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Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, und wir ließen die Kamele über das gleichmäßige Kiesgeröll zwischen den Bäumen in ständigem Trab gehen, um den Brunnen von Masturah zu erreichen, der ersten Station auf der Pilgerstraße von Rabegh, wo wir tränken und etwas rasten wollten. Ich war ganz entzückt von meinem Kamel, denn ich hatte nie vorher auf einem so trefflichen Tier gesessen. In Ägypten gibt es keine guten Kamele, und die aus der Sinaiwüste, obgleich kräftig und abgehärtet, sind nicht dressiert auf diesen sanften, gleichmäßigen und raschen Gang, wie die prächtigen Tiere der arabischen Fürsten.
Doch blieben die Fertigkeiten meines Kamels an diesem Tage durchaus ungenützt, denn sie konnten nur Reitern zugute kommen, die sich darauf verstanden und den Kniff weg hatten, nicht aber mir, der ich lediglich getragen zu werden erwartete und von dieser Reitkunst wenig Ahnung hatte. Es ist nicht schwer, auf dem Buckel eines Kamels zu sitzen, ohne herunterzufallen; aber mit Verständnis das Beste aus ihm herauszuholen, ohne bei langer Reise Reiter und Tier zu überanstrengen, dazu gehört allerlei. Tafas gab mir unterwegs einige Winke in dieser Beziehung; und das war in der Tat so ziemlich das einzige, worüber er mit mir sprach. Der Befehl, mich von jeder Berührung mit Menschen fernzuhalten, schien auch seine eigenen Lippen verschlossen zu haben. Schade, denn sein Dialekt interessierte mich.
Nahe am Nordrand der Masturah trafen wir auf den Brunnen. Neben ihm standen verfallene Steinmauern, wahrscheinlich einst eine Hütte, und gegenüber einige Schutzdächer aus Zweigen und Palmblättern, unter denen ein paar Beduinen hockten, wir grüßten sie nicht, sondern Tafas bog hinter die Mauerruinen, und wir stiegen ab. Dort blieb ich im Schatten sitzen, während Tafas und sein Sohn Abdulla die Kamele tränkten und für sich wie für mich einen Trunk Wasser schöpften. Der Brunnen war alt und geräumig, mit einer gut erhaltenen steinernen Einfassung und einer starken Mauerkappe über der Öffnung. Er war ungefähr zwanzig Fuß tief, und zur Bequemlichkeit für Reisende, die, wie wir, keine Seile bei sich hatten, war in dem Mauerwerk ein Schacht ausgespart mit Stützen für Hand und Fuß, so daß jedermann hinabsteigen und seinen Ziegenschlauch füllen konnte.
Unnütze Hände hatten Steine in den Brunnen geworfen, so daß der Grund zum Teil verstopft war und wenig Wasser gab. Abdulla band seine flatternden Ärmel über der Schulter zusammen, schürzte das lange Gewand unter dem Patronengürtel, und, hurtig ab und auf kletternd, brachte er jedesmal vier bis fünf Gallonen 1 Gallone = 4,54 Liter (A. d. Ü.). herauf, die er für die Kamele in einen Steintrog neben dem Brunnen goß. Jedes von ihnen soff etwa fünf Gallonen, denn sie waren zuletzt am Tage vorher in Rabegh getränkt worden. Dann ließen wir sie etwas umherschweifen, während wir friedlich beieinandersaßen und die leichte Brise vom See atmeten. Abdulla rauchte eine Zigarette zur Belohnung für seine Mühen.
Einige Harb kamen heran mit einer großen Herde Kamelfohlen und begannen sie zu tränken. Ein Mann stieg in den Brunnen hinab, um den schweren Ledereimer zu füllen, den dann die anderen Hand vor Hand mit lautem Stakkato-Gesang heraufzogen.
Während wir ihnen zusahen, näherten sich von Norden her zwei Reiter auf rasch und leicht trabenden Vollblutkamelen. Beide waren junge Männer. Der eine trug kostbare Kaschmir-Gewänder und ein reich mit Seide gesticktes Kopftuch; der andere war in einfachen weißen Baumwollstoff gekleidet, mit einem Kopftuch aus rotem Kattun. Sie machten neben dem Brunnen halt; der Reichgekleidete glitt anmutig zur Erde, ohne sein Kamel niedergehen zu lassen, warf seinem Begleiter den Halfter zu und sagte nachlässig: »Tränke sie, ich gehe derweil mich ausruhen.« Dann schlenderte er zu uns herüber und ließ sich im Schatten der Mauer nieder, nachdem er einen Blick gemachter Gleichgültigkeit auf uns geworfen hatte. Er bot mir eine frisch gedrehte und geklebte Zigarette an und sagte: »Ihr kommt aus Syrien herunter?« Ich wich höflich aus, indem ich der Vermutung Ausdruck gab, er komme von Mekka, worauf er ebensowenig direkte Antwort gab. Wir sprachen dann noch einiges über den Krieg und die Magerkeit der Kamelfohlen der Harb.
Der andere Reiter stand mittlerweile bei dem Brunnen, müßig die Halfter haltend, und schien zu warten, bis die Harb ihre Herde getränkt hätten und an ihn die Reihe käme. Sein junger Herr rief ihm zu: »Was soll das, Mustafa? Gib sofort den Tieren zu trinken!« Der Diener kam zu uns und sagte betrübt: »Sie wollen mich nicht heranlassen.« »Zum Teufel!« rief sein Herr wütend, sprang auf und schlug dem unglücklichen Mustafa mit dem Reitstock drei- oder viermal über Kopf und Schultern. »Geh und frage sie!« Mustafa machte eine beleidigte, verdutzte und zornige Miene, fast als wollte er zurückschlagen, besann sich aber eines besseren und eilte zum Brunnen.
Die betroffenen Harb machten ihm mitleidig Platz und ließen seine zwei Kamele aus ihrem Wassertrog saufen. Sie flüsterten: »Wer ist er?« und Mustafa sagte: »Der Vetter unseres Herrn von Mekka.« Sofort liefen sie hin, knüpften ein Bündel von einem ihrer Sättel los und streuten daraus den beiden Reitkamelen Futter von grünen Blättern und Dornstrauchknospen. Diese sammeln sie, indem sie mit schweren Stöcken auf die niedrigen Büsche schlagen, bis die abgebrochenen Zweigspitzen auf das darunter ausgebreitete Tuch herniederregnen.
Der junge Scherif sah ihnen befriedigt zu. Als sein Kamel gefressen hatte, kletterte er leicht und ohne jede Anstrengung über den Hals in den Sattel, setzte sich lässig zurecht und nahm salbungsvoll Abschied von uns, indem er des Himmels reiche Gnade auf die Araber herabrief. Sie wünschten ihm gute Reise, und er ritt nach Süden zu davon, während wir, nachdem Abdulla unsere Kamele herbeigebracht hatte, uns nach Norden wandten. Zehn Minuten später hörte ich den alten Tafas kichern und sah vergnügte Fältchen zwischen seinem grauen Schnurrund Vollbart.
»Was hast du, Tafas?« fragte ich.
»Herr, du sahst jene beiden Reiter am Brunnen?«
»Den Scherif und seinen Diener?«
»Ja; aber es war der Scherif Ali ibn el Hussein von Modhig und sein Vetter, Scherif Mohsin, die Oberherren der Harith, die Todfeinde der Masruh. Sie fürchteten, angehalten oder vom Wasser vertrieben zu werden, wenn die Araber sie erkannten. So gaben sie sich als Herr und Diener aus, von Mekka kommend. Habt ihr den Zorn Mohsins gesehen, als Ali ihn schlug? Ali ist ein Teufel. Mit elf Jahren floh er aus seines Vaters Haus zu seinem Onkel, dessen Gewerbe das Berauben von Pilgern war, und lebte bei ihm viele Monate, bis sein Vater ihn wieder einfing. Vom ersten Tage der Schlacht bei Medina war er bei unserm Herrn Faisal und führte die Ateiba an in den Ebenen rund um Aar und Bir Derwisch. Hier waren die Kamelgefechte, und Ali wollte keinen Mann bei sich haben, der es ihm nicht gleichtun konnte: neben dem Kamel herlaufen und sich mit einer Hand in den Sattel schwingen, während die andere die schußbereite Büchse hielt. Die Kinder der Harith sind Kinder der Schlacht.« Zum erstenmal floß der Mund des alten Mannes über von Worten.
Während er sprach, durcheilten wir die blendende, fast baumlose Ebene, deren Boden nach und nach weicher wurde. Anfangs war es graues Geröll gewesen, dicht gelagert wie Kies. Allmählich nahm der Sand mehr und mehr zu, und die Steine wurden seltener, so daß man sie schließlich einzeln nach Farbe und Art unterscheiden konnte: Porphyr, Basalt, grüner Schiefer. Zuletzt war es nahezu reiner weißer Sand, mit einer härteren Gesteinsschicht darunter, über den man wie über weichen Teppich ritt. Die einzelnen Sandkörnchen waren blank geschliffen und fingen wie kleine Diamanten die Sonnenstrahlen in so blendenden Reflexen auf, daß ich's nach einer Weile nicht mehr aushalten konnte. Ich kniff die Augen zusammen und zog mir das Kopftuch wie ein Visier bis tief über die Nase, um mich so vor der Hitze zu schützen, die mir in glasigen Wellen vom Boden herauf ins Gesicht schlug. Etwa achtzig Meilen vor uns tauchte hinter Janbo der massige Gipfel des Rudhwa auf und schwand wieder in dem flimmernden Dunst, der seinen Fuß verhüllte. Ganz nahe in der Ebene schienen kleine formlose Hügel den Weg zu sperren. Zu unserer Rechten zog sich der steile Rücken des Beni Ayub dahin, scharf und kantig wie eine Säge, nordwärts sich abdachend zu einer blauen, sanften Hügelkette. Hinter dieser aber stiegen mächtige Gebirgszüge, jetzt von der Abendsonne rot beleuchtet, gleich einer hochgestuften Treppe mählich hinan zum ragenden Hauptmassiv des Djebel Subh mit seinen phantastischen Granitkegeln. Ein wenig später bogen wir von der Pilgerstraße rechts ab und ritten von nun ab quer über einen sanft ansteigenden Basaltrücken, so von Sand überdeckt, daß nur die obersten Grate daraus hervorragten.
Gegen Sonnenuntergang sichteten wir den Weiler Dir el Scheikh. Bei Dunkelwerden, als eben die Feuer der Abendmahlzeit angezündet wurden, ritten wir durch seine breite Straße ein und machten halt. Tafas trat in eine der zwanzig elenden Hütten, und unter Geflüster, unterbrochen von langen Pausen des Schweigens, erhandelte er Mehl, woraus er mit Wasser einen Teigkuchen knetete, zwei Zoll dick und acht Zoll im Durchmesser. Diesen vergrub er in die Asche eines Reisigfeuers, das ihm eine Frau der Subh, die ihn zu kennen schien, angefacht hatte. Als der Kuchen durchwärmt war, zog er ihn vom Feuer fort und klopfte die Asche ab, worauf wir ihn untereinander teilten. Abdulla ging dann sich Tabak kaufen, wir mußten heute nacht noch eine zweite Station erreichen, und für morgen stand bis zum Lager Faisals noch eine lange Tagereise bevor.
So war mir das Abkochen und Einkaufen sehr willkommen, womit eine Stunde verging; wir kamen überein, noch eine weitere Stunde zu rasten, und als diese zu Ende war, stieg ich ungern wieder in den Sattel. Wir ritten in pechschwarzer Finsternis immer talauf und talab, abwechselnd durch heiße oder kühlere Luftschichten, je nachdem wir offenes Feld oder geschützte Senkungen passierten. Nach der Lautlosigkeit unseres Rittes zu urteilen, die dem gespannt lauschenden Ohr förmlich weh tat, muß der Boden sandig gewesen sein und weich wie ein Teppich, denn ich schlief ständig im Sattel ein, um alle paar Sekunden aus dem Halbschlaf wieder aufzuschrecken, wenn ich, durch einen unregelmäßigen Schritt des Tieres aus dem Gleichgewicht gekommen, instinktiv nach dem Sattelknopf griff. Bei der Dunkelheit und der Einförmigkeit des Geländes war es mir unmöglich, die schweren Lider über den stierenden Augen offenzuhalten. Lange nach Mitternacht machten wir endlich Rast; und ich war, in den Mantel gehüllt, in einer höchst komfortablen kleinen Sandkuhle eingeschlafen, ehe noch Abdulla mein Kamel niedergehalftert hatte.
Drei Stunden später waren wir wieder im Sattel, und jetzt beleuchtete der späte Mond unseren weg. Wir ritten den Wadi Mared hinab – sein ausgetrocknetes Bett tot, heiß, schweigend; rechts und links scharfzackige Höhen, schwarzweiß ragend in der ermatteten Luft, viele Bäume. Endlich graute der Tag, als wir just aus der Enge herauskamen in eine weite Ebene, über deren Fläche ein unruhiger Wind launische Staubwirbel drehte. Es wurde immer heller, und nun zeigte sich, hart rechts von uns, Bir ibn Hassani. Die saubere Ansiedlung von rührend unwahrscheinlichen Häuserchen, braun und weiß, wie schutzsuchend aneinandergedrängt, nahm sich puppenhaft aus und erschien noch verlassener als die Wüste selbst unter dem riesigen Schatten der finster dahinter aufragenden Wand des Subh. Während wir hinschauten, in der Hoffnung, Leben vor den Türen zu entdecken, brach die Sonne herauf; und die zackige Klippenwand, Tausende von Fuß über unseren Köpfen, setzte sich plötzlich in hart zurückgeworfenem Glanze weißen Lichts gegen den in schwindender Dämmerung noch matten Himmel ab.
