »Leben Sie noch, Sie Bösewicht, und wir glaubten, Sie seien über alle Berge!« So rief sie mit großer Lebhaftigkeit und hing sich an meinen Arm, und war so naiv, so lieb und schmeichelnd, wie ich sie lang nicht gesehn. Es war Niemand in der Nähe, und ich konnte mich nicht enthalten, ihr einen Kuß zu nehmen. Sie gab mir ihn mit Herzlichkeit zurück, machte sich aber dann von mir los, und sagte mit einem gar wunderlichen Ausdruck, der mich sogar einen Augenblick befremdete: »Noch sind wir keine deklarirten Hochzeitsleute, wir müssen uns ein wenig geniren, weil das so Mode ist.« –
Vor dem Hause der Komtesse saß eine Gesellschaft, Alle riefen erstaunt: »Und Sie sind noch da!« – Alle hatten geglaubt, ich sei sans adieu wie ein Holländer davon gegangen. Die Komtesse war hastig aufgestanden, ich sah's, wie sie die Farbe wechselte, die Augen leuchteten, sie kam auf mich zu, und gab mir die Hand. Sie sah dabei so lieb, so unaussprechlich still glücklich aus, daß ich mein Auge nicht von ihr wenden konnte. Ich erfuhr jetzt, daß namentlich der alte Kavalier überall versichert hatte, ich sei plötzlich abgereist. Wo ist er? – Seit vorgestern Morgen hat ihn Niemand gesehen.
Wie das zu gehen pflegt, so ward meine Unsitte eine kleine Weile mit der größten Lebhaftigkeit besprochen, dann kam etwas Anderes auf's Tapet, und nach einer halben Stunde schien's als ob mein Verschwinden schon ein Jahr alt sei. Und es ist ein Hauptreiz der höhern Gesellschaft, und ein Hauptgrund, warum sie schwere Menschen so leer macht, daß nichts tiefe Wurzeln schlägt, und der Mensch wie auf schnellem Wagen vorüberrollt.
Die Gesellschaft verlor sich, es war spät geworden, auch die alte Gräfin, deren Kränklichkeit gewachsen zu sein schien, ging in's Haus, mir liebreicher als gewöhnlich Adieu sagend. Es war mir, als zuckten die Kummerfalten auf ihrer gelben Stirn fragsam, da sie mir gute Nacht nickte. – Nur die alte unglückselige Baronin saß noch bei der Komtesse, und wenn mich nicht die Furcht täuschte, so sprach sie eben so feierlich und erhaben, wie der letzte Liebesbrief. Oh – oh. –
Endlich ging sie. Die Komtesse sah mich liebreich an, und seufzte tief auf – » da da, jetzt bin ich das drückende Gefühl mit einem Male los, das mich die beiden Tage gequält hat – Sie müssen nicht mehr so garstig sein lieber Alphons.« So sprach das gute Kind, und reichte mir die Hand hin. Nicht wahr, sie ist lieb und lieber noch als die wilde Francisca?
Ich wollte ihr eben auf das Herzlichste erwiedern, als Wilhelm und Francisca, welche die Wiese auf und ab gegangen waren, bei uns stehen blieben, und unnützes Zeug zu sprechen anfingen. Es war an keinen ruhigen Augenblick mehr zu denken, und ich ging halb verdrießlich fort.
Es ist eine milde, schöne Nacht draußen. Ich habe Dir das Alles noch eilig niedergeschrieben, und ich habe noch viel im Kopfe von Betrachtungen über diese wunderlichen Zustände, es ist mir aber Alles verworren, es wird mir heiß, wenn ich einzelne klare Gedanken herauswickeln will. Vielleicht morgen; ich will noch hinaussehen in die Nacht, vielleicht kommt mir die Auflösung des Räthsels, was es mit mir soll, in einem kühlen Lüftchen. Es ist recht thöricht von Dir, Mädchen, daß Du's nicht weißt. –
Am andern Morgen.
