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Zu Anfang der dreissiger Jahre war Paris die einzige Stadt, in der ein grosses geistiges Leben wogte. In Deutschland war nach der grossen Weimarer Zeit Stille eingetreten. Die bedeutenden Musiker waren fast alle tot, gerade in Wien machten sich seichte Vielschreiber breit. Auch in den bildenden Künsten war Deutschland beinahe auf dem tiefsten Tiefstand angelangt. Alles stagnierte hier, überall Reaktion. Wer von deutschen Künstlern etwas leistete, strebte fort. Paris war der grosse Sammelpunkt. Dort regten sich die Kräfte mächtig. Die romantische Bewegung zog immer weitere Kreise. Freiheit von jedem Regelzwang wollte man; dem Formelwesen, der glatten, kalten, klassizistischen Kunst trat man entgegen. Shakespeare wurde auf den Schild gehoben, das Mittelalter kam zu Ehren, eine merkwürdige Phantastik, ein Schwelgen im Fernen, Exotischen, Seltsamen, wurde die Mode. Alle Künste wurden von der Bewegung ergriffen. In der Litteratur stand Victor Hugo als Führer obenan, die ersten Aufführungen seiner Dramen waren Ereignisse im Pariser Leben; Musset, Lamartine, de Vigny, Sainte-Beuve, der ältere Dumas, Balzac, Eugène Sue, Gautier, Nodier, sind einige der Namen, die in aller Munde waren. Auch für die Malerei war eine neue Zeit angebrochen. Delacroix, der Freund Chopins, ist als wichtigster Mann zu nennen, aber auch Horace Vernet, Ary Scheffer, Decamps, Delaroche und viele andere zeigen das Streben nach Farbe, gegenüber der früheren strengen Bevorzugung der Linie. In der Musik war Berlioz der glühenste Eiferer für das neue. Im Jahre 1830 war seine Symphonie Fantastique in ihrer ersten Fassung schon geschrieben. Wie kaum ein anderes musikalisches Kunstwerk spiegelt diese Symphonie den Zeitgeist wieder. Auch Meyerbeer und Halévy sind den Romantikern zuzurechnen. Aber auch abgesehen von den jungen Stürmern, waren in Paris noch eine Anzahl bedeutender Musiker einer älteren Generation ansässig, Cherubini, dem der Rang eines klassischen Meisters eingeräumt wurde und die besten Meister der französischen Spieloper: Boieldieu, Auber, Herold. Auch Rossini, der Abgott des Publikums, wirkte als Mitleiter der Italienischen Oper in Paris. Kurz vorher, 1829, hatte er den »Wilhelm Tell« zur Aufführung gebracht, seine letzte Oper. Die besten Sänger, die berühmtesten Virtuosen drängten sich in Paris zusammen.
In einen solchen Kreis trat Chopin, als er im Herbst 1831 in Paris eintraf. Es galt zunächst, sich den führenden Künstlern vorzustellen. Aus Wien hatte er einige Empfehlungen an Verleger und von Dr. Malfatti an den Opernkomponisten Paër, damals Hofkapellmeister, mitgebracht. Paër machte ihn mit einer Anzahl hervorragender Musiker bekannt: Cherubini, Rossini, dem Pianisten Kalkbrenner, dem Geiger Baillot. Auch mit der jüngeren Generation stand er schnell auf freundschaftlichem Fusse. Franz Liszt, Ferdinand Hiller, der Cellist Franchomme waren die ersten, mit denen Chopin intimer verkehrte. Auch Mendelssohn, der von Dezbr. 1831 bis April 1832 in Paris weilte, gesellte sich häufig diesem Kreise zu. Aus der ersten Zeit des Pariser Aufenthaltes nimmt ein Ereignis das Interesse besonders in Anspruch, Chopins Bekanntschaft mit Kalkbrenner, damals der erste Virtuose in Paris. Chopin schreibt über ihn (16. Dezbr. 1831):
»Wenn Paganini eine Vollkommenheit ist, so ist es Kalkbrenner auch, jedoch in einer ganz andern Art. Seine Ruhe, sein bezaubernder Anschlag, die Egalität seines Spiels, kann ich Dir nicht beschreiben, in jeder Note erkennt man den Meister; er ist ein Riese, der alle andern Künstler verdunkelt ... Herz und Hiller sind Nullen im Vergleich mit Kalkbrenner.«
Es kann also nicht Wunder nehmen, dass Chopin meinte, von Kalkbrenner viel lernen zu können. Dieser erbot sich, Chopin als Schüler anzunehmen, stellte aber die Bedingung, dass Chopin drei Jahre lang unter seiner Leitung studiere. Auf diese Bedingung mochte Chopin nicht gern eingehen. Er schrieb darüber an seinen Vater.
No. 2 der neuen Briefsammlung giebt interessante Aufschlüsse über die Angelegenheit. Chopins Vater sowohl wie die beiden Schwestern schrieben erregte Briefe. Erst freuten sie sich über die vermeintliche Auszeichnung durch Kalkbrenner, dann aber, nachdem Elsner interpelliert war, rieten sie dringend ab, auf Kalkbrenners Vorschlag einzugehen. Louise zitiert Elsners Worte: »Ich kenne Friedrich; er ist gut, aber es fehlt ihm an Eigenliebe, man beherrscht ihn leicht.« Elsner war der Ansicht, dass Kalkbrenner nur darauf bedacht sei, einen künftigen Rivalen als Schüler drei Jahre lang unschädlich zu machen. Augenscheinlich durch Elsner inspiriert sind die folgenden Worte Louises:
»Dein Platz ist zwischen Rossini, Mozart etc. ... Dein Genie darf sich nicht darauf beschränken, das Klavier zu beherrschen, um Konzerte zu geben, Du musst Dich durch Opern unsterblich machen.«
Elsner selbst schrieb einen schönen Brief Elsner's Brief an Chopin (14. Dezember 1831) und Chopins Antwort mitgeteilt von Karasowski S. 210 ff. an Chopin, worin er seiner Verwunderung Ausdruck gibt, dass Kalkbrenner drei Jahre brauche, um Chopin seine Methode zu lehren und Chopin auf den höheren Standpunkt des schaffenden Künstlers über den Virtuosen hinaus verweist. Auch ihm sei es erwünscht, dass Chopin nicht nur ein Klavierkomponist bleibe. Mit folgenden Worten schliesst der treffliche Mann:
»Mit einem Wort; das, womit der Künstler (der fortwährend von seiner Umgebung lernt) seine Zeitgenossen in Staunen setzt, kann nur von sich und durch sich selbst Vollkommenheit erlangen. Die Ursache seines Ruhmes ist keine andere als seine geniale Individualität, die sich in seinen Kunstwerken offenbart.«
Auf diesen Brief antwortete Chopin am 14. Dezbr. 1831.
»Ihr Brief war mir ein neuer Beweis väterlicher Sorgfalt und aufrichtigen Interesses, das Sie für mich, Ihren dankbaren Schüler, hegen. Obgleich ich wusste, was mir noch fehlte und wie weit ich noch davon entfernt war, das Vorbild, das ich in Ihnen habe zu erreichen, wagte ich dennoch Anfang vorigen Jahres zu denken: ich will mich ihm nähern, und wenn nicht ein Lokietek (»der Kleine«, Beiname eines polnischen Königs, Titel einer Oper Elsners vom Jahre 1818), so kann doch vielleicht ein Laskonigi (»der Dünnbeinige«, Beiname eines andern Königs) meinem Kopfe entspringen. Heute sind alle derartigen Hoffnungen vernichtet; ich bin gezwungen, daran zu denken, mir als Pianist in der Welt Bahn zu brechen; ich muss für einige Zeit den höheren künstlerischen Zweck, von dem Sie mir schrieben, in den Hintergrund treten lassen. Um ein grosser Komponist zu sein, muss man ausser schöpferischer Kraft auch Erfahrung und Selbstkritik besitzen, die man, wie Sie mich gelehrt haben, nicht nur durch Anhören fremder Werke, sondern noch mehr bei genauer Prüfung der eigenen erhält.«
Er lässt sich nun über die Schwierigkeiten aus, die ein Opernkomponist beim Aufführen seiner Werke findet und fährt fort:
»Meiner Ueberzeugung nach ist derjenige der Glücklichste, der imstande ist, seine Kompositionen selbst zu Gehör zu bringen. Ich bin hier und da in Deutschland als Pianist bekannt; mehrere musikalische Zeitungen haben meine Konzerte rühmend erwähnt und sprechen die Hoffnung aus, mich bald an hervorragender Stelle unter den ersten Klaviervirtuosen zu sehen. Heute hatte ich Gelegenheit, das mir selbst gegebene Versprechen zu erfüllen; warum sollte ich sie nicht ergreifen? Ich möchte nicht in Deutschland Klavierspielen lernen; denn dort wusste mir niemand zu sagen, was mir eigentlich fehle. Auch ich habe den Balken in meinem Auge nicht gesehen. Drei Jahre zu studieren ist viel zu viel. Das hat Kalkbrenner schliesslich selbst eingesehen, als er mich öfter gehört hatte. Daraus können Sie sehen, dass ein wahrer, verdienstvoller Virtuose das Gefühl des Neides nicht kennt. Ich würde mich auch gewiss entschliessen, noch drei Jahre zu studieren, wenn ich die Gewissheit hätte, das Ziel, das ich mir selbst gesteckt habe, zu erreichen. So viel ist mir klar, dass ich nie eine Kopie von Kalkbrenner werde; er wird nicht imstande sein, meinen vielleicht kühnen, aber edlen Willen zu brechen: eine neue Kunst-Aera zu schaffen! Wenn ich jetzt weiter studiere, so geschieht es, um dereinst auf eigenen Füssen zu stehen ... Ich hoffe, Sie werden mir Ihren Segen nicht vorenthalten, wenn Sie sehen, auf welchen Grundlagen und mit welchen Vorsätzen ich fortstrebe.«