Nach einem Ritt von sieben Meilen gelangten wir auf eine niedrige Wasserscheide, gekrönt von einer Mauer aus behauenen Granitsteinen, jetzt nur noch lose Trümmerhaufen, aber einst ohne Zweifel ein Grenzwall.
Wir wandten uns nach rechts, überquerten einen zweiten Sattel und stiegen einige Meilen bergab bis zu einem hohen Felsvorsprung. Als wir um ihn herumbogen, befanden wir uns plötzlich im Tal Wadi Safra, dem Ziel unserer Reise, und mitten in Wasta, seinem größten Dorf. Wasta bestand aus lauter einzelnen kleinen Weilern, die teils auf Sandbänken an den Steilhängen zu beiden Seiten des Flußbettes lagen, teils auf Geröllinseln zwischen den zahlreichen, tiefausgewaschenen Kanälen, die in ihrer Gesamtheit die Talsohle bildeten.
Unser Weg führte uns an dem Hauptbett der Winterfluten hin, das mit weißem Geröll und Blöcken erfüllt und ganz flach war. In seiner Mitte, zwischen zwei Palmenhainen am oberen und unteren Ende, floß eine Strecke klaren Wassers, etwa zweihundert Yard 1 Yard = 91,4 cm (A. d. Ü.)., und zwölf Fuß 1 Fuß = 304,79 mm (A. d. Ü.). breit, mit sandigem Grund und auf beiden Seiten gesäumt mit einem zehn Fuß breiten Streifen von fettem Gras und Blumen. Hier hielten wir einen Augenblick an, um unsere Kamele von dem frischen Wasser saufen zu lassen. Der Anblick des Rasens nach dem tagelangen harten Kieselglanz war eine so plötzliche Entspannung für unsere Augen, daß ich unwillkürlich aufblickte, um zu sehen, ob nicht eine Wolke die Sonne verdunkelt hätte.
Wir folgten diesem Wasserlauf aufwärts bis zu dem Palmenhain, von dem er, in einer steingefaßten Rinne sprudelnd, seinen Ausgang nahm, und ritten im Schatten der Palmen an der verwitterten Gartenmauer hin bis wieder zu einem der abgesonderten Weiler. Tafas lenkte in die schmale Straße ein (die Häuser waren so niedrig, daß man vom Sattel aus auf ihre Lehmdächer herabsehen konnte), hielt vor einem der größeren Häuser an und klopfte an das Hoftor. Ein Diener öffnete uns, und wir stiegen im Innern ab. Tafas halfterte die Kamele nieder, lockerte die Sattelgurte und warf ihnen von einem Haufen, der neben dem Tor lag, würzig duftendes Grünfutter vor. Dann führte er mich in das Gastzimmer des Hauses, einen dämmerigen, sauberen, kleinen Raum aus Lehmziegeln, gedeckt mit halbgeteilten Palmstämmen und festgestampfter Erde darüber. Wir ließen uns auf den Palmblattmatten nieder, die den erhöhten Sitz rings um den Raum bedeckten. Der Tag in dem stickigen Tal war glühend heiß gewesen: einer nach dem anderen sanken wir, Seite an Seite, zurück; und das Summen der Bienen in den Gärten draußen und der Fliegen drinnen, die unsere verhüllten Gesichter umkreisten, lullte uns in Schlaf.
Als wir aufwachten, stand ein Mahl aus Brot und Datteln für uns bereit. Die Datteln waren so frisch, so saftig und süß, wie ich sie nie vorher gegessen hatte. Darauf stiegen wir wieder in den Sattel und ritten das klare, gemächliche Rinnsal aufwärts, bis es sich zwischen dem Palmenhain mit seinen niedrigen Grenzmauern aus sonnengetrocknetem Lehm verlor.
Etwas oberhalb Wafta erweiterte sich das Tal auf etwa vierhundert Yard Breite, und der sandige Kies des Flußbettes war durch die Winterregen zu einer weichen, glatten Fläche geebnet. Die Talwände bestanden aus nackten, roten oder schwarzen Steilfelsen, deren Ecken und Grate scharf wie Messerklingen waren, und die das Sonnenlicht wie gleißendes Metall zurückwarfen. Als eine wahre Wohltat erschien uns dagegen das frische Grün von Laub und Gras, wir begegneten bereits einzelnen Abteilungen von Truppen Faisals mit Herden werdender Reitkamele, und nach Hamra zu war jedes Felsenloch und jede Baumgruppe ein Biwak. Die Soldaten riefen Tafas fröhliche Grüße zu, und dieser, wieder zum Leben erwacht, winkte und rief zurück, während er eilig vorwärts drängte, um bald seiner Pflicht gegen mich entbunden zu sein.
Hamra tauchte zu unserer Linken auf, ein Dorf mit etwa hundert Häusern, wie es schien, verborgen zwischen Gärten und breiten Erdwällen von etlichen zwanzig Fuß Höhe, wir durchwateten einen kleinen Fluß, stiegen zwischen Gärten einen gemauerten Pfad bis zu einem der Erdwälle hinan, und nahe dem Hoftor eines breiten niedrigen Hauses ließen wir unsere Kamele niedergehen. Tafas sprach ein paar Worte mit einem Posten, der vor dem Tor stand, einen Säbel mit silberbeschlagenem Griff in der Hand. Er führte mich in einen Innenhof; an seiner gegenüberliegenden Seite, umrahmt von den Pfeilern eines schwarzen Torwegs, stand eine weiße Gestalt, die mich gespannt erwartete. Ich fühlte auf den ersten Blick, dies war der Mann, den zu suchen ich nach Arabien gekommen war – der Mann, der die Erhebung Arabiens zu glorreichem Ende führen würde. Faisal machte einen sehr großen, säulenhaft schlanken Eindruck in seinen langen, weißseidenen Gewändern und dem braunen Kopftuch, das von einer scharlachroten, golddurchwirkten Schnur gehalten war. Seine Lider waren gesenkt, und das bleiche Gesicht mit dem schwarzen Bart wirkte wie eine Maske gegenüber der seltsamen, regungslosen Wachheit seines Körpers. Die Hände hielt er vor sich über seinem Dolch gekreuzt.
Ich grüßte ihn. Er ging vor mir her in das Zimmer und setzte sich auf seinen Teppich nahe der Tür. Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen sie in dem kleinen Raum eine ganze Anzahl schweigender Gestalten sitzen, die unverwandt auf mich oder Faisal starrten. Dieser hielt den Blick immer noch auf seine Hände gesenkt, die sich langsam um den Dolch wanden. Schließlich fragte er leise, wie ich die Reise gefunden hätte. Ich sprach von der Hitze, und er fragte, wie lange ich von Rabegh gebraucht hätte, worauf er erklärte, daß ich für die Jahreszeit schnell geritten wäre.
»Und wie gefällt dir unsere Stellung hier im Wadi Safra?«
»Gut; aber sie ist weit von Damaskus.«
Das Wort war wie ein Schwert unter sie gefahren. Ein Beben durchlief alle. Dann erstarrten sie zu Regungslosigkeit, und eine Minute lang hörte man nicht den leisesten Atemzug. Einige träumten vielleicht von fernem Erfolg; andere mochten darin eine Anspielung auf ihre jüngste Niederlage sehen. Endlich hob Faisal die Augen, lächelte mir zu und sagte: »Türken gibt es, gelobt sei Gott, näher bei uns.« Wir lächelten alle mit ihm, und ich erhob mich, um mich für den Augenblick zu verabschieden.
*
Auf einem Wiesenhang, unter dem fächerigen Blätterdach hoher Palmen, fand ich das wohlgeordnete Lager des ägyptischen Detachements, das Sir Reginald Wingate kürzlich vom Sudan zur Unterstützung des arabischen Aufstandes heraufgesandt hatte. Die Abteilung bestand aus einer Gebirgsgeschützbatterie nebst einigen Maschinengewehren. Ihr Kommandant, der ägyptische Major Nafi Bey, war ein liebenswürdiger Mann und zeigte sich mir gegenüber sehr freundlich und gastfrei.
Bald wurde Faisal gemeldet. Er erschien in Begleitung des Maulud el Mukhlus, eines fanatischen Arabers aus Tekrit, der als türkischer Offizier wegen überschäumendem Nationalismus degradiert worden war und zwei Jahre im Exil im Nedjd verbracht hatte als Sekretär Ibn Raschids. Vor Schaiba hatte er die türkische Kavallerie befehligt und war von uns aufgehoben worden. Sobald er von der Erhebung des Scherifs hörte, meldete er sich freiwillig und wurde als der erste aktive Offizier zu Faisal geschickt, dessen Adjutant er jetzt war.
Er beklagte sich bitterlich über die Ausrüstung der Truppen, die in jeder Beziehung zu wünschen übriglasse. Das wäre auch der Hauptgrund ihres Versagens. Sie bekämen vom Scherif monatlich dreißigtausend Pfund, aber nur geringe Mengen Mehl, Reis und Gerste, wenig Gewehre, ungenügende Munition, keine Gebirgsgeschütze, keine Maschinengewehre, kein technisches Material, keine Nachrichten.
Hier unterbrach ich Maulud und erklärte, daß ich eigens zu dem Zweck gekommen wäre, um ihren Bedarf festzustellen und darüber zu berichten; aber daß eine wirksame Zusammenarbeit nur dann möglich wäre, wenn ich über die allgemeine Lage eingehend unterrichtet würde. Faisal stimmte dem zu und begann, mir in kurzer Übersicht den bisherigen Verlauf des Aufstandes von seinen Anfängen an zu schildern.
Der erste Ansturm gegen Medina war eine verzweifelte Sache gewesen. Die Araber waren schlecht bewaffnet und knapp an Munition, die Türken dagegen in bedeutender Stärke. Im kritischen Augenblick fielen die Beni Ali ab, und die Araber wurden aus den Verschanzungen herausgeworfen. Dann eröffneten die Türken Artilleriefeuer auf die Weichenden, und die Araber, ungewohnt dieser ihnen neuen Waffe, wurden von Panik erfaßt. Die Ageyl und die Ateiba brachten sich in Sicherheit und weigerten sich, wieder vorzugehen.
Abteilungen des Stammes der Beni Ali machten sich an den türkischen Befehlshaber heran mit dem Anerbieten, sich zu ergeben, falls ihre Dörfer verschont blieben. Fakhri hielt sie geschickt hin, und in der darauffolgenden Pause der Feindseligkeiten umstellte er mit seinen Truppen die Vorstadt Awali. Dann gab er plötzlich Befehl, die Vorstadt im Sturm zu nehmen und alles Lebendige darin niederzumachen. Hunderte von Einwohnern wurden hingemetzelt, die Frauen vergewaltigt, die Häuser in Brand gesteckt und alles Lebendige oder Tote in die Flammen geworfen. Fakhri und seine Leute waren gut aufeinander eingespielt; sie hatten sich in der Kunst des Mordens auf jederlei Methode an den Armeniern im Norden geübt.
Diese bittere Vorprobe türkischer Kampfmethoden ließ ganz Arabien wie unter einem Schlag erbeben. In der Kriegführung der Araber nämlich galt als erste Regel die Unantastbarkeit der Frauen; als zweite, daß Leben und Ehre der noch nicht kampffähigen Jugend zu schonen war; als dritte, daß alles nicht fortzuschaffende Eigentum unbeschädigt blieb. Faisal und die Araber begriffen, daß sie vor einer gänzlich ungewohnten Art der Kriegführung standen; sie lösten sich vom Feinde ab, um zur Neuordnung Zeit zu gewinnen. Von nun an konnte von Unterwerfung keine Rede mehr sein; das Blutbad von Awali hat Blutrache heraufbeschworen und ihnen die Pflicht auferlegt, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Doch war es nun klar, daß dieser Krieg von langer Dauer sein würde, und daß sie wenig Aussicht hätten, ihn mit Vorderladern an Stelle moderner Waffen zu gewinnen.
So zogen sie sich aus der Ebene um Medina in die Berge zurück, wo sie vorläufig blieben; während Ali und Faisal Boten auf Boten nach Rabegh, ihrem Hafenstützpunkt, sandten, um festzustellen, wann mit dem Nachschub von Vorräten, Geld und Waffen zu rechnen wäre. Der Aufstand war sozusagen ins Blaue hinein begonnen worden, auf ausdrücklichen Befehl ihres Vaters; und der alte Mann, zu selbstherrlich, um seine Söhne ganz ins Vertrauen zu ziehen, hatte mit ihnen keinerlei Pläne zur weiteren Durchführung des Unternehmens vereinbart. Als Antwort auf ihre dringenden Anforderungen erhielten sie eine geringe Menge Lebensmittel. Später wurden ihnen japanische Gewehre geschickt, die meisten davon unbrauchbar. Und selbst die wenigen, die noch intakte Läufe hatten, waren so mürbe, daß sie bei der ersten Gelegenheit den lebhaften Arabern unter den Händen zerbrachen. Geld erhielten sie überhaupt nicht. Als Ersatz dafür füllte Faisal eine Kiste mit mäßig großen Steinen, verschloß und verschnürte sie sorgfältig, ließ sie auf den täglichen Märschen von seinen eigenen Dienern bewachen und jeden Abend unter allerlei Vorsichtsmaßregeln in sein Zelt stellen. Mit solchen kleinen Täuschungsmitteln suchte er seine abbröckelnden Streitkräfte zusammenzuhalten.