Mein Reisewagen steht vor der Thür, ich schreibe dies noch stehenden Fußes. Gestern Mitternacht kam ein Expresser von der sächsischen Grenze – denke Dir, ein Brief vom Onkel, vom alten Onkel. Ich war versteinert – er glaubt sich tödtlich krank, ich soll über Hals und Kopf nach Leipzig. Seltsam, seltsam; ich reise den Augenblick, und nun wirklich sans adieu. Ich schreibe Dir gleich aus Leipzig; wenn nicht: der Onkel wohnt im Hôtel de Bavière.
Ich habe Dir von Leipzig aus geschrieben, daß der Onkel nach Berlin vorausgeeilt sei, und daß Du mir dahin schreiben mögest. Noch hab' ich keinen Brief von Dir. Wie kommt das? Es sind schon acht Tage, daß ich hier bin. Ach, Blanca, gute Blanca, schreibe bald, ich bin ein aufgelöster Mensch, es sind die wunderlichsten Dinge vorgegangen. Kaum hab' ich Kraft und Fähigkeit, Dir die Hauptsachen aufzuzeichnen. Ein Schluß, ein Entschluß ist noch weit von mir.
Der Onkel ist – denke Blanka – Niemand anders als der alte Kavalier aus Karlsbad. Er krankt weniger körperlich als geistig. »Ein falsches Leben hab' ich geführt,« spricht er mit seinen markdurchdringenden langsamen Worten – »und Du, Neffe, hast mir die klarste Einsicht davon gegeben. Wo soll es hinaus, dieses Herumtändeln, Herumliebeln, von interessanten Spielen? Weißt Du denn wol, was Du damit anrichtest? Das Weib ist halb schutzlos in der Welt und trotz aller scheinbaren Beschirmung nur des Mannes Ehre anheim gegeben. Ist es nicht unwürdig, mit dem Schutzlosen sein Spiel zu treiben? Und was that'st Du anders in Karlsbad? Weißt Du denn, ob das Leben und Glück der Komtesse oder Francisca's nicht völlig zu Grunde gerichtet sind durch Dein Verhalten gegen sie, durch Dein leises Anknüpfen, plötzliches Zurückgehn, plötzliches Wiederkehren, kurz durch Dein Kokettiren? Weißt Du es? Kannst Du es bestimmen, ob Du nicht namentlich in die zarte Brust der Komtesse den Samen des Todes geworfen? Völlig harmlos war sie zu Anfang der Saison, sie fügte sich in alle Launen einer thörichten Mutter, welche sie gleich einer Waare behandelt, sie fügte sich, weil sie keine Wünsche kannte. Du hast die Wünsche geweckt – wie wird sie nun die Forderungen ihrer Mutter ansehn, und weißt Du nun, wie weit das Unglück rennen kann?« –
»Es ist ein Frevelmuth der egoistischen Jugend, die menschliche Gesellschaft für eine unbequeme Zufälligkeit anzusehn, und allen egoistischen Launen zu folgen ohne Rücksicht, was neben oder hinter ihnen zu Grunde geht. Sie fühlen sich sogar noch recht erhaben, wenn sie dergleichen mit recht eigenthümlichen absprechenden Räsonnements bekleiden können, sie dünken sich ganz besonders, daß sie nicht in den Schlendrian paßten, und machen sich geniale Systeme. O, dieser unselige Egoismus, diese bodenlose Eitelkeit, denn diese beide sind das Aelternpaar all' der heillosen Kinder, bringen namenloses Unglück. Es ist nicht schwer, sich was Neues zu suchen, wenn Einem das Alte nicht gefällt, aber es ist nicht Recht, sich einen Zustand zu extemporiren, welcher zu allem Uebrigen nicht paßt und so alles Uebrige verrückt. Es ist verdienstlicher, sich dem Gewöhnlichen zu fügen, als Ungewöhnliches auszustöbern.«
