Joseph von Lauff
Die Martinsgans
Joseph von Lauff

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Die dritte Dithyrambe

                    Nun denkt euch eine junge Erle,
Noch mailich, Duft in Duft gemalt,
Und in den Zweigen eine Merle,
Vom letzten Abendlicht umstrahlt;
Nun denkt euch, daß die Merle sänge
Und, wie ein Rothschild Gut und Geld,
Verschwend'risch ihre goldnen Klänge
Verstreute durch die weite Welt.
So ähnlich und nach seiner Weise,
Verliebt wie zuckersüßer Brei,
So flötete, bald laut, bald leise,
Der Amtsgerichtsrat Num'ro zwei.
Er schluchzte zärtlich wie 'ne Laute,
Und Tränen fand er, gut gemeint,
Wie Siegwart sie um seine Traute
Vor Zeit ins Kirchhofgras geweint.
Die Weste weit, der Kragen luftig,
Der Anzug flott, noch kaum gebraucht,
Das Antlitz pfirsichblütenduftig,
Doch ganz in herben Schmerz getaucht,
So stand er voller Pein und Plage,
Der Themis vielbegehrter Sohn,
Und fand mit seinem Zungenschlage
Das rechte Wort, den rechten Ton:
»Ihr kennt mein Weib, die gute Seele,
Die, abhold jedem Flitz und Flirt,
Doch gleich der zarten Philomele
Zu Hause nur um Liebe girrt.
Wir haben Treue uns geschworen,
Beseligt, Brust an Brust geschmiegt;
Ein Söhnchen hat sie mir geboren
Und dieses Söhnchen treu gewiegt.
Der Liebe wechselndes Theater,
Wir fanden's schön bei Tag und Nacht;
Doch quälte mich ein böser Kater,
Sie hat Kompressen mir gemacht.
Des Morgens schon, im schmucken Häubchen,
Sie fragte mich, die gute Fee:
›Willst du zum Mittagstisch ein Täubchen,
Wenn nicht, dann Hühnerfrikassee?‹
Und sah sie ein, es waren Nieten,
Dann wußte sie gleich andern Rat:
›Vielleicht kann ich dir Spargel bieten,
Vielleicht auch Selleriesalat?‹
So wie ein Quell sich lieblich kräuselt
Durchs Wiesenland mit leichtem Sinn,
So ging uns, morgenfrisch umsäuselt,
Das Leben zephirleicht dahin.
Und abends, wenn uns schön gemundet
Gebacknes Spiegelei mit Speck,
Ihr Mündchen sprach dann spitzgerundet:
›Nun komm ins Bettchen, Hubaleck!‹
So sorgte sie für Bett und Kammer,
Für Kind und Keller, Hof und Haus,
Und glücklich schlief ich meinen Jammer
Noch von dem letzten Frühtrunk aus.
Doch heute . . .«
                            Plötzlich ward die Nase
Wie Mehl so weiß und leer von Blut;
Er griff nach seinem Moselglase
Und trank sich wieder frischen Mut.
»Doch heute nichts als Übeltaten!
Der Himmel dünkt mich trüb und grau;
Mein treues Weib hab' ich verraten . . .
O jerum, meine arme Frau!
Denn sieh, es kam ein loser Spender
Mit seinem zarten Drum und Dran;
Es zeigte lustig der Kalender
Den elften im November an –
Den Tag der Freude, des Verderbens,
Den Tag der Gänsemelodien,
Den Tag des großen Gänsesterbens,
Den Tag des heiligen Martin.
In hohen Lüften, welch ein Flattern,
Welch wechselnd Spiel, vom Licht umblaut!
In allen Höfen, welch ein Schnattern,
Welch kläglicher Trompetenlaut!
In allen Gattern, allen Ställen
Dahin die sonstgewohnte Ruh;
Es strömten ganze Gänsewellen
Dem blankgewetzten Messer zu.
Und sie, die feinste unter allen,
Jungfräulich bis zum weißen Schwanz,
Vor Gott und Mensch ein Wohlgefallen,
Kurzum, die allerschönste Gans,
Sie flog der trefflichen Susanne
Direkt ins küchliche Revier,
Und schnell bei Brixius in die Pfanne
Versenkte sich das Wundertier.
Und ich, und ich! – o dies Dilemma!
Ich schwankte wie ein Rohr im Ried,
Dieweil schon unsre brave Emma
Auf eignem Herd ein Gänschen briet.
O Gott, o Gott! – hier heiße Zähren,
Ein häuslich Glück noch überdies,
Und drüben Helden, lobebären,
Und wetterfeste Kneipgenies.
Was tun, spricht Zeus?! – Hier tiefer Friede,
Dort schwere Kneiperei zumeist . . .!
Doch wie der göttliche Pelide
Sich von Brisëis losgeeist,
Wie Hektor sich von seinem milden,
Betränten Weibe fortgemacht
Und auf trojanischen Gefilden
Sich warf ins Kampfgewühl der Schlacht,
So, zärtlich zwar und äußerst gütig,
Doch jeder Regung bar und bloß,
So riß auch ich mich stammtischwütig
Von meiner bessern Hälfte los.
Nahm Abschied dann getrosten Mutes,
Obgleich sie wehrte Gruß und Kuß,
Und pendelte verquerten Hutes
Ins Stammlokal zu Brixius.
So bin ich hier, zwar etwas bänglich,
Die Stimmung leichtbewölkt und grau,
Und meine Seele seufzt verfänglich:
O jerum, meine arme Frau!«