Schließlich machte sich Ali selbst nach Rabegh auf, um nachzuforschen, wo es an der Organisation nicht klappte. Er stellte fest, daß Hussein Mabeirig, der dortige Stammeshäuptling, zu der Überzeugung gelangt war, der Sieg würde den Türken zufallen (er hatte sich zweimal mit ihnen eingelassen, war aber sehr übel weggekommen), und demgemäß entschieden hatte, sich ihrer Sache als der besseren anzuschließen. Als nun von den Engländern Waffen und Vorräte gelandet wurden, nahm er diese an sich und speicherte sie heimlich in seinen Häusern auf. Ali ergriff sofort energische Maßregeln und sandte dringende Botschaft an seinen Halbbruder Zeid in Djidda, unverzüglich mit Hilfskräften zu ihm zu stoßen. Hussein bekam es mit der Angst und entfloh als ein Geächteter in die Berge. Die beiden Scherifs nahmen von seinen Dörfern Besitz und fanden darin große Vorräte an Waffen, sowie Lebensmittel genug, um die Truppen einen Monat lang zu ernähren. Doch war für sie beide die Versuchung, in Bequemlichkeit und Ruhe zu leben, zu groß: sie blieben von da ab in Rabegh.
Faisal, allein gelassen in den Bergen, geriet sehr bald in bedrängte Lage; die rückwärtigen Verbindungen brachen ab, und er sah sich auf die kärglichen Vorräte im Lande angewiesen. Eine Weile hielt er durch, benutzte dann aber einen Besuch des Obersten Wilson in dem soeben eroberten Janbo, um zu ihm zu eilen und ihm eine genaue Darstellung seiner Lage zu geben. Auf Wilson machte die Persönlichkeit Faisals starken Eindruck, und er versprach ihm sofort eine Batterie Gebirgsgeschütze und einige Maschinengewehre und zu ihrer Bedienung Offiziere und Mannschaften aus den ägyptischen Besatzungstruppen im Sudan. So erklärte sich die Anwesenheit Nafi Beys und seiner Abteilung.
Die Araber begrüßten die Verstärkung mit großer Freude und glaubten sich nunmehr den Türken gewachsen. Aber die vier Geschütze waren zwanzig Jahre alte Krupp-Kanonen mit einer Schußweite von nur dreitausend Yard, und die Mannschaft war für einen irregulären Krieg nicht geistig beweglich und geschult genug. Dennoch gingen Faisals Haufen vor, und es gelang ihnen, die türkischen Außenposten zu überrennen, und in deren vorderste Stützpunkte einzudringen, bis dann der rasch herbeigeeilte Fakhri die Front besichtigte und die bedrohte Stellung bei Bir Abbas um etwa dreitausend Mann verstärkte. Die Türken führten Feldgeschütze und Haubitzen und genossen den Vorteil überhöhter Beobachtungsstellung. So begannen sie, die Araber mit indirektem Feuer zu belegen, und eine Granate schlug dicht neben Faisals Zelt ein, wo die Stammeshäupter eben zur Beratung versammelt waren. Die ägyptischen Kanoniere wurden aufgefordert, das Feuer zu erwidern und die feindliche Artillerie in Schach zu halten. Sie mußten eingestehen, daß ihre Geschütze nutzlos seien, denn sie reichten nicht auf die erforderlichen neuntausend Yard. Man lachte sie aus, und die Araber eilten wieder in die Berge zurück.
Faisal war tief entmutigt. Er hatte starke Verluste gehabt, und der Rest seiner Leute war erschöpft. Seine einzig wirksame Taktik gegen den Feind hatte in überraschenden Reiterüberfällen gegen dessen rückwärtige Verbindung bestanden; aber bei diesen gewagten Vorstößen waren viele Kamele getötet, verwundet oder unbrauchbar geworden. Es wurmte ihn, die ganze Last des Krieges allein auf seinen Schultern tragen zu sollen, während Abdulla in Mekka, Ali und Zeid in Rabegh saßen. Schließlich zog er die Hauptmasse seiner Streitkräfte zurück und überließ es den Unterstämmen der Harb, die türkischen Verbindungen und Nachschubkolonnen durch fortgesetzte Überfälle unter ständigem Druck zu halten, in der gleichen Art, die für ihn selbst auf die Dauer nicht durchführbar gewesen war.
Dennoch hegte er keinerlei Besorgnis vor einem etwaigen erneuten Vorstoß der Türken. Seine Fehlschläge und ihre offenbare Überlegenheit hatten ihm keinerlei Respekt vor ihnen eingeflößt. Sein jüngster Rückzug auf Hamra war freiwillig gewesen: mehr eine Geste des Überdrusses und des Mißmuts über seine unverkennbare Ohnmacht; und er war gewillt, für einige Zeit den Zwang der Muße mit Würde zu tragen.
Ich fragte Faisal nach seinen ferneren Absichten. Er erklärte, solange Medina nicht fiele, wären sie unweigerlich im Hedjas gebunden und genötigt, nach Fakhris Pfeife zu tanzen. Seiner Meinung nach hatten es die Türken auf die Wiedereroberung von Mekka abgesehen. Sie hätten ihre Hauptkräfte jetzt in einer beweglichen Kolonne vereinigt, mit der sie auf den verschiedensten Wegen überraschend nach Rabegh marschieren könnten, wodurch die Araber ständig in Atem gehalten würden. Die Verteidigung der Subh-Berge hätte bewiesen, daß die Araber zum rein passiven Widerstand wenig geeignet wären. Trete der Feind den Vormarsch an, so müsse ihm offensiv begegnet werden.
Maulud, der während unseres langatmigen Gesprächs sichtliche Unruhe verraten hatte, konnte nicht länger an sich halten und rief: »Wozu erzählst du immer nur Geschichten? Was allein not tut, ist kämpfen und wieder kämpfen und alle Türken vernichten. Gib mir ein paar Maschinengewehre und eine Batterie Schneider-Gebirgsgeschütze, und ich werd's für dich erledigen, wir reden und reden und kommen zu nichts.« Ich widersprach ihm ebenso lebhaft, und Maulud, ein Kämpfer, für den eine gewonnene Schlacht wertlos war, wenn er nicht eine Wunde als Beweis seiner Tapferkeit aufweisen konnte, legte sich energisch ins Zeug, während wir miteinander stritten, saß Faisal dabei und lächelte vergnügt.
Diese Unterredung mit mir war für ihn ein Festtag. Mein Kommen allein schon hatte seine Zuversicht belebt, denn er war ein Stimmungsmensch, pendelnd zwischen Hoffnungsseligkeit und Verzweiflung, und gerade jetzt tief entmutigt. Er sah um Jahre älter aus als einunddreißig, seine dunklen, sprechenden Augen, die leicht schräg saßen, waren blutunterlaufen und seine Wangen hohl und zerfurcht von Sorgen und Grübeln. Das Denken widerstrebte seiner Natur, denn es lähmte ihm die beflügelte Tat; sein Gesicht bekam etwas mühsam Schmerzvolles, wenn er zu überlegen gezwungen war. Seiner äußeren Erscheinung nach war er groß, geschmeidig und kraftvoll, in Gang und Haltung von einer wahrhaft königlichen Würde. Das war ihm natürlich bewußt, und bei öffentlichem Auftreten äußerte er sich am liebsten nur durch Zeichen und Gebärde.
Seine ganze Art wie seine Bewegungen hatten etwas Ungestümes; er war heißblütig, empfindlich bis zur Unvernunft und unberechenbar im Zorn. Heftiger Wille und Kühnheit paarten sich in ihm mit physischer Schwäche. Sein persönlicher Zauber, seine Verwegenheit und das Rührende, das gerade darin lag, daß ein so zarter Körper der einzige Träger dieses stolzen Charakters war, machten ihn zum Idol seiner Anhänger. Ob er zuverlässig war, blieb dahingestellt; aber es zeigte sich später, daß er Vertrauen mit Vertrauen, Mißtrauen mit Mißtrauen vergelten konnte. Seine Klugheit überwog bei weitem sein Gemüt.
Seine Erziehung in der Umgebung Abdul Hamids halte ihn zum unübertrefflichen Meister der Diplomatie gemacht. Durch seine Dienstzeit bei den Türken hatte er praktische militärische Kenntnisse erworben, und sein Aufenthalt in Konstantinopel wie im türkischen Parlament hatte ihn mit europäischen Gewohnheiten und Fragen vertraut gemacht. Auch war er ein vorzüglicher Menschenkenner. Hatte er Ausdauer genug, seine Träume zu verwirklichen, so mußte er Großes erreichen; denn er war ganz erfüllt von seinem Werk und lebte für nichts anderes. Die Gefahr war nur, daß er sich zeitig abnutzen würde in dem Bestreben, das Unmögliche möglich zu machen, und daß er an einer Überspannung der Kräfte zugrunde gehen würde. Nach einem schweren Gefecht, so erzählte man mir, in dem er stundenlang auf dem Posten sein und die Angriffe persönlich leiten und vorwärtstragen mußte, war er körperlich zusammengebrochen, und man hatte ihn nach gewonnenem Sieg bewußtlos und mit Schaum vor den Lippen forttragen müssen.
Uns indessen schien hier, wenn wir nur entschlossen zugriffen, der Prophet gegeben, der, obgleich unwissentlich, der Idee, die hinter dem äußeren Geschehen der arabischen Erhebung stand, die zwingende Form geben würde. Das war viel, mehr als wir hoffen konnten, mehr als unsere zögernde Haltung verdiente. Damit hatte sich der Zweck meiner Reise erfüllt.
Mir lag jetzt ob, die Nachricht auf dem kürzesten Wege nach Ägypten zu bringen. Und was ich in dem Palmenhain an diesem Abend erfuhr, das wuchs in meiner Phantasie und breitete sich aus in tausend Ästen und Zweigen, fruchtbeladen und schattenspendend gleich jenen, unter denen ich halb zuhörend, halb träumend saß, während die Dämmerung wuchs und die Nacht. Dann kam eine Reihe Sklaven mit Lichtern den geschlängelten Pfad zwischen den Palmen herab, und wir gingen durch die Gärten zurück zu Faisals niedrigem Haus, dessen Hof wartendes Volk erfüllte, während im heißen Raum drinnen die Vertrauten versammelt waren. Hier hockten wir uns miteinander zum Abendessen vor die dampfende Schüssel mit Reis und Fleisch, die Sklaven auf den Fußteppich gesetzt hatten.
Am nächsten Morgen war ich früh auf und ritt allein nach Kheif zu Faisals Truppen hinaus, um ihrer Stimmung gleich selber den Puls zu fühlen. Eile tat not, denn ich mußte in zehn Tagen Eindrücke sammeln, für die ich eigentlich viele Wochen der Beobachtung gebraucht hätte.
Und hier bedurfte es eines sehr wachen Berichterstatters. In diesem Gelegenheitskrieg wurde das geringste Versagen höheren Orts mit Genugtuung aufgenommen, gewissermaßen als Bestätigung der vorgefaßten Meinung des Generalstabes, der sich McMahon starrsinnig anpaßte. Ich aber glaubte an die arabische Bewegung und war, schon bevor ich hierherkam, der Überzeugung, daß sie den wirksamen Hebel bilden würde zur Aufteilung des Türkischen Reiches. Doch bei den Herren in Ägypten fehlte meist das rechte Vertrauen, und man hatte ihnen eine falsche oder mangelhafte Kenntnis des arabischen Krieges beigebracht. Gab ich nun eine lebendige Schilderung vom Geiste dieser Romantiker in den Bergen rings um die Heiligen Städte, so gelang es mir vielleicht, Kairo für die weiteren notwendigen Hilfsmaßnahmen zu gewinnen.
Die Leute begrüßten mich sehr fröhlich. Unter jedem größeren Fels oder Busch räkelten sich die braunen Gestalten gleich trägen Skorpionen und genossen, vor der Hitze verkrochen, die morgendliche Kühle des beschatteten Gesteins. Meiner Khakiuniform wegen hielten sie mich für einen übergegangenen türkischen Offizier und sparten nicht mit scherzhaften, aber grauslichen Drohungen, wie sie mit mir verfahren wollten.
Sie waren voll grimmiger Begeisterung und schrien, der Krieg könne von ihnen aus noch zehn Jahre dauern. Eine so fette Zeit hatten aber auch die Bergvölker bisher noch nicht erlebt. Der Scherif ernährte, außer den Kriegern selbst, auch deren Familien und bezahlte monatlich für einen Mann zwei, für ein Kamel vier Pfund. Nur so konnte das Wunder vollbracht werden, eine aus Stämmen bestehende Truppe fünf Monate hindurch im Felde zu halten.
Entsprechend ihrer Sippenordnung war in den einzelnen Kontingenten ein beständiger Wechsel. Eine Familie besaß meist nur eine Flinte, und jeder der Söhne diente der Reihe nach einige Tage. Ein Verheirateter blieb eine Weile im Lager, eine Weile bei seinem Weib, und manchmal hatte es ein ganzer Klan satt und nahm sich Urlaub. Faisals achttausend Mann waren eine geschlossene Truppe, in zehn Kamelreiterkorps eingeteilt, das übrige Bergvölker. Diese dienten nur unter ihren eigenen Scheikhs und nahe ihrer Heimat und besorgten Verpflegung und Transporte selbst.