Chopin besuchte in der Tat einigemal die Ausbildungsklasse bei Kalkbrenner, wie Hiller mitteilte, und was auch eine Stelle in Fétis Kritik über Chopins Konzert im Februar 1832 beweist, wo die Hoffnung ausgesprochen wird, dass Chopin unter Kalkbrenners Leitung einen kräftigeren Ton erlangen werde. Doch muss er wohl bald eingesehen haben, dass für ihn bei Kalkbrenner nicht viel zu holen sei, kurz, er wurde kein Schüler Kalkbrenners. Das erwähnte Konzert Chopins kam endlich am 26. Februar 1832 zustande, Das Programm dieses Konzerts aufzufinden, war Niecks nicht gelungen. Karlowicz hat es gefunden und teilt es auf S. 384 seines Buches mit. Als Datum ist der 15. Januar gegeben, da das Konzert aber bis zum Februar verschoben wurde, so sind einige Abänderungen des Programms im Konzert erklärlich. nachdem es dreimal hinausgeschoben worden war, erst vom 15. auf den 26. Dezember, dann auf den 15. Januar und schliesslich auf den Februar. In einem Brief vom Dezember 1831 berichtet Chopin, dass er sein F-moll-Konzert und die B-dur-Variationen (op. 2) spielen wollte,
»ausserdem mit Kalkbrenner dessen Marche suivie d'une Polonaise für 2 Klaviere mit Begleitung von vier weiteren Klavieren. Ist das nicht eine völlig verrückte Idee? ... Auf den andern grossen Flügeln werden Hiller, Osborne, Stamati und Sowinski spielen.«
Mendelssohn berichtet in einem Briefe vom 14. Januar 1832, dass »ein Pole« ein Konzert geben werde, in dem er, Mendelssohn, »mit Kalkbrenner, Hiller u. Co. ein Stück für sechs Personen« spielen solle. Im Konzert wirkte er schliesslich nicht mit, war aber anwesend und applaudierte nach Hillers Mitteilung enthusiastisch. Auch Beethovens Streichquintett wurde gespielt. Es wirkten ausser den genannten sechs Pianisten noch eine Anzahl Sängerinnen, Sänger, der Geiger Baillot, der berühmte Oboist Brod und andere mit. Die Ausgaben wurden nicht gedeckt, obschon das Billet 10 Fr. kostete. Doch hatte Chopin einen grossen künstlerischen Erfolg. Fétis schrieb in der Revue musicale (3. März 1832) eine sehr günstige Rezension. Ganz besonders begeistert drückt sich Liszt in seinem Buch (S. 230) über dies Konzert aus. Er spricht darin von »ce talent qui révélait une nouvelle phase dans le sentiment poétique, à côté de si heureuses innovations dans la forme de son art«. Diesem ersten Konzert im Pleyel-Saal folgte ein zweites Auftreten am 20. Mai 1832 in einem vom Fürsten de la Moskowa veranstalteten Wohltätigkeitskonzert. Sehr schnell, ähnlich wie in Wien, war es Chopin gelungen, in der vornehmen Pariser Gesellschaft beliebt zu werden. Vor allen anderen waren es die Mitglieder der polnischen Kolonie, an die er sich besonders anschloss, Fürst Valentin Radziwill, die Platers und Czartoryskis, bei denen sich die Flüchtigen sammelten, die dem polnischen Vaterlande den Rücken hatten kehren müssen. Besonders die Fürstin Marcelline Czartoryska, später eine der besten Schülerinnen Chopins, bewahrte ihm lebenslänglich eine fast schwärmerische Verehrung, ähnlich wie die schöne Gräfin Delphine Potocka. Auch hier, wie in Wien, nahm die Oper sein reges Interesse in Anspruch. Von der Vortrefflichkeit der Sänger, dem Luxus der Bühnenausstattungen ist in seinen Briefen viel die Rede. Allerdings waren damals die grössten »stars« der italienischen Schule fast vollzählig in Paris zu hören. Lablache, Rubini, Santini, die Pasta, die Malibran, die Schröder-Devrient sangen in der italienischen Oper, die damals unter Leitung von Rossini stand; in der grossen Oper sangen Nourrit, der berühmteste französische Tenorist, Levasseur, Mme. Damoreau-Cinti. Rossinis Barbier von Sevilla und Othello, Aubers Fra Diavolo, Hérolds Zampa sind einige der von Chopin genannten Opern. Auch von einer merkwürdigen Oper: »La marquise de Brinvilliers« spricht er:
»Sie war zur Zeit Ludwigs XIV. die berühmteste Giftmischerin. Zu diesem Libretto ist die Musik von acht Komponisten, nämlich Cherubini, Paër, Hérold, Auber, Berton, Batton, Blangini und Caraffa.«
Ganz besonderen Eindruck scheint Meyerbeers »Robert der Teufel« auf Chopin gemacht zu haben. Die Erstaufführung im Jahre 1831 war ein musikalisches Ereignis gewesen. Wenn man liest, was Chopin darüber schreibt, dann möchte man zuerst an Ironie glauben:
»Robert ist ein Meisterstück der neuen Schule, wo die Teufel durch das Sprachrohr singen und die Toten aus den Gräbern auferstehen ...«,
dann aber heisst es anscheinend ganz ernsthaft:
»Meyerbeer hat sich durch das Werk unsterblich gemacht.«
Auch die Revolution spielt in Chopins Korrespondenz hinein. Er erzählt, wie er aus seiner Wohnung im 4. Stock Boulevard Poissonnière No. 27 nach dem Quartier des polnischen Generals Ramorino hinüberschauen kann; wie die Studenten der »Ecole de médicine« und die Parteigänger der »jeune France« mit ihren blauen Westen, den nach Vorschrift gestutzten Bärten und gleichmässig geknüpften Halsbinden dem polnischen General eine Ovation darbrachten, wie sich der Pöbel hinzugesellte und schliesslich eine ungeheure Menschenmenge durch die Strassen zog, bis am Pontneuf die Gendarmerie auf den Haufen einhieb und dann Militär die Rotten auseinandersprengte.
»Die Panik griff mit Blitzesschnelle um sich: die Läden wurden geschlossen, an allen Strassenecken lief das Volk zusammen und man pfiff die durch die Strassen sprengenden Ordonanzen aus. Alle Fenster waren dicht mit Zuschauern besetzt, wie bei uns an grossen Feiertagen, und die Aufregung dauerte von 11 Uhr früh bis 11 Uhr nachts. Ich glaubte schon, dass die Geschichte ein böses Ende nehmen würde. Aber schliesslich sang man gegen Mitternacht: Allons enfants de la patrie und ging nach Hause. Ich kann Dir gar nicht schildern, welchen Eindruck auf mich die grausigen Stimmen dieses empörten und unzufriedenen Pöbels machten!«
Ferner berichtet Chopin, dass die Leute sich drängen, um in den kleinen Theatern »Die ganze Geschichte« des polnischen Aufstandes zu sehen, und die »Kämpfe und Nationalkostüme« zu bewundern. Auf einem Theaterzettel prangte sogar die Ankündigung, dass während der Zwischenakte die Musik la Mazurka Dabrowski: »Noch ist Polen nicht verloren« spielen werde.
Dass Chopin in den ersten Monaten seines Pariser Aufenthalts als Künstler sehr fleissig war, darüber ist in den Briefen nichts zu lesen. Neue Kompositionen sind überhaupt nicht erwähnt. Es scheint, als ob er ebenso wie in Wien vollständig auf das angewiesen war, was der Vater ihm sandte. Die beiden Konzerte brachten ihm keine Einnahme, auch von Schülern wird vorerst nichts gemeldet, Kompositionen wurden nicht gedruckt. Dagegen erfahren wir, dass Chopin einmal in der Oper 24 Francs für seinen Sitz bezahlte, um die Malibran als Othello und die Schröder-Devrient als Desdemona zu sehen, auch erfahren wir, dass er in seiner »eigenen Equipage« zum Diner fährt, das die Polen für Ramorino und Langermann gaben, »nur der Kutscher dazu ist gemietet.« Etwas später, als er schon ein renommierter Lehrer war, schrieb er:
»Heute habe ich fünf Stunden zu geben; Du wirst glauben, ich müsste bald ein Vermögen erworben haben, aber das Cabriolet und die weissen Handschuhe zehren diesen Verdienst beinahe wieder auf, und ohne diese würde man mir wieder den feinen Geschmack absprechen.«
Da der feine Geschmack eine so hervorstechende Eigentümlichkeit des 22jährigen war, ist es kaum zu verwundern, dass er bei seinem Mangel an eigenen Einnahmen bald in finanzielle Nöte kam, zumal da in Polen die Verhältnisse immer schlechter wurden und der Vater ihn wohl nicht so reichlich wie früher bedenken konnte. Wie Karasowski erzählt, habe sich Chopin in dieser Zeit mit dem Plane getragen, nach Amerika auszuwandern; durch die Bitten der Eltern zurückgehalten, habe er schliesslich nach Warschau zurückzukehren beschlossen. Fürst Valentin Radziwill soll von Chopin erfahren haben, dass er Paris verlassen wolle und soll ihn im Hause Rotschild eingeführt haben, wo er durch sein Spiel die Anwesenden sich so eroberte, dass er eine Anzahl einflussreicher Freunde und Schüler gewann. Von diesem Zeitpunkte an soll Chopin's Ruf als Lehrer datieren. Da sich in der Korrespondenz gerade hier eine grosse Lücke öffnet, kann sicheres über alle diese Dinge nicht angegeben werden. Chopin blieb in Paris und hatte sich ein Jahr nach seiner Ankunft eine feste Stellung erworben. Seine Lektionen wurden mit 20 Francs bezahlt, so dass seine Verhältnisse bei der Menge Schüler, die zu ihm kamen, recht günstige sein mussten. Aus einem Briefe an seinen Jugendfreund Domaszewski seien einige bezeichnende Sätze zitiert: Siehe Karasowski S. 238.