»Ich richte das Alles gegen mich selbst eben sowohl als gegen Dich, ich bin so heftig, weil ich es noch ärger getrieben habe als Du, ich habe absichtlich zerstört, wie ein ungezogener Knabe aus Zerstörungswuth zerstört. Das ist ein gesellschaftliches Unrecht, was nicht zu vergeben ist. An Deinem Treiben in Karlsbad ist mir das Verständniß aufgegangen; zum ersten Male sah ich in der Nähe, wohin dies Treiben führe, zum ersten Male sah ich die Schlachtopfer hinsiechen. Francisca flatterte noch wie eine Motte um's Licht, die Komtesse war zerbrochen, man wies mir ein verschleiertes Mädchen was Dir nachgereist war, was Du ebenfalls verlassen hattest, was mit keinem Menschen sprach, was vielleicht eine Beute des Wahnsinns wird.« –
»Oh, oh über die menschliche Verblendung, mit Entzücken sah ich Dir anfänglich zu, wie ein Kind, das die Hände nach dem lustigen Feuer streckt, und nicht weiß, daß es brennt. Ich half Dir von den bornirten Prinzen, ja ich trieb den Frevel so weit, Menschenleben dabei auf's Spiel zu setzen, weil ich kindische Duellanten für Kartenfiguren hielt, ach, ich that Alles, was thöricht war.« –
So spricht der Mann den ganzen Tag, Manches versteh' ich gar nicht, wie die Geschichte mit dem verschleierten Mädchen.
Heute hat er mir nun bestimmt erklärt, ich müsse die Komtesse heirathen, und er werde sogleich deshalb schreiben. Bis jetzt hab' ich zu Allem still geschwiegen. Aber warum schweigst auch Du?«
Ist es möglich, ist es möglich, Blanca, Du, Du, Du hast alle die Liebesbriefe geschrieben. Du warst in Karlsbad, Du warst die verschleierte Dame, Du sagst Dich los von mir, als von einem wankelmüthigen Manne? – da steht's, ich hab' es hingeschrieben, was mich aus allem Sinn und Verstande heraustreibt. –
Ich kann nichts hinzusetzen, ich weiß nichts als diese Fragen – schreibe noch einmal, ob es so ist, dann werde ich's wissen, jetzt weiß ich nichts, nichts.
Du bist hier, und willst mich nicht erfahren lassen, wo Du seist, willst mich nicht sehen?
Nun wohl, ich habe abgeschlossen mit der Welt, und jetzt bin ich ruhig. Damit ich dem alten Manne wenigstens eine Freude mache, so will ich mich seinen Wünschen fügen. Er glaubt, sein ganzes Leben wieder gut zu machen durch meine Verbindung mit der Komtesse. Es ist ein liebes Mädchen. War Francisca das lebendige, schöne Auge, so ist die Komtesse die Seele des Auges.
Wenn der Onkel still auf dem Sopha liegt und ich auf einem kleinen Stuhle neben ihm sitze, und hinaussehe durch die Fenster über die breiten, herzlosen Straßen Berlins, auf welchen jetzt Tag um Tag ein ausdrucksloser Sonnenschein liegt, da schnürt es mir wol manchmal das Herz zu wie Todesangst. Ich verspreche ihm die Heirath, und es ist mir, als ginge mein Leben zu Ende.
So gehe es denn zu Ende, ich habe es selbst verscherzt. Meine Neigung zu Dir – ich fühle es jetzt tief – ist der Kern meines Lebens. Jugendlicher Uebermuth ließ uns mit dem Glücke spielen, wir warfen die bunte Kugel in die Luft, und ließen es darauf ankommen, ob sie uns wieder in den Schooß fallen würde. Gott weiß, wo sie hingefallen ist.
Ist es ein Frevel gegen die Zeit, gegen die Umgebungen, natürliche Zustände hervorzurufen, die nicht zur jetzigen Gesellschaft passen, klassische Liebe ohne Pfaffen und Kontrakt in eine unklassische Welt zu drängen – ist es ein Frevel, ich will ihn büßen. Aber bereuen will ich ihn nicht; all' meine alte Stärke ist mir jetzt wiedergekommen, ich sterbe heiter auf dem Schlachtfelde.