Die Blutfehden waren dem Namen nach aufgehoben und in dem Bereich der Scherifs tatsächlich beigelegt: Billi und Djuheina, Ateiba und Ageyl lebten und kämpften Seite an Seite in Faisals Armee. Dennoch waren die einzelnen Stämme argwöhnisch gegeneinander, und auch innerhalb des Stammes traute keiner dem Nachbarn. Wohl war jeder einzelne wahrscheinlich oder sicherlich beseelt vom Haß gegen die Türken, aber vielleicht doch nicht bis zu dem Grade, um einer bestehenden Familienfehde auch im Felde vollständig zu entsagen.
Die Bergketten waren ein Paradies für Hinterhalte. Die Täler, auf Hunderte von Meilen die einzig gangbaren Straßen, waren nicht so sehr Täler als vielmehr Schluchten und Klüfte, bisweilen zweihundert, bisweilen nur zwanzig Yard breit, mit zahllosen Windungen und Ecken, eintausend bis viertausend Fuß tief und völlig öde. Die Seitenwände bestanden aus kahlem Granit, Basalt oder Porphyr, nicht in glatten Hängen, sondern zersägt, zerspalten und aufgeschichtet zu Tausenden von zackigen Blockhaufen, hart und fast so scharf geschliffen wie Metall.
Meinen gewiß nicht sachkundigen Augen erschien es unmöglich, daß die Türken ohne Verrat von seiten der Bergstämme hier den Durchbruch wagen konnten.
Das einzig Beunruhigende war nur, daß es den Türken tatsächlich gelang, die Araber durch Artillerie in Schrecken zu setzen. Der Knall eines Kanonenschusses jagte alle bis außer Hörweite in Deckung. Sie glaubten, die Wirkungskraft dieser Waffe entspräche ihrem Lärm. Nicht, daß sie sich vor Kugeln oder auch übermäßig vor dem Sterben fürchteten, aber gerade der Tod durch Granatfeuer war ihnen unerträglich. Ich gewann den Eindruck, daß ihr moralischer Halt nur dadurch wiederhergestellt werden konnte, daß sie selber Kanonen bei sich hatten, ganz gleich, ob verwendbar oder nicht, wenn sie nur Lärm machten. Vom glanzvollen Faisal bis herab zum nacktesten Burschen in der Armee gab es nur ein Schlagwort: Artillerie, Artillerie und wieder Artillerie.
So aus der Höhe betrachtet, kam mir die Gewalt des Aufstandes recht eigentlich zum Bewußtsein. Eine dichtbevölkerte Landschaft hatte mit einem Schlage ihr Aussehen verändert; aus losen Zusammenrottungen nomadisierender Gelegenheitsdiebe war eine geschlossene Front gegen die Türkei geworden und kämpfte gegen sie, zwar nicht auf unsere Weise, aber doch mit aller Wildheit, und das trotz der religiösen Idee, die drauf und dran war, den ganzen Osten zum Heiligen Krieg gegen uns zu entflammen. Bei den Stämmen in der Kampfzone zeigte sich eine fast überreizte Begeisterung, wie sie sicherlich allen nationalen Erhebungen zu eigen ist, die aber etwas seltsam Beunruhigendes hatte für den Angehörigen eines schon so lange Zeit freien Landes, dem der Begriff nationaler Freiheit wie das Wasser geworden war, das man trinkt: man schmeckt es nicht.
Später sah ich Faisal nochmals und versprach ihm, mein Bestes für ihn zu tun. Meine Oberen in Kairo würden eine Operationsbasis in Janbo errichten und dort Vorräte und allen nötigen Nachschub für seinen ausschließlichen Gebrauch aufstapeln lassen, wir würden versuchen, aus den in Mesopotamien oder am Kanal gefangenen türkischen Offizieren Freiwillige für ihn zu gewinnen. Ferner würden wir Unteroffiziere und Mannschaften der Interniertenlager als Geschützbedienung ausbilden und sie mit Gebirgsgeschützen und Maschinengewehren ausrüsten, soviel davon in Ägypten aufzutreiben wären. Schließlich würde ich vorschlagen, aktive britische Offiziere herunterzusenden, die ihm als Ratgeber und Verbindungsoffiziere beigegeben werden sollten.
Unsere Unterhaltung, die diesmal freundschaftlichen Charakter angenommen hatte, endete in wärmstem Dank seinerseits und der Einladung, sobald als möglich wiederzukommen. Ich erklärte ihm, daß meine Pflichten in Kairo den Dienst im Felde für mich ausschlössen, daß mir aber meine Vorgesetzten einen erneuten Besuch bei ihm vielleicht später gestatten würden, wenn seine augenblicklichen Wünsche erfüllt wären und die Bewegung glücklich vorwärtsginge. Inzwischen möchte ich ihn für meine Reise nach der Küste um seine gütige Unterstützung bitten.
Faisals Fürsorge verschaffte mir eine Eskorte einheimischer Scherifs, von denen geleitet ich durch weite Meilen rauhen Berglandes, dessen Öde von schmalen Wasserrinnen wie von haarfeinen Fäden durchzogen war, nach Janbo gelangte, einer Art von dörflichem Djidda, das sich sehr gastfrei erwies. Sein Gouverneur, ein Javaner aus Mekka, beherbergte mich eine Reihe von Tagen, bis dann die »Suva«, Kapitän Boyle, den Hafen anlief und mir Mitfahrt die Küste hinunter gewährte. In der Tat »gewährte«, denn nach den tagelangen Dauerritten sah ich einigermaßen abgerissen aus und trug zudem das Kopftuch der Eingeborenen; bei der königlichen Marine aber gilt alles Eingeborene als Lumpenpack.
In Djidda lag der »Euryalus«, mit Admiral Wemyß an Bord; er wollte nach Port Sudan, um von da Sir Reginald Wingate in Khartum aufzusuchen. Sir Reginald, als Sirdar »Sirdar« ist der englische Oberbefehlshaber (A. d. Ü.). der ägyptischen Armee, führte den Befehl über die militärische Mitwirkung Englands am arabischen Aufstand; und für mich war es daher von Wichtigkeit, ihm meine Eindrücke mitzuteilen. Ich bat also den Admiral um Überfahrt und um einen Platz in seinem Zuge nach Khartum, was er mir auch bereitwillig gewährte, nachdem er mich einem längeren Kreuzverhör unterzogen hatte.
Ich fand, daß der Admiral dank seinem regen Geist und seiner klaren Einsicht dem arabischen Aufstand von Anfang an sein Interesse zugewendet hatte. Er war wieder und wieder mit seinem Flaggschiff herabgekommen, um Hilfe zu leisten, wenn die Dinge kritisch standen, und war wohl zwanzigmal von seinem Kurs abgewichen, um beim Nachschub mitzuwirken, was eigentlich Sache der Armee gewesen wäre. Er hatte in zahllosen Transporten den Arabern Gewehre, Maschinengewehre, Landungskorps und technisches Material gebracht und war allen ihren Anforderungen stets bereitwillig und in weitestem Umfange nachgekommen.
Nach dem Aufenthalt in Arabien war Khartum kühl und gab mir die nötige Frische, um Sir Reginald Wingate meinen langen Bericht vorzutragen, wobei ich mit allem Nachdruck hervorhob, daß mir die Lage sehr aussichtsreich erschiene. Die Hauptsache wäre fachkundige Beihilfe, und der Feldzug würde sich gedeihlich entwickeln, wenn einige aktive englische Offiziere, besonders befähigt und des Arabischen mächtig, den arabischen Führern als technische Ratgeber und zur Aufrechterhaltung engster Verbindung mit uns beigegeben würden.
Wingate war froh, von hoffnungsvollen Aussichten zu hören. Der arabische Aufstand war sein Traum seit Jahren. So fuhr ich nach zwei- bis dreitägigem Aufenthalt in Khartum nach Kairo, in der Gewißheit, daß die verantwortliche Persönlichkeit alle meine Vorschläge angenommen hatte. Die Fahrt den Nil hinunter war für mich eine wahre Ferienzeit.
Nach einem Aufenthalt in Kairo von nur wenigen Tagen gab mir mein Chef, General Clayton, den Auftrag, zu Faisal nach Arabien zurückzukehren.
Ich reiste also nach Janbo, jetzt der speziellen Operationsbasis von Faisals Armee. Als ich mich eben landeinwärts zu Faisal aufmachen wollte, kam die Nachricht von einer Schlappe der Türken. Eine ihrer Erkundungsabteilungen, aus Kavallerie und Kamelreitern bestehend, hatte sich zu weit in die Berge vorgewagt und war von den Arabern abgefangen und auseinandergesprengt worden. So brach ich also unter einem guten Vorzeichen auf, zusammen mit meinem Reisegespons, Scherif Abd el Kerim. Er war begleitet von zwei bis vier seiner Leute, alle gut beritten; und unsere Reise ging rasch vonstatten, denn Abd el Kerim, ein berühmter Reiter, setzte seinen Ehrgeiz darein, die Etappen in einem Drittel der üblichen Zeit zurückzulegen. Da ich nicht mein eigenes Kamel ritt und das Wetter kühl, bewölkt und regenverheißend war, hatte ich nichts dagegen.
Wir ritten drei Stunden ununterbrochen in scharfem Trab. Der hatte unsere vollen Wänste so gründlich durchgerüttelt, daß wir wieder etwas hineinstopfen konnten. Also hielten wir an und labten uns an Brot und Kaffee, während Abd el Kerim sich auf seinem Teppich in einer Art Hundekampf mit einem seiner Leute umherwälzte. Als er außer Atem war, setzte er sich auf, und nun erzählten sie sich Geschichten und trieben Possen, bis sie genügend verschnauft hatten, um aufzustehen und zu tanzen. Das geschah alles auf eine ungezwungene, gutgelaunte Art und keineswegs würdevoll.
Dann, nach erneutem Aufbruch, brachte uns eine einstündige tolle Hetzjagd an den Fuß einer mächtigen Bergkette. Um sie zu überqueren, ritten wir ein enges, gewundenes Tal hinan. Da es vor einigen Tagen Wasser geführt hatte, war der sandige Boden fest; doch der steile Anstieg zwang die schnaufenden Kamele, im Schritt zu gehen. Mir war das willkommen, aber Abd el Kerim war wütend; und als wir nach einer knappen Stunde die Höhe erreichten, riß er sein Tier wieder vorwärts, und nun ging's eine halbe Stunde in halsbrecherischer Jagd durch die Finsternis den Berg hinab (zum Glück war der mit Sand und Kieseln bedeckte Boden gut gangbar). Dann ebnete sich das Land, und wir gelangten zu den Außenplantagen von Nakhl Mubarak, den Hauptdattelkulturen der südlichen Djuheina.
Als wir näher kamen, sahen wir Flammenschein zwischen den Palmen hindurch und dann das Licht zahlloser Feuer, während das weite Tal widerhallte vom Brüllen tausender aufgeregter Kamele, von krachenden Schüssen und dem Rufen von Leuten, die in der Dunkelheit nach ihren verlorenen Kameraden suchten. Da wir in Janbo erfahren hatten, daß Nakhl geräumt war, so schien uns dieser Lärm verdächtig, wir schlichen uns also am Rand einer der Anpflanzungen entlang und durch eine enge, von mannshohen Lehmmauern umsäumte Straße bis zu einer abseitigen Häusergruppe. Beim ersten dieser Häuser zur Linken drückte Abd el Kerim das Hoftor ein, führte die Kamele in den Hof und fesselte die niedergegangenen Tiere nahe der Wand, damit sie nicht gesehen wurden. Dann lud er eine Patrone in seine Flinte, und vorsichtig auf Zehenspitzen stahl er sich die Straße hinunter, um festzustellen, was los war. Wir blieben wartend sitzen in der kühlen Nacht, während unsere vom Schweiß des scharfen Rittes durchfeuchteten Kleider allmählich trockneten.
Nach einer halben Stunde kam er zurück und berichtete, daß Faisal mit seinem Kamelreiterkorps soeben eingetroffen sei und wir zu ihm hinabkommen sollten. So führten wir die Kamele heraus, saßen auf und ritten hintereinander eine schmale, dammartige Gasse hinab, von einzelnen Häusern besetzt und rechts begrenzt von einem tiefgelegenen Palmenhain. Dem Ende zu war sie vollgepfropft von einem Gewimmel von Arabern und Kamelen, das Ganze ein wüstes, brüllendes und schreiendes Durcheinander. Wir drängten uns hindurch, stiegen einen Hang hinab und sahen uns plötzlich im Flußbett des Wadi Janbo, einem weiten offenen Tal, dessen Ausdehnung man nur aus den zahllosen Wachtfeuern erraten konnte, die in wirren Linien weithin aufleuchteten. Auch war der Boden feucht und das Geröll mit Schlamm überzogen, Rückständen einer kurzen Überschwemmung zwei Tage zuvor. Unsere Kamele bewegten sich vorsichtig und unsicher auf dem schlüpfrigen Grund.