»Ich verkehre in den ersten Kreisen: mit Gesandten, Fürsten, Ministern u.s.w. und weiss selbst nicht, wie ich dorthin gekommen bin, denn ich habe mich keineswegs eingedrängt. Für mich ist ein derartiger Umgang aber durchaus notwendig, denn dort lernt man den guten Geschmack. Du hast gleich mehr Talent, wenn man Dich in einer Soirée beim englischen oder französischen Botschafter gehört hat. Dein Spiel ist feiner, wenn dich die Fürstin Vaudemont protegiert ... Unter den hiesigen Künstlern geniesse ich allgemeine Achtung und Freundschaft, obgleich ich doch erst seit einem Jahre hier bin. Beweis dafür ist, dass Leute von grossem Ruf mir ihre Kompositionen widmen, z.B. Pixis seine letzten Variationen mit Orchester. Jetzt komponiert er sogar Variationen über ein Thema von mir. Kalkbrenner improvisiert häufig über meine Mazurken. Schüler des Konservatoriums, ja sogar Privatschüler von Moscheles, Herz und Kalkbrenner (also fertige Künstler) nehmen noch bei mir Unterricht und stellen mich auf eine Linie mit Field. Wahrlich, wenn ich etwas einfältiger wäre, als ich bin, könnte ich mir beinahe einbilden, dass ich bereits ein vollendeter Künstler sei; und doch fühle ich täglich, wie viel ich noch zu lernen habe, und werde mir dessen um so bewusster, da ich mit den ersten Künstlern verkehre und erkenne, was jedem einzelnen von diesen noch fehlt ... Ich liebe die Karlisten, hasse die Philippisten und bin selbst ein Revolutionär.«
Chopins Leben war also ein recht behagliches, zumal da auch die Liebesschmerzen aufgehört hatten. Das »Ideal« Constantia Gladkowska wird in den Pariser Briefen nicht ein einziges Mal erwähnt. Sie hatte sich von Chopin abgewandt und heiratete im Jahre 1832 einen Warschauer Kaufmann Joseph Grabowski. Chopin scheint sich über ihren Verlust ziemlich leicht hinweggesetzt zu haben. Nur ein einziger der erhaltenen Pariser Briefe (an Wojciechowski) ist von der melancholischen Färbung der Wiener Briefe. Aber hier war es hauptsächlich der düster im Hintergrund lauernde Feind, die schleichende Krankheit, die ihre Schatten vorauswarf. Schon am 25. Dezember 1831 heisst es:
»Wann werden wir uns wiedersehen? ... Vielleicht nie, denn meine Gesundheit ist allen Ernstes miserabel. Ich erscheine wohl lustig, wenn ich unter den Meinigen bin, aber innerlich quält mich etwas wie trübe Ahnung, Unruhe, üble Träume, Schlaflosigkeit, Sehnsucht, Gleichgültigkeit gegen alles, die Lust zum Leben und wieder die Lust zum Sterben. Mir ist oft, als ob mein Geist erstarrt wäre, ich fühle eine himmlische Ruhe im Herzen; in Gedanken sehe ich Bilder, von denen ich mich nicht losreissen kann, und das peinigt mich über alle Massen.«
Doch auch hier, wie auch in den Wiener Briefen, springt ihm die Laune jäh um; unmittelbar nach diesen Sätzen spricht er von seinem Cabriolet und erzählt munter von den Versuchen, die eine schöne Nachbarin, deren Mann den ganzen Tag abwesend ist, macht, um ihn an sich zu fesseln:
»Aber ich habe keine Lust zu Abenteuern und fürchte, dass ich noch obendrein von dem Herrn Prügel bekommen könnte.«
Von dem reizvollen geselligen Leben, das Chopin damals führte, gibt eine von Niecks zitierte Mitteilung des Pianisten Marmontel einen Begriff. Marmontel beschreibt eine musikalische Soirée bei seinem Lehrer, dem Konservatoriumsprofessor Zimmermann, dessen Salon ein Sammelplatz der Künstler und Litteraten war. Bei Pfänderspielen galt es die Pfänder würdig einzulösen:
»(Théophile) Gautier, (Alexandre) Dumas und (Alfred de) Musset wurden verurteilt, ihr neuestes Gedicht zu rezitieren, Liszt und Chopin hatten über ein ihnen gegebenes Thema zu improvisieren, die Damen Viardot (-Garcia), Falcon und Eugénie Garcia hatten ebenfalls ihre Schulden mit Melodien zu bezahlen.«
Von wichtigen Ereignissen aus dem Beginn des Jahres sind noch nachzutragen: die Aufführung von Mendelssohns Sommernachtstraum-Ouverture im Februar 1832, Mendelssohns Auftreten als Pianist in einem Konservatoriumskonzert im März, in dem er Beethovens G-dur-Konzert zum ersten Male in Paris zu Gehör brachte, und die Sensation erregenden Konzerte von Paganini in den selben Tagen. Allen diese Veranstaltungen hat Chopin zweifellos beigewohnt; der Verlust der Korrespondenz aus dieser Zeit hat uns wohl auch einer Anzahl interessanter Bemerkungen Chopins darüber beraubt.
Die folgende Saison zeigt Chopin schon auf der Höhe. Er gab zwar kein eigenes Konzert, liess sich aber bei mehreren Gelegenheiten öffentlich hören, so am 15. Dezember 1832 in Hiller's Konzert, wo er mit Hiller und Liszt zusammen einen Satz aus einem Bachschen Konzert für 3 Klaviere spielte. Kurz darauf trat er mit Liszt wiederum auf bei einer Vorstellung zum Besten der irischen Schauspielerin Miss Smithson, später Berliozs Gattin. In Berlioz' Memoiren möge man über die traurige Lage der Schauspielerin nachlesen. In einem Konzert der Brüder Herz am 3. April 1833 spielte Chopin mit diesen und Liszt ein achthändiges Stück für 2 Klaviere. Viel häufiger aber konnte man ihn in den vornehmen Salons hören. Ein von Liszt, Chopin und Franchomme gemeinsam an Ferdinand Hiller gerichteter Brief vom 20. Juni 1833 giebt einige Auskunft über Chopins gesellschaftlichen Verkehr. Es ist darin die Rede von der Familie Leo; im gastlichen Hause des Bankiers Leo verkehrten viele Künstler, und auch Chopin hatte bis an sein Lebensende Beziehungen zu Leo, der ihm gelegentlich Geld lieh und sich seiner Angelegenheiten vielfach annahm. Ferner sind genannt der österreichische Gesandte Graf Appony, der Abbé Bardin, in dessen wöchentlichen Gesellschaften sich die besten Künstler hören liessen (auch Mendelssohn verkehrte dort), Heinrich Heine. Ganz besonders sind die schon genannten Platers hervorzuheben. Bei ihnen verkehrte Chopin wie ein Kind im Hause. Die Gräfin »Pani Kasztelanowa« Siehe Liszt S. 231., war nach Liszts Worten »abwechselnd gütige Fee, Pflegerin, Gevatterin (maraine), Schutzengel, zartfühlende Wohltäterin ...« In ihrem Hause fand eines Tages zwischen Chopin, Liszt und Hiller ein musikalischer Wettkampf über die Mazurka »Noch ist Polen nicht verloren« statt. Hiller und Liszt mussten vor Chopin die Waffen strecken und zugeben, was sie zuerst bestritten hatten, dass nur ein Pole polnische Musik richtig vortragen könne. Ein hübsches Wort ist von der Gräfin erhalten: »Si j'étais jeune et jolie, mon petit Chopin, je te prendrais pour mari, Hiller pour ami, et Liszt pour amant.« Wie vertraut Chopin mit den Platers war, geht auch daraus hervor, dass er sich bei ihnen alle möglichen Spässe erlauben konnte. So kam er, wie Hiller (an Niecks) berichtete, eines Tages als Pierrot in den Salon, sprang und tanzte gegen eine Stunde lang umher und verschwand ohne ein Wort gesprochen zu haben.
Chopins Vorliebe für geselligen Verkehr zeigt sich auch in der grossen Anzahl verschiedener Namen, die in seinen Briefen genannt sind. Wenn er nun auch mit sehr vielen Leuten gesellschaftlich gern verkehrte, so waren es dennoch nur sehr wenige, die sich seiner intimen Freundschaft rühmen durften, und selbst diesen wenigen Vertrauten schloss Chopin sein innerstes Wesen nicht rückhaltlos auf. Nur wenige der polnischen Jugendfreunde, Titus Wojciechowski, Jan Matuszynski wurden von ihm vollen Vertrauens gewürdigt. Liszt spricht in seinem Werk über diese Zurückhaltung, dieses Verbergen des Inneren, dies aalglatte Entschlüpfen bei jedem Versuch, an den inneren Menschen zu kommen, in ausführlicher Weise und zieht zur Erklärung den slavischen Nationalcharakter hinzu, die Neigung der Polen bei grösster Liebenswürdigkeit und Glattheit der Manieren nach aussen hin doch das wahre Gefühl zu verstecken, gewissermassen immer eine freundliche Maske aufzusetzen.
Was nun die musikalischen Ereignisse dieser Zeit betrifft, so sind vor allem die beiden Konzerte Fields in Paris zu nennen im Dezbr. 1832 und Februar 1833. Der Bericht in der »Allgem. musikal. Zeitung« (3. April 1833) und Fétis Kritik in der »Revue musicale« (29. Dezbr. 1832) geben Nachricht von dem ausserordentlichen Beifall, der Fields Spiel gezollt wurde. Besonders wurde sein nuancenreicher Anschlag, der schöne singende Ton, die Grazie seines Spiels, der Schliff seiner Technik gerühmt, obschon er sich an Kraft und Glanz der Virtuosität mit den Pianisten der neueren Schule nicht messen konnte. Aber gerade mit Chopins Spielart hatte die Fields wohl mancherlei Berührungspunkte, wie auch die Fieldschen Kompositionen auf Chopin unverkennbar gewirkt haben, wenngleich Chopin in jeder Beziehung weit über Field hinausging. Die beiden kamen auch persönlich in Berührung. Viel zitiert wird Fields Ausspruch über Chopins »talent de chambre de malade.« Wie viel daran wahr oder erfunden ist, lässt sich nicht kontrolieren. Sicher dagegen ist die durch die neue Briefsammlung zum ersten Male mitgeteilte Tatsache, dass Chopin anerkennende Aeusserungen Fields über sein Spiel nach Hause mitteilte. In einem Brief vom Septbr. 1832 schreibt der Vater:
»L'étonnement de Meierberg (sic!) a dû te faire plaisir ainsi que l'approbation de Field, que tu désirais si ardemment connaître.«
Derselbe Brief spricht von Chopins »projet d'aller au printemps prochain en Angleterre«, worüber bis jetzt nichts bekannt war.
In die gleiche Zeit fällt Chopins erste Bekanntschaft mit Berlioz.
Dieser war Ende 1832 aus Italien heimgekehrt. Am 12. Dezember 1832 veranstaltete er im Conservatoire ein Konzert, in dem er die (schon 1830 zum 1. Male aufgeführte) epochemachende Sinfonie fantastique und die Fortsetzung dieses Werkes: »Lelio où le retour à la vie« vorführte. Wahrscheinlich war es Berlioz's glühender Bewunderer, Liszt, der die Bekanntschaft mit Chopin vermittelte. Das schon erwähnte Konzert zum Besten von Berlioz's Verlobter, Miss Smithson, in dem Liszt und Chopins mitwirkten, fällt in diese Zeit. Berlioz blieb zeitlebens ein Bewunderer Chopins und hat an mehreren Stellen seiner Mémoires Chopins mit warmen Worten gedacht. Chopin dagegen verkehrte zwar mit Berlioz Bei Karlowicz S. 282-84 findet man 4 Briefchen von Berlioz an Chopin, Einladungen zu Zusammenkünften, zur Hauptprobe von Berlioz's »Symphonie militaire«, zu einem Schmaus Montmartre Rue St. Denis 10, wo Hiller, Liszt und De Vigny als Gäste Berlioz's genannt sind., hatte aber, besonders in späteren Jahren von ihm als Künstler keine sehr hohe Meinung. Chopin äusserte zu seinem Freund Franchomme Mitteilung von Franchomme an Niecks, siehe Niecks I, 265., er hätte von Berlioz mehr erwartet, die Musik von Berlioz sei derart, dass man berechtigt sei, ihm die Freundschaft zu kündigen.