»Was Weib und Kind, was schmerzlich Regen?!
Komm, freue dich des edeln Weins!«
So donnerte ihm stolz entgegen
Der Amtsgerichtsrat Num'ro eins.
»Ich will nicht rechten und nicht richten,
Dich nicht bedrohn mit Acht und Bann;
Indessen – du hast sonst noch Pflichten
Cum grano salis, lieber Mann.
Als Richter nicht, vielmehr als Mahner,
Als Freund, Gemütsmensch und als Christ,
Ich stehe hier als Brixianer,
Als eingeschworener Ligist
Und brülle dir in beide Ohren:
Fort mit dem tränenreichen Spiel,
Damit das Bündel der Liktoren
Dich nicht zermalmt mit Stumpf und Stiel!
Wir sind doch, wie die Akten melden,
Voll Manneskraft und Mannesmut;
Nicht klägliche Pantoffelhelden,
Kein Kinderzeugungsinstitut!
Das Armbein krumm, das Maul geschliffen,
Hier wird mit Gläsern angeklirrt,
Hier wird geschnalzt und brav gepfiffen
Und nicht gesäuselt und gegirrt.
Beim Schippendaus, bei Bacchus' Taten,
Bei Strick und Strang, bei Gras und Grein,
Dir stürzt, bei Gott, nach Wein und Braten
Der Ehehimmel noch nicht ein.
Drum zeig' dich würdig der Genossen,
Tu mir Bescheid, mach's Armbein krumm
Und lege frisch und kurz entschlossen
Dein Maul ums Orificium!
Dann hast du Gottes reichen Segen,
Dann wirst du voll des edeln Weins . . .«
So donnerte ihm stolz entgegen
Der Amtsgerichtsrat Num'ro eins.

Und als er dann in voller Würde
Und gleichsam wie aus Stein gemetzt
Und los und ledig aller Bürde
Sich etwas lallend hingesetzt,
Da ward ein Jubelruf dem Sprecher,
Es zitterte das ganze Haus,
Und jeder saugte seinen Becher
Bis auf die Nagelprobe aus.
Da war im Stammlokal nicht einer,
Der nicht gelöffelt seinen Rest,
Und Meister Wieprecht, der Lateiner,
Rief voll und rund: » Probatum est!«
Indes der Doktor scharf sondierte,
Das Für und Wider klug verglich
Und schließlich diagnostizierte:
»Es ist erreicht, die Krisis wich.«
Doch auch ein Arzt hat seine Schwächen,
Dieweil sein Tun oft Schall und Rauch,
Hat Fehler, menschliche Gebrechen . . .
So unser lieber Doktor auch.
Denn Karlchen, die geknickte Rose,
Ließ hängen Nase, Mund und Ohr
Und blieb trotz aller Diagnose
So melancholisch wie zuvor.
Ein Bild des Elends und des Jammers,
Das er der wackern Runde bot,
Er fühlte schwer die Wucht des Hammers
Der quälenden Gewissensnot.
Er sah zertöppert seinen Frieden,
Er hörte Höllenmelodien,
Er sah das Heer der Eumeniden
Die richterlichen Pfade ziehn.
Er sah die fürchterlichen Weiber,
Wie Schiller sie gesehn mit Graus;
Es stieg das Riesenmaß der Leiber
Hoch über Menschliches hinaus.
Sein Hirn ging wild, die Pulse kochten,
Bald weich wie Wachs, bald hart wie Stein;
Ein Feuer wie von tausend Dochten
Verkohlte Fleisch ihm und Gebein.
Kein Rettungsanker, keine Küste!
Die Weiber nahten sonder Zahl
Und tauchten ihre welken Brüste
Ihm in den blinkenden Pokal.
Sie schrien in gellenden Akkorden,
Sie hielten ihn am Kragen fest;
Er war ein Ödipus geworden,
Er war ein duldender Orest.
Gepeitscht von grimmen Geißelhieben,
Von Zetermordio umschrillt,
Von hammelblöder Angst getrieben,
Er war wie ein gehetztes Wild;
Denn immer näher, kalt von Sinnen,
Umzirkten, bleich und kreideweiß,
Die Lust- und Freudemäherinnen,
Die Eumeniden, unsern Kreis.
Mit ihren fratzenhaften Köpfen,
Dem Schunkeln und dem wüsten Drehn –
Vor Gott und irdischen Geschöpfen,
Sie konnten übel nur bestehn.
Wo sonst die Locken lieblich flattern,
Da saß kein leichter Federhut,
Nein, ein Gezücht von ekeln Nattern
Trug neckisch diese Höllenbrut.
Wo sonst, die Blicke zu ergetzen,
Sich schmiegte üppiges Gewand,
Umhingen diesen Vetteln Fetzen
Von ganz gewöhnlichem Barchant.
Ihr Lied, es war kein weltentrückter,
Beseelter Sang von Vater Pan,
Noch weniger ein kranzgeschmückter
Und himmelstürmender Päan.
Es ging auf ausgestopften Socken,
War voller Qualen und Gebrest
Und klang wie dumpfe Sterbeglocken,
Wenn irgendwo gehaust die Pest.
Sie sangen grimme, grause Worte,
Mit wilder Gier, mit Dran und Drauf;
Sie rüttelten die Seelenpforte
Mit spöttischem Gelächter auf.
Doch was sie sangen unserm Helden,
Was schaudernd sie ihm vorgegeigt,
Das wird der vierte Sang euch melden . . .
Habt acht! – die Dithyrambe steigt.


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