Doch waren wir jetzt nicht in der Lage, dies oder sonst etwas zu bemerken, außer den Massen von Faisals Armee, die das Tal von Uferrand zu Uferrand erfüllten. An Hunderten von kleinen Feuern aus Dornreisig und mitten zwischen dem Durcheinander der Kamele lagerten Araber, machten sich Kaffee, aßen oder schliefen gleich Toten, in ihre Mäntel gehüllt. Eine derartig große Anhäufung von Kamelen verursachte eine unbeschreibliche Wirrnis; über das ganze weite Biwakfeld lagen sie, auf die Knie gegangen, wo sie gerade standen, oder durch Fesseln niedergehalten; immer neue strömten hinzu, und die Gefesselten, auf drei Beinen sich aufrichtend, strebten brüllend vor Hunger und Aufregung zu ihnen hin. Patrouillen zogen ab, Karawanen wurden entladen, und im Mittelpunkt der Szene jagten Dutzende von ägyptischen Mauleseln wild bockend umher.
Wir ackerten uns mühsam unsern Weg durch das Getöse hindurch, und gerade in der Mitte des Talbettes, auf einem Eiland der Ruhe, fanden wir Scherif Faisal. Wir stiegen ab und banden unsere Kamele in der Nähe fest. Faisal saß auf seinem über die nackten Steine gebreiteten Teppich, zu beiden Seiten Scherif Scharraf, Kaimakam von Imaret und Taif, und sein Adjutant Maulud, der feurige alte Patriot aus Mesopotamien. Vor ihm kniete ein Sekretär, einen Befehl niederschreibend, während hinter ihm ein zweiter laut eine Meldung vorlas beim Schein einer silbernen, von einem Sklaven gehaltenen Lampe. Die Nacht war windstill, und die offene Flamme stand kerzengerade in der schweren Luft.
Faisal, ruhig wie immer, bewillkommnete mich mit einem Lächeln, während er das Diktat beendete. Dann entschuldigte er sich wegen des formlosen Empfangs und winkte seinen Sklaven, uns allein zu lassen. Als sie sich eben samt allen Umstehenden zurückgezogen hatten, stürmte ein scheu gewordenes Kamel bockend und trompetend auf den Platz vor uns. Maulud sprang auf und ergriff das Kopfhalfter des Tieres, um es wegzuziehen; statt dessen zerrte ihn das Kamel mit fort, dabei lösten sich die Seile der Futterlast auf seinem Rücken, und eine Lawine von Heu überschüttete den schweigsamen Scherif, seine Lampe und mich. »Gott sei gelobt«, sagte Faisal würdevoll, »daß es keine Butter war oder etwa Geldsäcke.« Dann erzählte er mir, was sich Unerwartetes an der Kampffront in den letzten vierundzwanzig Stunden ereignet hatte.
Die Türken hatten die Vortruppen der arabischen Sperrstellung im Wadi Safra mittels eines Seitenpfades in den Bergen umgangen und ihnen dadurch den Rückzug abgeschnitten. Die von einer Panik ergriffenen Harb hatten sich in die Schluchten zu beiden Seiten verkrümelt und sich in Gruppen zu zweit oder zu dritt durch die Türken hindurchgeschlichen. Die türkische Reiterei strömte das nunmehr ungedeckte Tal hinab und stieß über den Dhifran-Paß gegen Bir Said vor, wo Emir Zeid, der jüngere Halbbruder Faisals, mit einer Abteilung der Harb stand. Zeid wurde von dem türkischen Angriff überrascht und geworfen. Seine Truppe zerstob in lose Haufen, die in wilder Flucht durch die Nacht auf Janbo jagten.
Damit lag für die Türken der Weg nach Janbo frei, und Faisal hatte sich, gerade eine Stunde vor unserer Ankunft, mit seinen fünftausend Mann hierher geworfen, um zunächst seine rückwärtige Verbindung zu decken, bis man geeignete Verteidigungsmaßnahmen getroffen hätte. Die Lage war ernst; jedoch Faisals Anwesenheit hier konnte möglicherweise den Feind heranlocken, und bei dem Versuch, Faisal und seine Armee abzufangen, verlor er mehrere Tage, während deren wir Zeit hatten, Janbo zu verstärken. Inzwischen tat Faisal in heiterer Ruhe sein möglichstes, und ich saß bei ihm und hörte zu, wie Meldungen kamen oder Gesuche, Klagen und Beschwerden vorgebracht wurden, die er summarisch erledigte.
Das dauerte so bis gegen halb vier Uhr morgens. Es war sehr kalt geworden, und die Feuchtigkeit des Tales drang durch den Teppich hindurch in unsere Kleider. Allmählich wurde es still im Lager, da Menschen und Tiere nach und nach ermüdet in Schlaf fielen; ein weißlicher Nebel lagerte sich weich darüber, und die Feuer wurden zu trägen Rauchsäulen.
Endlich hatte Faisal die dringendste Arbeit beendet. Wir aßen ein halb Dutzend Datteln, eine magere Stärkung, und streckten uns auf dem feuchten Teppich aus. Als ich noch fröstelnd dalag, bemerkte ich, wie sich die Biascha-Posten heranschlichen und ihre Mäntel sanft über Faisal breiteten, nachdem sie sich vergewissert hatten, daß er schlief.
Eine halbe Stunde später, in der feuchtkalten Dämmerung (zu kühl, um sich noch länger schlafend zu stellen), erhoben wir uns mit steifen Gliedern. Die Sklaven zündeten ein erwärmendes Feuer aus Palmstrünken an, während Scharraf und ich uns nach ein wenig Atzung und Brennmaterial umsahen. Von allen Seiten trafen Boten ein mit schlimmen Meldungen über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff, und im Lager drohte eine Panik. Faisal entschloß sich daher zu einem Stellungswechsel, teils, weil wir durch einen zufälligen Regenguß in den Bergen aus unserer jetzigen Stellung herausgeschwemmt werden konnten, teils, um die Gemüter seiner Leute zu beschäftigen.
Als die Trommeln zum erstenmal wirbelten, wurden die Kamele in Eile beladen. Auf ein zweites Signal stieg jeder in den Sattel und wich nach rechts oder links aus, um eine breite Gasse frei zu machen. Durch diese ritt Faisal auf seiner Stute, einen Schritt hinter ihm Scharraf, und gleich danach kam Ali aus Nedjd, der Bannerträger, eine prachtvolle Erscheinung, dessen Falkenantlitz umrahmt war von jettschwarzen, seitlich der Schläfen herabfallenden Haarflechten. Ali war prächtig gekleidet und ritt ein besonders stattliches Kamel. Dahinter folgte der ganze Schwarm von Scherifs und Scheikhs und Sklaven – und meine Wenigkeit – bunt durcheinander. Die Leibwache zählte an diesem Morgen achthundert Mann.
Die nächsten zwei Tage verbrachte ich in Faisals Gesellschaft und bekam dadurch tieferen Einblick in die Art seiner Führung, und zwar gerade während dieses interessanten Zeitabschnittes, wo infolge der ständigen Alarmmeldungen und des Abfalls der nördlichen Harb der Geist seiner Armee schwer litt. Faisal wußte den Mut seiner Leute hauptsächlich dadurch wieder zu heben, daß er jedem in seine Nähe Kommenden etwas von seiner eigenen Zuversicht einflößte. Für alle war er zugänglich, die vor seinem Zelt standen und auf Beachtung warteten; nie, daß er Bitten oder Gesuche kurz abwies, selbst dann nicht, wenn ein ganzer Schwarm von Leuten kam, um rund um uns her in der Dunkelheit ihre Klagen in vielstrophigem Gesang im Chor vorzutragen. Stets hörte er aufmerksam zu; und wenn er nicht selbst entschied, rief er Scharraf oder Faiz herbei, um die Sache für ihn zu erledigen. Diese unendliche Geduld war eine weitere Lehre für mich, was Führerschaft über Eingeborene in Arabien bedeutet.
Gleich groß war aber auch seine Selbstbeherrschung. Als Mirzuk el Tikheimi, sein Haushofmeister sozusagen, von Zeid gesandt, ankam, um von ihrer schmachvollen Schlappe Bericht zu geben, lachte ihn Faisal vor allen Leuten einfach aus und hieß ihn beiseitetreten und warten, während er die Scheikhs der Harb und der Ageyl empfing, deren Nachlässigkeit hauptsächlich das Unheil verschuldet hatte. Diese behandelte er mit feinem Spott und zog sie auf mit diesem und jenem, was sie getan, und den Verlusten, die sie erlitten oder verursacht hatten. Dann rief er Mirzuk zurück und ließ die Zeltflagge niederholen: ein Zeichen, daß jetzt Privatangelegenheiten zur Verhandlung standen. Ich dachte an die Bedeutung des Namens Faisal (das im Niedersausen blitzende Schwert) und fürchtete eine Szene. Doch er machte auf seinem Teppich Platz für Mirzuk und sagte: »Komm. Erzähle uns noch mehr von euren ›Nächten‹ und wunderbaren Heldentaten. Erheitere uns.«
Faisal hatte eine klangreiche, melodische Stimme und wußte damit geschickt auf seine Leute zu wirken. Er sprach mit ihnen im Dialekt der Stämme, aber auf eine sonderbar zögernde Art, wie wenn er, innerlich nach dem rechten Wort suchend, nach jedem Satz mühsam tasten müsse. Der Gedanke mochte bei ihm vielleicht nur um ein geringes dem Wort vorausgehen, denn der schließlich gewählte Ausdruck war stets von größter Einfachheit, was ihm etwas Aufrichtiges und zugleich Packendes gab. Fast schien es, so dünn war der Schleier der Worte, als könnte man seinen geraden und hochgemuten Sinn hindurchleuchten sehen.
Der Tageslauf unseres Lagerlebens war einfach. Unmittelbar vor Anbruch des Morgens pflegte der Armee-Imam einen aufschreckenden Gebetsruf loszulassen. Seine Stimme war rauh und so gebieterisch, daß wir uns aufgescheucht erhoben, sei es zum Beten oder Fluchen. Sobald er geendet hatte, begann der Imam Faisals vor dem Zelteingang sanft und melodisch zu rufen. Eine Minute danach kam einer von Faisals fünf Sklaven und reichte uns gesüßten Kaffee. Zucker für die erste Tasse hielt man in Rücksicht auf die Kühle des Morgens für angemessen.
Eine Stunde später wurde die Klappe zu Faisals Schlafzelt zurückgeschlagen: seine Einladung zum Eintritt für die nächste Umgebung. Meist waren vier oder fünf anwesend, und nach dem Austausch der Morgenneuigkeiten wurde eine Platte mit Frühstück hereingetragen. Der Hauptsache nach bestand es aus Datteln; aber bisweilen schickte uns Hedjris, der Leibsklave, irgendwelche seltsamen Kuchen oder Backwerk eigenster Erfindung. Nach dem Frühstück pflegten wir uns abwechselnd mit bitterem Kaffee oder süßem Tee zu erfrischen, während Faisal seine Korrespondenz erledigte und den Sekretären diktierte. Einer von diesen war Faiz, der Verwegene; ein weiterer der Imam, ein ernst aussehender Mann, berühmt in der ganzen Armee durch seinen bauschigen Regenschirm, der stets an seinem Sattelknopf hing. Gelegentlich wurde jetzt auch eine Privataudienz erteilt, doch nur selten, da das Schlafzelt des Scherifs ausschließlich seinem persönlichen Gebrauch vorbehalten blieb. Dieses, ein gewöhnliches Spitzzelt, war ausgestattet mit Zigaretten, einem Feldbett, einer leidlich guten kurdischen Wolldecke, einem schäbigen Schirazi und einem prachtvollen alten Belutsch-Gebetsteppich, auf dem er zum Beten niederkniete.
Gegen acht Uhr morgens pflegte Faisal seinen Galadolch umzugürten und nach dem Empfangszelt hinüberzugehen. Hier setzte er sich in den Hintergrund des Zeltes, dem Eingang gegenüber, während wir uns längs der Wände im Halbkreis um ihn gruppierten. Die Sklaven beschlossen den Zug und stellten sich rings um die offene Seite des Zeltes auf, um die Masse der Bittsteller zu überwachen, die im Schatten des Zelteingangs oder weiter entfernt im Sande lagen und warteten, bis die Reihe an sie kam. Wenn irgend möglich, wurde die Arbeit bis Mittag erledigt, da der Emir sich um diese Zeit zu erheben liebte.
Wir von der Umgebung sowie einige Gäste versammelten uns dann im Wohnzelt, und Hedjris und Salem trugen die Platte mit dem Mittagessen herein, das aus so vielen Gerichten bestand, als die Gelegenheit jeweils erlaubte. Faisal war ein außergewöhnlich starker Raucher, aber schwacher Esser; und er pflegte zum Schein mit den Fingern oder einem Löffel in Bohnen, Linsen, Spinat, Reis und süßen Kuchen herumzustochern, bis er glaubte, daß wir satt waren, worauf nach einem Wink seiner Hand die Platte fortgetragen wurde und andere Sklaven erschienen, um am Zelteingang Wasser über unsere Finger zu gießen. Fette Leute, wie Mohammed ibn Schefia, gerieten in drollige Nöte bei den raschen und kärglichen Mahlzeiten des Emirs, und später, wenn sie allein waren, pflegten sie das Versäumte aus ihren eigenen Vorräten nachzuholen. Nach dem Essen schwatzten wir ein wenig, schlürften zwei Tassen Kaffee und genossen zwei Gläser eines sirupartigen Tees. Danach blieb bis zwei Uhr nachmittags der Vorhang des Zeltes herabgelassen, was bedeutete, daß Faisal schlief, las oder Privatgeschäfte erledigte. Nachher saß er wieder in dem Empfangszelt, bis er alle, die etwas von ihm wollten, abgefertigt hatte. Niemals sah ich einen Araber sein Zelt unbefriedigt oder gekränkt verlassen – ein Zeugnis für seinen Takt und sein Gedächtnis; denn nie schien er zu zögern, weil ihm eine Tatsache entfallen war, oder über eine verwandtschaftliche Beziehung zu stolpern.