Im Frühling 1834 reiste Chopin mit Ferdinand Hiller zum niederrheinischen Musikfest nach Aachen. Unter der Leitung von Ferdinand Ries sollten dort zur Aufführung kommen: Händels Deborah, Mozarts Jupiter-Symphonie und Teile der neunten Symphonie von Beethoven. Hiller war an den Veranstaltungen beteiligt, in sofern er zu dem Händelschen Oratorium Begleitstimmen hinzugefügt und den Text ins Deutsche übersetzt hatte.
Für das Ansehen, das Chopin schon damals genoss, spricht es, dass der Verleger Schlesinger ihm für seinen Es-dur-Walzer (op. 18) 500 Fr. bezahlte – Chopin war beim Antritt der Reise in Geldverlegenheit und half sich durch den Verkauf des Walzers. Niecks (I, 272). Mitteilung von Hiller, der aber, wohl irrtümlich, den Verleger Pleyel anstatt Schlesinger nannte. Der Walzer erschien bei Schlesinger. Ein Brief Mendelssohns (23. Mai 1834), der auch in Aachen war, gibt Auskunft über den Aufenthalt dort. Mendelssohn schildert die Begegnung mit Hiller und Chopin, spricht von Chopins herrlichem Klavierspiel, von den neuartigen Klangeffekten, die er der Klaviatur entlockt, tadelt aber eine gewisse »Verzweiflungssucht und Leidenschaftssucherei« in Chopins Kompositionen.
Mendelssohn, Hiller und Chopin fuhren von Aachen aus zusammen nach Düsseldorf. Mit dem Akademiedirektor Schadow verbrachten sie dort einen angenehmen Tag. Hiller berichtet, wie Schadow gleich einem Propheten inmitten seiner Jüngerschar einherschritt und Ehrfurcht um sich her verbreitete (die Maler Lessing, Alfr. Rethel, Hildebrandt, Bendemann u.a. waren damals unter seinen Schülern), wie Chopin anscheinend ganz schüchtern mitging; wie die ganze Gesellschaft erstaunt aufhorchte, als Chopin Abends in Schadows Haus nach Hiller und Mendelssohn ans Klavier ging und nun in seiner Sprache redete. Am folgenden Tag fuhren die drei zusammen nach Köln, auf der Rheinbrücke nahm Mendelssohn Abschied, Chopin und Hiller fuhren nach Koblenz weiter.
Aus dem Jahre 1834 ist erwähnenswert die Ankunft von Chopins Jugendfreund, dem Arzt Dr. Johann Matuszynski. Er war einer der wenigen, denen Chopin rückhaltloses Vertrauen schenkte. {In der} Rue Chaussée d'Antin No. 5 bezogen die Freunde eine gemeinsame Wohnung. Die Korrespondenz dieses Jahres wirft einige interessante Lichter auf Chopin. Schon vor Jahren hatte Elsner Chopin zu einer Oper gedrängt, er wiederholte jetzt (September 1834) seine Aufforderung:
»Alles, was ich über meinen lieben Friedrich höre und lese, erfüllt mein Herz mit Freude; aber verzeihe meine Aufrichtigkeit: bis jetzt ist mir alles noch nicht genug, mir, der ich Dein wenig verdienstvoller, aber glücklicher Lehrer der Harmonie und des Kontrapunkts war und einer Deiner besten Freunde und Verehrer bleiben werde. Während ich noch lebe in hac lacrimarum valle, möchte ich noch die Aufführung Deiner Oper erleben.«
Nach Karasowskis Mitteilung soll Chopin infolge dieses Briefes eine Zeitlang sich mit dem Projekt einer Oper getragen haben. Beglaubigte Nachrichten darüber fehlen. Dagegen fehlt es nicht an glaubwürdigen Mitteilungen, dass Chopin bald in Erkenntnis seiner Mission sich aller Opernpläne entschlug. Nach einer Erzählung von Chopins Schüler Mathias (von Niecks mitgeteilt) hat Chopin einmal dem Grafen Perthuis auf dessen Frage: Chopin, avec vos idées admirables pourquoi ne nous faites-vous pas un opéra? das Folgende geantwortet:
»Ah, monsieur le comte, laissez-moi ne faire que de la musique de piano; pour faire des opéras je ne suis pas assez savant.«
Mit dem Dichter Mieckiwicz soll es über die Opernfrage zu erregtem Disput gekommen sein. Schliesslich möge man sich daran erinnern, was Chopin im Jahre 1831 selbst an Elsner über die Opernkomposition schrieb. Es hat wenig Komponisten gegeben, die in der Produktion so viel Selbsterkenntnis und Selbstkritik entwickelten wie Chopin. Zeitlebens blieb er auf dem ihm heimischen Gebiete der Klaviermusik, immer genügte es ihm, ein kleineres Gebiet unumschränkt zu beherrschen. In diesen Septembertagen erhielt Chopin von Hause schlimme Nachrichten. In No. 9 der neuen Briefsammlung berichtet Louise, dass Michel Skarbek, zu dem die Chopins seit vielen Jahren in freundschaftlichen Beziehungen gewesen waren, gestorben sei und sein ganzes Vermögen einem jungen Taugenichts vermacht hatte. Nicolaus Chopin hatte Skarbek 20000 fl. geliehen und fürchtete nun, das Geld zu verlieren, da er nicht genügende »documents« über die Schuld besass. Die Verhältnisse im Vaterhause waren also keineswegs so günstig, wie oft angenommen wurde, und des Vaters »refrain«: »mettre quelques sous de côté« war von Chopin nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. In einem Briefe des Vaters vom April 1834 wird auch die ohnedies nicht glaubwürdige Behauptung bestritten, dass Chopin der Verfasser des mit Chopin unterzeichneten Briefes sei, den Rellstab, der Berliner Kritiker, nach seiner allerdings ungerecht scharfen Kritik der ersten Pariser Publikationen erhalten hatte. Er ist in Rellstabs Zeitschrift »Iris« (1834, No. 5) Niecks teilt den Brief, wie auch Rellstab's gehässige Kritik mit. I, 279. abgedruckt. Rellstab wird darin unsanft angefasst. Rellstab druckte den Brief mit der Aufforderung, Chopin möge mitteilen, ob er der Verfasser sei oder nicht. Der Brief ist ein Zeichen dafür, dass Chopin in Deutschland schon eifrige Vorfechter hatte. Chopin verschmähte es, darauf zu antworten, so dass mancher vielleicht in seinem Schweigen ein Zugeständnis der Verfasserschaft sehen konnte. Chopins Vater jedoch schreibt darüber: »Il parait que ces messieurs ignorent que tu as reçu une bonne éducation«. Isabella schreibt mit grosser Freude über die Replik eines gewissen Kallert auf Rellstabs Kritik. Sie berichtet auch, dass sie des Bruders Kompositionen tüchtig studiere, insbesondere das op. 12. Beide Schwestern spielten Klavier.
In der Saison 1834-35 spielte Chopin häufiger öffentlich als jemals vor- oder nachher. In Berlioz's drittem Konzert im Conservatoire, am 7. Dezember 1834 spielte er eine Andante mit Orchester, wahrscheinlich das Larghetto aus dem F-moll Konzert. Nach Liszt's Mitteilung an Niecks war Chopin sehr verletzt durch die kühle Aufnahme von Seiten des Publikums. In demselben Konzert führte Berlioz seine Harold Symphonie, die Vehmrichter- und Lear-Ouvertüre auf. Am 25. Dezember wirkte Chopin neben Liszt, dem Violinisten Ernst u.a. in einem Konzert des Theoretikers Dr. Stoepel mit. Liszt und Chopin spielten Moscheles »Grand duo à quatre mains« und ein Stück für 2 Klaviere von Liszt, wahrscheinlich das verloren gegangene Duo über ein Thema von Mendelssohn, das im Jahre 1834 komponiert wurde. In einem Konzert im Pleyel Saal (22. März 1835) trat Chopin mit Herz, Osborne, Hiller, Reicha, Stamati, den Damen Lambert und Leroy auf. Wichtiger war das Konzert in der italienischen Oper, das wahrscheinlich am 5. April 1835 stattfand, zum Besten der polnischen Flüchtlinge. Chopin spielte sein E-moll Konzert, ausserdem mit Liszt ein Stück für 2 Klaviere von Hiller. Der Tenorist Nourrit sang, von Liszt begleitet, Schubert'sche Lieder, das Orchester unter Habeneck's Leitung spielte die Ouvertüren zu Oberon und Wilhelm Teil. Der Violinist Ernst, die Sängerin Falcon und andere jetzt kaum bekannte Künstler wirkten auch mit. Die Verständnislosigkeit des Publikums besonders bei dieser Gelegenheit soll Chopin so aufgebracht haben, dass er später nur selten, mit Widerstreben in öffentlichen Konzerten spielte. Liszt teilt folgenden Ausspruch Chopins mit:
»Ich bin nicht dazu geschaffen, Konzerte zu geben; die Menge ängstigt mich, ihr Athem lähmt mich, ihre neugierigen Blicke sind mir peinlich, vor den unbekannten Gesichtern verstumme ich.«
Weniger bunt zusammengewürfelt ist das Programm des einzigen Konservatoriums-Konzertes (vom 26. April 1835) in dem Chopin spielte:
1) Pastoral-Symphonie von Beethoven. 2) Schubert's Erlkönig, gesungen von Nourrit. 3) Scherzo aus der 9. Symphonie von Beethoven. 4) Polonaise precedée d'un andante spianato von Chopin. 5) Scene von Beethoven (wahrscheinlich: »Ah perfido«, gesungen von Mlle. Falcon). 6) Schlusssatz der C-moll-Symphonie von Beethoven. Im vorhergehenden Konservatoriumskonzert hatte Liszt Weber's Klavierstück gespielt. Musikalische Ereignisse von Wichtigkeit waren in dieser Saison ausserdem die Erstaufführungen von Halévy's »Jüdin«, Auber's »Das eherne Pferd« und Bellini's »I Puritani«. Besonders die letztgenannte Oper wird Chopin's Interesse zweifellos in hohem Masse erregt haben. Er war mit Bellini gut bekannt, und hatte für dessen Person und Musik viel übrig. Bellini's Norma machte, wie Hiller erzählt, auf Chopin einen ausserordentlich tiefen Eindruck. Es mag dies seltsam erscheinen; doch möge man daneben halten, dass auch Schopenhauer, der eine tiefe Einsicht in das Wesen der Musik hatte, Norma für ein Meisterwerk der Opernliteratur erklärte. Chopin hatte schon von Warschau her eine Vorliebe für die italienische Oper, wie überhaupt in Russland und Polen bis auf den heutigen Tag der Geschmack an der italienischen Oper dieser Epoche nicht verschwunden ist. Zudem mögen auch persönliche und künstlerische Berührungspunkte zwischen ihm und Bellini vorhanden gewesen sein. Die süsse italienische Kantilene spielt auch in Chopin's Werken eine nicht unerhebliche Rolle. Schliesslich ist zu bedenken, dass Bellini als junger Mann von kaum 33 Jahren starb (24. September 1835), und dass er im persönlichen Umgang eine Künstlerpersönlichkeit sein mochte, deren Reiz uns verschlossen ist, da wir nur die flüchtigen Arbeiten seiner Jugend kennen und kaum ermessen, was seiner unbestreitbar glänzenden Begabung bei fortschreitender Entwickelung hätte gelingen können. Das mag aber Chopin im täglichen Umgang wohl gesehen haben. Liszt berichtet (Chopin p. 301), dass Chopin den Wunsch ausgesprochen habe, neben Bellini begraben zu werden. Niecks erklärt diese Erzählung zwar für eine Legende, doch ausser Liszt's Zeugnis spricht für ihre Wahrheit die Tatsache, dass Chopin tatsächlich in unmittelbarer Nähe von Bellini beerdigt ist. Oder ist die Legende erst durch die ebenerwähnte Tatsache entstanden? Ferner erzählt Liszt, dass der Wunsch, diesen grossen Meister (Bellini) kennen zu lernen, Chopin bestimmte, 1831 von Wien durch Paris zu kommen, obschon er eigentlich nach London wollte. In seinem »Künstlerleben« betitelten Buch, erzählt Hiller interessante Züge von Bellini, die dem Künstler in ihm sehr sympathisch erscheinen lassen. Aus der neuen Briefsammlung verdienen einige kleine Züge Mitteilung. Am 9. Februar 1835 warnt der Vater Chopin vor den Verlegern, über die sich Chopin seiner Gewohnheit gemäss beklagt hatte. Eine kleine Idylle aus dem Vaterhause entwirft Louise:
»Ich wünschte Du könntest bei einem unserer Hauskonzerte zugegen sein. Zywny am Klavier muss die Palme zuerkannt werden. ... Papa spielt die erste Geige, Barcinski (später Gatte von Isabella) die zweite; die Grossmama singt, und der kleine (Louise's Söhnchen) schlägt mit den Händen den Takt.«
Ferner heisst es:
»Deine Mazurka, in der es im dritten Teil bum, bum, bum geht (wahrscheinlich op. 17, No. 1), ist auf einem Ball bei den Zamoyskis den ganzen Abend lang in einem fort gespielt worden. (N. B. es scheint, dass sie hier Furore macht, besonders im Varietétheater vom ganzen Orchester gespielt). Was sagst Du dazu, Dich so profaniert zu sehen, denn diese Mazurka ist im Grunde genommen doch mehr für das Ohr, als zum Tanzen gemacht ... man kann sie jetzt überall hier hören, sie ist allgemein in der Mode. Sage mir doch, ob Du dabei einen Tanz im Sinne gehabt hast.«
Ferner wird von den Geschenken gesprochen, die Chopin nach Hause gesandt hatte, besonders von dem Ring für die Mutter. Auch in dieser Hinsicht war Chopin immer freigebig. Er sandte bis zu seinem Tode immerwährend zahlreiche Geschenke nach Haus, oft kostbare Gegenstände. Gelegentlich (z.B. neue Briefsammlung No. 7, 12. Dezember 1845) erfahren wir interessante Einzelheiten. Chopin schreibt:
»Ich sende Euch zwei Bücher, das alte und neue Testament, mit englischen Gravüren (nach Raphael, Rubens, Le Poussin) für Luise und Isabella. ... Für Anton (den Schwager), der keine Kinder hat, habe ich ein kleines Bändchen mit Zeichnungen von Gavarni bestimmt: dessins des enfants terribles ... für Calasante (Jedrzcjewiez, seinen andern Schwager) sind die Sprichwörter mit Illustrationen von Grandville«. Die Mutter schreibt 1845: »Ich danke Dir für alle die Geschenke, die Du mir bei jeder Gelegenheit sendest.«
In den Briefen von 1834 und 35 ist wiederholt die Rede von Chopins drittem Konzert. Damit ist wahrscheinlich das später als op. 46 veröffentlichte Allegro de concert gemeint. Niecks vermutet, dass ein geplantes Konzert für 2 Klaviere vom Jahre 1830 den Keim des op. 46 enthalte, ohne jedoch diese Vermutung im geringsten stützen zu können. Sicher ist es jedoch durch die vorliegende Briefstelle bezeugt, dass Chopin in den Jahren 1834 und 35 mit dem Stück beschäftigt war.
Die Jahre von ungefähr 1833-35 scheinen für Chopin die glücklichsten gewesen zu sein. Er hatte eine grosse Position errungen, stand als Komponist wie als Pianist an erster Stelle, freute sich seines Lebens. Seine pekuniären Verhältnisse waren gut, Liebesschmerzen drückten ihn nicht bis zu seinem missglückten Heiratsplan im Jahre 1836, auch seine Gesundheit scheint sich gebessert zu haben. Wenigstens erfahren wir keine Klagen und zwei Zeugnisse sprechen für die Annahme. Ein Landsmann, Orlowski, schrieb 1834 nach Hause:
»Chopin ist gesund und kräftig; er verdreht allen Französinnen die Köpfe, und die Männer sind eifersüchtig auf ihn. Er ist jetzt in der Mode und sehr bald wird die feine Welt Handschuhe à la Chopin tragen. Nur die Sehnsucht nach dem Vaterland verzehrt ihn«.
Ähnlich schreibt Chopins intimer Freund, Johann Matuszynski, 1834, der mit Chopin zusammenwohnte, der ihn also täglich beobachten konnte und als Arzt wohl einen Blick für das Krankhafte gehabt hätte:
»Er ist stark und gross geworden, kaum habe ich ihn wiedererkannt«.
Wenn Orlowski von Chopins Sehnsucht nach dem Vaterlande spricht, so ist das nicht als Phrase aufzufassen. Von jeher war den Polen ein sehr starkes Nationalgefühl eigen. Aber gerade in jenen Jahren, als Polen den letzten Rest der Unabhängigkeit verloren hatte, nach der Niederwerfung des polnischen Aufstandes durch Russland, war bei der polnischen Jugend das Heimatsgefühl noch gesteigert. Auch Chopin war ein glühender Patriot.
Während der ganzen Pariser Zeit, fast 20 Jahre lang, blieb er im regsten Verkehr mit seinen Landsleuten. Er wurde Mitglied des polnischen Klubs in Paris, der polnischen literarhistorischen Gesellschaft, hörte später die Vorträge seines berühmten Landsmannes Mickiewicz über slavische Literatur am Collège de France. Siehe Hoesick S. XLIV über die Beziehungen Chopin'scher Werke zu den Dichtungen der polnischen Romantiker. Vgl. auch Hoesick S. XXXVIII über den polnischen Klub in Paris. Zu Gunsten der Emigranten verwendete er die Einkünfte so manchen Konzerts. Auch fern vom Vaterlande blieb er immer ein Pole, naturalisierte er sich nicht, wie man es bei Ansiedlern im fremden Lande so oft findet. Merkwürdig ist der Zusammenhang zwischen Chopins Werken und den Arbeiten der polnischen Dichter. Man versteht Chopin besser, wenn man kennt, was die Mickiewicz, Slowacki, Ujejski und andere Romantiker geschrieben haben. So isoliert Chopin als Musiker auch steht, geistig ist er ein Genosse der polnischen Romantiker, möchte man ihn fast ihrer Schule zurechnen. Das grosse Thema für sie alle war die Trauer um das Vaterland. Das nationale Gefühl zieht sich durch fast alle Kompositionen Chopins, nicht nur diejenigen, in denen er ostentativ als Pole auftritt, wie die Polonaisen und Mazurkas. Die geistige Gemeinschaft geht noch weiter. Chopin ist durch Dichtungen von Mickiewicz, Slowacki und anderen zu manch einem bedeutenden Werk angeregt worden. Es lassen sich die merkwürdigsten Parallelen ziehen zwischen gewissen Stücken Chopins und den Dichtungen der ihm befreundeten Literaten, Uebereinstimmungen, die ganz unabhängig von einander, ganz unbewusst entstanden waren, und die nur erklärlich sind durch nahe geistige Verwandtschaften – ähnliche Empfindungen fanden ähnlichen Ausdruck, korrespondierende Gestaltung.
Was Chopins Kompositionstätigkeit während der ersten Pariser Zeit betrifft, so lässt sich im einzelnen nicht viel bestimmtes darüber sagen. In den erhaltenen Briefen ist von Kompositionen nicht viel die Rede. Nur einmal (neue Briefsammlung, 10. Septbr. 1832) erfahren wir von einer nicht näher bezeichneten Polonaise und Mazurka, die er nach Warschau sendete mit einem Brief an seinen Schwager Jedrzeiewicz, in dem er seinem Bedauern Ausdruck gibt, dass er bei der bevorstehenden Hochzeit seiner Schwester Louise mit Jedrzeiewicz nicht anwesend sein könne. Der Zeitraum Ende 1832 und das Jahr 1833 bildet jedoch in seiner Komponistenlaufbahn äusserlich einen Abschnitt. Erst von dieser Zeit an wurde er weiteren Kreisen als Komponist bekannt. Um ein richtiges Urteil zu gewinnen, ist es nötig, sich daran zu erinnern, was bis jetzt nicht allgemein bekannt war, dass eine grosse Reihe erst später veröffentlichter Kompositionen schon vor der Ankunft in Paris entstanden war. Als 21jähriger hatte Chopin 1831 schon geschrieben die Konzerte op. 11 und 22, die Konzertstücke op. 2, 13, 14. Aber auch die Mazurkas op. 6, 7 und 17, die Nocturnes op. 9 und die ersten zwei aus op. 15, der Walzer op. 18, das H-moll-Scherzo op. 20, die erste Ballade op. 23, eine Reihe der Etüden, einige Préludes u.a. existierten schon. Wenige Komponisten konnten im Alter von 21 Jahren eine solche Reihe bedeutender Kompositionen aufweisen, höchstens Mozart, Schubert und Mendelssohn kämen vergleichsweise in Betracht.