Lebe wohl, Blanca, o meine süße Blanca, lebe wohl. Der Komtesse will ich Dich schildern so schön, wie Du in mir lebst, und sie wird mir gestatten. Dich zu lieben, auch wenn ich Dich nimmer wiedersehe.
Ihr sagt mir, ich sei eitel um und um, und durch und durch, und diese Eitelkeit sei die Mutter all meiner Theorieen und Thorheiten. Ich glaub's Euch, ich glaub's, daß Ihr Recht habt, glaubt mir aber auch, diese Eitelkeit sei nicht so schlimm, und sie sei eigentlich etwas Anderes, wir haben nur kein Wort dafür. Ohne diese Eitelkeit mag ich gar nicht weiter leben, sie ist die Spannkraft meines Wesens.
Der Onkel treibt mich zur Abreise – ich schreibe Dir jedenfalls noch in drei Worten Lebewohl. O daß ich Dir dann nicht mehr schreiben soll, das, das gräbt mir im Herzen umher. Diese Briefe waren mein zweites Leben – und unsere hohen Gedanken, wie wir uns Alles sagen wollten, auch wenn wir nicht treu geblieben wären, sie waren ja doch wahrlich keine Lügen, Blanca.
In diesem Augenblicke ist mir's, als sei ich Dir immer treu gewesen, als würd' ich Dir's immer sein. Die Treue ist ganz gewiß etwas Anderes, als was die Leute so nennen. Nicht wahr, Blanca? Bitte, schreib' mir noch einen Brief über die Treue! Bitte, bitte!
Was ist das? Du bist beim Onkel gewesen, er ist entzückt von Dir – und in der nächsten Stunde soll ich reisen?
Ich sitze am Schreibtisch des Onkels, er geht lächelnd im Zimmer auf und ab, und ist heiterer als je. Er erzählt mir, wie Du in Karlsbad alle Briefe von mir aufgefangen habest, wie die alte Baronin Dir behilflich gewesen – was hör' ich da eben? Sie ist Deine Tante – sie ist Claudia? Und der Onkel hat es selbst nicht gewußt, heftige Krankheiten haben sie so entstellt. –
Bald hör' ich, bald schreib' ich, es wird ein thörichter Brief, aber schreiben muß ich, denn der Onkel wiederholt, daß der Wagen bald vorfahren würde. »Du hast Eile« – sagt er – »denn jener junge holstein'sche Graf, dessen Du Dich erinnern wirst, ist nach Karlsbad zurückgekommen, und hat der Komtesse seine Hand angetragen, und die blonde Sanftheit gefällt ihr sehr, Francisca hat sich mit Wilhelm verlobt – Du kommst am Ende zu spät. Bewähre Deine Eitelkeit und mach' alle Bewerber zu Schanden.« –
Was sind das für Dinge!
»Blanca ist ein so liebenswürdig Kind« – fährt er fort – »aber mit Deinen thörichten klassischen Plänen« –
Ich konnte nichts weiter schreiben, und jetzt fliegt mir die Feder wie im Fieber – böses, böses Mädchen, Alles ist ausgeglichen, und Ihr foltert mich, und zu Dir in die nächste Straße soll ich reisen, und Du hast die abscheuliche Bedingung gestellt, und der abscheuliche Onkel hat sie zugestanden, daß ich eine volle Stunde warten muß, nachdem ich dies Alles erfahren habe, daß ich Dir den letzten Liebesbrief schreiben muß. Da ist er, da ist er – ich weiß nichts Anderes, Blanca, als daß ich Dich liebe, so liebe, daß mir's vor den Augen flimmert, und ich nicht mehr schreiben kann – oh, oh, was zögert die Stunde, ich muß aufhören, denn mich überwältigt die Freude.
Noch wenn Du dies Blatt in der Hand hältst, fliegt in Deine Arme
Dein Alphons.