Wenn nach der zweiten Audienz noch Zeit war, pflegte er mit seinen Freunden spazierenzugehen. Zwischen sechs und sieben Uhr wurde das Abendessen gebracht, zu dem alle im Hauptquartier Anwesenden von den Sklaven gebeten wurden. Es entsprach ungefähr dem Mittagsmahl.
Mit dieser Mahlzeit endete der Tag, außer daß ein barfüßiger Sklave unauffällig und in verlängerten Zwischenräumen ein Brett mit Tee herumreichte. Faisal pflegte erst sehr spät zu schlafen und verriet niemals den Wunsch, unsern Besuch abzukürzen. Den Abend widmete er der Erholung und vermied vermeidbare Arbeit. Nur selten spielte er auch einmal Schach, dann aber glänzend und mit dem unbekümmerten Draufgängertum eines Fechters. Bisweilen gab er, vielleicht mir zu Ehren, etwas von seinen Erlebnissen in Syrien zum besten, hie und da auch ein Kapitel aus der türkischen Geheimgeschichte oder Familienaffären. Ich lernte viel aus seinem Munde über Personen und Parteien im Hedjas.
Eines Tages überraschte mich Faisal mit der Frage, ob ich nicht während meines Aufenthaltes im Lager arabische Kleidung tragen wollte so wie er. Ich würde es selbst angenehm finden, denn da ich wohl oder übel hier als Araber leben müßte, wäre diese Kleidung am geeignetsten. Außerdem würden dann die Stämme wissen, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten hätten. Die einzigen in Khaki Gekleideten, mit denen sie zu tun gehabt hätten, wären türkische Offiziere gewesen, gegen die sie eine instinktive Abwehrstellung eingenommen hätten. Trüge ich aber Mekka-Kleidung, so würden sie sich zu mir stellen, als wäre ich wirklich einer der Führer; und ich könnte in Faisals Zelt ein und aus gehen, ohne Aufsehen zu erregen, und ohne daß er Neuankommende jedesmal wieder darüber zu beruhigen brauchte.
Ich stimmte sofort hocherfreut zu. Auch Hedjris war entzückt und schwelgte förmlich darin, mich mit prächtigen weißseidenen und golddurchwirkten Hochzeitsgewändern auszustatten, die Faisal vor kurzem (war es ein Wink?) von seiner Großtante in Mekka erhalten hatte. In dieser mir neuen lockeren Kleidung machte ich einen Gang rings um die Palmgärten, um mich an das Gefühl zu gewöhnen.
Wie die Dinge standen, konnte die Stellung Faisals bei Nakhl Mubarak nur eine vorübergehende sein; und ich hielt es für besser, wenn ich nach Janbo ginge, um die Land- und Seeverteidigung dieses Hafens zu organisieren, da sich unsere Flotte zur jederzeitigen Mitwirkung bereit erklärt hatte. Es wurde abgemacht, daß ich mich mit Zeid in Verbindung setzen sollte, um alles Nötige mit ihm gemeinsam zu veranlassen. Faisal stellte mir für die Rückreise ein prachtvolles dunkelbraunes Kamel zur Verfügung. Wir nahmen einen anderen Weg, den Wadi Messarih durch die Agida-Berge, da die direkte Straße durch türkische Patrouillen bedroht war. Bedr ibn Schefia begleitete mich, wir legten die Strecke bequem in einem Ritt von sechs Stunden zurück und erreichten Janbo vor Morgengrauen. Ermüdet von drei anstrengenden Tagen mit wenig Schlaf und fortwährenden Alarmierungen, ging ich sofort zu dem leerstehenden Hause Garlands (er selbst wohnte an Bord eines Schiffes im Hafen) und schlief auf einer Bank ein. Bald darauf aber wurde ich wieder geweckt durch die Nachricht, daß Scherif Zeid ankomme, und ich ging hinunter, um mir den Einzug der geschlagenen Truppen anzusehen.
Es mochten an die achthundert Mann sein; sie waren still, aber sonst in keiner Weise von ihrer Schmach bedrückt. Zeid trug eine noble Gleichgültigkeit zur Schau. Als er die Stadt betrat, wandte er sich an den neben ihm reitenden Stadtgouverneur, Abd el Kadir, und rief: »Was sehe ich! Eure Stadt ist ja ganz verfallen! Ich werde bei meinem Vater telegraphisch vierzig Maurer bestellen, um die öffentlichen Gebäude auszubessern.« Das tat er denn auch wirklich. Ich hatte an Kapitän Boyle (als den ältesten der englischen Marineoffiziere im Roten Meer) telegraphiert, daß Janbo ernstlich bedroht wäre, und Boyle hatte umgehend geantwortet, seine Flotte werde binnen kurzem in Janbo sein. Diese Bereitwilligkeit war ein Trost zur rechten Zeit, denn am nächsten Tage kamen schlimme Nachrichten. Die Türken waren mit einer starken Abteilung von Bir Said gegen Nakhl Mubarak vorgestoßen und hier mit Faisals Streitkräften in dem Augenblick zusammengestoßen, als diese noch in Bewegung waren. Nach kurzem Kampf brach Faisal ab, räumte das Feld und zog sich auf Janbo zurück. Der letzte Akt unseres Krieges schien begonnen zu haben. Ich nahm meine Kamera und machte von der Brustwehr des Medina-Tors aus eine schöne Aufnahme der beiden einziehenden Brüder. Faisal hatte annähernd zweitausend Mann bei sich, aber es fehlten die Stämme der Djuheina. Das sah nach Verrat und sogar Abfall aus, eine Möglichkeit, an die weder Faisal noch ich überhaupt gedacht hatten.
Ich besuchte ihn gleich darauf in seinem Hause, und er erzählte mir, was vorgefallen war. Die Türken hatten mit drei Bataillonen, einer Abteilung auf Mauleseln berittener Infanterie und Kamelreiterei angegriffen. Mit dem ersten Vorstoß gelangten sie über den Wadi Janbo hinweg bis in die Palmenkulturen und bedrohten so die rückwärtige Verbindung der Araber nach Janbo. Gleichzeitig konnten sie Nakhl Mubarak mit ihren sieben Geschützen ungehindert unter Feuer nehmen. Faisal ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen, sondern schickte die Djuheina auf seinen linken Flügel vor, um sich den Türken in dem breiten Tal entgegenzuwerfen. Mit seinem Zentrum und rechten Flügel hielt er Nakhl Mubarak und entsandte die ägyptische Artillerie, um die Straße nach Janbo den Türken zu sperren. Dann eröffnete er mit seinen beiden Fünfzehnpfündern das Feuer.
Kasim, ein Syrier und früherer Batteriechef in der türkischen Armee, kommandierte die beiden Geschütze und erzielte mit ihnen eine großartige moralische Wirkung. Sie waren eine Gabe aus Ägypten, auf jeden Fall unbrauchbarer Plunder, aber noch gut genug, meinte man, für die wilden Araber. So hatte Kasim keine Visiere, keine Entfernungsmesser, keine Schußtabellen und kein Brisanzpulver.
Die Entfernung mochte etwa viertausend Yard betragen, aber die Zünder an den Schrapnells – Antiquitäten aus dem Burenkrieg – waren voller Grünspan, und wenn sie überhaupt krepierten, dann entweder gleich nach dem Abschuß oder erst im Aufschlag. Da er jedoch sowieso keine Möglichkeit hatte, die Munition fortzuschaffen, wenn's schief ging, ließ Kasim herausfeuern, was das Zeug hielt, und wollte sich schieflachen über diese Art, Krieg zu führen. Als die Stämme den Kommandanten so vergnügt sahen, faßten sie Mut. »Bei Allah«, rief einer, » das sind richtige Kanonen, die krachen!« Kasim schwor, daß die Türken reihenweise fielen, und auf sein Wort hin gingen die Araber beherzt zum Angriff vor.
Die Sache stand gut, und Faisal hoffte schon auf einen entscheidenden Erfolg, als plötzlich der linke Flügel im Tal stutzte, anhielt, gleich darauf kehrtmachte und sich in Unordnung zum Lagerplatz zurückzog. Faisal galoppierte zu Kasim im Zentrum und rief ihm zu, die Djuheina wären davongelaufen, und er sollte die Geschütze in Sicherheit bringen. Kasim ließ aufprotzen und trabte davon; Faisals Scharen strömten hinterdrein. Er selbst bildete mit seinem Gefolge die Nachhut, und in geordnetem Zuge rückten sie auf Janbo ab, die Djuheina unter ihrem Führer, Scherif Abd el Kerim, meinem einstigen Begleiter, samt den Türken auf dem Schlachtfeld zurücklassend.
Während wir noch über den schlimmen Ausgang sprachen und dem Verräterpaar, den beiden Brüdern Beidawi, fluchten, erhob sich Lärm draußen vor der Tür; gleich darauf drängte sich Abd el Kerim durch die Sklaven, trat zum Hochsitz, küßte zur Begrüßung die Kopfschnur Faisals und setzte sich neben uns. Faisal sah ihn mit sprachlosem Staunen an und sagte: »Wie denn?« und Abd el Kerim berichtete von ihrer Bestürzung über die plötzliche Flucht Faisals, und wie er und sein Bruder mit ihren tapferen Leuten die ganze Nacht hindurch ohne Artillerie gegen die Türken gekämpft hätten, bis die Palmenhaine nicht mehr zu halten waren und sie ebenfalls zurück mußten. Sein Bruder rücke soeben mit der Hälfte der Mannschaft in die Stadt ein. Die andern hätten sich den Wadi Janbo aufwärts verkrümelt, um Wasser zu suchen.
»Und warum habt ihr euch mitten während der Schlacht nach dem Lagerplatz hinter uns zurückgezogen?« fragte Faisal. »Nur um uns eine Tasse Kaffee zu kochen«, sagte Abd el Kerim. »Wir hatten seit Sonnenaufgang gekämpft, und es war Abend, wir waren sehr ermüdet und hatten Durst.« Faisal und ich lehnten uns zurück und lachten. Dann machten wir uns auf, um zu sehen, was zur Verteidigung der Stadt geschehen konnte.
Janbo lag auf einem abgeflachten Korallenriff etwa zwanzig Fuß über dem Meeresspiegel und war auf zwei Seiten von Wasser umgeben. Vor den beiden anderen Seiten erstreckten sich weite Sandflächen, stellenweise feucht, doch auf Meilen hin ohne jede Bodenbedeckung, und nirgendwo gab es Trinkwasser. Bei Tage war der Platz, mit Artillerie und Maschinengewehren verteidigt, allem Ermessen nach uneinnehmbar.
Auch bekamen wir die nötige artilleristische Verstärkung von See; denn Kapitän Boyle, wie immer mehr haltend als er versprochen, hatte in weniger als vierundzwanzig Stunden fünf Schiffe in Janbo konzentriert. Den Monitor M 31, seines geringen Tiefganges wegen dazu geeignet, legte er in die innerste südöstliche Bucht des Hafens, von wo aus seine Sechszöller die vermutliche Anmarschrichtung der Türken bestreichen konnten. Crocker, der Kapitän von M 31, brannte schon darauf, diese bissigen Geschütze spielen zu lassen. Die größeren Schiffe wurden so verteilt, daß sie mit erheblicher Schußweite über die Stadt hinwegfeuern oder vom nördlichen Hafen aus die andere Flanke des Feindes bestreichen konnten. Die Scheinwerfer von »Dufferin« und M 31 kreuzten über die Ebene jenseits der Stadt.
Die Araber, begeistert über die Menge der Schiffe im Hafen, waren bereit, auch ihr Teil zur nächtlichen Verteidigung der Stadt beizutragen. Sie gaben uns die Versicherung, daß keine Panik mehr ausbrechen würde; doch bedurften sie zur völligen Beruhigung irgendeines Verteidigungswalls mittelalterlicher Art. So errichteten wir dicht vor dem zerbröckelten und durch das ausgewaschene Salz durchlöcherten Stadtwall einen zweiten Damm, packten Erde dazwischen und verstärkten diese vorsintflutlichen Bastionen, bis sie wenigstens gegen Gewehrfeuer und möglicherweise auch gegen die türkischen Gebirgsgeschütze schußsicher waren.
Außerhalb der Brustwehr zwischen den unmittelbar vor der Stadt liegenden Zisternen ließen wir Stacheldraht ziehen. An geeigneten Stellen der Verschanzung wurden Maschinengewehre eingebaut und mit ausgebildeten Schützen aus Faisals Truppe besetzt. Die Ägypter, gleich allen anderen, denen ein Platz im Verteidigungswerk angewiesen wurde, waren glücklich wie Kinder. Garland, ein Offizier der Festungsartillerie, den uns der Sirdar zur Verfügung gestellt hatte, wurde technischer Leiter der Verteidigung und erster Berater.