Seit der Veröffentlichung einiger Jugendkompositionen in Warschau und des op. 2 in Wien (1830) war nichts von ihm erschienen. Im Dezember 1832 beginnt die Reihe der Publikationen, die bis in die Mitte der vierziger Jahre ziemlich stetig fortgeführt werden. Die Quatre mazurkas op. 6 (der Gräfin Pauline Plater gewidmet) und die Cinq Mazurkas op. 7 (einem Herrn Johns gewidmet) erschienen in diesem Monat. Im Jahre 1833 wurde eine stattliche Anzahl von Kompositionen gedruckt, nämlich: op. 9, Trois Nocturnes (Mme. Camilla Pleyel gewidmet), op. 8, Premier Trio (dem Fürsten Anton Radziwill gewidmet), op. 10, Douze Grandes Etudes (Franz Liszt gewidmet), op. 11, Grand Concerto in E-moll (Kalkbrenner gewidmet), op. 12, Variations brillantes, B-dur (der Mlle. Emma Horsford gewidmet). Ein sicheres Entstehungsdatum lässt sich für op. 12 angeben. Es muss in der 2. Hälfte des Jahres 1833 entstanden sein, denn Herolds Oper »Ludovic«, der das Thema entnommen ist, wurde am 16. Mai 1833 zum ersten Male aufgeführt. Diese Variationen sind eigentlich den frühen Kompositionen Chopins viel näher verwandt als man der Zeit ihrer Entstehung nach erwartet hätte. Sie sind elegante Salonmusik, freilich im Einzelnen von solcher Feinheit, wie sie eben nur Chopin bieten konnte. Schumann bespricht sie zusammen mit einer Menge Variationen von Osborne, Kalkbrenner, Döhler, Schunke, Nowakowsky. Er sagt:
»Sie gehören sämtlich dem Salon oder dem Konzertsaal an und halten sich, das letzte Heft ausgenommen (Chopin), von aller poetischen Sphäre weit entfernt. Denn auch in diesem Genre muss Chopin der Preis zuerkannt werden. Jenem grossen Schauspieler gleich, der auch als Lattenträger über das Theater gehend, vom Publikum jubelnd empfangen wurde, kann er seinen hohen Geist in keiner Lage verleugnen; was ihn umgibt, nimmt von ihm an und fügt sich, noch so spröde, seiner Meisterhand. Im übrigen versteht sich, dass die Variationen, zu seinen Originalwerken genommen, in keinen Anschlag gebracht werden können.«
Ein besonders hübscher Einfall ist die zweite Variation, ein prickelndes Scherzo von merkwürdig graziöser, liebenswürdig koketter Rythmik. Man beachte auch das schmachtende dolcissimo am Schluss der Variation. Die Mazurkas op. 6 und 7, die Nocturnen op. 9 und Etüden op. 10 sollen an anderer Stelle im Zusammenhang mit den anderen Stücken ihres Genre behandelt werden, wie auch op. 15, 17, 18.
Im Jahre 1834 erschienen: op. 15, 3 Nocturnes (Ferd. Hiller gewidmet); op. 16 Rondeau (an Chopins Schülerin Caroline Hoffmann Von Caroline Hoffmann erzählt auch Spohr in seiner Selbstbiographie. Er hatte sie als Kind in ihrer Vaterstadt Münster bei Kolmar kennen gelernt und hielt viel von ihrem Talent; sie hatte auch bei Liszt und Pixis Unterricht., sie war schwer leidend und starb 1834; es ging das Gerücht, dass hoffnungslose Liebe zu Chopin ihren Tod beschleunigt habe); op. 17, 4 Mazurkas (an Mme. Lina Freppa, eine italienische Dame, bei der Chopin verkehrte; Hiller beschreibt in seinem ›Künstlerleben‹ einen fröhlichen Abend, den er mit Chopin und Bellini bei ihr verbracht hatte); op. 14 Krakowiak, grand Rondeau de Concert (an die Fürstin Adam Czartoryska); op. 18 Grande Valse brillante (an Mlle. Laura Hosford) und op. 19 Boléro (an die Comtesse de Flahault).
Der Boléro op. 19 und das Rondo op. 16 (op.15=Nocturnes) gehören dem Stil nach mit den Variationen op. 12 zusammen. Der Bolero zeigt mancherlei Anklänge an die Konzerte und mag gleichzeitig mit ihnen entstanden sein. Er gehört nicht gerade zu Chopins bedeutenden Werken, ist aber ein farbenreiches Stück. Schumann spricht davon in einer witzigen und phantasievollen Kritik: Bericht an Jeanquirit in Augsburg über den letzten kunsthistorischen Ball beim Redakteur:
»... Frl. Beda fängt soeben den Boléro an ... Du kennst diese zarte, liebetrunkene Komposition, dies Bild von südlicher Glut und Schüchternheit, von Hingebung und Zurückhaltung.«
Weniger wertvoll ist das Rondo op. 16. Die langsame Einleitung ist ganz und gar nicht Chopinsch. Das sehr weitläufige Es-dur-Rondo enthält gewiss eine Menge schöner Stellen, aber nichts, das man nicht an anderem Ort bei Chopin viel interessanter und kunstvoller ausgeführt finden könnte.
Im Sommer 1835 kam Chopin wieder durch Deutschland, um mit seinen Eltern in Karlsbad zusammen zu treffen, wo der Vater die Kur gebrauchte. No. 2 der neuen Briefsammlung (16. August 1835) von Nicolaus und Frédéric Chopin gemeinsam in Karlsbad geschrieben, bezeugt die Freude über das Wiedersehen, gibt jedoch keine nennenswerten Nachrichten inbetreff des Aufenthalts. In einem späteren Brief Chopins (No. 13 der neuen Sammlung, Edinburgh 19. August 1848) wird auch ein Aufenthalt in Tetschen erwähnt, von dem die Biographen bisher nichts wussten. Er muss in das Jahr 1835 fallen, während der Rückreise von Karlsbad. Der Weg Chopins führte zunächst nach Dresden. Dort traf er mit der Familie Wodzinski zusammen, die schon von Warschau her zu seinem vertrauteren Freundeskreise gehörte. An diese Zusammenkunft schliesst sich eine Liebesaffaire Chopins, den Maria Wodzinska um diese Zeit vollständig gefangen genommen hatte. Ueber diese Angelegenheit wussten die Biographen bisher nur unbestimmtes mitzuteilen. Die neue Briefsammlung jedoch, wie auch neuere Forschungen polnischer Schriftsteller klären den Sachverhalt fast vollständig. Da die entscheidende Wendung in der Sache erst ein Jahr später eintrat, so sei erst später im Zusammenhange davon gesprochen. Von Dresden aus machte Chopin einen kurzen Besuch in Leipzig (Anfang Oktober 1835). Ueber den Leipziger Aufenthalt gibt es einen Bericht des Klavierpädagogen E. F. Wenzel, Siehe Niecks I, 289., der als Schüler Wiecks mit Chopin in Berührung kam. Friedrich Wieck, der Vater der damals berühmtesten Pianistin Clara Wieck, der spätere Schwiegervater Robert Schumanns, hatte sich um die Verbreitung der Chopinschen Kompositionen grosse Verdienste erworben. Aus Schumanns Lebensgeschichte ist dieser ebenso hervorragende Pädagoge wie schrullige Kauz zur Genüge bekannt. Er war beleidigt, dass Chopin ihn nicht als ersten besucht hatte, und als nun Mendelssohn mit Chopin zu ihm kam, versteckte er sich im Nebenzimmer, ohne Chopin zu begrüssen. Chopin traf in Wiecks Wohnung Clara Wieck, Robert Schumann und einige Schüler Wiecks an. Hauptsächlich war ihm an der Bekanntschaft mit Clara gelegen. Sie spielte ihm unter anderem Schumanns gerade vollendete Fis-moll-Sonate (op. 11) vor. Chopin spielte sein Es-dur-Nocturne op. 9, No. 2 zum allgemeinen Entzücken der Zuhörerschaft; dabei konnte Wieck es sich nicht versagen, zu horchen und durch die ein wenig geöffnete Tür hindurchzublicken.
Was die Leipziger Zuhörer, sicherlich kompetente Beurteiler, über Chopins Spiel mitteilen, ist von grösstem Interesse. Mendelssohn schreibt am 6. Oktober 1835 einen langen Brief unter dem Eindruck von Chopins pianistischen Leistungen. Er nennt Chopin einen vollendeten Virtuosen, drückt seine Freude darüber aus, dass er endlich einmal einen grossen Könner gefunden habe, jemanden, der eine ausgesprochene Richtung habe, erzählt von dem Erstaunen der Leipziger, als Chopin sich beim Spiel seiner Etüden und seines Konzerts wie ein Wirbelwind gehen liess, spricht von dem bezaubernden Eindruck, den Chopin auf ihn gemacht habe. Seiner Schwester Fanny, die Chopin kurz vorher in Marienbad gehört hatte, hält er vor, dass sie Chopin nicht genügend würdige. Den interessanten Bericht von Fanny Hensel über ihr Zusammentreffen mit Chopin möge man in Hensel's »Die Familie Mendelssohn« nachlesen, Bd. II, S. 17.
Auch Robert Schumann hat sich mehreremal über Chopins Spiel geäussert, einmal am 6. Oktober 1835 ganz kurz in der Neuen Zeitschrift für Musik, wo er von Chopins Spiel sagt, es sei einzig wie seine Kompositionen, viel ausführlicher bei einer Besprechung der Etüden op. 25 im Jahre 1837:
»Wie durfte denn dieser in unserm Museum fehlen, auf den wir so oft schon gedeutet, wie auf einen seltenen Stern in später Nachtstunde! Wohin seine Bahn geht und führt, wie lange, wie glänzend noch, wer weiss es? So oft er sich aber zeigte, wars dasselbe tiefdunkle Glühen, derselbe Kern des Lichts, dieselbe Schärfe, dass ihn hätte ein Kind herausfinden müssen. Bei diesen Etüden kommt es mir sehr zustatten, dass ich sie meist von Chopin selbst gehört, und ›sehr à la Chopin spielt er selbige‹ flüsterte mir Florestan dabei ins Ohr. Denke man sich, eine Aeolsharfe hätte alle Tonleitern und es wärfe diese die Hand des Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander, doch so, dass immer ein tieferer Grundton und eine weich fortsingende höhere Stimme hörbar, und man hat ungefähr ein Bild seines Spiels. Kein Wunder aber, dass uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor allem die erste in As-dur erwähnt, mehr ein Gedicht als eine Etüde. Man irrt aber, wenn man meint, er hätte da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein Wogen des As-dur-Akkordes, vom Pedal hier und da von neuem in die Höhe gehoben; aber durch die Harmonien hindurch vernahm man in grossen Tönen Melodie, wundersame, und nur in der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenorstimme aus den Akkorden deutlicher hervor. Nach der Etüde wirds einem wie nach einem sel'gen Bild, im Traume gesehen, das man, schon halbwach, noch einmal erhaschen möchte; reden liess sich wenig darüber und loben gar nicht. Er kam alsbald zur anderen in F-moll, die zweite im Buch, ebenfalls eine, in der sich einem seine Eigentümlichkeit unvergesslich einprägt, so reizend, träumerisch und leise, etwa wie das Singen eines Kindes im Schlafe ...«
Noch einmal sei Schumann zitiert. In einer fingierten Unterhaltung mit seiner Tänzerin auf dem »kunsthistorischen Ball beim Redakteur« kommt die Rede auf Chopin.