Nach Sonnenuntergang durchzitterte die Stadt verhaltene Erregung. Tagsüber hatten sich die an der Verschanzung Arbeitenden durch Geschrei, Freudenschüsse und wilde Begeisterungsausbrüche ermuntert; nun, beim Dunkelwerden, gingen sie in die Häuser, um zu essen, und Schweigen senkte sich über die Stadt. Kaum einer schlief in dieser Nacht. Gegen elf Uhr gab es Alarm. Unsere Außenpatrouillen waren nur drei Meilen von Janbo auf den Feind gestoßen. Garland ging, begleitet von einem Rufer, durch die wenigen Straßen und alarmierte die Garnison. Alles eilte aus den Häusern heraus und begab sich in tiefstem Schweigen an die zugewiesenen Plätze, ohne daß man einen Ruf oder Schuß hörte. Die Matrosen oben auf den Minaretts gaben Warnungssignale an die Schiffe; diese begannen, mit ihren vereinigten Scheinwerfern Stück für Stück des Vorfeldes abzuleuchten und tasteten mit strahlenden Lichtkegeln in alle Niederungen und Mulden, die ein feindlicher Angriff durchqueren mußte. Jedoch nichts rührte sich, und vergeblich warteten wir auf das Erscheinen des Gegners, um das Feuer zu eröffnen.
Später erfuhren wir, daß den Türken der Mut gesunken war, angesichts der schweigsamen Stadt und der Fülle der erleuchteten Schiffe im Hafen, während die unheimlichen Strahlen der Scheinwerfer ihnen die völlige Deckungslosigkeit des weiten Vorfeldes enthüllten, das sie beim Angriff hätten durchschreiten müssen. Also machten sie kehrt; und in dieser Nacht, glaube ich, haben sie ihren Krieg verloren.
*
Nur mit Hilfe des Auda abu Tayi konnten wir die Stämme zwischen Maan und Akaba so nachdrücklich zu unseren Gunsten in Bewegung bringen, daß sie bei der Eroberung des von den Türken besetzten Akaba und seiner Berge mitwirkten. Und nur mit seiner tätigen Unterstützung durften wir es wagen, von Wedjh aus die lange Strecke bis nach Maan vorzustoßen. Seit den Tagen in Janbo hatten wir ihn umworben und uns bemüht, ihn für unsere Sache zu gewinnen.
In Wedjh taten wir in dieser Beziehung einen großen Schritt vorwärts: Ibn Zaal, der Vetter Audas und Anführer der Abu Tayi im Kriege, kam am 17. Februar an. Dieser Tag war überhaupt in jeder Hinsicht ein Glückstag. Schon in der Morgenfrühe erschienen fünf Häuptlinge der Scherarat aus der Wüste östlich von Tebuk und brachten als Geschenk arabische Straußeneier, deren es viele gab in ihrem abgelegenen Wüstenstrich. Danach meldeten die Sklaven Dhaif-Allah abu Tiyur, einen Vetter von Hamd ibn Djazi, dem Oberhaupt der mittleren Howeitat auf der Hochfläche von Maan. Sie waren zahlreich und mächtig, vortreffliche Krieger, aber in Blutfehde mit ihren Vettern, den Nomaden Abu Tayi, wegen eines uralten Streites zwischen Auda und Hamd. Daß sie von so weither uns begrüßen kamen, schmeichelte uns natürlich, wenn uns auch nicht viel damit geholfen war, denn sie eigneten sich weit weniger als die Abu Tayi für den geplanten Angriff gegen Akaba.
Gleich nach ihm kam ein Vetter von Nawwaf, Nuri Schaalans ältestem Sohn, und brachte von Nawwaf eine schöne Stute als Geschenk für Faisal. Die Schaalan und die Djazi, die in Feindschaft miteinander lebten, funkelten sich mit bösen Augen an, daher trennten wir die Parteien und richteten schnell ein neues Gastlager ein. Nach den Rualla wurde Abu Tageiga gemeldet, das Oberhaupt der seßhaften Howeitat an der Küste. Er brachte die ehrerbietigen Grüße seines Stammes und die Siegerbeute von Dhaba und Moweilleh, den beiden letzten Ausgängen der Türken zum Roten Meer. Faisal machte ihm auf dem Teppich neben sich Platz und sprach ihm seinen wärmsten Dank aus für die Rührigkeit seines Stammes. Dank ihnen waren uns alle ferneren Zugangsstraßen in das Gebiet von Akaba geöffnet, die, obwohl für Truppenbewegungen zu unwirtlich, doch geeignet waren, um von da den Aufstand weiterzutragen, und mehr noch, um auf diesem Wege rasche Nachrichten zu erhalten.
Am Nachmittag erschien dann Ibn Zaal, in Begleitung von zehn weiteren Gefolgsmännern Audas. Er küßte Faisal die Hand, einmal für Auda und dann einmal für sich selbst, setzte sich und erklärte, daß er von Auda komme, um dessen Grüße zu bestellen und nach Befehlen zu fragen. Faisal, bei aller Höflichkeit, ließ nichts von seiner Freude merken und stellte ihn feierlich seinen Blutsfeinden, den Djazi Howeitat, vor. Ibn Zaal grüßte sie sehr gemessen. Später hatten wir mit ihm eine längere Privatunterhaltung; und Faisal entließ ihn mit reichen Geschenken, noch reicheren Versprechungen und der persönlichen Botschaft an Auda, daß sein Verlangen nicht eher gestillt wäre, als bis er ihn Auge in Auge in Wedjh begrüßt hätte. Die Ritterlichkeit Audas war hochberühmt, doch für uns war er eine unbekannte Größe, und in der letzthin entscheidenden Unternehmung gegen Akaba durften wir uns nicht den geringsten Fehlgriff leisten. Er mußte persönlich kommen, damit wir uns über ihn klar werden und in seiner Gegenwart, unter seiner Mitwirkung den zukünftigen Plan entwerfen konnten.
Als die Sonne ins Meer sank und Abendkühle heraufzog, entstieg den Hügelketten in Richtung von Abu Zereibat eine starke Kavalkade und näherte sich uns. Weit vor ihrer Front jagten drei oder vier Reiter, gleich dunklen Punkten, in voller Karriere aufeinander zu, durchkreuzten sich, ein Kampfspiel aufführend, und strömten wieder auseinander, indes die Hauptmasse ein schwermütiges Ateiba-Lied anstimmte. Es war Scherif Schakir, meine interessante Bekanntschaft aus Djidda, der in großer Begleitung von Scherif Abdullas Lager am Wadi Ais nahe Medina kam, um Faisal zu besuchten. Schakir galt in den Augen des großen Ateiba-Stammes als ein echter Fürst, dessen Schieß- und Reitkunst (er war zu Pferde ein wahrer Zentaur), dessen Mut, Unerschrockenheit und Reichtum gleichermaßen Bewunderung fanden. Zum Dank dafür gab sich Schakir ganz als Beduine. Die Einfachheit seiner Kleidung wie Lebensführung und seine ganze Art waren völlig die eines Nomaden, auch seine äußere Erscheinung, von den hornigen Füßen bis zum geflochtenen Haar; und sogar diese Haare selbst waren echt beduinisch reich bevölkert: »Ein Knauser nur«, meinte Schakir lachend, »möchte seinen Kopf ganz für sich allein haben.«
Abgesehen von all diesen erfreulichen Zwischenfällen verbrachte Faisal seinen Tag nicht viel anders als sonst. Mein Tagebuch schwoll an von der Fülle der Neuigkeiten. Auf der Straße nach Wedjh wimmelte es von Freiwilligen, Gesandtschaften und großen Scheikhs, die kamen, um Treue zu schwören. Durch den Anblick dieses ständigen Zustroms wurden auch die lauen Billi zu größerem Eifer für unsere Sache angespornt. Faisal ließ alle neuen Anhänger feierlich auf den Koran in seinen Händen schwören: »zu rasten, wenn er rastete, zu marschieren, wenn er marschierte, keinem Türken Gehorsam zu leisten, Freundschaft zu halten mit jedem Arabischsprechenden (sei er Bagdader, Aleppiner, Syrier oder reinen Blutes) und über Leben, Familie und Besitz die Freiheit zu stellen.«
Auch unternahm es Faisal, die einander feindlichen Stämme vor sich kommen zu lassen und ihre Fehden zu schlichten. Zwischen den Parteien wurde eine Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt. Faisal sorgte für einen maßvollen Ausgleich; und oft bezahlte er den verbleibenden Rest oder steuerte doch aus seinem Vermögen dazu bei, um den Streit möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Während zweier Jahre arbeitete Faisal so daran, all die zahllosen Partikelchen, aus denen das arabische Volk bestand, in ihrer natürlichen Ordnung aneinanderzufügen und die Vereinigten mit seiner Idee des Kampfes gegen die Türkei zu beseelen. In keinem der Gebiete, das er durchzogen hatte, blieb eine Blutfehde zurück; er selbst galt in ganz Westarabien als oberste Instanz, letzthin gültig und unanfechtbar.
Und er zeigte sich würdig dieses Ruhmestitels. Niemals fällte er eine Entscheidung nur teilweise oder mit so unpraktischer Gerechtigkeit, daß daraus wohl oder übel neue Zwistigkeiten entstehen mußten. Nie, daß ein Araber sein Urteil anfocht oder seine Weisheit und richterliche Kompetenz in Stammesangelegenheiten anzweifelte. Durch sein geduldiges Abwägen von Recht und Unrecht, durch seinen Takt, sein erstaunliches Gedächtnis gewann er Gewalt über die Nomaden von Medina bis Damaskus und weiter. Man sah in ihm eine Macht jenseits des Stammes, höher als das Stammeshaupt und erhaben über Neid und Mißgunst. Die arabische Bewegung wurde im besten Sinne national, seitdem alle Araber in ihr geeinigt waren und jederlei Sonderinteresse um ihretwillen schweigen mußte. Und zum Haupt dieser Bewegung hatte sich kraft seiner Eignung und Fähigkeit rechtmäßig der Mann aufgeschwungen, der sich diesem Platz gewachsen zeigte in den wenigen Wochen des Triumphs, wie in den langen Monaten der Enttäuschung nach der Befreiung von Damaskus.
Aus Janbo wurden alle Vorräte und die Besatzung bis auf den letzten Soldaten geräumt. Ebenso aus Rabegh. Die dortigen Flieger waren nach Wedjh herübergeflogen und wurden hier installiert. Die ägyptischen Truppen, samt Joyce, Goslett und dem Rabegher Generalstab kamen zu Schiff nach und fanden in Wedjh Verwendung. Newcombe und Hornby waren im Innern und arbeiteten Tag und Nacht – meist eigenhändig – an der Unterbrechung der Bahn. So stand schon alles zum besten; und nun, eines Nachmittags, kam Suleiman, der Quartiermeister, ins Zelt geeilt und flüsterte Faisal etwas zu, worauf dieser mit leuchtenden Augen und mühsam beherrschter Erregung sich zu mir wandte und sagte: »Auda ist da.« Ich rief: »Auda abu Tayi!«, im gleichen Augenblick wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen, und eine tiefe Stimme begrüßte schwungvoll »unsern erhabenen Herrn, den Beherrscher der Gläubigen«. Herein trat eine hohe, kraftvolle Gestalt, mit hagerem Gesicht, leidenschaftlich und düster. Es war Auda, und ihm folgte Mohammed, sein Sohn, der wie ein kleines Kind aussah, obwohl er schon elf Jahre alt war.
Faisal sprang auf. Auda ergriff seine Hand und küßte sie; beide traten einige Schritte zur Seite und blickten sich an – ein prächtig ungleiches Paar, die Verkörperung des Besten in Arabien: Faisal der Prophet und Auda der Krieger, jeder in seiner Art vollendet und auf den ersten Blick sich verstehend und liebend. Sie setzten sich nieder. Faisal stellte uns nacheinander vor, und Auda, mit einem gemessenen Wort, schien sich jeden einzelnen fest einzuprägen.
Wir hatten schon viel von Auda gehört. Mit seiner Hilfe wollten wir das Wagnis unternehmen, Akaba zu erobern; und schon nach wenigen Augenblicken ersah ich aus der Kraft und Geradheit dieses Mannes, daß unser Plan glücken werde. Wie ein fahrender Ritter war er zu uns gestoßen, ungeduldig über unser langes Zögern in Wedjh und nur von dem einen Gedanken beseelt, sich in seinen Gebieten um die Freiheit Arabiens verdient zu machen. Wenn seine Taten auch nur zur Hälfte seinem Eifer entsprachen, mußte das Glück uns hold sein. Keine Ungewißheit lastete mehr auf unsern Gemütern, als wir zum Abendessen gingen.
Wir waren eine heitere Gesellschaft: Nasib, Faiz, Mohammed el Dheilan, Audas staatskluger Vetter, Zaal, sein Neffe, und Scherif Nasir, der sich einige Tage in Wedjh von seinen Expeditionen ausruhte. Ich erzählte Faisal amüsante Geschichten aus Abdullas Lager und was für eine spaßhafte Sache es sei, Eisenbahnen zu zerstören. Plötzlich hastete Auda hoch, und mit einem lauten »Gott bewahre mich!« rannte er aus dem Zelt. Wir starrten uns an, und dann hörte man von draußen ein hämmerndes Geräusch. Ich ging nach, um die Ursache zu erforschen, und fand Auda, über einen Felsblock gebeugt und sein falsches Gebiß mit einem Stein in Stücke schlagend. »Ich vergaß«, erklärte er, »Djemal Pascha hat es mir gegeben. Ich habe meines Herrn Brot mit türkischen Zähnen gegessen!« Unglücklicherweise hatte er nur noch ein paar Stumpen im Munde, so daß ihm nun das Essen von Fleisch, das er sehr liebte, Schwierigkeiten machte und Magenbeschwerden verursachte. Er ging von da ab nur immer halb gesättigt herum, bis wir Akaba eingenommen hatten und Sir Reginald Wingate ihm einen Zahnarzt aus Ägypten schickte, der ihm ein alliiertes Gebiß machte.
Auda trug sich sehr einfach, nach der Art des nördlichen Arabiens, in weißen Baumwollkleidern und rotem Mossul-Kopftuch. Er mochte über fünfzig sein, und sein schwarzes Haar war weiß durchsetzt. Doch war er noch kräftig, aufrecht, gelenkig, schlank und beweglich wie ein Junger. Sein prächtiges Gesicht war hager und durchfurcht, und deutlich stand darauf der Kummer seines Lebens geschrieben über den Tod seines Lieblingssohnes in der Schlacht bei Annad, der seinem Traum, die Größe seines Namens auf kommende Geschlechter zu übertragen, ein Ende gesetzt hatte. Er hatte große, lebhafte Augen, mit einem Glanz wie leuchtendschwarzer Samt. Seine Stirn war niedrig und breit, seine Nase stark vortretend, schmalrückig und kräftig geschwungen, sein Mund mehr voll und beweglich. Backen- und Schnurrbart waren nach Art der Howeitat in einer zusammenlaufenden Spitze geschnitten und das Linn darunter ausrasiert.
Vor Hunderten von Jahren waren die Howeitat aus dem Hedjas nach Westen gewandert, und ihre nomadisierenden Klans rühmten sich, echte Beduinen zu sein. Auda war ihr vollendetster Typ. Seine Gastfreundschaft war überschwenglich und fiel einem, wenn man nicht eine sehr hungrige Seele war, einigermaßen zur Last. Dank seiner Freigebigkeit war er stets arm geblieben, trotz seinen Erträgnissen aus hundert Beutezügen. Er war achtundzwanzigmal verheiratet und dreizehnmal verwundet gewesen; auch von seinen Leuten war keiner unverwundet geblieben bei all den Angriffsschlachten, die er geschlagen, und die meisten seiner Verwandten waren gefallen. Er selbst hatte im Kampf mit eigener Hand fünfundsiebzig Mann erschlagen, das heißt Araber, aber nie einen außerhalb der Schlacht. Die Anzahl der getöteten! Türken konnte er nicht angeben, die zählten nicht mit. Unter ihm waren die Toweiha Toweiha: der arabische Plural von Tayi (A d. Ü.). die berühmtesten Kampfhelden der Wüste geworden, beseelt von einer sozusagen kommentmäßigen Tollkühnheit und einem sicheren Gefühl von Überlegenheit, das sie nie verließ, solange es zu leben und Taten zu vollbringen galt. Aber seit den dreißig Jahren ständigen Kriegs unter den Nomaden war ihre Zahl von zwölfhundert auf weniger als fünfhundert zusammengeschrumpft.
Auda ging auf Raub aus, wo und wie weit er immer konnte. Auf seinen Beutezügen war er bis nach Aleppo, Basra, Wedjh und dem Wadi Dawasir gekommen, und er ließ es sich angelegen sein, mit nahezu allen Stämmen der Wüste in Feindschaft zu leben, um möglichst großen Spielraum für seine Überfälle zu haben. Nach echter Räuberart war er ebenso kaltblütig wie draufgängerisch, und hinter fernen allertollsten Taten stand immer noch eine kühl berechnete Möglichkeit des Gelingens. In seinem Handeln war er von unerschütterlicher Festigkeit; und Ratschläge, Kritik oder Schmähung überhörte er mit einem ebenso beharrlichen wie bezaubernden Lächeln. Im Zorn verlor er die Herrschaft über seine Mienen, und ein Anfall schäumender Wut brach aus ihm hervor, der sich erst sänftigte, wenn er jemanden niedergeschlagen hatte; in solchen Augenblicken wurde er zum wilden Tier, und jeder entwich aus seiner Nähe. Nichts auf Erden konnte ihn bewegen, seinen Sinn zu ändern oder einem Befehl zu gehorchen oder das Geringste zu tun, was er nicht billigte; stand seine Meinung fest, so nahm er keinerlei Rücksicht auf das Gefühl anderer.
In einem der späteren Kämpfe sollte ich es erfahren. Die Gewehrläufe waren von Sonne und Schießen so heiß geworden, daß sie uns die Hände versengten; und dabei mußten wir, bei der Notwendigkeit, Munition zu sparen, jeden Schuß reiflich überlegen und, um des Treffens sicher zu sein, lange und sorgsam zielen. Das glühende Felsgestein, auf dem wir ausgestreckt im Anschlag lagen, verbrannte uns Brust und Arme, so daß später die Haut in Fetzen herabhing. Anstrengung und Schmerzen machten uns heftigen Durst.
Kurz nach Mittag bekam ich eine Art Hitzschlag oder so etwas, denn ich fühlte mich hundeelend, und alles wurde mir gleichgültig. Ich schleppte mich zu einer überhängenden Felswand, wo das aus dem Gestein sickernde Wasser sich in einer kleinen Pfütze gesammelt hatte, um darüber ausgestreckt ein wenig Feuchtigkeit aus dem Schlamm durch den Filter meines Ärmels zu saugen. Nasir kam hinzu, keuchend wie ein gehetztes Wild, die geplatzten blutenden Lippen verzerrt vor Schmerz und Erschöpfung; und dann erschien auch der alte Auda, mächtig daherschreitend, mit blutunterlaufenen, wild starrenden Augen und das knorrige Gesicht zuckend vor Erregung.
Er grinste höhnisch, als er uns ausgestreckt und Kühlung suchend unter der Felswand liegen sah, und krächzte mich an: »Nun, wie ist das mit den Howeitat? Immer nur schwätzen und nichts tun?« »Wahrhaftigen Gott, ja«, spie ich zurück, denn ich war erbost auf ihn und mich und alle, »sie schießen viel und treffen wenig.« Auda, zitternd und bleich vor Wut, riß sein Kopftuch herunter und schleuderte es vor mir zu Boden. Dann lief er wie ein Besessener zurück den Berg hinan und rief mit seiner gewaltig tönenden und rasselnden Stimme seine Leute zusammen.
Sie sammelten sich um ihn, und wenige Sekunden später stoben sie bergabwärts auseinander. Ich fürchtete Unheil, raffte mich auf und erklomm den Gipfel, auf dem Auda, unverwandt nach dem Feind starrend, allein zurückgeblieben war; doch er rief mir nur zu: »Nimm dein Kamel, wenn du sehen willst, was der alte Mann tut.« Nasir hieß die Kamele heranbringen, und wir saßen auf.
Die Araber vor uns zogen sich in eine flache Mulde, die zu einem niedrigen Höhenkamm anstieg; wir wußten, daß jenseits der Höhe ein flacher Hang zum Haupttal von Aba el Lissan, etwas unterhalb der Quelle, hinabführte. Unsre gesamten vierhundert Kameltreiber waren hier in der Mulde eng versammelt, gerade noch außer Sicht des Feindes, wir ritten zu ihnen hin und fragten den Shimt, was das zu bedeuten hätte und wo die zu Pferde Berittenen geblieben wären.
Er wies über den Höhenrücken hinweg nach dem nächsten Tal über uns und sagte: »Dort! Mit Auda!« Und während er noch sprach, erscholl plötzlich von jenseits des Kammes ein wilder Ausbruch von Geschrei und Schießen. Heftig trieben wir unsere Kamele auf den Höhenkamm hinauf, und nun sahen wir unsere fünfzig Reiter in vollem Galopp und vom Sattel aus feuernd den letzten Hang nach dem großen Tal zu gleich einem Sturmwind hinunterbrausen. Zwei oder drei gingen kopfüber, aber der Rest donnerte in bewunderungswürdiger Pace vorwärts, dem Feind in den Rücken. Die türkische Infanterie, schon nach dem felsigen Ausgang hin massiert, um bei Einbruch der Dunkelheit einen verzweifelten Durchbruch zu wagen, schwenkte ein, schwankte und brach unter dem Anprall zusammen; und der Angriff Audas riß die Weichenden mit fort.
»Vorwärts jetzt!« schrie mir Nasir mit seinen blutigen Lippen zu. Und wie besessen jagten wir unsere Kamele über die Höhe und den Hang hinunter dem fliehenden Feind entgegen. Der Hang war nicht allzu steil für einen Kamelgalopp, aber doch steil genug, um bei dieser tollen Jagd jede Herrschaft über das Tier zu verlieren; und dennoch brachten es die Araber fertig, rechts und links herauszuschwenken und in die türkischen Massen zu feuern. Der Feind war noch wie gelähmt vor Schrecken von dem wilden Angriff Audas gegen seine Nachhut, und daher entging ihm unser Vorsturm über den östlichen Hang: so brachen wir überraschend und von der Flanke her in seine Reihen ein; und der Angriff einer Kameltruppe, die mit einem Tempo von fast dreißig Meilen die Stunde heranbraust, ist unwiderstehlich.
Auda kam zu Fuß herbeigeeilt, seine Augen glühten vor Kampflust, und die Worte sprudelten überhastet und zusammenhanglos aus seinem Mund hervor: »Tun! … Tat! Wo sind Worte … Tat … Kugeln … Abu Tayi …«, und er zeigte uns sein zertrümmertes Fernglas, seinen durchlöcherten Pistolenhalfter und seine Säbelscheide, deren Leder in Fetzen herunterhing. Beim Angriff war auf ihn eine Salve abgefeuert worden, die seine Stute unter ihm getötet hatte, aber die sechs Kugeln durch seine Kleider hatten ihn selbst verschont. Ja – so war Auda!
Sein eigenes Leben erlebte er wie einen Heldengesang. Alle Ereignisse darin wurden bedeutsam, alle Personen darin bekamen etwas Heroisches. Sein Kopf war angefüllt mit Gedichten und Sagen von einstigen Kämpfen und Raubzügen, und wer gerade neben ihm saß, mußte eine ganze Flut davon über sich ergehen lassen. Fehlten ihm Zuhörer, so liebte er es, sich derlei Dichtungen mit seiner gewaltigen, tiefen und volltönenden Stimme selbst vorzusingen. Er hielt seine Zunge nicht im Zaum und schadete dadurch sich selbst und verletzte beständig seine Freunde. Er sprach von sich in dritter Person und war so sicher seines Rufes, daß er sich einen Spaß daraus machte, Schimpfgeschichten über sich selber zum besten zu geben. Zuzeiten schien er von einem Schabernackteufel besessen zu sein und begann dann in aller Öffentlichkeit die unglaublichsten Fabeln über das Privatleben seiner Gastgeber oder Gäste zu erfinden und mit allen Eiden zu beschwören. Und bei alledem war er bescheiden, voller Einfalt wie ein Kind, aufrichtig, ehrlich, gutherzig und heiß geliebt, selbst von denen, die am meisten unter ihm zu leiden hatten – seinen Freunden.
Die lange Operationspause nach dem Fall von Wedjh bedeutete einen großen Vorteil für mich: ich hatte Zeit und Muße, um nachzudenken, und war den Dingen weit genug entrückt, um sie unbefangen zu betrachten.
Beim arabischen Krieg war das Geographische die feste Gegebenheit, die türkische Armee das veränderlich Hinzutretende. Unser Ziel war, die materiell schwächste Stelle des Feindes ausfindig zu machen und auf diese allein einen ständigen Druck auszuüben, bis mit der Zeit die gesamte feindliche Linie zusammenbrach. Unsere ausgiebigsten Hilfskräfte, die Beduinen, auf die sich unsere Kriegführung einstellen mußte, waren an planmäßige Operationen nicht gewöhnt, waren dafür aber überlegen an Beweglichkeit, Ausdauer, Selbstvertrauen, Landeskenntnis und besonnenem Mut. Bei ihnen bedeutete Trennung Stärke. Wir mußten daher unsere Front bis zur äußersten Möglichkeit ausdehnen, um den Türken die denkbar längste Verteidigungslinie aufzuzwingen; denn das bedeutete für sie, dem Kräfteverbrauch nach, die kostspieligste Art der Kriegführung.
Es war unsere Pflicht, das Endziel mit möglichst sparsamem Einsatz von Leben zu erreichen, denn Menschen waren für uns kostbarer als Geld und Zeit. Waren wir geduldig und von nahezu übermenschlicher Geschicklichkeit, so konnten wir nach dem Beispiel des Marschalls von Sachsen den Krieg ohne Schlacht gewinnen.
T. E. Lawrence über die Deutschen:
»Eine Ausnahme allein (in dem türkischen Zusammenbruch) machten die deutschen Abteilungen; und hier zum ersten Male wurde ich stolz auf den Feind, der meine Brüder getötet hatte. Sie waren zweitausend Meilen von ihrer Heimat entfernt, ohne Hoffnung im fremden, unbekannten Lande, in einer Lage, verzweifelt genug, um auch die stärksten Nerven zu brechen. Dennoch hielten ihre Trupps fest zusammen, geordnet, in Reih und Glied, und steuerten durch das wirr wogende Meer von Türken und Arabern wie Panzerschiffe, schweigsam und erhobenen Hauptes. Wurden sie angegriffen, so machten sie halt, nahmen Gefechtsstellung und gaben wohlgezieltes Feuer. Da war keine Hast, kein Geschrei, keine Unsicherheit. Sie waren prachtvoll!«