»›Und Sie kennen Ihn?‹ Ich gab zu. ›Und haben ihn gehört?‹ Ihre Gestalt ward immer hehrer. ›Und haben ihn sprechen gehört?‹ Und wie ich ihr jetzt erzählte, dass es schon ein unvergesslich Bild gäb, ihn wie einen träumenden Seher am Klavier sitzen zu sehen, und wie man sich bei seinem Spiele wie der von ihm erschaffene Traum vorkäme, und wie er die heillose Gewohnheit habe, nach dem Schluss jedes Stückes mit einem Finger über die pfeifende Klaviatur hinzufahren, sich gleichsam mit Gewalt von seinem Traum loszumachen, und wie er sein zartes Leben schonen müsse, – schmiegt sie sich immer ängstlich-freudiger an mich und wollte mehr und mehr über ihn wissen. Chopin, schöner Herzensräuber, niemals beneidete ich Dich, aber in dieser Minute wahrhaft stark.«
In Leipzig spielte Chopin auch im Hause der Frau Henriette Voigt, der Freundin Mendelssohns und Schumanns, der Schumann nach ihrem Tode (1839) einen schönen Nachruf widmete. Er teilt darin auch Fragmente aus ihren Tagebüchern mit, deren eines hier zitiert sein möge, obschon es erst nach Chopins zweitem Besuch im folgenden Jahre geschrieben ist, am 13. September 1836:
»Gestern war Chopin hier und spielte eine halbe Stunde auf meinem Flügel – Phantasie und neue Etüden von sich – interessanter Mensch – noch interessanteres Spiel – es griff mich seltsam an. Die Ueberreizung seiner phantastischen Art und Weise teilt sich dem Scharfhörenden mit: ich hielt ordentlich den Atem an mich. Bewundernswert ist die Leichtigkeit, mit der diese samtenen Finger über die Tasten gleiten, fliehen, möchte ich sagen. Er hat mich entzückt, ich kann es nicht leugnen, auf eine Weise, die mir bis jetzt noch fremd war. Was mich freute, war seine kindliche, natürliche Art, die er im Benehmen wie im Spiel zeigte.«
Auf der Rückreise nach Paris, im Oktober 1835, nahm Chopin kurzen Aufenthalt in Heidelberg. Dort besuchte er die Familie seines Schülers Adolf Guttmann, der bis zu Chopins Lebensende um ihn war, und von dem als einem Lieblingsschüler Chopins später noch oft die Rede sein wird. Schriftliche Mitteilungen einer Schwester Guttmanns, die damals als Kind im väterlichen Hause Chopin sah, bezeugen den ausserordentlichen Eindruck, den Chopins Persönlichkeit auf den Vater wie die Schwestern Guttmanns machte. Der Vater behandelte Chopin nicht wie einen Prinz oder König, sondern wie ein diesen überlegenes Wesen. Die Kinder hielten den Eindruck einer unvergleichlichen Lichtgestalt, einer verklärten poetischen Erscheinung noch Jahrzehnte später fest. Siehe Niecks I, 293
Gegen Mitte Oktober war Chopin wieder in Paris. In der Gazette musicale vom 18. Oktober 1835 wird von seiner Rückkehr gesprochen.
Die Saison 1835/36 verbrachte Chopin in Paris. Ereignisse von besonderer Bedeutung für ihn werden nicht gemeldet. In öffentlichen Konzerten spielte er nicht. Doch ist gerade diese Saison wegen einer Anzahl musikalischer Ereignisse von Bedeutung. Am 29. Februar 1836 fand die erste Aufführung von Meyerbeers Hugenotten mit ungeheuerem Erfolg statt. Ueber Chopins Beziehungen zu Meyerbeer wird berichtet, das Chopin sich aus Meyerbeers Musik nicht viel machte, aber doch gern mit Meyerbeer verkehrte Siehe Niecks II, 169, Mitteilung von Franchomme., obschon er sonst zu Juden wenig Zuneigung hatte.
Einmal fand zwischen beiden ein heftiger Auftritt statt. Lenz erzählt aus den vierziger Jahren Lenz »Die grossen Klaviervirtuosen unserer Zeit«, siehe Niecks II, 163. Einen höflichen Brief Meyerbeer's an Chopin teilt Karlowicz S. 308, 9 mit., dass Meyerbeer einmal eintrat, als er (Lenz) bei Chopin Unterricht hatte. Er spielte die C-dur-Mazurka op. 33: Das ist 2/4 Takt, sagte Meyerbeer. Es ist ¾, erwiderte Chopin, liess das Stück wiederholen und schlug mit dem Bleistift Takt dazu. Meyerbeer blieb bei 2/4, Chopin rief ärgerlich ¾. Geben Sie mir das Stück als Ballett für meine neue Oper, sagte Meyerbeer, dann werde ich es beweisen. Nun wurde Chopin wütend, spielte die Mazurka selbst mehreremal, stampfte mit dem Fuss den Takt und schrie 1, 2, 3. Meyerbeer war nicht zu überzeugen. Chopin geriet vor Wut ausser sich, die beiden gingen im Zorn auseinander.
Solche Ausbrüche des Zorns kamen bei Chopin, der das äussere Dekorum für gewöhnlich sorgsam wahrte, selten vor. Man muss sich wundern, dass sie bei einer so leidenschaftlichen Natur so selten waren. Chopin hatte jedoch ein anderes Ventil zum Entladen seines Missvergnügens: seine Spottsucht, einen feinen Sarkasmus. Liszt nennt ihn: einen feinen »connoisseur en raillerie« und einen geistreichen Spötter; ein ander Mal spricht er von ihm als »ombrageux«, und auch Marmontel bezeichnet Chopin als »tempérament sauvage.« Siehe Niecks II, 163.
Andere Ereignisse der Saison, die Chopin sicherlich interessiert haben, waren die Konzerte zweier polnischer Künstler, des Violinisten Lipinski und des Xylophon-Virtuosen Gusikow, den sogar Mendelssohn schätzte. Beide spielten mit sehr grossem Erfolg. Noch grösseres Aufsehen erregten die Konzerte des Klaviervirtuosen Sigismund Thalberg. Thalberg war der Mann des Tages. Sein Spiel erregte solche Begeisterung, dass sogar Liszt, der damals mit der Comtesse d'Agoult in der Schweiz weilte, um seinen Ruf besorgt war, wie es scheint. Um Thalberg zu hören, kehrte er im April 1830 nach Paris zurück, gerade einen Tag nachdem Thalberg abgereist war. Nun gab Liszt mit enormem Erfolg seine Konzerte und es bildeten sich zwei Parteien im Publikum für Liszt und für Thalberg. Im Dezember 1836 hatten die Pariser den Genuss, die beiden Rivalen in einem Konzert zu hören zum Besten der italienischen Armen in den Salons der Fürstin Belgiojoso. Kurze Zeit darauf, im Jahre 1837, erschien in der »Gazette Musicale« eine Besprechung der Kompositionen Thalbergs aus Liszts Feder, die Liszt allerdings keine grosse Ehre macht. Persönliche Invektive über die sachliche Kritik hinaus zeigt, wie sehr Liszt in Thalberg einen gefährlichen Rivalen sah. Schumann schätzte den Pianisten Thalberg ungemein hoch Siehe Schumanns warme Würdigung Thalberg's. Ges. Schriften, herausgegeben von H. Simon, Reclam, Leipzig, III, 56, 57., Chopin allerdings hatte eine recht geringe Meinung von Thalberg. Chopins Geringschätzung von Thalberg geht aus mehreren Briefstellen hervor, die zum Teil schon zitiert sind, auch aus Mitteilungen von Chopins Freunden. Siehe Niecks I, 301. Es ist aber auch hier daran zu erinnern, dass Chopins Meinung über andere Musiker von ganz absonderlicher Art war, rein subjektiv aus Sympathie oder Antipathie entsprang, und nur mit Vorsicht als objektives, sachliches Urteil aufgenommen werden darf. Allenfalls kann man bei Chopins Lieblingen sehen, warum sie bevorzugt sind, aber schwerlich bei allen, die er ablehnte, den Anlass des Missfallens ergründen. Der persönliche Verkehr zwischen Thalberg und Chopin war kaum mehr als oberflächlich.
Aus der neuen Briefsammlung seien ein paar auf den Winter 1835–36 bezügliche Stellen hier erwähnt. In einem Brief der Schwestern vom 15. Dezbr. 1835 ist die Rede von einem enragierten Bewunderer Chopins in Warschau (dem Bruder eines gewissen Brykczynski), dem Louise ein Autograph Chopins geschenkt habe: »etwas gutes ... ein Lied: das kleine Pferd.«
Es ist damit eins der polnischen Lieder gemeint, von denen Chopin eine ganze Anzahl im Lauf der Jahre komponierte. Nach seinem Tode wurden 17 davon veröffentlicht, es gab aber zweifellos noch mehr, die, wie Liszt berichtet, in Polen verbreitet waren und nie gedruckt wurden, oder wenigstens nicht unter Chopins Namen. Zu den letzteren scheint das hier erwähnte Lied zu gehören, das bisher von keinem Biographen genannt worden ist. Aus späteren Jahren wird an anderer Stelle ein ähnliches Beispiel anzuführen sein. Am 9. Januar 1836 schreibt der Vater, dass in Warschau seit Wochen das Gerücht gehe, Chopin sei schwer erkrankt. Das Gerücht scheint jedoch unbegründet gewesen zu sein. In einer Nachschrift an Jan Matuszynski bittet der Vater diesen, auf Chopin einzuwirken, dass er sich schone. Ferner heisst es: »Der Aufenthalt in Karlsbad war so angenehm, wieso sind in Heidelberg so unangenehme Folgen erschienen?« Daraus ist vielleicht der Schluss zu ziehen, dass Chopin in Heidelberg einen Krankheitsanfall erlitten hat. Viel wichtiger sind jedoch die Hindeutungen auf Chopins Liebesaffäre, die nun im Zusammenhang betrachtet werden muss.
Die 3 Brüder Wodzinski waren Pensionäre des Vaters Chopins gewesen und von Jugend auf mit Chopin befreundet, der sie mehrere Mal auf ihrer Besitzung Sluzewo besuchte. Dort wurde er auch mit der Schwester Maria bekannt. In einem Brief an einen der Wodzinskis, die damals in Genf weilten (18. Juli 1834), erinnert Chopin daran, wie er als Kind mit Maria spielte; er erwähnt eine Komposition der Maria, Variationen, die sie ihm gesandt hatte, erzählt, wie er über das Thema dieses Stückes improvisiert habe: »Ich nehme mir die Freiheit, meiner schätzenswerten Kollegin, Frl. Maria, einen Walzer zu senden, den ich soeben veröffentlicht habe.« Im Jahre 1835 erhielten die freundschaftlichen Beziehungen einen weiteren Anstoss dadurch, dass Anton Wodzinski nach Paris kam und dort mit Chopin viel verkehrte. Im Herbst 1835 weilten die Wodzinskis in Dresden und Chopin besuchte sie auf der Rückreise von Karlsbad. Hier entspann sich nun ein Liebesverhältnis zwischen Chopin und Maria Wodzinska. Ueber diese Angelegenheit sind mehrere Berichte vorhanden: Graf Wodzinskis Buch »Les trois Romans de Frédéric Chopin«, Karasowskis Bericht in seiner Biographie und Niecks' Kritik der Karasowskischen Darstellung. Die neue Briefsammlung klärt die Angelegenheit so weit auf, dass man sagen kann, Karasowski komme der Wahrheit am nächsten, obschon Niecks in manchen Punkten Karasowskis Darstellung mit Recht bemängelt. Es kann jetzt als ziemlich sicher gelten, dass Chopin die feste Absicht hatte, Maria Wodzinska zu heiraten, und dass sie ihm tatsächlich so gut wie versprochen, wenn nicht förmlich verlobt war.
Am 28. Februar 1835 schreibt Maries Mutter von Genf an Chopin und bittet um ein Autograph für ihre Sammlung. Der nächste Brief ist von Marie selbst in Dresden, September 1835, kurz nach Chopins Abreise geschrieben. Daraus geht hervor, dass der As-dur-Walzer (als op. 69 No. 1 nach Chopins Tode veröffentlicht) für Marie komponiert und ihr schon in Dresden im Manuskript gegeben wurde, nicht erst später aus Paris an sie gesendet wurde, wie Niecks angibt. Chopins Eltern waren in den Heiratsplan eingeweiht und waren geneigt des Sohnes Absichten zu unterstützen. Am 9. Januar 1836 schreibt der Vater (neue Sammlung) über seinen Plan, Chopins Mutter nach Dresden zu senden, um die Heiratsangelegenheit mit den Wodzinskis zu besprechen: »Aber Gesundheit ist nötig und Geld, und Du musst an beides denken.«
Chopins Mutter kam jedoch nicht nach Dresden. Chopin reiste im Sommer 1836 allein nach Marienbad, wo er wieder mit den Wodzinskis zusammentraf. Der Inhalt der neuen Briefe stellt es ziemlich sicher, dass Chopin im August 1836 seinen Heiratsantrag gemacht hat, und dass sowohl Marie wie auch ihre Mutter zustimmten. Der Vater Maries jedoch musste erst gewonnen werden, und zu diesem Zweck hielt es Maries Mutter für ratsam, vorläufig über die Sache zu schweigen, auch Chopins Eltern gegenüber. In ihrem Brief an Chopin vom 14. September 1836 aus Dresden schreibt sie: »ich werde nichts von dem Vorabend sagen (an dem Chopin sich erklärt hatte) ... Sie können jedoch meiner Sympathie sicher sein; um meinen Wunsch zu erfüllen ... ist diese Vorsicht nötig.« Niecks ist also im Irrtum, wenn er meint, Marie habe Chopins Antrag abgelehnt. Nach seiner Abreise von Marienbad machte Chopin wiederum einen kurzen Besuch in Leipzig und war dort mit Schumann Siehe darüber Schumanns Brief an Heinrich Dorn vom 14. Sept. 1836. Ein Brief Schumanns, Leipzig, vom 8. Sept. 1836 an Chopin (Karlowicz S. 316) zeigt Schumanns Haltung Chopin gegenüber: »Mein theurer und verehrter Herr! Nur ein ›Ja‹ möchten Sie mir schreiben oder schreiben lassen, ob Sie nähmlich, wie ich eben höre, in Dresden sind. Im Begriffe, über Dresden nach meiner Heimath zu reisen, würde ich es mir niemals verzeihen können, in der Nähe des Herrlichen gewesen zu sein, ohne ihm ein Wort meiner Verehrung und Liebe zu sagen. Also bitte ich Sie nochmals sehnlichst um das ›Ja‹ u. ihre Adresse.« Chopin hat niemals die Wärme und Herzlichkeit Schumanns erwiedert. zusammen. Die schon zitierte Tagebuchnotiz der Frau Henriette Voigt bezieht sich auf diesen Aufenthalt. Er wäre wohl kaum in der Laune gewesen, in Leipziger Privatkreisen Besuche zu machen und dort zu spielen, wenn seine Hoffnungen, wie Niecks annahm, unmittelbar vorher wären zerschlagen worden. Aus den folgenden Monaten seien aus den Briefen der Wodzinskis an Chopin einige Einzelheiten mitgeteilt. Die Mutter Wodzinska ist auf Chopins Wohlbefinden bedacht. Am 2. Oktober werden wiederholt Pantoffel erwähnt, die Marie für Chopin sendet, auch wollene Strümpfe. Die Mutter bittet um einen neuen Roman für Marie. In einem kurzen Postskriptum von Marie heisst es: »Adieu bis zum Mai oder Juni spätestens«. Chopin wird mehreremal um Autographe berühmter Männer angegangen, die er bei seinem Verkehr in den ersten Pariser Kreisen wohl mit Leichtigkeit beschaffen konnte. Ueber die Förderung der Heiratsangelegenheit erfahren wir nichts. Die Sache zerschlug sich allmählich aus Gründen, die im einzelnen nicht bekannt sind. Freilich ruhte der ganze Plan auf schwachen Füssen. Chopin hatte kein Vermögen, hatte auch von Hause aus nichts zu erwarten; er war auf den Verdienst angewiesen, den ihm Unterrichtsstunden und seine Kompositionen abwarfen, und dieser genügte zwar, um ihm selbst ein behagliches Leben zu sichern, aber kaum, um einen Hausstand in Paris zu gründen, den ein verwöhntes Edelfräulein als standesgemäss ansehen mochte. Zudem verstand Chopin niemals zu sparen. Nun könnte man glauben, dass eine grosse Liebe und eine reiche Mitgift wohl zu glücklichem Hausstand hätten führen können, aber einmal war die Liebe nicht so gross, wenigstens nicht auf Maries Seite, und dann lässt die Vorsicht der Mutter Wodzinska bei der Verlobung vermuten, dass der Vater der Braut die ganze Angelegenheit mit wenig freundlichen Augen betrachtete und in punkto Mitgift wohl nicht zu grossen Opfern bereit war. Chopin muss über das Fehlschlagen seiner Absichten schweren Kummer empfunden haben. Auf dem Bündel Briefe der Wodzinskis an ihn steht von seiner Hand: »Moia bieda« (»mein Unglück«) (s. Karlowicz). Freilich ist es stark zu bezweifeln, ob die Ehe mit Maria Wodzinska ihn nicht noch mehr würde enttäuscht haben. Das Bild, das man sich von ihr nach den hinterlassenen Mitteilungen machen kann, ist kein sehr günstiges. Das neunzehnjährige junge Mädchen muss durch ihre Schönheit und Grazie Chopin bezaubert haben, so dass er ihr gegenüber mit Blindheit geschlagen war. Aus den Postskripten, die sie an Chopin richtete, – meist waren es nur ein paar angehängte Zeilen – und aus den wenigen Briefen, die von ihr erhalten sind, spricht eine wenig sympathische Persönlichkeit. Nicht aus einem einzigen Satz könnte man die glückliche, liebende Braut herauslesen. Der Ton ihrer Zeilen ist ziemlich kühl, manchmal kokett und schwatzhaft. Das Bild einer herzlosen Kokette steht fertig vor uns, wenn wir lesen, was der polnische Chopin-Forscher Ferdinand Hoesick über sie ermittelt hat. Gleichzeitig mit ihrem Verhältnis zu Chopin unterhielt sie demnach eine liaison mit dem polnischen Dichter Slowacki, und traf mit dem einen zusammen, nachdem sie den anderen soeben verlassen hatte. In Genf begeisterte sie Slowacki, in Dresden liess sie sich von Chopin vergöttern. Der Dichter schreibt seine schönsten Gedichte, seine Idylle: »In der Schweiz« mit dem Gedanken an sie, der Musiker komponiert seine zarte F-moll-Etüde (op. 25, No. 2) als »Portrait« der Geliebten, schreibt den As-dur Walzer (op. 69, 1) ihr zur Huldigung, die Cis-moll Nocturne (op. 27, No. 1) als flammendes Merkzeichen seiner Liebe zu ihr. Schien es nun auch, als ob Chopin über Slowacki triumphiert hatte, so waren doch schliesslich beide genarrt. Maria Wodzinska heiratete im Jahre 1837 den Grafen Friedrich Skarbek. Auch in dieser Ehe zeigte sie sich nicht standhaft. Es kam zur Scheidung.
Zwischen Chopin und Slowacki bestanden übrigens die merkwürdigsten Parallelen. Sie wurden kurz nach einander geboren und starben in dem nämlichen Jahr an der gleichen Krankheit. Sie sahen einander zum verwechseln ähnlich und liebten dieselbe Frau. Ihr Lebensgang wies auffällige Aehnlichkeiten auf, und ihre Werke ähneln einander nicht nur im Allgemeinen, im romantischen Grundton, sondern bis in Einzelheiten hinein. Ueber die Beziehungen Chopins zu Slowacki, überhaupt die ganze Wodzinska-Episode, hat Hoesick S. XXX bis L sehr eingehende Mitteilungen von höchstem Interesse gemacht. Uebrigens verkehrte Chopin noch in späteren Jahren mit Slowacki. Sie trafen sich 1838 im polnischen Klub in Paris wieder.
Ein undatierter Brief, wahrscheinlich vom Sommer 1837, an Anton Wodzinski gerichtet, der damals in Spanien Kriegsdienste tat und verwundet worden war, ist in mehrfacher Hinsicht erwähnenswert Der Patriot Chopin schreibt: »Tritt nicht in die spanische Armee ein – –, denke daran, dass Dein Blut einem besseren Zwecke dienen kann.« Um diese Zeit hatte sich die unheilvolle Krankheit wieder gemeldet. »Man wollte mich nach Ems schicken. Bis jetzt jedoch ist kein Gedanke an Reisen zu fassen; ich kann mich nicht rühren.« Am Rande wird der Name George Sand in der bekannten Chopin-Korrespondenz zum erstenmal genannt: »Vielleicht gehe ich auf ein paar Tage zur George Sand« (auf ihren Landsitz Nohant).
In einem Brief Mendelssohns aus London vom 24. August 1837 wird erwähnt, dass Chopin vor kurzem in London gewesen sei, aber nicht in Gesellschaften gegangen sei, nur einmal bei Broadwood (dem Klavierfabrikanten) ausserordentlich schön gespielt habe. Chopin kam mit dem Verleger Camille Pleyel und einem ihm befreundeten Landsmann Stanislaus Kozmian d. Aelt. im Juli auf 12 Tage nach London. Unter dem Namen eines Herrn Fritz führte ihn Pleyel bei Broadwood ein; doch als er zu spielen anfing, erkannten die Damen in Herrn Fritz bald Chopin. In Moscheles Tagebuch wird Chopins Aufenthalt in London erwähnt, auch von Chopins Brustkrankheit gesprochen.